27. Mai 1998
Bericht der Menschenrechts-Delegation der Europäischen Union nach Tibet
vom 1. bis 10. Mai 1998

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I. Allgemeines

Als Teil des EU/China Menschenrechtsdialoges besuchten drei Botschafter der Europäischen Union Tibet vom 1. bis 10. Mai 1998, begleitet von einem Konsul der Britischen Botschaft und einem Dolmetscher für Tibetisch/Englisch. Die Delegation wurde durchwegs von Kadern der chinesischen Regierung, darunter auch Vertretern der TAR Regierung begleitet. Die Delegation bestimmte die wesentlichen Punkte des Programms selbst, darunter Gespräche in Lhasa mit 14 Verwaltungsabteilungen, Besuch von 9 religiösen Institutionen und Besichtigung von Gesundheits- und Erziehungseinrichtungen, dazu noch eine Fahrt nach Shigatse. Das Programm war streng überwacht, und ein ungehindertes Treffen mit Mönchen und Nonnen oder Gefangenen war trotz wiederholter Bitten unmöglich. Dennoch konnte die Delegation einige nützliche Informationen sammeln und einen Eindruck von der Lage in Tibet gewinnen. Ganz selten kam es zu einigen wenigen informellen Kontakten.

Religion

Obwohl die religiöse Praxis in den Einrichtungen, die besucht wurden, ungehindert vonstatten zu gehen schien, merkte die Delegation wohl, mit welch hartem Griff der Staat die religiöse Aktivität kontrolliert. Patriotische Erziehungs-Abordnungen hatten seit 1996 alle religiösen Institutionen erreicht, um Mönche und Nonnen in Patriotismus und Gesetz zu unterrichten. Sie hatten nun beinahe ihre Aufgabe erfüllt. Als Resultat ihres Wirkens waren 3.754 Personen aus den Klöstern entlassen worden, darunter 1.115 Novizen unter dem vorgeschriebenen Mindestalter von 18 Jahren. Der Staat hat die Anzahl von Mönchen und Nonnen in Klöstern beschränkt, und es wurde klargemacht, daß die offiziell genannte Zahl von 46.000 Monastischen als die gegenwärtige Höchstgrenze betrachtet wird. Der Staat greift auch durch Vertretensein in den Democratic Management Committees (DMC) in die Funktion der Klöster ein. Der religiöse Glaube ist immer noch stark in Tibet und bildet einen grundlegenden Aspekt der tibetischen Kultur. Das Ansehen des Dalai Lama ist immer noch sehr hoch bei dem tibetischen Volk. Obwohl der Delegation wiederholt versichert wurde, daß Gedhun Choekyi Nyima, der von dem Dalai Lama als Reinkarnation des Panchen Lama erkorene Knabe, ein normales Leben führe, wurde ihr ein Besuch bei ihm verweigert.

Erziehung

Erziehung ist entscheidend für die Modernisierung Tibets. Gleichzeitig könnte sie bei der Bewahrung der kulturellen Identität der Tibeter eine Schlüsselrolle spielen. Der Analphabetismus ist mit 52% immer noch hoch, obwohl der Staat bemüht ist, die Erziehung auf allen Stufen zu fördern, und behauptet wird, daß im Unterschied zu anderen Teilen Chinas keine Schulgebühren erhoben würden. Viel bleibt noch zu tun übrig. So viel Unterricht in tibetischer Sprache, wie nur irgend möglich, ist dringend erforderlich. Aber gleichzeitig müssen die Tibeter auch Chinesisch lernen, besonders was die höhere Ausbildung anbetrifft. Die Delegation sah nur wenig von einem ausdrücklichen Unterricht in Tibetisch und konstatierte, daß die Abteilung für Tibetisch an der Tibet Universität in diesem Jahr unter dem Vorwand, das Lehrmaterial müsse überholt werden, überhaupt keine Studenten zur Einschreibung zuließ.

Gesundheitswesen

Die Obrigkeit war bestrebt, immer wieder auf die Anstrengungen hinzuweisen, die zur Förderung der traditionellen tibetischen Medizin unternommen würden. Die durchschnittliche Lebenserwartung der Tibeter liege nun bei über 60 Jahren. Dies bedeutet einen beträchtlichen Fortschritt gegenüber der Vergangenheit, aber bleibt noch hinter dem größten Teil des übrigen Chinas zurück.

Wirtschaftliche Bedingungen

Die Zentralregierung fährt fort, Tibet in großem Umfang zu subventionieren, und hat eine Reihe von Präferenz-Politiken zur Anlockung von Investitionen in Tibet geschaffen. Die Delegation fragte mehrmals, ob es auch kommerzielle Vorzugsmaßnahmen gäbe, die nur auf Tibeter ausgerichtet sind: Es gibt keine. Trotzdem ist die Tatsache der wirtschaftlichen Entwicklung und das Ausmaß von Investitionen in der Infrastruktur deutlich wahrnehmbar. Die staatlichen Stellen stritten ab, daß die PLA (Volksbefreiungsarmee) am Bergbau oder anderen Unternehmen zur Ausbeutung der Naturressourcen Tibets beteiligt sei.

Familienplanung

Es gibt besondere Familienplanungschemas für Tibeter. Der Delegation wurde erklärt, daß die Regierung in ländlichen Gegenden nicht mehr als 3 Kinder pro Familie gutheißt, aber es keine absoluten Restriktionen gäbe. In der Verwaltung angestellte Tibeter könnten zwei Kinder haben, vorausgesetzt, daß ein 3-jähriger Abstand zwischen ihnen liegt. Die Familienplanungsrichtlinien seien völlig freiwillig, und Berichte über Zwang oder gewaltsame Abtreibung wurden kategorisch abgestritten.

