zurück

Januar 2005

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P.
phone +91 1892 223363 / 229225, fax: +91 1892 225874, e-mail: dsala@tchrd.org, www.tchrd.org



Kapitel Religion

Jahresbericht über Menschenrechtsverletzungen in Tibet 2004

D. Bürgerliche und politische Rechte

Kapitel III: Die Freiheit der Religion

  • Einführung
  • Demokratische Verwaltungsräte
  • Die Kampagne zur “patriotischen Umerziehung”
  • Die Anti-Dalai-Lama Kampagne
  • Verfolgung
  • Ausweisungen aus den Klöstern
  • Verfolgung religiöser Lehrer
  • Gedhun Choekyi Nyima, der 11. Panchen Lama
  • Exilrückkehrern steht Ausweisung bevor
  • Politisierung des Geshe Lharampa Grades
  • Der von den Chinesen eingesetzte Panchen Lama
  • Resumée

Einführung

Das Thema Religionsfreiheit in Tibet gab auch im Jahr 2004 Anlaß zu großer Sorge, so waren doch das Leben und die religiöse Praxis der Buddhisten nahezu überall von Unterdrückung gekennzeichnet. Ungeachtet der Tatsache, daß auch die Verfassung der VR China ihren Bürgern die Freiheit der religiösen Überzeugung garantiert, verstoßen die chinesischen Behörden in Tibet kontinuierlich gegen dieses universal verbürgte und allen Menschen zustehende Recht.

In den letzten Jahren berief sich die Regierung zur Rechtfertigung ihrer Beschränkung der Religionsausübung in Tibet immer wieder auf Stabilität und Sicherheit, welche es unter allen Umständen zu bewahren gelte. In der Praxis wird die Religionsfreiheit in Tibet durch die für religiöse Einrichtungen zuständigen Verwaltungsorgane beschnitten, in erster Linie sind dies die Demokratischen Verwaltungsräte (Democratic Management Committees – DMC)[1] und das Amt für Religionsangelegenheiten (Religious Affairs Bureau – RAB)[2]. Die den DMCs unterstehenden “Arbeitsteams”[3] führten in den größeren Klöstern die “patriotische Umerziehung”[4] noch intensiver als bisher durch. Sie sind für die Durchsetzung des Verbots von Dalai Lama Bildern zuständig und können die Schließung von Schulen und Klöstern beantragen, in denen sie Anzeichen von “spalterischer Ideologie” finden. Die permanente Einmischung der DMCs in ihre Verwaltung und ihr tägliches Leben, stellt für die Klöster ein großes Problem dar. Die Tätigkeiten der Mönche und Nonnen in den religiösen Einrichtungen werden von ihnen genauestens verfolgt und streng überwacht.

Um aus dem ICT-Report “When the Sky fell to Earth”, 2004, zu zitieren: “In Tibet werden Beamte auf allen Ebenen dazu  ermahnt, die Klöster und den Prozeß der Auffindung von Wiedergeburten hoher buddhistischer Mönche und Nonnen strenger zu kontrollieren. Von Tibetern wurden die gewaltsamen Auflösungen der Gebetszeremonien für den Dalai Lama und die Polizeirazzien in wichtigen religiösen Institutionen Osttibets in den letzten Jahren als ‚eine zweite Kulturrevolution’[5] beschrieben”.

In den letzten Jahren betrachtet die Partei besonders den Einfluß, den wichtige religiöse Persönlichkeiten auf die Bevölkerung ausüben, mit wachsender Besorgnis: Sie sieht darin eine Bedrohung der Stabilität, denn dieser Einfluß ist in ihren Augen die Ursache für die “gespaltene Loyalität” der Tibeter gegenüber dem chinesischen Staat. Den Buddhismus, der die Grundlage der tibetischen Identität darstellt, sieht die Partei als in enger Beziehung zum Nationalismus stehen und empfindet ihn daher als eine Bedrohung für die chinesische Herrschaft über Tibet. Die Folge ist, daß hohe religiöse Persönlichkeiten in Tibet ständig der Verfolgung, offiziellen Schikanen und Einschüchterung ausgesetzt sind. Auch in diesem Jahr wurden viele religiöse Würdenträger Opfer der staatlichen Verfolgung. Es herrscht immer noch Ungewißheit über den Aufenthaltsort und das Befinden des 11. Panchen Lama, Gedhun Choekyi Nyima, der zusammen mit seinen Eltern 1995 verschwand. Tulku Tenzin Delek befindet sich mit einer lebenslänglichen Strafe im Gefängnis, und viele machen sich große Sorge um seine Gesundheit und seinen Zustand. Die sechsjährige Haftstrafe von Chadrel Rinpoche, des früheren Abts des Klosters Tashi Lhunpo, ging 2002 zu Ende, doch die chinesischen Behörden halten ihn weiterhin unter Hausarrest. Auch Champa Chungla, der Sekretär des Suchkomitees nach der Reinkarnation des Panchen Lama, ist immer noch in behördlichem Gewahrsam, obwohl er seine Haftstrafe am 16. Mai 2003 verbüßt hatte.

Am 26. September 2004 stattete der von den Chinesen eingesetzte Panchen Lama, Gyaltsen Norbu, Tibet seinen dritten offiziellen Besuch ab, wobei er die chinesische Führung rühmte, daß sie die Religionsfreiheit in Tibet garantiere und schütze.

Positiv zu nennen wäre, daß die Mönche seit August 2004 – nachdem es 15 Jahrelang verboten war – wieder den Grad des Geshe Lharampa erwerben können. Dieser Titel ist die höchste Stufe der Gelehrsamkeit der tibetisch-buddhistischen Philosophie, er erfordert über 20 Jahre intensiven Studiums und ist dem Doktor in Theologie westlicher Länder  vergleichbar. Leider ist es für die Mönche, die das Geshe Lharampa Examen ablegen wollen, obligatorisch, sechs Bücher mit politischer Ideologie durchzuarbeiten.

Demokratische Verwaltungsräte

Bei einer Sitzung des Ständigen Ausschusses des Nationalen Volkskongresses 1990 wurde von dem damaligen Staatspräsidenten Jiang Zemin und seinem Premier Li Peng vorgeschlagen, religiöse Angelegenheiten der Verwaltung durch den Staat zu unterstellen.

Im Sinne der Verwaltung durch den Staat stellen die Democratic Managment Committees (DMC) (tib. mang gtso bdag nyer uyon lhan khang) eine ernste Bedrohung für die Religionsfreiheit in Tibet dar. Sie kontrollieren die religiösen Aktivitäten der Mönche und Nonnen in allen Bereichen und können die Behörden beauftragen, offiziell zur Inspektion oder Durchsuchung oder zu Razzien in die Klöster zu kommen. Im allgemeinen zeigen die DMCs wenig Achtung vor der monastischen Tradition und stellen daher einen Bruch mit der tibetischen Kultur dar. Der eigentliche Zweck der Demokratischen Verwaltungsräte ist, die Struktur des traditionellen tibetischen Buddhismus durch eine chinesische Version von Klostermanagement und Kontrolle zu ersetzen. Ihre Hauptaufgabe ist die Regelung religiöser Angelegenheiten im Sinne des Staats, wobei Mönche und Nonnen der Partei Folge leisten und dem Staat Treue und Gehorsam geloben müssen.

Beim Dritten Arbeitsforum zu Tibet 1994 wurde der vermeintliche Zusammenhang zwischen monastischen Institutionen und Unabhängigkeitsbewegung in Tibet besonders hervorgehoben. In einem Artikel, der am 25. November 1994 in Tibet Daily (chinesische Ausgabe) erschien, wird die Stellung der Partei zum Dalai Lama so umrissen:

“Wir möchten betonen, daß wir der Realität klar ins Auge sehen müssen: Die Dalai-Clique mißbraucht die Religion zu spalterischen Aktivitäten. Wir müssen die Tatsache deutlich machen, daß der Dalai die Maske der Religion aufsetzt, um seine politische Absichten zu verbergen, und wir dürfen nicht zulassen, daß die Dalai-Clique in irgendeiner Weise Einfluß auf die Lamas und Nonnen in Tibet ausübt. Die breite Masse der Menschen, Lamas und Nonnen, gleichgültig ob sie nun Parteimitglieder oder Kader sind oder nicht, müssen politisch eine deutliche Trennlinie zur Dalai-Clique ziehen”.[6]

Der genaue Zeitpunkt der Einführung und Bildung der DMCs sind schwer zu bestimmen. Fest steht jedoch, daß bei dem Dritten Arbeitsforum zu Tibet in Peking deutlich gemacht wurde, daß der Rolle der DMCs weiterhin große Bedeutung beizumessen sei[7]. Dadurch traten sie von 1996 an mehr in den Vordergrund.

