25. April 2005/25. April 2007
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
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Gedhun Choekyi Nyima: Der XI. Panchen Lama Tibets

Ordinationsname: Tenzin Gedhun Yeshe Trinley Phuntsok Pal Sangpo (Gedhun Choekyi Nyima)
Geburtstag: 25. April 1989
Geburtsort: Distrikt Lhari, Präfektur Nagchu, Autonome Region Tibet (Tibet Autonomous Region - TAR)
Datum der Anerkennung als Reinkarnation des X. Panchen Lama durch den Dalai Lama: 14. Mai 1995
Datum der Entführung: 17. Mai 1995
Jetziges Alter: 18 Jahre


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Einführung

Gedhun Choekyi Nyima wurde am 25. April 1989 (am 19. Tag des dritten Lunar-Monats im Erd-Schlangenjahr nach dem tibetischen Kalender) im Distrikt Lhari, Präfektur Nagchu, TAR, als Sohn von Konchok Phuntsok und Dechen Chodon geboren. Am 14. Mai 1995 gab der Dalai Lama seine Anerkennung von Gedhun Choekyi Nyima als der XI. Reinkarnation des Panchen Lama bekannt. Drei Tage nach dieser Ankündigung verschwanden Gedhun Choekyi Nyima und seine Familie. Über ihren Aufenthaltsort und ihr Befinden weiß die Welt bis heute nichts. Die Regierung der VR China setzte im November 1995 einen anderen Knaben, Gyaltsen Norbu, als XI. Panchen Lama ein. Er wurde im Dezember 1995 inthronisiert.

Am 14. Mai 1995 erkannte der Dalai Lama gemäß dem komplizierten System der Suche nach der Wiedergeburt hoher geistlicher Würdenträger der buddhistischen Tradition Gedhun Choekyi Nyima als XI. Reinkarnation des Panchen Lama an. Die Behörden in Peking wiesen die Ernennung zurück und gaben am 24. Mai 1995 nach einer dreitägigen, eiligst einberufenen Sitzung der „Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes“ eine Erklärung ab, in der sie die Proklamation des Dalai Lama als „illegal und ungültig“ bezeichneten. Chinas Erwiderung auf die vom Dalai Lama getroffene Wahl des Panchen Lama bestand darin, die Legitimität von Gedhun Choekyi Nyima zu bestreiten und ein anderes Kind als die echte Inkarnation zu proklamieren – ein beispielloser und bizarrer Akt eines offiziell atheistischen Regimes.

Ungeachtet der Nachfragen der verschiedensten Organisationen auf der ganzen Welt, besorgter Regierungen und Nichtregierungsorganisationen hat sich die Regierung der VR China bisher geweigert, irgendwelche verifizierbaren Informationen zum Schicksal von Gedhun Choekyi Nyima vorzulegen, noch hat sie den Besuch unabhängiger Beobachter bei dem Jungen und seinen Eltern gestattet, um sich deren Gesundheit und Wohlbefindens zu vergewissern.


Ein Jahrzehnt ohne Kontakt zur Aussenwelt: Gedhun Choekyi Nyima

Nachdem der X. Panchen Lama im Jahr 1989 unter mysteriösen Umständen zu Tode gekommen war, beauftragte die Regierung der VR China eine Suchkommission mit der Auffindung seiner Wiedergeburt. Die von Peking gesetzten Rahmenbedingungen gestatteten die Anwendung der traditionellen Methoden bei der Suche nach dem Kind, vorausgesetzt, es werde „auf chinesischem Territorium“ gefunden. Außerdem behielt sich die chinesische Regierung die endgültige Anerkennung vor.

Chadrel Rinpoche, der ehemalige Abt des Klosters Tashi Lhunpo, war der Leiter dieser Suchkommission. Er wußte ganz genau, daß die Tibeter niemals ein Kind akzeptieren würden, das der Dalai Lama nicht anerkannt hatte. Sein Ziel scheint deshalb gewesen zu sein, darauf hinzuwirken, daß China und der Dalai Lama dasselbe Kind als Reinkarnation anerkennen, um zukünftige Konflikte zu vermeiden. Seine Absicht zur Kooperation mit dem Dalai Lama wurde anfänglich von den chinesischen Behörden gebilligt, und sie gestatteten ihm im Juli 1993 sogar, den Gesandten des Dalai Lama öffentlich einen Brief zu übergeben, in dem er um dessen Unterstützung bei der Suche nach der Reinkarnation bat.

Später änderte die chinesische Regierung jedoch ihre Politik in Bezug auf die Kontakte mit dem Dalai Lama in religiösen Angelegenheiten und entschied im Juli 1994: „Wir müssen das wahre politische Gesicht des Dalai Lama entlarven, das sich hinter seiner religiösen Maske verbirgt“.

