23. Februar 2012
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„Losar Tashi Delek: Eine Hommage an die älteren Menschen aus Lhasa, die wegen einer Pilgerfahrt zu Kriminellen gemacht wurden“

von Woeser

In diesem Blog-Eintrag konzentriert sich Woeser auf die älteren Tibeter, die nach Indien reisten, um vom Dalai Lama die Kalachakra-Belehrungen zu erhalten, und dann nach Tibet zurückkehrten. Menschenrechtsorganisationen und danach auch die Medien berichteten von der Festnahme dieser zurückgekehrten Tibeter. In ihrem Eintrag hingegen bringt Woeser persönliche Geschichten von Tibetern, die diese auf Weibo, die Mikroblogging-Seite von Sina, setzten.

Heute (23. Februar) ist der zweite Tag von Losar (Tibetisches Neujahr) im Tibetischen Rab-byung-Jahr 2139, dem Jahr des Wasserdrachen. Ich würde gerne “Losar Tashi Delek” („Ein glücksverheißendes und zufriedenstellendes tibetisches Neujahr!“) zu den bis zu 10.000 Tibetern, insbesondere den Älteren unter ihnen, sagen, die dafür, dass sie auf eine buddhistische Pilgerfahrt gegangen sind, zu Kriminellen gemacht wurden. Doch leider ist es so, wie es vortrefflich von einem Tibeter ausgedrückt wurde: „Wenn wir uns jetzt begrüßen, sollten wir nicht wieder ‚Losar Tashi Delek‘ sagen: wir haben kein ‚tashi‘ (‚Glück‘) und kein ‚delek‘ (‚Zufriedenheit‘). Wir mahnen uns vielmehr gegenseitig ‚gzeb-gzeb-byos’ (‚sei sehr vorsichtig‘).“

Dieses Jahr stand seine Heiligkeit, der Dalai Lama, vom 1.-10. Januar an der heiligen Stätte der indischen Buddhisten, Bodhgaya, dem heiligen Ort Vajrasana, wo Buddha die Erleuchtung erlangte, der 32ten Kalachakra-Einweihung vor. Ungefähr 500.000 Buddhisten aus der ganzen Welt nahmen daran teil, darunter auch über 10.000 tibetische Gläubige aus allen Regionen Tibets, sowie über 1.000 Chinesen und andere Gläubige aus ganz China.

In den tibetischen Gebieten war es schon immer schwierig, einen Reisepass zu beantragen, und 2008 wurde aufgrund der Demonstrationen, die alle tibetischen Regionen erfaßten, die Ausstellung von Reisepässen gestoppt. In den vergangenen zwei Jahren haben die Behörden, wie es in Lhasa der Fall war, den älteren Menschen gegenüber ein wenig Nachsicht gezeigt und eingewilligt, Reisepässe von Antragstellern, die 60 Jahre oder älter sind, zu bearbeiten. Daher waren unter denjenigen aus Tibet, die nach Bodhgaya reisten, um an der Einweihung teilzunehmen, viele ältere Menschen, alle mit dem Verlangen, in den ihnen verbleibenden Jahren noch einen Blick auf das Antlitz ihres Wurzel-Gurus zu erhaschen; dem Verlangen nach dem Darshan („Ansichtig-Werden“) ihres Wurzel-Guru. Und ihr Wurzel-Guru ist niemand anderes als Seine Heiligkeit der Dalai Lama, der seit 53 Jahren im Exil lebt.

Als die Initiation abgeschlossen war, gingen die Gläubigen aus Tibet auseinander und machten sich auf den Weg zu ihrem jeweiligen Zuhause. Nur um einen Reisepass zu bekommen, hatten sie sich abgekämpft, und ihr Weg war voller Mühsal, bis sie schließlich an der heiligen Stätte den nährenden Nektar des Buddha Dharma erhielten. Sie erlebten einen kurzen Moment des Glücks, nicht ahnend, dass ihnen später die Rechnung präsentiert werden würde, dass dies der Auftakt zu einer Erfahrung mentaler und körperlicher Folter sein würde.  