Das System der Verwaltung durch DMCs wurde in allen Tempeln und Klöstern eingeführt, wobei Mönche und Nonnen ihre Angelegenheiten gemäß den Richtlinien dieser Komitees selbst regeln, dabei aber ständig von deren Mitgliedern kontrolliert werden. Mitglieder der DMCs können entweder offiziell ernannte Mönche oder Nonnen oder auch von den Behörden zu diesem Amt zugelassene Laien sein. Die Angehörigen der DMCs (“Workteams”) sind zuständig für die Verteilung von offiziellen Dokumenten und für die Durchsetzung der Regierungspolitik in den religiösen Institutionen. Sie haben besonders darauf zu achten, daß ihre Richtlinien in allen größeren religiösen Institutionen umgesetzt werden. Mit anderen Worten, das ganze DMC-Verwaltungssystem ist nichts anderes als ein weiterer Kontrollapparat der Partei – mit dem Resultat, daß die religiösen Institutionen Tibets ihre Selbständigkeit, derer sie sich in der Vergangenheit erfreuten, schrittweise verlieren.

Durch die offiziellen Maßnahmen der DMCs werden in den religiösen Einrichtungen die Aktivitäten auf den Gebieten der rituellen und esoterischen Praxis, der mündlichen Weitergabe der Lehre, der Klausur (Retreat), sowie des religiösen Studiums und der zeremoniellen Verehrung eingeschränkt und kontrolliert. Mittels der DMCs hat die Regierung in den letzten zehn Jahren die politische Indoktrinierung erfolgreich durchgeführt und die Parteipolitik und Ideologie in den Klöstern propagiert, indem sie Mönche und Nonnen zwingt, Broschüren politischen Inhalts durchzuarbeiten und zu reproduzieren. Die gesamte Kampagne der “patriotischen Erziehung”, die in den letzten zehn Jahren immer weitere Kreise zog, wurde anfänglich durch die “Arbeitsteam-Kader” vollzogen und später wurden die DMCs für ihre Durchführung verantwortlich gemacht. Alle diese Restriktionen führen unweigerlich zur Erosion der Grundfesten der Religion in Tibet, womit der tibetische Buddhismus unter schweren Druck gerät. Letzten Endes sind die DMCs – einhergehend mit der patriotischen Umerziehungskampagne, die von ihnen in den religiösen Institutionen durchgeführt wird – nichts als ein Versuch des Staates auf ideologischer Ebene, die Grundlagen des tibetischen Buddhismus zu zerstören, um die Ideologie des atheistischen Staates an die Stelle der buddhistischen Lehre treten zu lassen.

Die ”Sammlung aktueller chinesischer Dokumente zur Religionspolitik”[8] enthält vier Dokumente über Religionspolitik, sowie eine Reihe von Schlüsselfragen und die entsprechenden offiziellen Antworten. In den Dokumenten stehen Regeln für Mönche und Nonnen in den Klöstern – beispielsweise wird ihnen die Beschäftigung mit Wissenschaft und Technik empfohlen, statt sich dem Aberglauben hinzugeben –, es wird darin zum Kampf gegen Spaltertum aufgerufen und die Parteipolitik in Sachen Religion erklärt. Aus diesen Dokumenten wird deutlich, wie die Religion heutzutage in Tibet unterdrückt wird. Auch die Bedeutung der marxistischen Theorie und Ideologie im Hinblick auf die Modernisierung Tibets wird hervorgehoben. Gerade diese Überbetonung der Modernisierung ist verantwortlich dafür, daß das tibetisch-buddhistische Erbe vernachlässigt wird – so sehr, daß es allmählich dem Verfall anheimfällt, denn seine Erhaltung erscheint als nicht mehr wichtig. Um es noch einmal kurz zusammenzufassen: Die Auswirkungen einer solchen Politik sind, daß religiöse Institutionen zwar in einem gewissen Umfang weitergeführt werden, aber nur unter der strengen Aufsicht des Staates. Mit anderen Worten, der chinesische Staat strebt eine Machtverlagerung an: weg von den tibetischen religiösen Führern und hin zu der zentralen Autorität der Partei.

Grotesk mutet es an, wenn man in dem Bulletin “China’s Tibet 2004: Facts and Figures” liest: “Für Tibet gilt die Politik der Freiheit der religiösen Überzeugung. Der religiöse Glaube, das Brauchtum und die Gewohnheiten des tibetischen Volkes werden respektiert und die Lama-Klöster geschützt”[9].

Dabei ist es kein Geheimnis, daß die Religion den “alles überragenden Zielen von Partei und Staat dienen, daß sie die Verbindung zwischen Partei und Volk festigen und die Staatssicherheit gewährleisten soll”[10]. Wenn der Religion also abverlangt wird, dem Interesse des Staates zu dienen, dann bedeutet dies, daß die Partei den Menschen die Freiheit nimmt, die Religion von den politischen Verpflichtungen zu trennen.

Die Kampagne zur “patriotischen Umerziehung”

Es war 1994, bei dem Dritten Arbeitsforum zu Tibet, als die chinesischen Funktionäre beschlossen, ihr Augenmerk besonders auf den Dalai Lama und die sogenannten “feindlichen separatistischen Kräfte” zu richten. Das Ergebnis des Forums war die “patriotische Umerziehungskampagne” und eine neue Parteipolitik in Sachen Religion, unter der den religiösen Einrichtungen größere Einschränkungen auferlegt wurden. Die Kampagne zur patriotischen Umerziehung wird von den Demokratischen Verwaltungsräten durchgeführt. 1996 wurde sie durch die Einfügung einer Reihe von politischen Texten in den monastischen Lehrplan angekurbelt, wobei die Loyalität dem Staat gegenüber und die Diffamierung des Dalai Lama einen besonders breiten Raum einnehmen. Die patriotische Umerziehung hat auch den Zweck, daß die Behörden beim geringsten Anzeichen politischer Unruhe in den religiösen Institutionen, in denen die chinesische Regierung sowieso eine Brutstätte für politischen Dissens wittert, sofort einschreiten können, um sie im Keim zu ersticken.

Alles, was mit Religion zusammenhängt, ist im sozialistischen China ein heikles Thema, denn schließlich beruht die kommunistische Ideologie ja auf dem Atheismus. Wenn man Pekings Einschätzung des Dalai Lama begreifen will, muß man die Komplexität der gewaltsamen Unterdrückung der Unabhängigkeitsbestrebungen 1987, 1988 und 1989 in Betracht ziehen, die China zu einer Wende in seiner Religionspolitik in Tibet bewog. Ein weiterer Faktor, der die chinesische Führung in ihrer Furcht vor politischer Unruhe bestärkte, war sicherlich der unerwartete Ausbruch von Studentenprotesten auf dem Tiananmen Platz in Peking. Ihr gewaltsames Vorgehen gegen die Proteste rief einen Riesenschock hervor und wurde international verurteilt, die Welt wurde nun aufmerksam auf die Menschenrechtsverletzungen in China. Um diese Zeit gewann auch der Dalai Lama auf der internationalen Bühne immer mehr Unterstützung für die Sache Tibets. Es ist daher nicht überraschend, wenn eine solche Verflechtung von sozialpolitischen Ereignissen die chinesische Führung wegen der ausgeprägten Loyalität der Tibeter zum Dalai Lama aufhorchen ließ und einen nachhaltigen Einfluß auf ihre Sichtweise hatte, daß diese Loyalität am Ende ihrer Herrschaft in Tibet gefährlich werden und ihre Legitimität untergraben könnte.

So wurden unter der Leitung des Amts für Religionsangelegenheiten (Religious Affairs Bureau = RAB) und den ihm unterstehenden DMCs Arbeitsteams gebildet, welche die patriotische Umerziehung für Mönche und Nonnen in den religiösen Institutionen durchzuführen haben. Bei dieser Kampagne werden fünf Punkte eingefordert: Tibet muß als unveräußerlicher Teil Chinas akzeptiert werden, die Liebe zum Mutterland muß gemäß dem Motto ‚Liebe dein Land, liebe deine Religion’ (tib. rgyal gches ring lugs bsam bloi slob gso) gepflegt werden, ferner muß der von China eingesetzte Panchen Lama anerkannt und schließlich der Dalai Lama als ein Verräter denunziert werden.

