Juli 2004
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P.
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Jahresbericht über Menschenrechtsverletzungen in Tibet 2003

Inhalt
Zusammenfassung
Kapitel 1: Bürgerliche und politische Freiheiten
Kapitel 2: Die Religion
Kapitel 3: Entwicklung
Kapitel 4: Lebensunterhalt
Kapitel 5: Die Bildung

Kapitel in pdf 46 KB

Zusammenfassung des Jahresberichts 2003: Die Menschenrechtslage in Tibet

  1. Vorwort
  2. Empfehlungen
    - An die Regierung der VR China
    - An Internationale Vereinigungen und Regierungen
    - An multinationale Firmen und Konzerne
  3. Maßgebliche Zusammenfassung
    - Bürgerliche Freiheiten
    - Religion
    - Entwicklung
    - Lebensunterhalt
    - Bildung
  4. Schlußfolgerung
Teil 1

Vorwort

Das Jahr 2003 begann für Tibet verheißungsvoll. Eine neue Generation von chinesischen Spitzenfunktionären - die meisten von ihnen Technokraten, die einen wirtschaftlichen Background haben - übernahm im März 2003 mit Hu Jintao als neuem Präsidenten die Führung der Staatsgeschäfte. Einhergehend mit dem zweiten Chinabesuch der Sondergesandten des Dalai Lama innerhalb eines Jahres und der zunehmenden Beteiligung Chinas an internationalen Angelegenheiten (und damit seiner Verpflichtung auf die Beachtung internationaler Verhaltensnormen, insbesondere der Menschenrechte) weckte dies Hoffnungen bei der internationalen Gemeinschaft und den Tibetern, daß eine sanftere Gangart in der Tibetpolitik Chinas vielleicht zu einem Neuanfang für das tibetische Volk führen könnte.

Aber dazu kam es nicht. Das ganze Jahr 2003 hindurch wurden die Bemühungen zur Verbesserung der Rechtsstaatlichkeit und des Justizwesens durch politische Kampagnen gegen mutmaßliche Oppositionelle unterlaufen. Die Rechte auf Rede-, Versammlungs- und Religionsfreiheit wurden stark eingeschränkt und weiterhin unterdrückt. Die willkürlichen Festnahmen und Inhaftierungen, unfaire Prozesse, Folter und Mißhandlung wurden nicht weniger, ebenso die gelegentlichen Hinrichtungen. Gerechtfertigt wurde dieses harte Vorgehen gegen das tibetische Volk mit Schlagworten wie "Gefährdung der Nation, der Staatssicherheit und der sozialen Stabilität".

Daß die Hardliner in der Tibet-Politik wieder das Sagen haben, machte sowohl die am 26. Januar 2003 erfolgte Hinrichtung des Tibeters Lobsang Dhondup als auch das Todesurteil gegen den angesehenen Lama Tulku Tenzin Delek deutlich. Die im Juli für ein weiteres Jahr beschlossene Verlängerung der "Hart-Durchgreif-Kampagne" von 2001 diente den Behörden zur Legitimierung ihrer Verfolgung aller als "spalterisch" angesehenen und vermeintlich "die Staatssicherheit gefährdenden" Aktivitäten. Natürlich wurden die Tibeter wieder die ersten Opfer dieser weitgefaßten und zweideutigen Verhaftungsgründe, deren genaue Interpretation China nach wie vor schuldig bleibt.

Bei den in Tibet lebenden Tibeter kamen der Prozeß hinter verschlossenen Türen, die darauf folgenden Todesurteile und die unmittelbare Exekution als eine beängstigende Botschaft an, die sie an das chinesische Brutalitätspotential erinnerte. Der Prozeß selbst und die Art des Verfahrens hinterließen bei Beobachtern der Lage ernsthafte Zweifel an der Fairneß der Justiz in China. Dies wirft auch auf die nach Darstellung der Chinesen in anderen Bereichen erzielten Fortschritte seine Schatten. Die unerwartete Art, in der die chinesischen Behörden die Hinrichtung vornahmen, ist ein Hinweis darauf, daß China ungeachtet aller den USA, der EU und der internationalen Gemeinschaft bezüglich eines gesetzeskonformen Prozesses gemachten Zusagen immer nur seinem eigenen Programm folgen wird.

Das TCHRD verurteilt scharf die Art und Weise, wie China den Begriff "Staatsgeheimnisse" in dem 1996 revidierten Strafverfahrensgesetz (Criminal Procedure Law - CPL) gebraucht. Dieser Begriff dient als Rechtfertigung dafür, daß den Angeklagten während des Ermittlungsverfahrens jeglicher Zugang zu Anwälten verweigert wird. Des weiteren bekam die Polizei durch das CPL enorme Machtbefugnisse bei der Inhaftierung von Verdächtigen. Ein himmelschreiendes Beispiel dafür, wie wenig das Strafverfahrensgesetz (CPL) entscheidende Rechte von Verdächtigen und Angeklagten in Strafverfahren schützt, ist die mit der Begründung, es gehe in dem genannten Fall um "Staatsgeheimnisse", vom Volksgerichtshof Sichuan ausgesprochene Weigerung, einen unabhängigen rechtlichen Beistand für Tulku Tenzin Delek zuzulassen. Ebenso wurde daran deutlich, wie "politisch benachteiligte" Angeklagte diskriminiert werden.

"Die chinesischen Behörden konnten nicht plausibel machen, warum der Fall Staatsgeheimnisse betreffen soll, und die Beweislage, anhand derer die Verurteilung erfolgte, blieb nebulös." Aus dem Bericht von Amnesty International: VR China - Justizirrtum? Der Fall Tenzin Delek Rinpoche und die damit verbundenen Verhaftungen - Oktober 2003.

Im Hinblick auf den Einfluß des tibetischen Buddhismus ist China geradezu paranoid. Das weiterhin bestehende Charisma des Dalai Lama wird als eine die Tibeter einigende Kraft und somit als potentielle Bedrohung der Einheit des Mutterlandes wahrgenommen. Diese Nervosität kommt in den Kontrollmaßnahmen der Behörden zur Unterhöhlung religiöser Studien und sonstiger religiöser Aktivitäten zum Ausdruck. Beispiele hierfür sind das Verbot der Zurschaustellung von Bildern des Dalai Lama, die Schließung von Schulen, die unter dem Verdacht stehen, "spalterische Ideologien" zu lehren, die ständige Einmischung der Behörden in die religiösen und die Verwaltungsangelegenheiten der Klöster, sowie die "patriotische Umerziehung" von Mönchen und Nonnen, bei der gelehrt wird, daß die Loyalität gegenüber dem Staat wichtiger als die gegenüber der Religion se. Derartige Restriktionen stehen in krassem Widerspruch zur chinesischen Verfassung, in der die Freiheit der Religionsausübung garantiert wird.

Die im Laufe des Jahres von China bei bi- und multilateralen Gesprächen bezüglich der Menschenrechte gemachten Versprechungen führten zu nichts anderem als einer Enttäuschung. Offenbar wurden diese Zusagen lediglich aus taktischen Gründen gegeben, um Zeit zu gewinnen und Kritik abzuwenden. Im August warf die Bush-Administration China vor, seine im Dezember 2002 eingegangenen Menschenrechtsverpflichtungen, auf Grund derer die USA beim Genfer Menschenrechtsforum vom März/April 2003 auf die Einbringung einer Resolution gegen Peking verzichtet hatten, nicht erfüllt zu haben.

"...sie haben eindeutig Versprechen gemacht, aber sie haben sie nicht gehalten. An dieser Stelle geht es nicht mehr nur um Menschenrechte. Die Frage ist vielmehr: Inwieweit können wir uns auf die von den Chinesen eingegangenen Verpflichtungen überhaupt verlassen?", sagte John Kamm, ein Menschenrechtsaktivist aus San Francisco, der die Geschehnisse in der VR China kritisch verfolgt.

Die Vorliebe Pekings für bilaterale Gespräche hat einzig den Zweck, bei internationalen Foren einer öffentlichen Verurteilung seiner Menschenrechtsverletzungen entgegenzuwirken; dabei setzt die bilaterale Diplomatie eigentlich voraus, daß die verhandelnden Parteien sich auch verpflichten, Mechanismen der Rechenschaftslegung und Transparenz sowie der Ahndung bei Nichterfüllung in Gang zu setzen.

Um Dick Oosting den Direktor des EU-Büros von Amnesty International in Brüssel zu zitieren: "Durch Chinas Beharren auf gegenseitigem Respekt und Nicht-Konfrontation in der Menschenrechtsfrage wurde die EU bisher als Geisel gehalten, blockiert durch einen formalen Menschenrechtsdialog - der den Opfern von Menschenrechtsverletzungen in China keinerlei Erleichterung brachte. Bei einer reifen gegenseitigen Beziehung wissen jedoch alle Beteiligten ganz genau, daß die Beziehung zu Ergebnissen führen muß".

China brüstet sich seiner enormen Investitionen und Mammut-Entwicklungsprojekte in Tibet. Normalerweise sollte jedoch ein jedes Entwicklungsprojekt dem Recht der Menschen auf Selbstbestimmung dienen - und dazu gehört auch die Kontrolle über die Nutzung ihres Landes und seiner natürlichen Ressourcen. Dennoch werden in Tibet die Tibeter sowohl von den Entscheidungen als auch der aktiven Beteiligung an den Projekten ausgeschlossen. Die Stadtentwicklungsvorhaben haben nur den Zweck, Chinas wirtschaftliche und politische Kontrolle über Tibet zu konsolidieren. Der daraus resultierende Zustrom zig-tausender chinesischer Siedler stellt eine ernsthafte Bedrohung für den Lebensunterhalt der Tibeter dar. Das TCHRD ist der Überzeugung, daß der tatsächliche Zweck der gegenwärtigen Entwicklungsprojekte nichts als die Assimilation ist. Das Tempo, mit dem diese Projekte umgesetzt werden, wird schließlich den kulturellen Genozid am tibetischen Volk besiegeln.

Im März 2003 veröffentlichte China ein neues Papier zu seiner Tibetpolitik mit dem Titel: "Ökologischer Aufbau und Umweltschutz in Tibet". Darin werden die chinesischen Entwicklungsplanungen für Tibet verteidigt und die große Bedeutung des Umweltschutzes für das Land betont. Kritiker, zu denen nicht zuletzt die tibetische Bevölkerung zählt, stehen den ambitionierten Plänen jedoch skeptisch gegenüber und halten den Bericht für Propaganda. Ihrer Auffassung nach schädigt die forcierte wirtschaftliche Entwicklung in Tibet die Umwelt. Peking verwarf die Kritik natürlich und sagte, umweltpolitische Bedenken dürften die wirtschaftliche Entwicklung nicht hindern. "Obwohl die Chinesen in öffentlichen Verlautbarungen stets die Priorität der Umweltpolitik betonen, steht sie in der tatsächlichen Rangfolge weit hinter strategischen und ökonomischen Belangen", kommentierte die Tibet-Kennerin Kate Saunders.

Pekings Papier zur "Nationalen Minderheitenpolitik und ihrer Umsetzung in China" von 2002 spricht sich ausdrücklich gegen ethnische Diskriminierung oder Unterdrückung jeglicher Art aus; angeblich soll die Freiheit der Religionsausübung von ethnischen Minderheiten sowie der Gebrauch und die Verbreitung ihrer jeweiligen Sprachen in Wort und Schrift respektiert und geschützt werden. Die Tibeter werden von China als "ethnische oder nationale Minderheit" eingestuft.

Trotz dieser erklärten Politik werden die sie weiterhin diskriminiert. Pekings Unduldsamkeit gegenüber der Religionsausübung der Tibeter und die Schließung von tibetischen Schulen, welche die indigene Religion und Kultur sowie die gesprochene und geschriebene Sprache fördern, stellt sowohl einen Bruch der eigenen politischen Richtlinien als auch der von China am 31. März 1996 unterzeichneten und am 29. Dezember 1981 ratifizierten Internationalen Konvention zur Ausmerzung aller Formen der Rassendiskriminierung (International Convention on the Elimination of all Forms of Racial Discrimination - ICERD) dar.

Auf Geheiß Chinas wurden im Mai 2003 achtzehn tibetische Flüchtlinge von Nepal abgeschoben. In seiner Pressemitteilung vom 2. Juni 2003 bezeichnete Amnesty International diese zwangsweise Rückführung von Tibetern nach China als inakzeptabel: "Diese Operation stellt eine offene Mißachtung aller internationalen Normen von Menschenrechten und Flüchtlingskonvention dar. Es steht zu befürchten, daß diese Menschen Folterung und weiteren gravierenden Menschenrechtsverletzungen ausgesetzt werden, deshalb rufen wir die chinesischen Behörden dazu auf, umgehend die Sicherheit der Betroffenen zu garantieren".

Im November kündigte der chinesische Botschafter in Nepal, Sun Heping, an, sein Land werde künftig den Strom der tibetischen Flüchtlinge, die er als "illegale Immigranten" bezeichnete, stoppen. Diesbezügliche Maßnahmen werden in Zukunft die Bewegungsfreiheit des tibetischen Volkes noch weiter einschränken. Mit der Wirkung dieser Maßnahmen über die Grenzen hinweg ist zu befürchten, daß immer mehr tibetische Flüchtlinge gefaßt und inhaftiert werden. Das TCHRD sieht in den von der chinesischen Regierung getroffenen Maßnahmen, um das Recht der Tibeter auf Freizügigkeit sogar noch jenseits der Grenze einzuschränken, einen unmittelbaren Versuch, den freien Informationsfluß an die Weltöffentlichkeit zum Erliegen zu bringen.

In seiner Rede auf dem Genfer Weltgipfel zur Informationsgesellschaft am 10. Dezember 2003 vermied der chinesische Informationsminister Wang Xudong peinlichst jede Erwähnung des unbefriedigend gehandhabten bzw. dringend verbesserungswürdigen Rechts auf Informations- und Redefreiheit. Statt dessen sprach er vom Fortschritt als der Basis für den Aufbau der Informationsgesellschaft - wieder einmal eine Demonstration eines chinesischen Ablenkungsmanövers von der eigentlichen Problematik.

Der Empfang und die Weiterleitung von Informationen, der Austausch von Ideen und Meinungen sowie ihre Diskussion sind wesentliche Elemente für eine Veränderung und Weiterentwicklung von Gesellschaften. Im Gegensatz dazu wurden in China seit 1993 mehrere Gesetze und Verordnungen zur Einschränkung der Nutzung von Informationstechnologien erlassen. Der Report von Amnesty International "Die VR China: Staatliche Kontrolle des Internets im Jahr 2002" berichtet über die Festnahme von 33 Personen, weil sie Informationen mittels des Internets weitergeleitet bzw. aus dem Internet heruntergeladen hatten.

Verglichen mit dem restlichen China bleibt die Internet-Nutzung durch Tibeter weiterhin marginal; teilweise liegt dies wohl an der mangelhaften Schulbildung und der hohen Rate von Analphabeten in Tibet. Die Störung von Radio- und Fernsehprogrammen ist eine weitere häufig angewandte Methode zur Kontrolle alternativer Informationsquellen. Im vergangenen Jahr wurden viele Tibeter wegen Weitergabe von Informationen an die Außenwelt zu langjährigen Haftstrafen verurteilt.

Teil 2

Empfehlungen

An die Regierung der VR China

Bürgerliche und politische Rechte

  • Den am 5. Oktober 1998 unterzeichneten Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte zu ratifizieren.
  • Die einschlägigen Sonderberichterstatter der UN-Menschenrechtskommission, offizielle Beobachterteams, sowie Journalisten und NGOs einzuladen und ihnen ohne ständige Überwachung freien Zugang zu den Personen und Orten ihrer Wahl zu gewähren;
  • Tulku Tenzin Delek umgehend und bedingungslos freizulassen.
  • Gedhun Choekyi Nyima, den XI. Panchen Lama Tibets, dessen Aufenthaltsort seit Mai 1995 unbekannt ist, unverzüglich auf freien Fuß zu setzen und ihn ein freies Leben führen zu lassen.
  • Alle in Gefängnissen und Zwangsarbeitslagern inhaftierten tibetischen Gewissensgefangenen freizulassen.
  • Das Justizsystem zu verbessern, den (Geltungsbereich des) Begriff "Staatsgeheimnisse" im CPL, der zur Strafverfolgung unschuldiger Menschen herangezogen wird, und seinen Geltungsbereich klarzustellen
  • Freie und faire Prozesse für alle aus politischen, religiösen oder anderen Gründen angeklagten Personen sicherstellen.
  • Tibetern, die außer Landes reisen wollen, Freizügigkeit zu gewähren, sowie die Möglichkeit, jederzeit ohne Furcht vor Schikanen oder Inhaftierung in ihr Heimatland zurückzukehren. (, gewähren)
  • Dem tibetischen Volk das Recht auf Religionsfreiheit und freie Religionsausübung zu gewähren; die Kampagne zur Aufzwingung des Atheismus in Tibet einzustellen; die gegen das tibetische Volk gerichtete Anti-Dalai-Lama-Kampagne zu beenden; dem System der Beschränkung der Anzahl von Mönchen und Nonnen und ihrer Zulassung zu den Klöstern ein Ende zu setzen.
  • Die Beschneidung des Rechtes auf Informations- und Redefreiheit einzustellen und uneingeschränkten Zugang zu Radio- und Fernsehsendungen sowie zur Nutzung des Internets zu gewähren.

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

  • Endlich den bereits am 30. Juni 2002 fällig gewordenen anfänglichen/ersten Bericht an das UN-Komitee über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte vorzulegen.
  • Nach der Ratifizierung des Internationalen Abkommens über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) nun auch das Recht der Tibeter auf Selbstbestimmung zur Wahrung ihrer Kultur und Identität zu respektieren.
  • Bei allen Entwicklungsprojekten in Tibet das tibetische Volk mit einzubeziehen und ihm die aktive Beteiligung daran zu gewähren. China sollte endlich bei allen Entwicklungsprojekten, die in Tibet zur Ausführung kommen, den Willen der Tibeter respektieren.
  • Die Empfehlungen der UN-Sonderberichterstatterin für Bildung, Katarina Tomasevski, umzusetzen - also die volle Integration der Menschen- und Minderheitenrechte im Bildungs- und Justizwesen und in der Rechtspraxis, sowie die Schaffung eines einheitlichen rechtlichen Rahmens, der Kindern das Recht auf allgemeinen Zugang zu freier und schulischer Bildung garantiert.

An Internationale Vereinigungen und Regierungen

  • Bei sämtlichen künftigen Gesprächen mit der chinesischen Regierung die Menschenrechtsfrage zu einer zwingenden Vorbedingung machen.
  • Konkrete Resultate bezüglich der Einhaltung der Menschenrechtsverträge und der gegenüber der UNO und der WTO eingegangenen Verpflichtungen von China zu fordern.
  • Die chinesische Regierung zur bedingungslosen Freilassung von Tulku Tenzin Delek, des XI. Panchen Lama von Tibet, Gedhun Choekyi Nyima, und aller in Gefängnissen und Zwangsarbeitslagern inhaftierten Gewissensgefangenen aufzufordern.
  • China zur Erfüllung aller mit der UNO geschlossenen Verträge und seiner Verpflichtungen gegenüber der WTO aufzufordern.
  • Verlangen, daß China den Tibetern Bewegungsfreiheit innerhalb und außerhalb von Tibet gewährt und ihnen die Rückkehr in ihre Heimat erlaubt, so daß sie keine Verfolgung oder Inhaftierung mehr befürchten müssen.
  • Verlangen, daß China die Anwendung extremer Folter bei Gefangenen und Untersuchungshäftlingen, mit dem Zweck Geständnisse von ihnen zu erpressen, einstellt.
  • China zur Aufnahme eines fruchtbringenden Dialogs mit den Repräsentanten des tibetischen Volkes zu bewegen.

An multinationale Firmen und Konzerne

  • Arbeiten Sie ernsthaft mit den Tibetern zusammen und sorgen Sie für ihre Beteiligung in allen Stadien der Entwicklungsprojekte; lassen Sie den ortsansässigen Tibeter bei allen Aktivitäten Ihre Unterstützung zukommen;
  • Führen Sie umfassende soziale und Umweltstudien durch und erstellen Sie Gutachten über die zu erwartenden Auswirkungen der Projekte.
  • Vergewissern Sie sich, ob sinnvolle Umweltschutzmaßnahmen getroffen wurden.
  • Legen Sie nachhaltige Entwicklungsinitiativen vor, die den Menschen vor Ort tatsächlichen Nutzen bringen.
  • Vergessen Sie schließlich nicht, daß bei jedem Projekt die Gefühle der Tibeter respektiert werden müssen.

Teil 3

Bürgerliche Freiheiten

China hat das Internationale Abkommen über bürgerliche und politische Rechte (ICCPR) im Oktober 1998 zwar unterzeichnet, jedoch noch nicht ratifiziert. Aus der Präambel des ICCPR:

"In der Erkenntnis, daß nach der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte das Ideal vom freien Menschen, der bürgerliche und politische Freiheit genießt und frei von Furcht und Not lebt, nur verwirklicht werden kann, wenn Verhältnisse geschaffen werden, in denen jeder seine bürgerlichen und politischen Rechte ebenso wie seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte genießen kann...

In der Erwägung, daß die Charta der Vereinten Nationen die Staaten verpflichtet, die allgemeine und wirksame Achtung der Rechte und Freiheiten des Menschen zu fördern...."

Die Tibeter sehen sich weiterhin in der Ausübung ihrer Grundrechte und Freiheiten extrem eingeschränkt. Der Rückgang bei der Anzahl der Verhaftungen ist indes kein Indikator für eine Verbesserung der Lage. Die Behörden gehen weiterhin gezielt gegen religiöse Institutionen und Würdenträger vor, indem sie diese "spalterischer Aktivitäten" bezichtigten. Mehrere Personen wurden wegen angeblicher Verbrechen, für die es keinerlei Beweise gab, gefangen gesetzt. Nichtöffentliche Prozesse und Verurteilungen verdächtiger Personen waren an der Tagesordnung. In den letzten Jahren war eine leichte, doch auffällige Verlagerung der politischen Vorfälle und Verhaftungen von der eher widerspenstigen Autonomen Region Tibet in die außerhalb der TAR gelegenen osttibetischen Gebiete in Sichuan und Qinghai - den traditionellen Regionen Amdo und Kham - zu verzeichnen.

Die im Jahr 2003 über zwei Tibeter verhängte Todesstrafe, sowie die unmittelbare Hinrichtung eines der beiden Verurteilten, sind ein Indiz dafür, daß auch unter den neuen Staatsführern von Rechtsstaatlichkeit keine Rede sein kann.

Das TCHRD erhielt das ganze Jahr hindurch Berichte über willkürliche Verhaftungen, Mißhandlungen und Folter. Gleichzeitig gab es weiterhin erhebliche Restriktionen bei religiösen und kulturellen Feierlichkeiten, und die Lage war an solchen Tagen besonders angespannt. Außerdem liegen dem TCHRD Informationen über Verhaftungen und langjährige Haftstrafen für Tibeter vor, die ihr Recht auf Freiheit der Rede und Meinungsäußerung wahrgenommen haben. Den Internationalen Pakt über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) hat China im März 2001 ratifiziert.

Religion

Im Artikel 36 der chinesischen Verfassung heißt es: "Die Bürger der VR China genießen die Glaubensfreiheit. Kein Staatsorgan, keine gesellschaftliche Organisation und keine Einzelperson darf Bürger dazu zwingen, sich zu einer Religion zu bekennen oder nicht zu bekennen, noch dürfen sie jene Bürger benachteiligen, die sich zu einer Religion bekennen oder nicht bekennen. Der Staat schützt normale religiöse Tätigkeiten. Niemand darf eine Religion dazu benutzen, Aktivitäten durchzuführen, welche die öffentliche Ordnung stören, die körperliche Gesundheit von Bürgern schädigen oder das Erziehungssystem des Staates beeinträchtigen. Die religiösen Gemeinschaften und Angelegenheiten dürfen von keiner ausländischen Kraft beherrscht werden."

Die Einschränkung der Religionsfreiheit und der religiösen Praxis in Tibet verletzt die von der chinesischen Verfassung und dem Völkerrecht verbürgten Grundrechte.

2003 wurde die Kampagne gegen die Aufstellung von Dalai Lama Bildern in verschiedenen Gegenden Tibets intensiviert. Der Bevölkerung wurde, sollte sie dem Verbot zuwiderhandeln, mit gravierenden Konsequenzen wie der Konfiszierung ihres Grund und Bodens gedroht. Mit dem Ziel, Studium und Praxis der Religion so zu manipulieren, daß sie sich in den Rahmen der kommunistischen Ideologie fügen, mischten sich die Demokratischen Verwaltungsräte ("Democratic Management Committees") weiterhin in die religiösen und die Verwaltungsangelegenheiten der Klöster ein. Schulen, in denen eine religiöse Erziehung vermittelt wurde, wie die Ngaba Kirti Klosterschule in der Präfektur Ngaba, Provinz Sichuan, wurden kurzerhand geschlossen.

Pekings Versuche, den Atheismus in Tibet mittels der "patriotischen Umerziehungskampagne" oder der "Anti-Dalai-Lama-Kampagne" zu popularisieren, führten zu einer Degeneration des tibetischen Buddhismus, was die klassischen Disziplinen Debatte und Meditation oder Schreiben, Denken und Zuhören angeht.

Die Chinesen halten den vom Dalai Lama im Mai 1995 als XI. Panchen Lama anerkannten Gedhun Choekyi Nyima nun im achten aufeinanderfolgendem Jahr fest. Sie behaupten, der Junge und seine Familie befänden sich in "vorsorglichem Gewahrsam" und verweigern allen internationalen Gesuchen zum Trotz ihre Freilassung.

Entwicklung

Im Vorwort des ICESCR heißt es: "In Übereinstimmung mit der universellen Erklärung der Menschenrechte kann die Idealvorstellung von freien Menschen, die ihre bürgerlichen und politischen Freiheiten genießen und frei von Angst und Not sind, nur dann erreicht werden, wenn Bedingungen geschaffen werden, unter denen jedermann seine zivilen und politischen wie auch seine wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte wahrnehmen kann... Die Staaten sind unter der Charta der Vereinten Nationen dazu verpflichtet, die Menschen- und Freiheitsrechte zu respektieren und einzuhalten."

Mit ihren Resolutionen von 1961 und 1965 forderte die UNO die VR China dazu auf, das Recht des tibetischen Volkes auf Selbstbestimmung zu respektieren. Die ambitionierten chinesischen Entwicklungsprojekte in Tibet - wie etwas das Qinghai-Tibet-Eisenbahnprojekt, das Nord-Süd-Wasserumleitungsprojekts (SNWDP), zahlreiche neue Dämme und Planungen für Wasserkraftwerke in Osttibet, überhaupt alle Pläne zur Modernisierung des Landes werden ohne tibetische Beteiligung durchgeführt, womit den Tibetern auch hier das Recht auf Selbstbestimmung verwehrt wird. Diese Art wirtschaftlichen Fortschritts respektiert weder die Gefühle der Tibeter für ihr Land, noch ihre kulturelle und religiöse Identität. Die von Tibetern und anderen Kritikern einiger Entwicklungsprojekte vorgebrachten schwerwiegenden Bedenken hinsichtlich eventueller katastrophaler Auswirkungen auf die Umwelt und die ökologische Balance der Region werden vollständig ignoriert. Das viel gerühmte "Western Development Project" wird nur die Ausbeutung der natürlichen Ressourcen Tibets zum Nutzen der Chinesen erleichtern. Die Zuwanderung von Hunderttausenden chinesischer Arbeiternehmer nach Tibet verursacht gigantische Probleme für den Lebensunterhalt der Tibeter. Die eigentlichen Nutznießer dieser Entwicklungsprojekte sind größtenteils Han-Chinesen in den industrialisierten Regionen von China.

Lebensunterhalt

Artikel 1.1 und 2 des ICESCR bestimmen: "Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung. Alle Völker können nach ihren eigenen Bedürfnissen frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des Grundsatzes des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Falle darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden."

In offiziellen chinesischen Erklärungen wird behauptet, seit der Machtübernahme durch die Volksbefreiungsarmee (PLA) 1959 sei es zu einer beachtlichen Verbesserung des Lebensstandards der Tibeter gekommen. Studien des Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen (United Nations Development Programme = UNDP) und der Weltbank beweisen indes das Gegenteil. Ihren Untersuchungen zufolge ist Tibet weiterhin eine der ärmsten Regionen der Welt. Viele der von der Regierung vorgenommenen Maßnahmen zur Urbanisation und Entwicklung Tibets haben lediglich dazu geführt, die Tibeter noch mehr zu marginalisieren. Es entstand dadurch ein großes Gefälle zwischen Arm und Reich sowie zwischen Stadt und Land. Die ländlichen Regionen sind nach wie vor von einem mangelnden wirtschaftlichen Wachstum gekennzeichnet, und die Menschen dort leben weiterhin in äußerster Armut. Die Lebensgeschichten der aus Tibet eintreffenden Flüchtlinge sprechen für sich selbst. Jedes Jahr verlassen ungefähr 2.500 Menschen auf der Suche nach Freiheit und besseren Lebensbedingungen ihre tibetische Heimat.

Die von den Chinesen in Tibet durchgeführten Entwicklungsprogramme haben gravierende Probleme und Ängste unter der dort ansässigen Bevölkerung hervorgerufen. Im Namen des "Western Development Programme" und seines angeblichen Umweltschutzes wurden zahlreiche Tibeter gegen ihren Willen umgesiedelt. Massive Korruption, Diskriminierung und zunehmende politische Empfindsamkeiten machen es den Tibetern immer weniger möglich, von den Vorteilen der Entwicklungsprojekte in ihrem Lande zu profitieren.

Die SARS-Epidemie in China zu Anfang des Jahres offenbarte, wie ungenügend die Bevölkerung in Tibet im Bereich Gesundheitsvorsorge aufgeklärt wird. Dies und die hohen Kosten medizinischer Behandlung führen dazu, daß Tibeter an Krankheiten und Verletzungen sterben, die leicht kuriert werden könnten. Als Beispiel seien hier Diarrhoe und Lungenentzündung genannt. Auch die Tuberkulose ist in Tibet weit verbreitet. Die mangelnde Zuverlässigkeit medizinischer Statistiken reflektiert den Unwillen oder die Furcht der lokalen Behörden, für den schlechten Gesundheitszustand der Bevölkerung, wie z.B. Unterernährung oder den Ausbruch von ansteckenden Krankheiten, verantwortlich gemacht zu werden. Behördenvertreter in Tibet erweisen sich bei der Berichterstattung von besorgniserregenden Gesundheitsproblemen häufig als unkooperativ - sie versuchen statt dessen eher den Eindruck zu erwecken, sie hätten die Situation in ihrem Autoritätsbereich im Griff.

Bildung

Artikel 13.3 des ICESCR legt fest: "Die Vertragsstaaten verpflichten sich, die Freiheit der Eltern und gegebenenfalls des Vormunds oder Pflegers zu achten, für ihre Kinder andere als öffentliche Schulen zu wählen, die den vom Staat gegebenenfalls festgesetzten oder gebilligten bildungspolitischen Mindestnormen entsprechen, sowie die religiöse und sittliche Erziehung ihrer Kinder in Übereinstimmung mit ihren eigenen Überzeugungen sicherzustellen".

Das gesamte Schulwesen und damit auch die Lehrpläne werden von den chinesischen Behörden bestimmt, was in völligem Gegensatz zu den offiziellen Verlautbarungen steht, in denen behauptet wird, die Tibeter könnten ihre schulische Bildung selbst gestalten. Die Tatsache, daß Chinesisch als Unterrichtssprache bevorzugt wird, führte dazu, daß tibetische Kinder häufig nicht mehr fähig sind, ihre Muttersprache zu lesen und zu schreiben. Da die Kenntnis der chinesischen Sprache ein wesentliches Kriterium für die Zulassung zu höheren Bildungseinrichtungen und später für die Beschäftigung ist, sind die Eltern praktisch gezwungen, ihre Kinder auf chinesische Schulen zu schicken. In letzter Zeit ordneten die Behörden die Schließung von zwei tibetischen Schulen an, deren Konzept auf der Vermittlung von tibetischer Kultur und buddhistischer Philosophie beruhte. Im August 2002 wurde die Tsangsul-Schule in Lhasa zum Schließen gezwungen; die Klosterschule Kirti folgte im Juli 2003, während ihr Schirmherr Soepa Nagur seither verschwunden ist.

Die UN-Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung Katarina Tomasevski zeigte sich nach der Rückkehr von ihrem Chinabesuch im September 2003 erschüttert über die hohe Analphabetenrate in Tibet, denn diese steht mit 39,5% in krassem Widerspruch zu den chinesischen Behauptungen, man habe mittlerweile einen hohen Bildungsstandard für die tibetischen Kinder erreicht. Die Sonderberichterstatterin empfahl die volle Berücksichtigung der Menschen- und Minderheitenrechte in der Bildungspolitik wie auch in der Justiz.

Vor dem Hintergrund der bestehenden chinesischen Gesetze und der Unterzeichnung internationaler Verträge durch China - was für Peking bestimmte grundsätzliche Menschenrechtsverpflichtungen mit sich bringt - will der "Jahresbericht 2003: Die Menschenrechtssituation in Tibet", ausgehend von den Informationen, die das TCHRD im Jahr 2003 erhielt, Einblick in einige der schlimmsten Menschenrechtsverletzungen in Tibet geben.

Trotz der Schwierigkeiten und Herausforderungen, mit denen sich das TCHRD bei seinen Bemühungen zur Dokumentierung und zur Beschaffung genauer Informationen konfrontiert sah, konnte es genügend Beweise sammeln, um die Welt von den gravierenden Menschenrechtsverletzungen im heutigen Tibet zu überzeugen.

Teil 4

Schlussfolgerung

Nach Auffassung des TCHRD ist die chinesische Menschenrechtsdiplomatie - Unterzeichnung von immer mehr Menschenrechtsverträgen, während den eigenen Bürgern die Menschenrechte verweigert werden - als Teil einer kohärenten Strategie zu sehen. Die von Peking ausgesprochenen Einladungen an Staatsoberhäupter in aller Welt und internationale Beobachter, sowie die neue Bereitschaft zur Abhaltung internationaler Konferenzen - von geschäftlichen Treffen bis hin zu Schönheitswettbewerben - sollen als Anzeichen von Offenheit und größerer Transparenz wirken. In Wirklichkeit jedoch sind diese "Anzeichen" keine, die einen Fortschritt bei dem Umgang mit den Menschenrechten anzeigten.

Das TCHRD verurteilt diese Politik der Täuschung, die China so emsig betreibt, um die brutale Realität der Menschenrechtslage des Volkes zu verschleiern. Allem Wandel und einigen schleppenden Reformen zum Trotz herrscht in China immer noch um ein autoritäres Regime, das kaum etwas getan hat, um einen echten demokratischen Prozeß in Gang zu setzen und seiner Bevölkerung mehr bürgerliche und politische Rechte zu geben.

Die Verschleierung der SARS-Epidemie zu Anfang des Jahres beweist deutlich, daß in China immer noch ein repressives System an der Macht ist, das seit über 50 Jahren mit zwingender Logik auf Lug und Trug baut. Man wird dadurch auch an die beunruhigende Realität der Zensur unter dem kommunistischen Regime erinnert, und damit einhergehend an die Unabdingbarkeit eines freien Informationsflusses zur Förderung von Transparenz, Rechtsstaatlichkeit und den Menschenrechten.

Heutzutage, wo China so begierig den Anschluß an die Welt sucht, eine Unmenge neuer politischer Kontakte knüpft, eine immer aktivere Rolle in der internationalen Arena übernimmt, seinen Einfluß beständig ausweitet und seine Diplomatie verfeinert - alles mit dem Ziel, eine führende Weltmacht zu werden -, muß sich die freie Welt vergegenwärtigen, daß sie auch die Verantwortung hat, China zur Achtung der Menschenrechte seiner eigenen Bevölkerung, der Tibeter und aller anderen Menschen auf seinem Staatsgebiet zu mahnen. Die Chinesen mögen schicker und differenzierter geworden sein - freundlicher oder sanftmütiger sind sie deswegen nicht geworden.

Das TCHRD ist der Überzeugung, daß bezüglich der VR China so lange, wie es in diesem Staat ein so großes Defizit an Demokratie, Rechtsstaatlichkeit und Achtung der Menschenrechte gibt, nicht von echter Entwicklung gesprochen werden kann.



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Kapitel 1: Bürgerliche Freiheiten

- Chinas gesetzliche Hürden

Inhalt:

  1. Einführung
  2. Der Justizterror gipfelt in dem Todesurteil gegen Tulku Tenzin Delek
  3. Die Fallstricke des chinesischen Justizsystems
  4. Widerrechtliche geheime Inhaftierung vor dem Prozess
  5. Neue Anti-Terror-Gesetze richten sich gezielt gegen Tibeter
  6. Willkürliche Festnahmen im Zusammenhang mit dem Fall des Tulku
  7. Fortsetzung der Haft über die Strafe hinaus
  8. Hartes Durchgreifen auch über die TAR hinaus
  9. Der Brennpunkt verlagert sich nach außerhalb der TAR
  10. Dämonisierung des Dalai Lama und Unterdrückung von Abweichlern
  11. Vernehmung unter Folter und Schlägen
  12. Einzelhaft
  13. Neue Gefahren für tibetische Flüchtlinge
  14. Chinesische Brutalität an der Grenze
  15. Das Leiden der Deportierten in den Arbeitslagern
  16. Pressezensur: die neuen Herausforderungen
  17. Störsender
  18. Chinas grosser Fire Wall
  19. Schluss

Teil 1

Einführung

Die VR China fuhr auch 2003 fort, die Rechte der Tibeter auf freie Meinungsäußerung und Versammlungsfreiheit zu unterdrücken und verweigerte ihnen den gebührenden Rechtsschutz. Während der im Mai/Juni erfolgte zweite Besuch der Delegation des Dalai Lama in Tibet und China, sowie gewisse Nuancenveränderungen bei der üblichen Kritik Chinas am Dalai Lama weltweit Optimismus auslösten, blieb die Lage in Tibet so angespannt wie zuvor, ohne daß irgendeine Besserung in der Menschenrechtslage eingetreten wäre.

Das Jahr begann mit der Meldung über die summarische Hinrichtung von Lobsang Dhondup, dem die Mittäterschaft bei einer Serie von Bombenanschlägen in Osttibet angelastet wurde(1). Diese Gerichtsentscheidung ließ international die Bedenken anwachsen, daß China den Unterschied zwischen dem globalen Feldzug gegen den Terrorismus und der Unterdrückung von innerstaatlichen Freiheitsbestrebungen verwischt. Wegen einer solchen politischen Verfälschung wurde es von den Menschenrechtsgruppen heftig getadelt. Auch die frühere UN Hochkommissarin für Menschenrechte, Mary Robinson, warnte China davor, den Kampf gegen den Terrorismus zur Unterdrückung seiner ethnischen Minderheiten zu mißbrauchen(2).

Während die Hinrichtung von Lobsang Dhondup Chinas neue Strategie, den gewaltlosen Freiheitskampf der sechs Millionen Tibeter als einen "Akt des Terrorismus" zu internationalisieren, deutlich werden ließ, machte dieses Urteil auch auf Mängel im chinesischen Justizsystems aufmerksam.

Mit der Jahrhundertwende hat sich die Menschenrechtsdiplomatie der VR China beachtlich verändert. Hinter einer beeindruckenden wirtschaftlichen und entwicklungsbetonten Fassade hat die chinesische Regierung mehrere Methoden geschaffen, um der internationalen Kritik an ihrer Menschenrechtspraxis die Berechtigung zu bestreiten. Den Kern dieser Strategie bildet die Einführung der bilateralen Dialoge über Menschenrechte, welche China jetzt so eifrig mit Australien, Kanada, den USA; Japan, Norwegen und den EU-Staaten führt(3). Dank dieser Dialoge konnte Peking seit 2000 die Erörterung von Resolutionen gegen sein Menschenrechtsgebaren bei der UN-Menschenrechtskommission immer wieder abwenden.

Zu Chinas neuer Menschenrechtsdiplomatie gehört auch die "Geltendmachung einer Politik", die oberflächlich betrachtet die wesentlichen internationalen Menschenrechtsinstrumente mit einbezieht; als Beispiel möge Chinas Ratifizierung des Internationalen Paktes über Wirtschaftliche und Soziale Rechte dienen(4). Was Tibet betrifft, so wäre die Freilassung mehrerer prominenter politischer Häftlinge im vergangenen Jahr zu nennen. Auch bei der Gestaltung seiner Außenpropaganda schlug Peking eine neue Strategie ein(5).

Im ganzen Jahr 2003 legte die chinesische Regierung jedoch totale Unduldsamkeit an den Tag, wo es um Loyalitätsbezeugungen der Tibeter gegenüber dem Dalai Lama ging. Die Kampagne gegen den Besitz oder die Zurschaustellung von Dalai Lama Bildern wurde in gewissen Gegenden Sichuans sogar noch verschärft. Verhaftungen wegen dieses "Verbrechens" haben in einigen Regionen die ganze Bevölkerung in Furcht und Schrecken versetzt.

Die "Tibetische Autonome Präfektur" (TAP) Kardze in Osttibet (heute zur Provinz Sichuan gehörend) war, was friedliche politische Proteste und Festnahmen betrifft, die brisanteste Region des Hochlandes. Von den dem TCHRD in dem Berichtsjahr bekannt gewordenen 27 Festnahmen erfolgten über 80 % in dieser und den umliegenden Regionen.

Hervorzuheben wären auch die zunehmenden Schwierigkeiten für Tibeter, die sich auf der Flucht ins Exil befinden und auf dem Treck über den Himalaya zahlreichen Gefahren ins Auge blicken müssen. Wir konstatierten eine merkliche Zunahme von Fällen, in denen die nepalesische Polizei tibetische Asylsuchende gewaltsam wegbrachte und an die chinesischen Behörden auslieferte. Die über die Berge fliehenden Tibeter sehen ihr Leben und ihre Sicherheit nun auf beiden Seiten der Grenze bedroht. Berichte über Todesfälle und Verhaftungen als Folge des Versuchs, über die Grenze zu entkommen, häuften sich gegen Ende des Jahres im Winter, einer Zeit, in der gewöhnlich mehr Flüchtlinge Kathmandu erreichen.

Teil 2

Der Justizterror gipfelt in dem Todesurteil gegen Tulku Tenzin Delek

Auf einen Sprengstoffanschlag in Chengdu, der Hauptstadt der Provinz Sichuan, hin nahm die chinesische Polizei am 3. April 2002 Lobsang Dhondup (chin. Lorang Toinzhub) fest. Chinesische Offizielle wollen beobachtet haben, wie Lobsang Dhondup von dem Ort der Explosion floh, die angeblich ein Todesopfer und 17 Verletzte gefordert haben soll. Die chinesische Polizei behauptete, Lobsang Dhondup habe mit diesen Anschlägen im Zusammenhang gestanden(6). Wenige Tage nach Lobsang Dhondups Verhaftung nahm das chinesische Sicherheitspersonal am 7. April 2002 einen bekannten tibetischen Lama, Tulku Tenzin Delek (chin. A-nga Tashi), unter dem Verdacht fest, eine Reihe von Bombenanschlägen in Sichuan mitorganisiert zu haben(7).

Die beiden Tibeter wurden am 27. November 2002 in einem nichtöffentlichen Verfahren vor das Mittlere Volksgericht Kardze gestellt. Am 2. Dezember 2002 verurteilte dieses Gericht Tulku Tenzin Delek wegen "Sprengstoffdelikten" zum Tode mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub und lebenslangem Verlust der politischen Rechte und wegen "Aufhetzung zur Spaltung des Landes" zu 14 Jahren Gefängnis und Verlust der politischen Rechte für 3 Jahre(8).

Wegen seiner vermeintlichen Rolle bei den Explosionen wurde auch Lobsang Dhondup zum Tode verurteilt und verlor seine politischen Rechte. Außerdem erhielt er wegen "Aufhetzung zur Spaltung des Landes" 12 Jahre Gefängnis, und die politischen Rechte wurden ihm für 2 Jahre abgesprochen, wozu noch drei weitere Jahre wegen angeblichen Besitzes von Feuerwaffen und Munition kamen(9).