Die Suche nach der Reinkarnation des Panchen Lama, eigentlich nach jeder Reinkarnation überhaupt, ist eine rein religiöse Angelegenheit. Im Fall des Panchen Lama beinhaltet das hergebrachte Verfahren den abschließenden Auswahlprozeß durch den Dalai Lama. Diese Tradition geht auf den fünften Dalai Lama, Ngawang Lobsang Gyatso (1617-1682), zurück, der damals seinen Lehrer Lobsang Choekyi Gyaltsen zum Panchen Lama (Großen Gelehrten) des Klosters Tashi Lhunpo ernannt hatte. Damit wurden auch die drei vorangegangenen Inkarnationen von Lobsang Gyaltsen posthum als Panchen Lamas anerkannt. Der VII. Dalai Lama erkannte den VI. Panchen Lama an, der seinerseits den VIII. Dalai Lama anerkannte. In gleicher Weise erkannte der VIII. Dalai Lama den VII. Panchen Lama an. Es ist bedauerlich, daß sich der atheistische chinesische Staat unter völliger Mißachtung der höchsten Autorität Seiner Heiligkeit des Dalai Lama in den spirituellen Angelegenheiten Tibets erlaubte, seinen eigenen Panchen Lama zu bestimmen.

Am 14. Mai 1995 verkündete der Dalai Lama: „Ich habe den am 25. April 1989 im Distrikt Lhari in Nagchu in Tibet geborenen Gedhun Choekyi Nyima, dessen Vater Konchok Phuntsok und dessen Mutter Dechen Chodon sind, als die wahre Inkarnation des Panchen Rinpoche erkannt“. Der Dalai Lama fügte hinzu, er habe alle für die Anerkennung notwendigen religiösen Riten durchgeführt und stellte klar, daß es sich bei der Reinkarnation des Panchen Lama um eine religiöse und um keine politische Angelegenheit handle. Weiter sagte er, er hoffe, die chinesische Regierung würde mit dem Kloster Tashi Lhunpo zusammenarbeiten, damit der Knabe eine angemessene religiöse Ausbildung erhalte und es ihm ermöglicht werde, seinen religiösen Verpflichtungen nachzukommen.

Die Regierung der VR China reagierte schnell und mit Ablehnung auf die Erklärung des Dalai Lama und bezeichnete sein Handeln als „gänzlich illegal und ungültig“. Am 17. Mai wurde Chadrel Rinpoche festgenommen, um verhört zu werden. Gleich darauf wurde das Kloster Tashi Lhunpo für Außenstehende geschlossen. Chinesische „Arbeitsteams“ und Kader des Sicherheitsbüros (Public Security Bureau – PSB) frequentierten das Kloster, um dort Schulungen in „patriotischer Umerziehung“ durchzuführen, in denen die Mönche Kritik am Dalai Lama üben mußten. Die Lage in dem Kloster war äußerst angespannt, die Mönche leisteten Widerstand und drohten mit Protestdemonstrationen, so daß die Bereitschaftspolizei gerufen und alle Touristen aus der Stadt Shigatse ausgewiesen wurden.


China setzt seinen eigenen Panchen Lama ein

Im November 1995 bestellte die Regierung der VR China eine Gruppe von hochrangigen tibetischen Lamas ein und schickte sie nach Peking, wo sie eine Zeremonie zur Inthronisierung eines „chinesischen“ Panchen Lama durchführen sollten. Am 29. November 1995, sieben Monate nach der Bekanntgabe durch den Dalai Lama, rief China den Sohn tibetischer Mitglieder der Kommunistischen Partei, Gyaltsen Norbu, als den XI. Panchen Lama aus. Der Dalai Lama nannte dieses Vorgehen „bedauerlich“ und betonte dabei, daß seine Entscheidung nicht geändert werden könne, weil er bereits alle vorgeschriebenen Prozeduren ausgeführt habe. Innerhalb von Stunden veröffentlichte das offizielle chinesische Presseorgan eine verunglimpfende Meldung über Gedhun Choekyi Nyima, in der es hieß, der Knabe hätte einmal „einen Hund ertränkt“, und seine Eltern seien „ für Spekulationen und Betrügereien bekannt und täten alles, um zu Ruhm und ihrem Vorteil zu gelangen“. Weiter stand in der Erklärung, kein normaler frommer Tibeter würde den Versuch der Familie, den Buddha zu betrügen, durchgehen lassen.

