3. Juli 2010
The Tibet Post International, http://www.tibetpost.net/

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Gelek schildert, was den Mönchen des Klosters Sera im Frühjahr 2008 widerfuhr

Gelek, ein Mönch aus dem östlichen Teil der TAR, führte im Kloster Sera bei der tibetischen Hauptstadt Lhasa ein beschauliches Leben, bis es im März 2008 zu einem irreversiblen Bruch mit dem chinesischen Staat kam. Am 10. März 2008, als im Jahr der Olympischen Spiele überall auf dem Hochplateau die anti-chinesische Stimmung wuchs, marschierten dreizehn Mönche durch die Straßen Lhasas und forderten Menschenrechte, Religionsfreiheit und freie Meinungsäußerung für die Tibeter. Sie wurden alle festgenommen.

Mönch Gelek schildert TibetPost seine Erlebnisse

Die Situation eskalierte: Am nächsten Tag marschierten 500 Mönche des Klosters Sera, unter ihnen auch Gelek, in Richtung Lhasa und forderten die Freilassung der tags zuvor verhafteten Mönche sowie mehr Freiheit für alle. Nach fünfzehn Minuten stellten sich ihnen fast eintausend chinesische paramilitärische Kräfte, die mit Tränengas, Schutzschildern, elektrischen Schlagstöcken und Pistolen bewaffnet waren, in den Weg. Die Mönche wurden nach Sera zurückgetrieben und im Hof des Klosters eingekesselt, während die Klosterbeamten (von denen ein gewisser Teil offiziell ernannt war) mit Behördenvertretern verhandelten. Daraufhin durften die Mönche zwar in ihr Kloster zurückkehren, aber es wurden ihnen gefängnisähnliche Restriktionen auferlegt: Niemand durfte das Gelände mehr verlassen, geschweige denn mit der Außenwelt in Kontakt treten.

Am 12. März begannen nachmittags zwischen drei und fünf Uhr einhundert Mönche Protestparolen zu rufen. Am folgenden Tag wiederholten sie es, doch am 14. März warnte die Klosterleitung sie: Wenn sie den Protest nicht sofort einstellten, würden chinesische Truppen das Kloster stürmen und ihre Zimmer nach belastendem Material durchsuchen, nach Gegenständen, die zu ihrer Verhaftung führen könnten, wie Bildern Seiner Heiligkeit des Dalai Lama. Daraufhin riefen die Mönche keine Parolen mehr. Aber die Truppen zogen nicht von dem Klostergelände ab. Die Mönche standen einen Monat lang praktisch unter Hausarrest, jeglicher Kontakt mit der Außenwelt war ihnen untersagt. Etliche erkrankten und mußten sich irgendwie selbst helfen.

Am 10. April um drei Uhr nachmittags brachen mit Tränengas, Gewehren und elektrischen Schlagsstöcken bewaffnete paramilitärische Truppen in das Kloster ein. Sie waren außerdem mit Äxten ausgerüstet, um die Türen der Mönche, die ihnen nicht sofort öffneten, zu zerschlagen. Gelek öffnete die Tür, ein Soldat und drei Polizisten stürmten herein und schlugen ihn sofort mit den Elektrowaffen. Alle Mobiltelephone, Geldbörsen und Gebetsketten wurden den Mönchen abgenommen und 400 Mönche, darunter auch Gelek, auf Lastwagen verfrachtet und in das drei km von Lhasa entfernte Haftzentrum Tsal Gonthang verbracht.

Mönche wie Gelek, die aus der Autonomen Region Tibet stammen, wurden acht Monate lang festgehalten, und diejenigen aus anderen Provinzen in die Haftzentren ihrer jeweiligen Regionen gebracht. Bei einer sehr mageren Kost und einem drakonischen Regime wurde Gelek täglich der patriotischen Umerziehung unterzogen: Er bekam die chinesische Version der rasanten Entwicklung Tibets mit glänzenden neuen Brücken und köstlichen Nahrungsmitteln in Hülle und Fülle zu hören, und sein „Verbrechen“ des Protestes wurde ihm als ein gefährlicher Akt des Separatismus angelastet. Er sei von antichinesischen Kräften aus dem Ausland dazu getrieben worden – ebenso wie der Dalai Lama alsein Lakai westlicher imperialistischer Kräfte bezeichnet wurde. Einer um den anderen wurden die Mönche verhört, Gelek beharrte darauf, daß er weder vom Dalai Lama noch von ausländischen Instanzen zum Protestieren aufgefordert worden war, sondern daß er einfach nur unglücklich über den Mangel an Religionsfreiheit und über die staatlich verfügte Beschränkung der Anzahl von Mönchen in den Klöstern gewesen sei. Der ihn verhörende Polizist war ein Tibeter, der ihm riet, sich bei seinen Aussagen zurückzuhalten.

Im Laufe der Zeit wurden viele Mönche krank, aber sie wurden nur medizinisch behandelt, wenn sie Blut spuckten. Die „Schlafstellen“, einfache Betonsockel, die aus dem Fußboden der Zelle ragten, riefen schmerzhafte Schwellungen hervor, worunter auch Gelek litt. Nach acht Monaten wurden die Mönche in Haftzentren in ihre jeweiligen Herkunftsdistrikte verlegt, in Geleks Fall, der Bezirk Chamdo. Dasselbe Regime setzte sich die nächsten eineinhalb Monate für Gelek fort, bis er schließlich am 12. Januar 2009 freikam. Er kehrte in sein Dorf zurück, aber das Leben war nicht mehr wie früher. Er stand unter ständiger Beobachtung, und zwei Jahre lang war es ihm verboten, ohne offizielle Genehmigung sein Dorf zu verlassen. Doch am schlimmsten für ihn war: Er würde niemals mehr das Leben eines Mönchs führen können.

Zunehmend frustriert über die miserable Lage, in der er sich befand, nahm er vorsichtig Kontakt mit Personen auf, die ihm bei der Flucht aus Tibet behilflich sein würden. Nach Entrichtung der verlangten Summe von 16.000 Yuan (2.362 $) machte er sich am 27. Mai 2010 auf den Weg, drei Tage und Nächte fuhr er mit dem Taxi und ging den Rest der Strecke zu Fuß. Sein Guide kannte die geheimen Schleichwege über die Grenze, so daß er der Gefangennahme durch die chinesischen Grenzsoldaten entging. Am 4. Juni kam er in Nepal an. Nach einer kurzen Erholungspause im Flüchtlingsauffanglager in Kathmandu wurde er am 18. Juni nach Delhi weitergeleitet, und erreichte zwei Tage später McLeod Ganj in Dharamsala. Seitdem wohnt er in der Einrichtung für neu angekommene Flüchtlinge an der Jogiwara Straße. Mit Spannung erwartet er die Begegnung mit dem tibetischen Oberhaupt, dem Dalai Lama. Es ist die Sehnsucht nach dessen Gegenwart, die so viele Tibeter dazu treibt, trotz der ungeheuren Gefahr für Leib und Leben die Flucht über die hohen Berge zu wagen. Die mangelhaften Umstände in Mcleod Ganj machen zwar Gelek ein wenig zu schaffen, und seine Zukunft ist noch ungewiß – aber jetzt lebt er in einer Umgebung der Freiheit und unter seinesgleichen, in einer Gesellschaft, in der seine Rechte respektiert werden und seine alte Kultur sich weiter entwickeln darf.