8. Juli 2010
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Dolkar Tso, Karma Samdrups Frau, appelliert an die Regierung

HighPeaksPureEarth übersetzte ein Gesuch, das Dolkar Tso am 25. Juni 2010 an die Regierungsvertreter richtete, nachdem sie erfahren hatte, daß ihr Mann Karma Samdrup unter der Anklage des angeblichen Grabraubs und des Handels mit gestohlenen Artefakten zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt worden war. Dieser Appell erschien auf dem Blog von Karma Samdrups Anwalt, dem bekannten Bürgerrechts-Anwalt Fu Zhiqiang, ist aber inzwischen wieder unzugänglich gemacht worden. Auf Woesers Blog ist der Appell im Original zu lesen:

„An die geehrte Leserschaft:

Ich heiße Dolkar Tso und stamme aus der Stadt Jyegu in der Präfektur Yushu, Provinz Qinghai. Bislang war ich eine ganz gewöhnliche Hausfrau, eine glückliche Ehefrau und Mutter. Mein Gatte heißt Karma Samdrup und kommt aus dem Bezirk Gonjo in der Präfektur Chamdo. Seit langem widmet er all seine Kraft und Energie dem Umweltschutz und der Erhaltung unserer Kultur, und er genießt allseitig große Achtung. Wir haben zwei allerliebste kleine Töchter, sie sind lebhaft und gutherzig, derzeit gehen sie in Chengdu zur Grundschule. Aber jetzt wurde mein unschuldiger Mann unter der Anklage der „Plünderung alter Gräber“ zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Unsere zwei nichtsahnenden Töchter hoffen noch Tag und Nacht, daß ihr Vater sie anrufe. Das kürzliche Erdbeben und viele andere unerwartete Ereignisse haben unser einfaches, doch so glückliches Familienleben nach und nach zerstört.

Dolkar Tso mit Ehemann und Töchtern

Wenn mein Mann wirklich das Gesetz gebrochen hätte, würde ich ganz gewiß nicht um Nachsicht für ihn bitten, da wir aber – alle seine Verwandten, Freunde und ich – Karma seit so vielen Jahren kennen, und besonders auf die drei Tage währende Gerichtsverhandlung vom 22. bis 24. Juni hin, sind wir mehr denn je von seiner Unschuld überzeugt: Karma ist kein Verbrecher.

Karma wurde in einem entlegenen Bergdorf geboren, er erhielt keine weiterführende Erziehung, aber er ist schon immer von Natur aus intelligent und freundlich gewesen. Auf der Grundlage des kleinen Handels, den er in seiner Jugend betrieb, wurde er später zu einem allseits geachteten und bekannten Geschäftsmann. Dennoch machte unsere Familie, verglichen mit jenen heutzutage begüterten Familien, einen eher bescheidenen Eindruck. Dem ist so, weil Karma all sein hart verdientes Geld in seine Aktivitäten zum Schutz der Kultur und Umwelt steckte.

Er baute außerdem Brücken, renovierte Schulen und unterstützte verwitwete ältere Personen in seinem Heimatort. Er gründete die „Umweltschutzgruppe Drei Flüsse“, die viele besondere Auszeichnungen erhielt. Er engagierte sich auch sehr für die Erhaltung kultureller Artefakte und gründete die Handelsgesellschaft „Tibet Dzi Road Cultural Communication Co. Ltd.“ Oftmals arbeitete er mit Museen auf Provinzebene zusammen und unterzeichnete sogar ein Abkommen mit dem chinesischen Forschungszentrum für Tibetologie für die Übergabe von 200 kulturell bedeutsamen Gegenständen an den Staat. Er tat stets alles für ein harmonisches Zusammenleben der verschiedenen Völker und die Harmonie von Mensch und Natur; er war immer davon überzeugt, daß der Schutz von Kultur und Umwelt höher stehe als alle Begriffe von Nationalität oder Staat. Für diese seine Haltung wurde er auch mehrfach von der Regierung ausgezeichnet.

Er hat stets die Gesetze beachtet, er liebte immer das Land und seine Familie und genoß das Vertrauen und den Respekt von Freunden diverser ethnischer Herkunft. Er schloß besonders gerne Freundschaft mit chinesischen Intellektuellen, er studierte eifrig die glänzende Han-Kultur und hegte niemals separatistische Gedanken. Seine Freunde und Verwandten sind alle davon überzeugt, daß seine Worte und Taten stets auf die Einheit der Nationalitäten gerichtet waren und daß er in der Tat das Vorbild eines gesetzestreuen Bürgers war.

Aber dieser Mensch wurde eingesperrt, um ein Geständnis aus ihm zu erpressen; er wurde in einem solchen Maße gefoltert, daß ich meinen Augen nicht traute, als ich am 22. Juni bei der Eröffnung des Gerichtsprozesses sah, wie der einst große und stämmige, sogar ein wenig rundliche Karma jetzt klein und spindeldürr war. Sein Oberkörper war gekrümmt und sein Anblick sorgte dafür, daß uns die Tränen in Strömen herunterliefen, noch ehe er überhaupt begonnen hatte, von den grausamen Folterungen, die er zu erleiden hatte, zu erzählen. Ich wußte schon in etwa, was er durchgemacht hatte, aber als wir seine Aussage hörten, wie er mittels verschiedener Methoden gezwungen wurde, ein falsches Geständnis abzulegen, wie er Tag und Nacht gequält wurde, konnten wir es droben in der Publikumsgalerie nicht mehr aushalten. Das letzte halbe Jahr hatte er ein Leben geführt, das nicht lebenswert war. Er blutete oft aus den sieben Öffnungen seines Kopfes und wurde ohnmächtig. Er bekam fast nichts zu essen, durfte nicht ausruhen, und erst im Gerichtssaal wurde uns klar, daß er auf dem linken Ohr fast taub geworden ist, daß seine Sicht verschwommen ist und sein ganzer Körper ihn schmerzt. Doch mit einer Entschlossenheit, die uns unvorstellbar ist, beharrte er darauf, nicht zu lügen, sondern ein ehrlicher Mensch zu bleiben — etwas, das seine Freunde und Verwandten zutiefst erschütterte und zugleich stolz auf ihn sein machte.

