11. Mai 2013
Phayul, www.phayul.com

Lhasas Altstadt auf dem besten Weg zur Zerstörung

Die in Peking lebende tibetische Schriftstellerin Woeser veröffentlichte einen verzweifelten Aufruf, die altehrwürdige Hauptstadt Tibets vor der „gräßlichen Modernisierung“ zu retten, die einem „unverzeihlichen und unabsehbaren Verbrechen gegen die altehrwürdige Stadt in der Kulturlandschaft Lhasas, gegen die menschliche Zivilisation und die Umwelt“ gleichkommt“.

In einer Anfang des Monats geschriebenen Petition, die sie über Weibo verbreitete, die aber rasch zensiert und wieder entfernt wurde, bemerkte die mehrfach preisgekrönte Schriftstellerin, daß China dabei ist, das Gesicht Lhasa durch die Errichtung eines riesigen Einkaufszentrums im Herzen der Altstadt vollständig zu verändern. Dabei wird der Pilgerumrundungsweg um den Jokhang, das Heiligtum Lhasas, „gründlich gesäubert“ werden.

Aufblasbare rote Zylinder am Barkhor
Das ruinierte Altstadtviertel von Lhasa

Die Bittschrift „Unser Lhasa steht vor der Zerstörung! Bitte, rettet Lhasa!“, stellte sie daraufhin auf ihrem Blog „Invisible Tibet“ (1) ein. In englischer Übersetzung erschien sie bei High Peaks Pure Earth (2).

Das Barkhor Einkaufszentrum soll nach seiner Vollendung eine Fläche von 150.000 Quadratmetern umfassen und nach dem Plan der Architekten über mehr als eintausend unterirdische Parkplätze verfügen.

Dem Konstruktionsplan für das Barkhor Einkaufszentrum entnehmen wir, was das Ziel ist: Das Barkhor Viertel wird erneuert, um zu „säubern, die Bebauung aufzulockern, zu transformieren und das Niveau zu heben“. „Und die Realität, die man darunter zu verstehen hat, ist, daß die Rekonstruktion der Altstadt in mehrere große Sektoren aufgeteilt wird: das Herz der Altstadt, der Umrundungsweg um den Jokhang soll vollkommen übersichtlich werden. Alle Straßenverkäufer werden in das neu zu erbauende „Barkhor Einkaufszentrum“ umgesiedelt. Und alle Bewohner, die um diese Straße herum wohnten, werden in den Stadtkreis Toelung Dechen, am westlichen Stadtrand von Lhasa verbannt. Diejenigen Haushalte, die zügig umziehen, können mit einer Beihilfe von 20.000 bis 30.000 RMB rechnen. Wenn man sich weigert zu gehen, wird dies als ein politisches Problem gesehen werden“.

Woeser stellt ferner fest, daß die Zerstörung von Lhasa, deren älteste Teile auf das 7. Jahrhundert zurückgehen, auch auf anderen Straßen und Wegen der Altstadt begonnen hat, etwa im Areal vor dem Ramoche Tempel, wo große öffentliche Plätze im Entstehen sind und die dort Wohnenden in die Vororte umgesiedelt werden.

Woeser beklagt, daß die Altstadt nie mehr das sein wird, was sie einmal war, es wird keine Straßen mehr geben für jene Tibeter, die als Pilger kommen, ihre Runden um den Jokhang drehen und ihre Niederwerfungen machen.

„Und jetzt gibt es auf dem Platz vor dem Jokhang, der Zeuge so großen Wandels über die Jahrhunderte hinweg geworden ist, nicht mehr jene Pilger aus Kham und Amdo, die von weither kamen und den gesamten Weg bis Lhasa Niederwerfungen machend zurücklegten. Es gibt keine Pavillons für die Opferlämpchen mehr, in denen jeden Tag Tausende und Zehntausende von Butterlämpchen entzündet wurden“, schreibt sie.

Pilgerumrundungsweg um den Jokhang
Es fehlen die Pilger aus Kham und Amdo

„Nur noch Heckenschützen, die auf den Dächern von Häusern, in denen Tibeter wohnen, in Positiongehen, und voll bewaffnete Soldaten auf Patrouille, nur noch die Eröffnung eines massigen als staatliches Unternehmen betriebenen Einkaufszentrums nach dem anderen, vor deren Türen aufblasbare blutrote Säulen prangen, wodurch die Vulgarität und Zudringlichkeit dieser neureichen Unternehmen zur Schau gestellt wird“.

Woeser wendet sich in ihrem Bittschreiben an die UNESCO, an Tibetologen und Organisationen, sie möchten sich einsetzen, um Chinas furchterregende „Modernisierung“ zu stoppen und die Aufmerksamkeit auf das „nicht mehr gut zu machende Unglück zu lenken, das über die Altstadt von Lhasa eben in diesem Augenblick hereingebrochen ist.

Als Antwort auf Woesers Appell (3) haben schon über dreitausendfünfhundert Leute eine Online-Petition unterschrieben, in der sie Kishore Rao, den Direktor des UNESCO Welterbe-Zentrums ersuchen, seine Stellung und seinen Einfluß geltend zu machen, um China bei seiner „mutwilligen Zerstörung der Altstadt von Lhasa“ Einhalt zu gebieten.

(1) „Our Lhasa is on the verge of destruction

(2) High Peaks Pure Earth

(3) Petition bei Change.org