11. Juli 2016
Tibetisches Zentrum für Menschenrechte und Demokratie, www.tchrd.org

Das TCHRD fordert die Freilassung von Tashi Wangchuk, der sich für die tibetische Sprache einsetzte

Das Tibetische Zentrum für Menschenrechte und Demokratie ist sehr besorgt über den Zustand und den Verbleib von Tashi Wangchuk, einem Befürworter der tibetischen Sprache, der seit über fünf Monaten von den chinesischen Behörden in der TAP Kyegudo (Yushu) (ehemalige Provinz Kham) festgehalten wird. Man weiß nicht, ob er Zugang zu Rechtsmitteln erhalten hat oder ob irgendein Prozeß stattgefunden hat.

Tashi Wangchuk (Free Tibet)

Tashi Wangchuk wurde am 27. Januar 2016 willkürlich festgenommen, mehr als einen Monat, nachdem in der New York Times ein Interview über seine Bemühungen erschienen war, Klage gegen die chinesische Regierung zu erheben, weil sie es versäumt, die tibetische Kultur und Sprache zu schützen. Da Berichte in den internationalen Medien für ein enormes Aufsehen gesorgt hatten, informierten die chinesischen Behörden Tashis Familie am 24. März, fast zwei Monate nach der tatsächlichen Festnahme. Doch seine Angehörigen durften ihn nicht besuchen, und sein Aufenthaltsort blieb lange unbekannt. Als die New York Times die dortige Polizei wegen Tashi Wangchuk anrief, antwortete ein Offizier namens Zhang, daß die Staatssicherheitsbehörde den Fall bearbeite, ohne Einzelheiten zu nennen.

Vor seiner Festnahme hatte Tashi Wangchuk sich für den Schutz der tibetischen Sprache in seiner Heimat in Kyegudo eingesetzt. Er reichte Petitionen bei den zuständigen Behörden ein und brachte seine Meinung über Chinas Sprachpolitik und deren nachteilige Folgen für die tibetische Sprache und Kultur auch im Internet zum Ausdruck. Das Interview, das er Ende 2015 der New York Times gab, führte zu seiner Festnahme. Er wurde der „Aufstachelung zum Separatismus“ angeklagt, und seitdem hatte man nichts mehr über ihn gehört. Wenn sich die Anklage erhärtet, könnte er mit bis zu 15 Jahren Gefängnis bestraft werden.

Das chinesische Strafprozeßrecht setzt fest, daß ein Verdächtiger angeklagt, und falls er für schuldig befunden wird, innerhalb von fünfeinhalb Monaten überführt werden muß. Während des gesamten Verlaufs muß ein rechtmäßiges Verfahren gewährleistet werden, wozu auch gehört, daß die Familie des Verdächtigen innerhalb von 24 Stunden nach der Festnahme informiert wird. Der Art. 83 fordert, daß die Organe der Öffentlichen Sicherheit die Familie einer Person, die in Gewahrsam genommen wurde, innerhalb von 24 Stunden informieren. Doch das 2013 eingeführte revidierte Strafprozeßrecht gibt den Organen der Öffentlichen Sicherheit hinreichende Vollmachten, um bei Verdacht auf Verbrechen der Gefährdung der Staatssicherheit oder der Weitergabe von Staatsgeheimnissen eine Person bis zu sechs Monaten von der Außenwelt isoliert festzuhalten. Durch diese Gesetzesänderung wurde das gewaltsame Verschwindenlassen legalisiert. Dabei sind die Opfer meistens Tibeter oder Uighuren, die gewöhnlich eben dieser Verbrechen angeklagt werden, selbst wenn ihre Aktivitäten nichts mit Anstiftung zum Separatismus oder anderen Vergehen gegen die nationale Sicherheit zu tun haben.

Generell gewähren die Verfassung der VRC und das Gesetz über regionale und ethnische Autonomie allen nationalen Minderheiten das Recht, ihre eigene Sprache in Wort und Schrift zu benutzen und zu entwickeln. Das Gesetz der VRC über das Standard-Chinesisch in Wort und Schrift, das Gesetz für die allgemeine Schulpflicht sowie der nationale Plan für die mittlere und langfristige Schulreform und Schulentwicklung (2010-2020) sehen ebenfalls Sprachrechte für die nationalen Minderheiten vor. Trotz dieser Vorschriften wurde Tashi Wangchuk festgenommen und politischer Verbrechen angeklagt. Dabei hat er nichts getan, als seine Besorgnis über die Marginalisierung der tibetischen Sprache und Kultur öffentlich zu äußern und Klage gegen die chinesischen Behörden zu erheben, weil sie die gesetzlichen Vorschriften nicht einhalten.