Gegen den Gerichtsbeschluß legte Tulku Tenzin Delek bei dem Höheren Volksgericht von Sichuan zwecks Aufhebung des Todesurteils Berufung ein(10). Bei einer Wiederaufnahme des Verfahrens hinter verschlossenen Türen bestätigte das Höhere Volksgericht jedoch am 26. Januar 2003 das zuvor ergangene Urteil. Das Urteil gegen Lobsang Dhondup wurde ebenfalls aufrecht erhalten, und er wurde unmittelbar am 26. Januar 2003 exekutiert(11).

Die Grundlage für die Inhaftierung und strafrechtliche Verfolgung Tulku Tenzin Deleks bildete einzig und allein das angebliche Geständnis von Lobsang Dhondup. Die Strafverfolger behaupten zudem, Tulku Tenzin Delek habe seine Beteiligung bei dem Ermittlungsprozeß gestanden. Inoffiziellen Berichten zufolge - darunter von Augenzeugen sowie die persönliche Aussage des Tulku - gibt es gute Gründe anzunehmen, daß Lobsang Dhondups sogenanntes Geständnis auf Nötigung zurückzuführen ist. Es heißt, Lobsang Dhondup sei in der Haft gefoltert und geschlagen worden(12).

Im Widerspruch zu den Feststellungen der chinesischen Justizbeamten geht auch aus den dem TCHRD zugegangenen Informationen hervor, daß Tulku Tenzin Delek das Urteil zurückwies und seine Unschuld beteuerte. Wie zu erfahren war, leugnete Tulku sowohl während des Prozesses(13), als auch auf einer von ihm besprochenen Tonkassette jegliche Verwicklung in irgendwelche gegen die Nation gerichtete Aktivitäten und forderte ein faires Gerichtsverfahren. In einer insgeheim aufgenommenen und später aus Tibet geschmuggelten Botschaft erklärte er:

"Was immer sie tun und sagen, ich bin völlig unschuldig... Als ich von den Explosionen und Lobsang Dhondup hörte, fürchtete ich bereits, daß ich fälschlicherweise beschuldigt und verhaftet werden, also zum Sündenbock gemacht werden könnte. Ich wurde zu Unrecht angeklagt, weil ich immer aufrichtig war und mir die Interessen und das Wohl der Tibeter am Herzen lagen. Den Chinesen gefiel nicht, was ich tat und sagte. Das ist der einzige Grund, warum ich verhaftet wurde... Ich habe immer gesagt, daß wir unsere Hand nicht gegen andere erheben sollen, denn es ist eine Sünde. Ich habe weder Flugblätter verteilt noch heimlich Bomben gelegt. Solche Dinge wären mir nicht in den Sinn gekommen, denn ich habe noch nie die Absicht gehabt, andere zu verletzen"(14).

Teil 3

Die Fallstricke des chinesischen Justizsystems

Als die veränderte Strafverfahrensordnung (Criminal Procedure Law = CPL) der VR China 1997 in Kraft trat, wurde dies weithin als ein Schritt Chinas in Richtung Rechtsstaatlichkeit begrüßt(15). Der revidierte Gesetzestext enthält mehrere neue Bestimmungen - etwa, daß den Angeklagten eine verbesserte anwaltliche Vertretung und mehr Schutz zugestanden wird, bis ein Gericht ihre Schuld nachgewiesen hat. Weiterhin werden in dem neuen Strafgesetz die Grundrechte der Bürger auf Leben und Freiheit garantiert. Wirft man jedoch einen Blick auf das, was sich nach der Festnahme des Tulku und Lobsang Dhondups abgespielt hat, so sieht man, daß China den neuen Rechtsgarantien, die durch das revidierte Strafgesetz eingeführt wurden, überhaupt keine Geltung verschafft hat.

Sowohl Tulku Tenzin Delek als auch Lobsang Dhondup wurde eine faire und angemessene anwaltliche Vertretung versagt. Das chinesische Strafverfahrensgesetz räumt jetzt dem Angeklagten das Recht ein, sich durch einen Anwalt seiner Wahl vor Gericht verteidigen zu lassen(16). Es gestattet einem Verhafteten, sich durch einen Anwalt beraten zu lassen, bevor der Staatsanwalt den Fall vor Gericht bringt(17). Darüber hinaus kann das Gericht einen Anwalt bestimmen, falls der Angeklagte nicht selbst für seine Verteidigung sorgt(18).

Aus den dem TCHRD zugegangenen Berichten wird ersichtlich, daß in dem nichtöffentlichen Berufungsverfahren bei dem Höheren Volksgericht von Sichuan Tulku Tenzin Delek nicht erlaubt wurde, einen Anwalt seiner Wahl heranzuziehen. Als er bei der höheren Instanz Berufung einlegte, heuerte sein Bruder Tsering Lolo zwei renommierte chinesische Rechtsanwälte, Zhang Sizhi und Li Huigeng, aus Peking an, die seine Verteidigung übernehmen sollten. Doch der Richter beim Höheren Volksgericht von Sichuan, Wang Jinghong, wies zu einem späteren Zeitpunkt diese Vertretung zurück. Das Gericht bestellte statt dessen dieselben Anwälte, welche die zwei Angeklagten bereits vor dem Mittleren Volksgericht von Kardze vertreten hatten(19). Dabei ist es nicht einmal sicher, ob diese zwei Anwälte den Angeklagten tatsächlich verteidigten, denn die Berufung wurde ja unter Ausschluß der Öffentlichkeit verhandelt. Ebensowenig wissen wir, ob Tulku Tenzin Delek jemals über die Ablehnung der von ihm gewählten Anwälte in Kenntnis gesetzt wurde.

Offiziell wurde nicht klargestellt, warum der Richter einen solchen Schritt unternahm, doch die gerichtliche Verfügung, Tulku Tenzin Delek ein angemessenes und faires Verfahren zu verweigern, könnte als politisch motiviert interpretiert werden. In mehreren inoffiziellen Berichten wurde erwähnt, daß der Tulku wegen seines sozialen Engagements und seiner Popularität den Verdacht der lokalen Behörden auf sich gezogen hatte. Diese hatten 1997 sogar versucht, ihn mit der Begründung, er baue Klöster ohne legale Erlaubnis, zu verhaften(20). Die Festnahme von Lobsang Dhondup, eines Verwandten des Tulku, erschien den Behörden wahrscheinlich als passende Gelegenheit, um den tibetischen Lama belangen zu können und ihre frühere Blamage wettzumachen. Nach der summarischen Exekution von Lobsang Dhondup, dessen Aussage die Basis für die Beweise gegen Tulku Tenzin Delek bildet, steht dies völlig außer Zweifel. Mit Lobsang Dhondups Tod sind auch die Chancen des Tulku auf eine faire Neuverhandlung seines Falles gesunken.

Teil 4

Widerrechtliche geheime Inhaftierung vor dem Prozess

Über den Verbleib von Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup gab es, nachdem sie festgenommen wurden, fast sieben Monate lang praktisch keine Informationen. Dies stellt einen Verstoß gegen Art. 64 des "Grundgesetzes" (Basic Law) dar, welcher die Organe der Staatssicherheit verpflichtet, die Angehörigen oder die Arbeitseinheit des Betreffenden innerhalb von 24 Stunden über seine Festnahme in Kenntnis zu setzen(21). Wenn man sich an diese Vorschrift gehalten hätte, so hätte dies die Sicherheitsbeamten in der Vorbereitungsphase des Prozesses vom Mißbrauch ihrer Macht abgehalten. Es war bekannt, daß Tulku Tenzin Delek am 7. April 2002 festgenommen wurde, doch hörten seine Anhänger erst am 27. November 2002 wieder von ihm, als sowohl er als auch Lobsang Dhondup vor das Mittlere Volksgericht von Kardze gestellt wurden(22). Bis zu diesem Zeitpunkt wurden beide unter dem Vorwand, bei dem Fall gehe es um "Staatsgeheimnisse", in Isolationshaft gehalten.

Daß den Festgenommenen routinemäßig das Recht auf die Benachrichtigung ihrer Verwandten oder Freunde über ihre Verhaftung sowie ihr Recht auf eine ordentliche gesetzliche Verteidigung verweigert wird, stellt auch eine Verletzung des Grundsatzes der gleichen Behandlung vor dem Gesetz dar, wie er im Art. 10 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte und im Art. 14(1) des ICCPR festgeschrieben ist.

Das chinesische Strafgesetz fordert weiterhin, daß Todesurteile von dem Obersten Volksgericht überprüft und gebilligt werden(23). In diesem Sinne versicherten chinesische Regierungsvertreter dem US Staatsminister für Arbeit, Lorne Craner, bei seinem Besuch im Dezember 2002, daß eine abschließende Revision des Falles durch das oberste Gericht Chinas stattfinden würde(24). Die Tatsache, daß das Todesurteil bei einem unter Ausschluß der Öffentlichkeit erfolgten Revisionsverfahren bestätigt und noch am selben Tage vollstreckt wurde, verletzt sowohl den Buchstaben als auch den Sinn des chinesischen Grundgesetzes.

Teil 5

Neue Anti-Terror-Gesetze richten sich gezielt gegen Tibeter

Die chinesische Regierung hat sich den globalen Kampf gegen den Terrorismus zunutze gemacht, um ihre Maßnahmen zur Unterdrückung der friedlichen tibetischen Proteste zu rechtfertigen. Den Aussagen chinesischer Politiker ist zu entnehmen, daß sie nun Tibeter mit Vorliebe mit terroristischen Aktivitäten in Verbindung bringen(25). Bei einer Pressekonferenz in der chinesischen Botschaft in Washington D.C. ging Xiaowen Ye, der Leiter des Ministeriums für religiöse Belange, so weit, Tulku Tenzin Delek mit Osama Bin Laden zu vergleichen(26). Wie sehr der Regierung daran gelegen ist, den vermeintlichen "tibetischen Terrorismus" als Gefahr hinzustellen, wurde deutlich, als chinesische Truppen am 17. November 2003 eine eintägige Antiterror-Militärübung mit der Bezeichnung "Himalaya 03" in Lhasa, der Hauptstadt Tibets, abhielten(27).

Chinas Feldzug gegen den Terrorismus hat seit dem Anschlag vom 11. September in den USA neue Formen angenommen. Im Dezember 2001 wurde das chinesische Strafgesetz durch einige Artikel zur strengeren Ahndung terroristischer Akte ergänzt(28). Vereinte Anstrengungen, um die Kampagne außerhalb Xinjiangs auch auf andere Regionen auszuweiten, begannen im März 2002, als das Ministerium für Öffentliche Sicherheit eine Sondereinheit zur Abwehr von "terroristischen Verbrechen" einrichtete(29). Die Intensivierung des Vorgehens gegen separatistische Gruppen in Xinjiang ging einher mit der Verlängerung des Strafmaßes von drei auf zehn Jahre für diejenigen, die eines solchen Verbrechens überführt wurden.

Die Exekution von Lobsang Dhondup könnte ein trauriger Auftakt dazu sein, wie China nun die Klausel gegen Terrorakte in seinem Strafrecht rücksichtslos zur Unterdrückung der Tibeter zu nutzen gedenkt.

Teil 6

Willkürliche Festnahmen im Zusammenhang mit dem Fall des Tulku

Im Laufe des Jahres wurden immer mehr Tibeter wegen ihrer politischen und religiösen Überzeugungen inhaftiert. Das zeigt, daß die Verfolgung von Tibetern, die sich gegen die Repression durch die chinesische Regierung auflehnen, unvermindert anhält. Die Fälle reflektieren aber auch die Mängel im chinesischen Justizsystem, was oft zu Fehlurteilen gegen Tibeter, die politischer Verbrechen angeklagt wurden, geführt hat.

Im Zusammenhang mit Tulku Tenzin Deleks Fall wurden vermutlich um die 80 Tibeter willkürlich festgenommen und für kürzere oder längere Zeit inhaftiert(30). Bei acht Personen erhielt das TCHRD bestätigte Information, daß sie fast ein Jahr ohne Anklageerhebung oder Prozeß festgehalten wurden. Weitere Verhaftungen gab es nach Lobsang Dhondups Hinrichtung. Die Betreffenden wurden verdächtigt, mit Ausländern gesprochen und ihnen Einzelheiten über den Fall, der inzwischen international Aufsehen erregt hatte, mitgeteilt zu haben(31).

Lobsang Tenphen, ebenfalls ein naher Verwandter von Tulku Tenzin Delek, wurde am 12. Februar 2003 festgenommen. Beinahe sieben Monate lang wußten seinen Angehörigen nichts über seinen Verbleib und sein Befinden(32). Sie waren sehr in Sorge ob seines plötzlichen Verschwindens. Es hieß dann, die Chinesen hätten Lobsang Tenphen verhaftet, weil er angeblich Geld gesammelt hatte, um die Freilassung von Tulku Tenzin Delek zu bewirken. Er wurde später vor Gericht gestellt und zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt.

Einzelheiten über Luzi Tashi Phuntsok, der am 17. April 2002 verhaftet worden war, wurden auch erst 2003 bekannt. Verlautbarungen zufolge wurde er beschuldigt, mit Tulku Tenzin Delek gemeinsame Sache gemacht zu haben, und im November 2002 wurde er in einem geheimen Prozeß zu 7 Jahren Gefängnis verurteilt(33). Es ist unklar, ob Lobsang Tenphen und Tashi Phuntsok überhaupt die Möglichkeit hatten, Anwälte zu ihrer Verteidigung heranzuziehen oder ob sie zumindest während des Prozesses ihre Unschuld beteuern konnten. Wegen des Mangels an Informationen kann man nicht beurteilen, ob der Standard für einen fairen Prozeß gemäß den internationalen Normen eingehalten wurde.

Bei einem anderen Zwischenfall am 11. April 2003 nahmen die chinesischen Behörden zwei Mönche des Labrang Tashi Kyil Klosters im Distrikt Sangchu, Provinz Gansu, fest. Bei Kunchok Choephel und Jigme Jamtruk wurden Büchlein mit Reden des Dalai Lama gefunden. Beide stehen in dem Ruf, politisch tätig gewesen zu sein, einmal gemeinsam 1990 und dann wieder jeder für sich 1995. Während Jigme wegen einer Stellung, die er früher einmal im Demokratischen Verwaltungsrat des Klosters eingenommen hatte, wieder freigelassen wurde, blieb Kunchok in Haft, ohne daß seine Angehörigen wußten, wo er sich befand. Sie versuchten alles nur Mögliche, um etwas über seinen Verbleib in Erfahrung zu bringen, doch die Sicherheitsbeamten waren nicht bereit, ihnen irgend eine diesbezügliche Information zu geben(34).

Teil 7

Fortsetzung der Haft über die Strafe hinaus

Man hörte von einer relativ großen Zahl von tibetischen Gefangenen, deren Haftstrafen in den letzten Jahren verlängert wurden. Zu den prominentesten dieser Kategorie zählt der inzwischen freigelassene Takna Jigme Sangpo, dessen Strafe dreimal verlängert wurde, so daß sie am Ende 41 Jahre betrug(35). Die Nonne Ngawang Sangdrol, die ebenfalls aus medizinischen Gründen freigekommen ist, war mit insgesamt 21 Jahren Haftstrafe in einer ähnlichen Lage(36). Nach dem Gefangenenprotest im Drapchi-Gefängnis am 1. und 4. Mai 1998 wurden die Strafen von ungefähr 27 Gefangenen verlängert(37).

Die meisten Urteilsverlängerungen erfolgten als Bestrafung für diejenigen Häftlinge, die der offiziellen Linie in gewissen Punkten konstant ihre Unterstützung verweigerten wie z.B., wenn es um ihre Loyalität gegenüber dem Dalai Lama und die chinesische Politik in Tibet ging. Strafverlängerungen treffen auch jene, die durch ihren Status oder ihre Persönlichkeit vermehrt die Aufmerksamkeit der internationalen Medien und Menschenrechtsrechtsgruppen auf sich ziehen.

1993 nahmen 14 Nonnen vom Drapchi Gefängnis heimlich Lieder auf eine Tonkassette auf, in denen sie ihre Heimat und den Dalai Lama priesen. Diese Lieder fanden ihren Weg in alle Welt und wurden zum Symbol des Widerstandsgeistes der tibetischen politischen Gefangenen, die in den unzähligen Haftanstalten auf dem ganzen tibetischen Hochland schmachten. Später wurden alle diese Nonnen mit Haftverlängerungen von 5 bis 9 Jahren belegt(38). Derzeit befinden sich noch zwei dieser Nonnen in Haft. Eine von ihnen, Phuntsok Nyidron, hat eine Gesamtstrafe von 17 Jahren zu verbüßen und ist in sehr schlechtem gesundheitlichen Zustand(39).

Dem TCHRD gingen auch dieses Jahr wieder Informationen zu, nach denen Tibeter selbst über das Ende ihrer Haftstrafe hinaus noch festgehalten werden, was ein eindeutiger Verstoß gegen Chinas "Grundgesetz" ist. Dem abgeänderten Strafgesetz zufolge wird die Gefängnisstrafe von dem Tag an gerechnet, wo der Betreffende zur Ermittlung in Gewahrsam genommen wird(40). Jegliche zeitliche Ausdehnung der Haft ohne ordentlichen Gerichtsbescheid ist ein Verstoß gegen das Gesetz.

Im August 2003 erfuhr das TCHRD, daß Champa Chungla immer noch in Haft ist, obwohl er am 16. Mai aus dem Gefängnis hätte kommen sollen. Champa Chungla war der Sekretär des Suchkomitees nach dem reinkarnierten XI. Panchen Lama. Er war auch ein Mitarbeiter von Chadrel Rinpoche, dem Abt des Tashi Lhunpo Klosters in Shigatse, dem Leiter des Suchtrupps. Champa Chunglas Strafe lautete auf 4 Jahre, und seine Haftzeit hätte an genanntem Datum beendet sein sollen(41). Die Nachricht von seiner weiteren Inhaftierung machte wieder einmal Chinas fortdauernde Praxis deutlich, tibetische Gefangene auch über ihre eigentliche Strafe hinaus festzuhalten.

Die Kraft von Chadrel Rinpoches Glaubens an den Dalai Lama ist so stark, daß er sich weigert, dem chinesischen Druck nachzugeben. Die chinesische Polizei verhaftete ihn im Mai 1995 und verurteilte ihn zu 6 Jahren wegen "Konspiration zur Spaltung des Landes und Weitergabe von Staatsgeheimnissen". Er hat bereits das gesamte Strafmaß gemäß dem Gerichtsurteil abgesessen, zudem wurde ihm offiziell bestätigt, daß er ein freier Mann sei, wenn er auch nicht in sein Kloster zurückkehren dürfe(42). Doch seit seiner Festnahme hat ihn keiner mehr gesehen, und bis jetzt gibt es keine Informationen über seinen Aufenthaltsort. Inoffiziellen Berichten vom April 2003 zufolge steht er immer noch unter Hausarrest oder gar noch schlimmer(43). Falls er über die abgeleistete Strafe hinaus unter Hausarrest gehalten wird, ist dies eine Verletzung von Chinas eigenem Gesetz, ebenso wie der internationalen Rechtsnormen, denen zufolge eine willkürliche Inhaftierung vorliegt,

  • "wenn sie nicht offenkundig auf legaler Grundlage gerechtfertigt werden kann (wie fortgesetzte Haft auch nach Strafverbüßung oder obwohl eine Amnestie erlassen wurde);
  • wenn die Freiheitsberaubung das Resultat einer Verurteilung wegen der Ausübung der Rechte und Freiheiten ist, wie sie in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte proklamiert wurden, oder in dem Internationalen Übereinkommen über bürgerliche und politische Rechte niedergelegt sind"(44).

Teil 8

Hartes Durchgreifen auch über die TAR hinaus

Chinas alles überragende Sorge um die Stabilität der Nation zeigt sich auch in dem ständigen Bemühen, den Einfluß des Dalai Lama in der Autonomen Region Tibet zunichte zu machen. Die ganze Skala von Maßnahmen zur Kontrolle jeglicher Loyalitätsbekundung für den Dalai Lama wurde nun der "Hartdurchgreif-Kampagne" zugeordnet, einer Kampagne, die zuerst in China selbst zur Bekämpfung von Verbrechen und Korruption gestartet wurde.

In Tibet wurde die Kampagne unter das Vorzeichen der Ausrottung von tibetischem Abweichlertum gestellt, mit Maßregeln wie der "patriotischen Erziehung" und dem Verbot von Dalai Lama Photos. Zur Durchführung der Kampagne suchten sogenannte "Arbeitsteams" regelmäßig die größeren religiösen Einrichtungen auf. Dort trieben sie die Mönche und Nonnen zusammen, um sie dann zu zwingen, dem Dalai Lama abzuschwören. Auch in der säkularen Gesellschaft sucht die Regierung zu verhindern, daß das Volk Bilder des Dalai Lama bei sich zu Hause aufstellt; schließlich ging sie so weit, Tibeter in offiziellen Stellungen, die Kinder in tibetischen Schulen in Indien haben, aufzufordern, diese zurückzurufen.

Die "Hartdurchgreif-Kampagne" war 2001 in der TAR fast zum Abschluß gebracht. Da sie hauptsächlich auf die TAR konzentriert war, genossen Tibeter in anderen Regionen in dieser Periode noch relativ mehr Freiheit. Die Dinge haben sich aber inzwischen geändert, in den letzten Jahren nahmen auch in Gebieten außerhalb der TAR die Festnahmen immer mehr zu.

Teil 9

Der Brennpunkt verlagert sich nach ausserhalb der TAR

Die im Jahr 2003 eingegangenen Berichte zeigen deutlich, wie sich der Brennpunkt der vom Staat gegen den Dalai Lama durchgeführten Kampagne verlagert hat. Aus den hohen Zahlen von Verhaftungen und Festnahmen in Gebieten wie Kardze und Lithang in der Provinz Sichuan wird ersichtlich, daß Tibeter, die außerhalb der TAR wohnen, einen starken Widerstand gegen diesen Feldzug leisten.

Sechs Tibeter aus dem Kloster Khangmar im Distrikt Marthang der Tibetisch-Autonomen Präfektur Ngaba (Sichuan) wurden Mitte Januar 2003 festgenommen, nachdem den Behörden bekannt geworden war, daß sie eine Gebetszeremonie für das lange Leben des Dalai Lama durchgeführt hatten. Bei vier von ihnen, den Mönchen Sherthar, Soepa, Tsogphel und Woeser, fand sich sogar ein Portrait des Dalai Lama. Im August wurde ihnen der Prozeß gemacht, und sie wurden zu 12 Jahren Gefängnis verurteilt. Die Härte des Urteils für das vermeintliche Verbrechen des Besitzes von Dalai Lama-Bildern beweist, daß China nun auch die religiöse und politische Freiheit der außerhalb der TAR lebenden Tibeter zunehmend erstickt(45).

Die chinesischen Behörden und "Arbeitsteams" in den Distrikten Kardze und Lithang der TAP Kardze, Sichuan, forderten am 11. und 12. November 2003 die Bürger auf, alle in ihrem Besitz befindlichen Dalai Lama Bilder abzuliefern. Einem Bericht aus der Region zufolge erwarteten die chinesischen Kader, daß die Tibeter die Bilder freiwillig bei den Meetings abgeben würden. Als die Leute aus den Dörfern aber keine Anstalten hierzu machten, drohten sie ihnen mit der Konfiskation ihres Grund und Bodens(46).

Darüber hinaus erfuhr das TCHRD 2003 von Massenfestnahmen, die im Oktober 2002 im Kreis Kardze wegen einer Serie von Gemeinschaftsgebeten für den Dalai Lama stattgefunden hatten. Pema Tsewang, ein Mönch aus dem Kloster Kardze, der im Mai 2003 nach Indien entkam, berichtete, daß die Leute in seinem Heimatort in jener Zeit auf eine Reihe von Verhaftungen hin "von großer Furcht ergriffen" wurden(47). Die meisten der Organisatoren der Gebetsversammlungen seien festgenommen und zu drei Jahren Freiheitsentzug verurteilt worden. Solche Gebetstreffen gab es in fast allen tibetischen Dörfern des Distrikts Karze, und überall strömte das einfache Volk hin. Der Mönch sagte, er sei sehr um die Sicherheit und das Leben der Festgenommenen besorgt.

Im August 2003 zwangen die chinesischen Behörden die Bewohner der heutigen Provinz Qinghai in Nordost Tibet, zum offiziellen Besuch des von Peking erkorenen Panchen Lama, Gyaltsen Norbu (chin. Gyancian Norbu), zu erscheinen. Dem TCHRD kam zu Ohren, daß für den Besuch dieses Halbwüchsigen 80.000 Yuan (9.450 US$) aufgewendet wurden - etwa zum Ausbau der Infrastruktur, um Chinas erwähltem Lama einen stattlichen Empfang zu bereiten. Die Behörden befahlen der Bevölkerung, ihren Panchen Lama willkommen zu heißen. Die meiste Zeit hielt er sich in Labrang Tashi Kyil auf, da jedoch nur ein paar Mönche zu seinen Belehrungen kamen, mußten die Behörden Mönche von einem in der Nähe gelegenen Kloster herbeizitieren(48).

Die Sicherheitsmaßnahmen waren während des Besuches des jungen Mannes besonders intensiv. Kaum war er abgefahren, brachten die Bewohner der Gegend ihr Mißfallen zum Ausdruck, indem sie Unabhängigkeits-Poster anbrachten. Dieser Vorfall führte zu mehreren Verhaftungen und Ermittlungen. Die Untersuchungsbeamten ließen die festgenommenen Mönche Worte niederschreiben, um ihre Handschrift mit der auf den Plakaten zu vergleichen(49). Weitere Informationen über den Vorfall erhielt das TCHRD leider nicht.

Teil 10

Dämonisierung des Dalai Lama und Unterdrückung von Abweichlern

In dem Berichtsjahr erreichten uns weniger Nachrichten über Festnahmen und Verhaftungen aus der TAR. Dies bedeutet jedoch keineswegs einen Wandel von Chinas Politik in dieser Region. Nachdem die Bewohner von Zentraltibet nun schon über ein Jahrzehnt lang gut vorbereiteten politischen Kampagnen wie der "patriotischen Umerziehung" und anderen restriktiven Maßnahmen ausgesetzt waren, sind sie sich jetzt eher der Konsequenzen bewußt, die auf sie zukommen, wenn sie ihren Dissens offen bekunden.

Darüber hinaus läßt die derzeit vorherrschende Atmosphäre der Furcht und Einschüchterung weniger Raum, um zuverlässige Information aus der Gegend zu bekommen. Das allgemeine Klima der Furcht wurde von einem älteren, jetzt im Exil lebenden Mönch treffend so beschrieben: "Wenn heutzutage Menschen verhaftet werden, wissen oft nur die engsten Familienangehörigen Bescheid, und manchmal erfahren auch sie erst nach einiger Zeit davon. Wenn früher einer unserer Mönche im Gefängnis oder kurz nach seiner Entlassung starb, so erfuhren es alle im Kloster sehr schnell, aber heute haben die Angehörigen meistens viel zuviel Angst und vermeiden es, darüber zu sprechen. Oft werden sie auch von der Gefängnisleitung davor gewarnt, etwas verlauten zu lassen, weshalb es manchmal Monate dauert, ehe wir überhaupt von solchen Vorfällen erfahren"(50).

Trotz solcher Hindernisse kamen uns dennoch einige Fälle von Festnahmen in diesem Jahr zu Ohren, woraus wir schließen können, daß die Chinesen nach wie vor jeden Anschein der Herausforderung ihrer Autorität gnadenlos verfolgen, wobei sie besonders den Dalai Lama dämonisieren.

Im Sommer 2003 hörte das TCHRD von der Festnahme von drei Tibetern in Lhasa unter dem Verdacht "separatistischer Delikte" und der "Spaltung des Mutterlandes, der Untergrabung der Einheit unter den Nationalitäten und der Verletzung der Verfassung"(51). Die chinesischen Behörden bestätigten später die Festnahme zweier Tibeter, nämlich von Yeshi Gyatso, einem Mitglied der "Chinese People's Political Consultative Conference", und von Dawa Tashi, einem Studenten der Tibet-Universität. Verhaftet worden waren sie am 16. Juni, drei Wochen vor dem 68. Geburtstag des Dalai Lama.

Trotz der offiziellen Bestätigung der Festnahmen ist nicht genau bekannt, welche Vergehen sich die beiden zuschulden haben kommen lassen. Es wurde berichtet, daß das Mittlere Volksgericht von Lhasa Yeshi Gyatso später zu 6 Jahren Haft verurteilte(52). Sein vorgerücktes Altes von 70 Jahren scheint das Gericht nicht zur Milde veranlaßt zu haben. Der dritte Festgenommene, Bhuchung, wurde in offiziellen Verlautbarungen nicht erwähnt.

In unseren früheren Berichten beschrieben wir, wie die chinesischen Behörden während wichtiger tibetischer Feste Repression und Überwachung verstärken. Auf die zurückliegenden Jahre blickend kann man sagen, daß der Hauptgrund für die Intensivierung der Kontrolle an gewissen, mit dem Dalai Lama im Zusammenhang stehenden Tagen die Paranoia der Regierung wegen der Verehrung der Tibeter für ihn ist(53). Obwohl China sich des wachsenden Wohlstandes und einer angeblichen Lockerung seiner Politik in Tibet rühmt, beweist die Festnahme von Tibetern, daß der Eingriff des Staates in die religiösen und politischen Freiheitsrechte nicht nachgelassen hat.

Im Dezember 2002 nahm das Public Security Bureau (PSB) von Gyantse den 65-jährigen Nyima Tsering, einen ehemaligen Tibetisch-Lehrer, unter der Anklage fest, Flugschriften verteilt zu haben, in denen die Unabhängigkeit gefordert wird. Das TCHRD erfuhr, daß er im Juni 2003 vom Mittleren Volksgericht von Gyantse der "Aufhetzung der Massen" für schuldig befunden und zu 5 Jahren Gefängnis verurteilt wurde(54).

Straßenmusikanten können auch mit dem chinesischen Gesetz in Konflikt geraten, wenn ihre Lieder Verse über den Dalai Lama oder die tibetische Exilgemeinde enthalten. Ende 2001 sang Phumlak auf den Straßen Lhasas ein Lied mit der Strophe "Lhasa wurde nicht verkauft, Indien wurde nicht gekauft, nicht, daß der Dalai Lama keine Heimstätte habe", in der ein politischer Unterton gewittert wurde. Wie es heißt, wurde er ziemlich schnell von der Polizei abgeführt und bei der Festnahme mißhandelt(55).

Teil 11

Vernehmung unter Folter und Schlägen

Im September 1988 ratifizierte China die UN-Konvention gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung (CAT) und am 2. November desselben Jahres trat es der Konvention bei(56). Es wurden auch Gesetzte verabschiedet, um den Vorgaben der CAT, welche Folter und andere Zwangsmaßnahmen verbieten, Geltung zu verschaffen. Der Art. 43 des Strafverfahrensgesetzes (CPL) garantiert den Bürgern Chinas, daß sie vor Folter geschützt sind(57). Auch im Grundgesetz gilt es als ein strafbares Verbrechen, wenn diejenigen, welche die Gesetze vollstrecken, oder die Organe der Justiz zu Folter und Mißhandlung greifen.

Tibetische Gefangene wurden trotz Verabschiedung und Inkrafttretens der genannten gesetzlichen Bestimmungen in den vergangenen Jahren immer wieder wegen vermeintlicher Verbrechen während des Vernehmungsprozesses und in den Strafanstalten gefoltert und mißhandelt. Die dem TCHRD zugegangenen Aussagen mehrerer ehemaliger Gefangener sind ein deutlicher Beweis dafür, daß die chinesische Polizei und andere Behörden immer noch zur Folter greifen, um Geständnisse zu erzwingen.

Nachdem er Anfang September aus medizinischen Gründen aus dem Distrikt-Haftzentrum von Tawo, Provinz Sichuan, entlassen worden war, starb der tibetische Mönch Nyima Drakpa am 1. Oktober 2003 bei sich zuhause. Er war zu 9 Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er für die Unabhängigkeit Tibets eingetreten war. Die Todesursache ist in den gesundheitlichen Schäden zu suchen, die er durch die regelmäßigen Schläge und Folterungen über die Jahre hinweg in der Haftanstalt davongetragen hatte.

In einem Abschiedsbrief schrieb er: "Gleich von Anfang an droschen sie, ohne auch nur eine Frage zu stellen, auf mich ein wie auf eine Trommel, so daß ich kein Wort mehr hervorbringen konnte. Ohne Essen oder auch nur einen Tropfen Wasser setzten sie mich in ein Flugzeug und brachten mich nach Chengdu. Dort übergaben sie mich dem chinesischen Sicherheitspersonal, um mich weiter mißhandeln zu lassen. Diese Ausgeburten von schwarzen Teufeln in Gestalt chinesischer Kader preßten mich zu Boden und schlugen so erbarmungslos auf mich ein, daß ich bald mehr tot als lebendig war. Dann verlor ich das Bewußtsein. Als ich wieder zu mir kam, war es etwa 11 Uhr nachts. Ich merkte, daß ich am ganzen Körper Schmerzen hatte und mich nicht mehr richtig bewegen konnte. Das Schlimmste war, daß meine beiden Beine ohne jedes Gefühl und taub geworden waren"(58).

Am 8. September 2003 starb Tenzin Phuntsok mit 64 Jahren in einem Hospital in Shigatse. Er stammte aus der Khangmar Gegend und war oft auf Pilgerschaft in Indien gewesen. Die chinesische Polizei nahm ihn am 21. Februar 2003 in Gewahrsam, weil er auf eine Hausdurchsuchung hin politischer Aktivitäten verdächtigt wurde. Obwohl es keine stichhaltigen Beweise für die Anwendung von Folter in seinem Falle gibt, sind dem Verstorbenen Nahestehende der Ansicht, daß die Ursache für seinen Tod in der Mißhandlung zu suchen ist, die er während der Vernehmungen erlitten hat. Tenzin Phuntsok erfreute sich vor seiner Festnahme bester Gesundheit. Die Behörden gaben seinen Angehörigen (seiner Frau, seiner alten Mutter und seinen 11 Kindern) keine Auskunft über seinen Tod oder wann und woran er erkrankt war.

Das TCHRD erhielt im April 2003 unbestätigte Informationen über den ernsten Zustand von Tsering Dhondup, dem Dorfchef von Othok im Distrikt Nagchuka, TAP Kardze. Chinesische Sicherheitskräfte hatten ihn am 7. April 2002 im Zusammenhang mit dem Fall Tulku Tenzin Delek festgenommen. Dem TCHRD kam zu Ohren, daß er im Haftzentrum von Dartsedo so unmäßig gefoltert wurde, daß seine beiden Beine gebrochen sind und er ein Auge verlor. Tsering Dhondups Zustand war dermaßen erbärmlich, daß das Distrikt-Gefängnis von Nyakchuka es ablehnte, die Verantwortung für ihn zu übernehmen, als er vom Haftzentrum Dartsedo dorthin verlegt werden sollte(59).

Berichte über Folterung und Schläge, die tibetische Gefangene zu erdulden haben, sind nichts Ungewöhnliches. Wieder und wieder wurde wegen dieser Praxis der Gefängnisbediensteten Besorgnis laut und vor allem wegen ihrer Straffreiheit. Der Anspruch der chinesischen Regierung, sie würde sich an die internationalen Menschenrechtsnormen halten, ist falsch und sollte nicht kritiklos hingenommen werden, denn die extreme Mißhandlung der Gefängnisinsassen führt immer noch häufig zu ihrer Einlieferung in ein Krankenhaus oder gar zu ihrem Tod.

Teil 12

Einzelhaft

Neben Folterung und Schlägen wird in den Gefängnissen eine weitere Form der Mißhandlung praktiziert, nämlich der Einschluß der Insassen über längere Zeiträume in Isolationszellen. Es ist sehr wahrscheinlich, daß dieser Amtsmißbrauch immer noch allgemein üblich ist, um Gefangene zu bestrafen, die den offiziellen Forderungen nicht nachkommen und nicht gefügig sind.

Takna Jigme Sangpo, einer der Gefangenen, der besonders im Rampenlicht stand und inzwischen aus medizinischen Gründen entlassen wurde, erwähnte ausdrücklich, daß diese Art der Bestrafung in Drapchi immer noch gang und gäbe sei. In seiner Ansprache an die 59. UN Menschenrechtskommission bat Takna Jigme Sangpo um Milde für zwei seiner damaligen Mitgefangenen, Sonam Tsewang und Tingka, die beide seit 1999 in einer finsteren Zelle im Trakt No. 10 des Drapchi-Gefängnisses in Einzelhaft sitzen. Er schilderte eindringlich das kontinuierliche Leiden dieser zwei Tibeter unter derart unmenschlichen Bedingungen. Selbst ein Opfer einer solchen brutalen Behandlung während seiner langen Gefängnisjahre, ersuchte er die Arbeitsgruppe für Willkürliche Verhaftung der UNCHR, sie möchten die Wahrheit direkt von diesen zwei Gefangenen in Erfahrung bringen und sich nicht einfach mit Pekings offiziellen Behauptungen zufriedengeben(60).

Teil 13

Neue Gefahren für tibetische Flüchtlinge

2003 war ein problematisches Jahr für Tibeter, die ins Exil fliehen wollten. Die Lage an der Grenze von Tibet zu Nepal war wegen der verschärften Überwachungsmaßnahmen und Chinas wachsendem politischen Druck auf die Regierung Nepals sehr prekär. Pekings Entschlossenheit, der Flucht von Tibetern in die Freiheit ein Ende zu setzen, wurde deutlich, als der chinesische Botschafter in Nepal, Sun Heping, die Politik seines Landes erläuterte, welche die Existenz "tibetischer Flüchtlinge" gänzlich verneint. Die ins Exil fliehenden Tibeter seien "illegale Immigranten", weshalb es überhaupt kein Flüchtlingsproblem zwischen China und Nepal gäbe. Er wiederholte auch die Absicht seiner Regierung, strengere Maßnahmen zu ergreifen, um zu verhindern, daß Tibeter weiterhin aus ihrem Heimatland fliehen(61).

Als am 19. Februar 2003 alle Grenzschutzeinheiten der TAR zu einem Meeting in Lhasa zusammenkamen, wurde lobend der Erfolg ihrer Kampagne hervorgehoben, im vergangenen Jahr zahlreiche Tibeter an der Flucht gehindert zu haben. Es wurde berichtet: "Die Grenze ist sicher und die illegale Grenzüberschreitung wurde gebremst. 2002 nahmen die Grenzschutzkräfte 428 Tibeter und fünf Guides fest, außerdem konfiszierten sie 93 reaktionäre Druckartikel von Separatisten"(62).

Nepal ist der Flüchtlingskonvention von 1951 und dem Protokoll von 1967 bisher nicht beigetreten. Im großen und ganzen erfüllte Nepal jedoch seine Verpflichtung als Mitglied der Vereinten Nationen, indem es mehreren tausend Tibetern das Wohnrecht gab(63). Bei durchschnittlich rund 2.500 Tibetern, die jedes Jahr nach Nepal fliehen, hat sich die königliche Regierung Nepals bisher großzügig erwiesen und tibetischen Asylsuchenden in Zusammenarbeit mit dem UN-Hochkommissariat für Flüchtlinge (UNHCR) den Transit durch ihr Land gewährt.

Ein ungeschriebener Verständigungskodex - der gemeinhin als das "Gentlemen's Agreement" bezeichnet wird - gestattet dem UNHCR im wesentlichen seinem Mandat gemäß den tibetischen Asylsuchenden die nötige Hilfe zu leisten, indem es sie zu "der Beachtung werten Personen" (persons of concern) erklärt. Da die nepalesischen Behörden dieser mündlichen Übereinkunft zufolge verpflichtet sind, tibetische Asylsuchende, sobald diese nepalesischen Boden betreten haben, dem UNHCR zu überstellen, lohnte es sich bisher für die Tibeter, das Risiko der Flucht über die gefahrenträchtigen Himalaya-Berge einzugehen.

Trotz seines Festhaltens an dem "Gentlemen's Agreement" und seiner Gastfreundschaft tibetischen Flüchtlingen gegenüber hat der geopolitische Faktor in der Beziehung "China-Nepal" das Land nun in eine ungünstige und schwierige Position gebracht(64). Der von der chinesischen Botschaft in Kathmandu ausgeübte Druck wurde 2003 noch stärker, was zu häufigeren Festnahmen und Abschiebungen von Tibetern führte. In mehreren Fällen wurden die aufgegriffenen Tibeter in Gewahrsam genommen und mit überhöhten Geldstrafen belegt. Diejenigen, welche die Strafe nicht zahlen konnten, wurden mit drei bis zu zehn Jahren Gefängnis bestraft(65). Diese traurige Entwicklung führte sowohl den Tibetern in Tibet als auch den im Exil Lebenden deutlich den wachsenden Einfluß Chinas vor Augen und rief bei ihnen Gefühl der Hilflosigkeit hervor(66).

Mitte April 2003 erreichte eine Gruppe von 21 Tibetern Nepal. Sie wurden jedoch in einer Ortschaft nicht weit von der Hauptstadt festgenommen. Achtzehn von ihnen wurden später in das Dilli Bazaar Gefängnis am Rande von Kathmandu verlegt und mit 70 US$ Geldbuße belegt, und weil sie die Strafe nicht bezahlen konnten, zu drei bis zehn Monaten Gefängnis verurteilt(67). Ende Mai gab es Gerüchte, die nepalesischen Behörden planten, diese achtzehn Häftlinge abzuschieben. Das UNHCR wandte sich direkt an die Regierung Nepals, die geflohenen Tibeter nicht den chinesischen Sicherheitskräften zu überstellen. In ihrem Appell schrieb die UN-Flüchtlingsagentur:

"Die festgenommenen Tibeter haben um die Hilfe des UNHCR nachgesucht; wir haben allen Grund zu der Annahme, daß es sich um Personen handelt, für die wir zuständig sind. Trotz mehrfacher Bitten haben wir keinen Zugang zu den achtzehn Verhafteten bekommen, so daß wir ihre Angaben nicht durch individuelle Interviews verifizieren können. Gemäß den vereinbarten Verfahrensregeln, die in der Vergangenheit von Nepal und dem UNHCR regelmäßig angewendet wurden, möchten wir die Weiterreise eines jeden in Nepal neu angekommenen Tibeters, den wir der Beachtung wert finden, in ein drittes Land ermöglichen"(68).

Trotz der UN-Intervention lieferten die Nepalis am 31. Mai 2003 die 18 Tibeter zwangsweise an die chinesischen Behörden aus(69). In einem Schritt, der daran erinnert, wie die nordkoreanischen Asylsuchenden im Mai 2002 zum Verlassen des japanischen Konsulats in Nordost-China gezwungen wurden, wo sie Zuflucht gesucht hatten, machten die Vertreter der VR China einmal wieder ihre vollkommene Mißachtung der grundlegenden Menschenrechte der Tibeter deutlich, indem sie die königliche Regierung Nepals über ihre Botschaft in Kathmandu unter Druck setzten.

Ein Zeuge berichtete, die Gruppe der festgehaltenen Tibeter habe sich anfänglich dagegen gewehrt, daß sie in einen Bus (ohne Nummernschild) geladen wurden, der sie zu einer anderen Polizeistation brachte und schließlich über die Freundschaftsbrücke nach Tibet zurückschaffte. Mitarbeiter der chinesischen Botschaft eskortierten das Fahrzeug vom Dilli Bazaar Gefängnis zur Grenze. Der Augenzeugenbericht schildert den Ablauf der Ereignisse so:

"Unterwegs hörten wir, daß die Gefangenen beim sogenannten Police Club von einem Polizeiwagen in ein anderes Fahrzeug umgeladen würden. Als wir dort ankamen, wurden sie gerade in einem neuen, modernen Toyota Kleinbus ohne Nummernschild und Aufschrift weggefahren. Wir hätten gar nicht gewußt, daß es der Bus mit den Häftlingen ist, wenn sich nicht eine Tibeterin - welche die einzige weitere Person an dem Ort war - schreiend vor ihn geworfen hätte, um ihn am Wegfahren zu hindern. Das gab uns Zeit, hinzurennen, einige Aufnahmen zu machen, wieder in unser Auto zu springen und ihm zu folgen. Zwischen dem Gefangenenbus und uns fuhr ein schneidiger chinesischer Geländewagen (SUV) der Botschaft mit einem chinesischen Beamten, einem Fahrer und einem Nepalesen in Zivil darin(70).

