27. April 2001

Presseerklärung Seiner Heiligkeit des 17. Karmapa Ogyen Trinley Dorjee

Gyuto Ramoche Tantric University, Sidbhari, Dt. Kangra, HP, Indien

"Am 28. Dezember 1999 flohen mein rangältester Betreuer und ich aus meinem Kloster in Tibet nach Indien, um Asyl zu suchen. Die Entscheidung, mein Heimatland, mein Kloster, meine Mönche, meine Eltern, meine Familie und das tibetische Volk zu verlassen, war ganz alleine meine eigene: Niemand hatte mir zu gehen oder zu kommen befohlen. Ich verließ allgemein gesehen mein Land, um die Lehren Buddhas zu vermitteln, und im besonderen, um die hervorragenden Ermächtigungen, Übertragungen und Belehrungen meiner eigenen Karma Kagyu Überlieferung zu erhalten. Diese konnten mir nur die Hauptschüler des vorhergehenden Karmapa, Situ Rinpoche und Gyaltsab Rinpoche, die mir als Lehrer bestimmt waren und die in Indien wohnen, weitergeben.

In der Presse gab es allerlei Berichte über meine Flucht, weshalb ich schlicht und kurz die Wahrheit über meine Reise darlegen möchte. Unter großer Geheimhaltung schmiedeten meine Begleiter und ich unsere Pläne, wobei wir uns verschiedener Geschichten bedienten, um unsere wahren Aktivitäten zu verschleiern. Als die Vorbereitungen beendet waren, verkündete ich beispielsweise, ich würde mich in eine traditionelle, strenge Klausur begeben und einige Tage nicht erscheinen. Diese Geschichte wirkte und verhinderte, daß wir gleich von Anfang an verfolgt wurden.

Am 28. Dezember, um etwa 22.30 Uhr, kletterten mein Betreuer und ich langsam aus meinem Zimmer heraus und sprangen auf das Dach des Schreins des Beschützers Mahakala. Von diesem Gebäude aus machten wir einen Satz auf den Boden, wo in der Nähe ein Jeep mit Lama Tsultrim und einem Fahrer wartete. Wir starteten sofort. Die Kunde war verbreitet worden, Lama Tsultrim würde mit seinen Begleitern auf eine Reise gehen. Als ob sie die notwendigen Vorbereitungen dafür treffen würden, fuhren sie tagsüber mehrmals aus dem Kloster ein und aus, weshalb alle von ihrem Vorhaben wußten und wir leicht wegfahren konnten. Gewöhnlich war das Kloster streng bewacht, aber rund um die Uhr waren die Wachposten nicht stationiert, und außerdem fuhren wird über eine Seitenstraße hinaus.

Nach einer Weile stießen an einem festgelegten Ort Lama Tsewang und ein weiterer Fahrer zu uns. Wir beschlossen, direkt nach Westtibet zu fahren, weil nur wenige Reisende diese Route benutzen und die Kontrollpunkte nicht so streng besetzt sind. Wir fuhren Tag und Nacht und hielten nur an, um die Fahrer zu wechseln. Indem wir oft auf Seitenstraßen über Hügel und durch Täler fuhren, umgingen wir Checkpoints und zwei Militärlager. Dank der Kraft meiner Gebete zu Buddha und dank seines Erbarmens wurden wir nicht entdeckt und erreichten früh morgens am 30. Dezember 1999 Mustang in Nepal. Wir setzten unsere Reise zu Pferd und zu Fuß fort, überwanden mehrere Pässe und erreichten schließlich wie geplant Manang. Dieser Teil der Reise war äußerst schwierig und anstrengend wegen der schlechten und oft gefährlichen Wege und des eiskalten Wetters. Ich war müde und fühlte mich nicht so gesund, doch trotz dieser Schwierigkeiten war ich voll entschlossen, mein Ziel zu erreichen.

In Manang half uns ein enger Freund Lama Tsewang Tashis, einen Helikopter zu chartern. Wir landeten an einem Ort namens Nagarkot in Nepal und fuhren dann im Auto nach Rauxal. Von dort fuhren wir mit der Eisenbahn nach Lucknow, setzten dann unsere Reise in einem Mietauto nach Delhi fort und kamen schließlich am Morgen des 5. Januar 2000 in Dharamsala an. Ich begab mich sofort zu Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, der Verkörperung des Mitgefühls selber, der mich mit seiner großen Liebe und Zuneigung empfing. Meine Freude war grenzenlos...

Seit der Zeit, als ich hier ankam, ließ mir der Dalai Lama seine kontinuierliche und großzügige Hilfe zuteil werden. Gemäß seinem Wunsch arrangierte das Amt für Religion und Kultur der tibetischen Regierung-im-Exil vorübergehend meinen Aufenthalt in der Tantrischen Universität Gyuto Ramoche. Situ Rinpoche, Gyaltsap Rinpoche und andere hohe Kagyu Lamas sowie reinkarnierte Lamas und Vertreter der anderen Traditionen des tibetischen Buddhismus suchten mich auf und zeigten sich besorgt um mein Wohlergehen. Das machte mich sehr glücklich.

