25. September 2008

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India,
phone/fax: +91 1892 223363 / 225874 / 229225, e-mail: office@tchrd.org, www.tchrd.org


Seite drucken

Pressemitteilung

Immer mehr Fälle von „Verschwindenlassen“ bestätigen sich

Nachdem es seit dem 10. März 2008 zu massiven Demonstrationen auf dem tibetischen Hochland gekommen war, werden allmählich immer mehr Fälle bekannt, wo es darum geht, daß Personen unfreiwillig und spurlos verschwunden sind. Man weiß von mindestens 1000 Tibetern, über deren Verbleib und Befinden ihre Angehörigen oder die Klöster, denen sie angehören, keinerlei Kenntnis haben.

Das Schicksal von 80 Mönchen des Klosters Drepung am Rand der Stadt Lhasa ist selbst Monate nach der grausamen Niederschlagung der März-Proteste noch unbekannt. Drepung, das in der Vergangenheit eines der Hauptzentren des politischen Dissenses war, spielte auch bei den Protesten in Lhasa eine führende Rolle.

Wie inzwischen bekannt wurde, beherbergten die drei Großklöster eine beachtliche Zahl an Mönchen aus Amdo und Kham (von außerhalb der TAR also), die sich dort vorübergehend zu Studienzwecken aufhielten, aber keine offiziellen Registrierungsausweise besaßen. Die chinesischen Behörden in Tibet haben es besonders auf diese Mönche von außerhalb der TAR abgesehen und weisen sie aus. Auch Lobsang, ein Mönch des Klosters Drepung, der ursprünglich aus dem Kreis Lhatse, Präfektur Shigatse, stammt, verschwand nach den Protesten vom März, und seither fehlt von ihm jede Spur.

Ebenso ist ein ehemaliger Schüler des Tibetischen SOS-Kinderdorfs [Dharamsala], Migmar Dhondup, seit den März-Protesten in Lhasa verschwunden. Migmar Dhondup, der aus dem Kreis Dingri (chin. Tingri Xian), Präfektur Shigatse, TAR, stammt, schloß 1995 seine Ausbildung als Kaufmann ab. Einer zuverlässigen Quelle zufolge arbeitete er, so wie etliche andere Exilrückkehrer, in Lhasa als Touristenführer, bis er im März verschwand. Es ist nicht klar, ob er an den Demonstrationen beteiligt war oder nicht, aber seine Angehörigen und Freunde haben seitdem nichts mehr von ihm gehört.

Auch Thabkhey und Tsundue vom Kloster Labrang, die am 7. April vor ausländischen Medienvertretern, die sich auf einer staatlich organisierten Reise im Bezirk Sangchu (chin. Xiahe Yian), Provinz Gansu, befanden, beherzt ihre Meinung kundtaten, verschwanden kurz nach ihrem mutigen Auftritt und wurden seither nicht mehr gesehen. Dortige Anwohner befürchten nun, daß das Sicherheitspersonal sie insgeheim gepackt und entführt habe. Obwohl die Familien der Mönche immer wieder bei dem örtlichen Public Security Bureau (PSB) nachfragten, wo sie verblieben seien, tun die Behörden so, als wüßten sie nichts von den beiden. Bis zum heutigen Tag wurde weder ihren Angehörigen noch ihrem Kloster mitgeteilt, wohin sie gebracht wurden oder in welcher Haftanstalt sie sich befinden.

Von den zahlreichen Fällen des unfreiwilligen Verschwindens von Tibetern seit den Demonstrationen vom März sind ein paar ans Licht gekommen, jedoch erst Monate nach ihrer willkürlichen Festnahme. So stellte sich heraus, daß eine Verschwundene verstorben war, aber erst nachdem zwei ihrer Kolleginnen gerichtlich verurteilt wurden. Guru, eine 25jährige Nonne des Klosters Samtenling oder Watak im Bezirk Drango, TAP Kardze, Provinz Sichuan, die bei den Juni-Protesten in Drango mitgemacht hatte, war seitdem verschwunden; erst als zwei ihrer Gefährtinnen, Tsering Tso, 27, und Ugyen Lhamo, 32, von dem Mittleren Volksgericht zu zwei Jahren Haft verurteilt wurden, erfuhr man, daß sie nicht mehr am Leben ist. Das Schicksal von Guru zeigt, daß ein erzwungenes Verschwinden oft mit dem Tod der betreffenden Person gleichzusetzen ist.

Das TCHRD bringt seine große Sorge über diejenigen Tibeter zum Ausdruck, die willkürlich festgenommen wurden und seit den März-Protesten verschwunden sind. Es appelliert an die internationale Gemeinschaft, mehr Druck auf die Regierung der VRC auszuüben, Auskunft über ihren Verbleib und ihren Zustand zu geben. Das Zentrum bittet auch die UN-Arbeitsgruppe für das Verschwindenlassen von Personen (UN Working Group on Enforced and Involuntary Disappearance/UNWGEID), sich dieser dringenden Angelegenheit anzunehmen und um der verschwundenen Tibeter willen zu intervenieren. Es fordert ebenso ein Ende des Leidens, das durch diese grausame Praxis, mittels derer die politisch Andersdenkenden und ihre Familien in Tibet zum Schweigen gebracht werden, herbeigeführt wird.

Das Zentrum erinnert an das Recht eines jeden Menschen auf Leben, Freiheit und Würde und folglich auf das Recht, vor Entführung geschützt zu sein. Der wesentliche Wert der menschlichen Existenz besteht darin, ein Leben in Freiheit zu führen, ohne Beeinträchtigung der eigenen Rechte oder Ansprüche, ohne diskriminiert zu werden oder Schaden zu erleiden, so wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte [Art. 7] steht. Verschwindenlassen bedeutet nicht nur eine Verletzung dieses grundlegenden Menschenrechts, indem es einen Menschen der Schutzsphäre des Gesetzes physisch entzieht, sondern es nimmt den Angehörigen der entführten Person auch das Recht, die Wahrheit zu erfahren und Gerechtigkeit zu suchen.

Die Regierung der VRC hat das Internationale Übereinkommen zum Schutz aller Personen vor dem Verschwindenlassen, das am 20. Dezember 2006 von der Vollversammlung der UNO verabschiedet wurde, immer noch nicht unterzeichnet, geschweige denn ratifiziert. Das TCHRD ruft die VRC auf, dieses wichtige internationale Abkommen zu unterzeichnen und zu ratifizieren, und gleichzeitig im eigenen Lande ein Gesetz zu erlassen, das Verschwindenlassen unter Strafe stellt.