Bericht von Agya Rinpoche während einer Anhörung zur Religionsfreiheit in Chinaveranstaltet vom Komitee für Internationale Religionsfreiheit in Los Angeles im März 2000Agya Rinpoche, Abt des berühmten Klosters Kumbum, war eine der führenden und einflußreichsten Persönlichkeiten in Tibet, bis er 1998 fliehen mußte, aus Gründen, die er hier zum ersten Mal öffentlich darlegt. Agya Rinpoche (49) lebt heute in den USA, wo er vor kurzem Asyl erhalten hat. |
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Liebe Mitglieder des Komitees, Ich freue mich, Ihrer Bitte nach Informationen über die religiöse Freiheit in China nachkommen zu dürfen. Seit ich Tibet verlassen habe und in den USA lebe, ist es das erste Mal, daß ich öffentlich über Tibet unter chinesischer Herrschaft spreche. Mein Name ist Ajia Lousang Juimai Gyatso. Ich bin der Abt des Klosters Kumbum, eines der wichtigsten Klöster in Tibet. Zusätzlich zu meiner Funktion als Abt hatte ich viele politische Positionen auf zentraler und lokaler Ebene inne. Als ich 1998 aus Tibet floh, umfaßten diese politischen Aufgaben: Mitglied des Komitees des CPPCC, Chinese Poeple's Political Consultive Conference, stellvertretender Vorsitzender der Qinghai People's Political Consultative Conference, Vizepräsident der Chinese Buddhist Association, Präsident der Qinghai Buddhist Association, stellvertretender Vorsitzender der Chinese Young Man League und Vizepräsident der Qinghai Young Man League. Zur Zeit, als ich Tibet verließ, stand meine Ernennung für höhere politische Positionen bevor. Ich möchte Ihnen gerne erklären, warum ich Tibet verlassen habe. Ich möchte damit beginnen, Ihnen zu erklären, wie ich der Abt des Klosters Kumbum wurde. Als ich noch ein sehr kleines Kind war und mit meiner Familie in unserem mongolischen Nomadenstamm lebte, wurde ich als die Reinkarnation eines hoch verehrten Lamas der Gelugpa bzw. Gelbmützensekte des Tibetischen Buddhismus erkannt. Das ist dieselbe Sekte, zu der auch unsere geistigen Führer Seine Heiligkeit der Dalai Lama und der Panchen Lama gehören. Das Kloster Kumbum ist der Geburtsort des Gründers des Gelugpa Buddhismus und es ist ein sehr großes und berühmtes Kloster. Ich bin die 21. Reinkarnation des ersten Abtes des Kumbum Klosters. Nach dem Tod des 20. Abtes wurde mit der Suche nach seiner Reinkarnation begonnen. Nachdem ich gefunden und erkannt worden war, wurde ich in das Kumbum Kloster gebracht und lebte dort ein Leben des Studiums und der geistigen Schulung, um mich auf meine Rolle als ein wichtiger Führer innerhalb des Tibetischen Buddhismus vorzubereiten. All das brach ab, als ich etwa acht Jahre alt war, ein kleiner Junge, der im Kloster lernte. Im Jahre 1949 erklärte die chinesische Regierung Tibet zu einem Teil Chinas und startete eine Kampgane zur "Befreiung" Tibets. Diese angeblich "friedliche" Revolution verlief bis 1958 tatsächlich vergleichsweise friedlich. Mit der Einführung der sogenannten "demokratischen Reform" im Jahre 1958 änderte sich dies jedoch grundlegend. Sämtliche Klöster wurden geschlossen und ihre Schätze wurden gestohlen und zerstört. Hohe Lamas und Führer wurden ins Gefängnis geworfen und manchmal gefoltert. Mönche wurden gezwungen zu heiraten und ein "produktives" Leben zu führen. Überall wurde ein Massenaufgebot von Militärs zur Einschüchterung und Unterdrückung eingesetzt. In Qinghai, in der Provinz, in der das Kumbum Kloster liegt, wurden unschuldige Hirten, Frauen und Kinder massakriert. Die tausenden von Angehörigen meines eigenen Familienstammes wurden mit Gewehren aus ihrem angestammten Heimatland vertrieben und wanderten hunderte von Kilometern in ein entlegenes unfruchtbares Gebiet. Viele Menschen litten Hunger. Hunderttausende Tibeter starben infolge dieser offiziellen Maßnahmen. Unter ihnen befanden sich auch mein eigener Vater und andere Angehörige meiner Familie. Während des folgenden Jahres hielt diese "friedliche Revolution" Einzug in Zentraltibet und unser geistiger Führer, der Dalai Lama, war gezwungen, das Land durch