6. Dezember 2002
Department of Information and International Relations (DIIR),
Central Tibetan Administration, Dharamsala, 176 215, H.P. India,
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Presseerklärung

Dharamsala bittet die internationale Gemeinschaft: Appellieren Sie an China, von der Vollstreckung der Todesstrafe an zwei Tibetern abzusehen

Die tibetische Regierung-im-Exil ist tief bestürzt über das Todesurteil, das die chinesischen Behörden über zwei tibetische politische Gefangene in dem jetzt zur Provinz Sichuan gehörenden Karze verhängten.

Es wundert uns, daß dieses unglückselige Urteil gerade zu einer Zeit erfolgte, in der die Freilassung von drei tibetischen politischen Gefangenen und der Besuch einer Delegation Seiner Heiligkeit des Dalai Lama in China und Tibet die Hoffnung geweckt hatte, Peking könnte zur einer Lösung der Tibet-Frage auf diplomatischem Wege durch Gespräche bereit sein. Wir wünschen aufrichtig, daß dieses Vorkommnis keine negativen Auswirkungen auf die angeknüpften Kontakte und die Verhandlungen, denen wir hoffnungsvoll entgegenblicken, haben wird.

Professor Samdhong Rinpoche, der Kalon Tripa, der sich gerade zu einem Besuch in den USA aufhält, sagte: "Bedenkt man was für einen Background Tenzin Delek und Lobsang Dhondup haben, so scheint es, daß die Behörden nun zu unbewiesenen Anschuldigungen greifen, um mit aller Schärfe gegen Leute vorgehen zu können, die sich für die Erhaltung der tibetischen Religion, Kultur und Gesellschaft engagieren". Er äußerte sich besorgt darüber, daß den zwei Tibetern kein fairer Prozeß zuteil wurde und rief die Tibet-Unterstützungsgruppen weltweit dazu auf, auf ihre Regierungen dahingehend einzuwirken, daß diese die Chinesen auffordern, die Vollstreckung der Urteile auszusetzen und den zwei Tibetern eine faire Gerichtsverhandlung zu bieten, wie es von der chinesischen Verfassung garantiert wird.

Was auch immer die Erklärung der Regierung in Peking für diese Kehrtwendung sein mag, so vermuten wir, daß es eigentlich eine neue Strategie zur Radikalisierung der tibetischen Unabhängigkeitsbewegung ist, um damit für ein brutales Vorgehen gegen Tibeter, die ihre Meinung zum Ausdruck bringen wollen, einen Vorwand zu liefern. Eine derart verfehlte Politik bringt die Gefahr mit sich, einen nicht enden wollenden Teufelskreis von Konflikten und Instabilität auszulösen.

Am 2. Dezember verhängte das Mittlere Volksgericht von Karze in einem Eilverfahren das Todesurteil über Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup. Sie wurden beschuldigt, hinter dem Sprengstoffattentat in Chengdu vom 3. April 2002 zu stehen, weshalb sie am 7. April in Gewahrsam genommen wurden.

Tulku Tenzin Delek, einer der am höchsten verehrten geistlichen Würdenträger in Karze, ist wegen seiner unverhohlenen und unerschütterlichen Loyalität Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama gegenüber weithin bekannt. Schon seit langem engagiert er sich für die Besserung der Lage der notleidenden tibetischen Bevölkerung und für die Erneuerung der tibetischen Kultur und Sprache. Ein vom Tibetan Centre for Human Rights and Democracy in Dharamsala veröffentlichter Bericht deutet an, der Tulku habe dem Gericht Falschanschuldigung und einen unfairen Prozeß vorgeworfen. Während das Gericht sein Urteil verlas, rief er "Lang lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama".

Diese Menschenrechtsorganisation berichtet, die chinesischen Behörden hätten es bei ihren Unterdrückungsmaßnahmen in den letzten Jahren besonders auf geistliche Würdenträger abgesehen. Die permanente Opposition der Geistlichen gegen die chinesische Herrschaft und der große Einfluß, den sie auf die Bevölkerung haben, bedeuteten, daß China niemals das Nationalgefühl der Tibeter ausrotten kann, solange seine spirituellen Führer stark sind.