Ende November 1995 sagte der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Shen Guofang: „Wir haben keine Ahnung, wo sich der sogenannte ‚Seelenknabe’, der vom Dalai Lama bestimmt wurde, aufhält“. Er bestritt, daß Gedhun Choekyi Nyima und seine Familie in den vergangenen Monaten in Peking in Gewahrsam gehalten worden seien, und fügte hinzu: „Er wird nicht vermißt und ist auch nicht eingesperrt“, vielmehr „ist er höchstwahrscheinlich dort, wo er geboren wurde“.

Obwohl sie die Autorität des Dalai Lama für die Anerkennung des Panchen Lama bestreiten und Gedhun Choekyi Nyima nicht als den wahren Panchen Lama akzeptieren, räumten die Chinesen schließlich ein, daß der Knabe in Gewahrsam gehalten werde. Man hat Schwierigkeiten sich vorzustellen, was die chinesische Regierung dazu veranlaßt, mit solchem Aufwand für die „Sicherheit“ eines Jungen zu sorgen, den sie als ein ganz gewöhnliches Kind betrachtet.

Anläßlich einer Anfrage des Komitees der Vereinten Nationen über die Rechte des Kindes nach dem Aufenthaltsort des XI. Panchen Lama ein Jahr später gab die VR China offiziell zu, daß sie ihn und seine Familie an einem geheimen Ort in Gewahrsam halte. Wu Jianmin (UN-Botschafter der VR China) drückte dies so aus: „(Gedhun Choekyi Nyima) wurde auf Wunsch seiner Eltern von der Regierung unter Schutz gestellt.“ Wu gab nicht bekannt, wo der Knabe festgehalten wird. Zu diesem Zeitpunkt berichtete Xinhua, Separatisten beabsichtigten, den Knaben zu entführen, und seine Sicherheit sei bedroht gewesen. Die tibetische Regierung-im-Exil bezeichnete die tatsächliche Entführung des Panchen Lama als „einen eindeutigen Versuch Chinas, sich in die religiösen Angelegenheiten Tibets einzumischen“. Ihr Sprecher sagte: „Nicht nur die Tibeter, sondern die ganze Welt verbäte sich Chinas Einmischung in die religiösen Angelegenheiten Tibets“.

Dieses Eingreifen in den Auswahlprozeß des XI. Panchen Lama ist ein weiteres Beispiel für die vielfältigen Formen der religiösen Unterdrückung in Tibet. Durch die patriotische Umerziehungskampagne in den tibetischen Klöstern, mit der im April 1996 begonnen wurde, sollen Mönche und Nonnen mit bestimmten Ansichten indoktriniert werden, so sollen sie von der Einheit Chinas und Tibets überzeugt sein, die Unabhängigkeit Tibets verwerfen, den Dalai Lama denunzieren, die Begrenzung der Anzahl von Mönchen und Nonnen in den Klöstern als notwendig betrachten, und den von China eingesetzten Panchen Lama anerkennen. Mönche und Nonnen, die sich weigern, diesen Punkten zuzustimmen, riskieren, schikaniert, aus dem Kloster gejagt oder sogar inhaftiert zu werden. Im Zuge dieser Kampagne wurden im Laufe der vergangenen acht Jahre 11.383 Mönche und Nonnen aus ihren Klöstern ausgeschlossen.


Widersprüchliche Informationen

Im Jahr 1997 wurden zwei westlichen Delegationen widersprüchliche Informationen über den Aufenthaltsort von Gedhun Choekyi Nyima gegeben. Der Vizegouverneur der Autonomen Region Tibet, Yang Chuantang, antwortete einer australischen Delegation, der Knabe lebe in seinem Geburtsort, dem Dorf Lhari. Einer amerikanischen Delegation wurde jedoch erzählt, er befände sich – wie bereits zuvor von unbestätigten Berichten angedeutet – in Peking.

Viele hochrangige Delegationen und Gremien haben ihrer Besorgnis darüber Ausdruck verliehen, daß der Panchen Lama immer noch in Gewahrsam gehalten wird. Auch die ehemalige Hochkommissarin für Menschenrechte der Vereinten Nationen, Mary Robinson, hat die Angelegenheit bei ihrem Chinabesuch im September 1998 zur Sprache gebracht. Dennoch weigert sich die VR China nach wie vor, Besuche von Außenstehenden bei den Jungen und seinen Eltern zuzulassen. Im Oktober 2000 brachten britische Regierungsvertreter den Fall Gedhun Choekyi Nyima im Verlauf des Menschenrechtsdialogs mit China vor. In dem Bemühen, die internationale Gemeinschaft aber weiterhin glauben zu machen, daß der Panchen Lama gesund und glücklich sei, erzählten die chinesischen Behörden der britischen Delegation, der Junge ginge zur Schule. Er würde auf den ausdrücklichen Wunsch seiner Eltern von der Außenwelt abgeschottet und sei ein guter Schüler. Sie behaupteten, die Eltern wollten nicht, daß Ausländer oder Medienvertreter in sein Leben eindrängen. Der britischen Delegation wurden zwei Fotos eines Knaben von ungefähr dem gleichen Alter gezeigt, die angeblich den Panchen Lama darstellten. Es war jedoch unmöglich, die Identität des Jungen auf den Fotos zu verifizieren oder festzustellen, wo sie aufgenommen worden waren, und die britische Delegation durfte die Bilder auch nicht mitnehmen. Die Bitte der Briten, einer unabhängigen und sowohl für Peking als auch für den Dalai Lama akzeptablen Person von internationalem Rang einen Besuch bei Gedhun Choekyi Nyima zu gestatten, wurde wieder einmal abgelehnt.

