29. April 2003 |
World Tibet News - Update des Tibet Bureau, Genf
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Eine NGO-Erklärung bei der UN-Menschenrechtskommission betont politische Gefangenschaft in Tibet
Als die 59. Sitzungsperiode der UNCHR (UN Commission on Human Rights) am 25. April zu Ende ging, kam unter anderen Dokumenten eine schriftliche Eingabe der NGO "International Fellowship of Reconciliation" (IFOR) zum Vorschein. Die IFOR informiert darin die Kommission über den Status einer Reihe tibetischer politischer Gefangener - ungeachtet der Freilassung von Ngawang Choephel, Takna Jigme Sangpo und Ngawang Sangdrol. In seinem letztem News-Update der 59. UN Menschenrechtskommission bringt das Tibet Bureau den Text dieser Erklärung:
Menschenrechtskommission, 59. Sitzungsperiode, Punkt 9 der vorläufigen Tagesordnung: Fragen der Verletzung von Menschenrechten und Grundfreiheiten in einem beliebigen Teil der Welt. Schriftliche Erklärung, eingereicht von der "Internationalen Gesellschaft für Versöhnung" (IFOR), einer Nicht-Regierungsorganisation mit beratenden Sonderstatus.
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1. Im Laufe der vergangenen Jahre hat die IFOR bei der Menschenrechtskommission immer wieder ihre Besorgnis über die schweren und systematischen Verletzungen der Menschenrechte und Grundfreiheiten in Tibet durch die chinesische Regierung zum Ausdruck gebracht.
1995 veröffentlichte die Internationale Juristenkommission (International Commission of Jurists = ICJ) einen Bericht mit Titel "Die Tibetfrage und die Rechtsstaatlichkeit", der die Auswirkungen der chinesischen Politik auf die Menschenrechte in Tibet und die Stellung Tibets nach dem Völkerrecht untersucht. Dieser Bericht kam zu dem Schluß, daß "fast alle Rechte, die in ihrem Zusammenspiel den vollen und legitimen Ausdruck der menschlichen Persönlichkeit gewährleisten, den Tibetern zum gegenwärtigen Zeitpunkt verwehrt sind - und in den meisten Fällen auch in der Vergangenheit verwehrt wurden. Geht man von dem vorliegenden Beweismaterial aus, so kommt einem kaum ein Fall in Erinnerung, wo die essentielle Würde des Menschen noch systematischer und brutaler unterdrückt worden wäre". Im darauffolgenden Jahr veröffentlichte ICJ die Abhandlung "Tibet und die Volksrepublik China: Ein Bericht an die Internationale Juristenkommission von ihrem Unterausschuß zu Tibet", deren Schlußfolgerung in den Worten ihres Generalsekretärs "eine detaillierte Verurteilung der chinesischen Herrschaft in Tibet ist". Der Bericht untersuchte das Völkermord betreffende Material und kam zu dem Ergebnis, daß "in Tibet bei dem Versuch, die Tibeter als religiöse Volksgruppe zu zerstören, Akte von Genozid begangen wurden".
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2. 1997 veröffentlichte ICJ die Abhandlung "Tibet - Menschenrechte und die Rechtsstaatlichkeit", in der auf die erneute Eskalation der Unterdrückung in Tibet hingewiesen wird, nämlich die "Umerziehungskampagne" in den Klöstern, die Verhaftung führender religiöser Würdenträger und das Verbot der öffentlichen Zurschaustellung von Dalai Lama Bildern. Außerdem wird die wachsende Bedrohung der tibetischen Identität und Kultur durch den massiven Transfer von Chinesen nach Tibet analysiert, die Aushöhlung der tibetischen Sprache und die Degradierung der Umwelt. Dem Bericht zufolge sind die Tibeter machtlos, diese negativen Entwicklungen aufzuhalten, weil die "Autonomie", die sie angeblich genießen, fiktiv und nicht real ist. Abschließend heißt es, daß die Tibeter "ein unterjochtes Volk unter fremder Herrschaft sind - ein Volk mit einem Recht auf Selbstbestimmung, das ihm jedoch verwehrt wird".