Im Zuge der “patriotischen Umerziehung” verboten die Behörden auch die Tradition, Novizen unter 18 Jahren in die Klöster aufzunehmen, mit der Begründung, als Minderjährige seien sie noch zu jung für ein Studium in religiösen Institutionen. Mönche und Nonnen müssen sich nun allgemein von den DMCs registrieren lassen, und diejenigen, die keine Registrierungskarte und damit kein Bleiberecht haben, müssen das Kloster verlassen. Darüber hinaus wurde auch eine Obergrenze für die Anzahl von Mönchen und Nonnen, die in einem Kloster wohnen und studieren dürfen, festgelegt. Mönche und Nonnen, die sich nicht registrieren lassen oder sich dem Umerziehungs-Unterricht widersetzen, werden hinausgeworfen, oder sie tauchen schon vorher unter, sobald sich ein Arbeitsteam nähert.

Unter dem Banner der “patriotischen Umerziehung” haben die Behörden tatsächlich eine große Zahl von Mönchen und Nonnen aus den religiösen Einrichtungen vertrieben, einfach all diejenigen, die sich den Auflagen der Kampagne nicht beugen wollten.

Die Arbeitsteams, später dann die Teams der DMCs, mischen sich auch immer mehr beim Wiederaufbau von Klöstern ein, wie Dhamchoe Dolma[11] berichtet, eine 29-jährige Nonne, die sechs Jahre im Drapchi Gefängnis inhaftiert war. Sie schilderte dem TCHRD ihre Aktivitäten in Tibet und die brutale Behandlung, die sie in Drapchi erfuhr. Sie kommt aus dem Dorf Changra, Kreis Lhundup, Bezirk Lhasa. Mit 17 Jahren wurde sie im Shar Bumpa Kloster im Kreis Phenpo als Nonne ordiniert. Die örtliche tibetische Bevölkerung wollte das Shar Bumpa Nonnenkloster, das während der Kulturrevolution (1966-1976) völlig zerstört worden war, mit Hilfe von Spendengeldern wieder aufbauen. Die Nonnen trugen durch ihre körperliche Arbeit dazu bei und sammelten gleichzeitig Spenden für den Wiederaufbau. Im März 1993, als das Werk beinahe vollendet war, kam ein Trupp von Offiziellen der Kreisverwaltung von Lhundup zu der Baustelle. Sie ordneten die sofortige Einstellung der Arbeiten an, brachten alles durcheinander und schüchterten die Nonnen ein. Sie setzten auch ein neues Limit für die Zahl von Nonnen, die das Kloster beherbergen darf, und forderten, daß die Belegschaft reduziert werde.

Einige Zeit nach dieser Auseinandersetzung kamen “Arbeitsteam-Kader” aus Lhasa und vom Kreis Lhundup und unterzogen die Nonnen einen Monat lang der patriotischen Umerziehung. Dieses Vorgehen stellt eine eindeutige Verletzung der chinesischen Verfassung dar, die all ihren Bürgern die Freiheit der religiösen Überzeugung und der Anbetung garantiert, wie es im Kap. 2, Art. 36, festgeschrieben ist:

”Die Bürger der Volksrepublik China genießen die Glaubensfreiheit. Kein Staatsorgan, keine gesellschaftliche Organisation und keine Einzelperson darf Bürger dazu zwingen, sich zu einer Religion zu bekennen, noch dürfen sie jene Bürger benachteiligen, die sich zu einer Religion bekennen oder nicht bekennen. Der Staat schützt normale religiöse Tätigkeiten. Niemand darf eine Religion dazu benutzen, Aktivitäten durchzuführen, die die öffentliche Ordnung stören, die die körperliche Gesundheit von Bürgern schädigen oder das Erziehungssystem des Staates beeinträchtigen.”

Hieraus wird ersichtlich, daß die kontinuierlichen Einschränkungen, die der religiösen Ausübung in Tibet auferlegt werden, im Widerspruch zu den in der Verfassung verankerten Freiheitsrechten stehen. Ebenso setzt sich der chinesische Staat über die Bestimmungen der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR) und des Internationalen Abkommens über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) hinweg. Im Art. 18 heißt es:

“Jedermann hat das Recht auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit. Dieses Recht umfaßt die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung zu wechseln, sowie die Freiheit seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Gottesdienst und Vollziehung von Riten zu bekunden.

Niemand darf einem Zwang ausgesetzt werden, der seine Freiheit, eine Religion oder eine Weltanschauung seiner Wahl zu haben oder anzunehmen, beeinträchtigen würde.

Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit, Sittlichkeit oder der Grundrechte und -freiheiten anderer erforderlich sind. Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen.”

Außerdem steht im Art. 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte: “Jeder Mensch hat Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit”.

Sowohl dem internationalen als auch dem chinesischen Recht zum Trotz wird die Religion in Tibet massiven Restriktionen unterworfen, besonders in denjenigen Gebieten, die von der chinesischen Verwaltung als politisch heikel erachtet werden.

Die Anti-Dalai-Lama-Kampagne

Ein großes Problem ist für die Chinesen das, was sie als die “geteilte Loyalität” der Tibeter wahrnehmen – einerseits dem Dalai Lama und andererseits dem Staat gegenüber. Bei der vierten Sitzung des sechsten Regionalen Volkskongresses am 24. Mai 1996 haben die Behörden einen extremen Standpunkt gegenüber dem Dalai Lama bezogen, indem sie ihn als den “Hauptschurken” bezeichneten, der “öffentlich entlarvt und getadelt, und dem das Mäntelchen des religiösen Führers abgerissen” werden sollte.

Überdies wird die Religion in Tibet mittels einer doppelten Strategie in Schranken gehalten. Erstens werden die Tibeter, besonders Mönche und Nonnen, gezwungen, eine fünf Punkte umfassende Erklärung  zu unterschreiben, worin es heißt,  daß der Dalai Lama ein Verräter und Spalter ist und Tibet immer ein Teil von China war. Dann müssen sie den von China eingesetzten Panchen Lama anerkennen und schließlich ihre persönliche Ablehnung des Separatismus glaubhaft machen. Den Tibetern wurde auch verboten, Dalai Lama Bilder zu besitzen, für sein Wohlergehen zu beten, seinen Namen anzurufen, seinen Geburtstag zu feiern oder in irgendeiner Weise Achtung vor ihm und seinem historischen Status zu bekunden.

In einer Broschüre der International Campaign for Tibet mit dem Titel, When the Sky fell to the Earth, faßten Parteimitglieder, die 1997 mit der patriotischen Umerziehung in der TAR beauftragt waren, faßten ihre Meinung über den Dalai Lama wie folgt zusammen:

“Was für eine Art von Person ist der Dalai denn? Der Dalai ist der Hauptanführer der Spalter, die eine Verschwörung angezettelt haben, um Tibets Unabhängigkeit zu erreichen; er ist ein Werkzeug in den Händen der internationalen gegen China gerichteten Kräfte, die Feindschaften stiften wollen, er steht hinter all den Leuten, die Unruhe in die tibetische Gesellschaft bringen, und all denjenigen, welche die Wiederherstellung der Ordnung gemäß den Regeln der buddhistischen [Klöster] in Tibet behindern.”[12]

Für die chinesischen Politiker ist es eine ziemliche Herausforderung, die Herzen und Gemüter der Tibeter zu gewinnen. Da der kommunistische Staat auf absoluter Treue und Gehorsam der Bürger gegenüber dem Staat  setzt, ist es nur natürlich, daß den Chinesen im Hinblick auf die Legitimität ihrer Herrschaft über Tibet der Raum, den der Dalai Lama in den Herzen des tibetischen Volkes einnimmt, ein Dorn im Auge ist. Eines der Hauptprobleme bei Chinas Kampf um Tibet war schon immer der Umgang mit der spirituellen Autorität des Dalai Lama und seinem Auftreten als politische Gestalt in der internationalen Gemeinschaft. Es steht außer Zweifel, daß der Grad an religiöser Unterdrückung in dem Berichtsjahr in Tibet sehr hoch war, was vielfach der “patriotischen Umerziehung” zuzuschreiben ist.

Verfolgung

Nach Informationen des TCHRD wird die Anti-Dalai-Kampagne auch in der Präfektur Kardze in der Provinz Sichuan fortgesetzt. Diesen zufolge war das Jahr 2004 von einer Intensivierung der Anti-Dalai-Lama Kampagne gekennzeichnet. Der 38-jährige Samten aus dem Dorf Ghechoe in der Präfektur Kardze berichtet:

”1992 kamen einige chinesische Offizielle ins Kloster. Die Mönche mußten dreimal monatlich an Schulungen teilnehmen, wo man von ihnen verlangte, die Dalai Clique zu verurteilen. Des weiteren wurde für das Kloster eine Obergrenze von 300 Mönchen festgelegt.”[13]

Weiter schildert er die Restriktionen bei religiösen Zeremonien und Festen, besonders dem jährlichen im Kloster begangenen Monlam (Gebetsfest). Wie er berichtet, führte die Einschränkung der Religionsfreiheit in den religiösen Institutionen zur Flucht vieler Mönche, die ein Leben im Exil in Indien vorziehen, wo sie in Freiheit ihren Studien nachgehen können.