Im August 2001 bekam eine Delegation polnischer Parlamentarier, die Lhasa besuchte, auf ihre wiederholten Fragen zu hören, Gedhun Choekyi Nyima und seine Familie befänden sich zu ihrem Schutz unter Bewachung und seien gesund. Man versprach den Mitgliedern der Delegation, ihnen innerhalb von sechs Wochen Fotos des Knaben zuzuschicken, aber diese trafen niemals bei ihnen ein. Statt dessen erhielt die polnische Regierung einen Brief von der chinesischen Botschaft in Warschau, in dem wiederholt wurde, Gedhun Choekyi Nyima und seine Eltern wünschten nicht, daß ihr friedliches Dasein von Fremden gestört werde; abgesehen davon respektiere die chinesische Regierung die Entscheidungsfreiheit ihrer Bürger und hoffe, das polnische Volk hätte dafür ebenfalls Verständnis.

Einer australischen Delegation wurde im Oktober 2001 gesagt, die Eltern von Gedhun Choekyi Nyima bestünden darauf, daß er keinen Besuch von ausländischen Delegationen erhalte. Die Eltern hätten gesagt, sie wollten, daß man ihre Privatsphäre respektiere und seien ganz explizit dagegen, daß irgendwelche Leute Zugang zu ihrem Sohn bekämen; er führe ein normales Leben und solle nicht von fremden Leuten belästigt werden.

Während des Treffens einer Regierungsdelegation aus der TAR mit einer Delegation des Europäischen Parlaments im März 2002 wurde die Behauptung wiederholt, die Eltern von Gedhun Choekyi Nyima wollten nicht, daß er gestört werde. Die TAR-Delegation lehnte es ab, Fragen nach den Fotos zu beantworten, die der polnischen Delegation versprochen worden waren. Bei verschiedenen Gelegenheiten im Jahr 2004 gab die VR China an, er stünde nach wie vor unter dem Schutz des Staates und gehe in einem kleinen Dorf zur Schule. Bis heute hat jedoch kein Außenstehender den Panchen Lama je zu Gesicht bekommen.

Die wiederholten seit 1997 erfolgten Anfragen der UN-Arbeitsgruppe für Zwangsverschleppung und unfreiwilliges Verschwinden, China möge einen schriftlichen Nachweis liefern, daß Gedhun Choekyi Nyima und seine Familie keinen Besuch von Außenstehenden wünschten, blieben unbeantwortet. Hingegen teilte die chinesische Regierung im September 2005 dem UN-Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit mit, daß Gedhun Choekyi Nyima „sich guter Gesundheit erfreut, gleich anderen Kindern ein normales, glückliches Leben führt und eine gediegene kulturorientierte Erziehung genießt“.

Ein Jahr danach behauptete die Regierung in einer offiziellen Kommunikation an einen UN-Menschenrechtsexperten, Gedhun Choekyi sei nicht der Panchen Lama, sondern „nur ein gewöhnliches tibetisches Kind“. Dennoch weigert sich China hartnäckig, einem unabhängigen Sachverständigen Zugang zu dem Jungen zu gewähren, um sich seines Wohlergehens zu vergewissern.

Zuletzt sprach die Menschenrechtsgruppe Amnesty International bei der chinesischen Regierung wegen dem Verbleib des Panchen Lama vor und bat darum, ihm Freizügigkeit zu gewähren. Außerdem wurde bei einer Sitzung des UN-Menschenrechtsrats dieses Jahr eine Erklärung von 15 NGOs verabschiedet, in der die Verschleppung und Festhaltung des 11. Panchen Lama Tibets als ein anhaltendes Verbrechen bezeichnet wird.


