11. April 2009

Tibetan Review

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Warum die Todesurteile gegen die vier Tibeter ziemlich spät, aber um so hastiger gefällt wurden

Am 8. April ließen die offiziellen chinesischen Medien verlauten, daß wegen Brandstiftung mit tödlichem Ausgang während der Ausschreitungen in Lhasa am 14. und 15. März 2008 gegen fünf Tibeter Urteile ergangen sind, die von lebenslänglicher Haft bis zum Tod ohne Aufschub reichen. Die offizielle Nachrichtenagentur Xinhua berichtete am 8. April, daß vier Tibeter zum Tode verurteilt wurden, zwei davon mit einem Vollstreckungsaufschub von zwei Jahren, und ein fünfter Tibeter zu lebenslänglichem Freiheitsentzug. Außerdem würden wegen eines vierten Falles von Brandstiftung mit tödlichem Ausgang noch weitere Tibeter vor Gericht gestellt werden.

Xinhua behauptet, die Gerichtsverhandlungen für die fünf Tibeter seien öffentlich gewesen, aber dies konnte aus unabhängiger Quelle nicht bestätigt werden. „Der Gerichtshof sorgte dafür, daß den Angeklagten Dolmetscher für Tibetisch zur Seite gestellt wurden“, wurde ein Sprecher des Mittleren Volksgerichts von Lhasa zitiert. Daraus kann geschlossen werden, daß bei den Gerichtsverfahren Chinesisch die vorherrschende Sprache ist, ebenso wie bei allen anderen offiziellen Vorgängen – das in einer Region, in der die Tibeter angeblich über 90% der Bevölkerung ausmachen.

Es wird nicht klar, wie lange die Prozesse dauerten, es scheint jedoch, daß sie im Eilverfahren durchgezogen wurden. Es schien tatsächlich niemand außerhalb der Regierung zu wissen, wann die Prozesse stattfinden würden. Bei Xinhua heißt es auch, die fünf seien wegen dreier separater Fälle von Brandstiftung vor Gericht gestellt worden, und „die Urteile wurden am Mittwoch Nachmittag in erster Instanz gefällt“.

Darüber hinaus wurde der Gerichtssprecher zitiert: „Ihre Anwälte brachten alle Argumente zu ihrer Verteidigung gebührend vor. Die Rechte der Angeklagten im Verfahren wurden vollständig gewahrt und es wurde ihrer Menschenwürde und ihrem ethnischen Brauchtum Rechnung getragen“.

21 Rechtsanwälte in China, die vor einem Jahr anboten, die Tibeter, denen wegen der Geschehnisse vom 14. und 15. März der Prozeß gemacht werden würde, unentgeltlich vor Gericht zu vertreten, wurden von der Regierung unter Druck gesetzt. Einigen wurden sogar ihre Lizenzen zur Ausübung ihres Berufs entzogen, weshalb keiner von ihnen sein Angebot in die Tat umsetzen konnte.

Die offensichtliche Eile bei den Verfahren und der Urteilsfindung weisen darauf hin, daß die Geständnisse unter Folter erzwungen wurden.

Xinhua führt aus, daß in einem der Fälle der Tibeter Losang Gyaltse zum Tode verurteilt wurde, weil er am 14. März im Zentrum von Lhasa zwei Kleidergeschäfte in Brand gesetzt hatte, wobei der chinesische Ladenbesitzer Zuo Rencun ums Leben kam.

In dem zweiten Fall waren Loyar, Gantsu und Dawa Sangpo wegen Brandstiftung in einem Motorradhaus am 15. März 2009 in der Gemeinde Dechen im Kreis Thagtse im Bezirk Lhasa angeklagt. Es wird behauptet, fünf Personen, darunter der Ladenbesitzer Liang Zhiwei, seine Frau, sein Sohn und zwei Angestellte seien bei der Feuerbrunst umgekommen. Den Verurteilten Loyar erwartet nun eine Kugel in den Hinterkopf, während für Gangtsu ein Vollstreckungsaufschub von zwei Jahren verfügt wurde. Und Dawa Sangpo wurde zu lebenslänglichem Freiheitsentzug verurteilt.

In einem dritten Fall wurde Tenzin Phuntsog zum Tode verurteilt, auch mit einem Aufschub von zwei Jahren. Er wurde verhaftet, weil er am 14. März 2009 in Lhasa ein Kleidergeschäft in Brand gesteckt hatte. Das Feuer griff auf ein anderes nebenan über und der Inhaber Liu Guobing sowie seine Frau trugen Verletzungen davon. Lius Tochter sei indessen ihren Brandverletzungen erlegen.

Bezüglich der zwei zum sofortigen Tode verurteilten Tibeter sagte der Gerichtssprecher: „Die zwei Angeklagten begingen außerordentlich schwere Verbrechen, sie müssen hingerichtet werden, um die Wut des Volkes zu beschwichtigen“.

Anscheinend werden noch weitere Todesurteile verhängt werden, denn in dem Xinhua-Bericht steht, daß in einem weiteren Fall von Brandstiftung, bei dem fünf Zivilpersonen um Leben kamen und ein Laden niedergebrannt wurde, noch kein Urteil ergangen sei.

Es verlautete vor einiger Zeit aus China, daß insgesamt 76 Tibeter in separaten Prozessen wegen der Demonstrationen in und um Lhasa vor Gericht gestellt worden seien, allerdings ohne daß Todesurteile verhängt wurden. Unabhängigen Quellen zufolge wurde mehrmals Tibetern der Prozeß gemacht, aber nicht nur in der Autonomen Region Tibet, sondern auch in anderen Teilen des tibetischen Hochlandes.

Diese Gerichtsverfahren waren nicht nur keine fairen Verfahren und nicht öffentlich, sie werden auch heftig kritisiert, weil sie offenkundig politischer Natur sind. Guardian.co.uk zitierte am 9. April den Pressesprecher von Free Tibet in London Matt Whitticase, der große Bedenken bezüglich der Urteile zum Ausdruck brachte „angesichts der Berichte, die seit letztem Jahr aus Tibet kommen und die deutlich machen, daß politisch motivierte Verfahren gegen Tibeter inszeniert werden, bei denen jegliche gesetzliche Aufsicht fehlt oder die kein angemessenes Gerichtsverfahren darstellen“.

In Beantwortung der Frage, warum so es so lange dauerte, bis schließlich die Urteile im Eilverfahren gefällt wurden, meinte Kelsang Gyaltsen, der Vertreter des Dalai Lama in Europa, am 9. April der Times (UK) gegenüber, Peking habe die Prozesse bis nach der Olympiade verschoben, um keine internationale Verwirrung und Kritik heraufzubeschwören.