Sicherheit und Polizei

Die Delegation erkundigte sich über die öffentliche Ordnung in Tibet und das Gefängnissystem. Ihre Gesprächspartner antworteten, die Sicherheitslage hätte sich in den letzten Jahren gebessert, was vielfach auf den patriotischen Umerziehungsfeldzug zurückzuführen sei. Tibet hätte eine der niedrigsten Verbrechensraten im Lande mit nur 2.075 schweren Straftaten im letzten Jahr. Die Anzahl der Gefängnisinsassen betrage 1.800, wovon 200 wegen dem, was als Verbrechen gegen die Staatssicherheit bezeichnet wird, einsäßen. Es schien auch, daß in ganz Tibet durch einen politischen Feldzug im alten Stil große Bemühungen unternommen werden, die “patriotischen” Gefühle der Leute zu entwickeln, was im wesentlichen die Abkehr vom tibetischen Nationalismus bedeutet, ein Punkt, an dem die Behörden sehr empfindlich sind.

Die Delegation besuchte am 4. Mai das Drapchi Gefängnis, nichts davon ahnend, daß späteren Berichten zufolge dort am 4. Mai Demonstrationen stattfanden. Es gab kein sichtbares Zeichen solcher Vorfälle. Der Delegation wurde der Zugang zu bestimmten Gefangenen verwehrt, die sie gerne sehen wollte, aber sie durfte einen jungen Gefangenen interviewen, der eine Haftstrafe von 13 Jahren hatte, weil er Parolen gerufen hatte. Zu fünf der Gefangenen, welche die Delegation namentlich genannt hatte, wurden später einige Informationen geliefert.

Einwanderung

Immigranten sind hauptsächlich die Han Chinesen, aber es gibt auch andere ethnische Minoritäten darunter. Die offizielle Linie ist, daß diese Leute wegen der Fertigkeiten, die sie zur Entwicklung Tibets mitbringen, deutlich willkommen geheißen werden. Hinsichtlich ihrer Ansiedelung gäbe es strenge Einschränkungen, und die meisten von ihnen würden ohnehin nur vorübergehend in Tibet sein. Aber der Reineffekt ist doch eine Verwandlung von Lhasa zu einer chinesischen Stadt und ein deutliches Hereinströmen von Geschäftsleuten und Unternehmern, die nicht gerade der Entwicklung Tibets zugute kommen.

Abschliessende Bemerkungen

Trotz dieser Einschränkungen konnte die Delegation einige nützliche Informationen und Eindrücke über die Lage in Tibet sammeln. Das von den Regierungsvertretern gemalte Bild war natürlich ein rosiges. Aber alle befragten Kader waren bereit, eine große Breite von Fragen zu beantworten. Im übrigen sollten Informationen sowohl aus offizieller, als auch aus inoffizieller Quelle mit Vorsicht behandelt werden. Der Bericht nennt einige der Diskrepanzen zwischen den verschiedenen Versionen.

Den Delegierten wurde kein Zweifel daran gelassen, daß die Machthaber in der TAR eine extrem scharfe Kontrolle über die grundlegenden Züge der tibetischen Religion und Kultur ausüben. Sie hatten nicht den Eindruck, daß dies auf eine Feindschaft gegen Religion und Kultur an und für sich zurückzuführen ist. Die erste Priorität der Regierung ist eindeutig der Kampf gegen den politischen Ausdruck des tibetischen Nationalismus und richtet sich gegen das Aufkommen einer Unabhängigkeitsbewegung, die in den Augen des Staates am stärksten in den religiösen Einrichtungen und Zentren der tibetischen Kultur vertreten ist.

Der Delegation fiel auch ein Widerspruch zwischen der traditionellen tibetischen Gesellschaft und der Notwendigkeit einer modernen Entwicklung auf. Tibet ist nicht gut angelegt, um mit dem modernen Leben fertigzuwerden. Dieser Umstand wäre zwar kein ernstes Motiv für ein Eingreifen der Behörden, aber führte doch zu ihrem sichtlichen Verdruß über die traditionelle tibetische Lebensweise und zu einer nicht gerade verständnisvollen Haltung ihr gegenüber.

Zum Abschluß des Besuches traf die Delegation den Vorsitzenden der TAR-Regierung, Gyaincain (Gyaltsen) Norbu. Sie sprach wieder, wie bei anderen Regierungsvertretern im Verlauf des Besuches, das Thema der politischen Gefangenen an, und argumentierte, daß angesichts der sichtlichen Besserung der innenpolitischen Lage, wie es von der Regierung behauptet wird, dies der richtige Augenblick sei, eine mildere Politik zu verfolgen. Sie machte auch den Vorschlag, daß darauf geachtet werden sollte, daß Tibeter, im Gegensatz zu den eingewanderten Han Chinesen, vermehrt Nutzen von den Maßnahmen haben sollten, die zur Förderung der tibetischen Wirtschaft bezweckt sind.

II. Einzelheiten

1. Ursprung der Mission:

Die Idee einer EU Mission zur Untersuchung der Menschenrechtslage in Tibet wurde anfänglich im Zusammenhang mit dem derzeitigen EU/China Dialog über Menschenrechtsfragen konzipiert. In der ersten Runde des wiederaufgenommenen EU/China Menschenrechtsdialoges, die im Oktober 1997 in Luxembourg stattfand, schlugen die Vertreter der Kommission der chinesischen Seite vor, daß die Botschafter der drei EU-Länder in Peking Tibet besuchen sollten, um dort die Menschenrechtslage zu studieren. Die chinesische Seite sagte, sie wolle den Vorschlag ernstlich in Erwägung ziehen. Ein zweites Treffen kam im Dezember 1997 in Peking zustande, wo die Chinesen prinzipiell dem Besuch zustimmten. Nach einem informellen Gespräch im Rahmen des Menschenrechtsdialogs im Febrduar 1998 in Peking schlug die EU Seite vor, daß der Besuch Anfang Mai stattfinden solle, und die Delegation auf Botschafterebene (mit einer Begleitperson für jeden Delegierten) erfolgen solle. Die zu untersuchenden Fragen würden auch Religionsfreiheit, das ethnische Gleichgewicht in Tibet und die wirtschaftliche und soziale Situation verschiedener ethnischer Gruppen in Tibet einschließen. Die chinesische Seite nahm diese Vorschläge zur Kenntnis und versprach, sie an die tibetischen Regierungsstellen weiterzuleiten.