Verhaftungen im Zusammenhang mit der Reinkarnation

Chadrel Rinpoche, der ehemalige Abt des Klosters Tashi Lhunpo und von den Behörden als Leiter der Suchkommission nach dem XI. Panchen Lama eingesetzt, wurde am 17. Mai 1995 – also an dem selben Tag, an dem Gedhun Choekyi Nyima verschwand – verhaftet und später zu sechs Jahren Haft verurteilt, weil er bei seiner Suche nach der Reinkarnation des Panchen Lama „Staatsgeheimnisse verraten“ und „mit ausländischen separatistischen Kräften konspiriert“, habe. Der Vorwurf, er habe Staatsgeheimnisse enthüllt, bezog sich auf einen Brief, den er offenbar im Dezember 1994 an den Dalai Lama geschickt und in dem er die Namen von 25 Knaben aufgelistet hatte, die als Wiedergeburten in Frage kämen. Erst zwei Jahre nach seiner Verhaftung, im Jahr 1997, gaben die chinesischen Behörden preis, daß Chadrel Rinpoche verurteilt und inhaftiert worden war.

Am 21. August 1995 bestritt ein Sprecher des Außenministeriums Chinas die Inhaftierung von Chadrel Rinpoche und behauptete, er sei erkrankt und befände sich in einem Krankenhaus. Informationen aus inoffiziellen Quellen ließen 1997 darauf schließen, daß er im Gefängnis Chuandong No.3 inhaftiert war, das 300 km östlich von Chengdu im Osten der Provinz Sichuan liegt. Die Mönche des Klosters Tashi Lhunpo unterstützten offen die vom Dalai Lama ausgesprochene Ernennung von Gedhun Choekyi Nyima zum XI. Panchen Lama, um auf diese Weise ihre Mißbilligung des von der Regierung eingesetzten Panchen Lama und der Inhaftierung von Chadrel Rinpoche zum Ausdruck zu bringen. Als Reaktion hierauf drangen am 11. Juli 1995 chinesische Soldaten in das Kloster ein und verhafteten 60 Mönche und tibetische Laien, die verdächtigt wurden, an der Auswahl Gedhun Choekyi Nyimas beteiligt gewesen zu sein oder sie unterstützt zu haben.

Zusammen mit Chadrel Rinpoche wurden zwei seiner engsten Mitarbeiter inhaftiert: Champa Chung (alias Chung la, chin: Qamba Qung), der 58 Jahre alte ehemalige Sekretär der Suchkommission nach dem Panchen Lama und stellvertretende Verwaltungsdirektor des Dechen Kelsang Podrang (chin: Deqen Gaisang Phozhang), der Residenz des Panchen Lama in Shigatse, und der aus dem Distrikt Panam in Shigatse stammende Geschäftsmann Samdrup, der in der dem Kloster angegliederten Handelsgesellschaft tätig war.

Am 21. April 1997 sprach der Mittlere Volksgerichtshof der Präfektur Shigatse (chin: Xigaze), TAR, das Urteil über Chadrel Rinpoche, Champa Chung und Samdrup. Chadrel Rinpoche wurde zu sechs Jahren Haft im Gefängnis Chuandong No. 3 im Kreis Tazhu, Provinz Sichuan, verurteilt und für drei Jahre seiner politischen Rechte entkleidet: Bei diesem Gefängnis handelt es sich um eine Anstalt für besonders brisante Fälle von politischem Dissens. Champa Chung kam für vier Jahre ins Haftzentrum Seitru (PSB-Haftzentrum) in Lhasa, und die politischen Rechte wurden ihm für zwei Jahre abgesprochen. Samdrup erhielt zwei Jahre Haft mit anschließender Aberkennung seiner politischen Rechte für ein weiteres Jahr. Er wurde vermutlich ebenfalls in Seitru inhaftiert.

Die drei Angeklagten wurden gemäß § 92, § 186, Absatz 1, sowie den §§ 23, 24, 51, 64 und § 59, Absatz 2, des Strafrechts der VR China wegen „Konspiration zur Spaltung des Landes“ verurteilt. Der § 92 bezieht sich auf „Verschwörungen zum Sturz der Regierung und Zersplitterung des Staates“. Einem Bericht der offiziellen Nachrichtenagentur Xinhua vom 7. Mai 1997 zufolge wurden die Angeklagten unter Berücksichtigung der besonderen „Umstände des Falles“ zu Strafen unterhalb der für dieses Delikt vorgesehenen Mindeststrafe, nämlich zehn Jahre Haft, verurteilt.

