12. Dezember 2010
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Dolma Kyab Portrait

Woeser: “Mögen die Götter das Schneeland beschützen"

Vor wenigen Tagen trat das norwegische Magazin „Ny Tid“ an mich heran und fragte, ob ich einen Artikel über Liu Xiaobo schreiben würde. Wie allgemein bekannt, wird das Nobelpreiskomitee dieses Jahr dem unabhängigen chinesischen Gelehrten Liu Xiaobo am 10. Dezember den Friedensnobelpreis verleihen, was auch der Tag der Menschenrechte ist. Nach Einschätzung der Medien wurde der diesjährige Preis Liu Xiaobo von der internationalen Zivilgesellschaft sozusagen stellvertretend zuerkannt, um all jene zu würdigen, zu ermutigen und zu unterstützen, die seit Jahren für die Freiheit, Demokratie und Menschenrechte in China kämpfen, und um die universalen Werte zu verteidigen.

Das läßt mich an all jene Tibeter denken, die nach denselben Idealen streben und dafür einen ungeheuer hohen Preis zahlen, weshalb ich nun einen Artikel über jene Tibeter schreiben möchte, die, obwohl sie nur wenigen oder gar nicht bekannt sind, der Ehrerbietung und der Aufmerksamkeit der Welt ebenso würdig sind. Als Beispiel wähle ich Dolma Kyab.

Dies ist ein Tibeter aus Amdo, der an einer Mittelschule in Lhasa Geschichte lehrte und ins Gefängnis geworfen wurde, weil er ein Buch schrieb „Der ruhelose Himalaya“, das noch nicht einmal veröffentlicht wurde, sowie Essays über den Umweltschutz, die Rechte der Frauen usw. Im Winter 2005 verurteilte ein Gericht in Lhasa Dolma Kyab deshalb unter dem Vorwand der „Aufhetzung zum Umsturz“ zu zehneinhalb Jahren Gefängnis, fast so lange wie Liu Xiaobo. Es hieß damals, Dolma Kyab sei in ein Arbeitslager nach Xining verlegt worden, aber kürzlich verlautete wieder, daß er in dem Gefängnis Chushur von Lhasa inhaftiert sei, das als ein Ort für die Inhaftierung hochkalibriger politischer Gefangener bekannt ist. Einer Quelle zufolge befindet sich der 34jährige Dolma Kyab in schlechtem Gesundheitszustand.

In seinem Buch „Der ruhelose Himalaya“ diskutiert er verschiedene Themen wie Aspekte der Geschichte und Geographie Tibets, die Zusammengehörigkeit der drei Provinzen Tibets, die Souveränität, die Geburt der Demokratie, das politische System Chinas, das Recht Tibets auf Autonomie, den Kolonialismus, den Nationalismus, die Tibeter unter dem Kommunismus, gerettete Erinnerungen, das Böse in der Politik, die Bezwingung des Feindes zur Erlangung der Freiheit, die Verantwortlichkeiten der tibetischen Lamas, die Krise Tibets und der Weg nach vorne, die neue Generation von Tibetern usw.

Als ich vor drei Jahren eine digitale Version seines Buches las, wurde mir klar, daß Dolma Kyab die wahre Stimme Tibets ist. Er schreibt wie ein griechischer Philosoph und mit seinem Nationalgeist, der niemals nachgeben wird, und jetzt, wo zehneinhalb Jahre Gefängnis unter entsetzlichen Bedingungen vor ihm liegen, zeigt er, daß er fähig ist, Tibeter, besonders jene, die im Sinne chinesischer Kultur erzogen wurden, aufzuklären. Dies wird in das Buch der Geschichte Tibets eingehen. Ihn bestärkt die Blütezeit der Autonomie, deren sich die tibetische Nation in der Vergangenheit erfreute, obwohl ihn gegenwärtig der Schmerz über den Verlust seines eigenen Landes, das für die Zukunft gerettet werden muß, schwer bedrückt. Seine Hoffnungen und seinen Geist weiterleben zu lassen, das ist das Wertvollste!

Nachdem ich das Buch gelesen hatte, brannte es mich zu schreiben: „Er ist wahrhaft ein Bodhisattva, so wie sie in den alten Schriften beschrieben werden; Barmherzigkeit und Zorn, diese beiden Regungen wechseln einander in seinen Aufsätzen ab, es gibt eine Art Selbstbefreiung, aber er hilft auch, andere zu retten. Ich muß mich wundern, warum er solche Dinge schrieb, er schrieb sie alleine, alleine wurde er abgeführt, alleine sitzt er im Gefängnis… Ich möchte mich vor Dolma Kyab verneigen, weil ich nie zuvor einen Tibeter in Tibet gesehen habe, der die Sprache der Kolonisatoren verwendet, der Geschichte und Realität nutzt, besonders alle Aspekte der heutigen Realität, um uns alle Fakten darüber zu erzählen, wie wir kolonisiert werden, um uns dann den Weg aus diesem Kolonisiert-Werden zu weisen. Es gibt doch so viele von uns Schriftstellern, aber wenn wir in Zeiten wie diesen nichts schreiben, nichts sagen, wenn wir unter diesen außerordentlichen Umständen nicht daran gehen, wider das Vergessen zu schreiben, dann sind wir überhaupt keine Schriftsteller.“

In der Tat hat unsere Nationalität nicht nur einen Dolma Kyab hervorgebracht, wir haben noch viel mehr hervorragende Söhne und Töchter im Schneeland, die ihm nicht nachstehen. Unserer Tradition gemäß gibt es in unserem von Schneebergen umringten Land beschützende Gottheiten, welche die magische Kraft haben, Wunder zu bewirken und unser Heimatland zu verteidigen. Obwohl es scheint, daß sie in den letzten Jahrzehnten des Terrors nur den Feind schützten, ermangelt eine solche Sichtweise des Weitblicks.