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3. Trotz dieses betrüblichen Berichts über die weitverbreiteten Menschenrechtsverletzungen in Tibet begrüßt die IFOR ein in letzter Zeit gesetztes positives Zeichen: Im Jahre 2002 ließ die chinesische Regierung eine Reihe prominenter tibetischer politischer Gefangenen frei und erlaubte dreien von ihnen, Ngawang Choephel, Takna Jigme Sangpo und Ngawang Sangdrol, Tibet zu verlassen, um sich im Ausland ärztlicher Behandlung zu unterziehen. In seiner ersten öffentlichen Erklärung nach der Ankunft in den USA sagte der 74-jährige Takna Jigme Sangpo, der insgesamt 37 Jahre hinter Gittern verbracht hatte: "Meine Freilassung aus medizinischen Gründen durch die chinesische Regierung (neun Jahre meiner Haftstrafe wären noch übrig) und meine Ankunft in den USA sind ein Sieg des Friedens, der Gerechtigkeit und der Menschenrechte. Sie sind das Ergebnis vieler Jahre von Kampagnenarbeit und Druckausübung durch Tibet-Freunde, Regierungen, Einzelpersonen und öffentliche Gesellschaften sowohl außerhalb als auch innerhalb Tibets. Vor allem sind sie die Frucht internationaler Unterstützung für die Aspirationen Seiner Heiligkeit des Dalai Lamas. Ich möchte jedem von Ihnen meinen herzlichsten Dank aussprechen. Am wichtigsten jedoch ist: Jetzt, wo ich ein Leben der Freiheit und des Glücks leben darf, bin ich dennoch tief besorgt um das Schicksal meiner ehemaligen Mitgefangenen, die weiterhin in finstern Gefängnissen schmachten und gequält werden. Ich benutze diese Gelegenheit, um eindringlich die sofortige Freilassung aller tibetischen politischen Gefangenen zu fordern."
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4. Während die IFOR dieses Zeichen des Fortschritts würdigt, appelliert sie an die internationale Gemeinschaft, sich vordringlich darum zu bemühen, Zugang zu den vielen noch inhaftierten tibetischen politischen Gefangenen zu erhalten und ihre Befreiung zu erwirken. Hier legen wir der Kommission besonders den Fall Gedhun Choekyi Nyimas, des 11. Panchen Lama Tibets, ans Herz, der seit Mai 1995 zusammen mit seinen Eltern an unbekanntem Ort gefangen gehalten wird. Nach ihrem letzten offiziellen Besuch als Hochkommissarin für Menschenrechte in China teilte Mary Robinson im August 2002 der Weltpresse mit, daß sie ihre chinesischen Gesprächspartner nach dem Fall des 13-jährigen Gedhun Choekyi gefragt habe, diese jedoch nur geantwortet hätten, der Junge sei gesund und seine Eltern wünschten, daß er in Ruhe gelassen werde. "Ich bestand darauf, daß seine Eltern vielleicht einen ersten Schritt tun sollten, damit irgendein Weg gefunden werde, um diese Situation, die immer noch Anlaß zu großer Sorge gibt, zu verifizieren", fuhr Robinson fort. Die Chinesen gingen weder auf ihren Vorschlag ein, noch antworteten sie auf andere internationale Appelle, daß einem unabhängigen Gremium, wie etwa dem Komitee für die Rechte des Kindes, erlaubt werde, den Knaben zu besuchen, um sich seines Wohlbefindens und seiner Lebensumstände zu vergewissern.
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5. Einige der tibetischen politischen Gefangenen, auf die wir in dieser Erklärung besonders hinweisen möchten, sind:
· Ngawang Phulchung, 37 Jahre alt, Mönch des Klosters Drepung, der gegenwärtig eine Gefängnisstrafe von 19 Jahren in dem am Stadtrand von Lhasa gelegenen Drapchi Gefängnis verbüßt. Er wurde am 30. November 1989 verurteilt, weil er zur Verbreitung einer tibetischen Übersetzung der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte beigetragen hatte.
· Phuntsok Nyidron, eine 33 Jahre alte Nonne des Klosters Michungri, die am 14. Oktober 1989 verhaftet wurde, weil sie sich auf die Nachricht, daß der Dalai Lama mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde, an einer friedlichen Demonstration in Lhasa mit dem Ruf nach einem Ende der chinesischen Besatzung Tibets beteiligt hatte. Unter der Anklage, Anstifter zu dem Protest gewesen zu sein, wurde sie zu 9 Jahren verurteilt. 1993 war sie auch bei dem Vorfall mit der Tonbandaufnahme im Gefängnis dabei, wofür sie weitere 8 Jahre bekam. Mit insgesamt 17 Jahren ist sie jetzt die weibliche politische Gefangene mit der längsten Haftstrafe in Tibet. Phuntsok Nyidron befindet sich ebenfalls im Drapchi Gefängnis.