Von 1992 bis 2000 studierte Samten buddhistische Philosophie im Kloster Drepung Loseling in Südindien. Dann ließ er sich für ein Jahr von dem Kloster beurlauben, weil er nach Tibet zurückkehren wollte, um dort seine Verwandten zu besuchen. Er erzählt: “Bei meiner Heimreise hatte ich 18 Videokassetten dabei, die Tibet betrafen, ebenso 150 Bilder Seiner Heiligkeit, des Dalai Lama, die ich in meiner Heimatstadt verteilen wollte.” Nach ein paar Tagen in Lhasa wurde er am 11. Dezember 2000 von elf Polizisten verhaftet und ins Haftzentrum von Lhasa gebracht. Einen Monat später wurde er zu drei Jahren Reform-durch-Arbeit in der Anstalt Trisam im Kreis Toeling verurteilt. Nach Verbüßung seiner Strafe wurde Samten am 11. Dezember 2003 entlassen, und im Mai 2004 erreichte er Dharamsala.

Im November 2003 bedrohten die Behörden in den Distrikten Kardze und Lithang in Osttibet die Bevölkerung mit der Konfiszierung ihres Grund und Bodens, falls sie die Dalai Lama Bilder, die sie in ihren Häusern aufgestellt hatten, nicht abgeben. Jamphel Gyatso[14], der heute 35 Jahre alt ist und aus dem Dorf Phu, Gemeinde Mangbu, Distrikt Lhatse, TAR, stammt, trat mit 16 Jahren ins örtliche Mangkar Dharling Kloster ein und ging mit 25 Jahren ins Kloster Sera nach Lhasa; er berichtet: “1998 lief die Kampagne ‚Liebe dein Land, liebe deine Religion’ im Kloster Sera an. Die Mönche mußten abfällige Bemerkungen über den Dalai Lama machen, und es wurde eine Verordnung erlassen, die das Aufstellen seines Bildnisses verbot.” Fünf im Kloster anwesende Polizisten in Zivil nahmen Jamphel am 9. September 2001 fest, weil er Kassetten mit Belehrungen des Dalai Lama angehört hatte. Der Mittlere Volksgerichtshof von Lhasa stellte Jamphel wegen ”Antiregierungspropaganda” unter Anklage und verurteilte ihn zu zwei Jahren Haft und der Aberkennung seiner politischen Rechte für ein Jahr. Am 8. August 2003 wurde er entlassen und im April 2004 traf er in Indien ein.

Im November 2004 berichtete ein Mönch namens Jigme Dorjee dem TCHRD: “Wiederholt kamen aus drei bis sieben Personen bestehende Arbeitsteams der Distriktsverwaltung ins Kloster. Sie erteilten politischen Unterricht und verlangten von den Mönchen, daß sie den Dalai Lama verunglimpften, ihre Loyalität zum Mutterland bekundeten und Tibet als Teil Chinas anerkannten. Die Mönche, die dem Kloster offiziell angehörten, erhielten eine Urkunde über die Teilnahme an den Kursen. Die nicht registrierten Mönche versteckten sich oder gingen nach Hause, wenn Behördenvertreter das Kloster aufsuchten. Die registrierten Mönche sind aber nicht glücklich in ihrem Kloster, weil sie gegen ihren Willen Kritik am Dalai Lama üben müssen, um die offizielle Zulassungsurkunde zu bekommen und im Kloster bleiben zu dürfen. Sie haben keine Wahl und müssen den offiziellen Anordnungen folgen, sonst werden sie des Klosters verwiesen oder, wenn es noch schlimmer für sie kommt, sogar verhaftet. Die Behauptung der Chinesen, in Tibet gebe es Religionsfreiheit, ist völlig falsch. Ich bin Mönch, doch es bedeutet einen gigantischen Kampf für mich, in einem Kloster bleiben und dort friedlich studieren zu können.”[15]

Ausweisungen aus den Klöstern

Die Ausweisung von Mönchen und Nonnen aus Klöstern, die den Anforderungen der politischen Umerziehung nicht gerecht werden, geht unvermindert weiter. Das TCHRD erfuhr von folgendem Vorfall: Der Mönch Jigme Namgyal[16] wollte sich in Meditationsklausur begeben, wozu er in das Kloster Samye Drakmar nach Lhoka ging. Die in dem Kloster stationierten Behördenvertreter erlaubten ihm jedoch nicht, seine Absicht auszuführen und sagten, er benötige eine schriftliche Erlaubnis, um in Klausur (Retreat) gehen zu können. Um ihn selbst zu zitieren: “Der Bestand an Mönchen wird infolge der strengen Vorschriften und der politischen Indoktrinierung von Jahr zu Jahr geringer. Ich mache mir große Sorge, daß das Samye Drakmar Kloster bald gänzlich zu existieren aufhört, weil es dort keine religiöse Freiheit mehr gibt.”

Bekräftigt wird diese Schilderung der Lage der Dinge durch Lodoe Nyima[17], einen Mönch aus dem Kloster Tashi Lhukpuk, der im Tibetan Refugee Reception Centre in Nepal befragt wurde. Nachdem 1994 die patriotische Umerziehung eingeführt wurde und die religiöse Repression immer mehr zunahm, verfiel das Kloster allmählich, heute wohnen dort nur noch 30 Mönche im Vergleich zu mehreren Hundert in der Vergangenheit. Lodoe schildert:

“Die Zahl der Mönche im Kloster ist nicht deshalb so gering, weil die Leute der Gegend etwa nicht ins monastische Leben eintreten wollten, sondern wegen der Politik der Chinesen, die eine Obergrenze für die Anzahl von Mönchen im Kloster festsetzten. Kürzlich wurde eine neue Verordnung herausgegeben, der zufolge das Kloster nicht über 35 Mönche beherbergen darf. Die Beamten des Public Security Bureau (PSB) vom Kreis Yuri halten stets ein Auge auf das Kloster gerichtet. Viele der alten und gelehrten Mönche wurden mit der Begründung ausgewiesen, sie würden die Gemüter der jungen Novizen verderben. Unter dem Banner der ‚patriotischen Umerziehung’ predigen die Staatsvertreter den Atheismus, und selbst ältere weise Mönche werden gezwungen, sich vom Dalai Lamaloszusagen. Alle, die sich der Forderung der Offiziellen nicht beugten, wurden des Klosters verwiesen und mußten außerdem noch eine Geldstrafe von 2000 Yuan zahlen. Die Arbeitsteam-Kader inspizieren das Kloster jeden Monat zweimal. Im Dezember 1995 wechselte ich nach Drepung über, wo ich mich fünf Jahre lang buddhistischen Studien hingab. Weil es keine Religionsfreiheit gibt, konnte ich mich diesen nicht so widmen, wie es mein Wunsch war. Unser Leben war wegen der häufigen Kontrollvisiten durch die Beamten des Public Security Bureau, die plötzlich ins Kloster zu stürmen pflegten und uns zwangen, die Politik der Kommunisten zu rühmen und den Separatismus zu verdammen, von ständiger Panik durchdrungen”.