Daß sich Nepal dem völkerrechtswidrigen Druck der Chinesen einfach stillschweigend gebeugt hat, gibt Menschenrechtlern und der demokratischen Welt schwer zu denken. In Anbetracht der steigenden Anzahl tibetischer Asylsuchender, die jetzt Administrativhaft und Abschiebung befürchten müssen, hat Nepal eindeutig die erklärten Grundsätze seines "Gentlemen's Agreement" mit den Vereinten Nationen verletzt. Die derzeitige Situation, wo chinesische Behörden mit der nepalesischen Polizei Hand in Hand arbeiten, bedeutet eine zusätzliche Abschreckung für jene Tibeter, die dem Kolonialregime in ihrer Heimat entfliehen wollen.

Nepals Regierung leugnet, daß es irgendeinen Wandel in seiner Politik im Hinblick auf Tibeter, welche die Grenze zu Nepal überschreiten, gegeben habe. Bei einer Pressekonferenz im Juni 2003 sagte der Außenminister Narendra Shah:

"Die Standardpraxis ist, daß wir jedes Mal, wenn wir Tibeter aufgreifen, die aus Chinas Autonomer Region Tibet fliehen, eine gründliche Überprüfung ihrer Angaben über Folter und Verfolgung in Tibet durchführen und sie dann entweder zurückführen oder dem UNHCR (UN High Commission for Refugees) überstellen. Auch dieses Mal gab es dieselbe Prozedur"(71).

Trotz dieser Phrasen der Nepalis und der Rechtfertigung ihrer Nationalpolitik wurden die 18 Tibeter, von denen der jüngste gerade 13 Jahre alt war, gewaltsam abgeschoben(72).

Teil 14

Chinesische Brutalität an der Grenze

Außer den schrecklichen Folgen, die es für Tibeter hat, wenn sie von der nepalesischen Polizei gefaßt und zwangsweise zurückgebracht werden, müssen sie ständig befürchten, auf ihrem gefährlichen Fluchtweg den chinesischen Grenzschutzpatrouillen in die Hände zu fallen. Die Ungewißheit ihres Überlebens und ihrer Sicherheit wird von den erschütternden Berichten über die körperlichen Entbehrungen, denen sie bei ihrem Treck über die unwirtlichen Berge ausgesetzt sind, bestätigt. Dies wird noch verschlimmert durch die ständige Angst, auf der Flucht erwischt zu werden. Bei manchen Vorfällen geraten die Asylsuchenden auch in das Gewehrfeuer chinesischer Grenzpatrouillen.

Gedun Rabgyal, ein Mönch aus dem Distrikt Machen in der Tibetisch Autonomen Präfektur (TAP) Golok, Provinz Qinghai, der im Oktober 2003 in Nepal eintraf, ist knapp dem Tode entronnen, als er in einer Gruppe von 34 Personen floh. Er war unter den wenigen, die unversehrt die nepalesische Seite der Grenze erreichten. 17 Mitglieder der Gruppe hatten dieses Glück nicht, sie wurden festgenommen, nachdem eine chinesische Grenzpatrouille auf sie schoß. Er bezeugt:

"Unsere Gruppe bestand aus 34 Personen, sie kamen vorwiegend aus der TAP Golok. Wir brachen in Lhasa mit 32 Leuten und zwei Führern auf. Als wir am 11. September in die Nähe des Mount Everest kamen, beschossen uns chinesische Sicherheitsbeamte mit scharfer Munition. Die Gruppe geriet in Panik und rannte in Deckung. Einige von uns konnten entkommen, aber 17 Leute wurden festgenommen. Einige sind möglicherweise von den wild umherfliegenden Kugeln getroffen worden. Aus sicherer Entfernung konnte ich sehen, wie die Grenzpolizisten die Gefangenen schlugen und abführten. Ich mache mir ihretwegen große Sorgen. Sie können nun für lange Zeit im Gefängnis verschwinden, ohne daß irgend jemand von ihrem Elend erfährt"(73).

Eine andere Gruppe, die Nepal im September 2003 erreichte, berichtet von einem ähnlichen, wenn nicht noch tragischerem Ereignis auf der Flucht. Die 19-jährige Chungdak floh in einer siebenköpfigen Gruppe - zumeist Mädchen im Teenageralter. Am Morgen des 17. Septembers wurden sie plötzlich von einem ihrer Guides gewarnt, daß chinesisches Sicherheitspersonal ihnen auf den Fersen sei. Als sie in dem steilen Gletschergelände zu fliehen versuchten, fiel ihre Gefährtin, die 17-jährige Diki Tsomo, in eine Spalte. Chungdak erzählt:

"Diki rief um Hilfe. Wir konnten sie nicht sehen, wir hörten nur das Gletscherwasser am Grunde der Spalte rauschen. Einer der Männer hatte ein Seil bei sich, das wir durch Anbinden unserer Gürtel verlängerten. Aber unglücklicherweise riß das Seil, als wir sie halb hochgezogen hatten. Wir machten einen weiteren Versuch, indem wir die Riemen unserer Rucksäcke zusammenbanden, aber wir konnten Diki nicht mehr herausziehen. Sie sagte, wir sollten sie zurücklassen und weitergehen. Sie dachte wohl, daß wir von der Grenzpolizei gefaßt werden könnten. Wir verließen sie aber nicht und versuchten noch einmal sie heraufzuziehen, indem wir die Ärmel unserer Hemden und Pullover zusammenbanden. Als wir dann ihren Namen riefen, antwortete sie nicht mehr. Wahrscheinlich war sie inzwischen erfroren"(74).

Teil 15

Das Leiden der Deportierten in den Arbeitslagern

In den Jahresberichten der letzten Jahre schilderte das TCHRD immer wieder das ungewisse Schicksal, welches diejenigen Tibeter erwartet, die entweder von Nepal nach Tibet zurückgebracht oder die von den chinesischen Grenzpatrouillen bei ihrer Flucht ins Exil festgenommen werden. Viele werden ohne ordentlichen Prozeß unter Chinas System der Administrativhaft, das unter dem Namen "Umerziehung-durch-Arbeit" bekannt ist, bis zu drei Jahren inhaftiert.

Viele Flüchtlinge, die nach einem mißglückten Fluchtversuch in chinesischen Haftzentren eingesperrt waren, teilten uns Einzelheiten über die erbärmlichen Umstände in solchen Anstalten mit. Ihre Aussagen enthüllen die fürchterlichen Bedingungen, unter denen die Gefangenen ihr Leben fristen müssen - Bedingungen, die nicht einmal an den von internationalen Menschenrechtsabkommen gesetzten Mindeststandard heranreichen(75). Das ohnehin schon harte Leben in diesen Arbeitslagern ist für die tibetischen Gefangenen noch viel schlimmer. Ihre chinesischen Aufseher zwingen sie ständig zu schwerer und entwürdigender Arbeit unter inhumanen Bedingungen.

Angesichts solcher Zeugnisse war das TCHRD von Anfang an wegen des Schicksals der im Mai 2003 deportierten 18 Tibeter sehr besorgt, denn sie liefen Gefahr, willkürlich inhaftiert und von der chinesischen Polizei mißhandelt zu werden. Im September schmachteten 7 von den 18 immer noch in dem in Shigatse neu gebauten Gefängnis, das den grotesken Namen "Tibets Neues Empfangszentrum" trägt.

Ein inoffizieller Bericht, der International Campaign for Tibet, Washington, zuging, schildert, wie die 18 gequält wurden. Ehemaligen Gefangenen, die anonym bleiben wollen, zufolge wurden die 18 Deportierten mit elektrischen Schlagstöcken geschlagen und gefoltert. Einem der Häftlinge trieben die Gefängniswachen Nähnadeln unter die Fingernägel, um ihn wieder zu Bewußtsein zu bringen(76).

Eine weitere Gruppe von 4 Jugendlichen wurde Anfang August 2003 gefaßt und der chinesischen Polizei ausgeliefert. Wie berichtet, kamen sie in das Haftzentrum von Shigatse. Die nepalesischen Patrouillen hatten sie in der Grenzortschaft Tatopani aufgegriffen und unmittelbar der chinesischen Polizei übergeben, ohne daß diese das UNHCR benachrichtigt hätte. Über ihr weiteres Schicksal wurde bisher nichts bekannt(77).

Mit dem Herannahen des Winters steigt gewöhnlich die Anzahl der Tibeter, welche die Flucht ins Exil wagen. Mit den 2003 verstärkten Einschränkungen auf beiden Seiten der Grenze stehen die Aussichten dafür, daß es in diesem Winter wieder mehr Tibeter nach Nepal schaffen, ziemlich schlecht. Fliehende Tibeter müssen nun vermehrt mit Festnahme und Auslieferung rechnen oder damit, die Zielscheibe behördlichen Verdachts zu werden.

Teil 16

Pressezensur: die neuen Herausforderungen

Die Menschheit erfreut sich im großen und ganzen der Freiheit, Zugang zu objektiven und unvoreingenommenen Informationen über die Geschehnisse auf unserem Planeten zu haben. Doch die chinesische Regierung verweigert den Tibetern dieses Recht nun schon über 40 Jahre lang.

Mit der Globalisierung und den Neuerungen in der Informationstechnologie sollten eigentlich mehr Medien zur Verfügung stehen, um die Verweigerung des freien Zugangs zu Informationen wettzumachen. Der Rundfunk spielt hierbei eine wichtige Rolle. So sind tibetische Radiosender, die aus der freien Welt operieren, zu einer wichtigen Informationsquelle für Tibeter geworden, die unter chinesischer Herrschaft zuverlässiger Nachrichten beraubt sind.

Von Anfang an spielte der Rundfunk eine wichtige Rolle bei der Verbreitung und Interpretation von Nachrichten aus aller Welt. Die Rückmeldungen, welche die Sender von Hörern in Tibet bekamen, zeigen, welchen tiefen Einfluß diese Sendungen auf die Menschen dort haben. Derzeit gibt es drei größere Kanäle für tibetische Sprache, die sich eine beachtliche Hörerschaft in Tibet erworben haben: Voice of America (VOA), Radio Free Asia (RFA) und Voice of Tibet (VOT) in Norwegen.

Teil 17

Störsender

Trotz des Erfolgs dieses vielversprechenden Mediums ist die Ausstrahlung von Radioprogrammen auf dem tibetischen Hochland beträchtlichen Behinderungen ausgesetzt, und paradoxerweise nicht wegen der geographischen Lage Tibets. Sondern die Radiosender werden ständig durch die chinesische Regierung behindert, die den Zugang zu den Informationen durch akustische Störungen und Vorschriften vereiteln will. Wie bereits in unserem Jahresbericht von 2002 erwähnt, stören die Chinesen die Radiowellen, indem sie die Frequenzen mit High-Tech Geräten abfangen, um akustische Störungen hervorzurufen"(78). Während des ganzen Jahres blockierte die VR China 2003 den Empfang dieser Radiosendungen.

Teil 18

Chinas grosser Fire Wall

Jenes andere Medium, das jetzt weltweit dominierend geworden ist und die besten Voraussetzungen besitzt, um zu einem sich überall verbreitenden Kommunikationsmittel zu werden, ist das Internet. Die Internet-Revolution ist mit unglaublicher Geschwindigkeit über China hereingebrochen, und Peking empfindet sie als die Haupthürde bei seinen Bemühungen, den freien Informationsfluß einzudämmen. Einige Analysten sind der optimistischen Ansicht, "das Internet könne zu der mächtigsten Maschine für die Demokratisierung und den freien Austausch von Ideen werden, die jemals erfunden wurde... und so Millionen von versklavten Menschen rund um den Globus ein Werkzeug an die Hand geben, um die Vordenker auszutricksen"(79).

Die chinesische Regierung fährt indessen fort, um die Verfügbarkeit freier und unzensierter Informationen immer engere Schlingen zu ziehen. Sie hat das Aufrufen gewisser Websites, die sie als bedrohlich für die nationale Sicherheit empfindet, unmöglich gemacht. Der Zugang zu ihnen wird durch einen Filtermechanismus - ironisch der "große Fire Wall" genannt - unmöglich gemacht(80).

Der "große Fire Wall" wurde konzipiert, um Hunderte von Websites zu blockieren. Basierend auf automatisierter Technik hat Peking im Ministerium für Öffentliche Sicherheit ein Cyber-System eingerichtet, das den schönen Namen "Golden Shield" trägt. Das Unternehmen "Goldenes Schild" beschäftigt bereits eine Cyber-Polizeitruppe von 30.000 Mann, um sogenannte "Internet-Dissidenten" rund um die Uhr unter Aufsicht zu halten(81).

Wie entschlossen Peking ist, die freie Stimme des Internets abzuwürgen, wurde 2002 deutlich, als die Harvard Law School mittels einer speziellen Studie bewies, welch scharfes Auge die chinesische Regierung auf die Internet-User wirft. Zwei globale Suchmaschinen - Google und Altavista - machten eine besonders schwierige Phase in ihrem sonst blühenden Geschäft durch. Als Peking die zwei Websites im September 2002 vollständig blockierte, rief dies internationale Schlagzeilen hervor. Nachdem Google Klagen eingereicht hatte über die Art und Weise, wie China absichtlich Websites filtert, war der Zugang zu Google innerhalb einer Woche da - aber in einem gestutzten Format. Es zeigte sich, daß die neue Google-Suchmaschine nicht in der Lage war, kontroverse Begriffe oder die Namen von hohen chinesischen Politikern zu suchen: Wenn Benutzer solche Begriffe eingaben, erhielten sie kein Ergebnis, und manchmal riß sogar noch ihre Internetverbindung ab(82).

Der UN-Sekretär für Kommunikation und öffentliche Information, Shashi Tharoor, betonte bei der Sitzung des Wirtschafts- und Finanzausschusses der Generalversammlung am 23. Oktober 2003, wie notwendig es sei, daß die Regierungen dem Internet denselben Spielraum wie den traditionellen Medien gewährten(83). Doch die Chinesen haben ihre eigene Logik.

Wang Xudong, der chinesische Minister für Informationstechnik, bekräftigte bei dem Weltgipfel über die Informationsgesellschaft (WSIS) am 10. Dezember 2003 in Genf, daß die Freiheit der Meinungsäußerung und der menschlichen Würde garantiert werden müsse(84). Doch das Herausfiltern von Webseiten, die Schlüsselworte wie Demokratie, Tibet, Taiwan, Dalai Lama usw. enthalten, beweist, daß seine verbale Verpflichtung, China würde zum Aufbau einer wirksameren Informationsgesellschaft beitragen, nichts als ein Täuschungsmanöver ist. Eine objektive und unparteiische Information über ihr Land bleibt den Tibetern versagt. Eine Studie über die Internet-Intervention in China hat ergeben, daß über 60 % der meistbesuchten Tibet-Seiten von Google blockiert wurden(85).

Während Peking wie besessen Kontrolle über das Internet ausübt, ist es jetzt dazu übergegangen, seine eigenen Webseiten zu starten, um die Bevölkerung noch mehr mit zensierter Information zu überfluten. Ein interessanter Faktor für die Web-World der Tibeter ist, daß die chinesische Regierung die offiziellen Websites zu Tibet neu gestaltet hat.

Ende 2002 hat die PRC mehrere lokal-bezogene Websites über Tibet mit diversen Inhalten gestartet. Diese Seiten, welche die verschiedenen Regionen Tibets zum Thema haben, sind meistens in chinesischer Sprache verfaßt, außerdem zeigen sie einen Wandel in der Art und Weise, wie China jetzt die Tibeter der Welt und seinem eigenen Volk darstellt. Die neuen Portale preisen Tibet als das Touristenziel Nonplusultra an und malen das Hochland als nichts geringeres als ein Shangrila mit einem Volk, das ein Leben von noch nie dagewesenem Glück und Wohlstand führt. Die Erläuterungen handeln meistens von Tibets Kultur, der Lebensweise und den verbesserten wirtschaftlichen Bedingungen. Die Einführung der regionalen Websites hat jedoch keine Änderung in der Standard-Interpretation der tibetischen Geschichte durch die Chinesen gebracht, und gewisse Aspekte der tibetischen Kultur werden einfach unterdrückt. Diese Webseiten werden ihrem Anspruch, ein "für China und die Welt objektives Schaufenster nach Tibet" zu sein, gewiß nicht gerecht. Statt dessen präsentieren sie Tibet als durch die chinesische Brille gesehen(86).

Teil 19

Schluss

Die Hinrichtung Lobsang Dhondups und das aufgeschobene Todesurteil gegen Tulku Tenzin Delek stellen die schönen Worte Chinas, das Land sei auf dem Weg zu einer Nation, in der die Rechtsstaatlichkeit respektiert wird, in Frage. Die Tatsache, daß sowohl Lobsang Dhondup als auch Tulku Tenzin Delek kein faires und gerechtes Gerichtsverfahren zuteil wurde, ist Anlaß genug, sich um das Geschick eines jeden Tibeters, der wegen ähnlicher Anschuldigungen festgenommen oder festgehalten wird, zu sorgen.

Chinas eigenwillige Interpretation des Abschnitts des internationalen Strafrechts, wo es um die Terror-Bekämpfung geht, gibt ebenfalls zu denken. Das TCHRD brachte bereits in früheren Jahresberichten seine Befürchtungen zum Ausdruck, daß China die weltweite Unterstützung für den Feldzug gegen den Terrorismus ausnützen könnte, um die Stimme des friedlichen, gewaltlosen politischen Widerstands der Tibeter zu ersticken. Der Fall von Tulku Tenzin Delek bedeutet jedenfalls einen Wendepunkt und weist in diese Richtung.

Bestätigt werden diese Befürchtungen durch das, was Guo Jinlong, der Parteisekretär der Autonomen Region Tibet, nach einer eintägigen Anti-Terror-Militärübung in Lhasa im November 2003 von sich gab: "Auf der einen Seite macht der Dalai Lama überall ein großes Getue um Verträge und Gespräche mit uns und hängt sie an die große Glocke, während er auf der anderen die Infiltration und gewalttätige terroristische Aktivitäten schürt". Daß Guo Jinlong gar noch den Dalai Lama terroristischer Aktivitäten bezichtigt, verrät Chinas bewußten Einsatz des Anti-Terror-Feldzugs gegen die Tibeter.

Die Verhaftungen und Festnahmen auf dem Hochland ließen auch 2003 nicht nach. Das TCHRD dokumentierte die Festnahme von 27 Tibetern und nahm außerdem viele unbestätigte Fälle zu den Akten, so daß die Gesamtzahl nahe an 100 liegt. Die Tatsache, daß über 80 % der bekannt gewordenen Verhaftungen außerhalb der TAR erfolgten, ist ein deutlicher Hinweis dafür, daß sich der politische Dissens zunehmend in jene Regionen verlagert. Immer noch werden die Tibeter für friedliche Opposition gegen die chinesische Obrigkeit mit vielen Jahren Gefängnis bestraft, und der Genuß politischer oder bürgerlicher Freiheiten bleibt ihnen nach wie vor versagt!

Fussnoten

1 "Zwei Tibeter in SW China zum Tode verurteilt", People's Daily/Xinhua, 26 Jan 2003.

2 "Robinson warns China on repression", BBC Word Service, 8 Nov 2001.

3 Free Tibet Campaign, Human Rights in China, International Campaign for Tibet, "Behind Closed Doors: Bilateral Dialogues on Human Rights", China Rights Forum No. 2, 2003, p 22.

4 "China ratifies Convention on Human Rights", Xinhua, 28 Feb 2001.

5 TIN Report: China's Tibet Online - Tibet and Tibetans in PRC Government Websites.

6 "Zwei Tibeter in SW China zum Tode verurteilt", People's Daily/Xinhua, 26 Jan 2003.

7 Ibid.

8 Ibid.

9 Ibid.

10 Recht auf ein faires Gerichtsverfahren, Jahresbericht 2002, TCHRD, S. 122.

11 "China Court rejects Tibetan death sentence appeal", Reuters, 26 Jan 2003.

12 China verurteilt zwei Tibeter zum Tode, Human Rights Update, TCHRD, Dec 2002, S. 1. (Informationen aus Tibet zufolge soll Lobsang Dhondup am 2. Dezember im Gerichtssaal seine Unschuld hinausgebrüllt haben. Er rief: "Weder der Tulku noch ich haben irgend etwas mit der Bombenexplosion zu tun". Andere Quellen: "The execution of Lobsang Dhondub and the case against Tenzin Deleg": Congressional Executive Commission on China 2003.

13 "China verurteilt zwei Tibet zum Tode", Human Rights Update, Dec 2002, S. 1. Es heißt, Tulku Tenzin Delek habe dem Gericht eine unfaire Verfahrensweise vorgeworfen und laut gerufen, Seiner Heiligkeit der Dalai Lama möge ein langes Leben beschieden sein. Daraufhin wurde er von dem Sicherheitspersonal geknebelt und aus dem Gerichtssaal weggebracht.

14 "Tibetischer Mönch beteuert seine Unschuld auf einem herausgeschmuggelten Tonband", Radio Free Asia, 21 Jan 2003. Die Aufnahme soll am 18. Januar entstanden sein, während der Tulku auf die Wiederaufnahme des Verfahrens bei dem Höheren Volksgericht wartete.

15 Ein chinesischer Rechtsgelehrter bezeichnete das revidierte Strafgesetz als einen Meilenstein auf Chinas Weg zur Rechtsstaatlichkeit. Aus: The Amended Criminal Procedure Law and The Criminal Court rules of the People's Republic of China, Wei Luo, Buffalo, New York, 2000.

16 Art. 32 des CPL besagt: Zusätzlich zu der Ausübung des Rechts auf Selbstverteidigung könnten einer Straftat Verdächtigte und Angeklagte ein oder zwei Leute mit ihrer Verteidigung beauftragen.

17 Der Art. 33 des CPL besagt: Beginnend mit dem Tag, an dem von dem Staatsanwalt ein Fall vorgebracht und eine Anklageschrift vorgelegt wird, hat der verdächtigte Straftäter das Recht, einen Verteidiger mit seiner Verteidigung zu beauftragen.

18 Der Art. 34 des CPL besagt: Wenn ein Staatsanwalt eine Straftat vor Gericht bringt, und der Angeklagte wegen finanzieller Schwierigkeiten oder aus anderen Gründen keinen Anwalt engagiert hat, kann das Volksgericht einen Verteidiger bestellen, der die gesetzliche Beistandspflicht auf sich nimmt.

19 "Das Recht auf einen fairen Prozeß", Jahresbericht 2002, TCHRD, S. 122.

20 Biographie von Tulku Tenzin Delek, Human Rights Update, TCHRD, April 2002. Die Behörden hatten eine lange Liste von Klagen über den Tulku aufgestellt, um ihn fest zu können. Die örtliche Bevölkerung schrieb eine Petition zu seinen Gunsten und erreichte, daß der Haftbefehl zurückgenommen wurde.

21 Der Art. 64 des Strafverfahrensgesetzes besagt: Wenn die Organe der Öffentlichen Sicherheit eine Person festnehmen, so haben sie einen Haftbefehl vorzulegen. Die Familie des Festgenommenen oder die Abteilung, in der er arbeitet, muß über die Gründe der Verhaftung informiert werden.

22 "Justizirrtum? Der Prozeß von Tenzin Deleg Rinpoche, Report", Amnesty International, ebenfalls in "China verurteilt zwei Tibeter zum Tode", Human Rights Update, Dec 2002, S. 1.

23 Art. 199 des CPL besagt: Todesurteile müssen von dem obersten Volksgericht überprüft und bestätigt werden.

24 John Pomfret, "China executes Tibetan monk for alleged bombing", Washington Post Foreign Service, 28 Jan 2003.

25 Einem TIN Report zufolge hat die Sprecherin Zhang Qiyue des chinesischen Außenministeriums den Fall als einen "Akt des Terrors" charakterisiert.

26 Linzhe Shi, "China ties dissent to terrorism", Cos news online.

27 "Chinese troops in Tibet exercize", Reuter, 17 Nov 2003.

28 "Achtung vor den bürgerlichen Freiheiten", Jahresbericht 2002 TCHRD, S. 111.

29 "Menschenrechtsverletzungen im Namen der Terrorismusabwehr", Ein Bericht von Human Rights Watch, 25. März 2003.

30 "80 Tibetans reportedly detained: Disciple of condemned monk calls for leniency", Radio Free Asia, 30 May 2003.

31 China gags kin of executed, jailed Tibetans in bomb case: a report", Agence France Press. Einer der Verwandten soll gesagt haben: "Lokalbehörden warnten uns davor Ferngespräche zu führen, denn wir würden bestraft, falls wir es täten". Auch sollen die Verwandte über den Tod von Lobsang Dhondup erst nach fünf Tagen durch einen öffentlichen Anschlag erfahren haben.

32 "Verschwundener Tibeter zu fünf Jahren Haft verurteilt", Human Rights Update, TCHRD, Oct 2003, S. 2.

33 "An TB erkrankter Mönch zu 7 Jahren verurteilt", TCHRD Oct. 2003, "Tibetans lost in legal system", Human Rights Watch, 15 July 2003.

34 "Zwei Mönche verhaftet, Verbleib unbekannt", Human Rights Update, TCHRD, April 2003, S. 6.

35 "Punkt 9": Fragen der Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten: Mündliche Aussage von Takna Jigme Sangpo", 59. Sitzung der UN Menschenrechtskommission, Genf 2003.

36 "Ngawang Sangdrol kommt in die USA zwecks ärztlicher Behandlung", Human Rights Update, TCHRD März 2003.

37 "Drapchi: Tibets gefürchtetstes Gefängnis", TCHRD Juni 2001.

38 "Strafmaß einer Nonne wegen Singens von Liedern auf 17 Jahre erhöht" TIN News Update, 20 Feb 1994.

39 Phuntsok Nyidron wurde inzwischen freigelassen, siehe TIN News vom 26. Feb 2004.

40 Art. 47 des Strafgesetzes der PRC besagt: Die Zeit einer verkündeten Gefängnisstrafe wird von dem Datum an gerechnet, an dem das Urteil zur Anwendung kommt. Falls die Person in Gewahrsam war, ehe das Urteil in Kraft trat, wird das Strafmaß um die Anzahl der Tage vermindert, die sie schon inhaftiert war.

41 "Enger Gehilfe von Chadrel Rinpoche immer noch in Haft" Human Rights Update, TCHRD, August 2003.

42 "Lama Nyandak: Chadrel Rinpoche nicht willkommen im Kloster Tashi Lhunpo", Human Rights Update, TCHRD, Aug. 2003.

43 "Chadrel Rinpoche unter Hausarrest", Human Rights Update, April 2003.

44 Definition der Arbeitsgruppe für Willkürliche Festnahme.

45 "Vier Mönche zu langen Haftstrafen verurteilt", Human Rights Update, Okt 2003. Weitere Details siehe Kapitel "Religiöse Freiheit".

46 "Anti-Dalai-Lama Kampagne in Kardze und Lithang intensiviert", Presseerklärung des TCHRD vom 14. Nov 2003.

47 "Distrikt Kardze nach Gebetszeremonien im Würgegriff der Sicherheitskräfte", Human Rights Update, Juli 2003. Siehe auch Kate Saunders, "Gespanntes politisches Klima in Kardze als Folge von Gebetszeremonien für den Dalai Lama", 27. Juni 2003.

48 "Willkürliche Festnahmen als Nachspiel zu Gyaltsen Norbus Besuch im Tashi Kyil Kloster", Human Rights Update, Okt 2003.

49 Ibid.

50 Kate Saunders, "Verhaftung von Tibetern wegen Separatismus offiziell bestätigt", www.phayul.com, 31 Aug 2003.

51 "Funktionär aus Lhasa bestätigt die Inhaftierung zweier Tibeter wegen Separatismus", Human Rights Update, TCHRD, August 2003.

52 "Yeshi Gyatso zu sechs Jahren verurteilt", www.tibet.net, 2 Dez 2003. Wie von FTC gemeldet, ist er kurz darauf, am 15. Januar 2004 verstorben.

53 "Ausrottung von politischem Dissens", Jahresbericht 2000, TCHRD, S. 9.

54 "Tibetischer Lehrer zu fünf Jahren Haft verurteilt", TCHRD, Presseerklärung 16. Dez. 2003.

55 "Tibetischer Bettler wegen Singens eines patriotischen Liedes festgenommen", Human Rights Update, TCHRD, Sept 2003.

56 CAT, Berichte eingereicht von den Mitgliedstaaten gemäß Art. 19 am 6. Dez. 1989.

57 Der Art. 43 der CPL lautet: "Das richtende Personal, die Staatsanwaltschaft und das Untersuchungspersonal haben verschiedene Arten von Indizien zu sammeln, die beweisen, ob der strafverdächtige Tatbestand vorliegt oder irrelevant ist. Der Griff zu Folter, um Geständnisse zu erpressen oder Beweismaterial mittels Einschüchterung, Verführung, Täuschung oder anderer illegaler Methoden zu sammeln, ist streng verboten. Die Bedingungen müssen gewährleistet sein, damit außer unter besonderen Umständen alle Bürger, die mit dem Fall zu tun haben oder mit dessen Umständen vertraut sind, Beweise objektiv und vollständig liefern können; sie können auch herbeigerufen werden, um bei der Ermittlung zu helfen.

58 "Ein verzweifelter Ruf aus meinem tiefsten Herzen", Human Rights Update, TCHRD, Oct. 2003

59 "Folter und Mißhandlung: Sorge um Sicherheit", Human Rights Update, April 2003.

60 "Punkt 9: Fragen der Verletzung der Menschenrechte und der Grundfreiheit: Aussage von Takna Jigme Sangpo", 59. Sitzung der UN Menschenrechtskommission, Genf, 2003.

61 "Chinese envoy calls for halt to flow of Tibetans into Nepal", AFP, 14 November 2003.

62 "2002 Annual Patrol Meeting", ChinaTibetnews.com.

63 "Dangerous Crossing: Conditions impacting the flight of Tibetan refugees, International Campaign for Tibet, S. 8. Ende 1974 registrierte die Königlich-Nepalesische Regierung annähernd 15.000 Tibeter als Einwohner Nepals.

64 "Nepal keeps a wary eye on Tibet", Asiatimes, 16 September 2003. Darin wird Kapil Kafley, Herausgeber einer größeren Nepali Zeitung, zitiert: "Das kleine Nepal wird oft unter großen Druck von mächtigen Ländern gesetzt. Selbst die Führer der tibetischen Gemeinde haben wenig Verständnis für die schwierige geopolitische Lage Nepals. Zu nennen wären hier ungeschickte Äußerungen von Wangchuk Tsering, dem Vertreter des Dalai Lama in Nepal".

65 "Nepalesische Polizei wirft 18 tibetische Flüchtlinge ins Gefängnis", Human Rights Update, April 2003. Das TCHRD berichtete von 8 Tibetern im Dilli Bazar Gefängnis, die 10 Jahre zu verbüßen hatten. Siehe auch "Dangerous crossing: Conditions impacting flight of Tibetan refugees 2001", International Campaign for Tibet, 2002, S. 27.

66 "Tibetans lose Nepal as safe haven", Asiatimes 6 June 2003. Tibetern, denen die Flucht gelungen ist, fragen sich besorgt, was denjenigen bevorsteht, welche die Flucht noch planen.

67 "Nepalesische Polizei wirft 18 tibetische Flüchtlinge ins Gefängnis", Human Rights Update April 2003.

68 "Tibetans in Nepal: UNHCR seriously concerned", United Nations High Commission for Refugees, 30 May 2003.

69 "Nepal deportiert tibetische Häftlinge unter chinesischem Druck", Human Rights Update, TCHRD, May 2003.

70 "Bericht über Chinas Deportation der 18 Tibeter aus erster Hand", Robbie Barnett, Tibetan Bulletin, March-April 2003.

71 "Nepal denies change in policy over Tibetan asylum seekers", Kathmandu Post via Nepalnews.com website in English, 3 June 2003.

72 Ibid.

73 "Chinesische Grenzpatrouille schießt auf Flüchtlinge - 17 Verhaftete", Human Rights Update, Oct. 2003.

74 "Eine junge Tibeterin stirbt eines tragischen Todes auf dem Weg ins Exil", Human Rights Update Sept. 2003.

75 "Die Strafe für die Flucht", Politische Freiheiten, Jahresbericht 2001, TCHRD, S. 80,. Samdup, ein ehemaliger Insasse des Lagers Trisam zur Umerziehung durch Arbeit wurde 1999 dort inhaftiert. Er schildert die entsetzlichen Gefängnisbedingungen, wie man die Häftlinge hungern und ohne richtige hygienische Einrichtungen ließ.

76 "Sieben der 18 im Mai aus Nepal nach China abgeschobenen Flüchtlinge sind immer noch in Haft", ICT, 23. Dez. 2003.

77 "Deported Tibetan youths detained in China", Radio Free Asia, 16 Oct 2003.

78 "Radio Jamming", Annual Report 2002, TCHRD, p. 117.

79 Bobson Wong, "A matter of trust: the internet and social change in China", China Rights Forum No. 3, 2003, p. 42. Ein Zitat von Rep. Chris Cox, der den neuen Gesetzentwurf "Global Internet Act" im US Senat einbrachte.

80 Bobson Wong, "A matter of trust: the internet and social change in China", China Rights Forum No. 3, 2003, p. 42.

81 Erping Zhang, "SARS: Unmasking censorship in China", China Rights Forum, No. 3, 2003, p. 47.

82 Benjamin Edelmen, "Block sites will return but with limited access", South China Morning Post, 26 Jan 2003.

83 "Press freedom for internet", UN Weekly Newsletter, Vol. 58, No. 43, 25-31, Oct 2003.

84 Wang Xudong, "Strengthening cooperation, promoting development and moving towards the information society together", The World Summit on the Information Society, 10 Dec 2003.

85 "Politisierung der Nutzung des Internets", Jahresbericht 2002, TCHRD, S. 118.

86 "China's Tibet Online: Tibet and Tibetans in PRC Government Website", TIN, 7 Sept 2003.


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Kapitel 2: Die Religion

- vielmehr die "Unterdrückung der Religion"

Inhalt:

  1. Einführung
  2. Kreuzzug gegen den Dalai Lama
  3. Bilder des Dalai Lama werden dem Volke verboten
  4. Verhaftungen wegen des Dalai Lama
  5. Beim Volk besonders beliebte Lamas sind Zielscheibe der Verfolgung
  6. Die Politisierung der Reinkarnation
  7. Der Fall Chadrel Rinpoche
  8. Tulku Tenzin Deleks "Verbrechen"
  9. Khenpo Jigme Phuntsoks Lehrtätigkeit im Serthar-Institut stark eingeschränkt
  10. Der "Separatist" Geshe Sonam Phuntsok
  11. "Demokratische Verwaltungsräte" als Kontrollinstanzen im religiösen Bereich
  12. Verweigerung religiöser Erziehung
  13. Einsiedler werden zum Verlassen der Klausur gezwungen
  14. Degeneration des tibetischen Buddhismus
  15. Schließung religiöser Institutionen
  16. Beeinträchtigung der religiösen Feste
  17. Festnahmen im Vorfeld zum Geburtstag des Dalai Lama
  18. Schluß

Teil 1

Einführung

Was die Religionsfreiheit anbelangt, so war die Lage im Jahr 2003 in Tibet weiterhin schlecht. Schema und Art und Weise der bisherigen religiösen Unterdrückung sind die gleichen geblieben, wobei es nur hinsichtlich der Intensität in den einzelnen Regionen Unterschiede gab. Die US International Commission on Religious Freedom (USCIRF) stufte China 2003 als eines der fünf besonders besorgniserregenden Länder ein. Gemäß der USCIRF gehört China zu denjenigen Staaten, welche die internationalen Normen der religiösen Freiheit in übelster Weise verletzen.

Die Verletzungen des Rechtes, eine Religion praktizieren zu können, sind in dem von China besetzten Tibet ganz besonders gravierend. Immer noch werden Menschen hier ob ihrer religiösen Überzeugung oder ihres Glaubens eingesperrt, gefoltert, in Haft gehalten und allen nur möglichen Formen der Mißhandlung ausgesetzt. Im Zuge von Chinas Vorgehen gegen religiöse und spirituelle Bewegungen werden Einzelpersonen wegen Handlungen verdächtigt oder angeklagt, die im Grunde genommen nichts anderes sind, als daß sie ihr Recht auf Religions-, Rede-, und Freiheit der Versammlung und Vereinigung wahrnehmen - und dafür werden sie nun bestraft.

Diese ernst zu nehmenden Einschränkungen der religiösen und politischen Freiheit werden auf den höchsten Ebenen der KP Chinas beschlossen. Viele der neuen Staatsführer, darunter auch Präsident Hu Jintao, gehörten selbst zu denjenigen, welche die repressive Politik in Sachen Religion und ethnische Minderheiten formulierten und sie rigoros in die Tat umsetzen ließen. Allein schon diese Tatsache - wobei noch hinzukommt, daß viele von Jiang Zemins engsten Genossen immer noch die Schlüsselpositionen in den Abteilungen für religiöse Angelegenheiten und Justizreform innehaben - signalisiert, daß die Aussichten auf eine baldige Besserung bei Chinas Handhabung der Religionsfreiheit minimal sind. Die USCIRF äußerte sogar die Befürchtung, Chinas Verhalten in dieser Sache könnte gar noch schlimmer werden.

Die Führung in Peking befürchtet, der tibetische Buddhismus könnte den nationalistischen Gefühlen in der monastischen Gemeinschaft Auftrieb geben, und beschneidet daher die religiöse Freiheit in krassester Weise. Diese offizielle Furcht ist als das Hauptmotiv hinter vielen der religionspolitischen Maßnahmen Pekings in Tibet zu sehen. Die enge Beziehung zwischen Buddhismus und Nationalitäten-Angelegenheiten beunruhigt die Behörden schon seit Mitte der achtziger Jahre und ist der Schüssel für die Regierungspolitik in allen tibetisch besiedelten Gegenden der PRC geblieben. Die kulturelle Identität der Tibeter ist von ausgesprochen buddhistischem Charakter, wodurch sie unausweichlich mit der atheistischen Weltsicht der kommunistischen Herrscher in China in Konflikt geraten muß. Die traditionelle tibetische Konzeption einer gemischten säkular-religiösen Herrschaftsform mit dem Dalai Lama als dem religiösen und dem weltlichen Oberhaupt an der Spitze bietet hier zusätzlichen Zündstoff(1).

Das Hauptgewicht der religiösen Unterdrückung hat sich in letzter Zeit von der TAR auf die östlichen Gebiete des traditionellen tibetischen Lebensraums wie etwa die Provinz Sichuan verlagert. Im Laufe der Jahre hat sich immer wieder gezeigt, daß die Behörden in den Regionen, die politisch besonders aktiv sind, weit häufiger und härter gegen die religiöse Freiheit vorgehen.

Die chinesischen Behörden pflegen Tibeter sowohl wegen ihrer religiösen Überzeugung und Praxis als auch aus sogenannten politischen Gründen festzunehmen. Man sieht dies daran, daß fast 90 % der derzeit inhaftierten politischen Gefangenen Mönche und Nonnen sind. Geistliche werden, wie auch die USCIRF ausgeführt, weiterhin wegen ihres Glaubens eingesperrt, gefoltert und anderen Formen der Mißhandlung ausgesetzt.

Daß sich unter den Festgenommenen ein so hoher Prozentsatz an Geistlichen befindet, kommt daher, daß sie dem Dalai Lama, dem im Exil lebenden Oberhaupt Tibets und dem Symbol des tibetischen Buddhismus, offen ihre Loyalität bekunden. Schon so harmlose Akte wie der Besitz und das Aufstellen oder Aufhängen von Dalai Lama Bildern, die Abhaltung von Gebetszeremonien für sein langes Leben oder die Weigerung, ihn während der politischen Umerziehungskurse zu verunglimpfen, haben ein hartes Durchgreifen zur Folge.

Peking sieht den Dalai Lama als den zentralen Faktor hinter allen "spalterischen Aktivitäten" in Tibet. Die Chinesen ließen bei dem dritten Arbeitsforum zu Tibet 1994 keinen Zweifel an ihrem offiziellen Anti-Dalai-Lama Kurs und führten ihre damals formulierte Politik mit der Kampagne zur "patriotischen Erziehung" fort, die 1996 begann. Auch das vierte Arbeitsforum zu Tibet von 2001 verabschiedete einen Beschluß zur "weiteren Bekämpfung von Spaltertum" und schlug "spezielle Maßnahmen vor, um die Illusionen über die Dalai Clique zu zerstören und den Einfluß des Dalai auf die religiös Gläubigen zunichte zu machen"(2). In einer vom chinesischen Außenministerium abgegebenen Erklärung heißt es: "Der Dalai Lama ist nicht nur eine religiöse Gestalt, sondern ein politischer Langzeit-Exilant, der separatistische Aktivitäten betreibt"(3).

China führt seine patriotische Erziehungs-Kampagne immer noch in einer Reihe von tibetischen Klöstern durch und hält damit die Geistlichkeit unter Kontrolle. Es mag allerdings sein, daß die Häufigkeit und die Heftigkeit, mit der die "Arbeitsteams" die Klöster heimsuchen, etwas nachgelassen hat. Nun gibt es aber leider viel weniger Informationen über das Geschehen in Tibet als früher, weil China alles daran gesetzt hat, die Grenze zu Nepal für Flüchtlinge unpassierbar zu machen, so daß deren Zahl beträchtlich zurückgegangen ist.

Die in den Klöstern eingerichteten Demokratischen Verwaltungsräte (Democratic Management Committees, DMC) versuchen das Denken und die Aktivitäten der Mönche und Nonnen zu kontrollieren mit der Absicht, den tibetischen Buddhismus zu einer Art "Staatsreligion" chinesisch-kommunistischer Prägung zu machen. Kommunistische Kader wählen die Mitglieder der DMC einzeln aus, denn sie sind diejenigen, welche die religiösen und administrativen Angelegenheiten des Klosters zu bestimmen haben. Sie haben die traditionelle Rolle der Äbte an sich gerissen und sind an die Stelle der von China eingesetzten "Arbeitsteams" früherer Jahre getreten.

2003 erreichten das TCHRD Informationen, die deutlich machen, in welchem Ausmaß die Religionsfreiheit und die Menschenrechte derjenigen, die ihre Religion praktizieren wollen, verletzt werden:

  • Die Hinrichtung des einstigen Mönches und späteren Geschäftsmanns Lobsang Dhondup im Januar 2003.
  • Der Tod des Mönches Nyima Drakpa, der eine 9-jährige Strafe zu verbüßen hatte, in der Haft.
  • Die Festnahme von Mönchen aus der Provinz Sichuan wegen der Durchführung von Gebetsversammlungen für den Dalai Lama.
  • Restriktionen bei traditionellen tibetischen Festen und kulturellen Ereignissen.
  • Die Schließung einer Klosterschule in Osttibet.
  • Die Vertreibung der Eremiten aus der Chaksam Chori Einsiedelei an der Grenze des Landkreises Lhoka Gongkar zu Chushul.

Die verschärfte Umsetzung des Verbots von Dalai Lama Bildern in Osttibet hat bei den Tibetern in der ganzen Welt Besorgnis hervorgerufen. Die Tibetische Regierung-im-Exil appellierte an die chinesische Regierung, das Verbot aufzuheben.

Bei der 59. Sitzung der UN Menschenrechtskommission äußerten Kanada und die EU nebst einigen anderen Ländern ihre Besorgnis, daß "der Bevölkerung in Tibet religiöse und kulturelle Rechte vorenthalten werden", sowie über die fortgesetzten Berichte vom "Fortdauern und dem gewaltigen Ausmaß der Einschränkung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung, Versammlungs- und Religionsfreiheit"(4).

Die offizielle Behauptung, daß sich "der Buddhismus eines goldenen Zeitalters in China"(5) erfreue, straft daher die tatsächliche Lage in Tibet Lügen. Am 14. April 2003 gab Si Ta, der Vertreter der chinesischen Delegation bei der 59. Sitzung der UNCHR, folgende Erklärung ab: "Was die Religion betrifft, so achtet und schützt der Staat voll und ganz die Freiheit der religiösen Überzeugungen der ethnischen Minderheiten und ihre religiösen Aktivitäten. Gegenwärtig gibt es 1.700 Stätten für religiöse Betätigung in Tibet, in denen sich über 46.000 Personen befinden, während Xinjiang über 23.000 Moscheen mit 29.000 religiösen Bediensteten vorweisen kann. Die Politik der chinesischen Regierung zugunsten der Freiheit religiöser Überzeugung wird von den religiösen Kreisen der ethnischen Minderheiten und der breiten Masse der Gläubigen aus ganzem Herzen unterstützt".