Flucht zu verlassen. Seither lebt er im Exil in Indien. Eines Tages im Jahre 1958 mußten alle Mönche im Kumbum Kloster an einer Versammlung teilnehmen. Die chinesischen Kader und Mitglieder der Chinesischen Volksbefreiungsarmee bedrohten unsere Mönche mit Gewehren und Schlagstöcken und begannen dann, auf die Menge von versammelten Chinesen einzuschreien und sie aufzuhetzen. Etwa 500 Mönche wurden auf der Stelle verhaftet. Am selben Tag wurden mein Lehrer, mein Hausdiener und alle anderen Bewohner im Haus verhaftet und mein Heim wurde zu einer "Kantine der Kategorie Eins" umfunktioniert. Das Eigentum des Klosters gehört den Buddhisten in Tibet, es wurde aber von den kommunistischen Chinesen konfisziert. Ich selbst wurde vom Kloster aus zurück nach Hause gefahren, um mich selbst zu versorgen. Im Alter von acht Jahren erwartete man von mir, voll und ganz für mich selbst zu sorgen. Glücklicherweise nahm mich ein alter Mönch aus unserem Kloster als sein Pflegekind auf. Da ich der junge Abt dieses wichtigen Klosters war, wurde ich das jüngste "Reform-Projekt". Ich wurde gezwungen, die chinesische Schule vor Ort zu besuchen. Meine geweihten Roben waren nun ein illegales Kleidungsstück und wurden in Stücke zerschnitten, um den Stoff für meine Schuluniform abzugeben. Ich war sehr verängstigt, so abrupt aus der Welt meines Klosters herausgerissen zu werden und einer solch harten Behandlung ausgesetzt zu sein. Heute weiß ich, daß in dieser Zeit der Repression, die über mehrere Jahre andauerte, die mehr als 600 Klöster auf weniger als 10 reduziert wurden. Hunger, Hungersnot und Tod waren überall. In den frühen 60er Jahren gab es ein paar Jahre, in denen die gewaltsame Repression gelockert wurde und in der ich religiösen Studien nachgehen durfte. Doch 1966, während der Kulturrevolution von Mao Zeidong, wurde die tibetische Kultur überall in China und Tibet völlig unterdrückt. Nahezu alle der verbliebenen Klöster wurden zerstört, die Schriften wurden verbrannt und unsere Objekte der Verehrung zerschlagen. Mönche wurden gezwungen, das Leben von Laien zu führen, zu heiraten und ihre Zölibatsgelübde zu brechen. In dieser Zeit, im Alter von 14 bis 30, mußte ich als Zwangsarbeiter auf den Feldern nahe bei Kumbum arbeiten, unter sehr harten Bedingungen. Andere Mönche und ich wurden gezwungen, Dinge gegen unseren Willen zu tun und Dinge zu sagen, die wir nicht glaubten. Nach 1980 verbesserte sich die Situation glücklicherweise. Auch wenn es keinerlei religiöse Freiheit gab, ließ doch die Gewalt gegenüber unserem Volk nach. Zum ersten Mal nach der Flucht des Dalai Lama aus Tibet wurde es einer Gruppe von Abgeordneten der Tibetischen Exilregierung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama erlaubt, Tibet einen offiziellen Besuch abzustatten. Der Panchen Lama und viele weitere Gefangene wurden entlassen, einige Klöster wurden wieder geöffnet und einige Mönchen erhielten die Erlaubnis, sich wieder ihrer religiösen Praxis zuzuwenden. Unser Kloster erhielt eine ansehnliche finanzielle Unterstützung von der Regierung zu seiner Renovierung. In unserem Land und überall auf der Welt waren die Tibeter erleichtert und hofften auf weitere Verbesserungen. Ich war für die Veränderung sehr dankbar, obwohl ich mir der Kontrolle, die die Chinesen weiterhin über mich und sämtliche Klöster und die religiösen Praktiken ausübten, sehr bewußt war. In den letzten Jahren nun hat die Religionspolitik der Chinesen in einigen Gegenden Tibets die Angst geschürt, unser Land würde zu den schrecklichen Jahren der Kulturrevolution zurückkehren. 