28. November 2008
World Tibet News
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Tibetische Version

Appell eines Mönchs an Hu Jintao: Bericht aus erster Hand über die Proteste vom 10. März 2008

High Peaks Pure Earth gelangte in den Besitz der Kopie einer Petition, die der Mönch Gedhun des Klosters Sera in Lhasa an Präsident Hu Jintao gerichtet hat. Englische Version: http://www.highpeakspureearth.com/2008/10/sera-monks-petition-to-hu-jintao.html.

Diese Petition ist die erste ausführliche Schilderung der Vorfälle vom 10. März in Lhasa und widerlegt die Darstellung dieser Protestaktionen in den chinesischen Medien. Der tibetische Text der Petition steht auf der Website Khabdha als pdf-Datei: http://www.khabdha.org/?p=729 /.

Über das Kloster Sera kann man sich informieren unter: http://www.thlib.org/places/monasteries/sera/

Kloster Sera

Ein Appell an Präsident Hu Jintao und die anderen Mitglieder der chinesischen Staatsführung, der auf meinen eigenen leidvollen Erfahrungen beruht

Ich bin ein ganz gewöhnlicher Student an den berühmten Lehrstätten des buddhistischen Wissens, den Klöstern Sera und Drepung, die das Zentrum der traditionellen tibetischen Bildung darstellen und einst für die Seele aller Tibeter ein Labsal waren. Ich möchte ganz ehrlich und in aller Offenheit noch einmal einige der Probleme darlegen, denen die tibetischen Klöster gegenwärtig gegenüberstehen, so wie ich es selbst gesehen, gehört und erlebt habe. Ich will das tun, weil ich mich als Bürger der Nation dazu verpflichtet fühle und ich richte diesen Appell an Sie, weil Sie die Staatsmänner an der Spitze dieser Nation und für das Wohl ihrer Bürger verantwortlich sind.

Können wir wirklich für die Ereignisse des 14. März zur Verantwortung gezogen werden?

Dieses Jahr kam es im März in allen tibetischen Gegenden zu Unruhen, die in Lhasa ihren Anfang nahmen und durch eine Reihe tragischer Ereignisse große Verluste an Leben wie an Eigentum verursachten, sowohl auf Seiten der Protestierenden als auch derjenigen, gegen die sich die Proteste richteten. Meiner Ansicht nach wird die Auslegung der Regierung, daß die Ereignisse nur der Aufhetzung durch die „Separatisten“ zuzuschreiben sei, den Umständen nicht ganz gerecht. Die ganze Schuld alleine dem tibetischen Volk zuzuweisen, wird von den Intellektuellen in diesem Land wie auch von der internationalen Gemeinschaft als unhaltbar betrachtet.

Sonst müßte man sich doch ernsthaft fragen, wie es denn den sogenannten Spaltern gelungen ist, um ihrer eigennützigen Zwecke willen, so einfach die Tibeter innerhalb und außerhalb Tibets zu manipulieren und sich dabei über das wirkliche Schicksal des tibetischen Volkes hinwegzusetzen. Oder man könnte fragen: Warum war das tibetische Volk, das sich nach Aussage der Zentralregierung eines glücklichen und ausgezeichneten Lebens erfreut und sich wie im Himmel fühlt, so ohne weiteres bereit, sein Leben aufs Spiel zu setzen, und warum war es so empfänglich für solche separatistischen Aktivitäten? Darüber hinaus ist, selbst wenn die Regierung behauptet, daß die Anführer der jüngsten Protestaktionen vom Dalai Lama aufgehetzte Mönche der tibetischen Klöster, vor allem aus Sera, Drepung und Ganden gewesen seien, deren wahre Ursache jedoch in unserer Verzweifelung zu suchen, die wir täglich, angesichts der Unterdrückung, der Furcht und den Restriktionen, die uns auferlegt werden, in unserem Leben erfahren. Ist es doch ein einziger Schrei nach Freiheit.

