24. Februar 2017
Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie, www.tchrd.org

Tibet ist ein einziges riesengroßes Gefängnis: Jahresbericht des TCHRD über die Menschenrechtslage 2016

Wie in dem vom TCHRD herausgegebenen Jahresbericht 2016 über die Menschenrechtslage ausgeführt wird, haben die ungeheuerlichen Menschenrechtsverletzungen und Mißhandlungen in Tibet nicht abgenommen, denn der Parteistaat der Volksrepublik China (PRC) kriminalisiert weiterhin die elementaren Menschenrechte und Freiheiten, er greift zu willkürlichen Verhaftungen, Folter, läßt Personen spurlos verschwinden, verübt kollektive Bestrafung und zerstört massiv die Umwelt.

Repressive Gesetze und Verordnungen wurden neu eingeführt oder intensiviert, was zu weitverbreiteten und systematischen Menschenrechtsverletzungen führte. Trotz der äußerst bedauerlichen Lage in Tibet, machte die PRC keine Anstalten, ihre Politik der Repression zu ändern und von ihrem staatlich verordneten Gewalteinsatz abzurücken.

Der Bericht spricht von einer schärferen Kontrolle der Rechte auf freie Meinungsäußerung, auf eine Privatsphäre, auf Religions- und Versammlungsfreiheit. Außerdem geht es wegen der Politisierung und Entmenschlichung der chinesischen Justiz um die erheblichen Barrieren für Tibeter, die im chinesischen Rechtssystem Hilfe suchen.

Das Schicksal und die Zukunft der Umwelt in Tibet bleibt ein dringendes Problem, weil die PRC ungebremst fortfährt, das Land und die Rohstoffe Tibets vornehmlich zur Gewinnung von Ressourcen und wirtschaftlichen Ausbeutung zu nutzen, während die einheimische Bevölkerung am Rande des chinesischen Wirtschaftsbooms, nur abhängig von staatlichen Almosen, ein verarmtes und ein nutzloses Leben führen muß.

Das Recht auf freie Meinungsäußerung wird extrem eingeschränkt infolge der Einführung neuer und der Durchsetzung existierender Gesetze im Namen des Kampfes gegen den Terrorismus, der Internet-Sicherheit und der Wahrung der staatlichen Sicherheit. Die chinesischen Behörden nützen vage und dehnbare rechtliche Definitionen im Bereich der „Staatsgeheimnisse“ systematisch aus, um Personen, die ihre Ansichten friedlich zum Ausdruck bringen oder Informationen aus Tibet weiterreichen, politisch und unter Anwendung von Gewalt zu verfolgen.

Selbstverbrennungen und Einzelproteste, die für die drastisch zunehmende Einengung der freien Meinungsäußerung in Tibet symptomatisch sind, werden als Straftaten verfolgt. Durch die Intensivierung der Massenüberwachung werden Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung noch mehr beschnitten, so daß sich die Tibeter zu einer noch nie dagewesenen Selbstzensur verpflichtet sehen.

Das Recht auf eine Privatsphäre, das dem Einzelnen einen Freiraum unbehelligt von äußeren Einflüssen oder staatlicher Einmischung garantiert, ist in den letzten Jahren zu einer der wichtigsten Menschenrechtskategorien in Tibet geworden. In Tibet werden Blogs, Instant-Messaging-Dienste, Gesprächsforen und andere Internetdienste seit langem überwacht und zensiert.

Das Cyber Security Law (Gesetz zur Sicherheit des Internets), das im Juni 2017 in Kraft tritt, wird die Privatrechte in Tibet nur noch stärker verletzen. Zusätzlich zur Online-Überwachung versetzen zahlreiche seit 2011 implementierte Massenüberwachungsprogramme die Lokalbehörden in die Lage, als Gedankenpolizei zu operieren und politische Daten erfassen zu können. Die Zahl der uns bekannten Tibeter, die wegen Nutzung der sozialen Medien, insbesondere WeChat, im Gefängnis sitzen, hat in den letzten Jahren stark zugenommen. Tibeter wurden hinter Gitter gesetzt oder von den Behörden entführt, weil sie sich auf WeChat über den Geburtstag des Dalai Lama austauschten oder Informationen über Proteste mit anderen teilten. Das Speichern von verbotenen Liedern oder Bildern des Dalai Lama auf Handys wird in einigen Gegenden der TAR mit zwei Wochen Polizeihaft oder zwei Jahren Gefängnis bestraft, wenn der Delinquent nicht über ein Netzwerk persönlicher Beziehungen oder guanxi verfügt.

Das Recht auf Glaubens- und Religionsfreiheit ist nach wie vor durch das Zusammenwirken von Gesetzen, Politik und Praxis stark eingeschränkt. Der atheistische Parteistaat wies die legitimen Forderungen nach religiöser Freiheit zurück und warnte davor, „die Lage der Religion in China im Namen von ‚religiösen Menschenrechten’ zu entstellen“.

Das Gesetz diente wie ein Schwert zur Einschränkung der Religionsfreiheit: So gibt es eine revidierte Fassung der Bestimmungen von 2005 über religiöse Angelegenheiten, die 2017 in Kraft treten wird. Die Maßnahmen zur Kontrolle und Instrumentalisierung des Systems der Reinkarnation und zur Diskreditierung der Person und Position des tibetischen geistlichen Oberhaupts, Seiner Heiligkeit des Dalai Lama, wurden intensiviert.

2016 führte die PRC eine großangelegte Aktion zur Demolierung der auf 20.000 Bewohner geschätzten religiösen Gemeinschaft des Tibetisch-Buddhistischen Lehrinstituts Larung Gar durch. Trotz der internationalen Verurteilung dieser Maßnahmen und Protesten, auch der Appelle diverser Regierungen und zivilgesellschaftlicher Gruppen, lenkte die PRC nicht ein.

