5. Dezember 2002
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India
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Pressemitteilung: China verurteilt zwei Tibeter zum Tode

Das TCHRD erhielt eine bestätigte Information, nach der Tulku Tenzin Delek (alias Angag Tashi) und Lobsang Dhondup hingerichtet werden sollen. Tibetischen Quellen zufolge, und wie auch Sichuan People"s Daily (3. Dezember 2002) berichtete, wurde Lobsang Dhondup zum sofortigen Tode bei lebenslangem Verlust der politischen Rechte und Tulku Tenzin Delek zum Tode mit zweijähriger Aussetzung des Vollzugs verurteilt.

Das chinesische Strafrecht gewährt den Angeklagten die Möglichkeit, innerhalb von 10 Tagen nach dem Urteilsspruch Berufung dagegen einzulegen, doch haben Berufungen so gut wie nie Erfolg . Das ist seit der sogenannten Liberalisierung in Tibet das erste Mal, daß eine solche Strafe über eine Gewissensgefangene verhängt wurde.

Foto: TCHRD

Wie das TCHRD erfuhr, fand die Verhandlung gegen die Beiden am 2. Dezember 2002 vor dem Mittleren Volksgericht der TAP Karze in der Provinz Sichuan statt. Ihnen wird Mittäterschaft bei einem Bombenattentat am 3. April auf dem Hauptplatz (Tianfu) der Stadt Chengdu zur Last gelegt. Andere gegen sie erhobene Klagen sind "illegaler Besitz von Waffen" und "Teilnahme an spalterischen Aktivitäten".

Es wurde weiter berichtet, der Tulku habe dem Gerichtshof falsche Anschuldigungen und ein ungerechtes Gerichtsverfahren vorgeworfen und "Lang lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama" gerufen. Sicherheitspersonal stürzte sofort in den Gerichtssaal und stopfte dem Tulku mit einem Stück Tuch den Mund zu. Er soll daraufhin in einen Raum im Inneren des Gerichtsgebäudes geschleppt worden sein.

Tulku Tenzin Delek, ein hoch angesehener Lehrer aus dem Distrikt Lithang in der TAP Karze, wurde in der Nacht des 7. Aprils 2002 zusammen mit Lobsang Dhondup und drei weiteren seiner Gehilfen festgenommen. Acht Monate lang, bis zum Tag der Gerichtsverhandlung, wurde er ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt gefangen gehalten.

Man nimmt allgemein an, daß religiöse Würdenträger wegen des großen Einflusses, den sie auf die ortsansässige Bevölkerung haben, in letzter Zeit eine besondere Zielscheibe der Unterdrückung geworden sind. Diese Tendenz der Behörden, in den religiösen Lehrern eine Bedrohung zu sehen, führte zu einer Reihe von Verhaftungen hoch verehrter Lamas wie Geshe Sonam Phuntsok und Khenpo Jigme Phuntsok.

Diese Verschärfung der Repression erfolgt zu einer Zeit, wo die chinesische Regierung erpicht darauf ist, nach den Ereignissen vom 11. September politische Aktivitäten als Akte von Terrorismus zu brandmarken. Zusätze zum chinesischen Strafrecht, die im Dezember 2001 verabschiedet wurden, setzen die Strafen für Personen, die "eine terroristische Vereinigung gründen oder leiten" von drei bis zu zehn Jahren Gefängnis bis zu lebenslänglich herauf (§ 120 des Strafgesetzes). Der Begriff "terroristische Vereinigung " wird jedoch nicht definiert, womit eine große Bandbreite mehrdeutiger Interpretationen möglich wird, die gewaltlose politische Tätigkeiten mit einschließt.

Das TCHRD ist um das Schicksal von Lobsang Dhondup und Tulku Tenzin Delek tief besorgt und ersucht den Sonderbeauftragten bei den Vereinten Nationen für außergerichtliche und willkürliche Hinrichtungen oder Hinrichtungen im Schnellverfahren, die Regierungen in aller Welt und die internationale Gemeinschaft um sofortige Intervention.

