„Warum wir kämpfen“ das Bekenntnis eines tibetischen Mönchs
Der tibetische Mönch Tsering aus dem Kloster Kirti in Osttibet sprach am 24. Mai in Dharamsala vor westlichen Journalisten über seine Erfahrungen während der tibetweiten Unruhen im März letzten Jahres.
„Ich verbrachte die ersten 19 Jahre meines Lebens in Tibet. Letztes Jahr trug ich Informationen über die März-Proteste im Bezirk Ngaba in Osttibet zusammen, wo ich geboren bin. Nach dem 10. März nahmen die Protestaktionen immer größere Ausmaße an, die bedeutendsten fanden am 14. März statt. Im Februar hatte sich ein Mönch selbst in Brand gesetzt. Das chinesische Militär feuerte zwei Schüsse auf ihn ab. Wir wissen nicht, ob er noch am Leben ist. Seit diesem Zeitpunkt hat die Armee scharfe Waffen benutzt, um gegen friedliche Demonstrationen vorzugehen.
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Bewaffnete Polizeitruppe in Dartsedo in Osttibet
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Warum aber protestieren wir? 1949 besetzte das kommunistische China Tibet. Die Regierung hat die tibetische Geschichte umgeschrieben, damit sie zu ihren eigenen Absichten passt. Überall sind wir von Propaganda umgeben. Viele unserer Traditionen sind verlorengegangen. Die Tibeter haben keine Meinungs- und Redefreiheit. Wir können unsere Religion nicht ungestört ausüben, denn der Besitz von Portraits Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, ist in Tibet illegal. Die Tibeter leiden an einem tiefen inneren Schmerz. Nach der chinesischen Besetzung Tibets starben eine Million Tibeter, die meisten während der Kulturrevolution. Letztes Jahr kämpften wir um mehr als unsere Freiheit. Auch im Gedenken an unsere Brüder und Schwestern, die in den vergangenen 50 Jahren ums Leben gekommen sind, kämpften wir um unsere Souveränität.
Die Olympischen Spiele boten uns die Gelegenheit, uns vor den Augen der ganzen Welt zu erklären. Das letzte Jahr war etwas ganz besonderes, denn die Demonstrationen ergriffen ganz Tibet. Sie begannen in Lhasa und weiteten sich im ganzen Land aus. Jeder einzelne in jeder Region hatte seine eigenen Gründe, sein Leben aufs Spiel zu setzen. Das war keine Kettenreaktion. Es war spontan, es gab keine Anführer. Eine der Parolen, die überall erklangen, war. „Seine Heiligkeit muss in seine Heimat Tibet zurückkehren“.
Am 16. März 2008 wurden im Bezirk Ngaba 23 Menschen umgebracht. Weitere starben ein paar Tage später zu Hause und andere erlagen ihren tödlichen Verletzungen in chinesischen Gefangenenlagern. Als direkte Reaktion auf die Demonstrationen verbot die chinesische Regierung allen Krankenhäusern die Behandlung von Tibetern. Alle Klöster und Schulen wurden vom chinesischen Militär kontrolliert. Mönche und Nonnen hatten zwei bis drei Monate kaum Zugang zu Wasser und Gemüse. Bauern konnten ihre Felder nicht bestellen und Studenten nicht in die Universität gehen. Unsere Dörfer ähnelten Kriegsschauplätzen. Am 22. und 23. März durchsuchte die Armee buddhistische Klöster nach Waffen und beschlagnahmte oder zerstörte 13.000 Fotos Seiner Heiligkeit des Dalai Lama.
Die chinesische Verfassung garantiert allen Staatsbürgern die freie Ausübung der Religion, aber die Wahrheit sieht anders aus. In diesen zwei Tagen wurden dreihundert Mönche verhaftet. Siebzig Personen wurden verurteilt, manche zu 7 15 Jahren Gefängnis, andere sogar zu lebenslänglich. Jeder einzelne Tibeter litt. Die chinesische Regierung zwang ihnen die „Patriotische Erziehung“ auf. Wir wurden instruiert, das politische System zu lieben und sollten unser geistiges Oberhaupt beschimpfen. Wir verloren unsere Brüder, Vettern, Freunde. Drei Personen nahmen sich das Leben. In den Klöstern wurden Videokameras zur Überwachung installiert.
Religiöse Zeremonien wurden verboten. Eine Menge Leute sind in die Berge geflohen und hausten in Höhlen, um dort ihrer Religion nachgehen zu können. Am 28. April 2008 wurde eine tibetische Schule mit 403 Schülern geschlossen, weil ihre Lehrer den Behörden zufolge die Kinder mit „ Separatismus“ indoktrinierten. Die Schule war vom Kloster Kirti gegründet worden, geleitet wurde sie jedoch von der Dorfverwaltung, aber der Direktor ging keinen politischen Aktivitäten nach. Ein Mönch muß heute eine Genehmigung der Regierung haben, damit er in einem Kloster den Buddhismus lehren darf. Sobald ein hochrangiger Lama in meiner Gegend von der Bevölkerung Unterstützung erfuhr, wurde seine Lizenz widerrufen. Die Anwesenheit von Polizeikräften entweiht jede offizielle religiöse Zeremonie.
Im Angesicht der herrschenden Repression und des erstickenden chinesischen Einflusses nähren wir die Flamme unserer Sehnsucht nach Freiheit und kämpfen um das Überleben unserer Kultur“.
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