2. Vorbereitungen:

Nach dieser prinzipiellen Vereinbarung wurden die praktischen Schritte für den Besuch zwischen dem chinesischen Außenministerium und der Botschaft des EU-Ratsvorsitzenden in Peking ausgehandelt. Die EU-Botschaft legte dem Außenministerium Vorschläge für die Punkte und den Zeitablauf des Programms vor, das nach geraumer Zeit mit einem Programmentwurf der TAR-Regierung antwortete. Weitere Verhandlungen ergaben auf Bitten der EU die Hereinnahme einer Anzahl von Extrapunkten, sowie Besuche von religiösen Institutionen etwas abseits der Touristenroute und den Besuch einer Volksschule, mit der Österreich besondere Beziehungen pflegt. Die meisten Programm-Bitten der EU wurden respektiert, und die Punkte, die verweigert wurden, bezogen sich hauptsächlich auf Klöster, die physisch schwer zugänglich seien.

3. Das einzige richtige Problem,

das zu diesem Zeitpunkt auftauchte, war der Wunsch der EU, einen Dolmetscher für Tibetisch in die Delegation einzuschließen. Das Ministry of Foreign Affairs informierte uns anfänglich, daß die TAR-Stellen mit der Begründung, sie könnten selbst eine vollkommen angemessene Erklärung in Tibetisch und Chinesisch vermitteln, keinen Dolmetscher akzeptieren würden. Die EU wandte ein, daß es eine ganz normale internationale Praxis ist, daß Delegationen ihre eigenen Dolmetscher mitbringen würden, wenn sie das so wünschten. Nach einer Intervention des EU-Botschafters informierte uns schließlich die chinesische Seite, daß die TAR der Begleitung der Delegation durch einen Dolmetscher zugestimmt hätte.

4. Mitglieder der Delegation:

Wie schließlich beschlossen wurde, bestand die Delegation aus drei Botschaftern, Anthony Galsworthy (UK, Ratspräsidentschaft), Pierre-Louis Lorenz (Luxembourg), Dr Gerhard Ziegler (Österreich) und Endymion Wilkinson (Kommission). Ihnen standen zur Seite Roderic Wye (First Secretary, British Embassy) und Peter Roberts (Oxford University), der Tibetisch-Dolmetscher. Drei Mitglieder der Delegation sprachen Chinesisch.

5. Zuständigkeitsbereich:

Nach viel Diskussion wurde beschlossen, daß die Delegation sich auf folgende Gebiete konzentrieren solle, die ein gutes Bild der Menschenrechtslage in Tibet abgeben:

  • Achtung für die Grundfreiheiten der freien Rede, des Umgangs, der Versammlung, Freiheit von willkürlicher Verhaftung;
  • Fälle von ausgewählten individuellen Häftlingen und Gefängnisbedingungen allgemein;
  • religiöse Fragen, besonders was die Politik der Überwachung von Klöstern und Orten der Anbetung anbelangt, Freiheit des Glaubens usw;
  • wirtschaftliche und soziale Fragen, die Wirtschaftsentwicklung der TAR, Einwanderungspolitik, wirtschaftliche Lage der Tibeter;
  • Geburtenkontrollpolitik und ihr Vergleich mit anderen Gegenden Chinas;
  • Umweltfragen, Abholzung, Bergbau und Projekte zur Wasserkraftgewinnung.

6. Übersicht des Programms:

Das endgültige Programm enthielt die meisten Punkte, um welche die Delegation gebeten hatte. Die Hauptelemente umfaßten:

  • Gespräche mit den Vertretern von 14 Regierungsabteilungen und anderen Einrichtungen in der TAR. Diese waren: Der Regionalausschuß für Wirtschafts- und Gewerbereform, die Handelskammer, die regionale Justizbehörde, das regionale Sicherheitsbüro, der regionale Höhere Volksgerichtshof, die Regionalbehörde für Kultur, das Regionalbüro für Staatsbürger-Belange, die regionale Erziehungs-Kommission, die regionale Familienplanungs-Kommission, die Regionalkommission für Nationalitäten und Religion, die regionale Wirtschaftsplanungs-Kommission, die Regionalabteilung für Außenhandel und Wirtschaftszusammenarbeit, die regionale buddhistische Vereinigung und das regionale Staatsarchiv. Die Delegation hatte auch separate Gespräche mit dem ersten und zweiten Vorsitzenden der Autonomen Region Tibet und mit den leitenden Kadern der Präfektur Shigatse.

  • Besuch von neun Klöstern und anderen religiösen Stätten;

  • Eine Fahrt nach Shigatse und dabei Halt in einem Dorf zur Inaugenscheinahme des Dorflebens

  • Besuch von Erziehungs- und Gesundheitsanstalten (eine Grund- und eine Mittelschule in Lhasa, ein Frauen- und Kinder-Hospital in Lhasa und die Tibet Universität);

  • Gespräche mit Vertretern einiger tibetischer und ausländischer NGOs, die in Tibet wirken, einschließlich des Tibet Development Fund und der Tibet-Hilfe für entlegene Gegenden. Die Delegation besuchte auch die Gegend des Panam Projektes.