Während die chinesische Verfassung den Bürgern die "Freiheit des religiösen Glaubens" zugesteht, schützt sie nicht das Recht, diesem Glauben Ausdruck zu verleihen. Dies verdeutlicht, wie wichtig es ist, daß China den Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte, den es 1998 unterzeichnete, auch ratifiziert, denn dieser enthält explizite Bestimmungen über das Recht auf die Freiheit des Denkens, des Gewissens und der Religion. In den Richtlinien über Religionspolitik, die bei dem dritten Arbeitsforum zu Tibet bekanntgegeben und später von dem Parteiorgan der TAR in einem Bulletin mit Titel "Eine Goldene Brücke zu einem neuen Zeitalter" veröffentlicht wurden, ist auch von der großen Besorgnis der Regierung über die anhaltende Popularität des tibetischen Buddhismus die Rede. Das vierte Arbeitsforum zu Tibet hat die auf dem dritten aufgestellten politischen Richtlinien bekräftigt.

Das harte Durchgreifen gegen die religiös Gläubigen scheint von den höchsten Regierungskreisen gutgeheißen zu werden. In der Tat werden alle religiösen Aktivitäten - etwa der Kontakt mit ausländischen religiösen Organisationen, die Ausbildung und Ernennung von geistlichen Würdenträgern und die religiöse Erziehung der Kinder im Sinne der Überzeugungen ihrer Eltern - durch das Gesetz, den politischen Kurs und das Vorgehen des Staates drastisch eingeengt(6).

Die chinesische Regierung behält die strenge Kontrolle über religiöse Aktivitäten und die Stätten der Anbetung in Tibet bei, was auch von der USCIRF bestätigt wird. Der frühere chinesische Premierminister Zhu Rongji betonte, daß "illegale religiöse Aktivitäten unterbunden werden müssen, und wo ein Verbrechen begangen wird, es geahndet werden muß. Religiöse Angelegenheiten sollten gemäß dem Gesetz geregelt werden. Die Freiheit des religiösen Glaubens sollte gut umgesetzt werden"(7).

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte sieht vor, daß "jeder Mensch Anspruch auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit hat; dieses Rechte umfaßt... die Freiheit, seine Religion oder seine Überzeugung allein oder in Gemeinschaft mit anderen, in der Öffentlichkeit oder privat, durch Lehre, Ausübung, Anbetung und Vollziehung von Riten zu bekunden" (Art. 18). Die Konvention über die Rechte des Kindes sieht vor: "Die Vertragsstaaten achten das Recht des Kindes auf Gedanken-, Gewissens- und Religionsfreiheit" und: "Die Freiheit, seine Religion oder Weltanschauung zu bekunden, darf nur den gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die zum Schutz der öffentlichen Sicherheit, Ordnung, Gesundheit oder Sittlichkeit oder der Grundrechte und Freiheiten anderer erforderlich sind" (Art. 14). Auch die UN-Erklärung von 1981 über alle Formen der Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Glauben garantiert ausdrücklich diese Rechte.

Teil 2

Kreuzzug gegen den Dalai Lama

Peking attackiert den Dalai Lama sowohl wegen seiner politischen als auch seiner religiösen Rolle. Bereits in früheren chinesischen Erklärungen stand: "Der Zweck des Buddhismus ist, alle Lebewesen auf friedliche Weise zum Heil zu führen. Nun, wo der Dalai und seine Clique diese religiöse Doktrin verletzen und sogar Gerüchte verbreitet haben, um die Leute zu täuschen und gegeneinander aufzuhetzen, wie kann er da noch als ein spiritueller Führer betrachtet werden?... Was den Dalai betrifft, so gehört stets die tibetische Unabhängigkeit zu den Lehren, die er in seinen Predigten von sich gibt, ... wobei er heftig versucht, die Massen mit seiner göttlichen Kraft zu vergiften und zu betören.... Derartige flagrante Täuschungsmanöver und demagogische Hetzreden sind nichts als eine Blasphemie des Buddhismus"(8).

Das TCHRD ist der Ansicht, daß Pekings Standpunkt und Politik gegenüber dem Dalai Lama immer gleich geblieben sind, nur daß die Publizisten der PRC in ihrem Bemühen, ein gutes internationales Image aufzubauen, nun gewitzter geworden sind. China stößt unweigerlich jedes Mal, wenn der Dalai Lama einen Staatspräsidenten oder einen wichtigen Politiker trifft, seine üblichen Drohungen und Einwände aus und zögert auch nie, eine offizielle Anti-Dalai-Lama Erklärung abzugeben.

Im Menschenrechtsbericht des US State Department von 2003 heißt es jedoch, daß sich der "harsche Ton der rhetorischen Worttiraden gegen den Dalai Lama und seine Führung einer Exilregierung etwas verändert habe, seitdem die Regierung in Peking Gesandte des Dalai Lama eingeladen hat, Tibet und andere Gegenden Chinas zu besuchen". Das TCHRD ist der Ansicht, daß sich das frühere Toben und Geifern der chinesischen Funktionäre gegen den Dalai Lama zwar 2003 etwas gemäßigt hat, jedoch nicht grundlegend anders geworden ist.

In Tibet selbst hat Peking die Anti-Dalai-Lama Kampagne verschärft und ihren Umfang über die TAR hinaus in die politisch aktiveren Tibetisch-Autonomen Präfekturen ausgeweitet. China startete seine Anti-Dalai-Lama-Kampagne 1996 mit den Klöstern als der ersten Zielscheibe. Bei den politischen Umerziehungskursen zwingen chinesische Kader die Mönche und Nonnen, sich vom Dalai Lama abzukehren.

Die Anti-Dalai-Lama-Kampagne wurde bei dem dritten Arbeitsforum zu Tibet im Juli 1994 institutionalisiert. Zwei Jahre später fand sie ihre Bestätigung in dem "Entwurf zum Fünfjahresplan der Autonomen Region Tibet für die wirtschaftliche und soziale Entwicklung und seiner langfristigen Zielsetzung für 2010", der auf der vierten Sitzung des sechsten regionalen Volkskongresses am 24. Mai 1996 gebilligt wurde(9). In einem Kapitel über Separatismus wird der Dalai Lama als der "Hauptbösewicht" bezeichnet, der "öffentlich bloßgestellt und kritisiert ... und dem der Deckmantel eines religiösen Führers vom Leibe gerissen werden muß".

Einer Reuters Meldung aus Peking vom 17. November 2003 zufolge sagte der kommunistische Parteichef der TAR Guo Jinlong: "Der Dalai Lama macht auf der einen Seite ein riesiges Getue um Gespräche mit uns, und auf der anderen stärkt er die Infiltration und gewalttätige terroristische Aktivitäten. In Tibet hat die Stabilität den Vorrang vor allem anderen. Stabilität ist die Vorbedingung für Entwicklung". Konkrete Beispiele für "Infiltration und gewalttätige terroristische Aktivitäten" nannte er allerdings keine, oder wie sich diese in der besetzten Region zugetragen oder wie sie mit dem Dalai Lama in Verbindung gestanden haben sollen(10).

Die religiöse Unterdrückung läßt in diesem Jahr ein Muster erkennen, das auf eine Intensivierung der Anti-Dalai-Lama Hetze hinzuweisen scheint. Außerdem hat sich seit 2001 der Brennpunkt der Unterdrückung der Religion in Richtung der osttibetischen Provinz Sichuan verlagert, die sich in der Vergangenheit einer gewissen religiösen Freiheit erfreute. Drei der prominentesten religiösen Persönlichkeiten - Geshe Sonam Phuntsok (verbüßt eine fünfjährige Gefängnisstrafe), Tulku Tenzin Delek (ist zum Tode mit zweijährigem Aufschub verurteilt) und Khenpo Jigme Phuntsok (der anfänglich, während sein Serthar Institut niedergerissen und die Studenten vertrieben wurden, incommunicado festgehalten wurde, jedoch im Januar 2004 verstorben ist) - wurden wegen ihrer Treue zum Dalai Lama zur Zielscheibe der chinesischen Behörden.

Teil 3

Bilder des Dalai Lama werden dem Volke verboten

Die chinesischen Behörden haben im Rahmen ihrer Anti-Dalai-Lama Kampagne alle Bilder des Dalai Lama geächtet. China sprach dieses Verbot offiziell im November 1994 aus, als Regierungsangestellten sogar verboten wurde, seine Bilder zu besitzen und bei sich zu Hause aufzustellen. Wie den Aussagen von Flüchtlingen zu entnehmen ist, wird dieses Verbot in gewissen Distrikten der TAR, sowie in der Provinz Sichuan sehr rigoros gehandhabt.

Im November 2003 forderte die chinesische Regierung die Bewohner aller Dörfer und Gemeinden der Distrikte Kardze und Lithang in der TAP Kardze, Sichuan, auf, Darstellungen des Dalai Lama innerhalb eines Monats abzuliefern, und drohte ihnen bei Mißachtung der Anordnung mit der Konfiszierung ihres Grund und Bodens. Am 11. November 2003 forderten die Lokalbehörden und Arbeitsteam-Kader, daß alle Aktivitäten für ein unabhängiges Tibet sowie Ehrfurchtsbezeugungen jedweder Art für den Dalai Lama ab sofort und gänzlich zu unterbleiben hätten. Bei einem am folgenden Tag abgehaltenen Meeting drohten sie: "Wenn nach Ablauf der Frist in irgendeinem Haus noch Dalai Lama Portraits gefunden werden, dann wird die betreffende Familie ihr Land verlieren".

Vermutlich beriefen die Behörden diese Meetings ein, nachdem eines schönen Tages im Oktober eine tibetische Nationalflagge an einem Strommast im Distrikt Kardze wehte. Die Bewohner von Kardze und Lithang - überwiegend eine agrarische Region - leben seit Generationen von dem Ertrag ihrer Felder. Da ihr Grund und Boden nun von der Beschlagnahmung bedroht ist, fürchten die Gemeinden um ihren weiteren Lebensunterhalt.

Teil 4

Verhaftungen wegen des Dalai Lama

Zahlreiche Personen wurden im Zuge der Anti-Dalai-Lama Kampagne in Tibet festgenommen, weil sie entweder Bilder des Dalai Lama aufgestellt, Videos oder Tonkassetten mit Reden von ihm besaßen oder "Lange lebe der Dalai Lama" gerufen oder Gebetszeremonien für ihn durchgeführt hatten. Die chinesischen Behörden betrachten derartige eigentlich ganz harmlose Handlungen als "Verbrechen", welche die Staatssicherheit gefährden. Im Dalai Lama sehen sie das Symbol und die eigentliche Verkörperung des tibetischen Buddhismus unserer Zeit. Da 95 % der tibetischen Bevölkerung immer noch überzeugte Buddhisten sind, liegt es auf der Hand, daß der Dalai Lama bei dem Volk überwältigende Verehrung als spirituelles Oberhaupt genießt.

Am 29. August 2003 verurteilte das Mittlere Volksgericht der TAP Ngaba, Provinz Sichuan, vier Mönche aus dem Kloster Khangmar zu Haftstrafen zwischen 8 und 12 Jahren(11). Die Mönche wurden Mitte Januar 2003 festgenommen, weil sie ein Gebetsritual für das lange Leben des Dalai Lama und für die erfolgreiche Vollendung seiner Kalachakra-Belehrungen(12) in Bodh Gaya, Indien, abgehalten hatten. Wie berichtet, sollen 10 Mönche gerade in der Gebetshalle des Klosters zu der Zeremonie versammelt gewesen sein, als die Distriktpolizei ins Kloster eindrang. Die Polizeioffiziere nahmen die Mönche sofort fest und durchsuchten ihre Wohnräume, wobei sie sowohl Bilder des Dalai Lama als auch des umstrittenen 11. Panchen Lama entdeckten. Auf diese Verhaftungswelle hin wird das Kloster nun wahrscheinlich streng überwacht werden, und mit weiteren Festnahmen ist zu rechnen.

Teil 5

Beim Volk besonders beliebte Lamas sind Zielscheibe der Verfolgung

In den letzten Jahren wurde deutlich, daß China es besonders auf die religiösen Schlüsselfiguren der jeweiligen Gegend abgesehen hat. Mehrere prominente religiöse Führungspersönlichkeiten wie Tulku Tenzin Delek, Geshe Sonam Phunsok und Khenpo Jigme Phuntsok sind aufgrund ihrer persönlichen Überzeugung und ihrer führenden Rolle in der Gesellschaft Opfer staatlicher Verfolgung geworden und leiden für ihren Glauben und ihre Bekanntheit. Gedhun Choekyi Nyima, der 14-jährige (am 25. April 2004 wurde er fünfzehn) vom Dalai Lama anerkannte Panchen Lama, befindet sich seit 1995 an einem geheim gehaltenen Ort in chinesischem Gewahrsam.

Teil 6

Die Politisierung der Reinkarnation

Nachdem der Dalai Lama 1959 ins Exil geflohen war, begann der 10. Panchen Lama eine wichtige Rolle in Tibet zu spielen. Die Beziehung zwischen dem Dalai Lama und dem Panchen Lama ist sowohl von historischer als auch religiöser Bedeutung. Peking läßt daher nichts unversucht, um die Sache mit der Reinkarnation des Panchen Lama zu manipulieren und hält den echten 11. Panchen Lama unter Verschluß, während es seinen eigenen Kandidaten fördert.

Am 14. Mai 1995 verkündete der Dalai Lama Gedhun Choekyi Nyima als die Reinkarnation des 10. Panchen Lama, der 1989 verstorben war. Drei Tage später waren der Knabe und seine Eltern aus ihrem Haus verschwunden. Ein Jahr später, im Mai 1996, gab die PRC zu, daß sie den 11. Panchen Lama "auf Bitten seiner Eltern" hin in Gewahrsam halte, weil "er Gefahr laufe, von Separatisten entführt zu werden und seine Sicherheit bedroht sei". Obwohl sie also die Autorität des Dalai Lama bei der Wahl von Gedhun Choekyi Nyima als dem 11. Panchen Lama ablehnt und ihn nicht als die wahre Wiedergeburt anerkennen will, räumt die chinesische Regierung ein, daß sie das Kind festhält. Es ist paradox, warum die Chinesen sich so sehr um die "Sicherheit" eines Kindes bemühen, das sie "nur als einen gewöhnlichen Jungen" betrachten. Im Dezember 1995 bestimmte die Regierung der PRC ihren eigenen Panchen Lama - ein Kind namens Gyaltsen Norbu.

Bei der Kampagne zur patriotischen Erziehung, die von der PRC im Mai 1997 überall in Tibet in den Klöstern gestartet wurde, werden die Mönche und Nonnen aufgefordert, den von China eingesetzten Panchen Lama zu akzeptieren und Gedhun Choekyi Nyima abzulehnen. Jüngste Berichte von Flüchtlingen aus Tibet und von unabhängigen Reisenden lassen darauf schließen, daß die Bilder des von den Chinesen ernannten Panchen Lama auf dem ganzen Hochplateau in den Hauptklöstern und Touristenhotels an sichtbarer Stelle ausgestellt sind. Der inzwischen verstorbene Lobsang Damchoe(13) war 1996 zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt worden, weil er offen für Gedhun Choekyi als den echten Panchen Lama eingetreten war.

Viele Politiker, Diplomaten und hochrangige ausländische Delegierte haben ihrer Besorgnis darüber Ausdruck verliehen, daß der Panchen Lama immer noch an unbekanntem Ort festgehalten wird, darunter auch die frühere UN Hochkommissarin für Menschenrechte. Im August 2002 erklärte Mary Robinson bei ihrem letzten offiziellen Besuch als Hochkommissarin in China der Weltpresse, daß sie den Fall des damals 13 Jahre alten Panchen Lama der chinesischen Seite vorgetragen habe, die lediglich geantwortet hätte, der Junge sei gesund, und seine Eltern wünschten nicht, daß er gestört werde. "Ich drängte darauf, daß wenigstens seine Eltern sich melden könnten, damit man irgendeine Möglichkeit habe, die Lage zu überprüfen, die Anlaß zu echter Besorgnis gibt", berichtete Robinson.

Die Chinesen gingen auf ihre Bitte nicht ein, noch reagierten sie auf andere internationale Appelle, daß ein unabhängiges Gremium wie etwa das Komitee für die Rechte des Kindes zu dem Knaben gelassen werde, um sich seines Verbleibs und Wohlbefindens zu vergewissern(14). China mag auch in diesem Jahr bei der 59. UN Menschenrechtskommission wieder der Verurteilung seiner Menschenrechtspraxis entgangen sein, das völlige Verschwinden eines Kindes beweist dennoch, wie verlogen die Behauptung dieser Nation ist, in Tibet werde die Religionsfreiheit respektiert.

Die chinesische Regierung hat aus der Frage der Reinkarnation ein politisches Thema gemacht und die Position des Dalai Lama als "quasi-politische Kontrolle über Klöster oder geographische Gebiete" gekennzeichnet, statt das System der traditionellen religiösen Autorität und Praxis als ein Faktum zu akzeptieren, ganz zu schweigen von einem Verstehen der Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulen des tibetischen Buddhismus.

Auf die Religion bezogene Bestimmungen, die in den "Sichuan-Maßnahmen" von 1987 aufgeführt sind, enthalten im Art. 6.7 ein pauschales Verbot der Anerkennung von Tulkus (Wiedergeburten): "Den Klöstern ist nicht gestattet, reinkarnierte Rinpoches, die im Ausland oder von Personen, die ins Land zurückkehrten, bestimmt wurden, anzuerkennen, noch dürfen sie die Inthronisations-Riten für sie durchführen". Das Problem eskalierte nach dem am 28. Januar 1989 eingetretenen Tod des 10. Panchen Lama(15). Der Report des Amtes für Religionsangelegenheiten der TAP Karze von 1992 kommentierte: "Die Reinkarnation eines Lebenden Buddhas ist ein wichtiges Thema im tibetischen Buddhismus. Es sollte gewissenhaft in Übereinstimmung mit dem Geist des staatlichen Dokuments 39 von 1991 behandelt werden, wobei der Grundsatz 'Reinkarnation darf es geben, doch nicht bei allen Lamas' strikt eingehalten werden muß"(16).

Trotz ihres erklärten Atheismus betrachtet sich die chinesische Kommunistische Partei als befugt, über "den Prozeß der Wiederverkörperung von Buddhisten" zu wachen und die Identifizierung reinkarnierter Lamas zu kontrollieren. Um dem von der chinesischen Regierung ausgewählten Panchen Lama mehr Popularität beim Volke zu verschaffen, übten die Behörden nun heftigen Druck auf vier hochrangige Mönche(17) aus, die mit dem vorigen Panchen Lama verbunden waren, und legten ihnen nahe, sich an dem Auswahlprozeß zu beteiligen und ihren Prätendenten gutzuheißen(18).

Teil 7

Der Fall Chadrel Rinpoche

China hält weiterhin die religiösen Persönlichkeiten, die mit der Kontroverse über die Anerkennung des 11. Panchen Lama vertraut sind oder gar einen persönlichen Anteil daran haben, unter strenger Kontrolle. Deshalb unternimmt die Regierung alles, was sie nur kann, um ihre Politik in Sachen Panchen-Lama-Reinkarnation, sowie den derzeitigen Aufenthaltsort des vom Dalai Lama anerkannten Knaben geheimzuhalten.

Chadrel Rinpoche ist der vormalige Abt des Klosters Tashi Lhunpo in Shigatse, TAR. Auf den Tod des 10. Panchen Lama im Januar 1989 hin bestimmte die chinesische Obrigkeit Chadrel Rinpoche zum Vorsitzenden des Suchkomitees für den 11. Panchen Lama. Ausgehend von einer Liste von 30 in Frage kommenden Kandidaten erklärte der Dalai Lama, nachdem er zur Bestimmung der Reinkarnation Divinationen durchgeführt hatte, am 14. Mai 1995 offiziell Gedhun Choekyi Nyima zum 11. Panchen Lama. Chadrel Rinpoche verschwand drei Tage danach, am 17. Mai 1995. Der Sprecher des chinesischen Außenministeriums, Chen Jian, erklärte damals, Chadrel Rinpoche befinde sich nicht in Polizeigewahrsam, sondern sei "krank und ins Krankenhaus gebracht" worden. Schließlich ernannte die chinesische Regierung im Dezember 1995 ein anderes Kind zum Panchen Lama.

Die erste offizielle Bestätigung der Verhaftung Chadrel Rinpoches erfolgte zwei Jahre später durch Xinhua im Mai 1997. Die offizielle Nachrichtenagentur berichtete, der Mittlere Volkgerichtshof von Shigatse habe den Abt am 21. April 1997 zu sechs Jahren verurteilt. Ein anderer hiervon abweichender Bericht besagte, er sei wegen "Verschwörung zur Spaltung des Landes" und "Weitergabe von Staatsgeheimnissen" zu einer Haftstrafe von sechs Jahren, die am 9. Januar 2000 zu Ende gehen würde, verurteilt worden. Es gab zu dieser Zeit auch inoffizielle Berichte, denen zufolge Chadrel Rinpoche anfänglich im Distrikt Trochu (chin. Heishui) festgehalten und später in das Gefängnis Chuandong No. 3 im Distrikt Tazhu der Provinz Sichuan verlegt worden sei.

Bei einer Runde des Menschenrechtsdialogs mit China im Februar 2001 wurde der britischen Regierung erklärt, das Urteil gegen Chadrel Rinpoche sei 1996 ergangen, weshalb er erst im Januar 2002 entlassen werden könne. Dies steht in offenem Widerspruch zu einer offiziellen Mitteilung an das Amt für Auswärtiges und Commonwealth Angelegenheiten, der zufolge Chadrel Rinpoche 1997 verurteilt worden sei. Diese offizielle Verschleierungstaktik und die widersprüchlichen Aussagen über die Haftzeit, sowie der ungewisse Verbleib des Rinpoche zeigen, von welch ungeheurer politischen Brisanz der Fall für Peking ist.

Im Februar 2002 hieß es, daß Palden, der Vize-Chef der Abteilung für öffentliche Sicherheit in der TAR, und Dorjee, der Vize-Chef der Polizeibehörde der Präfektur Shigatse, plötzlich im Tashi Lhunpo Kloster, dem traditionellen Sitz des Panchen Lama, aufgetaucht seien. Weiter wird berichtet, sie hätten nach den Schriften und der Gebetskette von Chadrel Rinpoche gefragt, ohne jedoch den Grund für ihre Bitte zu nennen.

Das TCHRD erhielt 2003 die Information, Chadrel Rinpoche stehe an einem abgelegenen Ort (chin. duijian cun) südlich des Dib Militärlagers (tib. sgrib dmag khang) in Lhasa unter Hausarrest. Trotz seiner vermeintlichen Entlassung im Januar 2002 nach der Verbüßung seiner Gefängnisstrafe von 6 Jahren hat nämlich keiner irgend etwas über seinen Verbleib erfahren. Wegen der mangelnden Information in bezug auf seine Entlassung wurde der Abt daher von Menschenrechtsbeobachtern zu einer "verschwundenen Person" erklärt. Dies steht im Widerspruch zu offiziellen chinesischen Quellen, die behaupten, in Übereinstimmung mit dem Gerichtsbeschluß sei er inzwischen freigelassen worden.

Auch Champa Chung, der 56-jährige ehemalige Assistent von Chadrel Rinpoche, wird noch über seine ursprüngliche vierjährige Gefängnisstrafe hinaus in Gewahrsam gehalten. Die chinesischen Behörden nahmen ihn 1995 wegen seiner Rolle bei der Panchen Lama Kontroverse fest und verurteilten ihn 1999 zu 4 Jahren Haft, wozu noch 2 Jahre Verlust der politischen Rechte kommen. Aus verläßlicher Quelle wird bestätigt, daß Champa Chung immer noch festgehalten wird. Unter der Bedingung strikter Anonymität berichtet unser Informant: "Er befindet sich immer noch in einer Art von Gewahrsam. Als ich fragte, ob es sich dabei um las mi rukhag (Zwangsarbeit, chin: jiyue) handle, erhielt ich zur Antwort, es gehe um etwas ganz anderes. Daraus schloß ich, daß er irgendwo im gleichen gora oder Gefängniskomplex festgehalten wird, obwohl er seine Strafe eigentlich verbüßt hat"(19).

Teil 8

Tulku Tenzin Deleks "Verbrechen"

Die Festnahme von Tulku Tenzin Delek(20) weist darauf hin, daß charismatische und einflußreiche religiöse Führungspersönlichkeiten in Tibet wegen ihrer Fähigkeit, das Vertrauen und die Achtung der Bevölkerung zu gewinnen, zunehmend von den Behörden als Bedrohung angesehen werden. Das scheint sogar dann der Fall zu sein, wenn diese Persönlichkeiten die Autorität des Staates nicht in Frage stellen, sondern sich durch Vermittlung bei lokalen Konflikten verdient gemacht haben, moralische Werte propagieren, die "Harmonie unter den Nationalitäten" fördern und zur Lösung sozialer Probleme beitragen - sich also so verhalten, daß ihr Wirken den Vorgaben der Kommunistischen Partei entspricht. Diese Tendenz wurde bereits in der Provinz Qinghai deutlich (die traditionelle nord-östliche tibetische Region Amdo), wo in den letzten Jahren mehrere religiöse Schlüsselfiguren und Gelehrte, die sich dem Dienst an der Gesellschaft verschrieben hatten und oft stillschweigend sogar noch Amtsträger unterstützten, festgenommen wurden(21).

Tulku Tenzin Delek erregte das Mißfallen der Behörden wegen seiner offen bekundeten Loyalität zum Dalai Lama und seines überall hoch geschätzten Wirkens für die soziale Wohlfahrt. Der Tulku war bei der Bevölkerung durch seine sozial ausgerichteten Tätigkeiten, wie der Restauration und dem Bau von Klöstern, der Errichtung von Waisenhäusern, eines Heims für ältere Menschen und seiner Kampagnen für den Umweltschutz sehr populär. Es wurde berichtet, daß China wegen seiner Beliebtheit mißtrauisch wurde und befürchtete, sein Einfluß könnte die Tibeter der Gegend politisch wieder aktiv werden lassen.

Schon zuvor hatten die Behörden versucht, gegen den Tulku vorzugehen, doch er entzog sich der Festnahme, indem er sich versteckte, während die Menschen der Gegend eine Massen-Petition starteten und forderten, daß man ihn in Freiheit leben lasse. Die Chinesen warfen Tulku Tenzin Delek und seinem ehemaligen Schüler Lobsang Dhondup(22) fälschlicherweise vor, eine Reihe von Bombenattentaten in der Provinz Sichuan geplant und organisiert zu haben. Lobsang Dhondup wurde am 26. Januar 2003 hingerichtet und der Tulku mit einem Aufschub von 2 Jahren zum Tode verurteilt.

Lochoe Drime, ein ehemaliger Helfer von Tulku Tenzin Delek, bezeugte dem TCHRD nach seiner Flucht aus Tibet 2003:

"Die Behauptung, daß Tulku Tenzin Delek hinter einer Reihe von Sprengstoffanschlägen im April 2002 stehe, ist völlig absurd. Das ist eine rein erfundene Anklage gegen den Tulku und die anderen vier Verhafteten. Der Tulku war uns stets ein Vorbild für die Erhaltung der tibetischen Kultur und Identität. Er ist eine Verkörperung aller lebenden Gottheiten. Er genießt wegen seines sozialen Engagements hohes Ansehen. Dank seiner steten Bemühungen um die Erhaltung der tibetischen Kultur auf jede nur erdenkliche Weise erreichte er in kürzester Zeit Ungeheueres. Die Leute lieben und respektieren den Tulku wegen seiner wohltätigen Werke. Er war gleichsam ein Retter des tibetischen Volkes, und die unbegründeten und ungerechtfertigten schweren Beschuldigungen gegen ihn und die darauffolgende Verurteilung sind ein direkter Angriff auf das tibetische Volk. Der Tulku nahm niemals Hilfe von außerhalb Chinas an, obwohl man sie ihm angeboten hatte. Noch hat er einen Pfennig von der chinesischen Regierung angenommen. Er führte seine sozialen Aktivitäten dank der großzügigen Spenden seiner Anhänger und Unterstützer durch. Alles, was er von den Leuten bekam, hat er für den Bau von Schulen, Altersheimen, Waisenhäusern und Ambulanzen (die freie Behandlung anbieten) verwendet. Seine besondere Fürsorge galt den Armen. Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup haben sich strafrechtlich nichts zuschulden kommen lassen. Die Chinesen dulden nicht, daß die tibetische Kultur gedeiht. Sie argwöhnten, der Tulku könnte ihre Autorität in Frage stellen. Deshalb gingen sie so hart gegen ihn vor. Es gibt sonst keinen Grund, warum sie ihn verhaftet hätten"(23).

Tibetan Buddhism and Religious Policy in Kardze, Sichuan Province, 1987-1989, eine Veröffentlichung vom Tibet Information Network, macht deutlich, wie der Staat den vermeintlichen Zusammenhang zwischen Religion und Politik als Bedrohung empfindet: "... die Bemühungen der Behörden in Kardze konzentrieren sich auf zwei zentrale Punkte. Die Absicht des Staates, die religiösen Aktivitäten zu kontrollieren, und seinen Wunsch, der Aktivität von Dissidenten oder Separatisten ein Ende zu setzen. Weil die Belange von Religion und Nationalität in den tibetischen Gebieten so eng miteinander verbunden sind, werden Entwicklungen, die sich auf die Religion beziehen, als Separatismus und seine Kontrolle betreffende Probleme angesehen".

Teil 9

Khenpo Jigme Phuntsoks Lehrtätigkeit im Serthar-Institut stark eingeschränkt

Das ganze Jahr 2003 über schränkten die chinesischen Behörden das Buddhistische Institut Serthar in der TAP Kardze, Provinz Sichuan, stark ein, sie hielten die monastische Gemeinde klein und überwachten das Verhalten der Nonnen und Mönche ebenso wie die Häufigkeit und die Inhalte der religiösen Belehrungen. Verglichen mit dem harten Vorgehen der Behörden gegen das Institut 2001 kann man nun eine leichte Lockerung der Einschränkungen feststellen. Zuverlässigen Quellen zufolge nahmen Sicherheitskräfte des Distrikts Serthar, TAP Kardze, Provinz Sichuan, am 27. Mai 2003 vier Tibeter in Gewahrsam. Die vier waren nach einem Streit, der Ende 2002 wegen Wiederaufbaumaßnahmen in dem Buddhistischen Institut ausgebrochen war, von dem PSB-Haftzentrum des Kreises Serthar einbestellt worden(24).

2001 wurde Khenpo Jigme Phuntsok, der charismatischen Gründer und Abt des Serthar Instituts, ein Jahr lang von den Behörden in Gewahrsam genommen, eine große Anzahl der Geistlichen wurde ausgewiesen und Tausende ihrer Wohnhütten abgerissen. Die Behörden hatten zu diesem brutalen Schlag gegen den beliebten Abt und sein Institut ausgeholt, weil ihnen seine steigende Popularität und seine riesige Anhängerschaft unter sowohl tibetischen als auch nicht-tibetischen Buddhisten ein Dorn im Auge war. In der Repression gegen sein Institut sehen China-Beobachter eine "Wiederholung der Kulturrevolution".

Das Buddhistische Institut Serthar, das 1980 als ein konfessionsübergreifendes Studienzentrum gegründet wurde, zählte 2001 annähernd 8.800 Praktizierende, sowohl ordinierte als auch Laien-Buddhisten verschiedener Nationalitäten. Seit 1998 hatten die chinesischen Arbeitsteams gefordert, daß die Anzahl der Studenten drastisch reduziert würde, und alle die Auflagen der "patriotischen Umerziehung" zu beachten hätten. Am 18. April 2001 setzten die Behörden eine Obergrenze für die Gemeinschaft von 1.400 fest, womit 7.000 Studenten das Institut zu verlassen hatten. Zwischen Juni und Juli 2001 wurden über 2.000 Behausungen auf dem Gelände des Instituts niedergerissen - die chinesischen Kader sprechen in ihrem Arbeitsbericht von 1.875. Im Juni 2002 durfte Khenpo Jigme Phuntsok, nachdem er einige Zeit im Krankenhaus in Chengdu gelegen hatte, in sein Institut zurückkehren(25).

Auf eine UNCHR (UN Commission for Human Rights) Anfrage wegen Serthar, die Abdelfattah Amor, der Sonderberichterstatter für Religionsfreiheit der UNO, abgefaßt hatte, antwortete die chinesische Regierung, "es sei auf keinen Mönch und keine Nonne Druck ausgeübt worden, um zum weltlichen Leben zurückzukehren, noch sei irgendein Mönch oder irgendeine Nonne in Haft genommen worden. Im Gegenteil, der Staat habe eine beträchtliche Summe Geld ausgeteilt, um jenen Mönchen und Nonnen, die in ihre Dörfer zurückkehren wollten, bei ihrem Start zu helfen, ebenso wie für den Wiederaufbau einiger Gebäude des Instituts". Was Khenpo Jigme Phuntsok betrifft, so erging die Auskunft, "die dortige Regierung habe für seine ärztliche Behandlung Anstalten getroffen, und sein Zustand habe sich beträchtlich gebessert"(26).

Teil 10

Der "Separatist" Geshe Sonam Phuntsok

Geshe Sonam Phuntsok ist ein populärer buddhistischer Lehrmeister und ein bekannter Gelehrter in der TAP Karze in der Provinz Sichuan. Am 25. Oktober 1999 nahmen etwa 20 PSB-Offiziere Geshe Sonam Phuntsok in seinem Heimatort fest. Er wurde daraufhin wegen "Aufhetzung der Massen zu spalterischen Aktivitäten" zu 5 Jahren Haft verurteilt; weitere Anklagepunkte waren "eine Reise nach Indien mit einem illegalen, in Lhasa beschafften Dokument, um den Dalai Lama zu treffen und sich mit ihm photographieren zu lassen, die illegale Durchführung religiöser Zeremonien zu mehreren Anlässen im Kreis Kardze und die Abhaltung einer Gebetszeremonie für das lange Leben des Dalai Lama in Rongbatsang". Er verbüßt immer noch seine Strafe im Chuandong Gefängnis Nr. 3 und soll inzwischen ernstliche Probleme mit seiner Gesundheit haben.

Mitte November 2001 teilten Mitarbeiter des PSB von Kardze dem Vater des Geshe, Agya Phuntsok, mit, daß "der Geshe unter hohem Fieber leide und derzeit in dem Chuandong Chayul Hospital liege". Wegen des für ihn ungewohnten warmen Klimas in der Gegend, in der das Chuandong Gefängnis liegt, habe er Fieber bekommen. Agya Phuntsok machte sich sogleich auf den Weg, um seinen Sohn zu sehen und kam am 4. Dezember dort an. Nur zweimal konnte er für insgesamt 40 Minuten mit dem Geshe sprechen - aber nicht direkt, sondern nur über Telefon, denn eine dicke Glaswand trennte die beiden bei der Begegnung.

Agya berichtete: "Geshes Gesundheit war sehr heruntergekommen. Er war so abgemagert und dünn. Er konnte sich nicht mehr richtig bewegen, beim Gehen muß er gestützt ". Der Geshe erzählte seinem Vater, anfänglich habe er unter mangelndem Appetit gelitten und nichts mehr essen können. Er fühlte sich häufig schwindlig und lethargisch, sagte er. Er litt auch unter Durchfall und verfiel immer wieder in eine Art Halbbewußtsein. Sieben Stunden lang habe er Infusionen bekommen. Seitdem hat das TCHRD keine Informationen mehr erhalten und weiß daher nichts über den jetzigen gesundheitlichen Zustand des Geshe.

Das TCHRD fordert, daß Geshe Sonam Phuntsoks Strafe gemäß dem in China geltenden Recht aus medizinischen Gründen ausgesetzt wird. Wie John Kamm, der Leiter der Dui Hua Foundation in San Francisco berichtet, gibt es eine gesetzliche Bestimmung von 1990, nach der staatliche Organe Gefangene, die mindestens ein Drittel ihrer Strafe verbüßt haben und mit einem Haftleiden darniederliegen, vorzeitig aus medizinischen Gründen entlassen können.

Der Geshe wurde ursprünglich zu 5 Jahren verurteilt. Gemäß dem chinesischen Strafrecht werden die Strafen vom ersten Tag der Verhaftung an gezählt, was im Fall des Geshe der 25. Oktober 1999 ist. Damit wäre seine Entlassung am 25. Oktober 2004 fällig. Da der Geshe am 26. Juli 2002 fast 33 Monate in der Haft verbracht hatte, was mehr als ein Drittel seiner Haftstrafe von 60 Monaten ausmacht, könnte besagtes Gesetz hier Anwendung finden.

Da der Geshe bereits über ein Drittel seines auf 5 Jahre lautenden Urteils hinter sich gebracht hat und er eindeutig an gesundheitlichen Problemen leidet, die eine Folge der Gefangenschaft sind, ist das TCHRD der Meinung, daß es durchaus im Ermessen der chinesischen Regierung liege, Geshe Sonam Phuntsoks Haft gemäß der gesetzlichen Bestimmung aus medizinischen Gründen auszusetzen.

Teil 11

"Demokratische Verwaltungsräte" als Kontrollinstanzen im religiösen Bereich

Der von den chinesischen Behörden festgestellte Zusammenhang zwischen der Geistlichkeit und der tibetischen Unabhängigkeitsbewegung ist für sie eine Ursache großer Besorgnis. In einem früheren offiziellen Dokument mit dem Titel "Eine Goldene Brücke zu einem neuen Zeitalter" wurde dieser Argwohn deutlich ausgesprochen:

"Eine Reihe von religiösen Institutionen wurden periodisch von ein paar Leuten mißbraucht, die finstere Motive hegen, um sich gegen uns zu verschwören, und die zu einem Hort der Konterrevolution geworden sind... Der Einfluß unserer Feinde in anderen Ländern, besonders der 'Dalai Clique', hat sich in den Klöstern unserer Region so ausgebreitet wie noch nie. Sie meinen wohl, wenn sie ein Kloster in ihre Hand bekommen, dann sei das soviel wie ein ganzer Distrikt der Kommunistischen Partei."

Die "patriotische Erziehungs-Kampagne" verfolgt den Zweck, dem Dissens Einhalt zu gebieten, indem die Tibeter in ihrer religiösen Ausübung kontrolliert und sie zum Verzicht auf alle nationalistischen Anwandlungen gezwungen werden. Es wird Druck auf sie ausgeübt, damit sie sich vom Dalai Lama und Gedhun Choekyi Nyima, dem 11. Panchen Lama, abwenden. Diese repressiven Maßnahmen stellen eine grobe Verletzung des Rechtes der Menschen auf die Freiheit der Meinungsäußerung, des Gewissens und der Religion dar. Chinesische "Arbeitsteams" üben weiterhin mittels der Democratic Management Committees (= DMC) die Kontrolle über alle religiösen Aktivitäten in den Klöstern aus. Ma Chongying, der Vize-Direktor des Amts für Minderheiten und Religiöse Angelegenheiten in Tibet, soll gesagt haben: "Wenn jemand nicht patriotisch ist, kann er kein lebender Buddha sein. Dies ist ein unabänderliches Prinzip"(27).

Übliche Formen der religiösen Repression, denen die Klöster durch die Arbeitsteams und die DMCs unterzogen werden, sind die Ausweisung von Insassen wegen ihrer Weigerung, sich vom Dalai Lama abzukehren und die Idee der tibetischen Unabhängigkeit zu verwerfen, die säkulare Kontrolle der Klöster, die Auferlegung von Quoten für die Größe der Klostergemeinschaften, die Durchsetzung eines Mindestalters von 18 Jahren als Bedingung für die Zulassung als Novize und die Festnahme und Folterung von praktizierenden Buddhisten.

Bei der religiösen Kontrolle in Tibet hat es in letzter Zeit eine vielsagende Verlagerung gegeben. Die Indoktinierungs-Visiten der Arbeitsteams in den Klöstern sind etwas weniger häufig geworden, während die DMCs die absolute Autorität über die Administration und das allgemeine Management in den religiösen Institutionen erhalten haben. Die permanent in den Klöstern eingerichteten DMCs sind sozusagen der verlängerte Arm des Staates(28).

Im Unterschied zu den vergangenen Jahren hat das TCHRD weniger Informationen über Fälle von sogenannten Besuchen der "Arbeitsteams" in den Klöstern erhalten(29). Wir vermuten, daß es zwei Gründe für diese neue Entwicklung gibt. Erstens ist der Informationsfluß aus Tibet beträchtlich zurückgegangen, nachdem 2003 infolge der verstärkten Überwachung an der Grenze von Tibet zu Nepal, der Inhaftierung einiger Flüchtlinge in nepalesischen Gefängnissen und der Zwangsrückführung von Flüchtigen nach Tibet viel weniger tibetische Flüchtlinge im Exil angekommen sind. Zweitens könnten die chinesischen Behörden der Ansicht sein, daß die Kampagne nun in allen Klöstern Tibet erfolgreich durchgeführt wurde. Dennoch ist das TCHRD noch zu keinem endgültigen Ergebnis über den derzeitigen Stand der "patriotischen Kampagne" gekommen, die seit ihrem Start 1996 Tausenden von Mönchen und Nonnen unendlich viel Schmerz und die Zerrüttung ihres gewohnten Lebens gebracht hat.

Teil 12

Verweigerung religiöser Erziehung

Die von dem dritten Arbeitsforum zu Tibet 1994 festgelegte Strategie in der Bildung zielte darauf ab, den ideologischen Gehalt der schulischen Erziehung in Tibet zu verstärken, besonders auf die patriotische Gesinnung hin zu wirken und die Loyalität zur tibetischen Religion oder der Dalai Clique gewaltsam durch Zwang zum Verschwinden zu bringen. Ihr Zweck war, durch die Einschränkung des Angebotes an Lehrinhalten die Meinungsbildung bei Schulkindern und Lehrern zu manipulieren.

Die von dem dritten Arbeitsforum ausgearbeitete Bildungspolitik unterscheidet sich somit nur wenig von den anderen Strategien, die es für die Unterdrückung von abweichenden Meinungen empfahl, insofern als sie stark ideologische Züge trägt und im Stil der maoistischen Kampagnen der Siebziger gehalten ist. "Bei den Bemühungen der Dalai Clique, die Abspaltung zu bewirken, sind die jungen Leute ihre Zielgruppe, in der vergeblichen Hoffnung, daß wenn sie ihr Ziel nicht jetzt erreichen, es doch in einigen Jahren oder Jahrzehnten zu tun. Dementsprechend hat sie ihre Anstrengungen zur Entzweiung und Demoralisierung der tibetischen Jugendlichen gesteigert"(30).

Nach ihrem Besuch in Peking im September 2003(31) schreibt Katarina Tomasevski, die UN Sonderberichterstatterin für das Recht auf Bildung bei der Menschenrechtskommission, in ihrem 22 Seiten langen Bericht: "Eine Erziehung, welche die Rechte von Minderheiten bejaht, erfordert, daß die Mehrheit den Wert der Sprachen und Religionen der Minderheiten in allen Aspekten des Lebens voll anerkennt. Andernfalls dient die Bildung nur der Assimilierung und ist von daher nicht vereinbar mit Chinas Menschenrechtsverpflichtungen". In bezug auf die Verweigerung der religiösen Erziehung in Schulen erklärt der Bericht: "Im Widerspruch zu Chinas internationalen Menschenrechtspflichten bleibt die religiöse Unterrichtung sowohl in öffentlichen als auch in privaten Bildungseinrichtungen verboten. Obwohl sich China in den ersten Worten seines Eingangsberichts zu der Konvention der Rechte des Kindes als einen 'steten Wahrer und Verteidiger der Rechte der Kinder' beschreibt, wurden die Rechte der Kinder im Bildungssektor nicht anerkannt"(32).

