26. September 2012
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Woeser: “Unser Held, Labrang Jigme, wo bist Du?” - Treffen mit seinem Bruder

Woeser schrieb schon mehrere Beiträge über Lama Jigme (auch bekannt als Labrang Jigme, Jigme Gyatso und Akhu Jigme), der im August 2011 zum vierten Mal verhaftet wurde (1).

Man erinnert sich vielleicht an Lama Jigmes kühnes Video-Zeugnis, das 2008 von Voice of America ausgestrahlt wurde (2). Lama Jigmes Beherztheit, seine Meinung zu veröffentlichen, und sein Gleichmut angesichts wiederholter Festnahmen brachten ihm unter den Tibetern große Bewunderung ein, wie aus Woesers nachstehendem Blog hervorgeht.

Den ersten Beitrag „Unser Held, Labrang Jigme, wo bist Du?“ schrieb Woeser am 3. August für den tibetischen Dienst von Radio Free Asia, Teile davon erschienen in dem Artikel „Gericht weist die von Jigme Gyatsos Familie bestellten Anwälte zurück, Sorge um seine Gesundheit“ (2).

Lama Jigme in seinem Zimmer im Kloster

Woeser führt dann Lama Jigmes älteren Bruder Sonam Tsering an, der beschreibt, was geschah, als er Lama Jigme besuchte. Hier folgt die Übersetzung von Woesers Blog-Eintrag vom 12. August: „Unser Held, Labrang Jigme, wo bist Du?“:

Lama Jigme wurde in den vergangenen fünf Jahren viermal verhaftet, aber dieses Mal klagten sie ihn offiziell der „Aufhetzung zum Separatismus“ an.

Der 46jährige Lama Jigme, ein Mönch des Klosters Labrang in Amdo, war der stellvertretende Vorsitzende des Verwaltungsrates des Klosters - weiter brauche ich ihn wohl nicht einzuführen. Vor vier Jahren erschien er auf dem tibetischen TV-Kanal von Voice of America. Unter seinem eigenen Namen, mit eigener Stimme und sein eigenes Gesicht zeigend, sprach er über die Realität der Unterdrückung, so wie die Tibeter sie erleben. Deswegen sehen Tibeter auf dem ganzen Hochland in ihm einen Helden ihres Volkes und nennen ihn nun „Labrang Jigme“.

Aber er bezahlte teuer für diese Ehre. Als ein Held, der er ist, begab er sich mit einem klaren Bewußtsein der Folgen in dieses Wagnis. Im Laufe der vergangenen fünf Jahre wurde er viermal festgenommen: Das erste Mal 2006, als er nach Indien reiste, um den Kalachakra-Belehrungen des Dalai Lama zu lauschen und von ihm empfangen zu werden. Das zweite Mal 2008 in Xiahe (Provinz Gansu, TAP Gannan), als man ihm vorwarf, er habe die Mönche zum Protestieren animiert. Das dritte Mal, nachdem er das Video-Zeugnis über die Realität der Unterdrückung in Tibet veröffentlichte, wofür seine Haftzeit um sechs Monate verlängert wurde. Später kamen ihm zwei Bürgerrechtsanwälte Li Fangping und Jiang Tianyong zu Hilfe und erwirkten seine Freilassung. Das vierte Mal war am 20. August letztes Jahr, und seitdem ist er in Haft. Obwohl das Urteil bereits über ihn gesprochen wurde, hat das Gericht das Strafmaß noch nicht verkündet.

Nach seiner vierten Verhaftung und Inhaftierung gewann Lama Jigme ungeheuer an Popularität und Respekt unter den Tibetern, auch wegen der diversen Aufsätze, die er geschrieben hat. Am zweiten Tag nach der letzten Verhaftung durchkämmten über 50 Polizisten seine Wohnräume im Kloster Labrang und beschlagnahmten seinen Computer, sein Mobiltelefon und eine CD, auf der er buddhistische Lehren und Bilder des Dalai Lama gespeichert hatte.

Seit seiner Verhaftung ist ihm nur einmal ein Familienbesuch gestattet worden. Es war sein älterer Bruder Sonam Tsering, der von Xiahe aus 80 km in die Präfekturstadt Tsoe reiste, um seinen jüngeren Bruder zu besuchen und ihm von der Mutter gekochte Speisen mitzubringen. Wie sein Bruder Sonam Tsering erzählte, dauerte das gesamte Treffen kaum mehr als zehn Minuten. Lama Jigme wollte seinem Bruder offensichtlich seine Lage mitteilen. Daher stellte er der Polizei viele, viele Fragen.