Kloster Ganden

Vergegenwärtigt man sich die Gemütslage der älteren Mönche, die schon lange in den Klöstern wohnen und die Schriften studieren und besonders die der der vielen Novizen, so sollten die Ursachen für die gegenwärtigen oder vergangenen Ereignisse und die Bedingungen, unter denen sich entfalteten, unter zwei Aspekten gesehen werden:

1. Schikane und gewaltsame Ausweisung von Studenten

Für einen Mönch ist das Studium des Buddhismus der einzige Weg, um sein ersehntes Ziel zu erreichen. Wie aus unserer viele Jahrhunderte alten Geschichte ersichtlich ist, waren für uns die großen Klöster wie Sera, Drepung und Ganden – tief verankert in der traditionellen Wissensvermittlung – die besten Bildungseinrichtungen, die wir hatten, und das wären sie eigentlich auch heute noch. Leider gibt es jedoch für die Mönche, ob sie nun von nah oder fern kommen, infolge der von der Regierung auferlegten Restriktionen, kaum noch die Möglichkeit, in diesen großen Klöstern zu studieren. Sogar die kleine Zahl von Novizen in diesen Klöstern wird in Bezug auf das Wohnrecht im Kloster sehr eingeschränkt: Viele werden ausgewiesen, was so weit geht, daß Vertreter der Behörden sogar ihr Bettzeug aus ihren Quartieren zum Fenster rauswerfen. So etwas ist mehr als einmal passiert, und es gab viele derartiger Vorfälle an den Lehrstätten Zentraltibets, den Klöstern Sera, Drepung und Ganden, im Kloster Serthar Larung in Kham (Sichuan) und im Kloster Ngaba Kirti in Amdo (Qinghai). Auch kommen die Mitarbeiter der Klosterverwaltungsräte, die eigens von den Behörden ernannt wurden, ganz unvermittelt in die Quartiere der Mönche, um diese zu inspizieren. Nicht nur durchsuchen sie unsere Habseligkeiten nach Lust und Laune, sondern sie tun auch viele Dinge, die uns ärgern und kränken; sie treten einfach auf unsere Betten und stampfen gar noch mit ihren Stiefeln darauf herum.

2. Die spirituelle Lehrer-Schüler-Beziehung und der Zwang, gegen seinen Lehrer Position zu beziehen

Eine der vielen diesbezüglichen Kampagnen ist die sogenannte „patriotische Erziehung“. Im allgemeinen ist es für die Bürger eines Landes und die Gläubigen einer Religion ganz natürlich, die eigene Nation und die eigene Religion zu lieben. Aber statt unseren Glauben zu schützen, erweist die Regierung Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama keinen Respekt, sie befiehlt uns vielmehr, ihn scharf zu kritisieren. Das wühlt die Gemüter in den Mönchsgemeinschaften ungeheuer auf. Und es gab zahlreiche Fälle, wo Mönche aus den Klöstern ausgestoßen wurden, weil sie sich einfach weigerten, verunglimpfende Worte [gegen seine Heiligkeit] zu richten. Einer religiösen Gemeinschaft wie der unsrigen erscheint eine solche Druckausübung als ein absichtlicher Versuch der zuständigen Behörden unserer Nation, unsere Bildungsmöglichkeiten zu zerstören und unseren Glauben zu vernichten.

Wer ist nun Seine Heiligkeit der Dalai Lama und was ist unsere Beziehung zu ihm? Er ist die menschliche Manifestation des Arya Avalokitesvara in der Gestalt eines Mönches. Er ist der Wunscherfüllungsjuwel, der in jedem Leben in menschlicher Gestalt herabsteigt, um das Elixier der Barmherzigkeit und Weisheit über die reinen Herzen aller Lebewesen im allgemeinen und die der entkräfteten Tibeter im besonderen auszugießen. Die tibetische Redensart „Wenn man einen wunscherfüllenden Edelstein besitzt, dann werden alle Wünsche dank seiner spontan erfüllt“ stimmt. Er ist wahrhaft der siegreiche wunscherfüllende Edelstein oder der Dalai Lama. Warum zwingt uns die Regierung nur fortwährend zu Angriffen auf Seine Heiligkeit den Dalai Lama? Aus welchem Grunde werden unser Glaube und unsere Hingabe in der Weise mit Füßen getreten? Warum werden unseren Bildungseinrichtungen direkte oder indirekte Hindernisse in den Weg gelegt?

