21. Mai 2013
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy, www.tchrd.org

"Die chinesische Regierung und die Selbstverbrennung von Tibetern" - von Gartse Jigme

Das TCHRD übersetzte und redigierte das erste Kapitel des Buches Tsenpoi Nyingtop von Gartse Jigme, der am 14. Mai zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Dieses Kapitel trägt den Titel „Die chinesische Regierung und die Selbstverbrennungen“. Gartse Jigme beendete sein Buch Anfang Dezember 2012, als die Zahl der Selbstverbrennungen etwa 90 betrug. Bis heute hat sie 117 erreicht.

Gartse Jigme und sein Buch Tsenpoi Nyingtob

„Um gegen die chinesische Herrschaft in Tibet zu protestieren, beging Thubten Ngodup, ein Exil-Tibeter 1998 in Indien Selbstverbrennung. Elf Jahre später, 2009, wurde Tapey zum ersten Tibeter, der diese Tat in Tibet ausführte. Bis jetzt haben über 90 Tibeter die Selbstverbrennung als einen Weg des Protestes gewählt. Bedauerlicherweise hat die chinesische Führung diesen drastischen Protesthandlungen überhaupt keine Aufmerksamkeit geschenkt.

Statt Bestürzung zu empfinden griffen die chinesischen Staatsmänner wie Hu Jintao den Dalai Lama an [als die Hauptursache der Selbstverbrennungen]. Die Regierung zwang einige Tulkus in Tibet, Seine Heiligkeit den Dalai Lama schlechtzumachen. Sie schickten gepanzerte Fahrzeuge und mit Maschinengewehren bewaffnete Soldaten in die tibetischen Gebiete. Statt eine Haltung von Nachsicht und Besorgnis an den Tag zu legen, war ihre einzige Antwort die Repression.

Wenn man ernsthaft über diese Sache nachdenkt, dann erkennt man, daß es eine ausgesprochen quälende Angelegenheit ist. Obwohl die chinesische Regierung ständig von Demokratie redet, hat sie den Forderungen, die die 90 Tibeter vorbrachten, die sich verbrannten, , keine Beachtung geschenkt. Die einzige Sorge der chinesischen Führung ist, ihre Machtposition zu erhalten, was ihren diktatorischen Charakter ganz deutlich macht. Wie ernst diese Forderungen der Tibeter sind, sieht man daran, daß sie durch den Akt der Selbstverbrennung erhoben wurden und nicht auf dem konventionellen, dem schriftlichen Wege.

Nach was sehnen sich die Tibeter, die sich selbst verbrennen? Über 90 Selbstverbrenner forderten die Rückkehr Seiner Heiligkeit des Dalai Lama und die Freiheit in Tibet. Einer von ihnen forderte auch die Unabhängigkeit für Tibet. Um hier eine karmische Wahrheit auszusprechen: Die Regierung in Peking kann Tibet keine Unabhängigkeit geben. Doch Peking hat die Macht, Seine Heiligkeit den Dalai Lama nach Tibet einzuladen und dem tibetischen Volk seine legitimen Rechte und Freiheiten zu gewähren. Statt diese Macht entsprechend zu nutzen, setzt Peking sein diktatorisches Regime durch.

Einerseits entsendet es Soldaten mit Maschinengewehren und gepanzerten Fahrzeugen, um das tibetische Volk zu unterdrücken, anderseits brandmarkte es Seine Heiligkeit den Dalai Lama als einen ‚Feind’ und rief zum Kampf gegen die ‚Separatisten’ auf. Die Forderungen der Selbstverbrenner werden ignoriert. Die Zukunft und das Glück von Milliarden von Menschen sind keinen einzigen Gedanke wert. Tatsache ist, daß nicht irgendeine besondere Organisation oder irgendein Lama die Märtyrer dazu gebracht hat, zur Selbstverbrennung zu schreiten. Sie wurden von dem Leid und den Sehnsüchten ihrer sechs Millionen Landsleute animiert. Und als solche sind sie Helden.

Aus diesen Gründen betrachtet die chinesische Führung Seine Heiligkeit den Dalai Lama als ihren Feind und geht nicht auf die Forderungen der Selbstverbrenner ein. Indem sie Seine Heiligkeit den Dalai Lama zu ihrem Feind erklärt und die Forderungen der Selbstverbrenner in den Wind geschlagen haben, machten sie es klar, daß sie über 99% der tibetischen Bevölkerung als ihre Feinde betrachten. Sie haben deutlich gezeigt, daß die Sehnsüchte und Wünsche von 99% der tibetischen Bevölkerung ihnen überhaupt nichts bedeuten.