Er sagte: „Heute kam mein älterer Bruder, um mich zu besuchen und ihr zieht wieder den alten Trick ab. Ihr wollt diese Aufnahmen veröffentlichen und dann behaupten, Jigme sei in guter Form, er würde gut versorgt und dürfe sogar seine Verwandten treffen. Ist es nicht so? Ich sage euch, ich brauche niemanden, der mir Essen bringt, ich brauche den Besuch meines Bruders nicht, ich möchte auch nicht in einem Hotel leben. Wenn ihr der Ansicht seid, ich sei ein Verbrecher, dann stellt mich doch vor Gericht. Wenn ich wirklich ein Verbrechen begangen habe, gut, dann akzeptiere ich mein Urteil, und sei es die Todesstrafe“.

Er fuhr fort: „Jede Nationalität und jedes Individuum empfinden so etwas wie Stolz, wenn es um die eigenen Traditionen und die eigene Kultur geht. Die Chinesen fühlen ebenso. Wenn jemand nicht stolz ist auf seine Traditionen, dann ist diese Person bereits verloren. Ich bin jemand, der die tibetischen Traditionen von ganzem Herzen achtet, daher bin ich voll entschlossen, sie zu bewahren.“

Er durfte nur einen einzigen Satz zu seinem Bruder sagen: „Geh, leg Berufung für mich ein, suche mir einen guten Anwalt und verklage diese Polizisten!“

Tatsächlich gelang es Lama Jigmes Bruder kürzlich, zwei Anwälte in Peking anzuheuern. Als diese zwei Anwälte in die Präfekturstadt Tsoe reisten, um alle Formalitäten zu erledigen, setzte das Gericht sie in Kenntnis, daß Jigme das Verbrechen „der Aufwiegelung zum Separatismus“ begangen habe, und daß die Anhörung vor Gericht bereits sechs Monate zuvor stattgefunden habe. Lama Jigme wurde sofort nach der Anhörung verurteilt. Abgesehen davon hat sich seine Gesundheit verschlechtert und ein Arzt aus Lanzhou hat mit der Behandlung begonnen. Da die Behörden den zwei auswärtigen Anwälten nicht erlaubten, Lama Jigme zu vertreten, mußten sie nach Peking zurückkehren.

Wann wird Lama Jigmes zweite Gerichtsverhandlung also stattfinden? Wird er verurteilt werden? Und wenn er es schon ist, für wie lange? All diese Fragen sollten unverzüglich beantwortet und dürfen nicht einfach ignoriert werden. Das einzig Gewisse ist, daß dieser Fall das Potential hat, einen Wandel herbeizuführen. Er ist wie zahllose andere Fälle, die auf die Erhebung von 2008 folgten, wo die tibetische Elite verfolgt wurde. Doch wie bei jedem Strafverfahren dieser Art, wird der Standard einer Verteidigung nicht erreicht werden. Dieses Justizsystem, so wie es jetzt ist, ist doch völlig nutzlos.

Kürzlich schrieb ein tibetischer Autor aus Amdo einen Essay mit dem Titel „Wo ist Akhu Jigme?“ und fragte: „Wo ist unser Held Labrang Jigme? Wo sind die starken Schultern des Heroismus zu bewundern? Wo donnert die mächtige Stimme der Gerechtigkeit? Wann wirst Du, gleich dem Schneelöwen, wieder aus dem Inneren der Berge hervortreten?“

3. August 2012

Lama Jigme for der Festnahme

Des Bruders Schilderung

Und hier der Bericht von Lama Jigmes älterem Bruder:

Ich ging zu dem Sicherheitsbüro am Ort und beantragte, meinen jüngeren Bruder Lama Jigme zu besuchen, denn ich müsse ihm etwas Essen von zu Hause bringen. Schließlich erteilten sie mir die Erlaubnis. Der Aufseher von Lama Jigme war ein Han-Chinese, und als ich zuerst kam, hatten sie gerade ein Meeting, weshalb er mich anwies, nach fünf Tagen wiederzukommen. Fünf Tage später nahm ich also die selbst gekochten Speisen, die Lama Jigme so gern mag, und ging wieder zu dem Sicherheitsbüro. Nun endlich ließen sie mich meinen jüngeren Bruder sehen. Es war an einem Novembertag 2011, wohl um den Vierten herum.

