1. Mai 2008

Tibetan Solidarity Committee / Tibetisches Solidaritätskomitee

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Pressemitteilung

Wir missbilligen die jüngsten Prozesse der chinesischen Regierung

Am 29. April veröffentlichte die Nachrichtenagentur Xinhua zwei unterschiedliche Berichte über die vom Mittleren Volksgericht Lhasa über einige Tibeter verhängten Urteile. Laut dem ersten Bericht wurden die Fälle von 17 Tibetern verhandelt. Am 30. April berichtete Xinhua noch einmal von der Verurteilung von 30 Tibetern durch das gleiche Gericht.

Der Bericht besagt, der Tibeter Pasang und 29 weitere seien der Störung der öffentlichen Ordnung, der Brandstiftung, der Plünderung, der Zerstörung örtlicher Regierungsbüros und des Angriffs auf die Polizei für schuldig befunden worden. Die über sie verhängten Haftstrafen, die von drei Jahren bis zu lebenslänglich reichen, sind außergewöhnlich hart und stehen in keinem Verhältnis zu den ihnen angelasteten Verbrechen.

Schließlich kam es zu dieser Welle von Protesten nur deshalb, weil die chinesische Regierung die fundamentalen Rechte der Tibeter auf Meinungsfreiheit, Religionsfreiheit und auf Selbstbestimmung systematisch unterdrückt. Diese lang andauernde und unerträgliche Repression trieb die Tibeter zu spontanen friedlichen Protesten - und nicht, wie das Gericht behauptete, zu Mord und Plünderung. Eine derart harte Bestrafung der friedlichen tibetischen Demonstranten ist vollkommen ungerechtfertigt.

Das Gericht bezog sich in seiner Urteilsbegründung ausschließlich auf die Ereignisse vom 14. März in Lhasa. Einige der verurteilten Tibeter wurden jedoch in Phenpo Lhundup und Toelung Dechen wegen ihrer Teilnahme an dortigen friedlichen Protesten festgenommen, was mit den Ereignissen in Lhasa am 14. März gar nichts zu tun hat.

Die beiden Xinhua-Berichte sind auch widersprüchlich insofern, als der eine von 200 im Gerichtssaal anwesenden Personen sprach, während der andere die Zahl der Prozeßzuschauer mit 300 bezifferte. Aus dem Foto des sogenannten „öffentlichen Prozesses“ kann man klar erkennen, daß er in Szene gesetzt war. Das Gericht sprach das Urteil gegen die 30 Angeklagten an einem einzigen Tag, ohne daß sie die Möglichkeit zur Verteidigung hatten.

Noch ehe die friedlichen Proteste überhaupt durch die chinesischen Behörden untersucht wurden, warf die chinesische Regierung der "Dalai Clique" bereits vor, die „Unruhen ausgeheckt, angezettelt und angefacht“ zu haben und befahl allen Kadern, die „Natur der Ereignisse zu durchschauen und geeint in ihrer Meinung zu sein“.

Der Parteisekretär der TAR, Zhang Qingli, hatte auf einer geschlossenen Sitzung vor Mitgliedern der kommunistischen Partei und hohen Funktionären gefordert: "Wir müssen die frenetischen Aktivitäten des Feindes beenden, indem wir diese terroristischen und separatistischen Elemente, die für die Schlägereien, Zerstörungen, Plünderungen und Brandstiftungen in Lhasa verantwortlich sind, schnell verhaften und zügig verurteilen. Nachdem wir gebührend ermittelt haben, müssen wir ohne Mitleid sofort schwere Strafen verhängen". Dieser Aufforderung folgend wurden die Verfahren derart beschleunigt, daß die Verurteilung binnen eineinhalb Monaten erfolgte.

Das Gerichtsverfahren war nicht transparent und es fehlte eine ordentliche Verteidigung; nicht einmal die chinesischen Anwälte, die angeboten hatten, die inhaftierten Tibeter zu verteidigen, wurden zugelassen.