· Chemi Dorje, ein 35 Jahre alter Mönch des Klosters Serwa in Pashoed (Chamdo in Osttibet), der am 29. März 1994 verhaftet wurde. Er und vier seiner Mitbrüder wurden wegen angeblicher "konterrevolutionärer Propaganda" verurteilt - Chemi Dorjee und die Mönche Lobsang Jinpa und Lobsang Tsegyal zu 15 Jahren, und die anderen zwei Mönche Jampal Tashi und Lobsang Palden zu 12 Jahren Gefängnis.
· Rinzin Wangyal, ein 55 Jahre alter Arbeiter der Zementfabrik Lhasa, der im August 1995 verhaftet wurde und wegen angeblicher politischer Aktivität gegenwärtig ein Urteil von 20 Jahren in der Strafanstalt Powo Tramo (auch "Gefängnis No. 2 der Autonomen Region Tibet" genannt) verbüßt. Er saß bereits früher, nämlich von 1966 bis 1982, wegen mutmaßlicher Organisierung einer politischen Untergrundbewegung in Tibet im Gefängnis.
· Sechs Tibeter aus dem Distrikt Sog, die wegen politischer Aktivitäten zu Haftstrafen von sieben Jahren bis lebenslänglich verurteilt wurden. Einer Information des in Dharamsala/Indien ansässigen TCHRD zufolge wurden die sechs - Sey Khedup (27), Tenzin Choewang (64), Tsering Lhagon (41), Yeshi Tenzin (33), Trakru Yeshi (45) und Gyurmey (29) - im März 2000 an verschiedenen Orten und zu verschiedenen Zeitpunkten festgenommen. Mitte Dezember wurden sie bei einem öffentlichen Prozeß vor das Mittlere Volksgericht von Nagchu gestellt. Die Anklagen lauteten auf "Unterstützung der Aktivitäten der spalterischen Dalai Clique und Gefährdung der staatlichen Sicherheit". Als Beweismaterial für die gegen sie erhobenen Anklagen legte das Gericht Unabhängigkeitsplakate, hölzerne Druckstöcke und Cassetten mit Reden des Dalai Lama vor.
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6. Ein weiterer beklagenswerter Aspekt der Menschenrechtssituation in Tibet sind die in den letzten Jahren erfolgten Todesfälle tibetischer politischer Gefangener - trotz der Tatsache, daß China die Konvention gegen Folter ratifizierte und das diesbezügliche Komitee sich sehr besorgt über derartige Vorkommnisse in Tibet äußerte.
· Der 29-jährige politische Häftling Sonam Rinchen starb Mitte Januar 2000 im Drapchi Gefängnis. Obwohl die Ursache seines Todes nicht eindeutig feststeht, lassen unbestätigte Berichte schließen, daß er seit 1997 krank war und sich in Behandlung befand. Rinchen, der 1973 in der Khangsar Familie in Gyama, Kreis Meldrogungkar, geboren wurde, schloß sich nach den Massendemonstrationen in Lhasa vom 27. September 1987 der Unabhängigkeitsbewegung an. Im Kreis Meldro fing er an, politische Flugblätter anzukleben und zu verteilen. Im Oktober 1992 verurteilte das Mittlere Volksgericht von Lhasa Sonam Rinchen und seine Mitstreiter nach dem § 102 des Strafgesetzes der PRC: Rinchen, Yeshi und Lhundrup zu je 15 Jahren Gefängnis und 5 Jahren Entzug der politischen Rechte, Kunchok Lodroe und Sonam Dorjee zu je 13 Jahren. Alle fünf wurden in das Drapchi Gefängnis verlegt, wo die überlebenden vier weiterhin ihre Strafe verbüßen.