Obwohl Chadrel Rinpoches sechsjährige Haftstrafe am 16. Mai 2001 zu Ende ging, wird er immer noch in Shigatse unter Hausarrest gehalten, was in gewisser Weise als eine Verlängerung der Haft angesehen werden kann. Die fortgesetzte willkürliche Gefangenhaltung von Chadrel Rinpoche macht Pekings absolute Mißachtung sowohl der eigenen wie auch der internationalen Gesetze deutlich. Sie stellt eine Verletzung von Art. 9 des Internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte (International Covenant on Civil and Political Rights – ICCPR) dar, das die willkürliche Inhaftierung von Personen verbietet und das von China im Oktober 1998 unterzeichnet wurde. Vor seiner Inhaftierung bekleidete Chadrel Rinpoche die Ämter des Direktors der Gesellschaft für Zivilverwaltung und des Vorsitzenden des Demokratischen Managementkomitees des Klosters Tashi Lhunpo. Des weiteren war er Mitglied der Politischen Konsultativkonferenz des chinesischen Volkes (Chinese People’s Political Consultative Conference – CPPCC) und Vizevorsitzender dieses Gremiums in der TAR.


Die Winkelzüge der chinesischen Propaganda

Die Pekinger Regierung hat ihre Anstrengungen verstärkt, Gyaltsen Norbu als den echten Panchen Lama zu propagieren. Das macht deutlich, welch hohe politische Priorität der Durchsetzung einer allgemeinen Anerkennung des Knaben als der wahren Inkarnation des XI. Panchen Lama zukommt. Die Mehrzahl der Tibeter akzeptieren den Jungen jedoch nicht als den rechtmäßigen Panchen Lama, vielmehr bleiben sie dem im Mai 1995 vom Dalai Lama als Reinkarnation des X. Panchen Lama erkannten Knaben Gedhun Choekyi Nyima treu – für viele Tibeter ein gefährlicher Weg zum Ausdruck ihrer Loyalität gegenüber dem Dalai Lama. Der Besitz von Bildern, die Gedhun Choekyi Nyima als den XI. Panchen Lama darstellen, wird vom Staat als Bedrohung für die Einheit Chinas und der nationalen Sicherheit geahndet.

In den späten Neunzigern begannen die chinesischen Medien, eifrig für Gyaltsen Norbu, als dem wahren Gesicht des Panchen Lama von Tibet zu werben: So stand die erschöpfende Berichterstattung über seine Besuche in Tashi Lhunpo, dem offiziellen Sitz des Panchen Lama in Shigatse, und in Lhasa im Mittelpunkt, die beide von strengen und aufwendigen Sicherheitsvorkehrungen begleitet waren. Chinas Versuch, die Herzen und Gemüter der Tibeter für sich zu gewinnen, ist jedoch kläglich gescheitert. Gyaltsen Norbu wird in Tibet häufig als der „Panchen Zuema“ bezeichnet, was wörtlich „der falsche Panchen“ bedeutet. Die Begegnung des chinesischen Parteisekretärs und Präsidenten Hu Jintao mit Gyaltsen Norbu am 3. Februar 2005 in der Großen Halle des Volkes ist bezeichnend für die Intensivierung der Kampagne zur Anerkennung der Legitimität dieses Jugendlichen als einer hochrangigen geistlichen und patriotischen Figur. Offizielle chinesische Veröffentlichungen über Gyaltsen Norbu berichteten von zahlreichen mystischen Vorzeichen, die angeblich seine Authentizität als Reinkarnation eines vollendeten spirituellen Meisters bewiesen – wovon die atheistischen Herrscher natürlich überzeugt waren!

Bei einer geheimen Sitzung in der Provinz Qinghai im November 2004 übten die Regionalbehörden erheblichen Druck auf hochrangige Geistliche aus Amdo aus und zwangen sie unter der Androhung von nicht näher bezeichneten Strafen dazu, Gyaltsen Norbu zu bestätigen und anzuerkennen. Dieser Schritt war offensichtlich eine Folge des glanzlosen Empfangs, der Gyaltsen Norbu bei seinem Besuch in anderen Gebieten Tibets im Jahr 2003 bereitet wurde. China hat in dieser Sache die Schlacht an der spirituellen Front zwar verloren, verlegt sie aber mittlerweile auf die politische Ebene und bombardiert die internationalen Medien regelrecht mit Fotos von Gyaltsen Norbu. Auf diese Weise soll der Knabe international legitimiert werden, damit der vom Dalai Lama ausgewählte Panchen Lama bald aus dem kollektiven Gedächtnis der Welt verschwindet.