1998 zum Beispiel wurde unser Kloster per Gesetz gezwungen, Sozialismus zu lehren. Damit verbunden war, daß chinesische Beamte in unserem Kloster wohnten und den Mönchen politischen Unterricht erteilten. Was schlimmer war: wir wurden gezwungen, Seine Heiligkeit den Dalai Lama zu verleugnen. Ich erhielt die Anordnung, mein gesamtes Kloster zu dieser Denunziation aufzufordern. Das war außerordentlich schwierig, denn in unserer Religion gilt das Kritisieren unseres geistigen Führers als Sünde. Wenn sich die Politik auf diese Weise einschalten würde, dann, das wußte ich, konnte ich nicht länger ein vertrauenswürdiger Führer für die Mönche unseres Klosters sein. Wenn ich den Anordnungen der Chinesen gehorchen wollte, um mein Kloster zu erhalten, dann konnte ich den eigentlichen Überzeugungen, für die das Kloster stand, nicht mehr treu bleiben. An dieser Stelle möchte ich auf ein sehr wichtiges Element in Chinas Politik bezüglich der steht, daß alle Menschen das Recht auf die freie Wahl ihrer Religion haben. Doch im Unterschied zu anderen Bestimmungen in der chinesischen Verfassung, für die es Gesetze gibt, die die Einhaltung der in der Verfassung zugesicherten Rechte garantieren, gibt es keinerlei Gesetze, um das Recht auf diese sogenannte Religionsfreiheit zu schützen. Weil es dafür kein Gesetz gibt, können die Politiker diktieren was immer ihnen gefällt, denn für den Fall, daß die Religionsfreiheit mißachtet wird, gibt es keine Stelle, wo man dagegen Einspruch erheben kann. Die Politiker sind "die Füchse, die das Hühnerhaus Religionsfreiheit bewachen". Manchmal werden bestimmte Praktiken zugelassen, doch dann erfolgt ein Wechsel in der Politik und dieselbe Praxis wird verboten und zu einer strafbaren Handlung, ohne daß sich dies irgendwie anfechten ließe. Diese äußerst schwierige Atmosphäre der Unsicherheit war einer der Faktoren, die mich dazu zwangen, mein Land zu verlassen. Es ist mein dringender Wunsch, daß China ein Gesetz erläßt, welches die Religionsfreiheit gemäß der Verfassung schützt. Mein persönlicher Konflikt verschärfte sich 1989, als der Panchen Lama starb und die Suche nach seiner nächsten Reinkarnation begann. Der Panchen Lama ist nach dem Dalai Lama der wichtigste spirituelle Führer im Tibetischen Buddhismus. Alle Tibeter erwarteten gespannt die Ernennung seines Nachfolgers. Wir hofften, daß er dieselben Qualitäten wie der vorherige Panchen Lama haben würde, der sich sehr für den Erhalt unserer Religion eingesetzt hat und sich der chinesischen Regierung gegenüber offen äußerte. Ich war Teil des "Komitees", das von der chinesischen Regierung für die Suche nach der Reinkarnation des Panchen Lama aufgestellt worden war. Historisch ist es ein wichtiger Teil unserer Tradition, daß die Reinkarnation des Panchen Lama vom Dalai Lama gewählt wird und daß umgekehrt die Reinkarnation des Dalai Lama vom Panchen Lama ausgewählt wird. Jaya Rinpoche, der Lehrer des verstorbenen Panchen Lamas, bat die chinesische Regierung um die Erlaubnis, bei der Suche nach der Reinkarnation des Panchen Lama behilflich zu sein. Er bat außerdem darum, daß sich das Suchteam mit dem Dalai Lama in Verbindung setzen dürfe, damit die Anerkennung der neuen Reinkarnation gemäß dem Willen des tibetischen Volkes verlaufen würde. Die Regierung erwiderte, daß allen Bitten von Jaya Rinpoche entsprochen werden würde, und das Suchkomitee wurde gebildet. Doch ein Jahr nach dem anderen verging, ohne daß die Regierung irgendetwas unternommen hätte. Das Komitee durfte nur auf Anordnung der Regierung agieren, da es kein religiöses Komitee, war, sondern der Regierung unterstand. Jaya Rinpoche starb. Chadrel Rinpoche, amtierender Abt des Tashi Lhunpo Klosters bei Lhasa, übernahm den Vorsitz des Komitees. Im Jahre 1995 erhielt das Komitee den Befehl, unverzüglich nach Peking zu kommen, es gäbe schwerwiegende Vorwürfe zu besprechen: eines der Komiteemitglieder, Chadrel Rinpoche, wurde von der Regierung des Verrats beschuldigt, weil dieser sich wegen der Wahl des reinkarnierten Panchen Lama an den Dalai Lama gewandt hatte. Obwohl wir alle die Regierung dahingehend verstanden hatten, daß dem Komitee die Erlaubnis zur Besprechung mit dem Dalai Lama erteilt worden war, befahl man uns, uns zu versammeln und Chadrel Rinpoche zu kritisieren und so die Regierung dabei zu unterstützen, ihn ins Gefängnis zu werfen. Man befahl uns auch, den vom Dalai Lama ernannten Panchen Lama zu denunzieren und einen neuen Kandidaten auszuwählen. In diesem Moment