Die Lage der Klöster Sera, Drepung und Ganden vor der Kulturrevolution

Das Bildungssystem der tibetischen Klöster, das auf eine mindestens eintausendfünfhundertjährige Geschichte zurückblickt, ist das Herzstück der tibetischen Religion und Kultur. Es konnte sich in dieser langen Zeit von Auf und Ab bis zur Gegenwart aufrechterhalten. Es ist zum Herzjuwel dieser Nationalität geworden, die nach den Begriffen einer materialistisch gesinnten Zivilisation ziemlich rückständig ist. Außerdem erfuhren die tibetische Religion und Literatur dank des Wirkens von Je Tsongkhapa, der in Amdo geboren wurde und in Zentraltibet studierte, eine bis dahin noch nie gesehene Inspiration und Förderung.

Diese Lehre des Lobsang Dakpa (= Je Tsongkhapa) oder die Gelugpa Tradition handelt von der Erlangung außerordentlicher Erfahrung durch Schüler, die Vertrauen zu ihrem Lehrer haben und der Wahrheit noch mehr hingegeben sind als ihrem Lehrer – auf dem Wege eingehender analytischer Erforschung und gründlichen Studiums dieser über 700 Jahre alten tibetisch-buddhistischen Kultur durch Befolgung der tiefgreifenden Lehren des Buddha und der indischen Gelehrten. Je Tsongkhapa, der zusammen mit seinen unmittelbaren Schülern den Pfad der Gelehrten und Siddhas erklommen hat, gründete die Klöster Sera, Drepung, Ganden, Tashi Lhunpo usw., die einen ungeheuren Einfluß auf die tibetische Kultur ausübten. Sogar heute noch sind die Klöster Sera, Drepung und Ganden nicht nur in Tibet sehr populär, sondern sogar in ganz China und im Ausland weit bekannt.

Kloster Kirti in Amdo Ngaba

Diese drei Klöster üben weit über die Gegend von U-Tsang in Zentraltibet hinaus einen großen Einfluß auf die Bildung im tibetisch-monastischen Sinne aus; z.B. studierte der allwissende ehrwürdige Jamyang Shepa Ngawang Tsundue, der das Kloster Labrang Tashi Kyil in Amdo gründete und dort Berühmtheit erlangte, im Kloster Drepung in Lhasa. Ebenso absolvierte Kirti Kyabgon, der das Kloster Ngaba Kirti in der Region Amdo Ngaba [heute in Sichuan] gründete, seine Lehrjahre im Kloster Drepung. Auch Shar Kalden Gyatso, der das Kloster Rebgong Rongpo in der Provinz Qinghai gründete, studierte im Kloster Ganden in Zentraltibet. Mit einem Wort, Sera, Ganden und Drepung waren so etwas wie die Mutterklöster für fast alle berühmten Lamas und Gelehrten der Gelugpa Schulrichtung in den drei Provinzen Tibets [Kham, Amdo und U-Tsang]. Bezieht man auch andere Richtungen der Lehre mit ein, so schrieben sich in dieser Klosteruniversitäten nicht nur Angehörige der Gelugpa-Tradition ein, sondern auch reinkarnierte Lamas und Mönche aller anderen Schulrichtungen wie der Sakya, Kagyud, Nyingma, Jonang und Bön (Da ich viele Jahre lang in diesen Klöstern lebte und studierte, erwähne ich hier nur Sera, Drepung und Ganden. Natürlich sehen sich auch alle anderen Klöster in allen drei Provinzen Tibets, gleich welcher Tradition sie angehören, ähnlichen Problemen gegenüber).