Zunächst wurden sie alle, wenn sie über Nepal zurückkehrten, gleichgültig ob sie an einem der Flughäfen oder am Grenzübergang bei Dram ankamen, vom chinesischen Militär und der Polizei verhört und durchsucht. Rituelle Gegenstände, religiöse Schriften etc., die sie bei sich trugen, sowie Geschenke, die sie gekauft hatten, wie etwa tibetische Arzneimittel etc., wurden ihnen alle unterschiedslos abgenommen. 

Es wird davon ausgegangen, dass viele der Gläubigen, deren Zuhause in Amdo oder Kham ist, als Gruppe nach Lhasa gebracht und zusammen über die Qinghai-Tibet-Bahn zu ihren verschiedenen Regionen geschickt wurden. Danach mußte jeder Einzelne zwei Kader aus seiner Heimatregion finden, die für ihn bürgten. Erst dann konnten sie zu ihren Familien zurückkehren. Zudem wurden die Gläubigen von Amdo und Kham, die jüngst aus Indien und Nepal zurückgekehrt sind, unter einheitliche Aufsicht gestellt und zuerst einmal nach Shigatse geschickt, wo sie sieben Tage lang „Unterricht“ bekamen. Danach wurden sie gemeinsam nach Hause zurückgeschickt.

Und dann Lhasa: alle Tibeter, die an der Initiation teilgenommen hatten, erwarteten noch größere Schwierigkeiten. Die überwältigende Mehrheit von ihnen setzte sich aus älteren Menschen zusammen: pensionierte Kader sowie Stadtbewohner und Bauern von den Außenbezirken der Stadt. Und es waren auch Menschen mittleren Alters und junge dabei. Zuerst wurden sie von ihren lokalen Nachbarschaftskomitees oder Arbeitseinheiten vorgeladen, wozu auch Mitarbeiter der zuständigen Polizeistation kamen. Jede Person wurde von Mitarbeitern der Nachbarschaftskomitees oder der Arbeitseinheiten in Anwesenheit des Büros für öffentliche Sicherheit verhört. Zu den wichtigen Fragen gehörten: Wen hast du bei der Kalachakra-Initiation gesehen? Was genau haben der Dalai Lama, Samdhong Rinpoche und der neu gewählte Kalon Tripa gesagt? Welche Menschen von hier sind dir bei der Initiation begegnet? Wie viel Geld hast du dem Dalai Lama und anderen Rinpoches als Gabe für die Initiation gegeben? Und so weiter und so fort ….

Drinnen wird die "Studiengruppe" indoktriniert (Bild: Woeser)

Zu Beginn wurden sie einzeln vorgeladen, und es habe nicht besonders lange gedauert. Es heißt, dass einige der Personen, die von den Nachbarschaftskomitees und Arbeitseinheiten geschickt wurden, um mit ihnen zu reden, ein akzeptables Verhalten zeigten, während andere sich schlecht verhielten und sie geradeheraus beschimpften: „Was seid Ihr bloß für Leute! Ihr esst unser Essen, aber ihr legt euren Kopf auf der anderen Seite nieder! Was steckt dahinter?“  

Es wird davon ausgegangen, dass die Reisepässe all derjenigen, die von der buddhistischen Pilgerfahrt aus Indien zurückkehrten und „zum Tee eingeladen wurden“ – d.h. vorgeladen wurden –, beschlagnahmt wurden. 

Viele Leute glaubten, dass die Schikanen, nachdem die Reisepässe beschlagnahmt worden waren, ein Ende nehmen würden. Aber sie konnten sich nicht den lange andauernden Albtraum ausmalen, der auf sie wartete. Etwa seit Anfang Februar wurde ein großer Teil der Tibeter, die an der Einweihung teilgenommen hatten, in Lhasa von der Polizei aufgesucht, die zu ihnen nach Hause kam und sie wegbrachte, mit der Behauptung, sie würden zu „Lerngruppen“ geschickt werden oder „um Unterricht zu bekommen“. Selbst alte, über 80jährige Menschen, wurden fortgebracht. Darüber hinaus wurden sie ständig weggebracht, einer nach dem anderen, weil, so hieß es, ihre Namen „bei Geständnissen“ erwähnt worden seien. Dies führte zu Panik und Angst. Niemand wusste, was für Methoden in den „Lerngruppen“ angewandt wurden; wie brachten sie Menschen dazu zu „gestehen“?