7. Offizielle Begleiter:

Die Delegation wurde von drei Angehörigen der Westeuropa-Sektion des chinesischen Außenministeriums begleitet. Eine ausgezeichnete offizielle Dolmetscherin für sowohl Chinesisch als auch Tibetisch, Frau Ba Sang, wurde von dem “Foreign Affairs Office” (FAO) der TAR zur Verfügung gestellt. Die Delegation wurde auch von verschiedenen Kadern des regionalen FAO begleitet, darunter der Direktorin Frau Sonam, und von verschiedenen Angehörigen der auf dem Programm stehenden Institutionen. Alle Programm-Punkte wurden streng überwacht, und alle formellen Interviews fanden in Anwesenheit der gesamten Gefolgschaft statt, was die Norm ist bei der Abhaltung solcher Interviews in China. Die Delegation merkte wohl, daß sie auf Schritt und Tritt überwacht wurde, obwohl keine Versuche unternommen wurden, der Durchführung des Programms Hindernisse in den Weg zu legen.

8. Programmänderungen:

Kurz nach Ankunft der Delegation in Tibet legte die tibetische Regierung ein neues Programm vor, in dem der Besuch von Drapchi gestrichen war. Statt dessen war dort eine Lücke, wo stand: “Noch zu entscheiden”. Die Delegation beschwerte sich sofort bei dem FAO der TAR und ebenso bei dem Zweiten Vorsitzenden der TAR. Der Besuch wurde daraufhin wieder eingesetzt und fand unmittelbar nach dem Gespräch mit dem zweiten Vorsitzenden am 4. Mai statt.

9. Gedhun Choekyi Nyima.

Sowohl vor der Mission als auch in Tibet forderte die Delegation wiederholt, daß sie Gedhun Choekyi Nyima, den vom Dalai Lama als Reinkarnation des Panchen Lama erwählten Knaben, zu sehen bekomme. Die Delegation erklärte, daß diese Bitte nur aus humanitären Gründen erfolge, um eine Bestätigung für die von den Behörden gegebene Versicherung, der Knabe führe ein normales Leben, zu erhalten. Die Delegation würde keine Stellung beziehen, ob der Knabe nun die wahre Reinkarnation sei oder nicht; aus diesem Grund schlug sie vor, daß nur die zwei Begleiter der Delegation gehen sollten, und nicht die Botschafter selbst. Die Bitte wurde jedoch abgeschlagen unter dem Vorwand, daß der Knabe und seine Eltern ein normales Leben zu führen wünschten, wobei der Besuch von Fremden nur stören würde. Diese abschlägige Antwort wurde wieder von vielen Beteuerungen begleitet, der Junge sei bei guter Gesundheit und führe ein normales Leben.

10. Bedingungen in Tibet:

Trotz der offiziellen Natur des Besuches und dem Problem, unabhängige, unüberwachte Kontakte zu gewöhnlichen Nonnen und Mönchen und Laien zu gewinnen, konnte die Delegation eine Menge Information sammeln. Sie war auch trotz der oben erwähnten Schwierigkeiten in der Lage, eine kleine Zahl von informellen Begegnungen zu haben. Die Delegation möchte den chinesischen und tibetischen Organisatoren des Programms ihren Dank aussprechen, daß der Zutritt zu fast allen Institutionen, die sie wünschte, gewährt wurde, ebenso wie den in den einzelnen Behörden und Einrichtungen zuständigen Kadern für die Art der Behandlung der gestellten Fragen. Der Bericht ist in Themen gegliedert, anstatt eine chronologische Beschreibung der Reise zu geben.

11. Religion und Religionspolitik:

Dies war eines der Hauptgebiete der Untersuchung. Die Delegation ersuchte um Gespräche mit den Kadern, die für Religionspolitik zuständig sind, sowie um Besuche von religiösen Einrichtungen, um die Lage an Ort und Stelle zu sehen. Sie bat auch vor und während der Reise immer wieder darum, unüberwacht mit Mönchen und Nonnen reden zu können. Tatsächlich wurde sie jedoch die ganze Zeit von einer großen Schar von chinesischen und tibetischen Kadern begleitet. Die Struktur der Besuche schloß praktisch unkontrollierte Begegnungen mit Mönchen und Nonnen von vorneherein aus: Die Delegation wurde nämlich immer von den Vorsitzenden des DMC der betreffenden Institution empfangen, bei denen gewöhnlich noch ein Angehöriger des Büros für Religionsangelegenheiten (RAB) war.

12. Besuche religiöser Stätten:

Bei den Besuchen religiöser Stätten konnte nur ein beschränktes Maß an religiöser Tätigkeit direkt beobachtet werden. Die Hauptausnahme davon war der wohl in letzter Minute beschlossene Besuch eines kleinen Tempels (Tsepag Lhakang) neben dem Ramoche Tempel, wo gerade eine große Zahl von Pilgern und Gläubigen versammelt war. Verschiedene Gründe wurden genannt für das Fehlen von Mönchen und Nonnen an diesem Ort: Sie hätten gerade Ferien oder würden sich auf größere Feste vorbereiten. Dennoch schloß die Delegation, daß die religiöse Praxis in allen von ihr besuchten Institutionen ungehindert vonstatten zu gehen scheint. Die intensiv religiöse Natur der Tibeter und die enge Verbindung zwischen Religion und Kultur waren ganz offensichtlich. Diese Punkte wurden sogar von verschiedenen Offiziellen, darunter dem zweiten Vorsitzenden der TAR, hervorgehoben.

13. Hauptgebiete:

Die Delegation konzentrierte ihre Erkundigungen auf drei Hauptgebiete: die Mittel, durch welche die staatlichen Stellen die Religionsausübung zu kontrollieren und zu manipulieren suchen, die Abordnung der patriotischen Erziehungseinheiten und die Arbeit der Demokratischen Verwaltungs-Komitees (DMC).