In dem beschleunigten Verfahren gab es keine Zeit für eine angemessene Anhörung, und das Strafmaß liegt weit über den üblichen Normen. Die Tatsache, daß die Natur des Verbrechens bereits beschlossene Sache war, bevor die Fälle überhaupt untersucht wurden, macht deutlich, daß die üblichen Rechtsstandards, die einen gerechten und fairen Prozeß gewährleistet hätten, nicht respektiert wurden. Wir, das tibetische Volk, mißbilligen dieses widerrechtliche Verfahren und betrachten die verhängten Strafen als unfair und ungerecht.

Dieses Verfahren verstößt sogar gegen Chinas eigenes Strafrechtsgesetze. Der Artikel 32 des Kapitels IV der Strafprozeßordnung der Volksrepublik China lautet nämlich: "Zusätzlich zu seinem Recht, sich zu verteidigen, kann ein Verdächtiger oder Angeklagter eine oder zwei Personen zu seiner Verteidigung heranziehen." Den 30 Tibetern wurde diese Möglichkeit jedoch nicht gewährt. In ähnlicher Weise heißt es in Artikel 12 des ersten Kapitels: "Niemand wird für schuldig befunden, der nicht in Übereinstimmung mit dem geltenden Recht von einem Volksgericht verurteilt wurde" und im Artikel 163 des zweiten Kapitels steht: "In jedem Fall werden alle Urteile öffentlich verkündet." Doch das Schicksal der Tibeter, die an den friedlichen Protesten teilgenommen hatten, war bereits vor dem Prozeß beschlossene Sache. Außer der Urteilsverkündung des Gerichtes vor einer ausgewählten Zuhörerschaft, bestehend aus Regierungsbeamten und Kadern, wurden keine der üblichen Rechtsnormen befolgt, oder falls sie befolgt worden sein sollten, waren sie völlig undurchsichtig.

Wir fordern deshalb die chinesische Regierung dazu auf, diese Fälle neu zu überprüfen und bei einem Wiederaufnahmeverfahren die Prinzipien von Freiheit und Gerechtigkeit zu achten. Wir fordern die chinesische Regierung ferner dringend dazu auf, allen Tibetern, die derzeit inhaftiert sind, faire und dem Gesetz entsprechende Verfahren, einschließlich der Gewährung des Rechtes auf Verteidigung zu ermöglichen.

Die Urteile folgten beinahe unmittelbar auf die kürzliche Verlautbarung der chinesischen Regierung, sie wünsche mit Vertretern seiner Heiligkeit des Dalai Lama ins Gespräch zu treten, weshalb die Bestrafung der Tibeter bei der internationalen Gemeinschaft Zweifel aufkommen ließ, wie ernst es der Volksrepublik China (VRC) mit den Gesprächen wirklich ist.

Die Art und Weise, in der das Verfahren gegen die 30 Tibeter durchgezogen wurde, läßt weitere schwere und unfaire Strafen bis hin zur Todesstrafe für all jene befürchten, die sich derzeit in Haft befinden. Wir fordern daher die Regierungen der freien Welt, den UN-Menschenrechtsrat, Amnesty International und Rechtsorganisationen auf der ganzen Welt dazu auf, alles zu tun, um diese Tibeter vor weiteren ungerechten und unfairen Verfahren zu bewahren. Wir befürchten, daß diese sogar die "Hinrichtung" einiger Tibeter bedeuten könnten.

Angesichts der kritischen Situation in Tibet appellieren wir an die Vereinten Nationen und die internationale Gemeinschaft, sich dringend unserer folgenden Forderungen anzunehmen:

1) unverzüglich unabhängige Untersuchungskommissionen nach Tibet zu entsenden;

2) unverzüglich der freien Presse Zugang zu ganz Tibet zu gewähren;

3) unverzüglich dem brutalen Morden in ganz Tibet ein Ende zu setzen;

4) unverzüglich für die sofortige Freilassung aller festgenommenen und verhafteten Tibeter zu sorgen;

5) unverzüglich die medizinische Versorgung der verletzten Tibeter zu ermöglichen;

6) die uneingeschränkte Bewegungsfreiheit der Menschen und ihren Zugang zu lebensnotwendigen Gütern sicherzustellen.

Tibetan Solidarity Committee / Tibetisches Solidaritätskomitee