25. April 2010 |
World Tibet Network News, WTN, www.tibet.ca
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Die Reaktion Chinas auf das Erdbeben in Yushu entfremdet die Tibeter nur noch mehrvon Topden Tsering, Schriftsteller, Berkeley Sichtlich konsterniert über die führende Rolle, welche buddhistische Mönche bei den Bergungs- und Rettungsarbeiten in dem osttibetischen Yushu oder Kyegudo [Jyekundo] * spielten, wo sich am 14. April das verheerende Erdbeben mit einer Stärke von 6,9 Punkten auf der Richterskala ereignete, hat die chinesische Regierung sie aus der Katastrophenzone ausgewiesen. Pekings Widerwillen, die heroische Leistung der Mönche anzuerkennen und die Zurückweisung der Bitte des Dalai Lama, den Ort der Katastrophe besuchen zu dürfen, haben das Verhältnis zu der vorwiegend tibetischen Bevölkerung in der Region gewiß nicht verbessert. Einheimische sagen, die Regierung habe die Zahl der Toten, die zu 90% Tibeter sind, absichtlich heruntergespielt, um prüfende Blicke auf die schäbigen Unterkünfte der tibetischen Nomaden zu vermeiden. Ihre armselig gebauten Behausungen waren nämlich die ersten, die zusammenstürzten. Außerdem gehen Berichten zufolge viele der eingestürzten Schulgebäude zulasten derselben vom Staat beauftragen Bauunternehmen, die für den Tod von Zehntausenden von Schulkindern bei dem Erdbeben in Sichuan 2008 verantwortlich waren. Die staatliche Nachrichtenagentur Xinhua spricht von etwas über 2.200 Toten. Dort ansässige Tibeter schätzen deren Zahl auf gut 10.000. Über 100.000 Menschen sind nun ohne Obdach. Es dauerte nach dem Erdbeben, dem schwersten der letzten Zeit in Tibet, ganze zwei Tage, bis die staatliche Hilfe anlief. Es waren Tausende von Mönchen aus den benachbarten Klöstern, die in die Katastrophenregion eilten und erste Hilfe leisteten. Sie brachten Decken, Zelte und Nahrungsmittel. Mit bloßen Händen und Hacken befreiten sie Überlebende aus den Trümmern und standen jenen, die ihre Familien und Freunde verloren hatten, tröstend zur Seite. Als die chinesischen Soldaten dann eintrafen, verdrängten sie die Mönche von den Bergungsarbeiten, damit das Rampenlicht der Medien auf sie und nicht auf die Mönche falle. Diese blieben im Hintergrund, um die vorgeschriebenen religiösen Riten für den Übergang der Toten zu vollziehen, so wie es ihrem buddhistischen Glauben entspricht. Sie beteten, während Tausende von Leichen bei einer Massenverbrennung den lodernden Flammen übergeben wurden. Der Tradition gemäß werden die toten Körper der Tibeter bei dem, was als „Himmelsbestattung“ bekannt ist, in Stücke zerschnitten und an die Geier verfüttert. Aber zu dieser Stunde waren es so viele Leichen, daß es schlicht nicht genügend Geier gab, die all ihre Überreste hätten auffressen können. Die Bilder aus dem verwüsteten Kyegudo zeigen, daß es sich bei den meisten der Gebäude die noch stehen geblieben sind, um solche handelt, wo Regierungsämter oder chinesische Geschäfte untergebracht sind. Fast alle der zusammengestürzten Häuser gehörten Tibetern. Diese Behausungen aus Lehm und Holz im Siedlungsstil wurden in den späten Neunzigern hochgezogen, als die Regierung damit begann, die Nomaden zur festen Niederlassung zu zwingen. Die Regierung startete dieses Umsiedlungsprogramm getrieben von der Paranoia, daß ein frei umherziehendes Volk leicht revoltieren könnte. Die ihrer angestammten Lebensweise entrissenen Tibeter bekamen kaum Hilfe zur Eingliederung in die neuen Lebensumstände, ein Problem, das durch den Zustrom chinesischer Arbeiter noch verschärft wurde. Als sie sich in äußerste Verarmung getrieben sahen, gingen diese Tibeter dann 2008 auf die Straße und demonstrierten. Die chinesische Regierung nennt die Erhaltung des Graslandes als einen der Gründe für das Ansiedlungsprogramm, aber die Tibeter sind der Ansicht, daß es vor allem die Aussicht auf Goldabbau, und die großen Staudammprojekte sind, die der Grund für ihre Vertreibung von den Weidegründen sind. Die ersten Tage nach dem Erdbeben waren die Rettungsarbeiten von der Furcht begleitet, daß ein großer Staudamm weiter oben in den Bergen beim Zusammenfluß dreier Flüsse bersten könnte. Tibeter, die überlebten, klagen, daß die staatlichen Rettungskräfte sich zuerst den Opfern zuwandten, die den Arbeitseinheiten angehören, also größtenteils den chinesischen Wanderarbeitern. Daher hatten sie keine andere Wahl, als Hilfe bei den dunkelrot gewandeten Mönchen zu suchen. Malcom Moore, ein Reporter von Telegraph, zitierte am 18. April einen tibetischen Mönch, der über die chinesischen Soldaten sagte: „Sie inszenierten eine Riesenshow mit ihren Rettungslastwagen und gaben vor, Nahrungsmittel zu bringen, aber tatsächlich fuhren sie an uns vorbei. Man schaue sich nur um, die tibetischen Familien hier haben nichts zu essen, nichts zu trinken, keine Medikamente.