Wir appellieren an die internationale Gemeinschaft, Druck auf die chinesische Regierung auszuüben, damit die Todesurteile annulliert werden. Das tibetische Volk setzt sich dafür ein, das Tibet-Problem auf dem Wege friedlicher Verhandlungen zu lösen und wir rufen daher die chinesische Führung auf, in gleicher Weise zu reagieren.

Wang Lixiong, ein in China lebender chinesischer Gelehrter und Verfasser des Bestsellers "Gelbe Gefahr", der des öfteren ausführliche Artikel über die Tibet-Frage schreibt, sagte " Tulku Tenzin Delek ist ein Lama, der von allen Leuten hoch geachtet wird. Indem der chinesische Sicherheitsapparat ihm nun das Etikett eines Terroristen anhängte, ihn vor Gericht stellte und das Todesurteil über ihn fällen ließ, meint er wohl, etwas Großes vollbracht zu haben." Diesen Kommentar machte Wang Lixiong auf einer chinesischsprachigen Website und sagte außerdem, er glaube nicht, daß Tulku Tenzin Delek etwas mit den Bombenattentaten zu tun habe. "Mit diesem Akt hat die chinesische Polizei Tenzin Delek auf die richtige Größe zurechtgeschnitten und rühmt sich nun, die mysteriösen Bombenattentate vom April aufgedeckt zu haben", fuhr Wang Lixiong fort.

Abteilung für Information und Internationale Beziehungen der Tibetischen Regierung-im-Exil, Dharamsala, Indien

Kommentare eines chinesischen Schriftstellers zu Tulku Tenzin Deleks Prozeß

(Folgendes schrieb Wang Lixiong, einer der wichtigsten Tibet-Forscher in China. Am 5. Dezember wurde der Text von einem Freund unter www.hjclub.com/textbody/113131.asp ins Internet gestellt, doch offensichtlich wurde er viel früher verfaßt. Hier folgt die vom DIIR gemachte Übersetzung aus dem Chinesischen).

"Ein lebender Buddha, der von der Bevölkerung der Gegend hoch verehrt wird, soll der Kopf sein, der hinter sieben Terrorakten steht. Hier handelt es sich um den wichtigsten Fall des Jahres, der vom Public Security Bureau der TAP Ganze Sichuan zu lösen ist.

Der Name des lebenden Buddha ist Ahan Zhaxi (Pinyin Transkription von Ngawang Tashi), sein Ordensname ist Tenzin Delek. Er ist auch als Aten Phuntsok bekannt. In den Achtzigern wurde er in Indien als ein lebender Buddha anerkannt. Aber die chinesische Regierung hat ihn nie als einen reinkarnierten Lama betrachtet und bezieht sich nur unter dem Namen Ahan Zhaxi auf ihn. Bis jetzt hat das Gericht noch keine endgültige Entscheidung in seinem Fall getroffen. Dennoch hat die Präfektur Ganze bereits mit einer Verleumdungs- und Verfolgungskampagne gegen ihn begonnen.

Der Hintergrund dieses Falles ist folgender: Am 3. April wurde auf dem Hauptplatz der Stadt Chengdu ein Sprengstoffattentat verübt. Ein entfernter Verwandter von Ahan legte den Sprengsatz. Dieser Mann war früher einmal Ahans Gehilfe. Er bezeugte, Ahan habe ihn mit der Ausführung des Attentats beauftragt. Daraufhin nahm die Polizei Ahan am 7. April fest und stellte ihn zur Rede. Im Laufe der Vernehmungen bekannte sich Ahan dazu, daß er das Bombenattentat, ebenso wie sechs frühere, noch ungelöste Fälle in Ganze ausgeheckt habe. Die Sache wäre damit zu Ende gewesen, hätte nicht die Bevölkerung von Ganze den Behörden vorgeworfen, eine einseitige Geschichte in Umlauf gebracht zu haben.

