5. Dezember 2020
Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie (TCHRD), www.tchrd.org

Wir fordern die Einstellung der Drangsalierung und Festnahme von tibetischen Bürgerrechtlern

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie verurteilt entschieden die Festnahme und Mißhandlung von Tsering Tso, einer Tibeterin, die für ihren Mut, ihr entschlossenes Eintreten für die Menschenrechte und ihren Rufen nach „Demokratie und Rechtsstaatlichkeit“ in Tibet bekannt ist.

Tsering Tso wurde in der Nacht des 12. November von zehn Polizisten gewaltsam in ihrer Wohnung in Xining festgenommen und in das Bezirkshaftzentrum von Trikha (chin. Guide) in der Tibetisch-Autonomen Präfektur Hainan in der Provinz Qinghai gebracht. Danach wurde sie vom 13. bis 23. November zehn Tage in Administrativhaft gehalten und mit eintausend Yuan Geldstrafe belegt. In dieser Zeit bekam sie zu ihrer Ernährung nur Dampfbrötchen und heißes Wasser, sie wurde von den Sicherheitsbeamten mißhandelt und eingeschüchtert, die auf diese Weise ihre laute Stimme für Demokratie und Rechtsstaatlichkeit brechen wollten.

Tsering Tso 2017 im Krankenhaus

Tsering Tso äußerte ausländischen Journalisten gegenüber, sie hätte schon lange unter Überwachung gestanden, vor allem weil sie eine Teilnehmerin des „International Visitor Leadership Program“ gewesen sei, eines kulturellen Austauschprogramms des US-Außenministeriums. Nach ihrer Rückkehr aus den USA wurde sie als „eine Person, die besonderer Aufmerksamkeit bedarf“, auf die schwarze Liste gesetzt. Seitdem bekam sie immer wieder Vorladungen von der Lokalpolizei und wurde wegen einiger ihrer „Ideen und Aktionen“ verwarnt und bedroht.

Das TCHRD ist der Ansicht, daß Tsering Tso zu Unrecht festgenommen und wegen ihres furchtlosen Eintretens für die Ideale, an die sie glaubt, unter Überwachung gestellt wurde. Sie bemühte sich, das korrupte Verhalten der lokalen Funktionäre in Qinghai aufzudecken, weswegen die Lokalbehörden auf sie aufmerksam wurden. 2017 setzte sie sich, so wie das Gesetz in der Tibetisch-Autonomen Präfektur Yushu es vorsieht, für das Recht der ortsansässigen Tibeter, Reisepässe zu beantragen, ein. Im Verhörraum des Public Security Bureau (PSB) wurde sie festgenommen, und von einem Mitarbeiter der Immigrationsabteilung des PSB der Präfektur Yushu namens Jamga brutal zusammengeschlagen. Jamga traktierte sie mit Tritten auf Kopf, Gesicht, Brust und Bauch. Die Ärzte der Provinz- und der Präfektur-Polizeibehörde, die sie untersuchten, kamen zu dem Schluß, daß Tsering Tso keine Verletzungen davongetragen habe, obwohl diese nach Aussage ihres Mannes und ihrer Freunde fast tödlich waren und eine Behandlung im Krankenhaus erforderten.

Polizeibescheid an Tsering Tso

Am 12. November wurde sie der Verletzung der vierten Kategorie illegaler Akte, wie sie im Abschnitt 26 (Straftaten gegen die Öffentliche Ordnung) des Strafgesetzes aufgeführt sind und der auch die nicht genauer spezifizierten „anderen provokanten Akte“ enthält, angeklagt. Während sie die Strafe in der Polizeihaft des Bezirks-PSB von Trikha verbüßte, wurde ihr niemals erklärt, was genau in ihren WeChat Beiträgen „stabilitätsgefährdend“ sei.

Das TCHRD fordert die sofortige Beendigung von Chinas Politik der Stabilitätserhaltung, die der Aufrechterhaltung des autoritären Ein-Parteien-Systems dient und jede Kritik oder Opposition im Keim erstickt. Unter dieser Politik werden tibetische Menschenrechtsaktivisten und andere zivilgesellschaftliche Akteure festgenommen, gefoltert oder sie verschwinden einfach, nur weil sie ihre grundlegenden Menschenrechte ausübten. Der unbedingte Vorrang der Stabilität als Politik des Staates steht im Widerspruch zu den meisten elementaren Menschenrechten. China sollte damit aufhören, sein Verständnis von Sicherheit als „grundlegendes Menschenrecht“ zu internationalisieren, denn es ist in erster Linie ein Mittel, um die Menschenrechtsverletzungen und die politische Repression in Tibet zu legitimieren.

Willkürliche Festnahmen und Inhaftierungen sind eines der akutesten Menschenrechtsprobleme, die das Strafjustizsystem in China kompromittieren. Millionen sind ungeachtet der formalen Strafverfahrensordnung ohne Zugang zu ihren legalen Rechten eingesperrt. Sie sind dem Ermessen der Polizei ausgeliefert und können mit bis zu 15 Tagen Administrativhaft bestraft werden. Der Art. 9 des Internationalen Paktes über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) bestimmt: „Jeder, der unter dem Vorwurf einer strafbaren Handlung festgenommen worden ist oder in Haft gehalten wird, muß unverzüglich einem Richter oder einer anderen gesetzlich zur Ausübung richterlicher Funktionen ermächtigten Amtsperson vorgeführt werden und hat Anspruch auf ein Gerichtsverfahren innerhalb angemessener Frist oder auf Entlassung aus der Haft… Jeder, dem seine Freiheit durch Festnahme oder Haft entzogen ist, hat das Recht, ein Verfahren vor einem Gericht zu beantragen, damit dieses unverzüglich über die Rechtmäßigkeit der Freiheitsentziehung entscheiden und seine Entlassung anordnen kann, falls die Freiheitsentziehung nicht rechtmäßig ist.“

Eine Festnahme ohne gerichtliche Überprüfung verletzt den Art. 14(3) des ICCPR (1), der das Recht eines wegen einer strafbaren Handlung Angeklagten vorsieht, einen Verteidiger hinzuzuziehen: „Jeder wegen einer strafbaren Handlung Angeklagte hat in gleicher Weise im Verfahren Anspruch auf folgende Mindestgarantien… Er hat das Recht, bei der Verhandlung anwesend zu sein und sich selbst zu verteidigen oder durch einen Verteidiger seiner Wahl verteidigen zu lassen; falls er keinen Verteidiger hat, ist er über das Recht, einen Verteidiger in Anspruch zu nehmen, zu unterrichten; fehlen ihm die Mittel zur Bezahlung eines Verteidigers, so ist ihm ein Verteidiger unentgeltlich zu bestellen, wenn dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist.“

Der Art. 37 der chinesischen Verfassung schützt eindeutig die Freiheit des Bürgers: „Die Freiheit der Person der Bürger der Volksrepublik China ist unverletzlich.

Kein Bürger darf ohne Genehmigung oder Entscheidung einer Volksstaatsanwaltschaft oder ohne Entscheidung eines Volksgerichts verhaftet werden, und Verhaftungen müssen durch ein Organ für öffentliche Sicherheit vorgenommen werden.

Die rechtswidrige Beraubung oder Beschränkung der Freiheit der Person von Bürgern durch rechtswidrige Festnahme oder andere Mittel ist verboten, und die rechtswidrige Leibesvisitation von Bürgern ist verboten.“

(1) International Covenant on Civil and Political Rights, Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte von 1966, von China unterschrieben, aber nicht ratifiziert.