Die chinesische Regierung, besonders Funktionäre wie Wen Jiabao, erklärten die Selbstverbrenner zu ‚Terroristen’. Solche Beschuldigungen demonstrieren die Böswilligkeit der chinesischen Regierung und die Unbarmherzigkeit ihrer Führer. Die Vereinten Nationen, die Politiker Frankreichs, Deutschlands, Italiens, Englands, Spaniens, der USA, Südafrikas, Indiens, Japans, Australiens, Indonesiens und viele andere Befürworter der Demokratie konstatierten, daß Selbstverbrennungen Verzweiflungstaten im Sinne eines friedlichen Protestes sind. Warum betrachten die chinesischen Führer trotz all dieser entschiedenen Aussagen die Selbstverbrennungen immer noch als Akte des Terrorismus?

Tibetische Intellektuelle analysierten, warum die chinesische Regierung die Selbstverbrenner als ‚Terroristen’ hinstellt. Ihnen zufolge hatte die chinesische Regierung massiv davor gewarnt, daß sie die friedlichen tibetischen Demonstrationen unterdrücken werde, ebenso wie sie die Revolte der Studenten auf dem Tiananmen Platz 1989 unterdrückte.

Was deutlich gemacht werden muß, ist die Tatsache, daß Wen Jiabaos Schritt, die Selbstverbrenner zu Terroristen zu erklären, die Entscheidung der gesamten chinesischen Führung wiederspiegelt. Es ist nicht nur seine persönliche Meinung. In Wahrheit wurden doch Millionen von Leben um des Interesses des chinesischen Volkes und der chinesischen Nation willen geopfert. Würde Peking diese Opfer auch als Akte von Terrorismus betrachten? Die chinesischen Revolutionäre ermordeten japanische Kolonisten und Millionen anderer, die sich dem Kommunismus widersetzten, doch die tibetischen Selbstverbrenner, die um die Rechte ihres Volkes kämpfen, haben keinen einzigen Angehörigen einer anderen Nationalität oder Organisation verletzt. Sie legten nur Feuer an sich selbst, sie forderten die religiösen und kulturellen Rechte des tibetischen Volkes ein. Nur eine böswillige und blinde Regierung oder Führung kann solche Akte des Protestes als Terrorismus oder Gewalt ansehen. Eine geistig gesunde Person würde nie solche Anschuldigungen erheben.

Die Behauptungen der chinesischen Regierung, daß die Selbstverbrenner gegen die Prinzipien des Buddhismus verstoßen hätten, ist nichts als böswilliges Gerede. Im tibetischen Buddhismus wird das Opfer des eigenen Lebens zum Nutzen anderer als eine Handlung erachtet, die eines Bodhisattva würdig ist. Das wird deutlich, wenn man die Lebensgeschichte von Buddha liest. In einem seiner vielen vorangegangenen Leben opferte Buddha seinen Körper, um eine Tigerin und ihre Jungen, die am Verhungern waren, zu retten. Diese berühmte Geschichte, die von Generation zu Generation weitergegeben wird, kennt jeder Gläubige. Sie trägt den Titel: ‚Die Geschichte von Buddha, der sein Leben für die Tigerin opferte’.

Wenn man den Mahayana-Weg des Buddhismus geht, sollte man bereit sein, alles für das Wohl der Lebewesen zu opfern. So sollte man willens sein, Milliarden von Jahren für das Wohl eines Lebewesens in einer feurigen Hölle zu leiden. Mit den Worten des Großen Panchen Chogyan, ’sollte man bereit sein, um des Wohls eines einzigen und jedes Lebewesens willens, Äonen in einer feurigen Hölle zu bleiben’. Daher stehen Handlungen, wie das eigene Leben für das Wohlergehen von Lebewesen und Landsleuten zu opfern, nicht nur in voller Übereinstimmung mit dem Buddhismus, sondern auch mit den höheren Formen der Lehren des Mahayana-Buddhismus. Nur ein übel gesinntes Regime oder seine Mitläufer würden diese Handlungen als Akte von ’Terrorismus‚ bezeichnen.