Im Rahmen dieser Strategie werden Gyaltsen Norbus Tibetbesuche als Medienereignisse ersten Ranges gefeiert, zu denen in Peking stationierte ausländische Korrespondenten eingeladen werden, damit sie darüber Bericht erstatten. Leider hat sich diese hinterlistige Strategie bei einer Reihe von Veröffentlichungen, in denen Gyaltsen Norbu als der wahre Panchen Lama und der „zweithöchste Mönch im tibetischen Buddhismus nach dem Dalai Lama“ bezeichnet wird, als wirksam erwiesen. In vielen ausländischen Medienberichten war zu lesen, die Panchen Lamas seien für die Auswahl der Dalai Lamas verantwortlich. Tatsächlich verhält es sich so, daß zwar mehrere Panchen Lamas bei der Anerkennung von Dalai Lamas eine wichtige Rolle spielten, es aber auch andere gab, die daran überhaupt nicht beteiligt waren. Es war der Regent Reting Rinpoche, der den XIV. Dalai Lama anerkannte, während der damalige IX. Panchen Lama in keiner Weise involviert war.

Die internationale Gemeinschaft sollte sich nicht von den politischen Täuschungsmanövern der chinesischen Propagandamaschinerie beeindrucken lassen. Ganz egal, was Peking tut, die Tibeter werden stets den vom Dalai Lama ausgewählten Knaben als den rechtmäßigen Panchen Lama verehren. Das Verhalten der chinesischen Behörden im Hinblick auf die Reinkarnation des Panchen Lama stellt hingegen einen weiteren Versuch dar, das gesamte soziale, moralische und religiöse Gefüge des tibetischen Lebens auszuhöhlen, um so ihre koloniale Besitzung noch effektiver ausbeuten zu können.


Hintergrundinformationen

Kurz nachdem er eine aufsehenerregende öffentliche Ansprache gehalten hatte, verstarb der X. Panchen Lama Lobsang Trinley Lhundrup Choekyi Gyaltsen am 28. Januar 1989 im Alter von 50 Jahren im Kloster Tashi Lhunpo in Shigatse. In seiner Rede hatte er gefordert, dem Dalai Lama solle gestattet werden, zusammen mit ihm Richtlinien für eine gemeinsame Tibetpolitik zu erarbeiten. Damit hatte er die Politik der chinesischen Führung in Tibet offen in Frage gestellt. Wörtlich sagte er: „Wenn wir den Preis des Opfers, das wir (Tibeter) gebracht haben, mit der erreichten Entwicklung vergleichen, so bin ich überzeugt, daß der Wert unseres Opfers sehr viel höher zu bemessen ist. Unser Opfer wiegt bei weitem mehr als unser Fortschritt.“

In seiner Eigenschaft als Vizevorsitzender des Nationalen Volkskongresses unternahm der X. Panchen Lama ausgedehnte Reisen durch ganz Tibet. Die Beobachtungen, die er unterwegs machte, bildeten die Grundlage für seine berühmte aus 70.000 Wortzeichen bestehende Petition an die chinesische Führung, mit deren Ausarbeitung er Ende 1961 begonnen hatte. Die Petition ist eine in deutlichen Worten abgefaßte kritische Analyse der chinesischen Politik und der diversen fehlgeleiteten Kampagnen, ebenso wie der vielgepriesenen demokratischen Reformen in Tibet. Bei einer Versammlung im April 1962 in Peking, bei der es um Nationalitätenfragen ging, nutzte er die Gelegenheit und brachte gemeinsam mit seinen tibetischen Mitdelegierten die Lage in den tibetischen Gebieten offen zur Sprache. Am 18. Mai 1962 traf er mit dem damaligen chinesischen Ministerpräsidenten Zhou Enlai zusammen und informierte ihn über den Inhalt seiner Petition. Im Juni ging die Petition in Druck und machte bei der chinesischen Führung die Runde. Der X. Panchen Lama übergab die 70.000-Zeichen-Petition im Jahr 1962 Mao Zedong, der sehr ungehalten auf sie reagierte. Obwohl die chinesische Führung die Petition anfänglich eher positiv sah, änderte sich ihre Einstellung im Oktober 1962 dramatisch, denn zu diesem Zeitpunkt unterzog die Führung des Tibet-Arbeitskomitees sie einer kritischen Prüfung und verlangte ihre Überarbeitung. Dies markierte den Beginn der Verfolgung des Panchen Lama, im Verlauf derer er auch den erbarmungslosen sogenannten „Kampfsitzungen“ (tib. thamzing) unterzogen wurde, die ähnlich wie in der Kulturrevolution verliefen. Das zog sich über mehr als vier Jahre hin. Im Sommer 1967 wurde der Panchen Lama schließlich offiziell verhaftet und für neun Jahre und acht Monate inhaftiert. Im Oktober 1977 wurde er freigelassen, schrittweise „rehabilitiert“ und schließlich wieder in die Parteiführung aufgenommen.

