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Tibet und die chinesisch-afrikanischen Beziehungen
von Renato Palmi Tibet Society of South-Africa
In dem Maße, wie China zu einer dominierenden Wirtschaftsmacht in der internationalen Arena aufsteigt, schrumpft der globale Handlungsspielraum für die Tibeter und ihre Unterstützer, also ihre Möglichkeiten, gegen die Besetzung Tibets durch die VR China tätig zu werden, rapide. Die Ausgangsbasis für irgendwelche gegen China gerichteten Aktivitäten wird darüber hinaus durch die Führung der Exilgemeinschaft in Dharamsala gefährdet, die aus Angst, die chinesische Regierung zu verärgern, versucht, den Protest der Tibet-Unterstützer gegen die Menschenrechtsverletzungen der Chinesen in Tibet zum Schweigen zu bringen.
Bei den Verhandlungen mit der VR China sieht sich die tibetische Regierung-im-Exil (Tibetan Government-in-Exile - TGIE) mit einer "Alles-oder-Nichts" Situation konfrontiert, was heißt, daß China den Verlauf des Dialogs bestimmt und sich über den Status der TGIE als einem gleichrangigen Partner und Treuhänder der tibetischen Ansprüche bei dem Konflikt einfach hinwegsetzt.
Man kann sich kaum vorstellen, daß Nelson Mandela seine Anti-Apartheid-Aktivisten jemals aufgefordert hätte, Proteste zu unterlassen, weil sie damit das damalige südafrikanische weiße Regime eventuell hätten kränken können. Die chinesische Regierung zeigt gegenüber dem Dalai Lama nicht den geringsten Respekt, denn sie beschimpft Seine Heiligkeit und setzt ihn persönlich und als Staatsmann ständig herab. Welchen Einfluß haben nun die sino-afrikanischen Beziehungen auf den Kampf um ein freies Tibet in der heutigen politischen Konstellation?
Während sich die Entscheidungsträger in Dharamsala bei ihren Bemühungen, einen gangbaren Weg für Tibet zu finden, ständig im Kreis drehen und es dabei nicht an Rücksichtnahme auf chinesische Empfindlichkeiten fehlen lassen, wachsen Macht und Einflußnahme der VR China in Afrika auf Grund von Handelsvereinbarungen und historischen Verbindungen zu den Regierungen dort immer mehr. Die VR China setzt auf Afrika, das ihr dabei helfen soll, jegliche Debatte über Tibet, sei es nun in den afrikanischen Ländern oder auf internationaler Ebene, zu unterbinden. Eine Analyse diverser Reden chinesischer Regierungsvertreter aus dem Jahr 2005 über die Entwicklung der Beziehungen zwischen der VR China und Afrika zeigt, daß die afrikanischen Staaten, wissentlich oder unwissentlich, an der Gestaltung der Zukunft Tibets mitwirken.
Die Tibeter werden niemals erleben, daß sich die Südafrikaner mit der gleichen Energie, Leidenschaft und Entschlossenheit für sie einsetzen, wie sie es für die Palästinenser oder die verschiedenen Anti-Bush und Anti-Blair-Bewegungen tun. Warum protestieren die Südafrikaner nicht zu Tausenden vor der chinesischen Botschaft und den Konsulaten, so wie sie es vor den diplomatischen Vertretungen der Amerikaner zu tun pflegen? Werden Südafrikaner jemals Auslandsvertretungen der chinesischen Regierung als "Konsulate des Völkermords" bezeichnen, wie einige von ihnen die amerikanischen und britischen diplomatischen Einrichtungen tituliert haben? Wird der südafrikanische Staatspräsident jemals das Recht der Tibeter auf ihre eigene Nation und Entwicklung einfordern, so wie er es für die Palästinenser getan hat?
Aus unerfindlichen Gründen gelingt es der pro-tibetischen Bewegung in Südafrika nicht, über das Elend der Tibeter eine auf emotionaler Ebene geführte Debatte in Gang zu bringen, die den Aktivitäten und der Unterstützung für die Sache der Palästinenser oder dem Widerstand gegen westliche Regierungen hierzulande gleichkäme. Eine der Ursachen mag sein, daß die tibetische Regierung-im-Exil sich nicht in der Lage sieht, mit den Südafrikanern eine gemeinsame politische Ebene zu finden: Statt dessen stellt sie harmlose Themen wie Buddhismus und tibetische Kultur oder Heilkunst in den Vordergrund, damit die Südafrikaner mit der uralten buddhistischen Tradition der Gewaltlosigkeit und Verbundenheit aller Dinge vertraut gemacht werden.
Es ist schon tragisch, aber ein derart kraftloses Vorgehen wird den Kampf der Tibeter um Selbstbestimmung oder Befreiung von dem tyrannischen Besatzungsregime der Chinesen nicht voranbringen. In der Tat behindert eine solche Politik eher jegliches Vorwärtskommen, und je mehr die Tibeter sowohl in Tibet als auch in der Diaspora Isolation und Mißverständnissen ausgesetzt sind, wird auch ihre gewaltfreie Haltung ignoriert werden.