Die chinesische Regierung ist der Ansicht, daß die Selbstverbrennungsproteste zu Lasten von ein paar Mönchen gehen und auf Anweisung des Dalai Lama erfolgen. Solch eine Ansicht reflektiert die üble Gesinnung dieser Regierung. Bisher haben sich 95 Tibeter selbst verbrannt. Von ihnen sind fünf von außerhalb Tibets. Über 80 von ihnen starben, während 10 überlebten. Von den fünf Personen, die sich außerhalb Tibets verbrannten, erlitten zwei ernste Brandverletzungen. Obwohl sie beide überlebten, haben sie noch mit zahlreichen gesetzlichen Konsequenzen zu kämpfen.

Jedes Mal, wenn ein Tibeter zu so einer Tat schritt, versammelten sich Tausende von Tibetern aus der jeweiligen Gegend, um ihre Solidarität mit ihm zu bekunden. Sie geben eine Menge an Spenden, um Gebete und Rituale für den Feuerhelden durchzuführen. In Rebkong zum Beispiel, als sich dort Jamyang Palden, Sonam Dargye, Tamdrin Thar, Dorje Lhundup, Tamdrin Tso, Kelsang Jinpa, Nyingkar Tashi, Nyingchak Bum, Sangdak Tsering, Lubum Tsering, Tamdrin Dorje, Sangye Dolma und andere verbrannten, kamen die ortsansässigen Tibeter in Scharen zusammen, um ihre Solidarität zum Ausdruck zu bringen. Sie sammelten Geld, organisierten Gebete und Rituale, manche schrieben sogar Gedichte zu Ehren und zum Gedenken an die Märtyrer. Ich habe persönlich erlebt, wie Tausende von Tibetern ihre Solidarität auf diese Weise zum Ausdruck brachten.

Obwohl die Genannten die einzigen in Rebkong sind, die sich tatsächlich verbrannten, so zeigen diese Vorfälle doch, daß es Zehntausende von Tibetern gibt, die dieselben Sehnsüchte und Gefühle wie sie haben. Ähnliches erfuhren wir durch Telefongespräche und sahen Videoclips von vielen Tibetern in Kham, die der Bestattung eines der Feueropfer beiwohnten. Nicht einmal zur Bestattung eines großen Lama gäbe es eine so riesige Versammlung von Leuten, die ihren Respekt und ihre Solidarität zeigten. Daher können wir zu Recht beteuern, daß über 80% der sechs Millionen Tibeter hinter den Selbstverbrennern stehen und dieselben Sehnsüchte und Forderungen haben wie sie. Die Behauptung der chinesischen Regierung, daß die Bestrebungen der Selbstverbrenner nur von ein paar Mönchen geteilt werden, ist daher nichts als übles Gerede.

Die Anklage der chinesischen Regierung, daß der Dalai Lama zu den Selbstverbrennungen aufgehetzt habe, ist wiederum nichts als übles Gerede. Üblicherweise empfiehlt der Dalai Lama nicht nur seinen eigenen Landsleuten, sondern auch seinen nicht-tibetischen Anhängern, alle Konflikte durch friedlichen Dialog zu lösen. Er würde niemals Tibeter dazu aufrufen, sich selbst zu verbrennen, um ihre Proteste hinauszuschreien. Er betont weiterhin die Notwendigkeit, den sino-tibetischen Konflikt durch den Mittleren Weg zu lösen, der beiden Seiten Nutzen bringen würde. Anstatt seine Worte mit Gold aufzuwiegen, fährt die chinesische Regierung jedoch fort, Seine Heiligkeit den Dalai Lama und all seine Bemühungen zu dämonisieren. Das ist einer der vielen Gründe, warum patriotisch gesinnte Tibeter zur Selbstverbrennung schreiten.

Wenn die chinesische Regierung Beweise dafür hätte, daß Seine Heiligkeit sein Volk aufwiegelt, sich um seines Landes willen zu verbrennen, dann würden sie diese ganz gewiß dem tibetischen Volk vorlegen. Doch die chinesische Regierung hat noch keinen einzigen Beweis erbracht. Das zeigt, daß es sogar der chinesischen Regierung selbst auffiel, daß die Selbstverbrennungen das direkte Resultat ihrer Repressionspolitik sind. Doch sie tut so, als sei sie völlig unwissend, während sie Seine Heiligkeit weiterhin dämonisiert. Das ist eine deutliche Manifestation der bösen Absichten des Regimes, es zeigt seinen üblen Charakter.