Drei Polizeioffiziere brachten mich zu einem Hotel, wo ich Lama Jigme treffen sollte. Als ich das Zimmer betrat, fragte ich meinen Bruder, wie es ihm gesundheitlich ginge. Er sagte, nicht gut. Dann stellte Lama Jigme den Polizeioffizieren ein paar Fragen: „Warum habt ihr mich hierher gebracht? Ist es nur, um etwas Eßbares in Empfang zu nehmen? Was habt ihr denn vor?“

Ein Polizeioffizier antwortete, der Grund, warum sie ihm hierher gebracht hätten, sei „nur der, Nahrung entgegenzunehmen“.

Lama Jigme sagte: „Gut, laßt die Speise hier und bringt meinen Bruder zurück“.

Der Polizeioffizier antwortete: „Du solltest mit Deinem Bruder reden“.

Lama Jigme sagte: „Ich habe nichts zu reden. Wenn es sich wirklich nur darum handelt, mir etwas Eßbares zu bringen, dann setzt einfach die Speise ab und bringt ihn zurück. Wenn er gekommen ist, um mich zu besuchen, warum müßt ihr dann ständig filmen und Bilder eines privaten Treffens machen? Gestern sagte ich, ich fühlte mich nicht wohl, so holten sie einen Arzt, um mich zu untersuchen. Ihr habt den gesamten Untersuchungsprozeß auf Video aufgenommen und fotografiert. Aber am Ende erhielt ich keinen einzigen Tropfen Arznei“.

Haftbefehl (Bild: Woesers Blog)

Lama Jigme fuhr fort: „Heute kam mein älterer Bruder, um mich zu besuchen und ihr zieht wieder den alten Trick ab. Ihr möchtet diese Aufnahmen veröffentlichen und behauptet dann, Jigme sei in guter Verfassung, er würde gut versorgt und dürfe sogar seine Verwandten treffen. Ist es nicht so? Ich sage euch, ich brauche niemanden, der mir Essen bringt, ich brauche den Besuch meines Bruders nicht, ich möchte auch nicht in einem Hotel leben. Wenn ihr der Ansicht seid, ich sei ein Verbrecher, dann stellt mich doch vor Gericht. Wenn ich wirklich ein Verbrechen begangen habe, gut, dann akzeptiere ich mein Urteil, und sollte es die Todesstrafe sein. Wenn ich dann das Recht hätte, von meinem Bruder besucht zu werden, ein wenig von der köstlichen zu Hause gekochten Speise zu kosten, und sogar in einem Hotel wohnen würde, nun dann brauchtet ihr euch keine Gedanken um mich zu machen. Es würde euch der Last entheben, mich im Gewahrsam zu halten. Es sind nun schon zweieinhalb Monate und ihr habt keine Anklage gegen mich erhoben. Ich will keine Minute länger in eurem Hotel bleiben. Ihr habt doch schon alle Akten und Computer-Festplatten aus meiner Wohnung mitgenommen. Ihr wißt, was ich geschrieben, was ich gelesen habe. Ihr kennt meinen gesamten Schriftverkehr.“

Lama Jigmes Familie erhielt im Februar dieses Jahres die offizielle „Verhaftungsanzeige“ vom Public Security Bureau der Präfektur Gannan. Darin steht, er sei überführt worden, weil er unter dem Verdacht stand, zum Separatismus aufgewiegelt zu haben. Das Schreiben trug das Datum 2. Januar 2012 und darin war zu lesen, daß das Public Security Bureau der Präfektur Gannan die Verhaftung am 15. Januar 2012 vornehmen werde.

„Ihr werft mir vor, ich ginge so oft aus, und ich würde mich mit allerlei verschiedenen Leuten treffen. Das stimmt, aber niemand sagte jemals, das sei nicht erlaubt. Ich ging nach Chengdu und Xining und ich traf viele gescheite Personen, darunter auch viele Künstler. Ich sprach mit ihnen über die Wichtigkeit der Förderung des tibetischen Buddhismus, der Kultur, Sprache und unserer Traditionen. Aber das Problem ist: Wenn ein Sänger Worte in seinen Liedertexten verwendet, die mit der Sonne zu tun haben [die chinesischen Behörden meinen nämlich, daß „Sonne“ sich auf Seine Heiligkeit den Dalai Lama beziehe], dem Mond, den Sternen, dem Schneeberg und Gangchenpa [dem Sohn des Schneebergs, was sich auf das tibetische Volk bezieht] oder Worte, die etwas mit Eintracht zu tun haben, dann nehmt ihr ihn sofort fest. Welche Bestimmungen in eurer Verfassung verbieten denn den Gebrauch dieser Worte?“

„Ihr sagt, wir dürften nicht zu seiner Heiligkeit dem Dalai Lama beten, aber es gibt doch keine Tibeter, die keinen Glauben an den Dalai Lama und den Panchen Lama hätten. Wenn man einen Tibeter trifft, der nicht an den Dalai Lama und den Panchen Lama glaubt, dann muß er so wie ihr sein, ein blinder Gefolgsmann der KPC. Es gibt hier einen Polizisten, der ein Tibeter ist, er hat irgendein Büro unter sich. Aber er ist nur ein Kriecher vor der Partei, er weiß überhaupt nichts über tibetische Religion und hat keinen Schimmer Ahnung von tibetischer Kultur und Sprache. Und doch sagt er die ganze Zeit, wir seien alle Tibeter. Ich möchte ihn wirklich mal fragen, wie er das erklären kann“.