So vernünftig und sinnvoll diese Haltung auf den ersten Blick auch erscheinen mag, sind ihr Schwung und ihre Wirksamkeit durch den Sog widriger Umstände bedroht: die Schwäche der tibetischen Präsenz in Südafrika. Es hat den Anschein, daß die Tibeter und ihr geistliches und weltliches Oberhaupt, der Dalai Lama, von Südafrika nur so lange geduldet werden, als sie nicht den Zorn Chinas erwecken. Gewiß hätte jede politische Kundgebung, auf der die Freiheit für Tibet gefordert oder auf die Menschenrechtslage hingewiesen wird, eine wirtschaftliche Vergeltung der VR China gegen Südafrika zur Folge oder würde doch zumindest zu handfesten Drohungen in diese Richtung führen.
Man kann ohne weiteres annehmen, daß die südafrikanische Öffentlichkeit nichts über die politische Lage Tibets weiß und ihr die Zukunft Tibets egal ist. Diejenigen weißen Südafrikaner, die den tibetischen Buddhismus praktizieren oder ein vages Interesse an Tibet haben, sind schon zufrieden, wenn sie ab und zu den Dalai Lama oder einen tibetischen Mönch auf Vortragsreise zu sehen bekommen und einige Vorstellungen tibetischer Kultur genießen können. Diese kurzsichtige Haltung schafft ein Vakuum, wenn es um die Unterstützung der tibetischen Sache geht und das in einem Land, das immer noch um seine hart errungene Demokratie kämpfen muß. Den schwarzen Südafrikanern, denen ihre eigenen Rechte jahrzehntelang vorenthalten wurden, ist nicht bewußt, daß die Tibeter kurz vor der Auslöschung stehen. Die südafrikanische Regierung wiederum weiß das sehr wohl, kümmert sich aber nicht im geringsten um Tibet und die Menschenrechtspraxis der Chinesen.
Am 17. Mai 2005 erklärte ein Vertreter Chinas, Jin Yongjan, vor einem südafrikanischen Thinktank: "Ohne die standhafte Unterstützung der afrikanischen Länder wäre die Niederschlagung der gegen China gerichteten Resolutionen, die einige westliche Länder (und pro-Tibet-Lobbyisten) bei der UN-Menschenrechtskommission eingebracht haben, nicht möglich gewesen." Hier wird wenigstens offen zugegeben, daß Heuchelei über jegliche Kritik erhaben ist, wenn es um Handel und politische Allianzen geht.
Für diejenigen, die die Wahrheit kennen und sich um die Zukunft Tibets Sorgen machen, ist es unerträglich, beobachten zu müssen, wie schnell der südafrikanische Staat und die Zivilgesellschaft mit der Verdammung des britischen und amerikanischen kolonialen Imperialismus bei der Hand sind, während sie vor den kolonialen und machiavellistischen Umtrieben Chinas in Afrika beide Augen zudrücken. Die Tatsache, daß China die korrupte Regierung im Sudan nur deshalb schützt und unterstützt, weil sie umfangreiche Investitionen in die sudanesische Ölindustrie getätigt hat, findet in den südafrikanischen Medien kaum Erwähnung. Es gibt auch fast keinen Widerstand gegen die Vernichtung der südafrikanischen Bekleidungs- und Textilindustrie durch China.
Die Tibeter werden bald erleben müssen, wie sich südafrikanische Firmen in ihrem Land breitmachen, und wie sie obendrein bei der weiteren Marginalisierung der einheimischen Bevölkerung ausgezeichnet mit der chinesischen Regierung zusammenarbeiten. Dieses Szenario deutete der chinesische Botschafter in Südafrika, Liu Guijin an, als er im Februar 2005 sagte: "Die chinesische Regierung begrüßt und fördert Investitionen und die Beteiligung an der Entwicklung der westlichen Region (womit er Tibet meinte)." Für China ist der Kontinent Afrika reif für Ausbeutung und wirtschaftliche Kolonialisierung und zudem äußerst nützlich bei der Erstickung der tibetischen Freiheitsbewegung.
Wenn sich am 7. Oktober die illegale Besetzung der einst souveränen Nation Tibet zum 55. Mal jährt, wird es für die Tibeter aus dem Westen höchstens zahnlose Unterstützung geben, mit viel Händeschütteln auf kulturellen Foren und bei interreligiösen Dialogen, aber keine Empörung und keine diplomatische Mobilisierung bei den weltlichen Mächtigen. Die verarmten, gedemütigten Tibeter sind ohne Stimme und werden erkennen müssen, daß der gesamte afrikanische Kontinent im Würgegriff des roten Drachens ist bereit, sich ausbeuten, manipulieren und als nützliches Werkzeug gegen das tibetische Volk und dessen Recht auf Selbstbestimmung gebrauchen zulassen. Bald wird das wirtschaftliche, kulturelle, spirituelle und umweltpolitische Völkermordprogramm der VR China in Tibet vollkommen sein und die globale Gemeinschaft kann sich nur rückblickend schämen, und ihre Scham wird nicht ausreichen und zu spät kommen.
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