Über die dringende Notwendigkeit, reale Religionsfreiheit einzuführen

Die Art und Weise, wie eine kulturelle Tradition, die den tatsächlichen Interessen des tibetischen Volkes voll und ganz entspricht, das von Natur aus spirituell veranlagt und mit einer reichen Kultur ausgestattet ist, heutzutage ignoriert wird, ebenso wie die Einschränkung der Zahl der Mönche und Nonnen im allgemeinen wie auch ihre Ausweisung, besonders aber der Novizen, lassen keinen Zweifel daran, daß die Politik der Religionsfreiheit nur auf dem Papier steht, aber nicht in die Praxis umgesetzt wird.

Auf die Begebenheiten des 14. März hin wurden über eintausend Mönche aus den Klöstern Sera, Drepung und Ganden, den Zentren der tibetisch-buddhistischen Gelehrsamkeit, brutal vertrieben, und die Wohnbereiche der einzelnen Mönche im Dunkel der Nacht von Hunderten, ja sogar Tausenden von Soldaten geplündert. Sie verschafften sich auf gewaltsame Weise Zugang zu den Klöstern, brachen alle Türen der Gebäude der Lehranstalt auf und drangen mit Gewehren bewaffnet in die Mönchsquartiere ein. Es gab viele Fälle, wo Bilder Seiner Heiligkeit des Dalai Lama, Mobiltelefone, elektronische Rechner und Geld abhanden kamen oder schlicht gestohlen wurden. Ich hörte, daß in anderen Gegenden Tibets die Soldaten alle Bilder Seiner Heiligkeit des Dalai Lama konfiszierten, sie dann außerhalb des Klosters auf den Boden legten, mit ihren Stiefeln darauf herumtrampelten und sich dann entfernten.

Kloster Labrang Tashikyil

Ich hörte auch, daß sie obendrein sogar noch die Gemüsemesser aus der Küche einiger Mönche mitnahmen. Später wurde uns klar, daß sie diese wegnahmen, um Beweise dafür zu haben, daß wir gewaltsam seien. Die Mönche wurden geschlagen, festgenommen und über sechs Monate lang in Gewahrsam gehalten. Selbst nachdem man sie wieder freigelassen hat, durften sie nicht mehr in ihre Klöster zurückkehren. Im Gefängnis trugen die Mönche mehrmals mündlich und schriftlich die Bitte vor, daß sie bereit seien, solange wie notwendig in Haft zu bleiben, wenn man sie nur später wieder in ihre Klöster zurückkehren ließe, damit sie ihre Studien fortsetzen könnten. Aber all ihre Gesuche trafen auf taube Ohren, sie versanken wie ins Wasser geworfene Steine.

Jetzt bewahrheitet sich das tibetische Sprichwort: „Tibeter lassen sich von der Hoffnung verleiten, Chinesen vom Verdacht“. Auf diese Weise wurden über eintausend gewöhnliche Mönche schutz- und mittellos plötzlich aus der von ihren gewählten Lebensbahn geworfen und Furcht, Not und Sorgen ausgeliefert. Wo sollen diese Mönche hingehen, die bei der Festnahme, ganz zu schweigen von anderen Dingen, nicht einmal ihre Schuhe anziehen durften und aus Sera, Drepung und Ganden von der Militärpolizei in ihren Sandalen weggebracht wurden? An ihren Herkunftsorten gibt es oft keine Klöster. Und selbst wenn es welche gibt, fehlen die Einrichtungen zu einem vernünftigen Studium. Wohin soll ein gewöhnlicher Mönch gehen, der kein Kloster und niemand hat, der ihn versorgen könnte, weil seine Angehörigen und Verwandten alle tot sind?

Im Zeitalter der Information sollten die tibetischen Mönche von unserem Land natürlich auch gemäß ihrer Wahl eine umfassende Bildung erhalten, und es sollten ihnen keine Hindernisse für eine moderne Bildung in den Weg gelegt werden. Schließlich hängt diese ja weitgehend von den von der Regierung angebotenen Dienstleistungen und Möglichkeiten ab.