„Wenn ihr immer noch wollt, daß ich mit meinem Bruder spreche, gut, dann möchte ich meinen Bruder bitten, mir zu helfen, Berufung einzulegen“.

Lama Jigme wandte seinen Kopf zu mir und sagte: „Geh, leg Berufung für mich ein, suche mir einen guten Anwalt und verklage diese Polizisten! Als die Polizei der Provinz Gansu hierher kam, brachte ich bereits sehr deutlich dieselben Punkte zur Sprache. Ich bin ein Opfer. Aber Du brauchst nicht dieselbe Verfolgung zu erleiden wie ich.“

Dann wandte er sich zurück zu den Polizisten und sagte: „Jede Nationalität und jedes Individuum empfinden so etwas wie Stolz, wenn es um die eigenen Traditionen und die Kultur geht. Die Chinesen fühlen ebenso. Wenn jemand nicht stolz auf seine Traditionen ist, dann ist diese Person bereits verloren. Ich bin jemand, der die tibetischen Traditionen von ganzem Herzen achtet, daher bin ich voll entschlossen, sie zu bewahren.“

„Die Polizei sagte mir, ich dürfte mich nicht mit Ausländern treffen, weshalb ich das niemals tat. Die Polizei sagte mir, ich dürfte mich nicht mit den bekannten Schriftstellern Woeser und Wang Lixong, die in Peking leben, treffen, so tat ich das nie. Ich hielt mich genau an die Vorschriften, die die Polizei mir gemacht hatte, ich ging nie an einen Ort, der auf der Liste der für mich verbotenen Orte stand. Ich traf nie jemanden, von dem ihr nicht wolltet, daß ich ihn sähe. Warum gebt ihr so viel Geld für mich aus? Warum gebt ihr so viel Geld aus, um mich in einem Hotel unterzubringen und beschäftigt vier bis fünf Wachleute, um mich 24 Stunden am Tag zu überwachen, sieben Tage in der Woche? Warum verschwendet ihr all das Geld für mich? Sagt mir nicht, daß die kommunistische Regierung dies als ein faires Benehmen betrachte.“

Wie ich so neben meinem jüngeren Bruder stand und ihn diese Dinge sagen hörte, war mir zum Weinen zumute, aber die Tränen waren versiegt. Jedes einzelne Mal, als ich zum Sicherheitsbüro gegangen war, hatte ich der Polizei meine Meinung gesagt und sie gebeten, mir doch mitzuteilen, welches Verbrechen mein Bruder begangen habe. Sie gaben mir nie eine richtige Antwort.

Mein Bruder ist unschuldig, ich sagte der Polizei, sie sollten ihn sofort gehen lassen. Ich sagte, ich würde diesen Fall auf Bezirksebene, Präfekturebene, Provinzebene publik machen, ja sogar der Zentralregierung zur Kenntnis bringen. Ihr könnt doch nicht einfach jemanden ohne Grund über 70 Tage lang einsperren. Mein Bruder ist schon viermal verhaftet worden. Jedesmal verschwand er ohne ein Wort, ohne eine Spur, und dann ließ man ihn nach einiger Zeit ohne Anklageerhebung wieder laufen.

Als wir uns trafen, brachte Lama Jigme seine Meinung sehr deutlich zum Ausdruck. Und das ärgerte jene Polizeioffiziere wirklich sehr, sie sagten mir, ich solle die Speisen wieder mitnehmen. Ein paar Leute eskortierten mich aus dem Hotel hinaus“.

(1) 27. August 2011, “Ich bitte um Ihre Aufmerksamkeit: Lama Jigme zum vierten Mal festgenommen!” - von Woeser

(2) Die vollständige Übersetzung des Videos Eine Stimme aus Tibet: Video-Interview eines Mönches aus Amdo

Video mit tibetischen Untertiteln

(3) 2. August 2012, "Gericht weist die von Jigme Gyatsos Familie bestellten Anwälte zurück"