Kurze Erläuterungen zu Tulku Tenzin Delek

Allgemein wird angenommen, daß Tulku Tenzin Delek die Bombenattentate wegen seiner sogenannten "spalterischen" Aktivitäten angehängt werden. Der Tulku ist für seinen großen Einsatz zur Wiederbelebung der tibetischen Kultur und Religion und sein soziales Engagement, wie auch wegen seiner kühnen Äußerungen über die repressive Politik der Chinesen in Tibet berühmt. Er betonte stets, wie wichtig es sei, sich nach den Lehren des Dalai Lama zu richten und die einzigartige Kultur Tibets zu bewahren. Darüber hinaus hatte er vor ein paar Jahren eine Audienz beim Dalai Lama in Indien. Mehr zu Tulku Tenzin Delek unter www.tchrd.org/hrupdate/2002/200210.html, deutsch: www.igfm-muenchen.de/tibet/tchrd/hru/hru-2002-10.html.

Es ist bekannt, daß den Behörden in Karze der Einfluß von Tulku Tenzin Delek in der Gegend schon seit geraumer Zeit ein Dorn im Auge war, und sie ihn wegen seiner Verbindungen zum Dalai Lama verdächtigen. Tulku Tenzin Delek wurde, nachdem er fünf Jahre lang (1982 bis 1987) in Südindien im Drepung Kloster studiert hatte , intensiver politischer Überwachung unterstellt. Damals wurde er vom Dalai Lama als Wiedergeburt eines bedeutenden religiösen Lehrers des Klosters Lithang erkannt. Nach seiner Rückkehr aus Indien wurde er zunehmend durch die Behörden schikaniert.

Zuerst wollten sie ihn 1998 unter dem Vorwand festnehmen, er habe ohne Zustimmung der Regierung "selbstherrlich neue Klöster gegründet und das Banner des Lamaismus hochgehalten", sowie "die Grundlinien der staatlichen Politik verletzt". Sie verdächtigten den Tulku auch, der Anführer eines populären Protestes gegen den von einer Holzfirma betriebenen Kahlschlag in der Gegend zu sein.

Die Leute aus der Gegend schrieben eine Petition zugunsten von Tulku Tenzin Delek. Im erstem Satz des auf Chinesisch abgefaßten Dokuments ist von dem positiven Einfluß von Tulku Tenzin Delek auf die in ihrer Gegend vorhandenen sozialen Probleme die Rede. Die von mehreren tibetischen und chinesischen Familien unterschriebene Bittschrift endet mit einem Aufruf an die Lokalbehörden, im Falle des Tulku eine "gute Entscheidung" zu treffen. Tulku Tenzin Delek konnte später von dem Ort, an dem er sich vorübergehend verborgen gehalten hatte, zurückkehren.

2000 zwangen die Behörden Tulku Tenzin Delek, die von ihm gegründete Schule in Lithang zu schließen und versuchten erneut, ihn zu verhaften. Der Tulku setzte sich wieder aus der Gegend ab, und die Leute, die dort wohnen, unterschrieben erneut eine Petition zu seiner Unterstützung. Die Behörden reagierten auch diesmal auf ihr Anliegen, doch stellten sie nun die Bedingung, daß er nach seiner Rückkehr "das ruhige Leben eines gewöhnlichen Mönches" führen und sich jeder "politischen Betätigung" enthalten müsse. Seine Freizügigkeit wurde auch eingeschränkt.

Die offizielle Bestätigung der Festnahme des Tulku erfolgte, als PSB Beamte vom Distrikt Dartsedo die dortigen Bewohner informierten, der Tulku habe einen schriftlichen Antrag auf die Verhandlung seines Falles vor Gericht eingereicht. Eine Kopie des besagten Antrages wurde an eine benachbarte Brücke geheftet. Die Behörden forderten die Hinterlegung der astronomischen Summe von 1 Million RMB (118.000 USD) für die Eröffnung eines Gerichtsprozesses. Es ist offensichtlich, daß die genannte Summe verlangt wurde, um dem Tulku die Möglichkeit eines ordentlichen Verfahrens und damit Gerechtigkeit zu verwehren. Solch eine Forderung zeigt deutlich, wie sehr Korruption und Bestechung das chinesische Justizsystem bestimmen.