Ich war schon etliche Male in der TAP Ganze und kenne Ahan Zhaxi seit langem. Ich sah auch mit eigenen Augen, welch enormes Ansehen er bei der tibetischen Bevölkerung des südlichen Ganze genießt. Ahan begab sich oftmals zu den Nomaden und Bauern, um geistliche Belehrungen zu geben. Er war an einer ganze Reihe von charitativen Aktivitäten beteiligt, darunter der Gründung von Schulen für Waisenkinder, der Unterstützung von alten alleinstehenden Leuten, dem Bau von Straßen und Brücken, dem Umweltschutz und Kampagnen gegen das Rauchen, Trinken, Glücksspiel, Raufen usw. Diejenigen, die durch den Einfluß seiner Lehren ihre Laster aufgegeben haben, blicken nun auf ihn wie auf einen Vater, der ihnen ein neues Leben geschenkt hat. Ich besuchte Ahan in der Vergangenheit und war tief beeindruckt von seinem spartanischen Lebensstil. Für sich selbst nahm er nur sehr wenig von den Gaben, die seine Schüler ihm brachten. Als ich die Geschichte hörte, daß er hinter den Bombenattentaten stecken soll, konnte ich sie natürlich nicht glauben, und diejenigen, die ihn verehren, noch weniger.

Da Ahan mit den lokalen Behörden und dem Public Security Bureau niemals auf gutem Fuß stand, mußte er schon zweimal fliehen und sich bei tibetischen Freunden verstecken. Das gab Anlaß zu einer Petition, die Tausende von Leuten aus der Gegend mit ihrer Unterschrift oder ihrem Daumenabdruck versahen. Sie sandten eine Delegation nach Peking, die den Schutz der Zentralregierung für Ahan erbat. Das hatte zur Folge, daß die Behörden vor Ort die Finger von ihm lassen mußten. Nun hat ihnen das Sprengstoffattentat genau die Gelegenheit geliefert, auf die sie schon so lange gewartet hatten, nämlich die Möglichkeit, gegen ihn vorzugehen. Eine große Anzahl der dort lebenden Leute sieht das zynisch: Ist dies nicht ein eindeutiger Fall, wo einem unschuldigen Menschen ein Verbrechen angehängt wird? Auf der einen Seite sind die Behörden nun in der Lage, Ahan zu demütigen, auf der anderen kann das Public Security Bureau nun endlich in diesen schon so lange ungelösten Fällen auf ein Resultat seiner Ermittlungen verweisen. So wurden also zwei Fliegen mit einem Streich erwischt. Daß Ahan die gegen ihn erhobenen Anklagen zugegeben hat, ist nicht schwer zu verstehen, wenn man nur ein bißchen Ahnung von der kommunistischen Ermittlungstätigkeit hat, wo es keine große Sache ist, durch körperliche und psychische Folter Geständnisse zu erpressen. Die Geschichte der chinesischen kommunistischen Partei wimmelt nur so von Fällen, in denen Unschuldige für schuldig erklärt wurden. Wie will man auch nur irgend jemand davon überzeugen, daß sich solches nicht auch jetzt wiederholt hat?

Ich kann natürlich nicht mit absoluter Sicherheit behaupten, daß Ahan fälschlicherweise für schuldig erklärt wurde. Obwohl ich ihm in der Vergangenheit persönlich begegnet bin, können wir doch nur das Äußere einer Person wahrnehmen, aber nicht ihr Inneres. Ich bin dennoch fest davon überzeugt, daß dies ein Fall von Manipulation hinter den Kulissen ist. Ich meine, Ahan sollte die Möglichkeit und das Recht bekommen, sich öffentlich zu rechtfertigen. Außerdem sollte den Leuten das Recht gegeben werden, in dieser Angelegenheit einen Verdacht zu äußern, Fragen zu stellen, und nachzuforschen. Im Namen seiner Vorgesetzten richtete der Chef des Verwaltungsbezirks Nyagchu folgende Drohung an die Bevölkerung: "Wer immer sich zugunsten von Ahan ausspricht, wird als ebenso schuldig wie Ahan selbst behandelt werden". Selbst wenn Ahan wirklich schuldig sein sollte, werden all diese Tausende von Menschen unter diesen Umständen niemals diese Entscheidung für richtig halten. Darüber hinaus wird dieser Vorfall als ein Paradebeispiel für die Unterdrückung der Tibeter durch die chinesische Regierung in die Geschichte eingehen."

Wang Lixiong
Übersetzt und herausgegeben von der Abteilung für Information und Internationale Beziehungen, Dharamsala, 6. Dezember 2002

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