Bei den gegenwärtig herrschenden Restriktionen ist der Zugang zu einer guten religiösen Erziehung sehr schwierig. Die Festlegung des Eintrittsalters ins Kloster auf 18 Jahre und andere von den Behörden auferlegte Abstriche greifen tief in den Verlauf und den ideellen Gehalt der traditionellen religiösen Studien ein.

Teil 13

Einsiedler werden zum Verlassen der Klausur gezwungen

2003 erhielt das TCHRD Informationen darüber, daß Ende Mai 2002 siebzehn Einsiedler aus ihren Meditationsklausen (Retreats) in Chaksam Chori vertrieben wurden(33). Ende Mai 2002 suchten Offiziere des PSB der TAR auf Provinzebene und örtliche PSB-Angehörige von Gongkar die Einsiedelei heim.

Schon seit 1996 wird das Praktizieren des tibetischen Buddhismus verfolgt, hauptsächlich, indem Arbeitsteam-Kader die religiösen Institutionen aufsuchen und dort ihre Kurse zur patriotischen Erziehung durchführen. Auch schon früher wurden Personen, die sich im "Retreat" befanden, drangsaliert, wenn auch nicht so massiv wie jetzt in den Klöstern. Derartige physische und psychische Übergriffe an Orten der Zurückgezogenheit sind eine schwere Form religiöser Unterdrückung. Einsiedler, die zum Teil schon jahrelang oder gar jahrzehntelang in der Abgeschiedenheit meditiert haben, werden plötzlich aus ihrem Übungszyklus herausgerissen. Daß sie obendrein noch von ihren Klausurorten vertrieben wurden, gibt Anlaß zu ernster Besorgnis.

Ein 24 Jahre alter ehemaliger Mönch aus dem Kloster Ragya berichtete dem TCHRD 2003(34): "Mit 16 Jahren trat ich ins Kloster Ragya ein. Es gab dort ungefähr 500 Mönche. Seit 2000 kamen immer wieder chinesische Arbeitsteams in unser Kloster, um dort die Kampagne 'Liebe dein Land, liebe deine Religion' durchzuführen. Jedes Jahr kommen an die 30 chinesische Kader und bleiben einen Monat lang. Während dieser Zeit werden die Mönche zum Studium von Hetzschriften gegen den Dalai Lama gezwungen und müssen gegen ihn gerichtete Texte verfassen. Sie müssen sogar Fragen zu diesen sogenannten Studien beantworten. Dieses Jahr kamen sie im September, um ihre Kampagne durchzuführen.

Am 4. August 2003 gab Yumzin Rinpoche Khedup Gyatso im Dorf Dolma Kar in der TAP Golog eine Kalachkra-Belehrung (die Lehre vom Rad der Zeit des tibetischen Buddhismus). Die Bevölkerung der Gegend begrüßte den Rinpoche begeistert. Sie empfing ihn mit einem Konvoi von Jeeps und Motorrädern. An diesen Fahrzeugen waren buddhistische Fahnen angebracht. Doch die bewaffnete Volkspolizei (PAP) hielt den Konvoi auf und befahl die Entfernung und Herausgabe der Fahnen. Die Leute argumentierten, daß es sich dabei um religiöse Wimpel ohne jegliche politische Bedeutung handle. Die Polizeibeamten gingen jedoch nicht darauf ein und nahmen ihnen die Gebetsfahnen weg. Völlig grundlos wurde der Konvoi für geraume Zeit aufgehalten".

"Es ist zu gefährlich, hier auch nur an Politik zu denken", sagte ein alter Mönch namens Alang aus Labrang. "Wir dienen dem Dharma. Wir haben keine Freiheit, ich werde sie nicht mehr erleben". Für ihn sind die politischen Restriktionen und die Polizeispitzel im Kloster eine Tatsache des täglichen Lebens, in die er sich fügen muß. Labrang war ein Ort der Religion, nicht der Politik. Alang geht es hauptsächlich darum, in seiner Heimat bleiben zu können, er möchte nicht zum Flüchtling werden(35).

Teil 14

Degeneration des tibetischen Buddhismus

Die chinesische Regierung kontrolliert die Weitergabe der tibetisch-buddhistischen Lehre und schränkt sie in einem solchen Ausmaß ein, daß dem tibetischen Buddhismus das Wesentliche verloren geht. Es gibt einige wieder aufgebaute Klöster für Nonnen und Mönche, aber der eigentlichen Weitergabe der Lehren, dem Studium und der Praxis der traditionellen religiösen Glaubensinhalte wird kein Freiraum mehr gewährt. Der verstorbene 10. Panchen Lama fühlte, daß der intellektuelle Kern des tibetischen Buddhismus zerstört würde: Das Debattieren, die philosophische Diskussion, Gebetszeremonien und die mündliche Weitergabe der Lehrinhalte sind verboten. "Aufgrund dessen ist der süße Tau des 'Lehrens und Debattierens, des Schreibens und aufmerksamen Zuhörens, des Nachdenkens und Betrachtens' nun eingetrocknet..., und wir werden Zeugen des Niedergangs des Buddhismus, der in Tibet einst blühte und für die Weitergabe der Lehren und erleuchtenden Riten sorgte. Das ist etwas, womit ich und 90 % der Tibeter uns nicht abfinden können"(36). Die vom Panchen Lama vor Jahrzehnten geäußerte Besorgnis erweist sich heute als um so berechtigter.

Im Laufe der Jahre sind die Klöster eher zu Schulen für atheistische Indoktrination oder zu Touristenattraktionen verkommen, als ihrem eigentlichen Zweck als Institute religiöser Studien und Ausübung gerecht zu werden. Die chinesischen Behörden beharren stur auf ihrer Absicht, die tibetischen Buddhisten in willfährige Kommunisten umzuwandeln. Eine Nonne berichtete von ihren Erfahrungen mit chinesischen "Arbeitsteams" und den Indoktinierungs-Sitzungen, die zu einem psychischen Dilemma zwischen den traditionellen Glaubensinhalten und dem ideologischen Zwang führen.

"1988, ehe ich ins Kloster eintrat, rebellierten mehrere Nonnen und mußten die Gemeinschaft verlassen. Wir dürfen immer noch nicht mit ihnen sprechen. Ich weiß, daß viele von ihnen in ihrem Herzen noch Nonnen sind und ihre spirituelle Praxis fortführen. Das Problem jetzt ist, daß wir das zu tun haben, was das DMC bestimmt oder wir riskieren, hinausgeworfen zu werden. Das Komitee kehrt nächsten Monat zurück, ich fürchte mich jetzt schon. Letztes Mal gaben sie uns Propagandaliteratur und befahlen uns, sie in gutem Zustand zu erhalten. Nach ihrem letzten Besuch warf ich die meinige weg. Jetzt wollen sie sie natürlich inspizieren. Mir reicht's! Diesmal werden es nur 3 oder 4 Kader sein, so wird es vielleicht nicht gar so schlimm werden. Hoffentlich nicht so schrecklich wie letztes Jahr.

Sie kontrollieren uns sehr genau und legen uns bei der Ausübung unserer Religion lauter Steine in den Weg. Letztes Jahr gelobten einige der Nonnen, in einen langen Retreat (Klausur) zu gehen und eine der großen Schriften zu rezitieren, doch man hat es ihnen verboten. Das Komitee richtete so viele Kontrollen ein. Sie zwingen die Nonnen jeden Tag die Gruppensitzungen zu besuchen. Sie sagen, ihre Aufgabe sei die patriotische Erziehung, was bedeutet, daß wir das Fernsehprogramm aus China anschauen und sagen müssen, wir seien für Jiang Zemin und die Kommunistische Partei.

Das Komitee besteht aus Kadern von verschiedenen Abteilungen der Regierung - es sind lauter Tibeter. Viele davon wollen gar nicht im Komitee sitzen, denn sie mögen diese Arbeit nicht. Das gestanden sie uns hinter vorgehaltener Hand. Die Leiter sind sehr streng und arrogant. Weil sie uns letztes Jahr für politisch verdächtig hielten, waren sie drei Monate lang im Kloster, Tag und Nacht - sie kamen im Dutzend und rissen das ganze Kloster an sich.

Sie bringen uns Propagandaslogans gegen Seine Heiligkeit den Dalai Lama bei und dann prüfen sie uns, ob wir die Phrasen auch auswendig gelernt haben. Wir müssen Dinge sagen wie:

'Wir werden entschieden gegen die Aktivitäten der winzigen Gruppe tibetischer Elemente auftreten, welche die Unabhängigkeit fordert! Wir werden die nationale Solidarität stärken und uns gegen die kleine spalterische Minderheit stellen! Wir werden die vier Grundprinzipien hochhalten und uns der bourgeoisen Liberalisierung entgegenstellen!'

Manchmal dreht sich einem da der Kopf, und man weiß nicht mehr, was man eigentlich glaubt. Kennen Sie die Redensart yarlang na go dap, marde na kup dap, ghang dug dug re shak (Wenn du aufstehst, haust du dir den Kopf an, wenn du dich hinsetzt, krachst du mit dem Hintern auf, es ist wirklich fürchterlich!). Aber so ist es tatsächlich. Tag um Tag zwingt uns das Komitee die Slogans zu wiederholen, und sie verbieten uns, wichtige Zeremonien durchzuführen. Es ist einfach entsetzlich. Wir fühlen uns oft sehr eingeschüchtert, besonders die älteren Nonnen.

Ich weiß, daß ich mich entsprechend den Lehren Buddhas, des Erhabenen, verhalten muß, aber als Individuum kann ich so wenig tun, und so muß ich es mir für später aufheben. Ich fühle mich gebunden in meinem Herzen, ich habe innerlich keine Freiheit mehr"(37).

In einem Artikel mit dem Titel "Mönch legt größten Wert auf die Freiheit, die er im Exil genießt", der in Illawarra Mercury in Australien erschien, würdigt Geshe Sonam Thargye (38) "die Freiheit, seinen Glauben ausüben, die Freiheit sich versammeln, die Freiheit aus seinem Herzen sprechen zu können". Diese "Dinge" habe er in Tibet nicht immer gehabt, schreibt er, und "das Verlangen nach ihnen zwang ihn, seine Freunde und seine Familie zu verlassen und ein neues Leben im Exil zu suchen".

Teil 15

Schliessung religiöser Institutionen

Die chinesischen Behörden schließen weiterhin religiöse Institutionen, und die Geistlichen, die sich dem Diktat der Kommunisten nicht beugen wollen, werden ausgestoßen. So schlossen sie in der Präfektur Ngaba in Sichuan am 29. Juli 2003 die Ngaba Kirti Klosterschule(39), nannten jedoch keinen offiziellen Grund für ihr Vorgehen.

1998, vier Jahre nach der Gründung der Schule, machten die Behörden der Schule zur Auflage, von der Regierung festgelegte Lehrpläne zu befolgen, die chinesische Sprache im Unterricht zu verwenden und die sozialistische Ideologie zu lehren. Der Schule wurde auch nahegelegt, sich mit der staatlichen Bontse Schule in dieser Gegend zusammenzuschließen. Die Kirti Klosterschule befürchtete jedoch, daß die Aufnahme von Laienschülern einen negativen Einfluß auf das Verhalten der Mönchsschüler haben würde. Am 28. August 1998 zwangen die chinesischen Behörden das Ngaba Kirti Kloster, die Verwaltung der Schule abzugeben, und benannten sie in "Chathang Nubsang" Schule um. Danach reduzierten sie Klassen mit den bisherigen Lehrern und stellten chinesische Lehrer ein, um den Lehrplan zu revidieren und Chinesisch zur Haupt-Unterrichtssprache zu machen.

Seit dem Oktober 2001 werden die Mönchsschüler sogar gezwungen, statt ihrer Mönchsroben chinesische Schuluniformen zu tragen. Schüler, die den früheren Namen der Schule auf ihre Hefte geschrieben hatten, wurden bestraft, und ihre Beiträge zum Schulmagazin streng zensiert(40).

Teil 16

Beeinträchtigung der religiösen Feste

Peking hat auch im Berichtsjahr die Ausmaße traditioneller religiöser Aktivitäten und die feierliche Begehung der Festlichkeiten durch verschiedene den Laiengemeinden aufgezwungene Maßnahmen erheblich eingeschränkt. Die Tibeter sind den Widersprüchen zwischen der chinesischen Verfassung und Gesetzen, die allen Bürgern die Religionsfreiheit garantieren, und der Doktrin des Atheismus, die von der kommunistischen Partei propagiert wird, hilflos ausgeliefert. Die jetzige Kampagne zur Werbung für den Atheismus geht Hand in Hand mit immer gravierenderen Einschränkungen der öffentlichen Bekundung religiösen Glaubens, wie zum Beispiel dem Verbot, Gebetsfahnen aufzuziehen, Räucherwerk zu verbrennen und heilige Stätten zu umwandeln(41).

In dem Propagandaführer von Kardze für 1999 steht: "Religiöse Aktivität außerhalb der dafür vorgesehenen Orte ist abnormal und muß verboten werden". Derartige Feste waren jedoch von den Regelungen in Sichuan 1987 bis zu einem gewissen Grad erlaubt, wo es heißt, daß Klöster, ohne die Zustimmung der Regierung eingeholt zu haben, "keine religiösen Ereignisse in großem Maßstab, die über ihr administratives Gebiet hinausgehen, organisieren sollen, damit der Produktion, der Sorge für den Lebensunterhalt oder der sozialen Ordnung kein Abbruch geschehe".

Der Provinz-Bericht von 1992 über Religion(42) kommentierte: "Religiöse Aktivitäten großen Ausmaßes, besonders wenn sie sich über die Präfekturgrenzen hinaus erstrecken, müssen streng kontrolliert werden und dürfen im allgemeinen nicht organisiert werden. Falls sie unumgänglich sind, muß zuerst ein Antrag gestellt und die Erlaubnis eingeholt werden, die Zahl der Teilnehmer muß kontrolliert werden und das Kloster und die mit der Organisation beauftragten Personen müssen die gesamte Verantwortung tragen. Parteikader und Regierungsorgane dürfen, es sei denn ihre Dienstpflicht erforderte es, an solchen Anlässen auf keinen Fall teilnehmen. Was die tibetischen Landsleute aus dem Ausland und die Ausländer betrifft, die an solchen Aktivitäten teilnehmen wollen, so muß hier streng nach den Anordnungen des Amts für Religionsangelegenheiten des Staatsrats verfahren werden. Keiner darf besondere Rechte für sich in Anspruch nehmen."

Bei der Diskussion des "zukünftigen Weges" legte der Bericht von 1992 zwei Grundsätze für die Durchführung der Parteipolitik hinsichtlich der Religionsfreiheit dar. Das erste Prinzip wiederholte die "Zwei-Punkte-Theorie", die an die Verfassung von 1982 erinnerte und an das Dokument 19, worin es heißt, daß "jeder Bürger die Freiheit hat, an eine Religion zu glauben oder nicht zu glauben". Und das zweite und vielleicht wichtigste Grundprinzip war: "Religiöse Aktivitäten müssen innerhalb der von der Verfassung, den Gesetzen und der Politik abgesteckten Grenzen erfolgen. Dies ist für die Durchsetzung der Parteipolitik hinsichtlich der Freiheit der religiösen Überzeugung, der Normalisierung der religiösen Aktivitäten und der Anpassung der Religion an die sozialistische Gesellschaft unbedingt erforderlich. Freiheit ist ein relativer Begriff, und es gibt keine absolute Freiheit"(43).

Im Art. 5, Abs. 2, "Organisation von Klöstern der Buddhistischen Vereinigung der Provinz Sichuan - Vorläufige Maßnahmen für das Management tibetisch-buddhistischer Klöster" heißt es: "Klöster müssen demokratische Verwaltungsorgane einsetzen, damit ein demokratisches Management gewährleistet ist, und sie müssen die Führung durch die ihnen übergeordneten Buddhistischen Vereinigungen akzeptieren".

Teil 17

Festnahmen im Vorfeld zum Geburtstag des Dalai Lama

Drei Tibeter, Yeshi Gyatso, Mitglied der "Chinese People's Political Consultative Conference" (CPPCC), Lhasa City, Dawa Tashi und Bhuchung, beide Studenten im dritten Jahr an der Tibet Universität, wurden am 16. Juni 2003 unter der Beschuldigung der Verwicklung in "spalterische Tätigkeiten" festgenommen. Um der Begehung des Geburtstags des Dalai Lama am 6. Juli zuvorzukommen, werden die Bürger von Lhasa in dieser Zeit allgemein noch schärfer überwacht. Jedes Jahr ergreifen die Behörden an diesem Tag besondere Maßnahmen, denn sie befürchten, daß die Tibeter ihn als eine Gelegenheit zur Manifestation nationalistischer Gefühle benutzen könnten.

Die chinesischen Behörden haben die Geburtstagsfeiern für den Dalai Lama gänzlich verboten. Am 26. Juni 2000 gab das Industrie- und Handelsbüro des Stadtbezirks Lhasa ein Zirkular mit dem Titel "Kurze Information über die Abschaffung der illegalen Abhaltung des trunglha yarsol (Geburtstagsfeier des Dalai Lama) durch die Volksregierung der Stadt Lhasa" heraus, womit die Teilnahme an dem trunglha yarsol geächtet wird. Der Rundbrief klagte die "Dalai Clique" der Anstiftung von Unruhe in verschiedenen Teilen Tibets an, denn diese würde Ereignisse wie die Begehung des trunglha yarsol zum Vorwand nehmen, um das Mutterland zu spalten. Im zweiten Teil der Anordnung wird den Bewohnern der Stadt verboten, sich an diesem Tag in Gruppen zu versammeln, Räucherwerk zu verbrennen, tsampa (Gerstenmehl) in die Luft zu werfen, Gebetsfähnchen aufzuhängen und Gebete zu rezitieren. Jeder Bürger, der bei der Begehung dieses Tages in einer der genannten Weisen gefaßt wird, wird als ein "Separatist" behandelt und muß mit einer Gefängnisstrafe rechnen.

Teil 18

Schluss

Das TCHRD kann leider keinen Fortschritt bei der Unterdrückung der Religion in Tibet feststellen. Die Tibeter sehen sich weiterhin staatlichen Restriktionen, Kontrollen und repressiven Maßnahmen ausgesetzt und können ihr verfassungsmäßig garantiertes Recht auf Ausübung ihrer Religion und ihres Glaubens nicht wahrnehmen. Die grundlegende, gegen die Religion gerichtete Politik ist dieselbe geblieben, wobei es natürlich regionale Unterschiede in der Intensität und Schwankungen in der Häufigkeit ihrer Anwendung gibt. Solange, wie die Behörden argwöhnen, daß ein Zusammenhang zwischen tibetischem Buddhismus und dem im Exil lebenden Dalai Lama besteht, gibt es wenig Hoffnung, daß China seine derzeit betriebene Politik, der Manifestation von Religion und Gelehrsamkeit in Tibet keinen Spielraum zu gewähren, mildern oder revidieren könnte.

Fußnoten 1 TIN, Briefing Paper, Relative Freedom? Tibetan Buddhism and Religious Policy in Kardze, Sichuan, 1987-1999.

2 Min Pao, "Die zentralen Regierungsbehörden halten das vierte Arbeitsforum zu Tibet ab, um den religiösen Einfluß des Dalai Lama zu neutralisieren", Internet-Version auf Chinesisch, Hong Kong, 19. Mai 2001.

3 AP (USA), "Dalai Lama not shunned", 11 Sept. 2003, Christopher Bodeen, www.sfgate.com.

4 Tibet Bureau, Geneva, Tibet: 59th Session of the UN Commission on Human Rights, May 2003, under title "European Union and other countries raise Tibet at UN Human Rights Forum".

5 Meister Yicheng, der Präsident der Buddhistischen Vereinigung Chinas, sagte: "Die Entwicklung des Buddhismus ist eng mit dem Fortschritt der Gesellschaft und dem Gedeihen der Wirtschaft verbunden. Die volle Umsetzung der Politik der Freiheit der religiösen Überzeugung und eine nachhaltige und stabile soziale und politische Atmosphäre haben Chinas Buddhismus in eine goldene Ära geführt. Buddhisten sollten ihre Religion und ihr Land auf eine Art und Weise, wie sie der Zeit entspricht, lieben. Heutzutage sind unsere Grundprinzipien, dem Gesetz Respekt zu zollen, gute Beziehungen unter den Nationalitäten aufrecht zu erhalten, die Integration des Mutterlandes zu fördern und beim Aufbau des Sozialismus mitzuhelfen".

6 CRF News Update: Jan - Mar 2003, compiled by Amy Tai, HRIC, China's Right Forum, The Journal of Human Rights in China, No. 1, 2003.

7 AFP Beijing, "China vows to stop illegal religious activities", 13 Jan 2003.

8 Nach der chinesischen Version von Tibet Daily: "Begreife die wahre Natur der Dalai-Clique, widersetze dich dem Spaltertum und erhalte die Stabilität", 10 März 1995 (siehe "Tibet Authorities to crack down on religion, splittism", SWB, 28 March 1995. Drei Tage später erschien eine tibetische Version desselben Artikels in Tibet Daily).

9 Published in FBIS, 7 Juni 1996, "Tibet Five-Year Plan, and long-range target".

10 Tibetan Review, "China cites Dalai Lama in anti-terror drill", Dec 2003.

11 Das Kloster Khangmar liegt in der Gemeinde Sangkar, Distrikt Marthang, TAP Ngaba, Provinz Sichuan. Es beherbergt um die 120 Mönche und bis zu der genannten Festnahme war es abgesehen von gelegentlichen Routinebesuchen relativ frei von Eingriffen der chinesischen Behörden.

12 Die Lehre vom "Rad der Zeit" des tibetischen Buddhismus.

13 Lobsang Damchoe starb am 31. Januar 2003 im Alter von 65 Jahren nach langem Siechtum in Gyantse. Als überzeugter Verfechter der Gerechtigkeit unterstützte Lobsang trotz schwerer Restriktionen seitens der chinesischen Behörden Gedhun Choekyi Nyima offen als die Wiedergeburt des Panchen Lama. Lobsang wurde 1997 aus medizinischen Gründen aus der Haft entlassen.

14 Schriftliches Statement der "International Fellowship of Reconciliation" (IFOR), einer NGO mit besonderem Beraterstatus bei der 59. Sitzung der Menschenrechtskommission, 2003; Punkt 9 der provisorischen Tagesordnung, Frage der Verletzung der Menschenrechte und Grundfreiheiten in irgendeinem Teil der Welt.

15 TIN, Relative Freedom? Tibetan Buddhism and Religious Policy in Kardze, Sichuan, 1987-1989, S. 12.

16 Ibid. S. 13: "... Erstens müssen wir die Propaganda verstärken, um die große Schar der Kader, die Massen und Personen des religiösen Lebens dazu zu bringen, daß sie die Politik, die sich auf die Bedeutung und die Erfordernisse der Reinkarnation von Lebenden Buddhas bezieht, verstehen, und wir müssen, was die Reinkarnation von Lebenden Buddhas betrifft, den Geist der Rundschreiben und der darin enthaltenen Bestimmungen in unsere tatsächliche Arbeit integrieren. Zweitens müssen wir den Arbeitsmethoden Achtung schenken und den Fortschritt sehen. Wir sollten neue Lebende Buddhas innerhalb der Grenzen erlaubter Reinkarnation akzeptieren, und separat die korrekte Folge für die Reinkarnation bestimmen. (1) Keine im Ausland erfolgte Anerkennung eines reinkarnierten Kindes oder von solchen, die selbst im Ausland leben, darf akzeptiert werden. (2) Diejenigen, welche im Land leben, die den Bestimmungen und Bedingungen entsprechen und als Reinkarnationen bestätigt wurden, können gebührend als 'kindliche Wiedergeburte' akzeptiert und anerkannt werden, aber wir müssen die Prozeduren streng prüfen und billigen. (3) Es gibt einige Klöster, wo ein reinkarniertes Kind bereits im Ausland anerkannt wurde. In einem solchen Fall können wir ein anderes bestimmen, der religiösen Zeremonie folgend Lose werfen und nach Prüfung durch die Regierung und deren Billigung eines von ihnen ernennen. (4) Hinsichtlich derer, die bereits ein 'fait accompli' sind, die von den Massen anerkannt werden, und wo es schwierig wäre, unmittelbar ein anderes zu bestimmen, mag es eine vorübergehende Verzögerung bei der Handhabung der Sache geben. (5) Wir sollten die erzieherische Arbeit hinsichtlich der Kinder-Reinkarnationen, die schon anerkannt sind, verstärken, wir sollten dafür sorgen, daß sie zu einer neuen Generation von patriotisch gesinnten religiösen Persönlichkeiten der neuen Ära heranwachsen. (6) Bei der Anerkennung von Lebenden Buddhas sollten wir uns strikt vor extravaganten Zeremonien hüten und keine Verschwendung treiben".

17 Diese vier höherrangigen Mönche waren nicht willens, den Kandidaten Pekings, welcher ein Sohn von zwei getreuen Parteikadern ist, zu akzeptieren. Agya Rinpoche, der Abt des Klosters Kumbum, in dem der 10. Panchen Lama einen großen Teil seiner Kindheit verbracht hatte, setzte sich ins Exil in die USA ab, nachdem er sich geweigert hatte, den Dalai Lama anzuschwärzen und Pekings Panchen zu fördern. Chadrel Rinpoche, der einflußreiche Abt des dem Panchen Lama eigenen Klosters Tashi Lhunpo wurde wegen angeblicher heimlicher Kontakte zum Dalai Lama öffentlich als Feind des Mutterlandes verdammt, und steht jetzt unter Hausarrest. Gunthang Rinpoche, ein angesehener religiöser Gelehrter aus Labrang Tashi Khyil, ist ernstlich erkrankt.

18 Patrick French, Tibet, Tibet: A Personal History of a Lost Land, Chapter 5, pp 59-60.

19 Für mehr Information zu dem Fall, siehe www.tchrd.org/press/2003/pr20030828.html.

20 Weitere Information siehe Broschüre des TCHRD "Unjust Sentence: A Special Report on Trulku Tenzin Delek", http://www.tchrd.org/pubs/trulku/Trulku.pdf.

21 http://www.tibetinfo.net/news-updates/nu141099.hml.

22 Siehe auch Kapitel über "politische Unterdrückung" in diesem Bericht.

23 TCHRD, Human Rights Update, June 2003, www.tchrd.org.

24 www.tchrd.org/press/2003/pr2003300602.html.

25 Khenpo Jigme Phuntsok ist am 11. Januar 2004 überraschend gestorben, siehe www.igfm-muenchen.de/tibet/tchrd/2004/KhenpoJPDies.html.

26 Als bei der 59. Sitzung der UNCHR 2003 der Punkt bürgerliche und politische Rechte diskutiert wurde, brachte auch der Sonderbeauftragte für Religionsfreiheit, Mr. Abdelfattah Amor (Tunesien), dessen Amt 1986 von der Menschenrechtskommission geschaffen wurde, seinen Jahresbericht ein. Die Chinesen gaben auf mehrere seiner Interventionen wegen der Lage der Religionsfreiheit in Tibet eine offizielle Antwort.

27 New York Times, "All living Buddhas have to be patriotic", 9 Nov. 1998.

28 TCHRD Jahresbericht 2002, "Institutionalisierung der religiösen " im Kapitel "Das Recht auf Religion und Glauben", siehe www.igfm-muenchen.de/tibet/Reports/AnnualReport2002.html.

29 In dem Report des US State Department 2003 steht, Pekings "patriotische Umerziehungs-Kampagne" sei offiziell abgeschlossen worden.

30 Tibet Daily (chinesische Ausgabe), Artikel von Yu Dun'rui mit dem Titel "Beharrt in dem doppelten Ansatz und intensiviert den Kampf gegen die Spalter", 30. Jan. 1995, SWB, 5 April 1995.

31 Bei dieser offiziellen Mission der Sonderbeauftragten für das Recht auf Bildung ist es gerade das dritte Mal, daß Peking themenspezifische Sachbearbeiter der UN Menschenrechtskommission zu einem Besuch in China oder Tibet eingeladen hat. 1994 und 1997 empfing China den Sonderberichterstatter für die Religionsfreiheit und die Arbeitsgruppe für willkürliche Verhaftung, wobei beide Missionen Tibet besuchen konnten.

32 Gesamtbericht, siehe http://www.unhchr.ch/Huridocda/Huridoca.nsf.

33 Chaksam Chori liegt zwischen den Landkreisen Lhoka Gongkar und Chushul. Chaksam Chori ist ein heiliger Berg, und zu religiös wichtigen Zeiten und Festen kommen tibetische Pilger hierher, um ihn zu umwandeln. Einige der Eremiten waren schon sehr lange im Retreat.

34 Human Rights Update Oct 2003: "Liebe dein Land, liebe deine Religion" - eine Kampagne im Kloster Ragya.

35 Patrick French, Tibet, Tibet: A Personal History of a Lost Land, p. 59.

36 Ibid, p. 65.

37 Patrick French, Tibet, Tibet: A Personal History of a Lost Land, pp 82-83.

38 Geshe Sonam Thargye floh aus Tibet und nach 18 Jahren in Indien ließ er sich in Geelong, Victoria, nieder, wo er nun Buddhismus praktiziert und lehrt.

39 Die im Distrikt Ngaba (chin. Aba xian), Präfektur Ngaba, Sichuan, gelegene Ngaba Kirti Klosterschule wurde 1994 gegründet. Sie war ein Segen für die armen Bauern und Nomaden der Gegend, die von der Hand in den Mund leben und keine Mittel für die Erziehung ihrer Kinder aufbringen können. Die Popularität der Schule wuchs immer mehr und Ende 1998 zählte sie um die 800 monastische Schüler.

40 Weitere Information über den Fall, siehe www.igfm-muenchen.de/tibet/tchrd/2003/NgabaKirti.html.

41 Mündliche Intervention von Jonathan Sission, "Bürgerliche und politische Rechte, einschließlich der Frage religiöser Intoleranz", Internationale Gesellschaft für Aussöhnung, Genf, 4-6 April 2001.

42 Voller Titel: Guanyu Ganzi Zangu zizhizhou zongjiao shiwu hongguan guanli de yanjiu (Research into the overall management of religious affairs in Kardze TAP) Zongjiao zhengce, pp. 297-312.

43 Art. 5, Kap. 2, Organisation von Klöstern der Buddhistischen Vereinigung der Provinz Sichuan, Überprüfungsmaßnahmen für das Management tibetisch-buddhistischer Klöster, besagt: "Klöster müssen demokratische Verwaltungsorgane einsetzten, um eine demokratische Verwaltung zu gewährleisten und sie müssen die Führung durch die ihnen übergeordneten Buddhistischen Vereinigungen akzeptieren".


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Kapitel 3: Entwicklung

- zum Nutzen Pekings!
Inhalt
  1. Einführung
  2. Der Bevölkerungstransfer ist illegal und völkerrechtswidrig
  3. Ignorierung der Gesetze über Regionale Autonomie
  4. Der neue große Sprung nach vorn
  5. Eine Infrastruktur zum Nutzen Chinas
  6. Umweltschutzgesetzen wird keine Geltung verschafft
  7. Die Eisenbahn von Gormo nach Lhasa
  8. Entwicklung als Instrument zur politischen Kontrolle
  9. Schluß

Teil 1

Einführung

Das TCHRD berichtete in seinem Jahresbericht von 2002 im Kapitel "Recht auf Entwicklung", wie dem tibetischen Volk das Recht vorenthalten wird, sich an den viel gepriesenen Entwicklungsprojekten, die gegenwärtig von der PRC in Tibet realisiert werden, zu beteiligen. In dem Kapitel wurde auch dargelegt, wie den Tibetern das Recht verweigert wird, sich gegen die Entwicklungsprojekte auszusprechen oder zu protestieren, die ihnen selbst, ihrer natürlichen Umgebung und ihren Interessen abträglich sind.

Chinas Prioritäten bei der Entwicklung Tibets im Rahmen des zehnten Fünfjahresplans und des Westchina-Entwicklungsprogramms (Western Development Program) sind: Erdöl und Erdgas-Pipelines, Salzgewinnung und petrochemische Industrie, Kupferabbau und Chrom- und Goldbergwerke, reihenweise Bau von Staudämmen für Wasserkraftwerke und Überlandleitungsnetze, um die weit entfernten chinesischen Großstädte und die Industrie mit der notwendigen Energie zu versorgen, und schließlich eine neue Eisenbahnstrecke, um leichteren Zugang zu den Ressourcen in Tibet zu bekommen und schnell Truppen bewegen zu können. Die Erfahrung in China selbst hat jedoch gezeigt, daß eine solch einseitige urbane Ausrichtung und Kapitalanlage in erster Linie der Stadtbevölkerung zugute kommt, und die Mehrheit der Bevölkerung, also die auf dem Lande lebenden Bauern und Arbeiter, von einem nachhaltigen Wirtschaftswachstum ausgeschlossen bleiben.

Der diesjährige Bericht befaßt sich mit der Entwicklungspolitik und den Auswirkungen, welche die von China heutzutage in Tibet verwendeten Entwicklungsmodelle und Methoden hervorrufen. Peking behauptet, das materielle und kulturelle Leben des tibetischen Volkes habe sich beträchtlich verbessert, wobei es sich nur auf das "beachtenswerte" und "alle Rekorde brechende" wirtschaftliche Wachstum bezieht. Denn China sieht als Hauptgrund für die vermeintliche Verbesserung des Lebensstandards der Tibeter das allgemeine Wirtschaftswachstum, die Subventionen und den Aufbau der Infrastruktur in den urbanen Zentren und den Orten der Ressourcengewinnung.

Die gänzliche Vernachlässigung der kulturellen und sozialen Rechte des tibetischen Volkes, wie sie in anderen Kapiteln dokumentiert wird (ebenso wie von internationalen Menschenrechtsgruppen, die den allgemeinen Mangel an Freiheit in allen Einzelheiten beschreiben), macht Pekings Anspruch auf Entwicklung auf dem Hochplateau zunichte.

In den tibetischen Regionen bestimmt alleine China die Prioritäten und Strategien für die Entwicklung der tibetischen Bevölkerung, und es sieht sich in der Rolle des wohlwollenden Staates, der am besten die Bedürfnisse der Tibeter kennt. Es wird aber immer klarer, daß Chinas Entwicklungspolitik weitgehend fehlgeschlagen ist und die gegenwärtige Entwicklungsstrategie die Wirklichkeit und die Bedürfnisse der Menschen nicht berücksichtigt. Wenn die jetzige Entwicklungspolitik weiterverfolgt wird wie bisher, wird dies nur noch größere Einkommensunterschiede hervorrufen und das tibetische Volk weiter marginalisieren - also genau das Gegenteil von den in ihr erklärten Zielen bewirken.

Die Autonome Region Tibet (TAR) und die tibetisch bewohnten Gebiete, die den chinesischen Provinzen einverleibt wurden, sind für Peking wenig mehr als ein riesiges Rohstofflager und Orte, die den chinesischen Zuwanderern gute Beschäftigungsmöglichkeiten bieten. Während also die Entwicklung in der Region von der chinesischen Zentralregierung für ihre eigenen Zwecke reguliert wird, wird durch dieses Vorgehen die Einkommensdisparität zwischen chinesischen Zuwanderern und einheimischen Tibetern noch verschärft. Nur eine Rückkehr zu dem verbrieften Recht der Tibeter, die Entwicklung in ihrem eigenen Lande mitzubestimmen, könnte dieses der Wirtschaft schädliche Ungleichgewicht korrigieren und dem tibetischen Volke seine Rechte zurückgeben.

China begreift nicht oder ignoriert bewußt, daß unter diesen Umständen alle entwicklungspolitischen Aktivitäten, also auch die des Westchina-Entwicklungsprogramms, im Rahmen der gemachten Investitionen dem Ausbau der tibetischen Kapazitäten äußerste Priorität einräumen sollten. Dies ist auch ein wesentlicher Bestandteil des Rechtes auf Entwicklung, wie es von den Vereinten Nationen definiert wurde.

Es ist viel wichtiger, eine Entwicklung voranzutreiben, die dem tibetischen Volk ein menschenwürdiges Leben garantiert, als die von Ressourcen, Industrie, Infrastruktur und städtischen Siedlungen, wie sie jetzt im Namen der menschlichen Entwicklung oder der Armutsbekämpfung betrieben wird.

Amartya Sen, Träger des Wirtschaft-Nobelpreises, auf dessen grundlegendes Rahmenwerk zur Entwicklung der unabhängige UN-Experte für das Recht auf Entwicklung zurückgreift, drückt es in seiner Schrift "Development as Freedom" folgendermaßen aus: "Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung ist es nicht richtig, nur auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts oder auf einige weitere Indikatoren einer allgemeinen Wirtschaftsexpansion zu blicken. Wir sollten auch darauf achten, welchen Einfluß Demokratie und politische Freiheiten auf das Leben und die Entfaltungsmöglichkeiten der Bürger haben".

Das Völkerrecht anerkennt das Recht auf die Kontrolle der eigenen Entwicklung als ein wesentliches Element der Selbstbestimmung. Um aus dem Internationalen Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR) zu zitieren: "Alle Völker haben das Recht auf Selbstbestimmung. Kraft dieses Rechts entscheiden sie frei über ihren politischen Status und gestalten in Freiheit ihre wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung" (Art 1).

Obwohl China den ICESCR im Jahr 2001 ratifizierte, hat es sich in Wirklichkeit überhaupt nicht darum bemüht, dem Geist des Vertrags zu folgen, noch beabsichtigt es, ihn in die Tat umzusetzen. China ist gegenüber der internationalen Gemeinschaft vertragsbrüchig geworden. Die Zentralregierung verletzt die dem tibetischen Volk aus diesem Vertrag zustehenden Rechte, indem sie die strategische Kontrolle der Entwicklung Tibets für sich in Anspruch nimmt und die taktische Kontrolle vor Ort in den mehrheitlich tibetischen Präfekturen den sie umgebenden, nicht von Tibetern verwalteten Regionen und Provinzen überträgt.

In der Praxis hat diese Mißachtung des Völkerrechts die Lebensqualität der Tibeter ausgehöhlt und ihre Umwelt beeinträchtigt, während die wertvollen natürlichen Ressourcen des Landes in die von Han-Chinesen besiedelten Gebiete - also der Ethnie, welche die Zentralregierung dominiert - transferiert werden.

Zuweilen wird der Umstand, daß den Tibetern ihr Recht auf Entwicklung verweigert wird, auch als internationale Entwicklungshilfe oder als Joint Venture und von außen angebotene Kooperation verbrämt. Absatz 1.2 des ICESCR spezifiziert, daß die internationale Investition nicht als Argument herangezogen werden darf, um den Menschen ihre Rechte außer Kraft zu setzen:

"Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden."

Ob sie nun von der chinesischen Regierung oder von ausländischen Investoren ausgeht, sind Abbau und Transfer der Naturschätze der Tibeter - sogar unter der chinesischen Besatzung - widerrechtlich und ebenso ist die Verweigerung ihres Rechtes, die Entwicklung auf ihrem Hochland selbst zu bestimmen, völkerrechtswidrig.

Das Recht der Völker, über ihre eigene Entwicklung selbst zu bestimmen, ist in der UN Erklärung über das Recht auf Entwicklung niedergelegt und wird im Internationalen Pakt über Bürgerliche und Politische Rechte sowie im ICESCR erklärt. Die chinesische Zentralregierung und die von ihr eingesetzten regionalen, provinzialen, präfekturalen und städtischen Verwaltungen in Tibet haben dieses Recht an sich gerissen und es dem tibetischen Volk weggenommen, was ihm, seiner Umwelt und seinen Naturschätzen nur Schaden bringt. Chinas Methode, den Tibetern die Kontrolle über ihre eigene Entwicklung zu entziehen, steht nicht nur im Widerspruch zum internationalen Recht, sondern auch zu seinen eigenen Gesetzen.

Teil 2

Der Bevölkerungstransfer ist illegal und völkerrechtswidrig

Der unabhängige Experte der UN Menschenrechtskommission für das Recht auf Entwicklung weist darauf hin, daß "bei dem Recht auf Entwicklung in dem jeweiligen Staat die Individuen als Kollektiv, ebenso wie Gruppen in diesem Kollektiv Rechtsträger sind, so wie es bei Minderheiten der Fall ist".

Professor Sengupta führt weiter aus, daß die UN Erklärung über das Recht auf Entwicklung (Declaration on the Right to Development), die 1986 verabschiedet wurde, das Recht auf Entwicklung als ein menschliches Recht, dessen Mittelpunkt die "ständige Verbesserung und... die Wohlfahrt der gesamten Bevölkerung und aller ihrer Individuen" bildet, versteht. Die Forderung nach legitimen demokratischen Strukturen gehört zum Recht auf Entwicklung, das, wie die zitierte Erklärung deutlich macht, die Achtung für die bürgerlichen und politischen Rechte mit einschließt...

"Minderheiten... haben wenig oder keinen Zugang zu irgendeiner Form politischen Einflusses oder öffentlicher Partizipation, weshalb die allgemeine Entwicklung eines Landes im Hinblick auf ihre Fähigkeit zur Entwicklung meistens gar nichts beiträgt. Der Respekt vor den hergebrachten Normen der Minderheiten und einheimischen Völker, die Beendigung der Diskriminierung, die Garantie ihrer Partizipation und die richtige Einschätzung der Auswirkungen der Entwicklungspolitik: All das gehört zu den Erfordernissen für die Realisierung des Rechtes auf Entwicklung "(1).

Die menschliche Entwicklung und die Menschenrechte sind sowohl Grundlage als auch Ziel internationaler wie auch nationaler Gesetze, Verträge und aller Theorien über Entwicklung und Selbstbestimmung. Sie sind keine Bestätigung der Macht der Regierung, sondern der Macht des Volkes. Chinas Model für die Entwicklung Tibets verzögert und vereitelt die menschliche Entwicklung des tibetischen Volkes, indem es letzteres seiner Selbstbestimmung beraubt - in diesem Falle seines Rechtes, seine eigene Entwicklung, sowohl die seiner Menschen als auch die seines Landes, zu kontrollieren.

Von der Entwicklung Tibets unter chinesischer Herrschaft haben zunächst die Chinesen und Tibeter im Staatsdienst und die vielen Han-Chinesen, die im Rahmen der Bevölkerungspolitik nach Tibet umgesiedelt wurden, am meisten profitiert. Ein Bevölkerungstransfer von dieser Größenordnung stellt eine Verletzung sowohl des chinesischen als auch des Völkerrechtes dar.

Erzählungen von Tibetreisenden und Reportagen von Journalisten bestätigen das von der chinesischen Regierung publizierte Eingeständnis, nämlich, daß Tibet mit einer neuen Bevölkerung von nicht-tibetischen Migranten, hauptsächlich von der Han-Ethnie aus den überbevölkerten chinesischen Provinzen, überflutet wird.

Es gibt inzwischen Millionen von Chinesen in Tibet, besonders in den östlichen Teilen. Obwohl Tibet über eine große räumliche Ausdehnung verfügt, ist es dieser rasch steigenden Bevölkerungszahl nicht gewachsen, weil nicht einmal 2 % der Oberfläche für den Ackerbau nutzbar und über 60 % Grasland sind. Bereits in den Anfangsjahren der Revolution büßte Tibet seine stabile Nahrungsmittelsicherheit ein, es kam zu Hungersnöten, und viele Menschen starben am Hunger(2).

Den offiziellen Statistiken Chinas zufolge beträgt die tibetische Gesamtbevölkerung um die 10 Millionen; doch wie viele Beobachter kommentierten, beziehen diese Statistiken das militärische Personal ebensowenig mit ein, wie die große Masse arbeitssuchender chinesischer Bauern, die entwurzelt und ständig unterwegs sind. Die gesamte erfaßte Einwohnerzahl der Autonomen Region Tibet, der Provinz Qinghai und der Tibetisch Autonomen Präfekturen in den Provinzen Gansu, Sichuan und Yunnan beträgt offiziell 10,295 Mio. Personen(3). Diese Zahl übertrifft bei weitem die (geschätzte) Zahl an Menschen, welche das tibetische Hochland in geschichtlichen Zeiten jemals auszuhalten und zu ernähren hatte.