Dukarkyap, ein Absolvent der Nubchang (Nordwest) Minderheiten Universität, der das Tibetische Flüchtlingszentrum in Kathmandu im Oktober 2004 erreichte, berichtete dem TCHRD:

“Während der Semesterferien pflegte ich meinen Heimatort zu besuchen und Schülern in einem Mietshaus Nachhilfeunterricht zu geben, um mir etwas Geld zu verdienen. Als ich im Jahr 2003 heimfuhr, traf ich einen westlichen Touristen, der mir ein Buch mit dem Titel ‚Footprints of Spring’ gab, das ein Foto und eine Rede des Dalai Lama enthielt. Ich schrieb die Rede auf die Tafel im Klassenzimmer und erklärte sie den Schülern. Am nächsten Tag gegen 15.00 Uhr kamen sieben PSB-Polizisten in mein Haus und durchsuchten es. Sie fanden einige kleine Bildchen des Dalai Lama und wollten wissen, woher ich diese hätte. Ich wurde zum PSB-Büro gebracht und verhört. Durch die Hilfe einer einflußreichen Person konnte meine Familie meine Freilassung erwirken. Mir wurde jedoch verboten, weiterhin Nachhilfeunterricht zu erteilen.”[18]

Ein Mönch vom Kloster Ganden namens Kunga berichtete nach seiner Flucht aus Tibet am 16. März 2004 dem Tibetischen Flüchtlingszentrum in Kathmandu:

“Am 12. Februar 2004 wurde der 25-jährige Chonden von chinesischen Polizisten festgenommen. Während einer unvermittelten Razzia im Kloster Ganden fiel ihr Blick auf ein Bild des Dalai Lama in Chondens Zimmer. Bei einer weiteren intensiven Durchsuchung des gesamten Klosters fand die Polizei außerdem eine tibetische Flagge bei ihm. Er wurde auf der Stelle verhaftet.”[19]

Kunga erzählt, später seien fünf bis sechs Polizisten in das Kloster gekommen und hätten alle Mönche zusammengetrommelt. Sie verkündeten laut, daß Chonden wegen des illegalen Besitzes von Dalai Lama Bildern inhaftiert worden sei, und drohten den übrigen Mönchen mit gleicher Strafe, falls sie in Zukunft mit derartigem Material erwischt würden. Keiner weiß, wo Chonden hingebracht wurde, vermutlich wird er jedoch in der Gutsa Haftanstalt festgehalten.

Verfolgung religiöser Lehrer

Die Gängelung der religiösen Einrichtungen durch den Staat mittels der Kampagne zur politischen Erziehung, für deren Durchführung heutzutage die Mitglieder der Demokratischen Verwaltungsräte zuständig sind, ist ein weiterer Schritt der chinesischen Regierung, sich die Loyalität der Bevölkerung zu sichern und jeglichen Ausdruck der Treue zum Dalai Lama zu vereiteln. Mit derselben Absicht nehmen die Behörden hochrangige Lamas ins Visier, denn sie fühlen sich  von dem religiösen Einfluß, den diese auf das tibetische Volk ausüben, bedroht, da sie ihn mit politischem Einfluß gleichsetzen. Für die Partei ist es im Hinblick auf die Aufrechterhaltung ihrer politischen Macht notwendig, daß die kommunistische Ideologie vom Volk unterstützt wird, weshalb die chinesische Führung natürlich nervös wird, wenn die Tibeter an ihrer Treue zum Dalai Lama und anderen hohen buddhistischen Lamas festhalten.

Wie schon oben erwähnt, markierte das Dritte Arbeitsforum zu Tibet, das 1994 in Peking abgehalten wurde, einen Wendepunkt in der Tibetpolitik Chinas. Ein Bericht von ICT schildert die neue Welle der Verfolgung des Buddhismus, die von diesem Arbeitsforum ausging:

“An den Richtlinien des Dritten Arbeitsforums erkennt man, wie beunruhigt die Partei wegen der anhaltenden Popularität des tibetischen Buddhismus ist, was durch die von ihr wahrgenommene Interdependenz zwischen Religion und Unabhängigkeitsbewegung noch verstärkt wird”.

Li Dezhu, der Minister für ethnische Angelegenheiten in der chinesischen Regierung, schreibt in einem Strategiepapier[20]: “Historisch war der westliche Landesteil schon immer eine in ethnischer Hinsicht brisante Region. Die negativen Auswirkungen einiger Probleme in den ethnischen Beziehungen, die sich geschichtlich fortgeerbt haben, können nicht so schnell gelöst werden, dies erfordert vielmehr Bemühungen über viele Jahre hinweg. Der religiöse Einfluß in den westlichen Regionen ist tiefgreifend und die Vernetzung von Nationalitäten- und Religionsangelegenheiten hat den Umgang mit den ethnischen Beziehungen noch schwieriger gemacht. Die Anti-Separatismus-Politik wurde zu der Westlichen Entwicklungsstrategie hinzugefügt, um Pekings Ziel der ‚nationalen Einheit und Stabilität’ besser verwirklichen zu können. Was angestrebt wird, ist eine Verminderung der negativen Auswirkungen der Religion auf die Entwicklung und Stabilität der Region.” Um die politischen Leitlinien der Partei in Tibet umzusetzen, hält es die Regierung daher für wichtig, den Einfluß hoher buddhistischer Lamas auf das tibetische Volk möglichst gering zu halten oder ganz auszuschalten.

Gedhun Choekyi Nyima, der 11. Panchen Lama

Die Tatsache, daß der Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima (der am 17. Mai 1995 im Alter von 6 Jahren entführt wurde) immer noch festgehalten wird, ist ein weiteres Beispiel für die gravierende Intervention des Staates in die religiösen Angelegenheiten der Tibeter. Seit 10 Jahren herrscht nun schon Unklarheit über den Aufenthaltsort und das Wohlbefinden des Panchen Lama. China weigert sich offiziell zuzugeben, daß er vom Staat in Gewahrsam gehalten wird. Nur einmal erwähnten die Behörden, seine Eltern hätten um den Schutz der Regierung gebeten, denn es bestünde Gefahr, daß Gedhun Choekyi Nyima entführt werde, und das sei der Grund, warum er mit seinen Eltern an einem “sicheren Ort” untergebracht sei. Um die vom Dalai Lama ausgesprochene Anerkennung von Gedhun Choekyi Nyima als dem 11. Panchen Lama in Mißkredit zu bringen, verkündete die chinesische Führung, ein Kind ihrer Wahl, Gyaltsen Norbu, sei der 11. Panchen Lama.

Historisch gesehen besteht seit dem 16. Jahrhundert eine besondere Lehrer-Schüler-Beziehung zwischen dem Panchen Lama und dem Dalai Lama. So war der erste Panchen Lama der Lehrer des fünften Dalai Lama, und damals war es, als ersterem der Ehrentitel Panchen verliehen wurde, was “großer Gelehrter” bedeutet. Solange dem wahren Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima nicht die ihm zustehende Achtung und religiöse Autorität gewährt wird, bleibt ihm auch die ihm gebührende religiöse Erziehung und Praxis verwehrt, wodurch die Übertragungslinie der Panchen Lamas unterbrochen wird. In dieser Hinsicht hat die fortgesetzte Festhaltung des 11. Panchen Lama schwerwiegende Implikationen; sie ist daher ein extremer Akt religiöser Repression mit politischen Zielen, der den traditionellen Buddhismus in seinem innersten Wesen trifft.

Chadrel Rinpoche

Chadrel Rinpoche, der ehemalige Abt des Tashi Lhunpo Klosters in Shigatse, wurde im Mai 1995 verhaftet, wenige Tage nachdem der Dalai Lama Gedhun Choekyi Nyima als die Wiedergeburt des 11. Panchen Lama bestätigt hatte. Nach einer kurzen Gerichtsverhandlung wurde Chadrel Rinpoche zu sechs Jahren Gefängnis verurteilt für das, was die Behörden als eine “Verschwörung zur Spaltung des Landes und Preisgabe von Staatsgeheimnisse” bezeichnen. Sein einziges “Verbrechen” war jedoch gewesen, daß er wegen des Problems der Bestimmung der richtigen Wiedergeburt mit dem Dalai Lama in Verbindung getreten war, noch ehe dessen Ankündigung erfolgte. Chadrel Rinpoche hat seine Haftstrafe von sechs Jahren bereits verbüßt, dennoch wurde ihm nicht erlaubt, in sein Kloster Tashi Lhunpo zurückzukehren. Es gibt bisher keine zuverlässige Information über seinen Verbleib oder seine Lebensumstände. Man nimmt an, daß er im Januar 2002 entlassen wurde, jedoch gegenwärtig an einem unbekannten Ort unter halboffiziellem Hausarrest steht.

Chadrel Rinpoches Fall bedeutet nicht nur eine allgemeine Verletzung der Menschenrechte, sondern vor allem einen Verstoß gegen das Recht auf Religionsfreiheit. Er ist ein Beispiel mehr dafür, daß die religiösen Einrichtungen in Tibet unter der Herrschaft der Chinesen keine Freiheit und Unabhängigkeit haben.

Jampa Chungla

Jampa Chunglas Fall ist dem von Chadrel Rinpoche insofern ähnlich, als er immer noch festgehalten wird, obwohl seine Gefängnisstrafe am 16. Mai 2003 auslief. Er war der Sekretär des Suchkomitees für die Auffindung des 11. Panchen Lama und ein enger Vertrauter von Chadrel Rinpoche. Er wurde unter der Anklage der “Preisgabe von Staatsgeheimnissen” und der “Gefährdung der Staatssicherheit” zu vier Jahren Haft verurteilt. Selbst nach Verbüßung seiner Haftstrafe soll er, wie berichtet wird, weiterhin unter Hausarrest stehen.

