27. Oktober 2016
The Tibetpost International, www.thetibetpost.com

Bei einer mysteriösen Eislawine in Westtibet kamen im Juli neun Nomaden ums Leben

Zwei massive Eislawinen, die in der Nähe des Aru Gebirgszuges in der Präfektur Ngari im Changthang abgingen, ließen Wissenschaftler rätseln, was da vor sich gegangen war. So etwas sei noch nie vorgekommen, hieß es.

Der erste Lawinenabgang erfolgte im Juli 2016. Eis und Felsen stürzten zu Tal in den Aru Tso (See) und töteten neun Menschen, außerdem über 350 Schafe und 110 Yaks. Dem Earth Observatory der NASA zufolge sind Experten verwundert über das Ereignis, weil in der Gegend keine ungewöhnlichen Temperaturen und Niederschläge zu verzeichnen waren. Zudem befand sich der Teil des Gletschers, der kollabierte, auf verhältnismäßig flachem Gelände.

Wissenschaftler der Internationalen Vereinigung für kryosphärische Studien (1) und die internationale Permafrost Liga waren schockiert, als dann im September eine zweite Lawine, nur wenige Kilometer von der ersten entfernt, abging.

NASA Terra Satellit: Aufnahme der zwei Eislawinen vom 4.10.16

„Auch nur eine dieser gigantischen Gletscherlawinen ist etwas ganz Ungewöhnliches“, sagte Andreas Kaab, ein Glaziologe an der Universität Oslo, „und gleich zwei davon geographisch und zeitlich nahe beieinander, sind unseres Wissens zufolge noch nie vorgekommen“.

Die Forscher vermuten, daß die Lawinen möglicherweise durch einen Surging (Welle) genannten Prozeß verursacht wurden, bei dem das Eis eines Gletschers vom oberen Teil aus 10 bis 100 mal schneller als gewöhnlich in Fluß gerät.

Während es keine dokumentierten Fälle von Surging gibt, die einen plötzlichen Gletscherkollaps ausgelöst hätten, lassen die Daten darauf schließen, daß das Surging des ersten Gletschers Ende letzten Jahres begann und eine riesige Wasseransammlung darunter schuf, die ihn schwächte und den Kollaps verursachte.

Mehrere Wissenschafter suchen weiter nach einer schlüssigen Erklärung für beide Lawinen, aber der NASA zufolge kann Klimawandel nicht ausgeschlossen werden.

Tibet leidet seit einer Reihe von Jahren unter den Folgen des Klimawandels und die Temperaturen sind schneller gestiegen als irgendwo sonst auf der Erde. Wenn das Schmelzen in diesem Tempo fortschreitet, dann werden Voraussagen zufolge zwei Drittel der 47.000 Gletscher Tibets bis 2050 verschwunden sein und zwei Milliarden Menschen in Asien werden durch den Rückgang der Flüsse unter Wassermangel leiden.

Große chinesische Industrievorhaben wie der Abbau von Kupfer, Gold, Silber, Chrom und Lithium haben Tibets Umwelt schwer in Mitleidenschaft gezogen und durch die Zerstörung großer Flächen von Weideland, Feuchtgebieten und Permafrostböden zur globalen Erwärmung beigetragen.

Als die Weltpolitiker sich im Dezember 2015 zu Gesprächen über die Risiken des Klimawandels in Paris trafen, gab die International Campaign for Tibet (ICT) einen informativen Bericht über die Bedeutung von Tibets empfindlicher Umwelt heraus (2).

Um Matteo Mecacci, den Vorsitzenden von ICT zu zitieren: „Als die Gespräche in Paris begannen, sprachen sowohl der Dalai Lama als auch die Führung in Peking von einem alarmierenden Ausmaß der Umweltkrise in Tibet, dem Dach der Welt. Der Klimawandel in Tibet, das auch der „dritte Pol der Erde“ genannt wird, weil es über die größten Süßwasserreserven außerhalb der Arktis und Antarktis verfügt, beeinflußt nicht nur den Monsun in Asien, sondern auch das Wetter in Europa.

„Als Quelle der meisten der großen Flüsse Asiens, wie dem Yangtse, dem Mekong und dem Brahmaputra, ist Tibet mit seiner empfindlichen Ökologie von ausschlaggebender Bedeutung für Hunderte Millionen von Menschen in den von seinem Wasser abhängenden Ländern stromabwärts“.

Im August 2015 sprach der Chef der tibetischen Exilregierung, Sikyong Dr. Lobsang Sangay, ebenfalls von der bedeutenden Rolle der Umwelt in Tibet und warnte, daß wenn die Probleme Tibets ignoriert würden, dies in Zukunft ernste geopolitische Folgen haben könnte, sogar Kriege um Wasser in Asien.

„Tibet, das auch als der Dritte Pol der Erde bekannt ist, hat über 47.000 Gletscher, die Flüsse speisen, von deren Wasser 1,3 Milliarden Menschen in Asien abhängen. Den Vorhersagen der NASA zufolge werden 60% der Gletscher Tibets in den nächsten 40 Jahren geschmolzen sein. Was wird mit dieser Milliarde von Menschen geschehen, wenn die Gletscher in diesem Tempo weiterschmelzen? Das ist die größte Herausforderung, der wir uns heute gegenübersehen“.

(1) Die Kryosphäre (von altgriechisch cryos "kalt"oder "Eis") bezeichnet den Teil der Erdoberfläche, auf dem Wasser in fester Form vorkommt. Dazu gehören Meereis, See- und Flußeis, Schnee, Gletscher, Eiskappen und -schilde, Permafrostböden.

(2) New report reveals global significance of Tibet, earth’s Third Pole, and challenges China’s policies https://www.savetibet.org/new-report-reveals-global-significance-of-tibet/