Das Recht auf Freizügigkeit wurde durch explizite Einschränkungen, wie etwa einem regional verhängten Verbot von Reisen ins Ausland oder der Konfiszierung von Pässen, durch Drohungen und Einschüchterungen systematisch verletzt. Die PRC behandelt das Recht auf Reisen, wozu auch das Recht auf Ausstellung eines Passes gehört, als ein von der Regierung gewährtes Privileg, und nicht, wie es richtig wäre, als ein grundlegendes Menschenrecht. Die Vielzahl neuer und bereits existierender Restriktionen für die Ausgabe von Pässen und für Reisen, auch Einschränkungen der Bewegungsfreiheit innerhalb Tibets, haben Tibet zu einem riesigen offenen Gefängnis gemacht.

Die Verletzung des Rechtes auf Freizügigkeit hatte auch Verletzungen der Rechte auf Religionsfreiheit, Freiheit und Sicherheit der Person und angemessene Unterkunft zur Folge. Zwangsausweisungen und die Vertreibung die Religion praktizierender Tibeter verletzen ihr Recht, ihrer Kultur und Religion gemeinsam mit anderen Mitgliedern ihrer Gemeinschaft nachzugehen.

Auch die paramilitärischen Einheiten der PRC verübten brutale Angriffe auf Tibeter, die von ihrem Recht auf friedliche Versammlungen Gebrauch machten. Mit exzessivem Gewalteinsatz unterdrückten die chinesischen Behörden Proteste der Tibeter gegen Bergwerksbetrieb, Landnahme, Umweltzerstörung und willkürliche Abbruchaktionen und nahmen die Protestierenden fest. Auch 2016 starben Tibeter in der Polizeihaft infolge von Folter und brutaler Behandlung, nur weil sie ihre Menschenrechte ausgeübt hatten.

Obwohl die PRC das Klimaschutzabkommen von Paris ratifizierte, bedroht die rasante Wirtschaftsentwicklung die empfindliche Umwelt, den Lebensunterhalt und die Ernährungssicherung von Millionen von Tibetern. Zahlreiche Abbaustätten und Wasserkraftwerke sind bereits in Betrieb genommen worden und weitere sind in dem 13. Fünfjahresplan der PRC vorgesehen. 

Obwohl das revidierte Umweltschutzgesetz Chinas eine größere öffentliche Mitwirkung bei Umweltbelangen vorsieht, bedeutet das wenig für die Tibeter in Tibet, wo eine bürgerliche Gesellschaft gar nicht existiert und Umweltaktivisten auf Grund von politisierten Anklagen regelmäßig ins Gefängnis wandern.

Wie mangelhaft Chinas Verständnis des Rechts auf Entwicklung ist, wurde erneut deutlich in seinem Weißbuch über Entwicklung vom Dezember 2016, in dem versucht wird, die Menschenrechte in Begriffen zu interpretieren, die dem sozialen Aufstieg gerecht zu werden versuchen, wo jedoch Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte auf der Strecke bleiben. Durch die Maxime, daß wirtschaftliche Entwicklung für die PRC an vorderster Stelle stehe und der Schlüssel zur Lösung aller anderen Probleme sei, wird dem „Recht auf Entwicklung“ als einer Vorbedingung für den Genuß von bürgerlichen und politischen Rechten Priorität eingeräumt. Das widerspricht eindeutig der intendierten Bedeutung der Erklärung der Vereinten Nationen über das Recht auf Entwicklung, welche die Bedeutung der Umwelt und der Selbstbestimmung, einschließlich des „unveräußerbaren Rechts der Völker auf die volle Souveränität über all seine Naturschätze und Ressourcen“, hervorhebt.

In der Datenbank des TCHRD für politische Gefangene ist ein Rückgang bei der durchschnittlichen Zahl der Inhaftierungen in den letzten zwei Jahren (2015 und 2016) zu verzeichnen, was auf die extreme staatliche Einengung der Kommunikation und die kollektive Bestrafung von Personen, die Informationen an Außenstehende weitergeben oder mit diesen in Kontakt stehen, zurückzuführen ist. Doch mit 70 Fällen ist die Zahl immer noch recht hoch. Der Durchschnitt für 2015 beträgt etwa 9 Fälle pro Monat, während er 2016 bei 3,27 Fällen pro Monat liegt.

Im Laufe der Jahre hat die PRC neue Strategien und Vorschriften eingeführt, um die Informationen, die sie vor der internationalen Gemeinschaft verbergen will, zu zensieren und zu kontrollieren. Außerdem ist es allein schon infolge der Verweigerung der Zusammenarbeit mit internationalen Ermittlungsorganen, der einschneidenden Blockierung der Kommunikationsmittel und der Verletzung der die Privatsphäre betreffenden Rechte und der Zensur viel schwieriger geworden, an genaue Informationen aus Tibet zu gelangen. So ist die Beschaffung von Informationen von außerhalb Tibets viel schwieriger geworden und außerdem ist sie wegen der routinemäßigen Verfolgung und Inhaftierung von Personen, die in Tibet Quellen für Informationen sind, ethisch fragwürdig.

Selbst wenn dieser Bericht die ernste Lage in Tibet unter der chinesischen Besatzung nicht voll darstellen kann, so kann er doch gewiß als ein Indikator für das ungeheure Ausmaß von Menschenrechtsverletzungen und die Repressionen dienen, denen die Tibeter in Tibet ausgesetzt sind.    

  

Full Annual Report: http://tchrd.org/annual-report-2016-2/