“ Die tibetischen Mönche waren schon immer, obwohl sie sich einem Leben fern der weltlichen Umtriebe verschrieben haben, führend in der tibetischen Freiheitsbewegung, sowohl in Tibet als auch im Exil. Die Proteste, die 1987 in Lhasa ausbrachen und 1989 zur Ausrufung des Kriegsrechts führten, wurden von den Mönchen der Klöster in und um Lhasa angeführt. Auch die Erhebung von 2008, die über ganz Tibet hinwegfegte, begann mit einer Demonstration der Mönche des Klosters Drepung am 10. März in der tibetischen Hauptstadt. Sie forderten die Freilassung ihrer Mitmönche, die im Jahr zuvor verhaftet worden waren, weil sie die Verleihung der Goldmedaille des US-Kongresses an den Dalai Lama gefeiert hatten… Durch das Erdbeben von Kyegudo entstand eine neue Beziehungsebene zwischen der chinesischen Obrigkeit, die die tibetische Geistlichkeit seit eh und je wegen ihrer Unabhängigkeitsaspirationen mit Argwohn betrachtete, und den buddhistischen Mönchen. Die chinesischen Soldaten, deren Aufgabe es ja immer war, tibetische Mönche festzunehmen, sahen sich auf einmal auf derselben Seite mit ihnen, zusammen retteten sie Leben und zogen Menschen aus den Trümmern. Als die Mönche jedoch immer mehr in den Mittelpunkt des Rettungsprozesses rückten, und sich die Überlebenden nach spiritueller Tröstung lechzend um sie scharten, verfielen die chinesischen Behörden wieder in ihre alte Paranoia. Viele Klöster, die eine Gegenreaktion der Behördung fürchten, haben nun ihre Mönche zurückgezogen. Wie es scheint, blieben jedoch auch viele. Ortsansässige warfen den chinesischen Soldaten vor, daß sie sie wegen ihrer ethnischen Zugehörigkeit übers Ohr hauen. Es gab kürzlich Berichte, daß chinesische Soldaten die Lieblingshunde der Tibeter stehlen. Obwohl die Landkarten des von China besetzten Tibets Kyegudo als zu Qinghai gehörend ausweisen, ist es traditionsgemäß Teil der Provinz Kham. Die Bewohner von Kham, die für ihre kämpferische Natur bekannt sind, führten bis in die frühen 70er Jahre hinein eine Art Guerilla-Krieg gegen die chinesischen Soldaten. 1965 integrierte China Kham und Amdo, wo der Dalai Lama geboren wurde, in die Provinzen Qinghai, Sichuan, Yunnan und Gansu, und machte aus Zentraltibet die „Autonome Region Tibet“ (TAR) Dem allgemeinen Publikum präsentiert die chinesische Propaganda zwei gegensätzliche Bilder der Tibeter. Eines ist das der undankbaren Randalierer, deren Bilder nach dem Aufstand von 2008 endlos ausgestrahlt wurden. Das andere ist das von dankbaren Untertanen, die enthusiastisch lächeln, wenn Regierungsvertreter ihnen die Hände schütteln. Und sie tragen Kleider, die so neu und schmuck sind, wie die Gebrauchsgegenstände um sie herum. Ein drittes Bild wird nun nach der Erdbebenkatastrophe verbreitet: Eines der verarmten Tibeter, deren Armut gleichermaßen an Toten und Lebenden sichtbar ist. Ironischerweise können diese Bilder nicht unterdrückt werden, denn die humanitären Leistungen der Armee sollen ja an ihnen glorifiziert werden. Der chinesische Präsident Hu Jintao besuchte Kyegundo zwar gnädigerweise nach dem Erdbeben, aber es ist der Dalai Lama, den die Tibeter in ihrer Mitte sehen möchten. Der Dalai Lama, der an der Spitze der Tibetischen Regierung-im-Exil in Dharamsala steht, hat die Forderung nach der Unabhängigkeit für Tibet vermieden, er strebt nur eine volle Autonomie innerhalb des chinesischen Staatsverbandes an. Die Führungsspitze in Peking hat zu wiederholten Malen seine versöhnlichen Angebote brüsk abgeschlagen und nannte ihn „einen Wolf im Schafspelz“. Für die Tausenden von Toten gibt es nur einen einzigen Trost, nämlich den, der in den in weiten Teilen Tibets verbotenen religiösen Gebräuchen liegt. Für diejenigen, die übrigblieben, würde die beste Heilung ihrer Wunden der Dalai Lama bringen, der seit über 50 Jahren sein Land nicht mehr betreten hat. Die chinesische Führung hat, wie nicht anders zu erwarten war, die Bitte des tibetischen Oberhaupts, ihm einen Besuch in dem von dem Erdbeben heimgesuchten Gebiet zu erlauben, zurückgewiesen. Eine derartige Mißachtung ihrer Gefühle wird diese Leute, die kaum noch etwas zu verlieren haben, nur noch weiter entfremden. * Zur Geschichte und kulturellen Bedeutung von Kyegudo, das im Kham-Dialekt Jyekundo ausgesprochen wird, lese man den informativen, mit schönen Bildern versehenen Essay von Jamyang Norbu: „Kyegu, on my mind“ vom 24. April 2010. |