8. August 2008
Thupten Samdup
Ehemaliger Abgeordneter  des Tibetischen Exilparlaments für Nordamerika,
Gründungspräsident des Canada Tibet Committee,
Nationaler Präsident der Dalai Lama Foundation, Canada


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Französische Version bei: Cyberpress.ca
http://www.cyberpresse.ca/article/20080808/CPOPINIONS02/808080621

Der Dalai Lama in der Zwickmühle

Während die Welt ihre Aufmerksamkeit den wahrhaft fesselnden Geschichten menschlichen Durchhaltevermögens zuwendet, die hinter jeder Olympia-Medaille stehen, die diesen Monat in Peking errungen wird, entfaltet sich auf dem Dach der Welt ein anderes menschliches Drama, eines das das Erbe eines Mannes bestimmt, der von Millionen weltweit geliebt wird.

Der Dalai Lama steht vor einem Dilemma. Die Gespräche seiner Gesandten mit den Vertretern der chinesischen Regierung haben, wie vorauszusehen war, zu nichts geführt. Tibeter werden in ganz Tibet weiterhin unterdrückt, grundlos festgenommen, ohne Anklageerhebung inhaftiert, ihrer bürgerlichen Rechte beraubt und durch Chinas Propaganda als die Bösen hingestellt.

Über die ganze Welt verstreute Tibeter fordern lautstark ein Zeichen des Fortschritts von China, nicht in Richtung Unabhängigkeit, sondern im Hinblick auf die grundlegenden bürgerlichen Rechte und den Schutz ihrer Kultur.

Der Dalai Lama ist nicht nur unser politisches, er ist unser spirituelles Oberhaupt. Und die grundlegenden Lehrsätze des Buddhismus, die er für Millionen rund um den Erdball verkörpert, machen seine Überzeugung aus, daß er nichts tun darf, was seinem Feind schaden würde, eine Überzeugung, die zu seinem Wesen gehört und die er genauso wenig verleugnen kann, wie er einen Mord begehen kann. Während seine Position im spirituellen Sinn bewundernswert ist, bedeutet sie einen fatalen Nachteil im Umgang mit einem Regime, das ihn dämonisiert, sein Volk unterdrückt  und nur den Schein eines Dialogs aufrechterhält, um die Olympischen Spiele erfolgreich hinter sich zu bringen. Es wird, wenn die Spiele erst einmal vorbei sind und das Interesse der Weltöffentlichkeit sich auf andere Ereignisse richtet, einer echten Veränderung ganz bestimmt nicht offener gegenüberstehen.

Nun ist die Zeit gekommen, daß Seine Heiligkeit der Dalai Lama eine äußerst schwierige Entscheidung fällen muß, er muß sich entscheiden zwischen seinen buddhistischen Prinzipien und seinem Volk. Das ist zuviel gefordert von einem einfachen buddhistischen Mönch, doch er muß die Entscheidung treffen.

Alle aufrichtigen Annäherungsversuche des Dalai Lama über die Jahre hinweg haben kein anderes Ergebnis gezeitigt, als daß Peking sich auf seinen anfänglichen Standpunkt zurückzog, nämlich daß es im Hinblick auf die Zukunft Tibets außer dem persönlichen Status des Dalai Lama nichts zu besprechen gäbe. Chinas Position zu den Gesprächen wird deutlich aus einer Erklärung des neuen Generaldirektors des Informationsbüros des Staatsrates, Don Yunhu, vom 16. Juli: „Die Zentralregierung wird die Zukunft Tibets niemals mit dem Dalai Lama diskutieren. Worüber wir mit ihm sprechen können, das ist seine Zukunft und die einiger seiner Anhänger… Meiner Ansicht nach hat er kein Recht, Tibet zu vertreten. Wenn dies überhaupt jemals der Fall war, dann vor 1959“ - also, bevor er nach dem fehlgeschlagenen Volksaufstand nach Dharamsala in Nordindien floh.

Nach sieben Gesprächsrunden seit 2002, als der Dalai Lama jetzt wieder seine Emissäre entsandte, um mit Vertretern Chinas zusammenzukommen und die Zukunft Tibets auszuhandeln, ist alles, was Peking tat, weiterhin Hinhalte-Taktik zu betreiben und seinen einmaligen Vorteil zu nutzen, einen Gesprächspartner vor sich zu haben, den jeder Atemzug verpflichtet, Friede, Gewaltlosigkeit und Mitgefühl zu bewahren.

Der Dalai Lama braucht Hilfe. Wenn jemals ein diplomatischer Prozeß der Einbeziehung eines als dritte Partei fungierenden Vermittlers bedurfte, dann haben wir hier das krasseste Beispiel. Ein internationaler Vermittler könnte sicherstellen, daß die Positionen beider Seiten am Maßstab der Geschichte und des Völkerrechts fair abgestimmt würden, daß die Propaganda neutralisiert würde, die die tatsächlichen auf dem Spiel stehenden Fragen so sehr umnebelt hat, und er würde die Einleitung eines Prozesses legitimieren, der sich auf das Leben von Millionen auswirkt. Das ist das Allergeringste, was die Welt tun könnte für ein Volk, das nun schon so lange den Preis für Chinas Erfolg gezahlt hat.

Ich liebe, bewundere und verehre Seine Heiligkeit, ich habe ihm seit über dreißig Jahren treu gedient und war ein langjähriger Befürworter des mittleren Weges, was unsere Zukunft betrifft. Aber nun habe ich meine Meinung um seinetwillen geändert und ebenso um der Tibeter, Chinesen und aller Menschen willen, die glauben, daß es sich hier um einen echten Test handelt, ob Tyrannei und Repression in der internationalen Neuordnung willkommen sein werden oder nicht.

Der Countdown für das tibetische Volk hat begonnen. Der Dalai Lama sollte bei den Gesprächen mit China sofort internationale Vermittlung einfordern oder das tibetische Volk wird seine Schlacht um Gerechtigkeit und seinen stillen, lebenslangen Kampf gegen jene, die glauben, daß das Gute niemals die Oberhand gewinnen kann, verloren haben.