Die Behörden teilten den Bewohnern des Ortes auf deren Anfrage nicht mit, um was für eine Art von Prozeß es sich handelte, und einer von ihnen kommentierte: "Selbst wenn wir die Summe zusammenbekommen, glaube ich nicht, daß dies das Schicksal des Tulku ändern würde. Es wäre ein doppelter Verlust".

Ein getreuer Anhänger des Tulku begann jedoch für die Einleitung des Verfahrens mit einer Sammelaktion. Er bildete ein Team, um von den Tibetern von Lithang und der angrenzenden Distrikte Geld zu sammeln. Als sie etwa die Hälfte der Summe beisammen hatten, setzte das PSB ihrer Aktion ein Ende und nahm drei Personen des Teams fest: Tsering Dhondup, Tsultrim Dargyal und Dimey Gyatso. Außer Tsering Dhondup, der sich noch in Haft befindet, wurden die anderen beiden nach einer Woche freigelassen.

Die Leute aus der Gegend versuchten tatsächlich, die geforderte Summe (1 Mio. RMB) zu sammeln, um dem Tulku ein ordentliches Gerichtsverfahren zu ermöglichen. Sie hatten sich mit Anzeigen auseinanderzusetzen und zahlten mit ihrer Freiheit für ihren Versuch, wobei einer von ihnen sich immer noch in chinesischem Gewahrsam befindet.

Obwohl die grundlegenden Menschenrechte in der chinesischen Verfassung verankert sind, wird ihr Schutz in der Praxis meistens ignoriert. Häufige Formen von Menschenrechtsverletzung sind willkürliche Festnahmen und Haft, langfristige Isolationshaft ohne jegliche Verbindung zur Außenwelt und Verweigerung eines ordentlichen Prozesses. In den meisten politischen Fällen versagt das Justizsystem den Angeklagten die grundlegenden gesetzlichen Rechte und einen ordentlichen Prozeß, weil den Behörden die öffentliche Ordnung und die Unterdrückung politischen Widerstandes wichtiger sind als die Wahrung gesetzlicher Normen. Wenn die rechtliche Ordnung derart pervertiert wird, steht eine hohe Zahl von Fehlurteilen von vornherein fest.

Man weiß immer noch nichts Genaues über den Aufenthaltsort von Tulku Tenzin Delek, der seit seiner Verhaftung vor acht Monaten ohne jeglichen Kontakt zur Außenwelt ist. Dieser Umstand läßt darauf schließen, daß er intensiv gefoltert worden sein könnte. Abgesehen von einigen unbestimmten Berichten, daß er sich im PSB Haftzentrum von Dartsedo befinde, hat ihn bis zu seinem kürzlichen Erscheinen vor Gericht in Dartsedo niemand zu Gesicht bekommen.

Da das chinesische Rechtssystem lange Untersuchungshaftzeiten ohne Eröffnung eines Prozesses und die von Verwaltungsinstanzen verhängte sogenannte Administrativhaft vorsieht, schafft es die geeigneten Bedingungen dafür, daß es in Tibet immer wieder zu einem plötzlichen "Verschwinden" von Personen kommt. Der Fall des Tulku verstößt gegen die Regel No. 37 der "Standard-Mindestregeln für die Behandlung von Gefangenen" der Vereinten Nationen, die garantiert, daß "Gefangenen unter der notwendigen Aufsicht erlaubt wird, mit ihren Angehörigen und Freunden von gutem Leumund in regelmäßigen zeitlichen Abständen sowohl durch Briefwechsel als auch durch den Empfang von Besuchen den Kontakt aufrechtzuerhalten".

Das Photo von Tulku Tenzin Delek ist der Website des TCHRD entnommen.

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