Im Namen der zweisprachigen Erziehung förderte die chinesische Regierung in den letzten Jahren Mandarin Chinesisch als Unterrichtssprache an tibetischen Schulen. Sogar in einigen vom Staat betriebenen Kindergärten in Tibet wird der Unterricht von Mandarin Chinesisch begünstigt. Tibetische Kleinkinder in den Kindergärten werden angehalten, miteinander auf Chinesisch zu sprechen. Ein Video, das kürzlich durch die Social Media ging, zeigt tibetische Kinder in einem Kindergarten in Lhasa, die beim Spielen Chinesisch sprachen. Als sie gefragt wurden, warum sie sogar beim Spielen Chinesisch redeten, antwortete ein Kind: „Das müssen wir, die Lehrer sagten uns, wir sollten Chinesisch reden“.

Die UNESCO anerkennt den Anspruch, daß ein Kind in seiner Muttersprache erzogen werden muß, und erklärte den 21. Februar zum Internationalen Tag der Muttersprache, um die Bedeutung der Sprachenvielfalt sowie der Muttersprache hervorzuheben. Viele Pädagogen betonen die Wichtigkeit der Muttersprache als Unterrichtsmedium an Elementarschulen. Wenn die Kinder in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, dann fühlen sie sich wohler und lernen schneller. In den letzten Jahren wurde als Unterrichtssprache in vielen Gegenden Tibets, besonders in der Präfektur Yushu, Chinesisch eingeführt. Abgesehen von dem Fach Tibetisch werden alle anderen Fächer auf Chinesisch unterrichtet. Wegen dieser verfehlten Politik hat die tibetische Sprache in Yushu stark an Gewicht verloren, und die Präfektur Yushu rangiert hinsichtlich des Bildungsstandards in der Provinz Qinghai ganz unten.

2010 protestierten Hunderte tibetischer Schüler der mittleren und höheren Schulen, als die chinesischen Behörden in der Provinz Qinghai bekanntgaben, daß fortan Chinesisch die Unterrichtssprache sein wird. In vier tibetischen autonomen Präfekturen, nämlich Malho (Huangnan), Tsolho (Hainan), Golok (Guoluo) und Tsojang (Haibei), kam es zu Protesten. Darüber hinaus richtete am 24. Oktober 2010 eine Gruppe pensionierter Tibetisch-Lehrer und erfahrener Pädagogen in Xining eine Petition an die Lokalbehörden, in der sie an Hand von Beispielen bewiesen, daß eine von der Muttersprache ausgehende zweisprachige Erziehung an tibetischen Schulen bessere Resultate erzielt als ein auf Chinesisch basierendes Schulsystem.

Tashi Wangchuk äußerte ähnliche Bedenken hinsichtlich des schlechten Standards des Tibetisch-Unterrichts in Yushu. Aber er wurde wegen politischer Verbrechen angeklagt. Er wurde ins Visier genommen, weil er Tibeter ist und weil sein Aufruf zum Schutz der tibetischen Sprache und Kultur die Assimilationspolitik der chinesischen Regierung anzweifelt, deren Ziel es ist, die tibetische Identität und Kultur auszulöschen. In seinem Interview mit der New York Times machte Tashi Wangchuk deutlich, daß er kein Befürworter tibetischer Unabhängigkeit sei, sondern sich nur um den Schutz und die Erhaltung der tibetischen Sprache und Kultur Sorgen mache.

Das TCHRD ist der Ansicht, daß Tashi Wangchuk zu Unrecht der „Anstiftung zum Separatismus“ angeklagt wurde. Das TCHRD fordert die chinesische Regierung auf, den Status von Tashi Wangchuk und ob er Zugang zu einem rechtmäßigen Verfahren bekommen hat, offenzulegen. Isolationshaft und Mißhandlung von friedlichen Aktivisten wie Tashi Wangchuk wegen Verbrechen, die sie nie begingen, ist moralisch verwerflich und rechtswidrig, und verletzt nicht nur die innerstaatlichen Rechtsvorschriften, sondern auch die internationalen Menschenrechts-Konventionen. Das TCRHD appelliert an die internationale Gemeinschaft, nicht nachzulassen in ihrer Forderung an die chinesische Regierung, Tashi Wangchuk freizulassen und mit den Menschenrechtsverletzungen in Tibet aufzuhören.

Tashi Wangchuk, 30, wurde in Kyegudo geboren. Vor seiner Festnahme war er ein erfolgreicher Geschäftsmann und hatte mehrere Initiativen zum Schutz und zur Förderung der tibetischen Sprache und Kultur in seiner Heimatstadt gestartet. Er war bereits zweimal inhaftiert worden. Vor über einem Jahrzehnt nahm die chinesische Polizei ihn fest, als er auf Pilgerfahrt nach Indien reisen wollte, und 2010 wurde er festgenommen, weil er im Internet wegen Landraubs Kritik an den Behörden geübt hatte.