25. Oktober 2010 |
High Peaks Pure Earth, http://www.highpeakspureearth.com
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Woesers Rede zur Verleihung des Preises Courage in Journalismus 2010 von der International Women's Media FoundationHigh Peaks Pure Earth veröffentlichte Woesers Dankschreiben anläßlich ihrer Auszeichnung mit dem Preis für mutige Berichterstattung 2010, das sie am 20. Oktober, einen Tag nach der Preisverleihungszeremonie in New York, in ihren Blog einstellte. Woeser konnte selbst nicht daran teilnehmen, weil ihr die chinesische Regierung den Paß verweigert hatte. Woesers geplante Rede wurde von A. E. Clark von Ragged Banner ins Englische übersetzt.Sehr geehrte Damen und Herren, Ich danke der „Internationalen Medienstiftung für Frauen“ von ganzem Herzen für den mir verliehenen Preis „Courage in Journalismus“. Da die chinesische Regierung mir keinen Paß ausstellen ließ, kann ich leider nicht kommen und die Ehrung persönlich entgegennehmen. Aber meinen Geist können sie nicht wegsperren, und ich fühle, daß ich jetzt bei Ihnen bin, ich bin zutiefst berührt von Ihrem liebenswürdigen Zuspruch. Eigentlich bin ich keine Journalistin oder Medienperson im gängigen Sinne. In diesem Zeitalter des Internets nahm ich einfach meine Bücher, mein Blog, meine regelmäßigen Kommentare für Radio, Twitter und Facebook, sowie meine Kamera, meinen Camcorder und die Interviews, die ich Reportern gab, und kombinierte sie alle zu einem neuen Medium: Ein Ein-Personen-Medium. Mit dieser Methode begann ich ganz bewusst im März 2008. Damals wurden die Protestaktionen, die sich über ganz Tibet ausbreiteten, gewaltsam niedergeschlagen, und die chinesische Regierung, die meint, das Informationsmonopol zu besitzen, sorgte dafür, dass die Welt mit ihren entstellten, massenhaft produzierten Berichten bombardiert wurde. Dieses System war so mächtig, dass es sich über die Tatsachen hinwegsetzen konnte. Mir wurde klar: Wenn ich nicht einen Weg finden und ganz alleine arbeiten könnte, um das, was tatsächlich geschieht, aufzuzeichnen und die Berichte nach außen zu bringen, dann würde die Angst und Pein eines ganzen Volkes für immer hinter einem finstern, schwarzen Vorhang verschwinden. Die Geschichte würde umgeschrieben, die Erinnerung begraben werden, und diejenigen, die nach uns kommen, würden nie etwas von den großen Opfern, die ihre Vorfahren erbrachten, erfahren. Ich war damals in Peking, der kaiserlichen Hauptstadt. Unter Verwendung von traditionellen und neuen Kommunikationsmitteln kontaktierte ich Leute am Schauplatz des Geschehens und knüpfte ein Netz, das alle tibetischen Gebiete umspannte. Einige meiner Quellen waren gute Bekannte, andere hatte ich noch nie getroffen. Mit ihrer Hilfe sammelte ich Tatsachenberichte darüber, was wirklich vor sich ging, und jeden Tag stellte ich die Informationen in meinen Blog ein, damit die Welt in Echtzeit erfahren konnte, wie Tibet in Blut und Feuer eingehüllt wird und versinkt (1). Damals war ich der einzige Kanal, durch den die Tibeter in der VR China ihre Stimme hörbar machen konnten, und mein Blog verzeichnete mehrere Millionen Zugriffe. Das Werk einer einzigen Person stand gegen die mächtige Propagandamaschine eines gigantischen Staates. Ich möchte all jenen meinen Freunden danken, obwohl ich ihre Namen nicht nennen darf. Wir unterstützten und ermutigten uns gegenseitig in diesen schweren Tagen. Obwohl wir uns an verschiedenen Orten aufhielten, waren wir alle in diesem epochalen Augenblick unserer Geschichte zu Zeugen und zu Reportern geworden. Ich erinnere mich, was ein junger Tibeter mir eines Nachts aus Lhasa mitteilte, kurz nachdem die Demonstrationen losgebrochen waren: „Wir führen zwar oft die Worte Nationalität und Tibet in unserem Munde, wenn es aber hart auf hart kommt, dann sind es für gewöhnlich die einfachen Leute, die das Risiko auf sich nehmen und in vorderster Front kämpfen. Es gibt viele, die weitaus tapferer sind als wir“. In der Tat wurde dieser junge Mann verhaftet, weil er fotografiert hatte, und blieb fast zwei Monate inhaftiert. Mein Blog wurde von Hackern zerstört und mein Skype Account wurde geknackt (2). Jeder Tag war wieder eine neue Schlacht, die Ereignisse in ständigem Fluss, es ging zu wie auf einem Schlachtfeld. Und immer wieder halfen mir meine Freunde, damit ich weitermachen konnte. Angesichts der beständigen Drohungen der politischen Polizei packte ich eine kleine Tasche mit Dingen, die ich im Gefängnis brauchen würde, und behielt diese immer in Reichweite. Später reiste ich durch die tibetische Region und machte Bilder und Notizen. Während der gesamten Reise wurde ich verfolgt und wiederholt angehalten und befragt. Die Polizei schränkte meine Kontakte mit Tibetern ein und stellte jeden zur Rede, der mit mir zu tun hatte. Sie wollten eine Person aus mir machen, mit der niemand mehr zu sprechen wagen würde. Als ich in Lhasa war, durchsuchte eine Polizei-Staffel die Wohnung meiner Mutter und brachte mich weg, nachdem sie meine Sachen konfisziert hatten (3). Das war wegen der Olympiade, die gerade in Peking stattfand. Schließlich ließen sie mich wieder frei. So eine Erfahrung ist für die unter einem diktatorischen Regime lebenden Tibeter nichts Ungewöhnliches. Auch jetzt noch werden in Tibet Unmenschlichkeit und Ungerechtigkeit jeder nur erdenklichen Art angetroffen. Viele hervorragende Menschen, alles unschuldige Leute, wurden verhaftet und verurteilt und leiden nun unbeschreibliche Qualen. Ich werde meinen Ein-Personen-Mediendienst aufrechterhalten, denn er ist die Waffe der Machtlosen. Um es deutlich zu machen, diese Waffe ist das geschriebene Wort: Es orientiert sich an den Grundsätzen des gewaltlosen Widerstandes und der Nicht-Kooperation. Es schöpft seine Energie aus unserer Religion, unseren Traditionen und unserer Kultur, wie aus den schwierigen Verhältnissen, unter denen zu leben wir gezwungen sind. Diese geben uns die Kraft, mit der wir der Unterdrückung standhalten, und sie sind der Grund, warum ich niemals aufgeben oder Kompromisse schließen werde. Die Unterstützung, die mir von allen Seiten zuteil wird, auch von Ihnen, ist eine ständige Quelle der Ermutigung für mich. Tashi Delek Peking, am 28. August 2010
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(1) Diese Berichte von Woeser wurden ins Deutsche übersetzt und von der Tibet-Initiative Deutschland Buchform „Ihr habt die Gewehre, ich einen Stift" veröffentlicht Teil 1 und 2 dieser Einträge gibt es auch online unter „Tsering Woesers Blog: Chronologie der Ereignisse in Tibet vom 10. März bis 14. April“ (2) 28. Mai 2008 „Seite einer berühmten tibetischen Schriftstellerin wurde von Hackern zerstört“ (3) 26. August 2008 „Die berühmte tibetische Bloggerin Woeser von der Polizei verhaftet“ |
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