konnte ich nicht schweigen. Ich mißachtete diese Anordnung und bat die Regierung, Chadrel Rinpoche freizulassen und den Kandidaten des Dalai Lama anzuerkennen. Daraufhin wurde ich bedroht und man sagte mir, ich solle unauffällig in meinen Bezirk zurückkehren und meine Loyalität mit der chinesischen Regierung unter Beweis stellen. Später wurden dann alle Mitglieder des Komitees inklusive meiner selbst nach Lhasa befohlen, um der Zeremonie der Goldenen Urne beizuwohnen, mit welcher auf Regierungsbeschluß hin die Reinkarnation des Panchen Lama gewählt werden sollte. Ich wollte nicht gehen, weil ich an diese von der chinesischen Regierung angeführte Prozedur zur Wahl der Reinkarnation nicht glaubte. Unter denjenigen, die in den Vorgang involviert waren, war allgemein bekannt, daß die Wahl von Gyaltsen Norbu zum reinkarnierten Panchen Lama von den chinesischen Behörden schon vorher beschlossen worden war - aus welchen Gründen auch immer. Als der Zeitpunkt gekommen war, lag ich krank in einem Hospital. Dessen ungeachtet zwang man mich, das Krankenhaus zu verlassen und gegen meinen Willen in Lhasa zu erscheinen. Daraufhin bat ich um meine Entlassung aus dem Komitee, was aber abgelehnt wurde. Wäre ich in Tibet geblieben, wäre ich gezwungen gewesen, den Dalai Lama und meine Religion zu verleugnen und der chinesischen Regierung zu dienen. Das aber hätte bedeutet, auch an Maßnahmen der chinesischen Regierung teilzuhaben, die sich gegen meine Religion und meine persönlichen Überzeugungen richten. Als Abt des Klosters Kumbum wäre ich gezwungen gewesen, der Regierung meine Hilfe zukommen zu lassen, damit ihre Wahl des Panchen Lama im tibetischen Volk Anerkennung findet. Das wäre gegen meine tiefsten Überzeugungen gewesen. Das war der Punkt, an dem ich wußte, daß ich mein Land verlassen mußte. So folgte ich schließlich dem Ratschlag meines Lehrers. Er hatte mir empfohlen, daß ich mit 50 Jahren die Politik aufgeben und mich ganz meinen religiösen Studien widmen solle. Der einzig mögliche Weg, diesem Rat nachzukommen, bestand darin, dem zu entfliehen, was zu einer nahezu vollständigen Kontrolle meines Lebens durch die Chinesen geworden war. Zusammenfassend gesagt: als ich ein kleiner Junge war, lebte ich ein einsames Leben, denn meine Lehrer und Begleiter waren im Gefängnis und unser Kloster war geschlossen. Als junger Mann leistete ich harte Arbeit als Zwangsarbeiter auf den Feldern und es war mir untersagt, meiner Berufung als Mönch zu folgen. Als älterer Mann war ich trotz der Macht und der Vorteile, die ich durch meine Position bei der chinesischen Regierung besaß, gezwungen, Dinge zu tun und zu sagen, die in meinem Geist große Schmerzen verursachten. Ich habe diese Dinge eine Zeitlang getan, weil ich darin die einzige Möglichkeit sah, unserem Volk zu dienen und unsere Tradition zu bewahren. Doch unser Volk leidet, weil ihm die echte Freiheit fehlt, seine Religion zu praktizieren und seiner Tradition gemäß zu leben. Unter diesen Umständen konnte ich nicht bleiben. Ich mußte Tibet verlassen. Wie Sie von den jüngsten Ereignissen her wissen, die die internationale Aufmerksamkeit erneut auf Tibet gelenkt haben, bin ich über die möglichen Folgen meiner Rede hier in Amerika besorgt. Die anderen Mönche und meine engen Bekannten in meinem Land genießen nicht dieselben Rechte und Freiheiten wie hier in den USA. Natürlich ist es mein Wunsch, daß die chinesische Regierung in Tibet echte Religionsfreiheit erlaubt. Ich bete dafür, daß Seine Heiligkeit der Dalai Lama zum Wohle sowohl des chinesischen wie auch des tibetischen Volkes in unser Land zurückkehren kann. Ich bete dafür, Wege zu finden, um meinem Volk dabei zu helfen, diese Religionsfreiheit zu bekommen. Meine Aussage heute ist die erste öffentliche Stellungnahme seit ich Tibet verlassen habe. Ich habe diese Einladung angenommen, weil es Zeit ist für mich, die Wahrheit über meine Geschichte zu erzählen, damit ich Möglichkeiten habe zu helfen, die mir hier in Amerika zur Verfügung stehen. Ich danke Ihnen sehr herzlich. |