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Jampa Tashi berichtet: Chinas Errungenschaften kommen nur den Chinesen in Tibet zugute
Jampa Tashi ist ein ehemaliger politischer Gefangener. Er saß 12 Jahre im Gefängnis und ist Mitglied des in Dharamsala ansässigen Verbandes ehemaliger politischer Gefangener Gu-chu-sum.
„Ich stamme aus der tibetischen Region Kham, war Bauer und hatte keinen Zugang zu irgendeiner Form der Schulbildung. Das hat mich motiviert, mich politisch zu betätigen. Vor meinem diesbezüglichen Engagement hatte ich keine Ahnung, wie die Welt außerhalb von Tibet aussieht. Ich kümmerte mich nur um Kühe und Schafe. 1986 oder 1987, als ich 17 Jahre alt war, trat ich in ein Kloster in Osttibet ein. Dort erhielt ich Unterricht in tibetischer und buddhistischer Philosophie. Die chinesische Regierung hatte die Klosteranlage zerstört, deshalb lebten alle 25 Mönche in kleinen Behausungen. Neue Mönche durften nicht aufgenommen werden. Wir versuchten, das Kloster wieder instand zu setzen. Die chinesische Regierung sagte, wir hätten zwar das Recht auf Meinungsfreiheit, aber wir durften unsere Religion nicht ausüben, indem wir etwa zu Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama beteten.
1994 demonstrierten fünf meiner Freunde und ich selbst für Menschenrechte in Tibet. Wir wollten vom Staat gehört werden. Die chinesische Regierung behauptete zwar immer, sie hätte auf dem Gebiet der Menschenrechte Fortschritte erzielt, aber davon war in der Realität nichts zu spüren. Selbst für kleinste Vergehen wurden wir behandelt wie Kriminelle. Mönche wurden einfach eingesperrt, ohne daß sie Zugang zu einem Verteidiger gehabt hätten. Ich wurde zu 12 Jahren Haft verurteilt und meine Freunde bekamen sogar 15 Jahre. Ist das Gerechtigkeit? Als ich verhaftet wurde, durfte ich bis zum Tag meiner Verurteilung mit niemanden von außerhalb des Gefängnisses sprechen. In einer freien Gesellschaft hat auch der schlimmste Verbrecher das Recht auf anwaltliche Vertretung vor Gericht. Nach der Verhandlung wurde ich gemeinsam mit drei von meinen Freunden in ein chinesisches Gefängnis gebracht. Es war das größte in Osttibet und dort befanden sich viele Kriminelle mit langjährigen Haftstrafen von 10 Jahren und mehr. Dort verbrachte ich 12 Jahre meines Lebens von 1994 bis 2006.
Weil ich die chinesische Politik infrage gestellt hatte, wurde ich gefoltert. Es gab fast nichts zu essen,keinen Platz, auf den man sich halbwegs bequem hätte setzen konnte; ich bekam bloß ein Bettlaken. Die Gefangenen mussten Steinbrocken in kleinere Stücke brechen, die Latrinen putzen und in der Landwirtschaft arbeiten. Wir arbeiteten mit den bloßen Händen.
Das Gefängnis war in drei Einheiten mit insgesamt 400 Häftlingen unterteilt. Zwölf davon waren politische Gefangene. Die erste und zweite Einheit war für Tibeter, die dritte für Chinesen. Die Haftbedingungen waren miserabel. Morgens bekamen wir Gersten-Tsampa, die voller Hasen- und Mäusekot war. Mir wurde übel, wenn mir dieser Fraß vorgesetzt wurde. Mittags gab es ein Stückchen Schweinefleisch - eigentlich nur Fett und Schwarte. Viele Gefangene wurden von dem schlechten Essen und der elenden Unterbringung krank und die unzureichende medizinische Versorgung machte alles noch schlimmer. Manche konnten nicht mehr aufrecht stehen. Die chinesischen Häftlinge wurden ganz anders behandelt. Ihr Essen war besser und sie bekamen auch mehr Reis.
Während meiner Haft wurde mein Freund Tashi Tsering zum Märtyrer. Er wurde nackt gefoltert, bis er nicht mehr sprechen konnte und schließlich den Verstand verlor. Dabei hatte er nichts Böses getan! Er wurde von den Chinesen verhaftet und der Spionage beschuldigt, nur weil er in Indien zur Schule gegangen war. Er war damals 32 oder 33 Jahre alt und verbüßt immer noch seine 15jährige Haftstrafe. Wir können uns sein Elend nicht einmal entfernt vorstellen.
Als ich 2006 entlassen wurde, hatte ich von meinen Mitgefangenen viel über die chinesische Besetzung Tibets erfahren. Auf Grund der restriktiven chinesischen Gesetze konnte ich nicht in Tibet bleiben. Ich fordere die freie Welt dringend dazu auf, sich über die Realität in Tibet zu informieren, um Fakten von Fiktionen unterscheiden zu können. Es ist wichtig, die Verbindung zu den Menschen in Tibet aufrechtzuerhalten, ungeachtet der Tatsache, daß China unzweifelhaft ein mächtiges Land ist.
Nach meiner Haftentlassung habe ich mein kleines Heimatdorf, das auf einem Berg liegt, kaum wieder erkannt. Früher war es dort sehr schön. Es gab keine Autos und war nur durch einen Fußpfad zu erreichen. Die chinesische Regierung hat die Abholzung des Waldes erlaubt, um eine Straße zu bauen, auf der nun chinesische Konvois zum Dorf und den umliegenden Gemeinden fahren. Das Dorf, das ich einst kannte und liebte, existierte nicht mehr. Die chinesische Regierung behauptet, sie hätte für den Bau von Straßen, Krankenhäusern und Schulen gesorgt. Aber all diese Wohltaten kommen nur Chinesen zugute. Das Leben der normalen Tibeter wird nicht besser durch irgendwelchen Luxus. Wir sollten versuchen, die natürlichen Ressourcen Tibets zu erhalten, aber sie werden durch all die Bautätigkeit zerstört.
Ländliche Gebiete brauchen dringend Entwicklung; in diesen unterentwickelten Gegenden gibt es so gut wie nichts. Als ich in mein Dorf zurückkehrte, fühlte ich mich wegen der von den Chinesen bewirkten Veränderungen ganz entfremdet. Die Menschenrechte waren außer Kraft gesetzt und ich konnte nicht frei leben. Die Polizei durchsuchte häufig das Haus meiner Familie. Ich durfte in kein Kloster eintreten oder irgendwelche öffentlichen Funktionen wahrnehmen; ich konnte mich nicht selbst ernähren und war gezwungen, zu Hause zu bleiben. 2007 floh ich nach Indien. Ich machte mich alleine auf den Weg und verpflichtete für 6000 Rupien einen Guide. Nach meiner Ankunft in Indien, fand ich Aufnahme in einer Schule von Gu-chu-sum, wo ich tibetische Philosophie, Englisch und den Umgang mit Computern erlernte. Endlich habe ich Zugang zu Bildung und kann auf die Zukunft bauen.“
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