Umweltpreis für Karma Samdhup und seinen Bruder

Für eine Hausfrau, die aus einer Familie wie der meinen kommt, war diese Gerichtsverhandlung ganz offensichtlich nicht fair. Der richterliche Ausschuß hörte nur auf die Worte des Strafverfolgers und schmetterte die Fragen der Verteidiger ab. Die Vorbringungen der Staatsanwaltschaft wiesen zu viele Lücken auf und das Beweismaterial, das sie vorlegte, war widersprüchlich und voller Mängel, so daß ein unbegründeter Verdacht auf Karma fiel. Aber als er und sein Verteidiger Beweise für die vorgebrachten Beschuldigungen forderten und daß Zeugen dazu gehört werden – was alles völlig legale Forderungen sind — wurde ihnen dies verweigert.

Das Urteil lautet, daß Karma 15 Jahre lang im Gefängnis sitzen muß. Das ist dermaßen ungerecht, hier fehlt jegliche Unparteilichkeit des Gerichtes. Wie Karma in seiner abschließenden Aussage feststellte: Wie kann denn ein Mensch, der Altertümer zu erhalten sucht und es jedes Mal bedauert, wenn ein Artefakt von kulturellem Wert zerstört wird, der „Zerstörung alter Gräber“ bezichtigt werden? Wie kann ein Mensch, der mit den traditionellen Bräuchen aufwuchs und dem beigebracht wurde, Respekt vor den Gräbern zu haben, etwas so Niederträchtiges tun wie „Särge und getrocknete Leichen verkaufen“ oder „alte Gräber ausrauben“? Wir verstehen wirklich nicht, warum Karma ein solch unendliches Unglück zu erdulden hat, wo wir doch eine so fortschrittliche Partei und Regierung und ein umfassendes Rechtssystem haben.

Kürzlich wurden in unserem Land neue Gesetze und Bestimmungen gegen falsche Beweise verkündet, wodurch die Rechte der Bürger gestärkt und ungerechten auf bloßem Haß beruhenden Fällen ein Ende gesetzt werden soll. Das läßt mich hoffen, daß doch noch die Beweise erbracht und die Ermittlungen gemäß dem Gesetz vorgenommen werden und daß Karma am Ende Gerechtigkeit widerfahren wird. Sein ganzes Leben lang hat er seinem Land gedient und er wird gewiß auch weiterhin alles tun, was in seinen Kräften steht, er wird nicht nach Ruhm streben, sondern seinen Beitrag für die Gesellschaft leisten.

Heute ruht die schwere Last der Familie, des Geschäfts und des Prozesses gänzlich auf meinen Schultern. Unsere unschuldigen Kinder wissen noch nicht, was für ein Unheil ihren Papa ereilt hat. Neben Karma wurden auch sein älterer Bruder Rinchen Samdrup und sein jüngerer Bruder Chime Namgyal im August vergangenen Jahres festgenommen. Der ältere Bruder wurde noch nicht vor Gericht gestellt (1) und der jüngere ist am 11. Juni wegen seiner Körperbehinderung in ein Hospital unter strenger Aufsicht verlegt worden. Ein Cousin wurde zu eineinhalb Jahren Haft verurteilt, weil er „Ende letzten Jahres eine Gruppe von Dorfbewohnern aufgehetzt habe, an die Behörden zu appellierten“. Und noch ein Cousin, Rinchen Dorje, wurde im Zusammenhang mit Karmas Fall von der Polizei von Ku’erle (in Xinjiang) verhaftet, und sein Verbleib ist unbekannt. Schon fünf Mitglieder unserer Familie wurden festgenommen (2), und immer, wenn ich an unser einst friedliches Leben denke, steigt unendliche Traurigkeit in mir auf.

Ich bitte die betreffenden Abteilungen, daß sie die örtlichen Vollzugsbehörden zur genauen Einhaltung der Gesetze mahnen und ich bitte vor allem darum, daß mit einem guten Menschen wie Karma menschlich umgegangen wird. Ein Fall wie dieser könnte gemäß den neu verkündeten Gesetzen auch als ein Modellfall dienen. Damit würde nicht nur einem ehrlichen Menschen, der grausame Bestrafung erdulden mußte, sein legitimes Recht auf Leben zurückgegeben, es wäre auch eine wertvolle Erfahrung, die ähnlichen Fällen in Zukunft zugute kommen könnte. Aber, und das ist am wichtigsten, es wäre eine große Ermutigung für die Menschen aller Volksgruppen, so viel wie möglich im Hinblick auf Eintracht und Harmonie unter den Nationalitäten zu tun.

Noch einmal ersuche ich die zuständigen Beamten ernstlich, diesen Fall gründlich zu überprüfen und Karma Samdrup ihre Aufmerksamkeit zu schenken. Wenn sie so handeln, können sie meiner Hochachtung und Komplimente sicher sein. Tashi Delek.

Dolkar Tso, 25. Juni 2010

(1) Rinchen Samdrup wurde am 3. Juli zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

(2) Tashi Topgyal, das sechste Mitglied dieser Familie, wurde am 5. Juli festgenommen.