31. Januar 2017
The Tibetpost International, www.thetibetpost.com

“Ich fand eine ungeahnte Kraft in der Wahrheit“ - schrieb Labrang Jigme Online

„Sie unterschieben uns die größten und schwersten Verbrechen. Während des Gerichtsverfahrens beschwatzen oder zwingen sie uns sogar, viele Dinge zuzugeben, die wir nie getan haben, und fortwährend wollen sie uns leblos wie eine Leiche machen, wenn uns nicht gänzlich auslöschen“, schreibt Labrang Jigme.

Diese Erklärung voller Mut und Standhaftigkeit eines hoch geachteten und gelehrten Mönchs, Labrang Jigme, der kürzlich aus dem Gefängnis entlassen wurde, kursiert Online.

Labrang Jigme, ein Mönch aus Labrang in Amdo, war mehrmals im Gefängnis und wurde so grausam gefoltert, daß er beinahe starb. Im Oktober wurde er nach fast fünf Jahren Haft freigelassen, aber kam sofort ins Krankenhaus (1). Er ist ein populärer Autor und Intellektueller und außerdem der einzige Tibeter, der unter Nennung seiner eigenen Identität in Tibet per Video über seine Inhaftierung und die chinesische Politik gegen den Dalai Lama gesprochen hat (2).

Empfang zu Hause
Online kursieerendes Statment

Im Internet finden sich nun Fotos eines Schreibens vom 26. November 2016, aus dem sein Geist ungebrochener Entschlossenheit angesichts der schweren Unterdrückung ersichtlich wird.

„Sie unterstellen uns die größten und schwersten Verbrechen. Während des Gerichtsverfahrens beschwatzen oder zwingen sie uns sogar, viele Dinge zuzugeben, die wir nie getan haben, fortwährend wollen sie uns leblos wie eine Leiche machen, wenn nicht uns gänzlich auslöschen“, schreibt Labrang Jigme.

„Ihr könntet entgegnen: ‚Sie können ja nichts tun, um meine Fähigkeit vernünftig zu denken, oder die Hingabe in meinem Herzen zu vernichten’. Doch durch mein aufrichtiges Festhalten an der Wahrheit fand ich die Kraft, die Fähigkeit, den Mut und das Durchhaltevermögen, wie ich sie nie zuvor gekannt habe, und ich glaube fest, daß dies die Macht der Wahrheit und der Vernunft ist“.

Jigme wurde am 26. Oktober 2016 nachts aus dem Gefängnis in Lanzhou, der Provinzhauptstadt von Gansu, entlassen, wonach die Gefängnisleitung ihn in sein elterliches Haus in der Stadt Labrang im Bezirk Sangchu bringen ließ. Seinen Verwandten war nicht erlaubt, ihn in der traditionellen Weise willkommen zu heißen. Ebensowenig darf er wieder sein Mönchsgewand tragen. Auf einem neueren Foto trägt er eine blaue Jacke und Hosen, außerdem eine Brille. So wie Jigme, bekommen politische Gefangene nach ihrer Entlassung üblicherweise keine Erlaubnis, wieder in ihre Klöster zurückzukehren.

Ein im Exil lebender Verwandter berichtet, daß Labrang Jigme eigentlich schon 2015 hätte entlassen werden können, denn es gibt eine Bestimmung, nach der ein Gefangener bei zufriedenstellender Arbeit und gutem Benehmen vorzeitig entlassen werden kann. Aber weil er sich weigerte, ein offizielles Dokument zu unterzeichnen, wurde er länger in Haft behalten und erst zwei Monate, nachdem seine fünfjährige Haftstrafe am 20. August 2016 zu Ende gegangen war, tatsächlich entlassen.

Jigme Guri, der Mitte Vierzig ist, war erneut festgenommen worden, als er im August 2011 in der Stadt Tso, TAP Kanlho, Provinz Gansu, weilte. Zwei von Jigme Guris Familie bestimmte Anwälte, reisten nach der Präfekturstadt Tso, um den Fall zu übernehmen, bekamen aber zu hören, daß die Anhörungen bereits vor sechs Monaten unter Beiziehung zwei örtlicher Anwälte stattgefunden hätten. Das Gericht informierte sie darüber, daß Jigme Guri wegen des „Verdachts auf Aufhetzung zu antinationalem Separatismus“ angeklagt sei.