Recht und Gesetz sollten nicht ein Hindernis für die tibetische buddhistische Tradition sein, statt dessen gerade ihr Überleben und ihre Entwicklung garantieren

Erstens hat die Ein-Kind-Familienpolitik nicht nur den Fortbestand der tibetischen Nationalität, die ohnehin schon nicht sehr zahlreich ist und sich auf eine große Fläche verteilt, in Gefahr gebracht, sondern sie hat damit auch automatisch die Zahl der ordinierten Mönche verringert.

Zweitens wurde durch die Verordnung, daß niemand unter 18 Jahren zum Mönch ordiniert werden darf, eine der Türen zum Gedeihen einer religiösen Gemeinschaft geschlossen.

Drittens haben viele Mönche, die sich nach dem Lernen sehnen, so wie ein Durstiger nach Wasser lechzt, keine echte Möglichkeit mehr zum Studium, weil in vielen der beliebten Klöster, in denen eine sehr gute Atmosphäre zum Studium des Buddhismus herrschte, die Zahl der Studierenden so stark eingeschränkt wurde. Ich meine, daß Niederwerfungen machen, die Heiligtümer umschreiten und Gebetsfahnen aufhängen nur äußerliche Gesten sind, und daß das Zählen von Leuten, die so etwas tun dürfen, als Beweis für die Freiheit der Religionsausübung (laut der von der Regierung gelieferten DVD „Tibet aus seiner historischen Perspektive), nur dazu dient, andere zu täuschen. Damit zeigen die Offiziellen ihr wahres Gesicht, aber tragen nicht zum Nutzen unseres Landes und der Nationalitäten bei.

Chinesisches Militär im Kloster Labrang

Angesichts dessen, daß der Pfad, der die Grundlage der religiösen Aktivitäten bildet, Tag um Tag schmäler wird, und daß die jüngeren Buddhisten große Probleme haben, in die Klöster aufgenommen zu werden, und selbst wenn sie zugelassen werden, es sehr schwer haben zu studieren, sind der Aufbau von ein paar Klöstern und die Verleihung von ein paar Geshe-Lharampa Titeln, und vieles andere, was die Behörden im Namen der Restauration der Klöster tun, eine reine äußerliche Zurschaustellung. Es ist überhaupt nicht gewährleistet, daß solche Aktivitäten zur Wahrung und Förderung unseres reichen und tiefen tibetisch-buddhistischen Erbes beitragen.

Die heutige Zahl der tibetischen Mönche ist, verglichen mit der Zeit vor der Kulturrevolution, um das 10fache gefallen: Sera beherbergte einst 9.900 Mönche, zählt aber gegenwärtig nur 850. Drepung hatte über 10.000 Mönche, aber gegenwärtig sind es weniger als 1.400. Ganden zählte einst 5.400 Mönche, aber hat gegenwärtig nicht einmal 400. Nach Angaben der Regierung beläuft sich die Zahl der Ordinierten auf 74.500, die sich auf über 1.700 religiöse Einrichtungen verteilen. Diese Angaben betreffen aber nur die Autonome Region Tibet. Von dieser ansehnlichen monastischen Population der Region haben leider nicht mehr als 10% der Mönche die Möglichkeit zu einem echten Studium: Wie sollten daher alle die vielen Mönche, die keine Ahnung von den philosophischen Lehrsätzen des Dharma haben, unsere buddhistische Tradition erhalten und zum Blühen bringen? Wie können wir bloß unsere religiöse Tradition in Übereinstimmung mit der einer sozialistischen Gesellschaftsordnung fortsetzen?