Geshe Sonam Phuntsok

Am 25. Oktober 1999 drangen etwa 20 PSB-Offiziere ins Kloster Dhargay in der TAP Kardze in Sichuan ein und verhafteten Geshe Sonam Phuntsok, einen populären buddhistischen Lehrer und Gelehrten. Er wurde der “Aufhetzung der Volksmassen zu spalterischen Aktivitäten” und weil er eine Lang-Lebens-Zeremonie für den Dalai Lama zelebriert hatte, angeklagt und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt. Es scheint, daß Geshe Sonam Phuntsok früher einmal mit einem Reisedokument, das er sich in Lhasa beschafft hatte, nach Indien gereist war, um vom Dalai Lama empfangen zu werden. Er war in dem Gefängnis Chuandong No. 3 im Distrikt Tazhu (Dazu), Sichuan, inhaftiert.

Am 24. Oktober 2004 wurde er nach der Verbüßung seiner Gefängnisstrafe entlassen. Er wurde danach in seiner Freizügigkeit sehr eingeschränkt und steht immer noch unter behördlicher Überwachung. Sein Gesundheitszustand soll infolge der im Gefängnis erlittenen Mißhandlungen sehr schlecht sein. Es heißt, die Behörden würden seine Bewegungen in der Präfektur Kardze genauestens verfolgen.

Tulku Tenzin Delek

Tulku Tenzin Delek ist ein prominenter tibetischer Lama, der zum Tode mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub verurteilt wurde[21]. Er war ein ausgesprochener Befürworter der Bewahrung und Verbreitung der tibetischen Kultur und Religion und genoß bei der Bevölkerung in seiner Gegend hohes Ansehen. Er war die treibende Kraft bei der Errichtung mehrerer neuer Klöster und eines Waisenhauses in Osttibet. Wahrscheinlich ist die Ursache für seine Verfolgung durch den Staat darin zu suchen, daß die Behörden wegen des hohen Maßes an Achtung, das ihm von dem tibetischen Volk entgegengebracht wurde, um ihre Autorität fürchteten, und ebenso in seiner ausgesprochenen Treue zum Dalai Lama, aus der er kein Hehl machte.

Tulku Tenzin Delek wurde am 3. April 2002 wegen des Verdachts auf Beteiligung an einer Reihe von Bombenanschlägen in Kardze und einer Detonation in Chengdu festgenommen. Am 7. April 2002 wurde auch Lobsang Dhondup, ein Schüler von Tulku Tenzin Delek, verhaftet, woraufhin die Behörden den Tulku mit den Sprengstoffanschlägen in Verbindung brachten. Bei einer Gerichtsverhandlung hinter verschlossenen Türen am 2. Dezember 2002 sprach das Mittlere Volksgericht von Kardze das Todesurteil gegen Lobsang Dhondup aus, das am 26. Januar 2003 vollstreckt wurde, während Tulku Tenzin Delek zum Tode mit zweijährigem Aufschub verurteilt wurde. Das Urteil wurde inzwischen in lebenslängliche Haft umgewandelt. Über seinen gegenwärtigen Gesundheitszustand besteht Unklarheit.

Exilrückkehrern steht Ausweisung bevor

Infolge des sinkenden Niveaus der religiösen Unterweisung in Tibet kommen viele Mönche und Nonnen nach Indien, um ihre religiösen Studien dort fortzusetzen. Wenn sie später jedoch nach Tibet zurückkehren wollen, werden sie von den Demokratischen Verwaltungsräten ihrer Heimatklöster nicht mehr aufgenommen, denn sie stehen von vorneherein unter dem Verdacht, Kontakt zu der Dalai-Clique oder der Exilregierung zu pflegen.

Ein Beispiel hierfür ist das Schicksal des Mönches Phuntsok Gyaltso, 33, aus der TAP Tsojang in der Provinz Qinghai[22], der erzählt:

“Nachdem ich einige Jahre im Kloster zu Hause verbracht hatte, wollte ich meine monastischen Studien in Südindien fortsetzen. Ich ging nach Indien und trat dort ins Kloster Ganden ein. Die nächsten fünf Jahre blieb ich dort und widmete mich dem Studium der buddhistischen Schriften. Am 15. Januar 1999 kehrte ich nach Tibet zurück.”

Nachdem Phuntsok Gyaltso und seine Freunde Tibet wieder erreicht hatten und in ihr früheres Kloster zurückgekehrt waren, wurden sie von den Mitgliedern des DMC systematisch eingeschüchtert und schließlich ganz des Klosters verwiesen.

“Am 14. Oktober 1999 wurde dem Kloster in einem offiziellen Schreiben mitgeteilt, daß die aus Indien zurückgekehrten Mönche ausgewiesen werden müßten. Der Klosterleitung wurde mit harter Vergeltung gedroht, falls sie der Anordnung nicht nachkomme”.

Das Schreiben war vom Amt für Religiöse Angelegenheiten, vom Büro für Öffentliche Sicherheit und von der Einheitsfrontabteilung unterzeichnet. In Befolgung dieser Anweisung warf die Klosterleitung daher Phuntsok Gyaltso, sowie die Mönche Khenrap Gyaltso, 30, Lobsang Dhondup, 32, Gedun Rabgay, 31, Sonam Gyaltso, 32, Lobsang Anyen, 28, Sherab, 27, und Sangay, 21, hinaus.

Bei einem anderen Zwischenfall wurden Mönche geschlagen, weil sie in der Absicht, eine Audienz beim Dalai Lama zu erhalten, Tibet verlassen und die Grenze nach Nepal überschritten hatten. Dhondup, 22, Tashi Dhargay, 19, und Dhondup Namgyal sind Mönche aus dem Kloster Dhargayling in der Gemeinde Mangpo im Kreis Lhatse, Präfektur Shigatse. Am 1. Dezember 2003 waren sie nach Indien aufgebrochen. Zu ihrem Unglück wurden sie von der nepalesischen Grenzpolizei gefaßt und nach Tibet zurückgebracht. Dort erhielten sie heftige Prügel von der chinesischen Polizei und wurden 23 Tage lang unter erbärmlichen Bedingungen im Haftzentrum von Shigatse festgehalten, ehe man sie nach Lhasa transferierte. Die Behörden verwehrten ihnen die Rückkehr in ihr Kloster und befahlen ihnen statt dessen, in ihre jeweiligen Heimatorte zu gehen.

In den letzten Jahren hat sich die religiöse Repression selbst auf isolierte Gebiete ausgedehnt. Dem prüfenden Blick der Behörden entgehen nicht einmal entlegene Einsiedeleien. Die folgende Schilderung des Mönches Jigme Namgyal[23] spricht für die Unterdrückung der Religionsfreiheit selbst in Klausur-Einrichtungen. In jungen Jahren trat er als Novize ins Kloster Phuntsok Norling ein und mit 24 Jahren beschloß er, in Retreat (Meditationsklausur) zu gehen. Nach etlichen Tagen intensiven Suchens nach einem geeigneten Ort gelangte er zum Kloster Samye Dragmar. Die Klosterleitung klärte ihn darüber auf, daß er einen Erlaubnisschein vom Amt für religiöse Angelegenheiten der Präfektur Lhoka in Tsethang vorlegen müsse, ehe er sich in Retreat begeben könne. Er stellte einen Antrag für drei Jahre, nach mehreren Tagen wiederholter Anfrage wurden ihm aber nur drei Monate gewährt. Die schwere Verletzung der religiösen Rechte der Tibeter durch die chinesischen Behörden bewog Jigme schließlich ins Exil zu fliehen. In Tibet ließ sich sein Wunsch, für eine längere Zeit in der Abgeschiedenheit meditieren zu können, nicht realisieren, außerdem konnte er die ständige Schikanierung durch die Arbeitsteams und den patriotischen Unterricht nicht mehr ertragen. Am 14. April 2004 erreichte er Kathmandu.

Die Nonne Jigme[24], die am 18. April 2004 mit dem TCHRD sprach, berichtete ähnliches: “Im Juli 1998 hielten insgesamt sechs Offizielle, zwei von der Gemeinde Tanang und zwei von den Chinesen ernannte Mitglieder der Religionsbehörde, eine Sitzung ab, die von 8 Uhr morgens bis 3 Uhr nachmittags dauerte. Alle Mönche, die eine Retreat-Erlaubnis hatten, wurden herbeizitiert”.