14. Haltung und Politik der Behörden:

Die Delegation führte lange Gespräche mit Vertretern der Abteilung für Minderheiten und Religion (Minorities and Religious Affairs Department = MRAD) der TAR, welche die staatliche Behörde für Religionspolitik darstellt, sowie mit der “Tibetan Buddhist Association”. Diese wurde als der “patriotische” Kern der fünf Hauptsekten des tibetischen Buddhismus dargestellt: Sie sei der Regierung bei der Durchführung ihrer Religionspolitik behilflich, fungiere also als eine Art Brücke zwischen den Gläubigen und der Regierung. Der Delegation wurde erklärt, daß es derzeit 1.700 Klöster und religiöse Einrichtungen in Tibet mit 46.000 Lamas, Mönchen und Nonnen gäbe. Es war klar, daß die Behörden dies als eine angemessene Höchstgrenze für die Zahl von Monastischen betrachten. Ganz allgemein waren sie bestrebt, vor allem die organisierte religiöse Aktivität unter Kontrolle zu halten. Die große Mehrheit der Tibeter sind Anhänger des tibetischen Buddhismus (über 96%). Zusätzlich gibt es eine katholische Kirche und 4 islamische Moscheen in Tibet.

15. Religiöse Ausübung:

Der Delegation wurde erzählt, daß die Regierung die normale religiöse Ausübung voll unterstütze und die Abhaltung von religiösen Festen erlaube. Es gäbe keine besonderen Einschränkungen für Regierungsangestellte, Buddhismus auszuüben. Dennoch sei religiöser Glaube nicht vereinbar mit Parteimitgliedschaft, obwohl das nicht die Familienangehörigen betreffe. Die Hauptpflicht des MRAD sei es, die Religionspolitiken der Regierung durchzuführen. Diese Abteilung sei auch verantwortlich für die Festlegung der Quoten für Mönche und Nonnen. Nach Meinung dieser Behörde sei die gegenwärtige Anzahl an Monastischen durchaus genügend zur Deckung der religiösen Bedürfnisse der Bevölkerung, sowohl was die Zeremonien in den Klöstern betrifft, als auch die Entsendung von Lamas in Privathäuser zur Rezitation von heiligen Schriften. Bei der Festlegung von Quoten für die Anzahl der Mönche hätte die Behörde noch eine Reihe von weiteren Faktoren beachtet. Erstens sei es notwendig gewesen, eine Grenze festzulegen, um die Qualität der Mönche und Nonnen zu garantieren. Einige hätten nämlich die Gesetze und Ordnung verletzt und Unruhe in der Gesellschaft gestiftet. Der Staat könne solche illegalen Aktivitäten nicht dulden. Zweitens sei es die Politik der Regierung, daß die Klöster sich selbst versorgen, und daher sei der Unterhalt für viele Klöster, in denen die Mönche und Nonnen größtenteils finanziell von ihren Familien abhängen, ein richtiges Problem geworden. Zu viele Mönche würden eine zu große Last für das Volk bedeuten.

16. Restauration:

Die Regierung hätte seit Beginn der 80er Jahre eine Menge Geld für die Restauration von religiösen Gebäuden ausgegeben. Die Behörde gab eine Ziffer von 300 Mio. Yuan an und fügte hinzu, daß über 100.000 religiöse Artefakte zurückgegeben worden seien. Aber sie machte auch deutlich, daß man es für wesentlich halte, ebenso wie die Anzahl der Mönche und Nonnen auch die Zahl der religiösen Einrichtungen in Schranken zu halten. Der Staat würde nicht-autorisierte religiöse Bauten streng unterbinden. Die Delegation erfuhr separat von Berichten, daß die Behörden einen Monat zuvor die Abreißung von nicht-autorisierten Tempeln und Meditationshöhlen in der Drak Yerpa Einsiedelei in Kreis Daktse vornehmen ließen.

17. Dalai Lama und Panchen Lama:

Der Delegation wurde erklärt, daß es eine lokale Verordnung gäbe, welche Bilder des Dalai Lama verbietet. Wir sahen auch keine in den von uns besuchten religiösen Plätzen, einschließlich des mit dem Dalai Lama am engsten verbundenen, dem Potala Palast (obwohl es in privaten Räumen einige gab). In etlichen Klöstern und Tempeln waren Bilder von seinem Lehrer und zahlreiche Bilder des vorhergehenden Panchen Lama.

18. Chinesischer Panchen Lama:

Das einzige Mal, daß die Delegation Bilder des Jungen sah, der nach chinesischer Manier als Reinkarnation des Panchen Lama bestimmt wurde, war an seinem offiziellen Sitz, dem Tashilhunpo Kloster. Das auffallende Fehlen seiner Bilder an anderen Orten in Tibet läßt schließen, daß es ziemlichen Vorbehalt bei der Bevölkerung ihm gegenüber gibt, eine Ansicht, die in inoffiziellen Gesprächen bestätigt wurde. Den Delegierten wurde gesagt, der Knabe hätte das Tashilhunpo Kloster zweimal besucht, einmal bei seiner Inthronisation und bei einer weiteren Zeremonie 1997. Der Mönch, der sie in Tashilhunpo herumführte sagte, der Junge sei gegenwärtig in Peking, wo er in Buddhismus unterrichtet würde. Einige seiner Lehrer seien aus Tashilhunpo.

19. Bilder des Dalai Lama.

Es gäbe keine Einschränkungen für gewöhnliche Leute, Photos des Dalai Lama in ihren Häusern zu haben, denn das sei ihre Privatsache. Die Delegation sah in der Tat Photos des Dalai Lama in einigen ländlichen Haushalten, die sie besuchte. Die Begleiter machten keine Bemerkung dazu, und es scheint daher als normal angesehen zu werden. In kurzen Augenblicken unüberwachter Gespräche mit einigen Leuten gewann die Delegation den Eindruck, daß der Dalai Lama zumindest in Lhasa immer noch große Achtung genieße, nicht nur als religiöses Oberhaupt, sondern auch als politische Gestalt. Das ist vielleicht nicht in ganz Tibet der Fall. Die Verantwortlichen in Shigatse schrieben die ihrer Meinung nach vergleichsweise stabilere Sicherheitslage der Tatsache zu, daß der Einfluß des Dalai Lama in dieser Region zurückgegangen sei.