Tibeter, von denen einige ältere Familienangehörige abgeholt worden waren, diskutierten die Angelegenheit auf Weibo, aber die Einträge verschwanden im Nu wieder. Glücklicherweise speicherte ein Freund einige dieser Weibo-Beiträge, ehe sie gelöscht wurden.

@ 木雅公主后人:Ich hörte meine Verwandten sagen, dass gestern der Winterwind in Lhasa heftig wehte und der Himmel fahl war. Gestern morgen wurde Amala gesagt, sie müsse gehen. Mittags kam sie, um eine Decke zu holen und ist seitdem nicht zurückgekehrt. Wir nehmen an, dass sie nicht erfreut darüber waren, dass sie auf eine Pilgerfahrt nach Indien gegangen ist. Warum muß sie denn so lange lernen? Und sie kann geschriebenes Chinesisch noch nicht einmal lesen.

@旺秀才丹:In Lhasa wurde eine alte Frau über 80 mit Amala zusammengesetzt, um zu lernen. Allein bei der Kirey Polizeistation schickten sie gestern drei Minibusse raus. Es heißt, dass der Zeitraum zwanzig Tage sein soll. Ich verstehe die Empfindlichkeit und den Druck hinsichtlich der Aufrechterhaltung der Stabilität in Tibet. Ich hoffe nur, dass sie diese alten Menschen, die sich zum Buddhismus bekennen, nicht misshandeln, schlagen oder beschimpfen. Amala versteht doch kaum Chinesisch und lesen kann sie es gleich gar nicht. Ich hoffe, sie muss nur den Unterricht besuchen und die Bestimmungen des Staatsrechts zu der Nationalitätenpolitik studieren.

@木雅公主后人: Amala ist eine Hausfrau, sie kann kein Chinesisch lesen. Ihre Kinder sind alle verheiratet. Normalerweise würde sie ihre buddhistischen Niederwerfungen machen, etwas Mahjong spielen, und damit hat es sich. Ich hörte, dass die Leute bei den Kasernen des Grenzschutz-Kommandos in den westlichen Vororten Lhasas versammelt wurden. Heute ist schon der zweite Tag, und sie ist nicht nach Hause gekommen. Wie lange muss die Quälerei denn noch weitergehen? Quält doch nicht erneut Leib und Seele der Älteren!

@木雅公主后人:Ich bete für unsere Landsleute, denen es heute nicht möglich sein wird, in ihren eigenen vier Wänden zu schlafen, die sich nach ihren Familien sehnen werden. Möge Buddha die unschuldigen, einfachen Menschen segnen und beschützen, so dass sie bald wohlbehalten zu ihren Familien zurückkehren können; insbesondere unsere betagte 80jährige Amala. Wir alle warten darauf, dass ihr alle zurückgekehrt.

@旺秀才丹:Gibt es irgendein Gesetz, auf das man sich verlassen könnte? Wie soll man einen 24-stündigen Gewahrsam nennen? Und wenn er länger dauert, wie soll man ihn dann nennen?

@木雅公主后人:Spät in der zweiten Nacht wurde das Wetter lautlos sehr windig. All die Amalas müssen sehr frieren. Eure Kinder müssen das Unerträgliche auf sich nehmen und euch weiter leiden lassen!

@云那边:Lasst es uns noch mal durchgehen, der älteren Menschen in Lhasa wegen, die jetzt so weit weg von uns sind, die grundlos verschwunden sind. Als diese alten Menschen das Land verließen, waren all die rechtlichen Formalitäten in Ordnung. Ich nehme an, dass, bevor sie abreisten, die zuständigen Abteilungen natürlich auch alles über sie wussten. Aber warum wurde ihre Rückkehr für diese nachträgliche Abrechnung abgewartet, bei der sie der Reihe nach verhört werden? Werden die zum Erhalt der Stabilität angewandten Taktiken immer so (hinterlistig) heimtückisch und unpopulär sein?