Es gab einige, die diese Erlaubnis besaßen, aber das Gelöbnis mit der Diffamierung des Dalai Lama nicht unterschrieben hatten. Die Offiziellen drohten ihnen mit der Ausweisung aus dem Kloster Dragmar Kyetsang. In analoger Weise wurde dem Kloster Wyantsa mit dem Abriß gedroht, falls eine der Nonnen sich weigern sollte, ihre Unterschrift unter die Erklärung zu setzen. Später rieten ältere Mönche den Nonnen, pro forma und ohne inneres Engagement zu unterschreiben, damit das Kloster nicht der Zerstörung anheimfalle.

Ein weiterer Fall von Verletzung der religiösen Rechte wurde aus dem Kloster Phelbar berichtet. Der Mönch Loden aus Chamdo bezeugte dem Tibetischen Flüchtlingszentrum in Kathmandu am 5. April 2004 folgendes:

“2000 hörte die Kreisverwaltung von Phelbar von den Plänen für eine Renovierung des Klosters. Fünf Kader von der Stadt und die Verwalter des Klosters hielten eine gemeinsame Sitzung ab, bei der erörtert wurde, ob drei wichtige Bedingungen eingehalten worden seien – wenn nicht müßten die Renovierungsarbeiten verboten werden. Erstens, für den Fall, daß zuvor keine staatliche Genehmigung zum Wiederaufbau eingeholt wurde, sind die Arbeiten rechtswidrig. Zweitens war die Einführung einer Obergrenze für die Anzahl der Mönche in dem Kloster angekündigt worden, wobei die Mönche, die bisher dort lebten, von der chinesischen Regierung eine neue Genehmigung beantragen mußten, um im Kloster bleiben zu können. Drittens sind Novizen unter 18 Jahren nicht berechtigt, im Kloster zu wohnen und müssen daher zu ihren jeweiligen Familien zurückkehren.”

Loden führte weiter aus: “Zu der Zeit gab es etwa 95 Mönche mit der erforderlichen Genehmigung und über 300 Novizen um die 18 Jahre ohne eine solche. Diese 300 Novizen kamen heimlich ins Kloster, aber sobald die Kader der Stadtverwaltung und des PSB vom Landeskreis zu einer Kontrollvisite kamen, machten sie sich schleunigst aus dem Staub”.

Am 11. Juni 2003 kamen 10 Offizielle von dem PSB des Landkreises ausgerechnet zu Beginn des Sommer-Retreats ins Kloster und trommelten alle Mönche zu einem Meeting zusammen. Sie mahnten die leitenden Geistlichen, daß nicht mehr als 95 Mönche, d.h. die registrierten, im Kloster bleiben dürften und drohten ihnen mit einer Strafe von 2000 Yuan, falls ihre Anweisung mißachtet würde. Außerdem wurde die Aufstellung eines Dalai Lama Portraits in der Haupthalle verboten, und alle Mönche wurden aufgefordert, Erklärungen mit einer Verunglimpfung des Dalai Lamas zu unterschreiben. Einstimmung sagten sie jedoch, daß sie diese Bedingung nicht akzeptierten und auch nicht jedem Wunsch der chinesischen Offiziellen willfahren würden. Jetzt kommen aus fünf oder sechs Personen bestehende Arbeitsteams regelmäßig alle zwei Monate ins Kloster. Kurz nach diesem Zwischenfall floh Loden nach Indien, weil ihm klar geworden war, daß die Aussichten auf religiöse Freiheit in Tibet unter diesen Bedingungen recht düster sind.

Politisierung des Geshe Lharampa Grades

Im tibetischen Buddhismus gibt es vier Haupt-Schulrichtungen, von denen die Gelugpa-Schule die bekannteste ist und die größte Gefolgschaft hat. Tibets größter Heiliger und Gelehrter, Tsongkapa, gründete diese Schule im Jahr 1410. Einer seiner bedeutendsten Schüler war Gedhun Drub, der im Nachhinein als der erste Dalai Lama Tibets bekannt wurde. Die Gelugpa-Schule brachte dank ihrer strengen monastischen Regeln und vielseitigen buddhistischen Literatur Generation um Generation hervorragende Gelehrte hervor.

Eine der wichtigsten Traditionen der Gelugpa-Schule ist die Einrichtung des Geshe Lharampa Grades. Die erforderliche Prüfung dafür umfaßt Dialektik-Debatten – am ehesten könnte sie als eine Prüfung in buddhistischer Philosophie umschrieben werden. Der Bewerber, der diesen religiösen Titel erwerben möchte, muß sich in Gegenwart einer großen Versammlung religiöser Gelehrter mittels einer Debatte einer intensiven Überprüfung seiner Kenntnisse in den vier Haupt-Kanons des tibetischen Buddhismus unterziehen. Der Titel Geshe bedeutet “gelehrter Mann”, und Lharampa steht für die umfassendste und allerhöchste Gelehrsamkeit. Bei den Gelugpas ist der Geshe Lharampa die höchste akademische Auszeichnung und damit auch der wichtigste Rang dieser Schulrichtung des tibetischen Buddhismus.

Die Geshe Lharampa Prüfung wurde 1959 von den Chinesen verboten, die sie als eine “feudale Praxis” bezeichneten. 1986 wurde sie dann auf wiederholte Appelle des 10. Panchen Lama nach 27 Jahren wieder eingeführt. 1988, um die Zeit der großen Unabhängigkeitsdemonstrationen, wurde sie wieder verboten, weil der chinesischen Regierung aufgefallen war, daß eine große Zahl von Mönchen und Nonnen, besonders aus Drepung, Sera und Ganden (den drei größten buddhistischen Klöstern Tibets) daran beteiligt waren. Im August 2004 ließen die Behörden verlauten, daß die Geshe Lharampa Prüfung nach 15 Jahren Verbot wieder eingeführt würde.

Am 28. Juli 2004 gab China auf der Website Xinhua.net bekannt, daß der zuvor zweimal verbotene höchste akademische Grad der Gelugpa (Gelbmützen) Sekte des tibetischen Buddhismus wieder eingeführt worden sei. Die Prüfung durfte wieder stattfinden, doch nur unter der Bedingung, daß die Bewerber für diesen Titel nun sechs weitere Bücher politischen Inhalts unter dem Motto “Liebe dein Land, liebe deine Religion” (tib. rgyal khches ring lugs bsam bloi slob gso) studieren müssen – Bücher, die auch bei der politischen Umerziehungs-Kampagne Verwendung finden.

Am 20. August 2004 wurde ein aus 77 Personen bestehender Rat für die Verleihung dieses höchsten buddhistischen Studiengrades gebildet, der auch für die Aufsicht bei den Prüfungen zuständig ist. In der Vergangenheit erwarben die Mönche diese prestigeträchtige und für den tibetischen Buddhismus höchst symbolische Auszeichnung allein auf der Basis ihrer akademischen Leistung und Gelehrsamkeit. Sie ist bei den Gelugpas etwas sehr Erhabenes. Die Prüfenden selbst waren früher eine Quelle der Gelehrsamkeit und Vollkommenheit im tibetischen Buddhismus.

Allerdings bedeutet die Integrierung von politischen Texten in die Geshe Lharampa Prüfung einen Bruch mit dem Wesen der tibetischen religiösen Tradition, besonders angesichts der geforderten Bezeugung von Loyalität dem Staat gegenüber. Es handelt sich hier um eine ernste politische Intervention in die religiösen Angelegenheiten des tibetischen Volkes.

So hat die Wiedereinführung des Geshe Lharampa Examens durch die Chinesen auch eine ganze Reihe von negativen Aspekten. Die Gelehrsamkeit und Qualifikation der Mönche, welche die Partei handverlesen hat, um die Prüfung abzunehmen, ist in Zweifel zu ziehen. Insofern wird der bei der Prüfung verlangte Wissensstand bei der neuen Generation von Mönchen, die sie ablegen wollen und für den Grad in Frage kommen, höchstwahrscheinlich zu einem Abfall des Leistungsstandards führen. Bedenklich ist ebenso, daß die neu eingeführte Voraussetzung, nämlich die Beschäftigung mit politischer Ideologie, eine Abweichung vom buddhistischen Geistesgut darstellt, vor allem weil die Bewerber nun auf Grund veränderter Lerninhalte geprüft werden, die neben den religiösen Texten auch politische Themen umfassen. Eigentlich ist das ganze ein Widerspruch in Chinas Religionspolitik, denn einer der erklärten Grundsätze der Chinesen ist ja die Trennung von Religion und Staat, aber hier scheint die Partei umgekehrt die Religion in den Staat inkorporieren zu wollen, indem Politik zur Pflicht in einem religiösen Umfeld gemacht wird.