20. Patriotische Umerziehung:

Die Abordnungen zur patriotischen Erziehung sind das Hauptinstrument, wodurch der Staat Kontrolle über die in seinen Augen bedrohliche politische Aktivität in den Klöstern zu gewinnen sucht. Das MRAD erklärte, daß Religionsfreiheit seit dem Dritten Plenum 1979 gelte, aber die Durchführung der Religionspolitik in der letzten Zeit etwas vernachlässigt worden sei. Die Zahl der Klöster, Mönche und Nonnen sei zu groß geworden. Die Behörden hätten versäumt, sie gebührend zu überwachen, und daher sei in einigen der schädliche Einfluß der Dalai Lama Clique zu stark geworden. Einige Klöster hätten sogar Anhänger des Dalai Lama in ihrer Schar gehabt, die dem Separatismus oblagen und in den Straßen Lhasas randalierten. Einige Mönche hätten das Gesetz oder die Situation Tibets nicht richtig begriffen und seien blind dem Dalai Lama und seinem Ruf nach Unabhängigkeit für Tibet gefolgt. Daher sei es notwendig gewesen, patriotischen Unterricht einzurichten und Gesetzeskunde zu lehren.

21. Arbeitsteams:

Damit diese patriotische Erziehung richtig vonstatten geht, hätte die Regierung Arbeitsabordnungen in die Klöster gesandt. Diese seien zuerst Anfang 1996 als eine Art Experiment in die Hauptklöster der Gegend von Lhasa, also Sera, Ganden und Drepung, entsandt worden. Ähnliche Versuchsobjekte seien in den anderen administrativen Zonen Tibets gewählt worden. Das Experiment sei sehr erfolgreich verlaufen und sei dann seit 1997 auf die ganze TAR ausgeweitet worden. Die durchschnittliche Anwesenheit der Abordnungen betrage einige Monate. Die meisten der Arbeitsabordnungen hätten nun ihre Aufgabe erfüllt, obwohl in den kleineren und entlegenen Klöstern noch ein paar geblieben seien. Sie würden auch dieses Jahr ihre Arbeit beenden.

22. Aufgabe der Arbeitsteams:

Die Hauptaufgabe der Arbeitsabordnungen sei, die Mönche und Nonnen in Patriotismus und Gesetzeskunde zu unterrichten. Sie werden über die nationale Einheit und die Geschichte der Beziehungen zwischen China und Tibet belehrt, ebenfalls, wie man sich gegen separatistische Tendenzen zur Wehr setzt und wie die Einheit des Mutterlandes bewahrt werden kann. Weiterhin werden sie in Gesetzeskunde und Verfassung, besonders über die religiöse Gesetzgebung und über die gegenwärtige politische Linie unterrichtet. Zum Schluß des Kurses müssen alle Mönche und Nonnen eine Prüfung ablegen und bestehen (obwohl sie den Kurs bis zum Erfolg wiederholen können). Alle Mönche und Nonnen müssen patriotisch gesinnt sein, die Belehrung annehmen und Gesetz und Ordnung einhalten. Andere Anforderungen würden nicht an sie gestellt. Die Delegation hatte gehört, daß es größere Probleme bei der Arbeit dieser Abordnungen gegeben hätte, weil von allen Mönchen und Nonnen verlangt worden sei, am Ende des Kurses ein Dokument zu unterschreiben, worin sie sich vom Dalai Lama lossagen müßten. Die Delegation ergriff jede Gelegenheit, um die Gesprächspartner danach zu fragen. Das MRAD bestritt, daß allgemein verlangt würde, daß Mönche und Nonnen am Ende ihres Studiums so ein Dokument unterschreiben müßten, aber räumten ein, daß die einzelnen Arbeitsgruppen auch nach eigenem Ermessen handeln könnten und manche vielleicht so etwas praktiziert hätten. Weitere Fragen ergaben, daß die Art der Durchführung unterschiedlich war. Im Kloster Ganden wurde der Delegation speziell gesagt, daß die Mönche ein derartiges Dokument unterschreiben mußten. In einer Reihe anderer Einrichtungen hätte es keine solche Verpflichtung gegeben.

23. Kritik der Arbeitsteams:

Dank der Arbeit dieser Abordnungen sei das normale religiöse Leben nun wieder hergestellt. Frühere Ungereimtheiten seien ausgemerzt worden. Die Arbeit der Abordnungen hätte zu keinen größeren Zwischenfällen geführt (Information aus anderen Quellen deutet an, daß dies nicht immer der Fall war. Während der Standard der in die größeren Klöster entsandten Abordnungen allgemein ziemlich hoch war, waren die in entlegene Gebiete geschickten oft etwas schwerfällig. In einem Frauenkloster bei Shigatse wurde Gewalt bei den Nonnen angewandt. Bei einem anderen Zwischenfall in der Präfektur Nagchu letztes Jahr hätte sich die Lokalbevölkerung erhoben, um das Kloster vor einem besonders üblen Arbeitsteam zu schützen. Das hätte zum Verlust einiger Leben geführt). Offiziellen Angaben zufolge sind die Abordnungen gegen einige Mitglieder der religiösen Einrichtungen vorgegangen, welche das Gesetz und die Regeln gebrochen hätten. Im ganzen seien 3.754 Personen als Folge des Wirkens der Arbeitsteams entlassen worden. Dazu gehört auch das Nachhauseschicken von Novizen unter dem festgelegten Mindestalter von 18 (das waren 1.115). Die meisten der anderen seien wegen ihres schlechten Benehmens weggeschickt worden. 20 Personen hätten sich strafrechtlich schuldig gemacht. Nach Abzug der Arbeitsteams würde die patriotische und politische Erziehung etwas weniger intensiv fortgesetzt, gewöhnlich einmal monatlich, wofür dann das lokale Religionsbüro zuständig sei.