Bereits 1987 brachte der frühere Panchen Lama bei seinen Reden vor dem Nationalen Volkskongreß der PRC seine große Besorgnis gegenüber einer der Strategien zum Ausdruck, welche die Bevölkerung Tibets durch Chinesen ersetzte, und den Preis, den das tibetische Volk dafür zu zahlen habe:

"Als Genosse Hu Yaobang Tibet 1980 besuchte, beschloß er, alles überflüssige chinesische Personal aus Tibet abzuziehen. Wir sehen darin eine weise Entscheidung. Was für einen Sinn hat es denn, nutzlos Leute herumsitzen zu haben... Einen einzigen Chinesen in Tibet zu unterhalten, kostet so viel wie vier in China. Warum sollte Tibet für ihre Ernährung aufkommen? Tibet hat wegen der verfehlten Politik, die ihm eine große Zahl nutzloser Leute aufbürdete, ungeheuer viel gelitten. Am Anfang waren es nur ein paar Tausend chinesischer Einwohner in Tibet, aber heute hat sich ihre Zahl um ein vielfaches vermehrt..."(4).

Teil 3

Ignorierung der Gesetze über Regionale Autonomie

Die Besetzung des tibetischen Territoriums bedeutet an sich schon eine grundsätzliche Leugnung des Rechtes auf Entwicklung. Die von der Zentralregierung verfügte Umsiedlung von Han-Bürgern nach Tibet nimmt dem tibetischen Volk entscheidende Elemente für seine menschliche Entwicklung wie Bildung, wirtschaftliche Chancen und Selbstbestimmung.

Dem chinesischen Gesetze zufolge hätten die Tibeter theoretisch die Möglichkeit, die Han- Einwanderung zu unterbinden. Der Art. 43 des Gesetzes der VR China über die Regionale Nationale Autonomie gibt den lokalen Regierungen die Vollmacht, die Immigration von anderen Gegenden Chinas zu regulieren. So besagt der Artikel:

"In Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen haben die Organe der Selbstverwaltung der nationalen autonomen Gebiete Maßnahmen zur Kontrolle der nichtansässigen Bevölkerung auszuarbeiten"(5).

Die Politik des Bevölkerungstransfers mag im Falle Tibets von den Tagen der Herrschaft Maos bis zur Gegenwart variiert haben, doch an der Praxis hat sich nichts geändert. Chinesische Siedlungen wurden in der Deng Xiaoping Ära konsolidiert, als dieser während eines Besuchs in den Vereinigten Staaten 1987 den Mangel an Beschäftigungsmöglichkeiten und lokaler Kontrolle so zu rationalisieren versuchte:

"Tibet kann sich nicht von sich aus entwickeln... Es sollte die Hilfe von den ihm brüderlich verbundenen Provinzen und Stadtbezirken [in China] suchen... Wir müssen eine große Anzahl von Han-Genossen nach Tibet bringen, damit sie dort wissenschaftliches und technisches Know-how vermitteln können, ihre Erfahrung im Management einbringen und Tibet helfen können, Experten für Wissenschaft, Technik und Management auszubilden, um die wirtschaftliche Entwicklung voranzutreiben"(6).

Seinem Wort getreu - wenn auch nicht den Gesetzen seines Landes - ermutigte Premier Deng Xiaoping in den neunziger Jahren die Umsiedelung ganzer Horden von Chinesen nach Tibet.

Ein weiteres chinesisches Gesetz, das sonst überall in Kraft ist, aber im Falle Tibets - zum Schaden der örtlichen Bewohner und ihres Rechts auf Entwicklung - aufgehoben ist, ist der hukou oder die Wohngenehmigung. Überall in China werden oftmals infolge des komplizierten Systems der Genehmigungen verheiratete Ehepaare in gehobenen Berufen auseinander gerissen, oder es werden die Kinder von Eltern, die versetzt wurden, von diesen getrennt. Ohne hukou bleibt jedem chinesischen Bürger, der sich außerhalb seines eingetragenen Wohnortes niederläßt, der Zugang zur Gesundheitsvorsorge, zur Bildung, ja sogar die Wahrnehmung seiner politischen Rechte verwehrt.

Doch die Tibeter, die unter der chinesischen Besatzung leben, genießen nicht einmal diesen grundlegenden gesetzlichen Schutz vor Masseneinwanderung aus ärmeren Regionen. So verwehrt die chinesische Regierung dem tibetischen Volk auch noch diesen ganz gewöhnlichen und sonst überall vorhandenen Schutzmechanismus vor unkontrollierter Wirtschaftsmigration - beispielsweise garantiert er den Bürgern Pekings, Shanghais und Hongkongs ihre Arbeitsplätze und ihre Lebensqualität.

Durch diese Flut von außen aufgedrängter Entwicklungsmaßnahmen haben die chinesischen Herrscher den Tibetern ein wichtiges Menschenrecht genommen, nämlich das Recht, ihre eigenen Ressourcen zu entfalten. Mit der Aufhebung der sonst üblichen Gesetze zur Einholung einer Wohngenehmigung und der Präferenzpolitik der Zentralregierung gibt Peking seine stillschweigende Einwilligung zu der Überflutung Tibets mit Han-Migranten. Es sind dies sowohl Unternehmer als auch ungelernte Arbeiter, die in ihrer Heimatregion keine Arbeitsmöglichkeiten haben und gierig alle Chancen ergreifen, welche die Entwicklung einer Region ihnen bietet. Dem Völkerrecht sowie der chinesischen Gesetzgebung zufolge stehen diese jedoch der einheimischen und traditionellen Bevölkerung des Landes zu. Auf diese Weise wird die Han-Kontrolle über die Entwicklung in Tibet konsolidiert.

Die tibetische Wirtschaft hat in den letzten Jahren einen Anstieg der Kosten bei den staatlichen Diensten zu verzeichnen, also im urbanen Dienstleistungssektor und der Administration, dem Handel, dem Transport, dem Finanzwesen und den sozialen Diensten. Von 1989 bis 2001 schnellten die vom Staat subventionierten Ausgaben allein in der TAR von 890 Mio. Yuan (etwa 100 Mio. US$) auf 6,91 Mrd. Yuan (etwa 850 Mio. US$). Diese enormen Zuschüsse der Zentralregierung fließen hauptsächlich in die Gehälter der staatlichen Bediensteten, von denen die meisten Han-Zuwanderer sind. Der Anstieg der Lohnkosten weist nicht nur auf eine vermehrte Immigration und die immer größer werdende Kontrolle der Chinesen über Tibet hin, sondern zeugt auch von einer enormen Steigerung bei den Ausgaben der Zentralregierung und den Investitionen im Verhältnis zu der gesamten tibetischen Wirtschaft. In demselben Zeitraum stieg der Anteil der staatlichen Dienste von 41,1 % des gesamten Wirtschaftsaufkommens auf 49,8 %, was etwa die Hälfte der gesamten Wirtschaft bedeutet(7). Die Statistiken zeigen, daß der Trend im übrigen China - nämlich weg von einem auf erhöhten Regierungszuschüssen basierenden Wirtschaftswachstum - im Falle der TAR gerade umgekehrt ist.

Aus den nächsten offiziellen Berichten wird sicher hervorgehen, daß die Staatsausgaben und die damit einhergehende Kontrolle noch mehr zugenommen haben. Nach Beendigung des dritten Arbeitsforums zu Tibet und dem Start von 62 Projekten auf dem Hochland vergrößerte sich der staatliche Sektor in der Wirtschaft Ende der 90er Jahre ganz gewaltig. Die Wachstumskurve wurde noch steiler, nachdem das vierte Arbeitsforum weitere 117 Projekte für die Autonome Region Tibet angekündigt hatte.

In dieser Kalkulation waren militärische Ausgaben nicht mit eingerechnet, und wenn sie es gewesen wären, dann wäre die Kluft zwischen der staatlich kontrollierten Wirtschaft, also der Wirtschaft der Zuwanderer, und dem, was dem tibetischen Volk von dem ganzen Reichtum und den Entwicklungsmöglichkeiten noch übrig geblieben ist, noch viel größer. Die meisten Tibeter stützen sich, was ihren Lebensunterhalt anbetrifft, auf eine landwirtschaftliche Subsistenzwirtschaft, weshalb sie von vornherein von dem Boom in der staatlichen Wirtschaft ausgeschlossen sind.

Teil 4

Der neue große Sprung nach vorn

Das Westchina-Entwicklungsprogramm, von dem auch in unserem Jahresbericht 2002 die Rede war, geht nun schon ins dritte Jahr. 1999 ging Präsident Jiang Zemin ins Detail und präzisierte in seiner Rede vor dem Forum über die Reform der staatseigenen Unternehmen die Motive für die Kontrolle der Entwicklung in Tibet durch China. Jiang gab den Startschuß zu dem gigantischen neuen Entwicklungsprogramm unter der Bezeichnung "Western Development Strategy". Diese Initiative würde "die nationale Einheit stärken, die soziale Stabilität gewährleisten und den Schutz der Grenze konsolidieren", fügte er hinzu. Kurz gesagt, der Zweck von Chinas Entwicklungspolitik in Tibet ist die Beschleunigung der Pläne der Zentralregierung für den Ausbau der Infrastruktur, wonach sich eine echte regionale Wirtschaft von alleine herausbilden soll.

Im Mittelpunkt der Western Development Strategy steht die Investition in harte Infrastruktur wie Fernstraßen, Eisenbahnen, Pipelines, Abbau der Bodenschätze, Staudämme, Kraftwerke und Bewässerungsanlagen. Die weiche Infrastruktur wird auf den zweiten Platz verwiesen, also das Gesundheitswesen, die Bildung und der Ausbau der menschlichen Ressourcen, wobei gerade dies zu mehr Beschäftigungsmöglichkeiten vor Ort und Partizipation an dem Modernisierungsprozeß führen würde. Die Western Development Strategy mißt der Investition in die einheimische Landwirtschaft und Viehhaltung wenig Gewicht bei, obwohl die Mehrheit der Bevölkerung im Westen Chinas, besonders die nicht-chinesischen Volksgruppen, die am schlimmsten unter der Armut leiden, unter diese zwei Rubriken fallen.

Obwohl es zu früh ist, um die Richtung, die dieses Programm nehmen wird, und seine Auswirkungen zu beurteilen, kann man bereits sagen, daß Pekings Annahme, damit würden nun ausländische Investitionen von beachtlichem Volumen hereinfließen, sich nicht erfüllt hat. In den neunziger Jahren zogen sich einige ausländische Kapitalgesellschaften und internationale Organisationen aus chinesischen Projekten in Tibet zurück. Das Welternährungsprogramm, die Weltbank und die Europäische Union machten ihre Beteiligung an Projekten in Tibet rückgängig, wobei sie Bedenken wegen der Menschenrechtslage, dem Mißmanagement ihrer chinesischen Partner und der Korruption in Regierungskreisen als Gründe angaben(8).

Eine Analyse der Wirtschaft in den von Tibetern bewohnten Regionen zeigt jedoch, daß China beabsichtigt, Tibet mit Han-Migranten zu überfluten, die Grenzen Tibets zu militarisieren und die natürlichen Ressourcen des Landes nach Zentralchina zu transferieren. Indessen zeichnet die staatliche chinesische Presse unentwegt ein Bild von der chinesischen Entwicklung in Tibet, das an den Großen Sprung nach vorn erinnert, und mit den sonst in China gängigen Medienberichte über die privatisierte Wirtschaft seit Dengs Reformen wenig zu tun hat.

Chinas staatlich kontrollierte Medien präsentieren Tibet als eine von rückständigen Gesellschaften bewohnte Wildnis, die vor ihrer eigenen Wettbewerbsunfähigkeit gerettet werden müssen. Mit dieser Sichtweise wird die ländliche tibetische Bevölkerung in den Augen der ehrgeizigen urbanen Han-Chinesen herabgewürdigt. Indem die Medien das Volk der Tibeter mit Begriffen wie "einer uralten Kultur angehörend", "mystisch" und "rückständig" beschreiben, stellen sie die von China in Tibet betriebene Entwicklung ihrem vorwiegend han-chinesischen Publikum als einen Akt des Wohlwollens dar. In diesem Zusammenhang verwandelt sich der Abtransport der Ressourcen aus Tibet zu der völlig harmlosen Nutzung verhandener Werte, die andernfalls an "primitive Leute" verschwendet würden".

Teil 5

Eine Infrastruktur zum Nutzen Chinas

Während einer staatlich organisierten Tour 40 ausländischer Medienvertreter durch Tibet im August 2003 wurde der Verwaltungschefin der Provinz Shannan (tib. Lhoka) die Frage gestellt, was in Tibet denn passieren wird, wenn die Infrastruktur erst einmal vollständig aufgebaut ist(9). Lakonisch meinte sie: "... was danach kommt, wissen wir nicht".

Diese Antwort besagt, daß das Land für Chinesen entwickelt wird und nicht für Tibeter. Und genau das ist sowohl das Ziel als auch das Resultat der Western Development Strategy. Wie Jiang Zemin 1999 ankündigte, muß Tibet zusammen mit Westchina entwickelt werden, aber nicht aus wirtschaftlichen Gründen, sondern um Chinas Kontrolle über die Region zu festigen und seine militärische Position gegenüber den Nachbarn zu konsolidieren.

In einigen Gegenden auf dem Hochplateau hat die kommerzielle Erschließung inzwischen zu einem hohen Grad an Industrialisierung geführt. Das Tsaidam Becken in Nordtibet ist ein trockener Sedimentkessel, der über Erdöl, Erdgas und Salz aus den zahlreichen Salzseen sowie viele andere Mineralien verfügt. Dieser Reichtum erlaubt China jährlich 2 Mio. Tonnen Erdöl aus Tibet in die chinesischen Raffinerien zu leiten und petrochemische Industriekomplexe in Tibet zu errichten, die aber keine Tibeter beschäftigen. Der Herstellung von Kunstdünger aus Kaliumkarbonat (Pottasche) kommt in dem Westchina-Entwicklungsprogramm ebenso wie der Industrie zur Gewinnung von Magnesium in Qinghai ein hoher Stellenwert zu - und beide beruhen sie auf dem hohen Mineralsalzgehalt der nördlichen Seen. Diesen Industriekomplexen fehlt es gewöhnlich an der erforderlichen Technologie für eine sachgerechte Entsorgung ihrer Abwässer und Abfälle, weshalb sie die Umwelt in hohem Grade verschmutzen - als Beispiel sei auf den giftigen Fluorid-Ausstoß aus der Aluminium-Schmelzhütte in der Nähe der mitten in tibetischem Ackerbaugebiet gelegenen Stadt Tongren (tib. Rebkong) verwiesen(10).

Der Ausbau der Strecke Yangpachen-Lhasa der Fernstaße von Gormo nach Lhasa zeigt deutlich, welcher Art die chinesische Entwicklung in Tibet ist. Das Ausbauprojekt dient militärischen Zwecken und dem Bevölkerungstransfer, ohne die Bedürfnisse der Bevölkerung auch nur im geringsten in Betracht zu ziehen und ohne lokale Arbeitskräfte einzusetzen. In einem Bericht heißt es:

"Dies ist ein Beispiel für ein technisches Vorzeige-Objekt, das auf dem Import von Kapital, Technologie und Arbeitskraft nach Tibet beruht, ohne irgend etwas davon an die Tibeter weiterzugeben. Dieser 80 km lange Streckenabschnitt verläuft durch eine Flußschlucht und wurde vollständig neu gebaut; die solide Randbefestigung mit Steinen und der Straßenbelag wurden von einer großen Schar von wandernden chinesischen Maurern und anderen Straßenarbeitern ausgeführt, was schätzungsweise 400 Mio. Yuan, oder 48 Mio. US$ kostete. Im Juni und Juli 2001 wurde auch für den Ausbau der Hauptstraßen in Lhasa eine riesige Zahl von chinesischen Straßenbauarbeitern angeheuert. Die Bauarbeiten folgten einem Muster, das man im letzten Jahrzehnt in den meisten Städten Tibets beobachten konnte, nämlich die Finanzierung durch die Zentral- oder die Provinzregierung. Die moderne Art und Weise des Straßen- und Städtebaus, die Technik und das dabei verwendete Material waren den lokalen tibetischen Arbeitern völlig fremd, weshalb chinesische Wanderarbeiter, die mit den angewandten Techniken vertraut sind, angestellt wurden(11).

Teil 6

Umweltschutzgesetzen wird keine Geltung verschafft

Ebenso wie bei der Western Development Strategy nicht in Betracht gezogen wird, ob sie der örtlichen Bevölkerung Nutzen oder Schaden bringt, gibt es auch keine Untersuchungen über ihre Auswirkungen auf die Umwelt - weder auf lokaler noch auf nationaler Ebene. Der Bau von riesigen Staudämmen in Tibet und China ist sowohl im In- als auch im Ausland umstritten, denn sie bedeuten sowohl für die Menschen als auch für die Umwelt ein großes Risiko, und ein Dammbruch löst eine gewaltige mit einem Nuklearunfall vergleichbare Katastrophe aus.

Die Liste der Schäden, den China seiner eigenen Umwelt zufügte, ist zu lang, um sie hier wiederzugeben, und auch die Chinesen selbst werden allmählich der Probleme gewahr, die sie geschaffen haben. Um die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen, hat Peking neue Verordnungen erlassen, welche die zentralen Planer zur Einbeziehung lokaler Informationen und Prüfung wissenschaftlicher Einwände verpflichten. Die neuen Gesetze fordern sogar, daß öffentliche Anhörungen abgehalten werden.

Während diese Gesetze bei neuen Bauprojekten langsam in den Überprüfungs-Prozeß integriert werden, hat der besondere Blickwinkel, unter dem Tibet jetzt gesehen wird, nämlich als "die nationale Schatzkammer im Besitz der Regierung in Peking", dem neuen Schutzgedanken für Leben und Umwelt wohl Gestalt gegeben - aber keine Durchsetzungskraft.

Ein Beispiel ist der Megoe Tso oder Yeti See in der "Gongga Mountain National Scenic Area" in der TAP Kardze in West-Sichuan, wo Mitte 2003 ein krasser Mißbrauch der neuen Umwelt-Schutzmechanismen für Tibet dokumentiert wurde. Dort wurde nach einem eintägigen Proforma-Meeting mit örtlichen Vertretern ein Staudammprojekt, für das die Huaneng Gruppe die Pläne entworfen hatte, gebilligt: Unabhängigen chinesischen Wissenschaftlern war vorher nicht erlaubt worden, diese biologisch einzigartige Gegend zu besuchen, die zudem stark erdbebengefährdet ist(12).

Wieder einmal ist es die lokale Kontrolle der Entwicklung - vom Völkerrecht garantiert und sogar unter dem chinesischen Gesetz in gewisser Weise geschützt -, die den Tibetern von Peking konsequent verweigert wird, womit sie auch bei den hochsensiblen Entwicklungsprojekten jeglichen Mitspracherechts beraubt werden.

Teil 7

Die Eisenbahn von Gormo nach Lhasa

Die 100 Mrd. Yuan (12,1 Mrd. US$) teure Eisenbahnverbindung von Gormo nach Lhasa ist auch so ein Projekt im zehnten Fünfjahresplan der PRC, das derzeit von den Erfordernissen der lokalen Wirtschaft her gesehen nicht gerechtfertigt werden kann. Die Eisenbahn wurde bereits Mitte der Neunziger geplant, als überhaupt keine Notwendigkeit für sie bestand, und auch zu Beginn des gegenwärtigen Jahrhunderts ist es auch wirtschaftlichen Gründen immer noch nicht geboten, Lhasa durch eine äußerst kostenintensive Eisenbahnlinie mit Gormo zu verbinden. Geplant bereits von den Nationalchinesen vor dem Zweiten Weltkrieg, begonnen von den Kommunisten 1958 und fertiggestellt bis zu dem Zielbahnhof Gormo in Amdo (chin. Qinghai) erst 1982, hat dieses nur langsam vorankommende Bauprojekt die tibetischen Landstriche, durch welche der Schienenstrang verlegt wurde, schon in eine vorwiegend chinesische Region umgewandelt. Heute machen die Tibeter nur noch 21 % der 4,95 Mio. zählenden Bevölkerung von Qinghai aus.

2001 faßte ein BBC-Reporter zusammen: "Vierzig Jahre zuvor, ehe die Eisenbahn kam, war hier nichts außer offener Steppe und nomadisierenden tibetischen Viehhirten. Aber heute zählt Gormo 200.000 Einwohner, fast alles Immigranten aus Ostchina. Nicht einmal fünf Prozent der Bevölkerung der Stadt sind Tibeter".

Die meisten Arbeiter an der Eisenbahn sind zugewanderte Han-Chinesen. Wenn Tibeter gelegentlich einen Job bei dem Projekt bekommen, sind sie ganz unten auf der Lohnskala. Von den 38.000 Arbeitsplätzen wurden nur 6.000 an Tibeter vergeben. Und für die 10.000 Stellen für Fachpersonal war kein einziger Tibeter qualifiziert. Nicht genug, daß eine solche Disparität bei ihrem Status herrscht, die Löhne stehen erst recht in keinem Verhältnis zueinander: Facharbeiter erhalten elf Mal so viel wie ungelernte Hilfsarbeiter.

Wie auch immer, Peking hat den Schritt nicht gewagt, den dort lebenden Tibetern Macht zu übertragen. Statt dessen haben die Behörden zum Schein ein paar symbolische Maßnahmen getroffen, um die von vielen Seiten vorgebrachten Einwände, daß die Tibeter von den Entwicklungsmöglichkeiten ausgeschlossen bleiben und marginalisiert werden, zu entkräften. Eine der jüngsten derartigen Maßnahmen ist die Ankündigung Chinas, es würden nun 1.200 Tibeter zu dem ungewöhnlich hohen Tageslohn von 40 Yuan (weniger als 5 US$) für die Lhasa-Gormo Eisenbahnstrecke angeheuert, eine Vergütung, die weit über dem gegenwärtig üblichen Satz von 15 Yuan für die meisten tibetischen Arbeiter liegt.

Die für die Zukunft geplante Ausbeutung der Bodenschätze Tibets ist ein Grund für diese Eisenbahnlinie. Tibet ist reich an Mineralsalzen, Chrom, Kupfer und Gold. Entlang der Strecke wurden schon einige Kupferlager entdeckt(13). Einst werden also mit Erz beladene Eisenbahnwaggons zu den chinesischen Schmelzhütten hinunterrollen, in denen chinesische Arbeiter am Werk sind - gemäß dem Entwicklungsmuster der Chinesen. Aber so weit ist es noch nicht, denn die Bergwerke existieren noch nicht.

Die unmittelbare Notwendigkeit für die Eisenbahnlinie ist, wie die Chinesen selbst zugeben, die schnelle, sichere und kostengünstige Truppenbewegung. Bis jetzt reist das Militärpersonal, das in der TAR stationiert ist, per Eisenbahn nach Chengdu, Provinz Sichuan, und muß dort in ein Flugzeug nach Tibet umsteigen, weil "die Region noch nicht durch eine Eisenbahnlinie mit dem Rest des Landes verbunden ist"(14). Für Peking besitzt die Gormo-Lhasa-Eisenbahn in erster Linie militärische Bedeutung.

Von Anfang an gibt es bei der Gormo-Lhasa-Eisenbahnlinie Probleme im Zusammenhang mit der Höhenlage und den extremen klimatischen Bedingungen, sowohl was den eigentlichen Bau als auch den Betrieb betrifft. In letzter Zeit wurden auch die Umweltschäden, die das Projekt mit sich bringt, in Betracht gezogen, obwohl diese Diskussion wesentlich gedämpfter geführt wird als die Erörterung der technischen Aspekte.

Um welche Frage es nun auch gehen mag, die Eisenbahn, die Zentraltibet mit China verbinden wird, ist und bleibt ein Projekt zum Nutzen Chinas. Wie auch bei anderen Investitionen in die Infrastruktur, hat der Staat den Nutzen davon: größere Kontrolle über die lokale Bevölkerung, wachsendes militärisches Ansehen bei den Nachbarländern und eine verbesserte Anlieferung der Rohstoffe mit geringeren Kosten zu den chinesischen Fabriken. Während China die finanzielle Rechnung begleichen mag, wird der Preis, welchen Umwelt und Bevölkerung zu tragen haben, von Tibet bezahlt, und das tibetische Volk wird eines weiteren Aspektes seines Rechtes beraubt, seine Entwicklung und Zukunft selbst zu bestimmen.

Es ist nicht einmal gewiß, ob sich die finanzielle Investition in die Eisenbahnlinien oder in andere Infrastrukturprojekte auf dem Hochplateau jemals amortisieren wird, aber ganz sicher ist, daß diese Projekte nicht die wirtschaftlichen Probleme der Tibeter lösen werden, weder in der Planung noch in der Praxis. Investitionen in die Entwicklung schaffen gewöhnlich kurzfristig neue Arbeitsplätze, aber die Tibeter kommen nicht einmal in den Genuß dieses Nebeneffekts.

Teil 8

Entwicklung als Instrument zur politischen Kontrolle

Bei der Entwicklung Tibets geht es China nicht etwa darum, daß die temporär geschaffenen Arbeitsplätze zur Anhebung des Bildungsniveaus und zur Beseitigung der Armut der Bevölkerung dienen sollen, sondern dieser Staat betreibt mit öffentlichen Geldern Mammuth-Projekte, um das Problem der Arbeitslosigkeit in China zu lindern. Nicht-Tibeter und importierte Arbeitskräfte erhalten die besser bezahlten und von der Regierung finanzierten Arbeitsplätze in der Infrastruktur, während die Tibeter von dieser Möglichkeit praktisch ausgeschlossen werden. Infrastruktur-Projekte mögen in anderen Gegenden einen örtlich begrenzten Wirtschaftsboom hervorrufen, aber in Tibet schicken die importierten chinesischen Arbeiter das, was sie verdienen, nach Hause zu ihren Familien in den chinesischen Provinzen. Die Kapitalspritze aus Staatsgeldern, um die China so viel Aufhebens macht, wird so zu einem von der Öffentlichkeit unbemerkten Abfluß von persönlich verdientem Geld, wobei kaum etwas von den Löhnen der Arbeiter in Tibet hängenbleibt.

Von außen kommende Investitionen für Projekte, die von landesfremden Ingenieuren geplant und mit Arbeitskräften von außerhalb ohne Beteiligung oder Kontrolle durch die ortsansässige Bevölkerung durchgeführt werden, und bei denen die Bedürfnisse Außenstehender maßgeblich für die Ziele der Entwicklung sind, schaffen notwendigerweise eine Art von Unternehmen, die mit Verlusten arbeiten. Und das wiederum führt zum Absterben traditioneller lokaler Wirtschaftszweige und zur Zerstörung der Kultur durch eine Kombination des Transfers der lokalen Ressourcen, der Verachtung für die lokale Arbeitsleistung und die Arbeitskräfte sowie des erzwungenen Übergangs der Einheimischen zu einer ihnen fremden Lebensweise infolge von Armut. Zu diesen direkten Auswirkungen kommt durch die oben genannten Gründe noch hinzu, daß die tibetische Landwirtschaft allmählich zugrunde geht(15).

Die dreifache Zielsetzung der Western Development Strategy, nämlich die militärische Verteidigung, die Unterdrückung von Dissens und die politische Kontrolle, bildet nicht die richtige Grundlage für eine wirtschaftliche Entwicklung - weder für China noch für Tibet. Daher ist die von China betriebene Entwicklung Tibets sogar, was die chinesischen Wirtschaftsinteressen betrifft, kurzsichtig.

Die zukunftsträchtigsten Märkte in China verlangen heute gerade nach dem, was Tibet am besten produzieren kann - Gerste zum Bierbrauen, Wolle und Teppiche, Heilkräuter und Milchprodukte. Wenn Tibets traditionelle und moderne Güter, ebenso wie die kulturellen und geographischen Werte in Zukunft auf den Export hin ausgerichtet würden, dann wären logischerweise speziell verpacktes und verarbeitetes Fleisch, Milchprodukte und Kräuter die aussichtsreichsten Handelssparten. Nahrungsmittelspezialitäten aus dem einheimischen Ackerbau und der Viehhaltung würden die chinesische Kost verbessern, neue Produkte für den Exportmarkt schaffen und somit zur Lösung der tibetischen Wirtschafts- und Beschäftigungsprobleme beitragen.

Wenn man die tibetische Wirtschaft in ihrem jetzigen Stadium fördern und den Tibetern dazu verhelfen würde, in der nationalen und internationalen Wirtschaft Fuß zu fassen, dann wäre nur noch ein Bruchteil dessen, was China derzeit in den Aufbau der Infrastruktur investiert, erforderlich. Aber solche realistischen Lösungen sind der chinesischen Entwicklungsstrategie für Tibet fremd. Jiang Zemins Western Development Strategy wird weder den Anforderungen der tibetischen noch denen der chinesischen Wirtschaft gerecht.

Die bei der Western Development Strategy gesetzte Priorität von Investition in Infrastruktur entspricht nicht den unmittelbaren Bedürfnissen der Tibeter, noch berücksichtigt sie die menschlichen und geographischen Ressourcen Tibets oder die Probleme der Armen, die in der traditionellen Landwirtschaft und Viehzucht arbeiten.

Die chinesischen Planer blicken nur auf die kulturellen und wirtschaftlichen Gegebenheiten der im Flachland wohnenden Han-Bevölkerung und haben nur ihre eigenen politischen und militärischen Zwecke vor Augen. Sie betrachten ihr eigenes Heimatland als den nationalen Standort für Herstellung, Export und Handel und die nicht-chinesischen Gebiete im entfernten Westen nur als Rohstofflieferanten für ihre Unternehmen und Entwicklungsbedürfnisse.

Teil 9

Schluss

Es überrascht nicht, daß einige führende chinesische Wirtschaftswissenschaftler, so wie Hu Angang, unumwunden zugeben, daß die Entwicklungspolitik, die China nun schon seit 50 Jahren in Tibet verfolgt, fehlgeschlagen ist, und daß es für einen ganz neuen Ansatz Zeit ist, der auf den tatsächlichen Erfordernissen basiert. Die Erfahrung der vergangenen 50 Jahre Entwicklung auf dem tibetischen Hochland hat gezeigt, daß die urban-orientierten Wachstumsstrategien, die auf Subventionen beruhen, zu einer immer größer werdenden Einkommensdisparität zwischen der urbanen und der ländlichen Bevölkerung führen, ebenso wie zwischen den einheimischen ethnischen Tibetern und den Angehörigen anderer Ethnien.

Die Politik des Transfers von fachlichem Know-how und von außerhalb der Region ausgebildeten Fachkräften, deren Ziel die Ankurbelung der Wirtschaft ist, hatte eine nicht vorhergesehene Wirkung auf die Tibeter. Das Resultat ist die Vernachlässigung der beruflichen Ausbildungsprogramme für Tibeter und ihren effektiven Ausschluß von den meisten Arbeitsmöglichkeiten, die höhere Löhne und eine Chance bieten würden, sich über die Armutsschwelle zu erheben.

Nur wenn man die Logik des gegenwärtigen Trends erkennt, kann man eine Politik vorschlagen, die den tatsächlichen Bedürfnissen angepaßt ist. Es wäre weise, auf ein altes chinesischen Sprichwort zu hören: "Um den Weg nach vorne zu kennen, frage die, die zurückkommen". Auf der anderen Seite des Himalaya haben Nepal und Bhutan viel Erfahrung mit verschiedenen Entwicklungsalternativen gewonnen, so etwa mit einer Entwicklung, die von den dörflichen Gemeinschaften ausgeht, der sozialen Forstwirtschaft, der ländlichen Entwicklung mit Partizipation, dem Ökotourismus und der geschlechtsspezifischen Entwicklung. Ihre Erfahrung liefert eine Menge an Information und Anleitung bei der Inangriffnahme der Entwicklungstätigkeit in gebirgigen Binnen-Regionen mit einer empfindlichen Ökologie.

Die grundlegende Frage für diejenigen, die in der Zentralregierung die Politik machen, sollte sein, wie man am besten die Errungenschaften von raschem Wachstum und Modernisierung der armen tibetischen Bevölkerung, die von der Subsistenz-Wirtschaft und der nomadischen Viehhaltung abhängt, weiterreichen kann. Es ist entscheidend, daß das oberste Ziel aller Entwicklungsaktivitäten, einschließlich der zum Westchina-Entwicklungsprogramm gehörenden, sein sollte, mit den getätigten Investitionen die wirtschaftlichen Fähigkeiten der Tibeter aufzubauen. Dies sind Erwägungen, die sich in das Gedankengut des von den Vereinten Nationen geschützten Rechtes auf Entwicklung fügen.

Fußnoten 1 Margot Salomon und Arjun Sengupta, The Right to Development: Obligations of state and the rights of minorities and indigenous peoples, Minority Rights Group, 2003.

2 TIN (1997) A Poisoned Arrow: The Secret Report of the 10th Panchen Lama, London, p. 29.

3 Ausgehend von den Daten der letzten statistischen Provinz-Jahrbücher beträgt die Bevölkerung der TAR 2,62 Mio, diejenige von Qinghai 5,18 Mio, diejenige der als tibetisch bezeichneten Präfekturen von Sichuan 1,72 Mio, diejenige der tibetischen Präfektur von Gansu 443.000 und diejenige der tibetischen Präfektur von Yunnan 332.000, siehe auch: TIN: Overview of the Tibetan population in the PRC from the 2000 census: www.tibetinfo.net/news-updates/2003/3009.htm.

4 Rede des Panchen Lama vor dem ständigen Ausschuß der TAR bei dem Nationalen Volkskongreß, Beijing (28 March 1987), veröffentlicht als The Panchen Lama Speaks, Department of Information and International Relations, Dharamsala, 1991.

5 Gesetz der VR China über die regionale nationale Autonomie, 1984, www.novexcn.com/regional_nation_autonomy.html.

6 Tibet Daily, 4 June 1994, "Tibet article urges correct nationalities view", quoted in Warren Smith, "Tibetan Nation: A History of Tibetan nationalism and Sino-Tibetan Relations", p. 637.

7 Tibet Statistical Yearbook 2001 and China Statistical Yearbook, 2002.

8 Carole Samdup, Human Rights Tribune, Spring 2002, Vol 9, No. 1.

9 AFP, "PRC Pouring cash into Tibet, official says", 23 August 2003, Online source http://www.etaiwannews.com/Asia/2003/08/23/1061605481.htm.

10 TIN, Mining Tibet, 2002, pp. 147-180.

11 Arthur Holcombe, 2001. Die Auswirkungen der Wirtschaftsreform und der Politik der Öffnung auf den Lebensstandard der örtlichen einheimischen Bevölkerung: Der Fall Tibets, Online source: www.ksg.harvard.edu/cbg/Conferences/financial_sector/ImpactofEconomicReformandOpeningUpPolicies.pdf.

12 Wen Huang, "Destroying a natural treasure in the name of progress", South China Morning Post, 16 August 2003.

13 TIN, Mining Tibet, 2002, p. 35.

14 "China transports army recruits mostly by rail", Xinhua, 10 Dec. 2003.

15 Nyima Tashi, Tej Partap, Liu Yanhua 2002 Making Tibet Food Secure: Assessment of Scenarios, Kathmandu, ICIMOD.


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Kapitel 4: Der Lebensunterhalt

- Subventionen reines Blendwerk

Inhalt:

  1. Einführung
  2. Armut trotz Wirtschaftsboom
  3. Entwicklung führt zur Vertreibung der Tibeter
  4. Staudämme bedrohen den Erwerb des Lebensunterhalts
  5. Umwelt-Kampagnen bereiten den Nomaden Sorge
  6. Der Bericht von Ata, einem Nomaden aus der TAR
  7. Gesundheit, SARS und HIV
  8. Tourismuspolitik
  9. Die Behörden vertrauen nur chinesischen Guides
  10. Schluß

Teil 1

Einführung

Seit über fünf Jahrzehnten, nämlich seit Mao Zedongs Volksbefreiungsarmee (PLA) Tibet "befreit" hat, behauptet Peking steif und fest, es habe das Hochland gewaltig entwickelt, und der Lebensstandard der Tibeter sei wesentlich verbessert worden. China berichtet, daß sich die Autonome Region Tibet (TAR), die den mittleren und westlichen Teil des traditionellen Tibets ausmacht, heutzutage einer jährlichen wirtschaftlichen Wachstumsrate erfreue, die so hoch ist, daß sie in den letzten fünf Jahren bei durchschnittlich über 10 % lag. 2001 habe die TAR mit 12,8 % sogar die höchste Wachstumsrate in ganz China erzielt.

So meldet das China-Tibet Informationszentrum in Peking:

"... Nach der friedlichen Befreiung Tibets 1951 war es das gemeinsame Anliegen der Zentralregierung und der Bürger Chinas, dem tibetischen Volk bei der Entwicklung seiner Wirtschaft und der Verbesserung seiner Lebensbedingungen zu helfen, und das blieb ein wichtiger Aspekt bei Chinas Modernisierungsbemühungen. Die chinesische Zentralregierung schenkte der wirtschaftlichen Entwicklung Tibets besondere Aufmerksamkeit. Vom Anfang der fünfziger Jahre an bis 1997 ließ die Zentralregierung Tibet die verschiedensten Subventionen, Hilfsleistungen und Investitionen zukommen, die sich insgesamt auf über 40 Mrd. Yuan belaufen. Von 1952 bis 1993 unterstützte die Zentralregierung Tibet mit 19,1 Mrd. Yuan Finanzhilfe, was über 87 % seiner gesamten Einkünfte ausmachte. Von 1994 an betrugen die Zuteilungen an Finanz- und Aufbaumitteln für Tibet über 3 Mrd. pro Jahr, wovon das meiste für Sozialeinrichtungen und die allgemeine Verbesserung der Lebensqualität der Menschen verwendet wurde"(1).

Der Staat veröffentlicht zahlreiche Berichte, in denen die in den Regionen mit tibetischer Bevölkerung erfolgten Investitionen genau aufgeführt sind. Statistiken über die Milliarden von Yuan, die der Staat für Entwicklungsprojekte in Tibet ausgibt, werden über die offiziellen Medien bekannt gegeben, während gleichzeitig die wirklichen Lebensumstände, unter denen das tibetische Volk lebt, bewußt unerwähnt bleiben. Stillschweigend leiden die Tibeter unter dem, was der Staat "Entwicklungsprojekte" nennt.

Der Staat wirbt für "Umweltkampagnen", um die Fehler der Vergangenheit bei dem unverantwortlichen Umgang mit der empfindlichen Ökologie des tibetischen Hochlandes wieder gutzumachen. Aus dem, was Flüchtlinge dem TCHRD 2003 erzählten, geht jedoch hervor, daß Tibeter, die im Rahmen von Staudammprojekten umgesiedelt werden, durch leere Versprechungen von der Regierung betrogen werden und ein immer erbärmlicheres Dasein fristen müssen.

Der Art. 11 des Internationalen Paktes über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) lautet:

"Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit an".

China ratifizierte den ICESCR im Oktober 1997, weshalb es gesetzlich verpflichtet ist, dafür Sorge zu tragen, daß seine Bürger in den Genuß der in diesem Vertrag festgelegten Rechte kommen. Die Machthaber in Peking argumentieren jedoch unentwegt, wirtschaftliche Sicherheit sei vordringlicher als politische Freiheitsrechte(2).

Dieses Kapitel befaßt sich anhand von vier Kriterien mit dem Recht des tibetischen Volkes auf die Bestreitung seines Lebensunterhalts: Armut in Tibet, Entwicklungsprojekte und ihre negativen Folgen für die Tibeter, Gesundheit und Tourismus.

Teil 2

Armut trotz Wirtschaftsboom

Jedes Jahr weist die chinesische Regierung den Rest der Welt erneut darauf hin, wie viele Millionen von Yuan sie in die Region pumpe, um Tibet zu wirtschaftlichem Aufschwung zu verhelfen. Glaubwürdige Statistiken zu Tibet zeigen jedoch, daß die meisten Tibeter immer mehr der Verarmung anheimfallen. In dem China Human Development Report für 1997, 1999 und 2002 des UNDP (United Nations Development Programme) steht bei der Einstufung nach dem UN-Index für menschliche Entwicklung die Autonome Region Tibet immer noch an unterster Stelle(3). Die anderen chinesischen Provinzen, denen das traditionelle tibetische Territorium einverleibt wurde, nämlich Qinghai, Gansu, Yunnan und Sichuan, befinden sich mit anderen armen Provinzen Chinas ebenfalls ziemlich weit unten.

Die Anhebung der ländlichen Einkommen steht bei der Zentralregierung ganz oben auf der Prioritätenliste. Bei der wichtigen Konferenz des Nationalen Volkskongresses und der ebenso wichtigen der Politischen Beratungskonferenz des chinesischen Volkes (Chinese People's Political Consultative Conference), die beide im März 2003 in Peking stattfanden, wurde der Frage der Einkommenssteigerung der Landbevölkerung soviel Aufmerksamkeit wie noch nie zuvor geschenkt(4). Anders als China, das der Anhebung der Einkommen großes Gewicht beimißt in der irrigen Annahme, daß ein Anstieg in der Einkommensstatistik unter Absehung von allen anderen Indikatoren für Armut ein Beweis für deren Ausrottung wäre, beurteilt das UNDP die menschliche Entwicklung anhand der Indikatoren Gesundheit, Bildung und Einkommen in ihrer Gesamtheit.

Ausgehend von den Indikatoren für menschliche Entwicklung zeigen die Human Development Reports des UNDP, daß der Unterschied zwischen Chinas am meisten und am wenigsten entwickelten Provinzen vergleichbar ist mit der Kluft, die zwischen den industrialisierten Nationen der westlichen Welt und den Ländern der dritten Welt herrscht, die am wenigsten entwickelt sind.

Unabhängige Studien haben Chinas Armutsbekämpfungsprogramme wegen ihrer Ineffektivität kritisiert(5). Die staatlichen Initiativen zur Armutsbekämpfung in Tibet sind derart, daß man sich fragen muß, wen sie eigentlich begünstigen. Tatsache ist, daß die Reichen reicher werden und die Armen arm bleiben. Der ungeheure Einkommensunterschied zwischen ländlichen und urbanen Haushalten bereitet den Politikern der PRC Kopfzerbrechen. 2001 war das Stadt/Land-Einkommensgefälle in der TAR unter Zugrundelegung des tatsächlichen Verbrauchs der Haushalte das drittgrößte in China(6).

Obwohl die Städte in Tibet einen modernen Anstrich haben, zeigen Untersuchungen, daß die Armutsbekämpfungsprogramme viele Not leidende Teile der Bevölkerung, besonders in ländlichen Gegenden, nicht erreicht haben und diese letztlich mehr den Reichen als den Armen zugute gekommen sind. Die Mehrheit der Tibeter lebt auf dem Lande und ernährt sich vom Ackerbau und nomadischer Viehhaltung. Statistiken zeigen, daß 85 % der Tibeter Landbewohner sind, und daß die ländlichen Gegenden fast ausschließlich von Tibetern bewohnt sind(7). 2001 waren 72 % aller Beschäftigten in der TAR in der Landwirtschaft tätig, oder genauer 75 % der tibetischen Werktätigen der Provinz, und fast 90 % der insgesamt auf dem Lande Beschäftigten.