@格桑小巫 Was die älteren Menschen betrifft, die in ganz normaler Befolgung der Gesetze verreisten, um an der Initiation teilzunehmen, und die sich aufgrund irgendeines nicht näher spezifizierten Befehls eine Decke holen, die ihre Familien verlassen und zum Lernen versammelt werden, würde ich doch gerne wissen, ob die zuständigen Abteilungen meinen, dass diese ungebildeten, unbewaffneten alten Menschen in der Lage sind, sich in einer Revolte gegen den Staat zu erheben?

@没有你的雪域:Unsere Mutter, die in ihren Sechzigern ist, wurde verhaftet! Sie sagen, sie würde für 2-3 Monate nicht zurückkehren! Heute standen viele Familienmitglieder weinend vor dem Tor des Lagers, wo sie mehrere hundert alte Menschen festhalten. Die alten Menschen drinnen winkten heftig mit den Händen, vermutlich um ihnen zu sagen, dass sie nicht weinen sollen. Die Älteren, die in der Lage waren, sich umzudrehen und zu gehen, wischten diskret Tränen weg! Jeder, der den Vorfall beobachtete, war gerührt; wir kehrten mit einer inneren Leere nach Hause zurück, das ist kein tibetisches Neujahr zum Feiern! Wir beschlossen, dass im Laufe des tibetischen Jahres ein Familienmitglied eine Pilgerfahrt zu einer heiligen Stätte unternehmen sollte.

Angehörige warten vor dem Gebäude, wo die Schulungen stattfinden

Diesen Weibo-Beiträgen und zuverlässigen Informationen zufolge, wurden allein in Lhasa mindestens sieben oder acht solcher „Studiengruppen“ eingerichtet. Einige wurden in Kasernen, wie etwa den Baracken des Kommandos des Grenzschutzes in den westlichen Vororten Lhasas, organisiert. Einige wurden bei Arbeitseinheiten, wie etwa dem Chengguan BezirkslLehrer-Ausbildungsinstitut unterhalb des Klosters Drepung in den westlichen Vororten Lhasas, gebildet. Einige wurden in Hotels, wie etwa denen auf der Sera Road und der Jiangsu Road, gebildet. Einige wurden im Bezirk Chushul und im Bezirk Dechen gebildet, wo politische Gefangene eingesperrt werden. Es wird berichtet, dass womöglich bis zu tausend Tibeter, die an der Initiation teilnahmen, nun in „Lerngruppen“ festgehalten werden. Dies übt enormen Druck auf die Gefühle ihrer Familien und Nachbarn aus und löst bei ihnen zudem tiefsitzende Ängste aus. Und das ist nur die Lage in Lhasa. Wie es in anderen Teilen der TAR aussieht, ist noch immer ungewiss. Und die Lage in den tibetischen Gebieten, die sich über die Provinzen Qinghai, Sichuan, Gansu und Yunnan verteilen, ist ebenfalls ungeklärt.

Hinzu kommt, dass die Informationen zur „Studiendauer“ nicht einheitlich sind. Einige sagen, es gehe 20 Tage lang; andere sagen, es würde bis Ende März oder Anfang April dauern; und einige sagen, es seien zwei bis drei Monate. Könnte das Bedürfnis nach einer solch langen Unterrichtsperiode mit der für Tibeter empfindlichsten Zeit in Verbindung stehen – März? Aber wenn das der Fall ist, zielt es dann darauf, den empfindlichen Zeitraum März zu umgehen, oder ist es tatsächlich gedacht, um zu verhindern, dass im März etwas geschieht? Es ist genauso wie ein tibetischer Freund im Internet meinte: „Stabilität auf diese Weise zu sichern, kann nur zu einem entgegengesetzten Ergebnis führen.“