24. Obergrenze für Mönche:

Eine weitere Hauptfunktion der Arbeitsteams scheint die Festsetzung der Höchstgrenze von Mönchen und Nonnen in einem Kloster zu sein. Ganz eindeutig wurde überall das gesetzliche Mindestaufnahmealter von 18 Jahren durchgesetzt. Trotzdem sah die Delegation in einer Reihe von Einrichtungen einige Jungen, die offensichtlich unter diesem Alter waren. Als sie darauf hinwies, wurde ihr geantwortet, diese Kinder seien von anderswoher zu Besuch gekommen. Es war ziemlich klar, daß die jetzigen Höchstgrenzen von den Arbeitsabordnungen stammen. Alle Klöster, welche die Delegation besuchte, waren zahlenmäßig beinahe an ihrer Grenze angelangt, mit Ausnahme von Drepung, wo die Dinge komplizierter waren.

25. “Democratic Management Committees” (DMC):

Jedes Kloster und jede Institution, die besucht wurden, hatten einen Demokratischen Verwaltungsrat, welcher die administrativen und nichtreligiösen Angelegenheiten leitete. Für rein religiöse Belange gab es ein separates Organ. Der Abt oder die leitende religiöse Persönlichkeit war immer auch ein Mitglied des Komitees, aber nicht unbedingt sein Vorsitzender. Dem DMC gehörten auch immer ein oder mehrere Kader von der lokalen Religions-Behörde oder der Lokalverwaltung an. Dem DMC oblag die tägliche Verwaltung des Klosters, wie auch die politische und patriotische Erziehung nach dem Weggang des Arbeitsteams. Es ist das hauptsächliche organisatorische Mittel, durch das die alltägliche Kontrolle und Handhabung der Dinge in den Klöstern durchgeführt wurde. Die Delegation bekam auch in einer von ihr besuchten Institution eine Ausgabe der Regulationen für das DMC zu sehen, aus der die im wesentlichen politische und überwachende Funktion der DMC ganz deutlich hervorging.

26. Auswahl der DMCs:

Die Kader behaupteten, daß das DMC allgemein durch einen demokratischen Wahlprozeß ernannt würde. Aber in den meisten besuchten Einrichtungen schien eher eine Art von Besetzung durch Auswahl der Fall zu sein, obwohl in mindestens einem Frauenkloster die Mitglieder durch Abstimmung gewählt wurden. Einige Klöster sahen den Wert solcher Wahlprozesse nicht ein und zogen es vor, einfach den Abt und andere hochrangige Personen der traditionellen Hierarchie einzusetzen. Sie legten Wert darauf, solche Personen im Komitee zu haben, weil es sonst nicht gebührend respektiert würde. Es enthielt auch unweigerlich Kader von dem örtlichen Religionsbüro oder der örtlichen Regierung. Das DMC war verantwortlich für die tägliche Verwaltung des Klosters, ebenso wie für Zulassung und Ausweisung von Mönchen. Solche Entscheidungen konnten nur von dem DMC getroffen werden.

27. Zuständigkeit der DMCs

Rein religiöse Belang liegen außerhalb der Zuständigkeit des DMC und obliegen dem Komitee für religiöse oder buddhistische Angelegenheiten. Es gab keinen Hinweis auf eine offizielle Einmischung in solchen Dingen.

28. Rekrutierung und Training:

Die Durchsetzung eines Mindestalters für die Aufnahme in den Klöstern wird auf Dauer gesehen die traditionellen Methoden der Rekrutierung und Weitergabe von religiösem Wissen unterhöhlen. In den von der Delegation besuchten Institutionen wurde nur wenig von Neuaufnahmen gesehen, da sie fast alle bis zu der offiziellen Quote voll waren. Daraus schloß man, daß es in der nächsten Zukunft nur wenig Spielraum für regulären Nachwuchs gibt, wenn auch der Tod oder die Rückkehr zum Laienstatus einiger Mönche und Nonnen freie Plätze schafft. Die offiziellen Äußerungen gingen dahin, daß die Aufnahme von Nachwuchs freiwillig sein müsse. Es hätte Fälle gegeben, wo die Eltern ein Kind ins Kloster schicken wollten, aber das Kind dies nicht wollte. Es folge gewöhnlich ein Noviziat von 6 Monaten bis 1 Jahr, während dessen das Kloster entscheiden könne, ob der Anwärter sich eigne. Die von uns besuchten Einrichtungen gaben auch an, daß die Anwärter von der Lokalbehörde Erlaubnis brauchten, um dem Kloster beizutreten.

29. Qualifikation der Mönche:

Die Antworten hinsichtlich der Qualifikation der Mönche und ihre Kenntnis in Riten und Schriften waren unterschiedlich. Eine betagte Äbtissin meinte, sie finde keinen wesentlichen Unterschied zu der Zeit, als sie vor 50 Jahren eintrat. Aber die meisten wiesen auf den Schaden hin, der während der Kulturrevolution der Tradition zugefügt wurde. Viel sei schon getan worden, um ihn wieder gut zu machen, aber es sei schwierig, Lehrer zu finden, die ein fundiertes Wissen der heiligen Texte haben. Die Buddhistische Vereinigung hätte 1984 ein Buddhistisches College zur Ausbildung von Mönchen in buddhistischer Kultur geschaffen. Ursprünglich seien 200 eingeschrieben gewesen (für einen 10Jahres Kurs) und diese hätten nun den Abschluß erreicht, aber wegen Geldmangels gäbe es nun keinen Unterricht und keine Neuaufnahmen mehr.

