1. Februar 2021
Free Tibet, www.freetibet.org, Tibetan Centre for Human Rights and Democracy, www.tchrd.org

Chinas Jasager-Parlament erklärt die Verwendung der Minderheiten-Sprachen für „verfassungswidrig“

Die chinesische Obrigkeit hat beschlossen, daß lokale Gesetze, die den Gebrauch der gesprochenen und geschriebenen Sprache bei „ethnischen Minderheiten“ vorschreiben, „verfassungswidrig“ sind.

Diese Entscheidung, über die das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)* berichtet, erfolgte im Januar durch den Nationalen Volkskongreß und scheint Teil einer umfassenden Strategie der Kommunistischen Partei Chinas zu sein, die nationalen Minderheiten zu einer einzigen chinesischen nationalen Identität zu verschmelzen.

Am 20. Januar verkündete der Direktor des Rechtskomitees des Nationalen Volkskongresses, Shen Chungyao, daß es Schulen in „Minderheitengebieten“ nicht mehr erlaubt sei, ihre eigenen Sprachen zu unterrichten, und er erklärte einen solchen Unterricht für „verfassungswidrig“. In einem Bericht, den er vorstellte, betonte Shen, daß in den autonomen Provinzen und Regionen die nationalen Gesetze gegenüber den lokalen Gesetzen den Vorrang hätten, und stellte fest, daß somit alle lokalen Regelungen gegen „die großen Reformbestrebungen des Landes“ und „die Bestimmungen der übergeordneten Gesetze“ verstießen.

Schule in Tibet, Foto: ITN

Dies ist nicht die erste Erklärung, die sich gegen den Status der Sprachen „ethnischer Minderheiten“ richtet, eine Kategorie, zu der auch Tibetisch gehört. Im Mai 2019 gab es in der Tibetisch-Autonomen Präfektur Golog eine Verfügung, die auf Kreis- und Gemeindeebene von der ersten Klasse bis zur Mittelstufe alle Schulen dazu verpflichtete, keinen Unterricht mehr auf Tibetisch abzuhalten. Die einzige Ausnahme bestand für Klassen, in denen das Fach Tibetisch selbst war. Die Begründung der lokalen Behörden war, daß diese Maßnahme „mehr akademische Möglichkeiten für die Schüler“ biete. In der Praxis, und wie vom TCHRD hervorgehoben, wirken sich solche Maßnahmen jedoch negativ auf die sprachliche und kulturelle Identität der Tibeter aus.

Im Jahr 2010 wurde eine ähnliche Richtlinie erlassen, die die Einführung der chinesischen Sprache als Hauptunterrichtsmedium für die Schulen vorsah. Sie löste zahlreiche friedliche Proteste von Mittelschülern u.a. in den Regionen Golog, Chabcha und Rebgong aus, die die Behörden schließlich davon abhielten, diese Politik weiter voranzutreiben. Im Jahr 2001 wurde in einem Zusatz zu dem Gesetz zur regionalen nationalen Autonomie von 1984 festgelegt, daß „von den unteren oder oberen Klassen der Grundschule an Han-Sprach- und Literaturkurse eingeführt werden sollten, um die im ganzen Land gebräuchliche Sprache und die Verwendung der Han-chinesischen Schriftzeichen zu popularisieren.“

Die neue Erklärung vom 20. Januar 2021 wurde wenige Tage vor der Entlassung des Sprachrechtsverteidigers Tashi Wangchuk aus dem Gefängnis bekanntgegeben. Tashi wurde im November 2015 verhaftet, nachdem die New York Times ein Interview veröffentlicht hatte, in dem er über seinen friedlichen Einsatz für den Schutz der tibetischen Sprache sprach. Er wurde der „Anstiftung zum Separatismus“, einem Staatssicherheitsverbrechen, für schuldig befunden und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Schließlich wurde er am 28. Januar 2021, fünf Jahre und einen Tag nach seiner Festnahme, freigelassen.

Die Auslegung der lokalen Vorschriften zu den Bestimmungen über Minderheitensprachen durch den Ständigen Ausschuß des Nationalen Volkskongresses ist ein eklatanter Angriff auf die Rechte und autonomen Befugnisse der nationalen Minderheiten zur internen Selbstbestimmung, die durch das regionale Autonomiegesetz garantiert werden. China hat das Recht auf Unterricht in der Minderheitensprache als ein die Sprache betreffendes Menschenrecht weder anerkannt noch umgesetzt.

In Anbetracht der Dominanz des Parteiapparats in allen Fragen der Staatsführung ist die Interpretation des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses lediglich als öffentliche Bekanntgabe einer im Voraus getroffenen Entscheidung der Partei zu betrachten. Auch spielt der Ständige Ausschuß des Nationalen Volkskongresses eine größere Rolle als die gewöhnlichen Delegierten, die nur 10 Tage im Jahr an den Sitzungen teilnehmen und somit eine marginale Rolle in legislativen Angelegenheiten spielen.

Das TCHRD fordert die chinesischen Behörden auf, alle Gesetze, Maßnahmen und Praktiken aufzuheben, die die tibetische Sprache untergraben und das Überleben der tibetischen sprachlichen und kulturellen Identität direkt beeinflussen. Die chinesischen Behörden müssen eine einschlägige kulturelle Erziehung oder einen echten zweisprachigen Bildungsweg realisieren, der in der Kultur der Minderheit verwurzelt ist, indem Tibetisch als erste Sprache gefördert wird. Die Tibeter haben das Recht, ihre eigenen Bildungs- und Kulturangelegenheiten zu bestimmen, wie es in der Verfassung der VR China und dem Gesetz über regionale nationale Autonomie vorgesehen ist. Das TCHRD fordert die internationale Gemeinschaft und die Mitglieder der Zivilgesellschaft auf, Druck auf China auszuüben, damit unabhängige Besuche von UN-Vertretern oder anderer relevanter internationaler Organe möglich sind, um die Qualität und Verfügbarkeit von muttersprachlichem Unterricht an Schulen in Tibet zu bewerten.

* 27.1.2021, China’s rubber-stamp parliament declares use of minority languages “unconstitutional”, https://tchrd.org/chinas-rubber-stamp-parliament-declares-use-of-minority-languages-unconstitutional/