Es wurde berichtet, dass dieses „Studieren“ isoliert stattfindet. Anfangs waren Besuche der Familie verboten. Es war weder erlaubt, ihnen Kleider oder Essen zu schicken, noch daß sie Handys bei sich tragen. Bald gestatteten die Behörden, vielleicht aufgrund der Bloßstellung durch ausländische Medien und die dazugehörige Aufmerksamkeit, das Zusenden von Kleidern und Essen. Einige „Lerngruppen“ erlaubten Treffen zwischen Familienmitgliedern, während andere „Lerngruppen“ es nicht gestatteten. Die Behandlung war innerhalb jeder „Lerngruppe“ unterschiedlich. Bei einigen „Lerngruppen“ waren es mehr als zehn ältere Menschen pro Zimmer, die in Stockwerksbetten schlafen mußten.

Es wird berichtet, dass die Studien-Komponente der „Lerngruppen“ „patriotische Erziehung“, „Erziehung über die Gesetze“, staatliche Religionspolitik, etc. beinhaltet. Es kam sogar dazu, dass neben vielen anderen Filmen, die an die vergangenen bitteren Zeiten erinnern und an das gegenwärtige Glück denken lassen sollen, der Propagandafilm „Leibeigene“ von 1960 gezeigt wurde, um die Finsternis des „Alten Tibets“ aufzudecken und das Glück etc. des „Neuen Tibets“ zu preisen. Gleichzeitig mussten die Leute bestimmten Maßstäbe entsprechen; sie mussten öffentlich berichten, was sie selbst durch das “Studium“ gewonnen haben, erklären wie ihre Denkweise davon beeinflusst wurde, das Alte und Neue vergleichen, „sich vergangene Härten ins Gedächtnis rufen und an das gegenwärtige Glück denken“, und sich für die Freundlichkeit der Partei dankbar zeigen. Insbesondere sind sie andauernden Verhören ausgesetzt. So „lernen“ sie.

Und es hat viele der Älteren, die die „Kultur-Revolution“ und andere politische Kampagnen miterlebt haben, unfähig gemacht durchzuhalten, bis zu dem Punkt, an dem sie krank werden. Weil die Zahl der Älteren, die der Krankheit anheimfielen, allmählich gestiegen ist, wurde es, vielleicht aus Angst, dass etwas Unvorhergesehenes passiert, den Älteren, die krank geworden sind, erlaubt, in Krankenhäuser gebracht und behandelt zu werden. Aber sie dürfen nur im allgemeinen tibetischen Militärbezirkskrankenhaus oder dem Krankenhaus des Amts für Öffentliche Sicherheit behandelt werden, wo Polizei in Zivilkleidung außerhalb der Stationen Wache hält. Besuche von Freunden und Verwandten sind jedoch erlaubt, und Familienmitgliedern ist es gestattet über Nacht zu bleiben. Ich habe gehört, dass eine schwer kranke ältere Person bereits gestorben sei, weil sie in einen depressiven Geisteszustand verfallen ist.

Eine kranke und ins Krankenhaus eingewiesene ältere Person erzählte einem Familienmitglied leise „Als sie uns in der ‚Lerngruppe’ verhörten, brachte ich ihnen gegenüber sogar vor, dass wir alte Leute sind, die bald sterben; dass es keinen Grund gibt uns einer ‚Gehirnwäsche’ und Umerziehung auszusetzen.“ Die Tränen dieser Person fielen wie Regen, als sie sprach.

An dieser Stelle konsultierte ich einen prominenten Anwalt. Ich fragte, ob wir diese Art von „Bildung“ als Festnahme und Haft betrachten könnten. Der Anwalt antwortete: „All dies stellt eine illegale Haft dar; es zeigt eine komplette Missachtung jeglicher Gesetze.“ Ich fragte, was gemacht werden könne. Der Anwalt seufzte, „Auch vom besten Blickwinkel aus betrachtet macht es keinen Sinn, diese älteren Menschen, die keine Gefahr darstellen, in Gewahrsam zu nehmen. Ich hoffe, dass sie schnell und möglichst bald freigelassen werden.“ Er fügte hinzu „Die Kommunistische Partei hat schlaue und mutige Worte, sie sollte sich mit den Menschen versöhnen und den Hass vergessen; aber sie muss den Menschen eine Garantie geben, dass sie die Verfassung, die sie selbst konzipiert hat, respektiert.“