· Sholpa Dawa, ein 60-jähriger Schneider aus Lhasa, starb am 19. November 2000. Nur wenige Tage zuvor soll er in ein Krankenhaus außerhalb des Gefängniskomplexes eingeliefert worden sein. Die genaue Todesursache ist nicht bekannt, und wie es heißt, wurde sein Leib der Familie auch nicht für die Bestattungsriten ausgehändigt. Sholpa ging zuerst dem Bauhandwerk nach und ließ sich später als privater Schneider nieder, ehe er am 29. September 1981 wegen angeblichen Verteilens von Pamphleten über tibetische Unabhängigkeit festgenommen wurde. Er wurde zu 2 Jahren Haft und einem Jahr Verlust der politischen Rechte verurteilt. 6 Monate saß er in der Gutsa Haftanstalt und anderthalb Jahre im Sangyip Gefängnis. Nach seiner dritten Festnahme wurde Sholpa zusammen mit seinem Gefährten Topgyal am 8. August 1996 verurteilt: "Nach gründlicher Untersuchung stellte sich heraus, daß der Angeklagte [Sholpa Dawa] Dhondup Dorje und Rato Dawa aufgetragen hatte, eine Liste von politischen Gefangenen - sowohl von bereits entlassenen als auch von noch in Haft befindlichen - zusammenzustellen. Darüber hinaus fertigte der Angeklagte Topgyal im Juli 1993 drei reaktionäre Dokumente an, die er Sholpa Dawa gab, der sie wiederum an die Dalai Clique weiterreichte".
· Die 28-jährige tibetische Nonne Ngawang Lochoe starb am 5. Februar 2001 im Drapchi Gefängnis - nur ein Jahr vor dem Ende ihrer 10-jährigen Haftstrafe. Ngawang Lochoe wurde zusammen mit fünf anderen Nonnen, alle aus dem Kloster Nyen, wegen Teilnahme an einer friedlichen Demonstration in Lhasa am 14. Mai 1992 verhaftet. Sie wurden der "Anstiftung zu konterrevolutionärer Aktivität und Propaganda" angeklagt, und die damals 19-jährige Lochoe wurde zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt. Sieben Monate zuvor wurden Lochoe und ihre Gefährtinnen in der Gutsa Haftanstalt brutal vernommen und unmenschlich gequält. Im Drapchi Gefängnis war Lochoe ebenfalls eine der 13 Nonnen, welche im Juni 1993 auf einem hereingeschmuggelten Tonband Lieder und Botschaften an ihre Angehörigen und Freunde aufnahmen. Als die Gefängnisleitung ihr heimliches Tun entdeckte, wurden sie mit Haftverlängerungen bestraft. Lochoes Urteil wurde um 5 auf 10 Jahre erhöht.
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7. Am 2. Dezember 2002 wurde ein prominenter und hoch geachteter tibetischer Lama, Tulku Tenzin Delek, und sein Gefolgsmann Lobsang Dhondup bei einem PrSozeß vor dem Mittleren Volkesgericht in Kandze in der TAP Kandze in der Provinz Sichuan zum Tode verurteilt. Die beiden wurden der angeblichen Beteiligung an einem Sprengstoffattentat am 3. April auf dem Hauptplatz (Tianfu) von Chengdu angeklagt, bei dem mehrere Personen verletzt worden sein sollen. Eine weitere Anklage lautete auf "spalterische Aktivitäten".
Tulku Tenzin Delek ("Tulku" ist ein buddhistischer Ehrentitel für einen reinkarnierten Lama) ist ein hoch angesehener buddhistischer Lehrmeister aus dem Distrikt Lithang. Er wurde in der Nacht des 7. April 2002 zusammen mit Lobsang Dhondup und drei weiteren Gehilfen verhaftet und acht Monate lang, bis zu dem Tag der Gerichtsverhandlung, ohne Verbindung zur Außenwelt gehalten. Samdhong Rinpoche, der Premier der Tibetischen Regierung-im-Exil, ersuchte die internationale Gemeinschaft, "in dieser Sache zu intervenieren und die chinesische Regierung aufzufordern, die Vollstreckung des Urteils auszusetzen und diesen zwei Tibetern einen fairen Prozeß zukommen zu lassen, so wie er von der chinesischen Verfassung garantiert wird".
Zum Entsetzen der Weltöffentlichkeit richteten die chinesischen Behörden am 26. Januar 2003 unter Ignorierung wiederholter Appelle der internationalen Gemeinschaft, darunter auch des Hochkommissars für Menschenrechte und der themenbezogenen Unterausschüsse der Menschenrechtskommission, Lobsang Dhondup im Schnellverfahren hin.
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8. Die IFOR ruft die Menschenrechtskommission auf, bei ihrer Beurteilung der Lage in China die dargelegten Fakten hinsichtlich der steten Verschlechterung der Menschenrechte in Tibet in Betracht zu ziehen. Die Kommission sollte die chinesische Regierung auffordern, unverzüglich ernsthafte und plausible Verhandlungen mit Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama oder seinen Vertretern einzuleiten, um eine Lösung für die schon so lange anstehende sino-tibetische Frage zu finden.
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