Jigme Guri wurde zum ersten Mal im April 2006 nach der Teilnahme an den Unterweisungen des Dalai Lama in Indien bei seiner Rückkehr festgenommen. Er war 40 Tage lang in Haft, danach konnte er ins Kloster Labrang zurückkehren. Seine zweite Haftzeit begann am 22. März 2008, nach den Protesten im Kloster Labrang vom 14. und 15. März 2008. Obwohl er daran nicht teilgenommen hatte, bezichtigten die Behörden ihn, der Rädelsführer zu sein. Wieder wurde er festgenommen und über einen Monat lang so schwer gefoltert, daß er im Krankenhaus landete.

In dem Video (2) über diese Erfahrung spricht Labrang Jigme (der verehrend auch Akhu Jigme oder Lama Jigme genannt wird) 22 Minuten lang vor der Videokamera von den vielen Tibetern, die sich gezwungen sahen, in die Berge zu fliehen, weil sie aus Angst vor einer Festnahme nicht wagten, nach Hause zurückzukehren. Er tat dies, damit die Medien wahrheitstreu über diese Umstände berichten können.

In dem Video sagt er: „Heute erzähle ich mit Hilfe der Medien – und ich bezeuge die Wahrheit – die Geschichte der vielen Tibeter, die getötet wurden, die in den Gefängnissen gefoltert werden, ich berichte von den unzähligen, die in die Berge fliehen mußten und die zu große Angst haben, um nach Hause zurückzukehren. Ich tue dies, damit die Medien wahrheitsgetreu über diese Lage berichten können.“

1949 fand die Invasion Tibets durch das kommunistische China statt. Seit dieser Zeit wurden von den 6 Millionen Tibetern mehr als 1,2 Millionen getötet, über 6000 Klöster wurden zerstört und Mord, Vergewaltigung, willkürliche Festnahme, Folter und grausame, unmenschliche und herabwürdigende Behandlung gehörten für die Tibeter in Tibet zur Tagesordnung. Peking nennt dies immer noch eine „friedliche Befreiung“.

Eine Übersetzung der Erklärung, die Jigme Labrang etwa einen Monat nach seiner Entlassung aus dem Gefängnis im Oktober 2016 schrieb, folgt hier:

Ins Leben zurückgekehrt, nachdem ich dem Tod ins Auge blickte…

„Sollten auch mein Mut und meine Entschlossenheit schwinden, so bewegen mich doch meine Liebe und Treue zu meinem Volk, meine Hoffnung und meine Vitalität weiterzumachen. Der Mittel, die sie verwenden, um uns zu vernichten, sind viele: Einschüchterung und Irreführung, Lüge und Täuschung, kurz gesagt: alles von wildem Zorn bis zu trügerischem Lächeln, und sie sind Experten darin geworden.

Nicht nur, daß sie die Öffentlichkeit täuschen, sie unterstellen uns die größten und schwersten Verbrechen. Bei der Gerichtsverhandlung bringen sie uns durch verführerische Worte oder durch Gewalt dazu, uns vieler Dinge für schuldig zu bekennen, die wir nicht getan haben. Es ist dies ein ständiger Prozeß, um uns leblos wie eine Leiche zu machen, wenn nicht, uns ganz und gar auszulöschen.

Ihr könntet sagen: ‚Sie können ja nichts tun, um meine Fähigkeit, vernünftig zu denken, oder die Hingabe in meinem Herzen zu vernichten’. Doch durch mein aufrichtiges Festhalten an der Wahrheit fand ich die Kraft, die Fähigkeit, den Mut und das Durchhaltevermögen, wie ich sie nie zuvor gekannt habe, und ich glaube fest, daß dies die Macht der Wahrheit und der Vernunft ist.

Die selbstlose Hingabe, die mich an mein Volk bindet, meine Liebe zu meinem Land, meine Hoffnung für meine Angehörigen stehen fest wie ein Berg, unerschütterlich ist meine Entschlossenheit, alle Drangsal für den Frieden der Welt zu ertragen. Das Gedeihen meines Volkes, mit Einsicht gepaartes Wohlergehen und solcherlei sind das Unterpfand meines der Wahrheit verpflichteten Lebens. Mein Lebenslicht mag ausgelöscht, die Fahnenstange meiner Lebenskraft abgehauen werden, aber dem Tode nahe sind dies mein Testament und die Bekundung meiner innersten Überzeugung.“

26. November 2016
Labrang Jigme

(1) 27.12.2016     Ehemaliger politischer Gefangener Jigme Guri polizeilich überwacht und mit multiplen Leiden im Hospital

(2) 8.10.2008       Eine Stimme aus Tibet: Video-Interview eines Mönches aus Amdo