In Verfolgung des Zieles meiner Flucht aus Tibet erhalte ich nun von Situ Rinpoche und Gyaltsab Rinpoche alle Ermächtigungen und Übertragungen der Kagyu Traditionslinie, die unter den gegenwärtigen Umständen möglich sind. Kyabje Thrangu Rinpoche und andere Kagyu Lehrmeister geben mir Unterricht in den Abhandlungen der buddhistischen Philosophie. Auf diese Weise bereite ich mich auf mein Lebenswerk vor: Buddhismus zu studieren und zu lehren, um Mitgefühl und Weisheit in den Herzen aller Wesen zu mehren.

1959 sah sich auch meine vorherige Inkarnation, S.H. der 16. Karmapa Rangjung Rigpe Dorje, gezwungen, aus Tibet zu fliehen und in Indien Zuflucht zu suchen. Er ließ sich in Sikkim nieder und mit Unterstützung der indischen Zentralregierung und der Regierung des Unionsstaates Sikkim konnte er das Dharmachakra Zentrum, das Kloster Rumtek aufbauen, das die Basis für seine weltweite Aktivität wurde. Überall war es berühmt und angesehen als der Hauptsitz der Karma Kagyu Linie. Deshalb halten es S.H. der Dalai Lama, die tibetische Regierung-im-Exil, das über die ganze Welt verstreute tibetische Volk und die buddhistische Gemeinschaft Indiens, sowie fast alle Kagyu Lamas und Mitglieder ihrer Dharma Zentren für äußerst wichtig, daß ich meinen Hauptsitz in Rumtek einnehme. Sie richteten wiederholt Bitten an die indische Regierung, mich ziehen zu lassen. Nach Rumtek zu gehen, wäre von meiner Sicht aus wie eine Rückkehr nach Hause und Fortsetzung des Werkes meines Vorgängers. Deshalb lege ich so großen Wert darauf.

Ich bin voller Zuversicht, dorthin gehen zu können, denn Sikkim ist ja ein Unionsstaat Indiens. Ich bin auch zuversichtlich, daß ich ebenso wie mein Vorgänger ins Ausland werde reisen können, um meine zahlreichen Anhänger zu treffen und ihren spirituellen Bedürfnissen entgegenzukommen. Mit dieser Absicht im Sinne stellte ich einen Antrag bei den zuständigen Behörden.

Ich bin insbesondere Seiner Heiligkeit dem Dalai Lama, der tibetischen Regierung-im-Exil, sowie dem Volk und der Regierung Indiens, die sich alle sehr gütig und großzügig erwiesen, um meinen Aufenthalt in Indien möglich zu machen, zu Dank verpflichtet. Mit Anerkennung und großer Hochachtung entbiete ich ihnen meinen Dank.

In der Vergangenheit hielten sich die Gyalwa Karmapas von der Politik fern, und ich kann nichts anderes tun, als in ihren Fußstapfen zu folgen. Was den zukünftigen Weg Tibets und des tibetischen Volkes betrifft, respektiere und unterstütze ich voll und ganz alles, wofür Seine Heiligkeit, der XIV. Dalai Lama eintritt. Als eine Verkörperung von allumfassender Liebe, Erbarmen und Gewaltlosigkeit ist er das Oberhaupt Tibets und ein Anwalt für Weltfrieden und Menschenrechte.

Unlängst richteten S.H. der Dalai Lama und meine Anhänger in Sikkim und dem übrigen Indien, welchen sich buddhistische Zentren und Schüler im Ausland anschlossen, ernste und wiederholte Bitten an den Premierminister, den Innenminister und den Außenminister Indiens, mir und meinen Begleitern Flüchtlingsstatus zu geben. Nach gebührender Überlegung beschloß die indische Regierung, uns diesen Status zu gewähren.

Mit diesem neuen Status konnte ich eine fünfwöchige Pilgerfahrt unternehmen, in deren Verlauf ich wichtige Stätten des Buddhismus in dem heiligen Land Indiens besuchte. An diesen Orten gab ich Einweihungen und erteilte Segen gemäß den Wünschen zahlreicher von nah und fern gekommener Schüler.

Heute haben sich viele Medienvertreter aus Ost und West hier zu dieser Pressekonferenz eingefunden. Ich betrachte es als ein besonderes Ereignis, jedem einzelnen von Ihnen zu danken. Ich halte es für wichtig, daß die Welt die wahre Geschichte und den tatsächlichen Zweck meines Kommens erfährt. Bisher war dies wegen Umständen, über die ich keine Gewalt hatte, nicht möglich gewesen. Ich hoffe, daß Sie nach dieser Pressekonferenz aufrichtig dazu beitragen werden, daß jedermann die Wahrheit weiß. Tashi Delek."