TAR: Brutto-Inland-Produkt und Anteil an der Primär-, Sekundär- und Tertiär-Industrie

(Zahlen in Mrd. Yuan [1$=8Yuan]; Zahlen in Klammern zeigen den prozentualen Anteil jedes Industriezweiges an)

Jahr
Bruttoinlandprodukt
Primärindustrie
Sekundärindustrie
Tertiärindustrie
1989
2.19
1.00 (45.9%)
0.28 (13.0%)
0.89 (41.1%)
1992
3.33
1.66 (49.8%)
0.44 (13.4%)
1.22 (36.8%)
1995
5.59
2.34 (41.9%)
1.33 (23.8%)
1.92 (34.3%)
1998
9.12
3.13 (34.3%)
2.024 (22.2%)
3.96 (43.5%)
2001
13.87
3.75 (27.0%)
3.22 (23.2%)
6.91 (49.8%)

Quelle: Statistisches Jahrbuch Tibet 2001 und Statistisches Jahrbuch China 2002

TAR: Beschäftigung nach Art der Industrie

(Zahlen pro 1.000 Einwohner, Zahlen in Klammern zeigen den prozentualen Anteil jedes Industriezweiges an)

Jahr
Gesamt
Primärindustrie
Sekundärindustrie
Tertiärindustrie
1989
1,075.6 (100)
867.9 (80.7 %)
43.0 (4.0%)
164.7 (15.3%)
1992
1,109.2 (100)
867.4 (78.2 %)
46.7 (4.2%)
194.7 (17.6%)
1995
1,150.9 (100)
895.1 (77.8%)
56.2 (4.9%)
199.6 (17.3%)
1998
1,202.2 (100)
892.7 (74.3%)
68.7 (5.7%)
240.8 (20.0%)
2001
1,246.0 (100)
895.0 (71.8%)
81.0 (6.5%)
270.0 (21.7%)

Quelle: Statistisches Jahrbuch Tibet 2001 und Statistisches Jahrbuch China 2002

TAR: Brutto-Inland-Produkt: jährliche Wachstumsrate pro Sektor

Jahr BIP-Gesamtwachstumsrate Primärindustrie Sekundärindustrie Tertiärindustrie
China
TAR
1999
7.1
9.6
5.3
16
10.3
2000
8.4
9.4
2.1
14.1
12.9
2001
7
12.8
3.1
17.6
16.6

Quelle: Statistisches Jahrbuch Tibet 2001 und Statistisches Jahrbuch China 2002

Wirtschaftlich gesehen gehören die Tibeter in den Primärsektor. Nach diesen offiziellen chinesischen Statistiken sieht es so aus, als ob von dem langsamen landwirtschaftlichen Wachstum hauptsächlich die Tibeter profitierten. Die staatlichen Subventionen für Tibet, um die so viel Wind gemacht wird, werden jedoch in erster Linie in den sekundären und tertiären Sektor gepumpt, wo die Beteiligung der Tibeter ziemlich gering ist. Die Wirtschaft wächst vielleicht in den urbanen Gebieten, doch an den tibetischen Landbewohnern, die in keinem festen Arbeitsverhältnis stehen, geht der Wirtschaftsboom vorbei, was von der langsamen Wachstumsrate in der Landwirtschaft und der extremen Armut im ländlichen Tibet reflektiert wird.

Teil 3

Entwicklung führt zur Vertreibung der Tibeter

Art. 1(2) des Internationalen Paktes über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR), den China im März 2001 ratifizierte, lautet:

"Alle Völker können für ihre eigenen Zwecke frei über ihre natürlichen Reichtümer und Mittel verfügen, unbeschadet aller Verpflichtungen, die aus der internationalen wirtschaftlichen Zusammenarbeit auf der Grundlage des gegenseitigen Wohles sowie aus dem Völkerrecht erwachsen. In keinem Fall darf ein Volk seiner eigenen Existenzmittel beraubt werden".

Das viel gepriesene Western Development Program der PRC, das zuerst 1999 lanciert wurde, führt oft dazu, daß Tibeter ihre Heimatregion verlassen müssen, um Platz für die "Entwicklung des Mutterlandes" zu schaffen. Während man meistens vor allem auf die positiven Aspekte der Entwicklung achtet, müssen unbedingt auch die Auswirkungen auf die Menschen gesehen werden, die in der Projekt-Zone leben und in Mitleidenschaft gezogen werden. Die tibetischen Bewohner in den Projekt-Gebieten haben ebenso ein Recht auf ihren Lebensunterhalt. Ihre Stimmen werden jedoch nicht gehört, und wenn sie sich auf Tradition und Gesetz berufen, wird ihnen nach Regierungslogik entgegnet, daß "alles über der Erde und unter der Erde - Wälder, Flüsse und Meere - Eigentum des Staates" sei.

Teil 4

Staudämme bedrohen den Erwerb des Lebensunterhalts

Staudämme, die der Stolz von Nationen auf dem Weg der Entwicklung sind, haben sich oftmals für viele Menschen als verhängnisvoll erwiesen, besonders für diejenigen, die in der Zone um das Projekt herum ansässig sind. Die Regierung prahlt mit den Dämmen, die angeblich für Strom und Wasser in weit entfernt liegenden Regionen sorgten. Die Vertreibung der von dem Projekt direkt betroffenen Bewohner wird jedoch oft durch leere Phrasen wie "für die Umsiedlung der Bewohner wird gesorgt" verschleiert.

2003 erfuhr das TCHRD, daß über 17.000 Tibeter, die sich auf acht Gemeinden in den Distrikten Barkham und Chuchen in der TAP Ngaba, Provinz Sichuan, verteilen, innerhalb von drei Jahren wegen eines Staudammprojekts umgesiedelt würden(8). Der Staudamm, der Shuang-Jang-Kou Dianzahn genannt wurde, soll bis 2006 fertiggestellt werden - und es wird eifrig an ihm gebaut. Den von diesem Projekt betroffenen Tibetern wurde per Anordnung mitgeteilt, daß sie ihr angestammtes Land zu verlassen hätten. In der Anordnung stand jedoch nichts davon, wohin sie umgesiedelt würden.

Die betroffenen Bewohner appellierten an die Behörden und fragten, wie sie denn ihren Lebensunterhalt bestreiten sollten, doch die Petition stieß auf taube Ohren. Eine Umsiedlung hat langfristig oft ernste Konsequenzen, wenn nämlich die Leute die magere Entschädigung, die sie vom Staat erhalten, aufgebraucht haben. Die Tibeter, die ohnehin hart zu kämpfen haben, um sich angesichts der Urbanisierungspolitik zu behaupten, wären nach ihrer Umsiedlung völlig marginalisiert. In ihrer neuen Umgebung wäre ihre von alters her bewährte Methode der Lebenshaltung nicht länger praktikabel. Und in Ermangelung anderer Fertigkeiten, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten, sehen sie keinen anderen Ausweg, als betteln zu gehen.

Seit einigen Jahren wurden Lhasa und andere urbane Gebiete Tibets von Bettlern aus ländlichen Gegenden überschwemmt. Viele Tibeter wurden Opfer der vom Staat verordneten Urbanisierung und Infrastrukturprojekte, die sie in die Städte ziehen ließen, um sich irgendwie am Leben zu erhalten.

Teil 5

Umwelt-Kampagnen bereiten den Nomaden Sorge

Am 16. April 2003 rief die Regierung per Anordnung zu einer Aktion auf, Gras entlang der drei großen Flüsse Osttibets, dem Machu, Drichu und Zachu, anzupflanzen, um der Wüstenbildung und Bodenerosion im Gefolge des Hochwassers von 1998 entgegenzuwirken(9). In derselben Anordnung wurde befohlen, den Viehbestand zu begrenzen, um das Weideland zu schützen. Beides löste Besorgnis bei den dort lebenden Nomaden aus. Die tibetischen Nomaden aus der TAP Golog und Yushul sind nun von Umsiedlung und Zerstörung ihrer traditionellen nomadischen Kultur bedroht. Einem Xinhua Bericht vom 17. April 2003 zufolge hatte die chinesische Regierung im April 2003 beschlossen, große Flächen von Nomadenland in geschütztes und kontrolliertes Grasland umzuwandeln. Die Aktion, die schon begonnen hat, soll in fünf Jahren abgeschlossen sein. Die offizielle Begründung lautet, daß 70 % der Weidegebiete des Distrikts Matoe bereits verödet seien. Die Regierung plant eine Fläche von 1.540 mu (1 mu = 67 m2) einzuzäunen und zum Schutz neu mit Gras zu bepflanzen. Um dies zu bewerkstelligen, hat die Regierung vor, 27.679 Nomaden, die bisher von diesem Land gelebt haben, in andere Gegenden umzusiedeln.

Dem TCHRD ging ein Brief von Einwohnern der TAP Golog zu, die angesichts der baldigen Umsetzung dieser Politik ihrer Besorgnis und Angst Ausdruck verleihen. Die Nomaden sehen in der Kontrolle ihrer Weidegründe eine Bedrohung ihrer traditionellen Lebensgrundlage und ihrer nomadischen Lebensweise. Laut einem Bericht von Xinhua beinhalten die vom Staat angeordneten Maßnahmen zwar eine Art Kompensation, wie etwa eine geringe Beihilfe von 2,75 kg Getreide für ein mu (1 mu = 67 m2) Boden und Arbeitsbeschaffung für die Umgesiedelten. Die Nomaden lehnen den ganzen Plan jedoch ab, weil sie sich bereits im Erziehungswesen und der Berufsausbildung benachteiligt sehen. Generationenlang haben sie mit ihren riesigen Yak- und Schafherden von diesem Grasland gelebt. Ein Tibeter kommentierte, die Reduzierung des Viehbestands und die Umsiedlung der Nomaden von ihrem angestammten Land sei für sie so, wie wenn ein Fisch aus dem Wasser geholt wird.

Chinas Umsiedlungspolitik und die Beschränkung der Herdengröße respektiert weder die Geschicklichkeit noch die Erfahrung der tibetischen Nomaden bei der nachhaltigen Bewahrung ihres Weidelandes. Solche Maßnahmen zerstören die Lebenskraft und Existenzgrundlage der tibetischen Kultur und nehmen den Nomaden ihr Recht auf Lebensunterhalt. Personen, die es wagen, gegen die Regierungspolitik aufzumucken, werden als "anti-national" gebrandmarkt.

Tibeter, die zur Umsiedlung gezwungen wurden, brachten diesen Umstand auch mit dem Verdacht in Zusammenhang, daß auf ihrem bisherigen Land unter dem Deckmantel der "Umweltverbesserung" nach Bodenschätzen gegraben werden könnte(10). Ata, ein 30-jähriger Nomade aus dem Kreis Gonjo, Präfektur Chamdo, TAR, mußte aus Tibet fliehen, weil er gegen die Anordnung der Regierung, für die sogenannte Umweltkampagne zur Anpflanzung von Bäumen Platz zu schaffen, protestiert hatte, und es zu einer heftigen Auseinandersetzung mit den dortigen Kadern gekommen war. Ata zufolge war die Baumpflanz-Aktion in Wirklichkeit nur ein Vorwand, um die Bewohner umzusiedeln, damit in dieser Gegend Bergbau betrieben werden könnte(11).

Die UN gaben nach ihrer Fachtagung über Zwangsräumung 1997 Richtlinien im Hinblick auf die entwicklungsbedingte Vertreibung von Teilen der Bevölkerung heraus(12). Diese Richtlinien, die gleichermaßen für staatliche wie auch für von privatwirtschaftlichen Konzernen initiierte Entwicklungsprojekte gültig sind, sichern den betroffenen Menschen das Recht zu, über das Projekt informiert und bei den Umsiedlungsplänen konsultiert zu werden, gegen die Räumung bei einem unabhängigen Gerichtshof oder Untersuchungsausschuß klagen zu können, vor Gewaltanwendung oder Einschüchterung im Verlauf der Räumungsaktion geschützt zu sein, eine angemessene Entschädigung zu erhalten, falls ihnen ihr Land und Besitz weggenommen wird und/oder an einem ihnen genehmen Ort angesiedelt zu werden(13). Die Tibeter, deren Leben durch die vom Staate geförderten Entwicklungsprojekte und Umsiedlungsaktionen ruiniert wird, wurden jedoch weder konsultiert noch überhaupt gefragt. Die Tatsache, daß die Einheimischen bei den staatlichen Projekten keine "aktive, freie und sinnvolle Partizipation an der Entwicklung und der fairen Verteilung des von ihnen erbrachten Nutzens" haben, bedeutet eine Verletzung des Rechtes des tibetischen Volkes auf die Verfolgung seiner eigenen "wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung".

Teil 6

Der Bericht von Ata, einem Nomaden aus der TAR

"Die Behörden erklärten uns, sie müßten im Hinblick auf den Schutz der Umwelt nun in dieser Gegend Bäume anpflanzen, doch jedermann hier weiß, was ihre wahre Absicht ist - nämlich ein großes Projekt zum Abbau von Bodenschätzen zu starten. Das Gerede von der Wiederaufforstung ist nur ein Lippenbekenntnis, denn die Einheimischen haben sich immer so verhalten, daß der empfindlichen Umwelt keinerlei Schaden zugefügt wurde.

Um uns von hier wegzukriegen, griffen die Behörden seit 2001 entweder zu Zwangsmaßnahmen oder versuchten uns zu manipulieren. Sie sicherten uns zu, falls wir der Aufforderung zum Wegzug Folge leisteten, bekämen wir einen anderen Ort zugewiesen, wo wir als Halbnomaden ausgezeichnet leben könnten.

Das den Tibetern gegebene Neuland liegt in den Kreisen Kongpo Gyamda und Tarmo. Die von den Umsiedlungsmaßnahmen Betroffenen sind Nomaden aus den Kreisen Boomkye, Chago, Zhangpa, Migtoe und Gonjo der Präfektur Chamdo, TAR. Wahrscheinlich werden noch mehr von Nomaden bewohnte Gebiete in Mitleidenschaft gezogen werden.

Viele Personen, die von den politischen und wirtschaftlichen Hintergründen dieses Programms keine Ahnung hatten, zogen tatsächlich bald daraufhin um. Aber nachdem sie an den neuen Ort umgesiedelt waren, erfüllten die Behörden kein einziges ihrer Versprechen. Statt den zugesagten 70.000 Yuan erhielten die einzelnen Familien nur 150 Yuan und 50 gyama Getreide (1 gyama = 500 g). Was noch schlimmer ist, das Land, das sie bebauen sollten, erwies sich als ein steiniger mit nur wenig Erde bedeckter Boden. Deshalb besteht dort auch nach Jahren keine Aussicht auf einen normalen Ackerbau.

Ich war gerade in Lhasa, als mit der Umsiedelung begonnen wurde. Eines Tages erhielt ich aus meinem Heimatort die Anweisung, sofort zu kommen, um mein Haus und mein Weideland den Behörden zu übergeben. Außerdem sollte ich mich für ein neues Landstück, das mir zugeteilt würde, eintragen lassen.

Zu Hause angekommen, traf ich mit einigen Nachbarn zusammen, um das Problem zu besprechen; wir diskutierten, ob wir dieser Politik zustimmen sollten oder nicht. Was mich betrifft, so war ich strikt dagegen, mein Land und Haus aufzugeben. Von Anfang an war mir klar, was das Ergebnis der Zustimmung zu solch einem Plan sein würde. Ich wußte, daß den Tibetern jetzt die Gefahr droht, von dem zu erwartenden Zustrom chinesischer Einwanderer zurückgedrängt zu werden, womit diese Gegend eben eine weitere chinesische Provinz wird. Ich war besorgt, daß die natürliche Umwelt der rücksichtslosen Bergbau- und Abholzungsaktivität des Staates zum Opfer fallen würde.

Danach begab ich mich zusammen mit sechs Personen aus meinem Bekanntenkreis zu einem Meeting auf Gemeindeebene. Der Gemeindechef erklärte uns, gemäß der Direktive der Regierung sei die Reihe nun an uns, wegzuziehen. Die Behördenvertreter versuchten uns davon zu überzeugen, daß die Maßnahme zur Umsiedlung der Nomaden so durchgeführt würde, daß unserem Wohlbefinden Vorrang eingeräumt würde, und sie sprachen: ‚Ihr werdet an einen Ort umgesiedelt, an dem für euch gesorgt wird und an dem alle notwendigen Einrichtungen vorhanden sind, deshalb habt ihr der Anordnung zur Umsiedlung Folge zu leisten'. So ließen sie uns eigentlich gar keine andere Wahl.

Ich konnte nicht ruhig sitzenbleiben und alles einfach akzeptieren. So brachte ich mein Mißfallen darüber offen zum Ausdruck, daß wir unser Land, das unsere Vorfahren seit Generationen bewohnt haben, nun aufgeben sollten. Darauf entgegneten sie, es sei ungehörig von mir, eine Verordnung des Staates in Frage zu stellen: 'Da diese Entscheidung von der Regierung getroffen wurde, bist du nicht befugt, ihr zu widersprechen'. In sehr barschem Ton erklärten sie mir, ich müsse allem zustimmen, denn der Zentralregierung gehöre nicht nur das Land und die Häuser, sondern auch der Himmel und die Luft, die wir atmen.

Indem ich wiederholte, was ich schon zuvor über die sogenannte finanzielle Unterstützung und die Getreidelieferungen gesagt hatte, stellte ich die Frage, was denn der wahre Grund für den Bau der Straßen und Kraftwerke sei. Die Straßen seien nicht im Interesse der Bevölkerung des Ortes gebaut worden, sagte ich. Wenn dem so wäre, dann hätte jede Gemeinde und jeder Kreis jetzt ordentliche Straßen und eine richtige Stromversorgung. 'Der Grund dafür, weshalb ihr die Fernstraßen gebaut habt, ist doch nur, uns unsere Naturschätze wegzunehmen zu können, um damit die wirtschaftlichen Bedürfnisse der Bevölkerung in den Städten Chinas zu decken... Der jetzige Plan, uns umzusiedeln, kann daher nur demselben Motiv entsprungen sein. Und deshalb werden wir ihm um keinen Preis zustimmen'. Nach diesen Worten kam es zu einer langen Auseinandersetzung mit dem ranghöchsten Kader der Gemeindeverwaltung. Die Behördenvertreter - alles Tibeter - tadelten mich heftig, weil ich ihnen widersprochen hatte. Ich wurde zu diesem Zeitpunkt jedoch noch nicht verhaftet.

Nach dieser Kontroverse mit der Gemeindeverwaltung fuhr ich sofort nach Lhasa. Vier Tage später erhielt ich einen Anruf von einem Freund von zu Hause, daß mir die Verhaftung unmittelbar bevorstehe. Die Beamten hatten offenbar meine Kritik an dem Programm während des Meetings schriftlich festgehalten und bei den entsprechenden Behörden eine Klage gegen mich eingereicht. Nur meinem Glück habe ich es zu verdanken, daß es mir gelang, nach Indien zu entkommen, bevor sie mich festnehmen konnten".

Teil 7

Gesundheit, SARS und HIV

Das Severe Acute Respiratory Syndrome, die SARS-Epidemie, die von China ausging, machte wieder einmal deutlich, daß China heute vielleicht einen modernen Eindruck hervorruft, aber seine Spitzenfunktionäre noch dem alten Denken verhaftet sind(14). Statt daß die Epidemie als eine die ganze Nation betreffende Gesundheitskatastrophe behandelt wurde, war die Führung in Peking mehr um Chinas Prestige und sein Ansehen auf der internationalen Bühne besorgt(15). Premier Wen Jiabao erklärte, als die Seuche ausbrach, bei einer Kabinettssitzung, "das nationale Interesse und Image des Landes" stehe auf dem Spiel. Also ging es den Chinesen bei der Bekämpfung der SARS Epidemie hauptsächlich darum, ihr internationales Prestige und ihre Glaubwürdigkeit aufrechtzuerhalten.

Nachdem die Führung des Landes anfänglich leugnete, daß SARS China fest im Griff habe, stand sie, als die Krankheit epidemische Ausmaße annahm und die Wirtschaft der Nation zu beeinträchtigen begann, plötzlich einer Mammut-Aufgabe gegenüber. Nachdem der erste Fall im November 2002 in der Provinz Guangdong verschwiegen worden war, räumte die Gesundheitsbehörde in Peking erst im April 2003 die Existenz von SARS in China ein und erlaubte der WHO, die betroffene Regionen zu besuchen.

Nach Aussagen der Zentralregierung wurden in der TAR keine Fälle von SARS registriert(16). An der Richtigkeit dieser Erklärung ist jedoch ein wenig zu zweifeln, nachdem die Regierung SARS in den Anfangsstadien komplett geleugnet hat. Die SARS-Epidemie hat wieder einmal deutlich gemacht, wie China die Realität zu vertuschen und die Öffentlichkeit und die Welt zu täuschen versucht. Einige Tage bevor China den Ausbruch von SARS zugab, richtete Premier Wen Jiabao eine unangemessene Botschaft an die Welt, als er sagte: "Die chinesische Regierung und das Volk heißen Freunde aus aller Welt herzlich willkommen, als Touristen, zu Besuch oder zu kommerziellen Zwecken in unser Land zu kommen".

Nachdem SARS nun offiziell unter Kontrolle gebracht ist, ist eine weitere Krankheit im Anmarsch auf Tibet: Die AIDS-Epidemie. HIV/AIDS stellt eine unmittelbare Bedrohung für Tibeter innerhalb und außerhalb der TAR dar. Niemand weiß, wie viele Leute in der TAR, oder in Gansu und Qinghai voll entwickeltes AIDS haben oder HIV positiv sind, weil es in diesen Gegenden keine Möglichkeiten für einen Test gibt. Bekanntermaßen weist die Provinz Yunnan ja die höchste AIDS-Rate in China auf, und auch die Provinz Sichuan hat eine nicht geringe Zahl an HIV positiven Einwohnern. In beiden Provinzen gibt es einen großen Anteil an tibetischer Bevölkerung, da die traditionelle tibetische Provinz Kham diesen zwei Provinzen teilweise zugeschlagen wurde.

Jedermann weiß, daß HIV/AIDS in den ärmsten Regionen der Welt die höchste Verbreitung hat. Nachdem Tibet nun eine der ärmsten Gegenden im heutigen China ist, könnte AIDS hier ebenso epidemische Ausmaße annehmen und das Hochland verwüsten.

Die Möglichkeit, daß AIDS zukünftig in Tibet das Ausmaß einer Epidemie annehmen wird, kann angesichts der vielen Risikofaktoren nicht ausgeschlossen werden. Zu diesen gehören der Mangel an präventiven Programmen zur AIDS-Aufklärung, die Tatsache, daß ein hoher Anteil der tibetischen Bevölkerung unter ärmlichen Verhältnissen auf dem Lande wohnt, die Prostitution und das chinesische Militär, sowie die Gefahr der Ansteckung wegen der geographischen Nähe zu den mit am schlimmsten betroffenen Teilen Chinas wie den Provinzen Yunnan und Sichuan.

Obwohl sich China inzwischen zu einer Marktwirtschaft gewandelt hat, konnte die Gesundheitsfürsorge mit dem Fortschritt nicht Schritt halten. In Tibet fehlen vor allem in ländlichen Gegenden die notwendigen medizinischen Einrichtungen, und selbst wenn es an einigen Orten ein paar Krankenhäuser gibt, verbieten die hohen Kosten den Patienten, sich in Behandlung zu begeben.

Namgyal Tsering, ein 27-jähriger Bauer aus dem Dorf Tonpa, Distrikt Dzongang, Präfektur Chamdo, TAR, der im November 2003 nach Nepal floh, berichtet:

"Für unser Dorf und die 10 Nachbardörfer gibt es kein Krankenhaus. Das nächste Krankenhaus ist im Distriktzentrum Dzongang, wofür wir zwei Tage lang zu Fuß gehen und dann noch sieben Stunden fahren müssen. Obwohl wir immer wieder erklärten, wie dringend wir eine Krankenstation brauchen, hörten die Behörden nicht auf uns. Wenn sie krank werden, verrichten die Dorfbewohner einfach ihre Gebete, weil sie sonst nichts tun können. Selbst wenn die Patienten es bis zum Kreiskrankenhaus schaffen, müssen sie 2.500 Yuan (310 US$) hinterlegen, ehe sie untersucht und behandelt werden. Egal wie schlimm die Erkrankung ist, wenn ein Patient kein Geld hat, um die Kaution zu zahlen, wird er einfach nicht aufgenommen"(17).

Der 46-jährige Chime aus der Gemeinde Thingka, Distrikt Kardze, TAP Kardze, Provinz Sichuan, berichtete dem TCHRD:

"Obwohl es Krankenstationen mit Arzneiausgabe in unserer Gemeinde gibt, gehen die Leute kaum hin, weil die Medikamente oft sehr teuer sind. Schon bei einer geringfügigen Krankheit verlangen sie 30 Yuan für eine Flasche Arznei. Da die meisten Leute in unserer Gemeinde Bauern oder Halbnomaden sind, können sie sich die Medizin nicht leisten. Bei schlimmeren Erkrankungen müssen wir das Hospital in der Kreisstadt Kardze aufsuchen. Bei dem Kreishospital müssen Patienten rund 1.500 Yuan (185 US$) Kaution entrichten, was sie davon abhält, dorthin zu gehen. Obwohl die chinesische Regierung behauptet, daß Krankenhäuser gebaut würden und für die Leute gesorgt würde, kümmert sich keiner um uns auf dem Lande"(18).

Angesichts der hohen Steuern, die den Tibetern abverlangt werden, ist die Regierung verpflichtet die medizinische Versorgung der Bevölkerung zu gewährleisten und die notwendigen gesundheitlichen Einrichtungen zu schaffen. Ihr Versäumnis in dieser Hinsicht stellt eine Verletzung des Internationalen Abkommens über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR), das China 2001 ratifizierte, dar. Art. 12 (1) des ICESCR lautet:

"Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf das für ihn erreichbare Höchstmaß an körperlicher und geistiger Gesundheit an".

Kategorisch zu all den gesundheitlichen Themen kann man den einen Schluß ziehen: Aus der Art und Weise, wie die Regierung in Peking mit der SARS-Epidemie umging und wie sie sich bei der AIDS-Bedrohung verhält, wird deutlich, daß sie die reale Situation leugnet und verschleiert, womit sie das Recht der Menschen, gebührend informiert zu werden, verletzt: auf Chinesisch zhiqing quang - das "Recht zu wissen".

Teil 8

Tourismuspolitik

Der Tourismus wird oft als die "Schlüsselindustrie" in Tibet beschrieben, weshalb ihm auf höchster Ebene "große Beachtung" geschenkt wird(19). Die Tourismusindustrie wird immer mehr ausgebaut, denn sie soll in den sechs Spitzenmonaten, nämlich der Touristensaison von Mai bis Anfang November, die Dollars in großen Mengen ins Land locken.

Chinesischen Statistiken zufolge entfallen auf den Tourismus 26 % des Bruttoinlandprodukts der TAR, wobei ein Anstieg bei der Zahl der Touristen von 20 % pro Jahr zu verzeichnen ist(20). Trotz eines starken Rückgangs von 63 % bei dem auf dem Sektor "ausländische Touristen" erwirtschafteten Gewinn von Januar bis November 2003 infolge der SARS-Epidemie gab es einen Anstieg bei den Einnahmen aus dem Sektor "chinesische Touristen" im Vergleich zur selben Zeitspanne im Vorjahr(21). Das insgesamt erwirtschaftete Einkommen betrug etwa 122,55 Mio. US$, was einen Anstieg von 6,5 % gegenüber 2002 bedeutet(22).

Solch imponierende Statistiken regen zum Nachdenken darüber an, wer denn nun eigentlich aus der rasch expandierenden Tourismusindustrie in Tibet den Gewinn zieht.

Der Art. 42 der Verfassung Chinas besagt, daß "die Bürger der Volksrepublik China sowohl das Recht als auch die Pflicht haben zu arbeiten" und der Art. 4 fordert, daß alle Bürger gleich behandelt werden müssen. Das Internationale Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung (CERD), das China 1981 ratifizierte, macht klar, daß "gleiche" und "gerechte" Beschäftigungsbedingungen beinhalten, daß es keine Diskriminierung in der Beschäftigung auf Grund von ethnischer Zugehörigkeit geben darf.

Teil 9

Die Behörden vertrauen nur chinesischen Guides

Einer der möglichen und begehrten Jobs für in der Stadt lebende Tibeter war bisher die Arbeit als Touristenführer. Wegen des Argwohns der Behörden, die Tibeter seien keine "vertrauenswürdigen" Guides, werden immer mehr Chinesen angestellt und die Tibeter entlassen.

Eine solche Tendenz gibt es schon seit Ende der 80er Jahre, und die Praxis wird bis heute fortgesetzt. Mitte April 2003 wurde eine Gruppe von 100 chinesischen tour guides in die TAR importiert, um dort der Tourismusindustrie Aufschwung zu geben. Sie wurden mit dem Ziel entsandt, "einheimischen und ausländischen Touristen ein umfassenderes und objektiveres Verständnis des Tibets von gestern, heute und morgen zu vermitteln und resolut gegen alle Worte und Taten anzugehen, welche die Fakten mit der Absicht entstellen, das Mutterland zu spalten"(23).

Die aus 23 Provinzen, Autonomen Regionen und Stadtbezirken wie Peking, Shanghai, Guangdong und Guanxi stammenden Guides wurden in China ausgebildet. Ein Xinhua-Bericht rechtfertigt diese Maßnahme: Wegen des gegenwärtigen Mangels an Touristenführern in Tibet sei der Import von han-chinesischen Guides notwendig gewesen. Der Plan, in den kommenden 10 Jahren noch mehr solche Gruppen zu entsenden, basiert jedoch eher auf politischen Erwägungen als auf den Gegebenheiten vor Ort.

Chinas Mißtrauen gegenüber tibetischen Guides, die schon einmal in Indien zu Besuch waren oder dort zur Schule gingen, hat seit Jahren die offizielle Politik bestimmt. Die Guides werden seit mindestens 1994 überwacht, als die Chinesen sich schworen, wachsam zu sein, um zu verhindern, daß Rückkehrer aus dem Exil "mit ausländischen Touristen gemeinsame Sache zum Schaden der Staatssicherheit machen". Die letzten Nachforschungen und die Kündigung von 100 Guides bestätigen ein alarmierendes Muster: Die Anzahl der tibetischen tour guides, die ihren Job verloren haben oder ins Exil gegangen sind, ist nach jeder Untersuchungsaktion größer und entstammt dem allgemeinen Mißtrauen, mit dem die Behörden die Exilgemeinde in Indien betrachten.

Fremdenführer, die von den offiziell für Touristen sanktionierten Reiserouten abweichen und sie an andere Orte führen, werden gefeuert, gar inhaftiert, auf jeden Fall wird ihnen verboten, fortan als Guides zu arbeiten(24). So verlieren Tibeter ihren Job aufgrund ihrer ethnischen Zugehörigkeit, die Regierung begründet diese Entlassungen jedoch damit, daß ethnische Chinesen wegen ihrer hervorragenden Sprachkenntnisse besser als Fremdenführer geeignet seien.

Im Juli und August 2002 wurde die Tourismusabteilung in Tibet instruiert, eine umfassende Untersuchung über den Werdegang der tibetischen Guides im Raum Lhasa durchzuführen. Jeder Fremdenführer mußte ein Bestätigungsschreiben von seiner Kreisbehörde bringen, daß er niemals in Indien gewesen war. Als Ergebnis wurden im Januar 2003 über 160 tibetische tour Guides entlassen.

Die Probleme im Zusammenhang mit der boomenden Tourismusindustrie in Tibet sind verzwickt, und das allgemeine Unbehagen, welche Absichten die Regierung bei der Förderung des Tourismus und ihrer Einladung an Exiltibeter, ins Mutterland zurückzukehren, nun eigentlich verfolgt, wächst. Diese jüngste Entlassung von tour guides ist ein Beispiel für die systematisch betriebene ethnische Diskriminierung der Tibeter, was im Widerspruch zu dem Internationalen Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung steht, das von China 1981 ratifiziert wurde. Dort ist die Rede ist von

"jeglicher Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung aufgrund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht, Religion, politischer Meinung, nationaler Abstammung oder sozialer Herkunft, welche die Wirkung der Aufhebung oder Beeinträchtigung der Chancengleichheit oder der Gleichbehandlung bei der Arbeitsvergabe und der Beschäftigung haben".

Die einheimischen Guides haben gute Fremdsprachenkenntnisse, sie beherrschen die tibetische Sprache und sind in ihrer Religion Kultur und Geschichte bewandert. Wenn man weiterhin bedenkt, daß ausländische Touristen meist hartnäckig auf Tibetern als Guides bestehen, macht die Entlassung der tibetischen Guides nur einen Sinn, wenn man sie im Kontext der Diskriminierungspolitik, des Argwohns und der Paranoia sieht, die so charakteristisch für Chinas Haltung den Tibetern gegenüber sind.

Teil 10

Schluss

Die riesigen jährlichen Subventionen und Geldsummen, die Peking angeblich in die TAR und andere Gegenden des einstigen Tibets pumpt, haben eine ausgesprochen künstliche Situation hoher Abhängigkeit von äußeren Investitionen geschaffen, die auf die Dauer unhaltbar ist. Wo wirtschaftliches Wachstum wirklich stattfindet, ist der Tertiärsektor, also dort wo die tibetische Partizipation nominell ist. Das ländliche Tibet, wo der Großteil der Bevölkerung lebt, bleibt von der Armut gelähmt, weil nur wenig von den Subventionen der Zentralregierung in den Primärsektor fließen.

Bei den staatlichen Entwicklungsprojekten wird das Recht des tibetischen Volkes auf den Erwerb seines Lebensunterhalts nicht respektiert. Entschädigungen für die von den Projekten in Mitleidenschaft gezogenen Tibeter fallen, sofern sie überhaupt gewährt werden, dermaßen mager aus, daß die Tibeter sie in kurzer Zeit aufbrauchen und, was ihren Lebensunterhalt betrifft, einer ungewissen Zukunft entgegensehen müssen.

Tibet hatte zwar nach Aussage der chinesischen Regierung das Glück, bei der SARS-Epidemie ungeschoren davonzukommen, doch kann die Gefahr, daß HIV/AIDS bald epidemische Ausmaße annimmt, angesichts der vielen Risikofaktoren nicht ausgeschlossen werden. Dennoch brachte SARS die traurige Wahrheit an den Tag, daß die neue, jüngere chinesische Führungsspitze immer noch der alten Gewohnheit verhaftet bleibt, unliebsame Tatsachen einfach zu leugnen oder zu verschleiern.

Fußnoten 1) China Tibet Information Centre, 100 Questions and Answers about Tibet, online source www.tibetinfor.com.cn/en2003.

2) Informationsbüro des Staatsrates, Progress in China's Human Rights Cause 2000, 9 April 2001.

3) "East Asia Integrates", Bericht der Weltbank von 2003.

4) Determinants of Income Inequality in Rural China: Decomposition using Household Data, Zhou Zhangyue, Asian Agribusiness Research Centre, University of Sydney, Australia, and Wan Guanghua, World Institute for Development Economics Research (WIDER), United Nations University, Finland.

5) Wu Guobao, Policy on subsidized poverty loans in China, online source: www.unescap.org/rural/doc/beijing_march97/china3.

6) National Bureau of Statistics, China Statistical Yearbook 2002, China Statistics Press.

7) TIN Special Report, Deciphering Economic growth in the Tibetan Autonomous Region, 9 April 2003.

8) TCHRD Human Rights Update, "Staudammprojekt gibt Anlaß zu großer Sorge", Juni 2003.

9) TCHRD Human Rights Update, "Umweltaktivitäten bedrohen den Lebensunterhalt der Nomaden", August 2003.

10) OMCT/HIC-HLRN Joint Action Appeal, Case TIB-FE 011203, "China forcibly resettles thousands of Tibetan nomad families", 1 Dec 2003 "to protect the environment", Housing and Land Rights Network of Habitat International Coalition (HIC-HLRN) and the World Organisation against Torture (OMCR), Joint Urgent Action Appeal.

11) TCHRD, Human Rights Update, "Ein mutiger Nomade, der die Umsiedelungspolitik der Regierung kritisiert, muß ins Exil fliehen", August 2003.

12) United Nations Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-Based Displacement, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1997/7.

13) UN Doc E/CN.4/Szb.2/1997/7, Annex.

14) Gordon G Chang, The Jamestown Foundation, China Brief, "SARS Crisis: New Disease. New Leaders. Same Old Regime", 22 April 2003.

15) Willy Wo-Lap Lam, The Jamestown Foundation, China Brief, "SARS Crisis: Beijing Leadership Slowly Responds", 22 April 2003.

16) www.tibetinfor.com, 9 May 2003.

17) TCHRD Interview, Nov. 2003.

18) TCHRD Interview, Nov. 2003.

19) Xinhua berichtete am 8. April 2003, daß Präsident Hu Jintao dem Tourismus in Tibet "große Aufmerksamkeit" zukommen lasse, und daß er "bei zwei Gelegenheiten wichtige Instruktionen zur Entwicklung des Kontingents an Tourismus-Arbeitern" gegeben habe.

20) www.tibetinfor.com, 18 Dec 2003.

21) www.xinhua.net, 15 Dec 2003.

22) www.xinhua.net, 8 April 2003.

23) TIN Testimonies: "Tibeter in der Tourismus-Industrie der TAR werden immer schärfer kontrolliert", 10 Nov. 2003.

24) Ibid.

Kapitel 5: Die Bildung


Kapitel in pdf. 82 KB

- Kultur versus Arbeitsplatz

Inhalt:

  1. Einführung
  2. Die Bildungspraxis steht im Widerspruch zum Gesetz
  3. Die tibetische Sprache und politische Vorurteile
  4. Linguistische Hürden für Tibeter
  5. Zweitklassige Bildung
  6. Schulabbrecher: Ein Problem in den ländlichen Regionen
  7. Die Dzongsar Grundschule bittet um Hilfe
  8. Die Politisierung des Bildungswesens
  9. Chinesische Migranten ziehen nach Westen
  10. Schlußbemerkung

Teil 1

Einführung

Bildung ist eine der Voraussetzungen für die Geltendmachung der Menschenrechte. Die Wahrnehmung einer Reihe bürgerlicher und politischer Menschenrechte, wie etwa des Rechtes auf freie Information und Meinungsäußerung, erfordern ein Mindestmaß an Bildung, wozu auch die Fähigkeit gehört, des Lesens und Schreibens kundig zu sein. Ebenso können zahlreiche wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte, wie das Recht der freien Berufswahl, der gleichen Entlohnung für gleiche Arbeit und des gleichen Zugangs zur politischen Vertretung, nur von einer Person, die sich ein Minimum an Bildung erworben hat, in überzeugender Weise ausgeübt werden. Das Recht auf Bildung könnte als die Grundvoraussetzung beschrieben werden, die es einer Person ermöglicht, ihr Leben selbst zu bestimmen, sowie die Kraft, innerhalb ihrer Gemeinschaft sinnvoll in Beziehungen zu anderen zu treten.

Chinas Gesetzgebung entspricht noch lange nicht dem internationalen Gesetzesrahmen, worin das Recht auf Bildung definiert wird. China hat den Internationalen Vertrag über Bürgerliche und Politische Rechte nicht ratifiziert. Obwohl die Konvention für die Rechte des Kindes [diese wurde von der PRC 1992 ratifiziert] analoge Bestimmungen enthält, wie etwa das Recht der Eltern, über die Art der Erziehung ihrer Kinder zu bestimmen, werden diese vom chinesischen Gesetz nicht anerkannt. Im Unterschied zu den meisten Ländern dieser Erde hat China den Prozentsatz seines Bruttoinlandprodukts (BIP), der in den Bildungssektor fließen muß, nicht gesetzlich festgelegt.

2003 reiste Katarina Tomasevski als die erste UN-Sonderbeauftragte für das Recht auf Bildung nach nahezu einem Jahrzehnt in die VR China. Sie übte auf ihren Besuch hin harte Kritik an der Bildungspolitik Chinas. Sie verurteilte auch das staatliche Verbot der religiösen Erziehung und das System der willkürlichen Schulgebühren, das viele Familien in die Verschuldung treibt. Ebenso tadelnd äußerte sich die Sonderberichterstatterin hinsichtlich der Bildungsmöglichkeiten der Minderheiten, denn das "den Minoritäten aufoktroyierte Bildungssystem, in dem die Kinder bestimmten Bildungsmaßnahmen zwangsweise unterworfen werden, verletzt die Menschenrechte, indem es ihnen ihre religiöse und sprachliche Identität verwehrt".

Im Jahr 2003 lieferten die chinesischen Behörden eine Statistik nach der anderen, anhand derer sie beweisen wollten, daß es im Bildungssystem der TAR und anderer tibetischer Gebiete ungeheure Fortschritte gegeben habe. Die Sonderberichterstatterin deckte nach ihrer China-Reise jedoch die tatsächlichen Zustände auf, die sich hinter den vielen Zahlen verbergen. In ihrem Bericht heißt es: "Der dringende Wunsch, den Erfolg zu dokumentieren und gleichzeitig die andere Seite der Medaille, nämlich die Kritik zum Verstummen zu bringen, macht Zahlen nötig... Diese Zahlen werden anscheinend so veröffentlicht, wie sie dastehen, ohne von unabhängiger Seite verifiziert worden zu sein".

Ihre Antwort auf die Frage, ob es irgend etwas gäbe, worauf die chinesische Regierung bei ihrer Bildungspolitik stolz sein könne, war ein glattes "Nein". Sie führte weiter aus: "Sogar ein armes Land wie Uganda tut mehr als China, um das Recht auf Bildung zu gewährleisten"(1). Außerdem ist heute das tibetische Bildungssystem das schlechteste von allen Provinzen in China: Gemäß dem 2002 vom United Nations Development Progam (Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen - UNDP) herausgegebenen China Human Development Report steht der Bildungsindex für Tibet(2) verglichen mit den anderen 31 Provinzen in China an letzter Stelle. Der allgemeine Schulbesuch und der Prozentsatz der des Lesens und Schreibens kundigen Erwachsenen liegen in Tibet ebenfalls niedriger als in anderen Provinzen Chinas.

Teil 2

Die Bildungspraxis steht im Widerspruch zum Gesetz

Zwischen den Gesetzen und ihrer Anwendung besteht in China oft eine große Diskrepanz, so auch im Bildungswesen: Die Verwendung der tibetischen Sprache geht immer mehr zurück, und die Tibeter sehen sich gezwungen, Chinesisch zu lernen, zu sprechen und zu schreiben. Die Regierung hat die politischen Richtlinien und ihre Umsetzung dermaßen verzerrt, daß die Tibeter in ein schwieriges und komplexes Dilemma geraten sind: Sie müssen wählen, ob sie ihre jahrhundertealte Kultur, die nur über die tibetische Sprache vermittelt werden kann, bewahren oder einen Arbeitsplatz in der neuen Wirtschaft mit Chinesisch als dominierender Sprache haben wollen. Das eine schließt das andere aus.

Das Grundgesetz Chinas soll die "sprachlichen Rechte der Minderheiten" sowie ihre religiösen und kulturellen Rechte schützen. Die erste Verfassung der VR China, das sogenannte "Allgemeine Programm" von 1949, setze fest: "Alle Minderheiten sind frei, ihre Sprache in Wort und Schrift zu fördern und ihr Brauchtum und ihre religiösen Glaubensvorstellungen beizubehalten oder abzuwandeln"(3). Der Art. 121 der Verfassung der VR China von 1982 gestattet den "Minderheiten-Nationalitäten die Verwendung ihrer Sprache in Wort und Schrift, wie sie allgemein üblich ist"(4). Das Gesetz der VR China über die Regionale Autonomie (1984) enthält ebenfalls das Recht der "Minderheiten-Nationalitäten", ihre Angelegenheiten in ihrer eigenen Sprache zu regeln und ihr Bildungswesen unabhängig zu gestalten(5).

In der neueren Gesetzgebung wurde zu den im chinesischen Grundgesetz bereits verbürgten Sprachrechten noch deren Schutz hinzugefügt. Die Direktive von 1987 "Bestimmungen über die Verwendung des Tibetischen" bezeichnet die gute Beherrschung der tibetischen Sprache als einer der Voraussetzungen für die Einstellung und Beförderung im Staatsdienst. Sie sah ebenfalls vor, daß bis 1993 Mittelschulen mit Unterrichtssprache Tibetisch in der TAR eingerichtet sein sollten, und daß kurz nach 2000 die meisten Hochschulkurse auf Tibetisch zur Verfügung stehen werden(6). Ungeachtet der bestehenden gesetzlichen Garantien für ein tibetischsprachiges Bildungssystem ist die Gesetzeswirklichkeit in Tibet der Beweis dafür, daß höhere Schulbildung in Tibet ausschließlich auf Chinesisch vermittelt wird. Das chinesische Gesetz verheißt in wohlklingenden Worten den Schutz der einheimischen Sprachen, während in der Praxis die Regierung, besonders was die Sozial- und Wirtschaftspolitik betrifft, alles unternimmt, damit die tibetische Sprache immer mehr ins Abseits gedrängt wird und allmählich verkümmert.

