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Reisenotizen aus Lithang: Beobachtungen eines Polizeistaates
Delhi - Hier in Lithang, einer Khampa-Stadt in Osttibet (dem heutigen westlichen Sichuan), ist die Atmosphäre merklich von Angst und Paranoia bestimmt. Nie zuvor in meinem Leben habe ich so viele Polizeikräfte und Soldaten in einer Stadt gesehen. Noch hatte ich jemals zuvor eine solche Angst, die mein Herz zum Rasen brachte, gefühlt. Letzte Nacht, um etwa 11.40 hörte ich die Polizei in dem Gästehaus, in dem ich wohne, herumbrüllen und an jede Tür trommeln. Als sie meine Tür erreichten, war ich gelähmt vor Angst. Mir war so bange, weil keine Ausländer die Stadt betreten dürfen, in der ich bin. Auch hatte mich die US-Botschaft in Chengdu vorgewarnt, daß ich sehr wohl beschattet werden und meine email-Korrespondenz gelesen werden könnte, weil ich öfters mit Dharamsala zu tun habe. So zögere ich jetzt ein wenig, dieses hier niederzuschreiben. Andererseits, sollte ich es aus Angst um meine eigene Sicherheit etwa nicht tun?
Die Botschaft riet mir, auf gewisse Anzeichen zu achten: Auf Kerle, die sehr entspannt dreinschauen und irgendwo in einer Ecke herumhängen und lässig Zigaretten rauchen; vorsichtshalber sollte ich auch irgend etwas auf meinen Laptop legen, wenn ich ausgehe, um nachher feststellen zu können, ob in meiner Abwesenheit jemand heimlich in mein Zimmer eingedrungen sei und meine elektronische Einrichtung mit Wanzen versehen habe. Offensichtlich haben alle Botschaftsangehörigen einen „Beschatter“ und alle ihre Computer sind verwanzt. Nicht einmal der IT-Experte dort weiß, bis zu welchem Grade der chinesische Geheimdienst ihre Tätigkeiten verfolgt. Sie erklärten mir auch und das wußte ich bisher nicht daß ich durch meinen amerikanischen Paß nicht geschützt bin, weil ich mit taiwanesischen Reisedokumenten reiste und China Taiwan ja als eine seiner Provinzen betrachtet. Daher sind sie in den Augen der VR China frei, mich unter dem geringsten Verdacht der „Aufwiegelung zur Subversion“ festzunehmen ein Delikt, unter dem kürzlich viele Aktivisten und Schriftsteller in China verfolgt wurden. Es gab in den vergangenen zwei Jahren einige Fälle, wo taiwanesische Amerikaner vom Public Security Bureau festgenommen wurden und wo die US-Botschaft keinen Kontakt zu ihnen herstellen konnte. Aber zum Glück fand die Polizei nichts Auffälliges an mir, weil ich die Rolle des unwissenden Touristen spielte. Am nächsten Tag hörte ich, daß die Polizei oft Hotels auf der Suche nach Verdächtigen durchkämme. Die Hotels in den tibetischen Gebieten West-Sichuans werden während der Olympiade geschlossen bleiben.
Wie flößt die Regierung bloß den Leuten so große Angst ein, daß sie am Ende gehorchen? In einer langen Reihe von Gebetszylindern im Tempel der Stadt gibt es eine große Lücke in der Mauer, die dort wohl absichtlich klafft. Durch diese Lücke hindurch kann man sehen, wie das Militär seinen Verrichtungen nachgeht. Vor zwei Tagen gab es einen großen Militärappell und etwas zu betrachten, das so aussah, als würden sie ihre AK-47 Gewehre auf Hochglanz bringen. All das kann man beobachten, wenn man die Stupa rituell umwandelt. Man sieht dann auch mindestens zwei Wachposten, die mit ihren Gewehren im Anschlag und ihren scharfen aufgepflanzten Bajonetten an jeder Tankstelle hinter Sandsäcken stehen. Ein tibetischer Freund hier sagte mir, daß die Zahl der Soldaten, die zuvor nur minimal war, seit den Protesten im März und nun erst recht vor der Olympiade gewaltig aufgestockt worden sei. Und man sieht sie an jeder Ecke, sie laufen durch die Stadt und patrouillieren auf den Straßen. Obwohl die große Mehrheit der Bevölkerung in der Stadt Tibeter sind, ist jeder Polizist und jeder Soldat, den ich beobachtete, Han. Wirklich, die einzigen Chinesen in der Stadt sind entweder die Sicherheitskräfte oder die Ladenbesitzer. Ich habe noch kein Restaurant gefunden, daß einem Tibeter gehören würde.
Heute habe ich gezählt, es gibt mindestens sieben Polizeistationen (Büro für Öffentliche Sicherheit) in einem Umkreis von 1 km, alle mit getarnten Wachposten, die Gewehre geschultert haben und Kugelgürtel tragen. In China selbst kommt schätzungsweise ein Polizist auf 14.000 Einwohner, in Tibet ist das Verhältnis etwa ein Soldat auf je 20 Leute. Aber in letzter Zeit steht in den exponierten Gegenden Osttibets jedem Tibeter ein Soldat gegenüber. Ein paar Tibeter erzählten mir, daß sie nun schreckliche Angst hätten, weil kürzlich fünf ihrer Landsleute verschwunden seien und man nichts mehr von ihnen gehört habe.
Während man mir im Flüsterton von Verhaftungen, Schießereien und der Brutalität der Polizei erzählte, leugnen die Chinesen, mit denen ich sprach rundweg ab, daß hier irgend etwas vorgefallen sei. Der Patriotismus, den sie zur Schau stellen, insbesondere wenn sie im Kollektiv von ‚uns Chinesen’ reden, macht mich ganz krank. Ich möchte losbrüllen: ‚ Ich gehöre nicht zu Euch!’, aber ethnisch gesehen tue ich es doch. So setze ich mich und höre zu und sage mir, der beste Weg, um eine Festung zu stürmen, sei von innen heraus. Was wirklich unglaublich ist: Die Leute haben immer noch Dalai Lama Bilder an ihren Wänden hängen und tragen sein Bild auf Anhängern um den Hals. Die Tibeterin, die das Gästehaus betreibt, in dem ich wohne, erzählte mir, die Polizei habe sie bedroht, das Geschäft zu schließen wegen eines 11x14 großen Portrait Seiner Heiligkeit. Sie habe es dann ganz schnell durch eines des verstorbenen Panchen Lama ersetzt, aber in der Ecke dennoch ein kleines 4x6 Bildchen Seiner Heiligkeit aufgestellt. Trotz der Drohungen, so sagte sie, habe sie keinen inneren Frieden, wenn sie kein Bild Seiner Heiligkeit an der Wand hängen habe. Das ist ein kleiner aber tapferer Akt des Trotzes. Ich habe auch zwei Bilder Seiner Heiligkeit in zwei Klöstern in der Region gesehen, aber ich bin sicher, sie werden nach der Säuberungsaktion, welche die Regierung für diese Gegend angekündigt hat, ebenfalls verschwunden sein.
Diese Notiz stammt von meiner guten Bekannten Wen, die Tibet besuchte, um die Situation dort in Augenschein zu nehmen. Kurz danach wurde sie in Kham festgenommen und 30 Stunden lang vom Büro für Öffentliche Sicherheit in Gewahrsam gehalten, ehe man sie 600 km weit wegfuhr, wo man sie laufen ließ. Nun ist sie auf dem Rückweg. Ein weiterer Artikel über ihre Erfahrungen wird bald erscheinen.
Quelle: Students for a Free Tibet, India.
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