Einen Monat nach der Wiederbelebung des Geshe Lharampa Grades traf Gedhun Tsundue[25] am 24. Juli 2004 im Tibetischen Flüchtlingslager in Kathmandu ein. Gedhun berichtete dem TCHRD über die Auswahl der Kandidaten für die Prüfungen zu dem unlängst wieder eingeführten Geshe Lharampa und die Aktivitäten der chinesischen Behörden im Kloster Ganden: “Die Behörden bestimmten sechs Mönche – jeweils zwei aus den Klöstern Drepung, Sera und Ganden –, die vor 16 Prüfern zum Vorexamen anzutreten hatten. Diese sechs Mönche wurden jedoch nicht auf Grund ihrer Leistungen ausgewählt, sondern weil die Behörden sie als besonders loyal einschätzten”.

Letzten Endes bedeutet die Einführung von sechs Büchern mit politischer Ideologie nichts als eine unmittelbare Infragestellung des Geshe Lharampa Grades und einen Bruch mit der Tradition dieser Einrichtung, so wie sie vor der chinesischen Besatzung Brauch war. Von ihrer Kultur, Ausübung und ihrem Ritual her gesehen ist diese Einrichtung in der revidierten Version in ihrer eigentlichen Existenz bedroht, und damit ist nun auch diese überaus wichtige Gelehrtentradition des tibetischen Buddhismus gefährdet.

Der von den Chinesen eingesetzte Panchen Lama

Am 15. September 2004 gab das US State Department seinen jüngsten Bericht über Religionsfreiheit in aller Welt heraus, in dem es heißt, daß die chinesische Regierung “die Religion sehr gering achtet” und “der Grad der Unterdrückung sehr hoch ist” (In dem Bericht ist auch von dem 11. Panchen Lama Gedhun Choekyi Nyima die Rede, der von den Chinesen immer noch an einem unbekanntem Ort gefangen gehalten wird). Kurz nachdem dieser Report des US State Department herauskam, stattete Gyaltsen Norbu, der von China ernannte Panchen Lama, Tibet seinen dritten offiziellen Besuch ab. In einem Interview, das am 26. September 2004 von den Xinhua News gebracht wurde, erklärte er: “Die Freiheit der religiösen Verehrung wird [in Tibet] voll respektiert, und das macht mich sehr glücklich”.

Offensichtlich war der Besuch des “chinesischen” Panchen Lamas in Tibet nichts als ein Propagandaakt, mit dem die Kritik, die in dem US Bericht über Religionsfreiheit an der Religionspolitik Chinas geübt wird, entkräftet werden sollte. Vielleicht erfolgte der Besuch auch in der Absicht, bei den Tibetern um Unterstützung für die Partei und ihre Anerkennung von Gyaltsen Norbu als dem echten Panchen Lama zu werben. Es scheint, daß China durch den Besuch seines Panchen Lama in Tibet der internationalen Gemeinschaft den Eindruck vermitteln will, daß dort Religionsfreiheit herrsche und die Menschenrechte geachtet würden.

Resumée

2004 war weder eine Änderung in der Religionspolitik Chinas, noch eine Besserung beim Umgang mit den religiösen Rechten der Tibeter zu verzeichnen. Das tibetische Volk ist weiterhin – einmal mehr, einmal weniger – der religiösen Repression und Verfolgung durch den chinesischen Staat ausgesetzt. Es hat den Anschein, daß die Unterdrückung der Religion solange nicht aufhören wird, wie die chinesische Regierung im Dalai Lama und in einem jeglichen Ausdruck von buddhistischer Gesinnung und Praxis einen Angriff auf die Legitimität ihrer Herrschaft über Tibet sieht.


Fußnoten

[1] Democractic Management Committees (DMC) wurden von der VRC eingerichtet zur Verwaltung und Beaufsichtigung der Klöster in Tibet. Der Partei dienen sie als Instrumente zur Durchsetzung ihrer Politik, was sie durch die patriotische Umerziehung bewerkstelligt, bei der alle Mönche und Nonnen politische Texte studieren, dem Mutterland ihre Treue geloben und sich vom Dalai Lama abkehren müssen.

[2] “… Das Religious Affairs Bureau, das zusammen mit der Lokalverwaltung und den Parteizellen für die Beaufsichtigung der Klöster bei der Durchsetzung neuer Kontrollmaßnahmen auf Basisebene zuständig ist”, Cutting off the Serpent’s Head, Tightening Control in Tibet, 1994-1995, TIN/Human Rights Watch Asia, S. 30.

[3] Die den DMCs unterstehenden Arbeitsteams sind zuständig für die Überwachung des Tun und Treibens der Klöster und die Umsetzung der patriotischen Erziehung. Sie müssen über jeden Mönch und jede Nonne Bericht erstatten, die sich dem patriotischen Unterricht verweigern. Die den DMCs angehörenden Offiziellen müssen auch alle Aktivitäten in den Klöstern genau verfolgen und Bericht erstatten, wenn ihnen etwas auffällt, das für die Partei subversiven Charakter haben könnte.

[4] Der Zweck der patriotischen Umerziehung ist u.a. die Mönche und Nonnen in der Staatsideologie zu unterrichten, wobei sie dem Staat ihre Treue bezeugen und den Dalai Lama verunglimpfen müssen.

[5] www.unpo.org/news.

[6] Nach einem Zitat, das am 1. Oktober 1994 in Tibet Daily, A Golden Bridge, erschien und von TIN/Human Rights Watch Asia in ”Cutting off the Serpent’s Head, Tightening Control in Tibet, 1994-1995”, S. 33, übersetzt wurde.

[7] “Diese Forderung bedeutete in der Praxis, daß die Arbeitsteams oder Komitees jedem Mönch oder jeder Nonne eine schriftliche Erklärung abnehmen müssen, daß sie die politische Position und die Vorstellungen des Dalai Lama oder seiner Anhänger nicht mehr unterstützen. Die Forderung ist so abgefaßt, daß am Dalai Lama zwar persönliche Kritik geübt, aber nicht ausdrücklich verlangt wird, daß sich die Tibeter gegen den Dalai Lama als Person und religiösen Führer stellen; es wird jedoch von ihnen verlangt, daß sie sich von der “Clique” trennen, wobei sich diese Trennung eher auf politische als auf religiöse Fragen bezieht. Angesichts des eher allgemeinen Tons dieser Instruktionen an Partei-Kader, die sonst meist bittere Attacken auf den Dalai Lama als Individuum und religiöse Figur enthalten, können wir annehmen, daß ihre Zweideutigkeit nicht von ungefähr kam. Sie mag eine Art von abwartender Haltung der chinesischen Propagandisten reflektieren, wie weit sie ihre Forderungen vortreiben können, ohne größere Unruhen auszulösen… Die Zweideutigkeit überläßt Entscheidungen über den schwierigen Aspekt der politischen Umsetzung den Kadern auf lokaler Ebene, womit die höhere Führung die Verantwortung leicht abschütteln kann, wenn die Dinge schief laufen. Sie ist auch ein gewisser Wink an die Basis-Kader, bei der praktischen Umsetzung der Instruktionen energischer vorzugehen, als diese selbst es verlangen.” Cutting off the Serpent’s Head; Tightening Control in Tibet, 1994-1995; TIN/Human Rights Watch Asia, S. 34.

[8] In dem ICT Report “When the Sky Fell to Earth”, S. 81, 2004.

[9] China’s Tibet 2004, Facts and Figures, New Star Publishers, p. 68.

[10] Einem Zitat in dem ICT-Report “When the Sky Fell to Earth”, auf S. 93 entnommen.

[11] TCHRD Human Rights Update, März 2004, S. 4.

[12] Aus dem Bericht “When the Sky Fell to Earth” von International Campaign for Tibet, 2004, S. 17.

[13] TCHRD, Human Rights Update, June 2004, S. 2.

[14] TCHRD Human Rights Update, July 2004, S. 5.

[15] TCHRD, Human Rights Update, Nov. 2004.

[16] TCHRD Kathmandu Interview 2004.

[17] TCHRD Kathmandu Interview 2004.

[18] TCHRD, Human Rights Update Nov. 2004.

[19] TCHRD Kathmandu Interview 2004.

[20] ICT Report “When the Sky fell to Earth”.

[21] Am 26. Januar 2005 wurde das Todesurteil auf internationalen Druck hin in lebenslängliche Haftstrafe umgewandelt.

[22] TCHRD Kathmandu Interview 2004.

[23] Ibid.

[24] Ibid.

[25] TCHRD, Human Rights Update September 2004.