Nach den Verfügungen von 1949 und 1982 zum Schutze der Minderheiten-Sprachen sichert der Art. 12 des Bildungsgesetzes der VR China von 1995 zumindest zu, daß "Schulen und andere hauptsächlich für Minderheiten-Nationalitäten geschaffene Bildungseinrichtungen die von der jeweiligen ethnischen Gruppe in Wort und Schrift als allgemeine Umgangssprache verwendete Sprache als Unterrichtssprache an diesen Orten benutzen dürfen"(7). Im Mai 2002 setzte der Volkskongreß der TAR eine Regelung zur Förderung der Verwendung der tibetischen Sprache in Kraft. Nachfolgende Gesetze modifizierten sie jedoch dahingehend, daß sie der Sprache vor Ort weniger zum Schutz gereichen als der chinesischen Sprache den gleichen Status mit dem Tibetischen gewähren und im Amtsverkehr sowohl die eine als auch die andere Sprache zulassen. In der Praxis jedoch, wo die meisten Arbeitnehmer und der Beschäftigten im öffentlichen Dienst Chinesen sind, läuft diese Bestimmung darauf hinaus, daß in der Verwaltung und den Ämtern das Tibetische durch Chinesisch ersetzt wird. Da die Regierung die meisten Schulen und den gesamten Arbeitsmarkt kontrolliert, wirkt sich dieser Umstand negativ auf die Bedeutung der tibetischen Sprache in der Bildung aus und stellt eine Gefahr für ihr eigentliches Überleben dar.

Die neuen Regelungen von 2002 im Art. 6 des Bildungsgesetzes definieren den in der Verfassung vorgesehenen Schutz der Sprache neu: "Was die allgemeine Schulpflicht betrifft, so werden Tibetisch und die nationale Sprache [Chinesisch] die grundlegenden sprachlichen Medien zur Vermittlung von Wissen sein". Dieser neue Wortlaut unterscheidet sich wesentlich von dem der Verfassung und besagt, daß sowohl Tibetisch als auch Chinesisch als Unterrichtssprache verwendet werden können. Während die neuen Regelungen ein und dasselbe Grundgesetz erläutern, entfernen sie sich immer mehr von dem Prinzip des Schutzes der regionalen Sprache in Richtung auf die Durchsetzung des Chinesischen als der Standardsprache für Tibet in Bildung und Wirtschaft. Die chinesische Rechtsordnung entbehrt der Überwachung durch eine unabhängige Rechtsprechung, weshalb in der Praxis weder die den Gesetzen inhärenten Widersprüche hinterfragt werden, noch die Gesetze selbst, die durch aufgezwungene Änderungen an ihrem Wortlaut inhaltlich entstellt werden.

So wie die Gesetze die Kluft, die beim Bildungsniveau und bei der Leistung am Arbeitsplatz zwischen Chinesen und Tibetern herrscht, nur noch vergrößern, weist auch die Schulpolitik dieselbe Diskrepanz bei den Sprachen auf der Grundschul- und der höheren Schulebene auf. Im Zentrum der Debatte über Tibetisch als Unterrichtssprache steht der Bruch zwischen Grund- und höherer Schule in Tibet. Die meisten Kinder lernen die ganze Grundstufe hindurch ihren Stoff ausschließlich auf Tibetisch. An allen höheren Schulen für Tibeter in der TAR wird jedoch schon längst auf Chinesisch unterrichtet. Das heißt: Während Kinder auf dem Lande in ihrer Muttersprache unterrichtet werden, müssen sie sich, wenn sie ihren Bildungsweg weiter fortsetzen und sich einen Arbeitsplatz in der neuen Wirtschaft sichern wollen, irgendwo und irgendwie Kenntnisse des Chinesischen aneignen, die in ihrem Elternhaus und ihrer häuslichen Umgebung jedoch nicht gefördert werden. Praktisch bedeutet dies, daß Kinder auf dem Lande in einem marginalisierten Wirtschaftsgefüge, in dem sie kaum Mittel für ihren Lebensunterhalt haben, mit Tibetisch aufwachsen, während Tibeter in der Stadt hinsichtlich ihrer Bildung eine Wahl treffen müssen: traditionelle Kultur oder einen gesicherten Job. Den Arbeitsplatz bekommen sie nur, wenn sie sich in eine ihnen fremde Kultur einfügen.

Obwohl es, wie diese Untersuchung darlegt, einen gewissen gesetzlichen Schutz für eine tibetischsprachige Bildungslaufbahn gibt, werden diese Garantien von administrativen Verordnungen untergraben und von der Praxis im täglichen Leben überrollt. Politische Richtlinien und Verordnungen, die für die Tibeter günstig sind, wurden entweder nicht umgesetzt oder am Ende wieder zurückgenommen. Beispielsweise wurde ein Pilotprojekt, das den Unterricht auf Tibetisch auch für die höhere Schule vorsah, 1996 wieder abgebrochen. Bereits früher schon wurden im Lehrplan tibetischer Schulen Klassen mit Chinesisch als Unterrichtssprache eingeführt(8). Die Anordnungen für eine Ausdehnung des tibetischsprachigen Unterrichts auf die Unterstufe der höheren Schule bleiben meistens nur auf dem Papier stehen und erreichen nie das Klassenzimmer.

"In der Mittelschule (Unterstufe der höheren Schule) No. 8 von Lhasa waren 30 von 50 Lehrern Chinesen, wobei die tibetischen Lehrer nur die tibetische Sprache selbst unterrichteten. Die zumeist tibetischen Schüler mußten alles andere - Mathematik, Chemie, Geschichte, Physik, Geographie - auf Chinesisch lernen"(9).

In den tibetischen Gebieten außerhalb der TAR bleibt der tibetischsprachige Unterricht meistens noch weiter hinter dem chinesischsprachigen zurück. Im einzelnen hängt es von dem ethnischen Gefüge der jeweiligen Gegend und dem Verhältnis der Schüler ab. Ein ehemaliger Grundschullehrer aus Qinghai (die ehemalige tibetische Provinz Amdo) erzählte dem TCHRD: "Die ersten fünf Monate lang wird in der ersten Klasse noch kein schriftliches, nur mündliches Chinesisch unterrichtet. In dieser Zeit lehren sie auch etwas Tibetisch. In der Chinesischstunde lehren sie vorerst nur die gesprochene Sprache und drängen auch die Eltern, zu Hause mit ihren Kindern Chinesisch zu sprechen. Die Schüler sollen zuerst mit dem gesprochenen Chinesisch vertraut sein, und dann erst werden ihnen die Schriftzeichen beigebracht. Der Grund für dieses Vorgehen ist, daß die Minderheiten-Sprache Schritt um Schritt ausrangiert werden soll"(10). Die tibetischen Schüler in diesen Gebieten mögen vielleicht noch in der Grundschule auf Tibetisch unterrichtet werden, doch in den höheren Schulen wird ihnen gewöhnlich nur Chinesisch angeboten. Ein Lehrer aus der Gemeinde Rigmon, Provinz Qinghai, berichtete TIN:

"Einer der Hauptgründe, warum ich nach Indien kam, ist folgender: Als ich in Rigmon arbeitete, wurde Tibetisch überhaupt nicht mehr verwendet, es hatte seine Geltung und Bedeutung verloren. Was immer es an politischen Ankündigungen oder sonstigen Informationen für die Öffentlichkeit gibt, alles muß in geschriebenem oder gesprochenem Chinesisch erfolgen, doch die Leute verstehen es nicht. Ich sah deutlich, welcher Abstand zwischen der Regierung und der Bevölkerung herrscht und erlebte die Schwierigkeiten, welche die Leute haben, wenn sie bei höheren Dienststellen vorsprechen wollen... Die meisten Arbeitnehmer in den Serviceabteilungen sind Chinesen. Wenn Chinesen dort sitzen, muß man Chinesisch können. Tibetisch wird im öffentlichen Dienst nicht verwendet... Unsere Gegend ist eine Nomadengegend, und der Getreideladen ist sehr wichtig für die Nomaden. Sie müssen täglich hingehen. Kommen sie zum Getreidekontor, so sind alle Angestellten dort Chinesen und sie sprechen nur Chinesisch. In den Geschäften, den Restaurants und den Postämtern - überall hat man Probleme, wenn man kein Chinesisch versteht"(11).

Teil 3

Die tibetische Sprache und politische Vorurteile

In der höheren Bildung ist Tibetisch längst vom Chinesischen verdrängt worden, das Studium des Tibetischen wird oft sogar als anti-chinesisch und unpatriotisch angesehen. Wie Badeng Nyima sagt, ist die Verwendung der chinesischen Sprache förderlich für den Aufstieg in der Gesellschaft: "Denn die tibetische Sprache wird diffamiert und als minderwertig abgetan, sie wird als ein Träger nationalistischer Gefühle für Tibet und gegen China angesehen".

2002 und 2003 schlossen die chinesischen Behörden zwei privat finanzierte tibetische Schulen, denen sie vorwarfen, die Schüler mit "spalterischen" Ideen zu infizieren. Die Klosterschule Ngaba Kirti(12) und die Tsa-Sur Schule(13), zwei unabhängige Einrichtungen, wurden geschlossen. Beide sind mit dem Ziel der Vermittlung einer auf der tibetischen Kultur gegründeten Bildung von tibetischen Privatleuten gegründet worden. Doch der Vater eines Schülers meinte: "Wenn sie die Schule beendet haben, bekommen sie keine Arbeit. Wenn sie Tibetisch lernen, können sie in der Gesellschaft nicht überleben. Welchen Zweck hat es daher, Tibetisch zu lernen, fragte ich mich?"(14).

Viele in den Städten wohnende tibetische Eltern möchten, daß ihre Kinder Schulen besuchen, wo sie Chinesisch lernen. "In der ersten Oberschule in Lhasa sind in den chinesischen Klassen gut die Hälfte bis zwei Drittel der Schüler ethnische Tibeter. Ihre Eltern sehen keinen Vorteil darin, wenn sie gute Leistungen in ihrer Muttersprache erbringen. Viele sagen, es bedeute nur eine zusätzliche Last, sowohl Tibetisch als auch Chinesisch zu lernen, und um die Aufnahmeprüfungen zur Universität zu bestehen, seien Chinesisch und Englisch, jedoch nicht Tibetisch die Voraussetzung.

Diejenigen, welche den tibetischen Schulzweig wählen, lernen, wenn überhaupt, Englisch erst in der Oberstufe, während jene im chinesischen Zweig schon auf der Unterstufe mit Englisch beginnen. Da Englisch für die Aufnahmeprüfung zum College erforderlich ist, und dieses Fach im tibetischen Zweig zu kurz kommt, müssen diejenigen, die ihre eigene Sprache perfekt sprechen wollen und gleichzeitig nach einer höheren Bildung streben, einen mühseligen Kampf führen(15). Aufgrund der einseitigen Ausrichtung des staatlich kontrollierten Arbeitsmarkts konnte die tibetische Sprache kein modernes technisches Vokabular entwickeln und ist für viele moderne Berufe ungeeignet, während das Chinesische mit der Zeit Schritt gehalten hat(16).

Die Einführung von Englisch als Voraussetzung für das Universitätsstudium in China hat die Probleme der tibetischen Studenten nur noch verdoppelt. Englisch wird in der höheren Schule durch das Medium der chinesischen Sprache gelehrt. Falls ein tibetischer Schüler den Sprung in die höhere Schule mit Unterrichtssprache Chinesisch nicht schafft, kann er kein Englisch lernen und hat niemals eine Chance, an einer Universität zu studieren. "Die Schüler im chinesischen Zweig beginnen in der Unterstufe der höheren Schule, Englisch zu lernen, während die Schüler in der tibetischen Sektion, falls sie Glück haben, erst auf der Oberstufe damit beginnen können. Da Englisch für die nationale Aufnahmeprüfung ins College erforderlich ist, befinden sich Schüler, welche die tibetische Sektion gewählt haben, bei der Bewerbung um Studienplätze in Colleges und Universitäten im Nachteil"(17). Auf diese Weise sehen sich tibetische Schüler von vornherein von vielen weiterführenden Bildungswegen ausgeschlossen.

Teil 4

Linguistische Hürden für Tibeter

Tibetische und chinesische Schüler belegen gewöhnlich unterschiedliche Fächer an der Oberschule, und weil die Unterrichtssprache Chinesisch ist, können tibetische Schüler im allgemeinen keine so guten Leistungen erbringen. Der plötzliche Wechsel in der Unterrichtssprache beim Übergang von der Grundschule (Tibetisch) zur höheren Schule (Chinesisch) ist für tibetische Schüler ein riesiges Hindernis auf ihrem Bildungsweg.

Tibetische Schulkinder, die bis zur vierten Klasse der Grundschule keinen Unterricht in einer ihnen fremden Sprache erhalten, werden nun plötzlich mit einer solchen konfrontiert und müssen in der höheren Schule obendrein noch mit chinesischen Kindern, die ihre Muttersprache verwenden dürfen, um die Plätze wetteifern. 1997 wurde für Tibeter in den städtischen Grundschulen, jedoch nicht in den ländlichen, Chinesisch von der ersten Klasse an eingeführt. Die sprachlichen Hürden, mit denen tibetische Schüler bei den Abschlußprüfungen der Oberschule und weiteren Examina konfrontiert sind, gewähren den Kindern han-chinesischer Migranten einen überwältigenden Vorsprung bei der Einschreibung an der Universität, so daß sie mit der schnellen Entwicklung des Bildungswesens leichter Schritt halten können.

Teil 5

Zweitklassige Bildung

Das Niveau des gesamten Bildungssystems in den traditionell tibetischen Gebieten ist viel niedriger als das im chinesischen Siedlungsraum, weshalb die Tibeter in ihrem eigenen Heimatland zur Unterschicht werden. Die Lehrer sind weder qualifiziert, noch besitzen sie die erforderliche Lehrbefähigung - und dennoch unterrichten sie. In der gesamten Präfektur Kardze in der heutigen Provinz Sichuan "mangelt es einem Drittel der Lehrer an der notwendigen Vorbildung und Unterrichtskompetenz für die Mittelschule. Bei den Lehrern an den höheren Schulen besitzen nur 39,4% die erforderliche Qualifikation"(18).

Laut einer Eingabe der Kreisverwaltung von Nyarong an die Präfektur-Behörden in Karze "gibt es in dem Distrikt 324 Lehrer, von denen nur 26 einen College- oder Universitätsabschluß haben; 216 haben eine normale Schule abgeschlossen, 82 haben gar keine Ausbildung in Pädagogik, so daß ihr Wissensstand ziemlich dürftig ist. Fast alle Lehrer sind einheimische Tibeter, die einen Beitrag zur besseren Erziehung der hiesigen Kinder leisten wollen. Doch sie haben nicht die notwendige Qualifikation, um als Lehrer zu wirken, weshalb es sehr wichtig ist, sie in Pädagogik auszubilden. Aber die Kreisregierung ist nicht in der Lage, so viel Geld in dieses Programm zu stecken. Sie beantragt daher vorerst die Mittel für die Ausbildung von 18 Lehrern"(19).

Was ihre berufliche Ausbildung betrifft, so sind viele gar keine Lehrer, sondern einfache Bauern. Ein Akademiker namens Zhou, der in der Erziehungsbehörde der TAR arbeitet, erzählte Barbara Erickson, daß "die Lehrer in der Nähe des Dorfes wohnen und von den Dorfbewohnern ausgewählt werden sollten. Sie verdienen weniger als andere, weil sie auch Landwirtschaft treiben: In der unterrichtsfreien Zeit können sie auf ihren Feldern arbeiten. Ein Dorfschullehrer mag vielleicht nicht über die Grundschulbildung hinausgekommen sein"(20). In den Dörfern sind die Schulen oft nur dem Namen nach solche. Die meiste Zeit sind sie geschlossen: "Die Schulen wurden für die Erntezeit geschlossen. Den Touristen, die Tibet besuchen, fällt sofort der Unterschied auf. Die Kinder, die man in Shigatse, Gyantse und Lhasa sieht, tragen Schultertaschen mit Büchern und die traditionellen tibetischen Holztafeln, doch in ländlichen Gegenden sieht man Kinder desselben Alters, die Schafe hüten, die am Straßenrand stehen und neugierig auf die Vorbeifahrenden gucken, müßig an Brückengeländern lehnen, Wasser holen, Geste einbringen und den Dung der Tiere einsammeln(21).

Ein 23-jähriger Lehrer aus dem Kreis Toelung Dechen, Stadtbezirk Lhasa, erzählte von dem Lehrer-Ausbildungs-Institut in Lhasa und seiner ersten Stelle an einer Grundschule in der Gemeinde Ngachen, Bezirk Lhasa: "Die meisten der chinesischen Schüler kommen wegen der Prüfungen nach Tibet, nachdem sie in China selbst durchgefallen sind, denn der erforderliche Notendurchschnitt liegt in China weit höher als in Tibet. Wenn sie die Prüfung in China nicht geschafft haben, dann kommen sie nach Tibet, um sie hier zu wiederholen. Und meistens schneiden sie ganz gut dabei ab und nehmen dann den Tibetern die Sitze weg, die für sie reserviert waren"(22).

Studenten aus der TAR, die in anderen Fächern als tibetischer Literatur und Sprache ein Universitätsdiplom, etwa in Natur- oder Geistes- und Sozialwissenschaften, anstreben, müssen außerhalb Tibets, in China oder im Ausland, einen Studienplatz finden. An der Tibet Universität können sie diese Fächer nur im Rahmen einer Lehrerausbildung belegen. Um zu einer Universität in Zentralchina zugelassen zu werden, müssen sie, obwohl die chinesische Politik Tibetern und anderen Minderheiten einen gewissen Vorteil gewährt, in den landesweiten Examina mit Studierenden aus der ganzen Volksrepublik wetteifern. Eine Reduzierung der für die Zulassung notwendigen Punkte hängt von der Gesamtleistung der Kandidaten sowie der zur Verfügung stehenden Studienplätze ab, weshalb die Anforderungen von Jahr zu Jahr anders sind(23).

In der TAR ist das Interesse an beruflicher Ausbildung ziemlich gering, wie überhaupt die gesamte höhere Schulbildung wenig gefragt ist; immerhin beträgt bei denen, die in der Berufsausbildung stehen, der Prozentsatz an Absolventen von weiterführenden Schulen 60 %, was über dem nationalen Durchschnitt liegt. Der Lehrberuf steht bei der Berufsausbildung in der TAR an erster Stelle, 47 % aller Studenten sind in diesem Fachbereich eingeschrieben(24).

Die Studienplätze an der Universität, die eigentlich für die einheimischen Studenten aus der TAR reserviert sein sollten, stehen jedoch allen Bewohnern der TAR offen, nicht nur den Minderheiten. Dies hat zur Folge, daß die chinesischen Studenten allmählich die Mehrheit bilden; und seitdem Studenten aus anderen Teilen Chinas Mittel und Wege fanden, sich für die Abschlußklasse der höheren Schule in der TAR einzuschreiben, sind sie immer mehr geworden. Ein junger Lehrer aus Lhasa erzählt von seinem ersten Jahr am Pädagogischen Institut: "Im ersten Jahr am Lehrerausbildungsinstitut gab es vier Klassen. Drei standen Tibetern offen und eine war ausschließlich für Chinesen... Im Durchschnitt saßen in jeder Klasse 40 Studenten"(25).

Die Mängel der zweisprachigen Erziehung versetzen tibetische Studenten in erster Linie bei der Bewerbung um College- und Universitätsplätze in Nachteil. "Meine Schüler, welche die höhere Schule abgeschlossen hatten, fielen bei den Zulassungsprüfungen zur Universität durch und kehrten nach Hause zurück, wo sie wieder das Vieh hüteten"(26). Chinesischen Kindern werden in der Tat bessere Bildungschancen geboten, weshalb immer mehr chinesische Studenten die für Tibeter vorgesehenen Plätze einnehmen. "Bei der zweiten Runde für die Zulassung zur Universität in der TAR schafften 648 Studenten die Aufnahmeprüfung. 231 davon werden in die Fakultät für Humanistik aufgenommen, wobei 128 Sitze von den Han [Chinesen] und 103 von den Minderheiten eingenommen werden. 417 Studenten werden zu der Fakultät für Naturwissenschaft zugelassen (hier stellen die Han 229 und die nationalen Minderheiten 188)"(27). Ein junger Lehrer aus Lhasa berichtete TIN: "Von den chinesischen Absolventen des Lehrer-Ausbildungs-Instituts bekommen über 80 % eine Stelle in Lhasa, während es von den tibetischen nur etwa 20 % sind. Die übrigen, sowohl Chinesen als auch Tibeter, müssen auf dem Lande unterrichten"(28).

Teil 6

Schulabbrecher: Ein Problem in den ländlichen Regionen

Die TAR plant die neunjährige Schulpflicht einzuführen, um im nächsten Jahrzehnt vor allem bei der jungen und mittleren Generation den Analphabetismus zu bekämpfen(29). Angesichts der finanziellen Lage der meisten Familien, der Pflicht selbst für diesen obligatorischen Schulbesuch Gebühren zu zahlen und der steigenden Tendenz zum Schulabbruch sieht dies allerdings wenig erfolgversprechend aus.

Ein häufiger Abbruch der höheren Schule und wenige Anmeldungen gehen auf dem Lande Hand in Hand. Mehrere Faktoren sind hierfür verantwortlich. Erstens wird in Tibet das Bildungswesen auf dem Lande, besonders in entlegenen Gegenden, wo die Kosten pro Schuleinheit höher als an anderen Orten sind, finanziell sehr vernachlässigt. Die Regierung sieht keine wirtschaftlichen Vorteile darin, tibetischen Kindern in ländlichen Gegenden eine gute Schulbildung angedeihen zu lassen. Der Besuch der Grundschule ist zwar überall obligatorisch, aber deshalb nicht unentgeltlich.

Das Pro-Kopf-Einkommen in ländlichen Haushalten liegt ziemlich niedrig, weshalb viele Eltern nicht in der Lage sind, für die Schulgebühren ihrer Kinder aufzukommen. Ein Beispiel: "Das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen im Distrikt Lithang beträgt 590 Yuan pro Jahr, was weniger als 100 US$ sind. Bei einer für den Grundschulbesuch erforderlichen Summe von 600 Yuan ist es für viele Familien schlicht unmöglich, ihre Kinder zur Schule zu schicken. Und das vorausgesetzt, daß die Schule nicht gar zu weit weg liegt, so daß sie zu Fuß erreicht werden kann und keine zusätzlichen Kosten für Verpflegung und Unterkunft entstehen. Wenn diese auch noch bestritten werden müssen, dann steigen die Kosten für die Schuldbildung ins Unermeßliche"(30).

Auf der Website des "Kham Aid Project" findet sich ein Aufruf zur Finanzierung der Dzongsar Grundschule, der beweist, daß die Leute vor Ort nicht in der Lage sind, für die Entlohnung des Lehrers aufzukommen:

Teil 7

Die Dzongsar Grundschule bittet um Hilfe

"Die Gründung dieser Schule hatte den Beifall des Panchen Lama gefunden. Die Schüler lernen dort 6 Jahre lang Tibetisch, werden in die Kunst und Holzschnitzerei, tibetische Astronomie und andere Fächer eingeführt. Nach Abschluß der Schule können sie entweder zu Landwirtschaft und Viehzucht zurückkehren oder als Mönch in ein Kloster eintreten. Gegenwärtig gibt es 54 Schüler in dieser Schule, die von drei Lehrern unterrichtet werden. Der Monatslohn eines Lehrers beträgt 400 RMB (50 US$), womit sich der jährliche Aufwand für die Gehälter auf 14.400 RMB (1.800 US$) summiert. Aber die Leute dort sind sehr arm, sie können nicht so viel Geld für die Bezahlung der Lehrer zusammenbringen. Wir würden uns sehr freuen, wenn sich Sponsoren fänden, die uns bei der Bestreitung dieser Ausgaben unterstützten. Wir benötigen auch Lehrbücher, Schreibstifte, Kugelschreiber, Schreibhefte und Essen für die Kinder". Aufruf vom Dzongsar Kloster(31).

Einige Eltern halten es für vorteilhafter, ihre Kinder gar nicht zur Schule zu schicken. "Die meisten der Kinder im schulfähigen Alter können die Schule nicht besuchen. Das größte Problem ist, daß es etliche Familien gibt, die kein ausreichendes Einkommen haben. Ihre Kinder müssen eine Menge arbeiten, sie haben nicht viel Zeit fürs Lernen. Obwohl die Eltern ermahnt werden, ihre Kinder zur Schule zu schicken, können die Kinder einfach nicht hingehen, weil sie zu viel zu Hause zu tun haben. Es ist schon viel, wenn eine Familie mit vier Kindern eines davon zur Schule schicken kann. Denn die meisten der Haushalte benötigen helfende Hände für die Feldarbeit, und die Nomaden brauchen ihre Kinder, um bei der Viehhaltung mitzuhelfen"(32).

In den ländlichen Gegenden sind die Schulabbruchquoten ziemlich hoch. Dort mangelt es den Schulen einfach an den notwendigen Ressourcen, und die Eltern können ihre Kinder nicht zur Schule schicken. In einem Antrag von Wu Bangfu aus dem Distrikt Nyarong für Stipendien und Mittel zur Lehrerausbildung heißt es: "Es gibt insgesamt 4.907 Schüler, 4.549 davon gehen zur Grundschule. Über 900 Schüler sind aus Armutsgründen in Gefahr, von der Schule abgehen zu müssen. Wir bitten um Unterstützung für 23 Kinder, deren Eltern Viehhirten oder Nomaden sind. Alle Familien sind auf den Hilfsfonds der Distriktverwaltung angewiesen. Aber die Regierung ist zu arm, um ihre Probleme zu lösen(33).

In der TAR liegt die Abbrecherquote an der Grundschule recht hoch. Über die Grundschule hinaus zu gelangen, bleibt für die meisten nur ein Traum. "19,4 % der Kinder im Alter zwischen 7 und 15 haben niemals eine Schule besucht (69,4 % davon sind Mädchen); nur 17,3 % der Leute, die jemals zur Schule gingen, haben die sechsjährige Grundschule abgeschlossen, und nur 7,1 % haben es über die Grundschulstufe hinaus geschafft"(34).

Auf einer Website mit Namen "Kardze Reform and Development" in der Präfektur Kardze ist zu lesen, daß die Statistiken bei der Auswertung des neunten Fünfjahresplans für das Bildungswesen in der Präfektur Kardze (1996 bis 2000) eine hohe Analphabetenrate bei den Kindern im schulfähigen Alter und einen geringen Schulbesuch aufwiesen.

"Die Analphabetenrate bei den jungen Leuten beträgt in der Präfektur Karze 30,1 %. Ein Drittel der Distrikte bieten keine allgemeine Grundschulbildung an. Nur 13 % der Städte verfügen über Einrichtungen, um der allgemeinen neunjährigen Schulpflicht nachzukommen. Fast 30 % der Kinder erhalten keine Grundschul- und 35 % keine Mittelschulbildung. Nur 2,49 % der Gesamtbevölkerung haben die Mittelschule absolviert und nur 0,84 % haben Hochschulbildung"(35).

Die Lage in den ländlichen Gebieten der Provinz Qinghai ist ähnlich. "Children in Crisis", eine Hilfsorganisation, die sich um die Verbesserung der Lebensverhältnisse der tibetischen Nomaden in Qinghai bemüht, stellte fest, daß "der Zugang zur Bildung in der Region äußerst beschränkt ist. Die Regierung schätzt, daß gegenwärtig überhaupt nur 20 % der Kinder die Schule besuchen. Die nomadische Lebensweise der Mehrheit der Tibeter bedeutet auch, daß die wenigen staatlichen Schulen, die sich in den Gemeindezentren befinden, für die Kinder unerreichbar weit weg sind, außerdem ist die Anzahl der Plätze beschränkt, und die Höhe der Schulgebühren ist mit annähernd 20$ pro Jahr für die meisten Familien einfach unerschwinglich"(36). "In den ländlichen Gegenden des Kreises Hongyuan in Amdo fluktuiert der Prozentsatz der die Schule besuchenden Kinder zwischen 39,6 % und 14,7 %(37). Beamte der dortigen Schulbehörde schätzen, daß in den entlegenen Teilen der Hochebene von Qinghai gegenwärtig nur 20 % der Kinder eine Schule besuchen.

Teil 8

Die Politisierung des Bildungswesens

Die Bildung der "Minderheiten-Nationalitäten" hat sich schon immer von derjenigen der Chinesen in ihrer Zielsetzung und ihrer Methodik grundlegend unterschieden. Während letztere eine eher berufsorientierte Bildung erhalten, welche die jungen Menschen für eine spätere Anstellung im öffentlichen Dienst oder in der Wirtschaft befähigen soll, werden die Tibeter und andere "Minderheiten" in der Schule einer ideologischen Indoktrinierung unterzogen, mit dem Ziel ihnen Loyalität zum Staat und die Wichtigkeit der Einheit des Mutterlandes beizubringen. Das Bildungswesen in Tibet wird in erster Linie von Chinas vermeintlicher Sorge um die Sicherheit in dieser Region bestimmt.

Ein junger Lehrer aus der Gemeinde Tharshul, Provinz Qinghai, bestätigte TIN, daß die Bildung auf Dorfebene von Anfang an von politischer Indoktrination geprägt ist. "Man soll Instruktionen wie für die Mitglieder einer kommunistischen Jugendgruppe geben, über Disziplin reden und sie zu Patrioten machen. Den Schülern muß man so lange einhämmern, daß das kommunistische China groß ist, bis sie es glauben und es alle lieben. Die Schüler hören da allgemein nicht so gerne zu. Doch sie [die Chinesen] versuchen die Einstellung der Schüler zu Tibet von Kindesbeinen an zu ändern. Das Bewußtsein unserer völkischen Zugehörigkeit ist tief in uns verwurzelt und kann nicht so leicht umgekrempelt werden. Doch sie wollen es mit Gewalt erreichen"(38).

Um in die höhere Schule aufgenommen zu werden, muß man zeigen, daß man das Mutterland liebt und darf keine enge Beziehung zu Leuten mit unerwünschten politischen Beziehungen haben. Diese Voraussetzungen sind aber sehr subjektiv und können von den Behörden willkürlich interpretiert werden, um es jemand unmöglich zu machen, seinen Bildungsweg fortzusetzen. Tibetische Schüler müssen eine Prüfung in "politischen Angelegenheiten" ablegen, bei der es um Maoismus und die "korrekte" politische Geschichte Chinas geht.

"Es ist obligatorisch, die Prüfung über politische Angelegenheiten zu bestehen. Das ist die Hauptsache. Falls jemand in diesem Test nicht die notwendige Punktzahl erhält, hat er keine Chance, selbst wenn er noch so gute Noten aufweisen kann... Der Prüfungsbogen für politische Angelegenheiten besteht aus Fragen über die gegenwärtige chinesische Politik und die täglichen Nachrichten. Dann kommen darin auch Fragen über die Regierungszeit von Deng Xiaoping und Mao Zedong, darüber hinaus die "drei Vertretungen" von Jiang Zemin, sowie generelle, den Marxismus betreffende Fragen vor"(39).

Auch 2003 übte die chinesische Regierung politischen Druck auf das Bildungssystem in der TAR aus. In einer allgemeinen Bekanntmachung über "Höhere Studien in der TAR" auf der Website China's Tibet Autonomous Region werden, abgesehen von den schulischen Qualifikationen, auch die politischen Voraussetzungen für die Zulassung der Bewerber genannt(40). Der Anwärter muß sich zu den Grundsätzen der "Einheit des Mutterlandes", der "Wahrung der Brüderlichkeit zwischen den Nationalitäten" und der "Opposition gegen das Spaltertum" bekennen. In der Verlautbarung für eine Ablehnung aus politischen Gründen wird ausgeführt, daß Bewerber, zu deren Vorgeschichte "gegen die Einheit des Mutterlandes und die Bruderschaft der Nationalitäten gerichtete Aktivitäten" gehören, nicht in Betracht kommen. Derartige Regelungen geben den Behörden freie Hand, Studenten, die ihnen als politisch aktiv erscheinen oder deren Eltern in politische Aktivitäten verwickelt waren, die Zulassung zu verweigern.

Und dies betrifft nicht nur die Zulassung und die Grundschulebene, die Behörden haben diese Politik ebenso auf die Institute universitärer Bildung ausgeweitet. Bei der Lehrerausbildung müssen die Kandidaten die staatliche chinesische Version der tibetischen Geschichte studieren und eine Prüfung darin ablegen.

"Ich mochte dieses Fach überhaupt nicht. Das ist nicht die Geschichte Tibets, da war überhaupt nicht die Rede von tibetischer Geschichte, und trotzdem mußten wir eine Menge auswendig lernen. Am Ende des Buches kam dann ein wenig über Tibet. Aber da hieß es nur, Tibet sei ein Teil Chinas, es sei niemals ein unabhängiges Land gewesen und noch mehr derartige Dinge. In einem Examenspapier mußten wir die Beziehung zwischen China und Tibet erklären und auch historische Ereignisse anführen, die beweisen, daß Tibet ein Teil Chinas ist. Wir mußten also genau das schreiben, was in dem Buch steht, und dafür erhielten wir dann ein Zertifikat. Ich schrieb einfach, was in dem Buch steht, denn sonst wäre ich als politisch inkorrekt eingestuft worden und hätte Schwierigkeiten gehabt, eine Arbeitsstelle zu finden"(41).

Seit es 1987 zu den von Mönchen angeführten Großdemonstrationen in der TAR kam, sehen die Chinesen ihre Herrschaft über Tibet durch die Klöster in Frage gestellt, was sich als äußerst negativ für die monastische Bildung erweist. In der Vergangenheit oblag den Klöstern die gesellschaftliche und kulturelle Erziehung der Jugend. Das Kloster war nicht nur eine Stätte der Religionsausübung, sondern auch eine Schule.

Früher stellten in Tibet die Klosterschulen das Rückgrat für die Bildung der Bevölkerung dar. In solchen Schulen wurden stets auch die Kinder, welche die von der Regierung festgesetzten Schulgebühren nicht aufbringen konnten, unterrichtet. "In den Klöstern lernten die Kinder nicht nur Dinge über ihre Religion, sondern auch darüber, wie sie ihren Lebensunterhalt verdienen und arbeiten konnten, sie wurden in Fächern wie Technik, Sprache, Kunst, Literatur, Medizin, Logik, Philosophie usw. unterrichtet"(42).

Teil 9

Chinesische Migranten ziehen nach Westen

An Pekings Modell für die wirtschaftliche Entwicklung Tibets können sich alle Chinesen ohne Einschränkung beteiligen, was zu einem massiven Zustrom chinesischer Arbeitskräfte und Geschäftsleute in Großstädte wie Lhasa und Städte mittlerer Größe geführt hat. Heute sind deren Einwohner zum großen Teil Chinesen. Auf der anderen Seite wandte sich die tibetische Landbevölkerung immer mehr anderen Erwerbsmöglichkeiten zu, um die Einbußen infolge der ihnen pro Person eines Haushalts zugeteilten kleineren Flächen wettzumachen. In den Groß- und Kleinstädten sehen sich die Bauern vom Lande jedoch benachteiligt, weil sie mit einer großen Zahl von weitaus fähigeren und erfahreneren chinesischen Arbeitern und Geschäftsleuten konkurrieren müssen.

Das "Go West" Entwicklungsprogramm, das vor drei Jahren von Peking initiiert wurde, beschleunigte den Zustrom von Han Migranten ganz gewaltig. Dieses Programm bietet Han Chinesen einen Anreiz, an Orten in "Westchina wie etwa in Tibet für ein Jahr oder vorzugsweise auch länger als Lehrer, Mediziner, Landwirtschaftstechniker oder in ähnlichen Berufen tätig zu sein". Die Tibeter selbst können infolge ihrer ungenügenden Ausbildung diese Stellen nicht ausfüllen(43).

Ein chinesischer Wissenschafter, der die Beschäftigungslage in gewissen Gegenden der TAR untersuchte, meinte: "Der lokale Arbeitsmarkt [auf dem Markt] ist nicht nur klein und unterentwickelt, sondern auch nach ethnischer Zugehörigkeit, Wohnregistrierung und Beschäftigungsstatus aufgeteilt. Für gewisse berufliche Fähigkeiten wie Autofahren und die Bedienung von Computern ist der kleine Arbeitsmarkt schon gesättigt, weil im Rahmen der von diversen Regierungsstellen und Instituten angebotenen Kurse eine beachtliche Zahl von Leuten eine Fachausbildung gemacht hat"(44).

Teil 10

Schlussbemerkung

Ebenso wie alle anderen Lebensbereiche der Tibeter wurde unter Herrschaft der VR China auch die Bildung von dem ständigen Wechsel in der Politik in Mitleidenschaft gezogen. Es gibt zwar einige bildungspolitische Richtlinien, Regelungen, die schon vor Jahrzehnten zum Wohle des tibetischen Volkes eingeführt wurden, doch wenn sie mit den jetzt von der chinesischen Regierung gesetzten Prioritäten zugunsten der wirtschaftlichen und strategischen Interessen in Konflikt geraten, werden diese für die Tibeter vorteilhaften Regelungen wieder rückgängig gemacht. Die zwei maßgeblichen Faktoren, die jede gute Absicht, welche die VR China auch haben mag, wieder zunichte machen, sind die Entschlossenheit der Regierung, möglichst viele Chinesen nach Tibet zu bringen, und die Tendenz, einfach alles, sogar die kulturellen Grundlagen des tibetischen Lebens, zu politisieren. Auch das letzte Jahr hat zu keinem Wandel bei diesem Verhaltensmuster geführt, nur zu Variationen desselben Themas. An diesem historischen Muster des chinesischen Umgangs mit dem Bildungswesen in Tibet hat sich auch im vergangenen Jahr nichts geändert, außer daß das Recht der Tibeter auf Bildung ihnen noch schneller zugunsten der chinesischen Zuwanderer verweigert wird.

Fußnoten 1) Philip P. Pan, UN Official criticizes Education in China, Washington Post, Foreign Service, 19. Sept. 2003.

2) Der Index für den Erfolg der Bildung in Tibet beträgt 0.4281, die Quote an Erwachsenen, die des Lesens und Schreibens kundig sind 0.3382 und der Indikator für allgemeinen Schulbesuch 0.5779. Der Index für den Bildungserfolg resultiert aus der Kombination der beiden genannten Indikatoren, wobei zwei Drittel für den ersteren und ein Drittel für den letzteren genommen werden.

3) Common Programme of the Chinese People's Consultative Conference, Item 53, 1949.

4) Constitution of the People's Republic of China, Foreign Language Press, Beijing, 1982.

5) Law on the Regional Autonomy for Minority Nationalities of the People's Republic of China, 1984, Art. 37.

6) TIN News Update, 6 May 1996.

7) Ngapo Ngawang Jigme und der 10. Panchen Lama, "Vorschlag über das Studium, die Verwendung und Entwicklung der tibetischen Sprache".

8) TIN News Update, 6 May 1997.

9) Barbara Erickson, Tibet, Abode of the Gods, Pearl of the Motherland.

10) TCHRD Interview, 10 November 2003.

11) TIN Interview, "Development and Education"

12) Die in dem Distrikt Ngaba (chin. Aba xian), TAP Ngaba, Präfektur Sichuan, gelegene Ngaba Kirti Klosterschule wurde 1994 dank der großzügigen Unterstützung von Soepa Nagur, einem reichen Geschäftsmann, gegründet. Die Schüler waren alle Novizen-Mönche im Alter von 7-20 Jahren. Am 29. Juli 2003, als die Schule wegen der Ferien zugemacht hatte, drangen chinesische Beamte ein und holten die im Schulhof aufgezogene chinesische Nationalflagge herunter und erklärten die Schule für geschlossen. Da der Schulunterricht am 20. August allgemein wieder begann, erklärten die Behörden, daß die Schüler nun in die Bontse Schule (eine staatliche Schule für gemeinsame Erziehung) gehen müßten, falls sie weiterlernen wollten. In ihre alte Schule dürften sie nicht zurückkehren. Am 29. Juli wurde die Kirti Klosterschule offiziell geschlossen (tib. kirti nang bstan slob gling), und ihr Sponsor Soepa Nagur (tib. bzod pa sna sgur) verschwand am 31. Juli 2003. Siehe Pressemeldung des TCHRD: "Klosterschule von Ngaba Kirti geschlossen und ihr Sponsor verschwunden", www.tchrd.org/press/2003/pr20030924.html.

13) Die Tsa-Sur Schule (tib. tsha zur), im Volk auch Tsang-Sul Schule genannt, eine tibetische Privatschule in Lhasa, wurde 1988 dank der vereinten Bemühungen dreier Tibeter zur Erhaltung der tibetischen Sprache gegründet. Im ersten Jahr wurde sie durch die freiwilligen Beiträge der Schülerermöglicht. Später erhielt sie auch Spenden aus dem Ausland. Die Mehrheit der Lehrer waren ehemalige politische Gefangene oder Leute mit einer politisch aktiven Vergangenheit. Die Tsang Sul Schule war wegen ihrer niedrigen Schulgebühren und ihrem hohen Unterrichtstandard sehr populär. Bis zur Mittelschulstufe wurde ein ähnlicher Lehrplan wie an anderen Schulen befolgt, außer daß Tibetisch das Hauptfach war, gefolgt von Chinesisch, Mathe und Englisch. 2002 hatte diese Schule 500 Schüler. 60 davon waren Waisen, die freie Erziehung erhielten, während die anderen, die meistens die sonst üblichen hohen Gebühren nicht zahlen konnten, einen Nominalbetrag von 20 Yuan pro Semester abgaben. Zwölf Lehrer lehrten an der Schule mit Topgyal als Direktor, Verwalter und Hauptlehrer. Die Schule machte gute Fortschritte bis 2001, als immer mehr Eltern ihre Kinder von der staatlichen Schule Yuethong No. 1 nahmen und zur Tsang Sul Schule schickten. Die Behörden legten dies der Tsang Sul Schule zur Last. Dort ansässige Bewohner meinen, daß die wachsende Popularität der Schule sowie ihre Weigerung, den Vorgaben der Regierung zu folgen und höhere Gebühren zu verlangen, zu ihrer Schließung führten. Die Behörden behaupteten, die Schule habe mit der "Dalai Clique" in Verbindung gestanden. Das Grundstück und das Schulgebäude waren von einer Familie angemietet worden, die dort wohnte. Nachdem die Behörden die Schule Ende Juli 2002 für geschlossen erklärten, wurde dem Grundbesitzer verboten, sein Gelände fortan für schulische Zwecke zu vermieten.

14) TCHRD Interview, 12 November 2003.

15) Barbara Erickson, p. 113.

16) Badeng Nyima, Problems related to bilingual education in Tibet, http://www.khamaid.org/programs/Education.

17) Barbara Erickson, p. 113.

18) www.gzfs.con.cn/ganzisite/Site/fzgh_mb.sp?tID-429.

19) www.khamaid.org/programs/education/xinlong%20request.htm.

20) Barbara Erickson, p. 102.

21) ibid, p. 112.

22) TCHRD Interview, 10 Nov. 2003.

23) Barbara Erickson, Tibet, p. 113.

24) Catriona Bass, Education in Tibet, Vocational Secondary Education, p. 168.

25) TCHRD Interview, 10 Nov. 2003.

26) TIN Interview.

27) Xinhua Net.com 15 Oct 2003.

28) TIN Interview.

29) http://fpeng.peopledaily.com.cn/200003/21/eng20000321_37815.html.

30) Pamela Logan, Education in Litan County, 31 July 2001. www.khamaid.org/programs/education/litangeducation.htm.

31) www.khamaid.org/programs/education/dzongsarschool.htm

32) TCHRD Interview vom 12. Nov. 2003, ein 29-jähriger ehemaliger Dorfschullehrer aus dem Distrikt Dragyab traf 2003 im Exil ein, möchte jedoch anonym bleiben.

33) www.khamaid.org/programs/education/xinlong%20request.htm.

34) Melvyn C. Goldstein, Ben Jiao, Cynthia M. Beal and Phuntsok Tsering, Development and Change in Rural Tibet. Problems and Adaptations.

35) www.gzfz.cov.cn/ganzisite/Site/fzgh_mb.asp?tID=429.

36) www.dealingfordonation.co.uk/html/china.html.

37) Barbara Erickson, p. 115.

38) www.dealingfordonation.co.uk/html/china.html.

39) TIN Interview with Yangkho, Qinghai Province.

40) TIN Interview with Yangkho, Qinghai Province.

41) 23. März 2003.

42) TIN Interview with Yangkho, Qinghai Province, online search: http://www.khamaid.org/programs/education/Tibetan%20language%20in%20education.htm.

43) UN Menschenrechtskommission, 60. Sitzung, Punkt 10 der vorläufigen Tagesordnung, E/CN.4/2004/45/Add.1, 21 Nov. 2003.

44) www.cnn.com, China to go west with education, 12 June 2003.

45) Zitiert von Kate Saunders.