Die tibetischen Klöster sind die Zentren für die Praktizierung des Buddha-Dharma

Sicher freut es uns sehr, daß die Regierung enorme Summen für die Restaurierung der Klöster aufgewendet hat und dies immer noch tut. Aber weit wichtiger wäre es, anstatt uns Hindernisse in den Weg zu legen, Möglichkeiten für eine echte Wissensvermittlung zu schaffen. So warte ich also voller Hoffnung bis zu dem Tag, an dem ich sehen werde, wie die hellen Strahlen der Parteipolitik in Sachen Religionsfreiheit das tatsächliche Leben der gewöhnlichen Leute erhellen.

Mönche im Kloster Labrang in Amdo

Die tibetischen Klöster als bloße Museen zu betrachten, heißt, den Standard zu niedrig anzusetzen. Wenn dieser Zustand anhält, dann wird nicht nur das Überleben der Klöster aufs Spiel gesetzt, sondern es wird überflüssig, sie überhaupt zu haben. Warum ist es notwendig, ein Kloster zu bauen? Weil ein Kloster eine traditionelle Lehranstalt oder ein Zentrum der spirituellen Praxis ist, in dem die tiefen und erhabenen Lehren des Buddha studiert werden – wunderbar ausgeschmückt durch die Werke vieler maßgeblicher indischer buddhistischer Gelehrter und Adepten, erleuchtet durch die „sechs gelehrten Ornamente“ und die „zwei höchsten Meister“ und bereichert durch die einzigartige tibetische Lebensart, die als der tibetische Buddhismus bekannt ist, deren grundlegende Essenz die Doktrin des abhängigen Entstehens und die Tugend der Gewaltlosigkeit sind. Es ist auch ein Ort, wo die echten Praktizierenden dieser tiefgründigen Lehre weiter gefördert werden. Die äußerlich sichtbaren Manifestationen unseres Glaubens, wie die im Wind flatternden Gebetsfahnen, die Niederwerfungen, die Umrundung eines Tempels, das Malen von Gottheiten und Errichten von Tempeln, stellen auch einen Teil der Kultur dar, aber sie bieten keine Garantie für das Überleben und die Fortentwicklung des tibetischen Buddhismus. Wenn die Klöster daher zu Touristenattraktionen und Museen verkommen, dann braucht man sie eigentlich gar nicht mehr, denn es ist nicht einzusehen, warum die staatlichen Museen nicht denselben Zweck erfüllten.

Entstellungen und die Beschuldigung, die Nationalitäten zu spalten

Es hat uns zutiefst verletzt und entsetzt, daß die offiziellen Nachrichtenmedien während der Vorfälle vom 14. März, wegen ein paar Leuten, die in Mönchsroben auf der Szene erschienen, nicht nur im eigenen Land, sondern in der ganzen Welt verkündeten, daß tibetische Mönche andere geschlagen, Gegenstände zertrümmert, geplündert und Feuer gelegt hätten. Als die Mönche von Sera, Drepung und Ganden am 10. 11. und 12 März friedlich demonstrierten, kamen jedoch Tausende von Militärpolizisten mit tödlichen Waffen, die sie umstellten, mit Tränengas bewarfen und zusammenschlugen. Davon sah man aber in den Medien nirgends Bilder. Und als die Polizei mit Tränengas gegen die versammelten Mönche vorging, übergossen diese sich mit Wasser, um die Spuren des Tränengases abzuwaschen. Von diesem Vorfall wurde dann ein entstelltes Bild gezeigt, mit dem bewiesen werden sollte, daß die Mönche mit Wasser nach den Polizisten warfen.

In ähnlicher Weise wurden ein paar Leute, die aus Verzweiflung und von der überwältigenden Macht der Waffen bedroht, Steine in die Hände nahmen, als gewalttätig und aggressiv dargestellt. So wurde vieles, was am 14. März geschah, entstellt und im In- und Ausland verzerrt berichtet. Obwohl solche irreführenden und kurzsichtigen Aktionen tatsächlich Gegenstand von Erstaunen und Enttäuschung waren, wird man ihnen nur vorübergehend Glauben schenken, weil die Geschichte ganz gewiß alles aufklären wird.