Nach den letzten Neuigkeiten heißt es, dass angesichts des bevorstehenden „Losar“, des tibetischen Neujahrs, die Älteren, die unter den bis zu 1000 Menschen in Lhasa waren, die zu „Lerngruppen“ geschickt wurden, schließlich eine Möglichkeit haben, „der Partei für ihre Freundlichkeit zu danken“. Jede Person über 65 bekommt einen 7tägigen Urlaub, der es ihm oder ihr erlaubt, die „Lerngruppe“ vorübergehend zu verlassen, nach Hause zurückzukehren und mit den Verwandten das neue Jahr zu feiern. Aber es ist nur denjenigen gestattet, die nicht Parteimitglieder sind; alle Mitglieder der Kommunistischen Partei müssen in den Lerngruppen bleiben. Dieser plötzliche Ausbruch von „Güte“ kann nur darauf zielen, eine Fassade zu schaffen, wonach die Tibeter„glücklich das tibetische Neujahr feiern“, sozusagen als Reaktion auf die Aufrufe von Tibetern innerhalb Tibets und im Ausland, auf die Neujahrsfeiern im Gedenken an die 23 Tibeter, die sich selbst verbrannt haben, zu verzichten.

Aber ist diese Art von „Güte“ sinnvoll? Am „Urlaubs“-Tag schrieb ein tibetischer Freund aus dem Internet auf Twitter: „Dieses Mal haben die Behörden nicht nur die Wut der einfachen Leute hervorgerufen; es sind auch viele betroffen, denen die Behörden normalerweise trauen. Heute sah ich einige Menschen, die wie Kader aussahen, ebenfalls kommen, um ihre Verwandten abzuholen. Abgesehen vom anwesenden Militär und der Polizei, die sehr ernst blieben, schienen die Mitarbeiter drinnen überaus glücklich zu sein.“ Auf Fotos, die heimlich vor Ort gemacht wurden, kann man sehen, wie das Militär und die Polizei außerhalb des Tors einer „Lerngruppe“ Wache halten. Innerhalb des Geländes ist ein rotes Banner, auf dem auf Tibetisch und Chinesisch geschrieben steht: „das Lernen verstärken, das Wissen vermehren“, „ohne die chinesische Kommunistische Partei...“ Weil die „Güte“ aufgrund des Alters verteilt worden ist, gibt es Paare, bei denen sowohl der Mann als auch die Frau zu „Lerngruppen“ geschickt wurden, aber nur der Mann einen „Urlaub“ bekommen hat, um nach Hause zurückzukehren, während die Frau in der „Lerngruppe“ behalten wird, in manchen Fällen auch, weil sie ein Mitglied der Kommunistischen Partei ist.

Am ersten Tag des tibetischen Neujahrs, lautete ein Beitrag auf Sina Weibo: „Amala, die von der Pilgerfahrt nach Bodhgaya zurückgekehrt ist, hat einen 7tägigen Urlaub von ihrem 2-3-monatigen Lernprogramm bekommen, um nach Hause zurückzukehren und das tibetische Neujahr zu feiern, und dafür sollten wir wirklich der Regierung der Autonomen Region Tibet für ihre aufgeklärte Haltung danken. Ich hoffe, dass dieses Maß an Aufgeklärtheit und Wohlwollen sich an all die Menschenmassen unter dem Himmel richten wird; dass dieses tibetische Neujahr vielleicht ein Wendepunkt ist. Ich hoffe, dass einer und alle dazu in der Lage sein werden, das Elend hinter sich zu lassen und Zufriedenheit zu erlangen; dass sie dauerhafte Gesundheit und Reichtum erlangen; dass sie ewiges Glück und Freude finden.“ Wenn ich allerdings die Worte über den „Dank für die aufgeklärte Haltung“ lese, spüre ich den untergründigen Spott und die Bitterkeit.     23. Februar 2012, der zweite Tag des tibetischen Neujahrs.