Durch ihre offiziellen Medien und in den Augen der Leute verurteilte die chinesische Regierung die Selbstverbrenner als Verschwörer, die darauf aus sind, das Land zu zerstören. Das ist ein ebenso dummes Gewäsch, denn die Sehnsucht von über 90 Selbstverbrennern war es, Seine Heiligkeit in Tibet zu haben und die legitimen Rechte des tibetischen Volkes wiederhergestellt zu sehen, damit es seine eigene Sprache, Kultur und Religion pflegen kann. Die chinesische Regierung hält jedoch an ihrem harten Kurs fest, sie bringt den Forderungen und dem Opfermut der Selbstverbrenner auch nicht die geringste Achtung entgegen. Sie antwortete vielmehr mit extremer Repression, indem sie ihre Autorität und Gesetze geltend macht, Feuerwaffen und Folter einsetzt, um die Forderungen der Selbstverbrenner verstummen zu lassen. Sind das nicht Beweise genug für die üble Natur der chinesischen Regierung?

In ihren offiziellen Medien schildert die chinesische Regierung die tibetischen Selbstverbrenner als junge Leute, die naiv und leicht manipulierbar wie sie sind, von der von außerhalb Tibets kommenden Propaganda in die Irre geführt wurden. Solche Anschuldigungen sind nichts als üble Nachrede. Unter den über 90 Tibetern, die sich bisher verbrannten, gibt es Mütter und Väter, die Kinder haben, es gibt Tulkus, Mönche, Nonnen, Laien, Studenten usw. Einige von ihnen waren über 60 Jahre alt, der jüngste von ihnen war 16 Jahre alt. Sie waren also reif genug in ihrem Denken und ihrem Mut. Sie hatten die Altersstufe, wo sie Propaganda und Manipulationen zum Opfer fallen könnten, längst überschritten. Daher ist die Anschuldigung der chinesischen Regierung nichts als übles Gerede, das keiner ernsthaften Prüfung und Analyse standhalten würde.

Kurz gesagt, es haben sich über 95 Tibeter aus allen drei Provinzen Tibets aus Protest gegen die repressive Politik der chinesischen Regierung selbst verbrannt, wobei sie die Rückkehr des Dalai Lama und Freiheit in Tibet forderten. Derartige Proteste gab es auf dieser Erde in den letzten Hunderttausend Jahren noch nie. Es ist eine große friedliche Protestbewegung, wie sie die Weltgeschichte noch nicht erlebt hat. Die chinesische Regierung mißt Geld und Status jedoch mehr Wert zu, als dem Leben der Menschen. Während des 18. Volkskongresses sprachen die Delegierten nur über Geldgeschäfte und die Verteilung von Führungspositionen. Den Forderungen der Tibeter, die unter Opferung des eigenen wertvollen Lebens vorgebracht wurden, schenkten sie auch nicht ein Jota an Aufmerksamkeit. Das zeigt deutlich, daß die chinesische Regierung überhaupt keine Achtung für das Schicksal des tibetischen Volkes hat und gar nicht merkt, wie sie die grundlegenden Menschenrechte verletzt.

Schließlich möchte ich im Zusammenhang mit dieser ernsten Sache der chinesischen Regierung ein paar Vorschläge machen. Statt die Selbstverbrennungen zu dämonisieren, sich in Anschuldigungen zu ergehen, die jeglicher ernsthaften Analyse entbehren, Lügen auszuspucken, wie sie einem diktatorischen Regime gerade passen, sollte die chinesische Regierung diese großartigen Akte friedlichen Protestes, die in der Weltgeschichte einmalig dastehen, genau untersuchen. Es wäre nützlich, wenn die chinesische Regierung eine praktikable Lösung fände, damit solche Proteste nicht mehr geschehen.

Weiterhin möchte ich betonen: Es ist der große Wunsch der Selbstverbrenner, daß Seine Heiligkeit der Dalai nach Tibet zurückkehren möge, damit sie seinen Segen empfangen können. Letzten Endes kämpfen sie doch nur um kleine Freiheiten, auf die das tibetische Volk ein Anrecht hat. Ich appelliere an die chinesische Regierung, daß sie, statt alles noch schlimmer zu machen, sich um eine echte Lösung bemüht."