Mir kam zu Ohren, daß gegenwärtig Han-Reisende, wann immer sie der Mönche oder auch gewöhnlicher Tibeter ansichtig werden, die in Bussen durch die Städte fahren, aus diesen Bussen aussteigen. Oh, was für eine entsetzliche Entstellung der Tatsachen wird da von der Regierung und ihren Propagandamachern betrieben, deren Auge der Weisheit dermaßen geblendet ist, daß sie die Wirkung der Kausalität nicht erkennen. Über eine Milliarde ehrlicher und fleißiger Menschen in China wurden auf einen Schlag getäuscht. Überall hört man dieses Gerede von der nationalen Harmonie und dem Schutz des Mutterlandes: Was für einen Zweck hat es denn, von nationaler Einheit zu reden, wenn man solche Gerüchte verbreitet und Zwietracht unter den Nationalitäten säht? Sind nicht die Leute, die so etwas tun, die eigentlichen „Spalter“?

Die Regierung muß in der Praxis die Erwartungen der Menschen erfüllen anstatt nur über die Erwartungen zu reden

In letzter Zeit erwartet die Regierung von den religiösen Institutionen, daß sie diese Religion mit der sozialistischen Gesellschaft in Einklang bringen. Ich halte das für eine wirklich gute Idee. Eine jede Kultur, die von der gesellschaftlichen Arbeit getrennt bleibt, verliert ihre Essenz. Um zu überleben, sollte sich die Religion auch zum Nutzen der Gesellschaft entwickeln: Anpassung gemäß dem Wandel der Zeiten und der Gesellschaft entspricht nicht nur den Perspektiven der religiösen Aktivitäten, sondern bringt auch der allgemeinen Gemeinschaft der Gläubigen Nutzen. Dennoch genügt es nicht, einfach nur zu sagen, daß die Religion im Einklang mit dem Sozialismus stehen muß. Den Gläubigen ein vernünftiges Maß an Religionsfreiheit zu gewähren und ihnen die Chance zum Studium zu geben, sind vielmehr die entscheidenden Kriterien, ob sich diese Theorie auch in konkreter Weise niederschlägt. Daher warten wir hoffnungsvoll auf die Zeit, wenn dank der weitblickenden Weisheit und pragmatischen Denkweise der zuständigen Staatsführer im 21. Jahrhundert die hellen Strahlen einer zentralen Politik der Offenheit und Liberalisierung unser derzeit so frostiges Leben unmittelbar erwärmen werden.

Gelugpa Mönche

Schließlich bete ich darum, daß die Stabilität der Volksrepublik China und die Einheit der verschiedenen Nationalitäten ungeschwächt erhalten bleiben und die Sonne mit ihrem warmen Licht der Freiheit über ganz China scheinen möge.

Ich habe die genannten Probleme, die praktisch Tausende und Abertausende von Menschen wie mich betreffen, offen und ehrlich dargelegt und unterbreite sie hiermit den höheren Regierungsinstanzen, die für den Nutzen des Volkes arbeiten, zur Ansicht und wohlwollenden Begutachtung. Ich hoffe, dieser Appell möge die Behörden in die Lage versetzen, einige unserer grundlegenden Probleme, denen wir uns in unserem alltäglichen Leben gegenübersehen, zu erkennen. Dennoch war ich vielleicht nicht in der Lage, mich so auszudrücken, wie es sich geziemt, oder es gelang mir nicht, das schriftlich zu fixieren, was ich zu schreiben beabsichtigte, da ich erst mit 17 Jahren die Chance zum Studium erhielt, und wegen meines geringen Wissens und Mangels an angeborener Weisheit. Kurz gesagt, da das, was ich darlegte, nur die Meinung eines normalen Bürgers ist, möge man mich eines besseren belehren, falls die Obrigkeit es als eine Übertreibung erachtet oder es im Konflikt zu den Ansichten der Behörden stehen sollte.

Unterbreitet von dem ehrwürdigen Gedhun am 7. Oktober 2008, Tashi Delek.