Ebenso wie seine Reisen durch die ländlichen Gebiete Tibets nahm der Panchen Lama auch die Förderung der tibetischen Sprache, Kultur und Religion wieder auf. 1979 traf er in Peking mit der Erkundungs-Delegation (Fact-Finding-Delegation) des Dalai Lama zusammen. Er belebte die traditionelle Mönlam Chenmo Zeremonie (Großes Gebetsfest) in Lhasa neu und setzte sich für die Verwendung des Tibetischen als offizielle Sprache ein. Obwohl außer Zweifel steht, daß der X. Panchen Lama nicht mit Kritik an dem chinesischen Regime gespart hat, bezeichnet die Kommunistische Partei Chinas ihn heute als einen Patrioten.


Schlussfolgerungen

Angesichts der beständigen Weigerung, unabhängige Besucher bei dem Jugendlichen und seiner Familie zuzulassen oder Fotos vorzulegen, anhand derer die zweifelsfreie Identifikation von Gedhun Choekyi Nyima möglich wäre, muß das tibetische Volk das Schlimmste befürchten. Das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD) ist erschüttert darüber, daß der nunmehr Achtzehnjährige und seine Familie seit über zwölf Jahren festgehalten werden. Wir rufen die VR China nochmals dazu auf, den Aufenthaltsort der Familie preiszugeben und einer unabhängigen Person den Besuch bei Gedhun Choekyi Nyima zu gestatten, um endlich Klarheit über seinen Gesundheitszustand und seine Lebensbedingungen zu schaffen. Des weiteren verlangen wir die umgehende Aufhebung aller Restriktionen und fordern, daß Gedhun Choekyi Nyima und seiner Familie die Rückkehr nach Tashi Lhunpo, dem traditionellen Sitz der Panchen Lamas, erlaubt wird und daß er die seiner religiösen Stellung angemessene religiöse Bildung und Ausbildung erhält.

Die Regierung der VR China, welche als ständiges Mitglied der UNO angehört, hat die UN Konvention über die Rechte des Kindes (UN Convention on the Rights of the Child – CRC) unterzeichnet und ratifiziert und das Internationale Abkommen über zivile und politische Rechte (International Covenant on Civil and Political Rights – ICCPR) unterzeichnet. Das unaufgeklärte Verschwinden von Gedhun Choekyi Nyima seit nunmehr über zwölf Jahren widerspricht den Behauptungen Chinas bezüglich der Achtung der Religionsfreiheit in Tibet. Der UN-Sonderberichterstatter für Religions- und Glaubensfreiheit sollte mit Nachdruck von China die Freilassung von Gedhun Choekyi Nyima verlangen. Wir fordern die internationale Gemeinschaft auf, weiterhin Druck auf die Regierung der VR China auszuüben, damit diese dem Komitee für die Rechte des Kindes ein Treffen mit dem Panchen Lama gestattet und ihn und seine Familie endlich freiläßt.


Empfehlungen

  • Über den Verbleib und das Befinden von Gedhun Choekyi Nyima, dem XI. Panchen Lama Tibets ist schnellsten Klarheit zu schaffen. Seit er 1995 offiziell als der XI. Panchen Lama Tibets anerkannt wurde, sind der heute 18 Jahre alte Jugendliche und seine Angehörigen vermißt.

  • Gedhun Choekyi Nyima und seine Angehörigen sind unverzüglich und bedingungslos freizulassen. Die künftige Sicherheit von Gedhun Choekyi Nyima und seiner Familie ist zu garantieren.

  • Dem UN-Komitee für die Rechte des Kindes und anderen unabhängigen Organisationen ist eine Besuchserlaubnis bei Gedhun Choekyi Nyima und seinen Angehörigen zu erteilen.

  • Eine seiner religiösen Stellung angemessene religiöse Bildung und Ausbildung Gedhun Choekyi Nyimas ist zu gewährleisten.

  • Die Achtung der religiösen Freiheit des tibetischen Volkes ist zu gewährleisten, was sein Recht auf die Identifizierung seiner religiösen Würdenträger mit einschließt. Ebenso ist die Aufhebung aller einschränkenden Maßnahmen im Hinblick auf die Zahl der Mönche und Nonnen in den Klöstern sicherzustellen, wie auch die Unterlassung der Praxis, sie zur Annahme der kommunistischen Ideologie zu zwingen.

  • Alle gegen Chadrel Rinpoche und Champa Chung verhängten Restriktionen, die beide immer noch unter Hausarrest stehen, sind umgehend aufzuheben, damit sie ein normales Leben führen können.

Fertige Appell-Postkarten zu diesem Fall, an 12 verschiedenen Adressen, können gegen einen Unkostenbeitrag von € 0,50 pro 10 Stück, bei uns angefordert werden: e-mail: tibet@igfm-muenchen.de