So wie Dolma Kyab schreibt: „Die letzten Tropfen des Bluts unserer Nationalität pulsieren durch unsere Adern. Unser Fleisch und unsere Knochen erweitern sich mit der Verjüngung unserer Nationalität, unsere Geister wachen über unser Heimatland, das wir verloren haben. Der Himmel wird Zeugnis davon ablegen, Buddha wird uns segnen, wir werden für uns und die ganze Menschheit kämpfen.“

Ja, es stimmt, diese Art von Talenten sind die wahren Verkörperungen der Werte des Schneelandes. Außer Dolma Kyab gibt es Tenzin Delek Rinpoche, Bangri Rinpoche, Lobsang Tenzin, Runggye Adak, Dhondup Wangchen, Wangdu, Yeshi Choedon, Norzin Wangmo, Paljor Norbu, Phurbu Tsering Rinpoche, Kunchok Tsephel, Kunga Tsayang, Tashi Rabten, Karma Samdrup, Rinchen Samdrup usw. und noch viele andere Tibeter, die unbekannt bleiben. Mögen die Götter sie auszeichnen und beschützen!

Peking, 8. Dezember 2010

Biographie eines politischen Gefangenen: Dolma Kyab

Dolma Kyab (Pseudonym: Lobsang Kelsang Gyatso), dessen Eltern Mr. Khetsun und Mrs. Dolma heißen, wurde 1976 im Dorf Ari, Bezirk Chilen (chin. Qilian), TAP Tsochang (chin. Haibei), Qinghai, geboren. Ab 1984 ging er zur örtlichen Dorfschule und besuchte später die Kreis-Mittelschule. Nach Abschluß seiner Schulbildung machte er ab 1995 eine Lehrerausbildung und arbeitete danach als Lehrer an einer Mittelschule im Kreis Chilen. Später setzte er seine Studien in Peking fort. 2003 begab er sich nach Indien, wo er Englisch und Hindi lernte, von wo er im Mai 2004 nach Tibet zurückkehrte. Von da an bis zu seiner Verhaftung wirkte er als Geschichtslehrer an einer Mittelschule in Lhasa.

Dolma Kyab ist schriftstellerisch begabt. Er führte ein Manuskript auf Chinesisch mit dem Titel „Ruheloser Himalaya“ (chin. Sao dong de Ximalayashan), eigentlich eine Sammlung von 57 Kapiteln über diverse Themen, wie Demokratie, die Souveränität Tibets, Tibet unter dem Kommunismus, Kolonialismus, Religion und Glauben usw. Neben diesem Manuskript arbeitete er auch an einem anderen über die Geographie Tibets, das vergleichsweise kurz war, aber heikle Angaben enthielt über die Lage und Zahl der chinesischen Militärlager in dem von China besetzten Tibet. Dolma Kyab wurde am 9. März 2005 festgenommen, zuerst war er im PSB-Haftzentrum der TAR, das bei den Tibetern als Seitru bekannt ist, inhaftiert. Am 16. September 2005 überführte ihn das Mittlere Volksgericht von Lhasa ungerechterweise wegen „Gefährdung der Staatssicherheit“. Einer bestätigten Information zufolge wurde Dolma Kyab zu 10 Jahren Gefängnis verurteilt, weil er einen Essay über Tibet verfaßt hatte. Obwohl seine Familie eine Revision des Urteils unter fairen Bedingungen verlangte, bestätigte das Gericht sein Urteil am 30. November 2005. Nach dem Urteilsspruch wurde er in das neu geöffnete Gefängnis Chushul in Nyethang verlegt. Dort lehnte das Personal ihn jedoch ab, weil er in der vorigen Haftanstalt an Tuberkulose erkrankt war. Nachdem er medizinische Behandlung erfahren hatte, wurde er im März 2006 in das Gefängnis Chushul verlegt.

Er ist immer noch im Chushul Gefängnis eingesperrt, von dessen Existenz ausländische Beobachter lange Zeit nichts erfuhren. In diesem Hochsicherheits-Gefängnis sitzen viele tibetische Mönche und politische Häftlinge ein. In einem an die Vereinten Nationen adressierten Brief, der aus der Haftanstalt geschmuggelt wurde, äußert er sich empört über die Strenge des Urteils und schreibt: 

„Ich verfaßte ein Buch, das noch gar nicht veröffentlicht war. In diesem Buch schrieb ich über Demokratie, Freiheit und die Lage Tibets. Das ist der Hauptgrund für meine Verurteilung, aber dem chinesischen Gesetz zufolge würde alleine das ein so drastisches Urteil nicht rechtfertigen.“ 

Appellpostkarten für Dolma Kyab