30. Erziehung:

Die Fähigkeit der Tibeter, von sich aus mit den Problemen und Herausforderungen der modernen Zeit fertigzuwerden, wird kritisch gesehen. Gleichzeitig ist die Erziehung eine der Hauptmöglichkeiten zur Erhaltung ihrer eigenen kulturellen Identität. Wenn der Unterricht den gewöhnlichen Tibetern zugänglich sein soll, muß er besonders auf der Grundschulstufe auf Tibetisch erfolgen. Die Kader der Erziehungskommission meinten, daß es gerade ihr Ziel sei, solche Schritte einzuleiten, die dem tibetischen Volk zugute kommen. Das Budget für Erziehung würde 20% des gesamten Budgets der Region ausmachen. Das ins Auge gefaßte Ziel sei, bis zum Ende nächsten Jahres Grundschulen in jedem Dorf, und Mittelschulen in jedem Kreis zu haben. Der Besuch der Grundschulen betrage nun etwa 78% (4.251 Schulen). Es ist unklar, wie viele Jahre diese Kinder zur Schule gehen. Etwa 16% der Grundschüler gingen weiter zur Unterstufe der Mittelschule, und wieder die Hälfte davon dann zur Oberstufe der Mittelschule.

31. Analphabetismus:

Der Prozentsatz in Tibet soll 52% betragen. Zwei Hauptprobleme stünden im Wege, nämlich erstens moderne Erziehung in der ganzen Region zugänglich zu machen und zweitens sie den besonderen Gegebenheiten Tibets anzupassen. Im Augenblick sei der Plan, 3 Jahre Schule für die Nomadenbevölkerung, 6 Jahre für die Bauern und 9 Jahre für die Stadtbevölkerung einzurichten. Der Grundschulunterricht sei auf dem Lande unentgeltlich, ebenso in den Städten, außer für Kinder, deren Eltern in der Verwaltung beschäftigt sind. Für die höhere Mittelschule gäbe es keine Gebühren, und Studenten an Universitäten bekämen sogar Stipendien. Die Erziehungspolitik sei also günstiger als in anderen Teilen Chinas, wo Gebühren erhoben werden.

32. Mängel der Schulbildung:

Gleichzeitig wird aus den von NGOs betriebenen Projekten klar, daß die Erziehungsmöglichkeiten in größerem Maße allen Kindern zugänglich sein sollten. Die Delegation hörte von einigen Berichten, daß entgegen offizieller Behauptung in entlegenen ländlichen Gegenden die Schulbildung recht mangelhaft sei. In einem Dorf in der Nähe des Klosters Ganden, welches die Delegation besuchte, schienen die meisten Kinder im Schulalter nicht zur Schule zu gehen. Das mag aus wirtschaftlichen Gründen so sein, weil hier, wie in vielen anderen armen Gegenden, die Kinder zur Mitarbeit auf dem Feld gebraucht werden.

33. Unterricht auf Tibetisch:

Die Regierungsvertreter gaben an, daß alle tibetischen Kinder in den Grundschulen nun auf Tibetisch unterrichtet würden. In der Präfektur Shigatse hätte es Pilotprojekte gegeben, auch auf Mittelschulebene den Unterricht in Tibetisch zu halten, die recht erfolgreich gewesen seien. Man hoffe, das Projekt zu erweitern. Dies weicht ziemlich von Angaben aus inoffiziellen Quellen ab, wonach die Versuche, in den Mittelschulen auf Tibetisch zu lehren, abgebrochen wurden. Das Problem dabei sei eben, daß Mangel an qualifizierten Lehrern auf Tibetisch herrsche. Und auch das passende Lehrmaterial auf Tibetisch sei nicht genügend vorhanden. In den Grundschulen gäbe es über 13.000 Lehrer, von denen 98% Tibeter seien. Im Gegensatz dazu hatte die Delegation anderweitig gehört, daß der Unterricht auf Tibetisch mehr und mehr gekürzt wird, und das Unterrichtsmedium nun weitgehend Chinesisch ist. Das zeigt ein wahres Dilemma in der Erziehung in Tibet an. Einerseits ist spezialisierte höhere Ausbildung in der absehbaren Zukunft nicht auf Tibetisch zu haben, und der Zugang der Tibeter zu ihr hängt davon, ob sie eine gute Beherrschung des Chinesischen haben oder nicht, ohne welche sie gegenüber den Chinesen hoffnungslos im Nachteil sind. Andererseits aber benötigen die Tibeter, um ihre eigene kulturelle Identität zu bewahren, eine Möglichkeit, auf Tibetisch unterrichtet zu werden, zumindest bis zur höheren Mittelschulstufe in Sprache und Kultur. Die Delegation hörte auch zuweilen Kritik von ihren Begleitern, daß Chinesisch in frühem Schulalter gelehrt werde und daher die kulturelle Identität der Tibeter bedrohe, und andererseits wieder, daß nicht genügend Möglichkeit zu chinesischer Erziehung bestehe, was die tibetischen Schüler auf höherer Schulebene benachteilige. Wir fanden tatsächlich nur wenig Anzeichen, daß auf Tibetisch unterrichtet wird. Wir baten nach unserer Ankunft, weil wir diverse Gerüchte gehört hatten, um einen Besuch bei der Abteilung für tibetische Sprache in der Tibet Universität. Nach hartnäckigem Fragen wurde schließlich zugegeben, daß die Abteilung in diesem Jahr keine Studenten angenommen hätte, weil die Lehrer mit der Neufassung des Lehrmaterials beschäftigt seien. Es wurde erklärt, dies sei notwendig gewesen wegen des veralteten Standards des Lehrmaterials; aber es war uns klar, daß die Neuauflage nur den Zweck hat, alle nationalistischen Anspielungen auszumerzen. Es wurde abgestritten, daß diese Entscheidung der Universität vom Staat auferlegt worden sei. Aber die Delegation war nicht überzeugt und vermutet, daß sie mit der Kampagne gegen Separatismus im Zusammenhang stehe.

34. Besuch in Schulen:

Die Delegation besuchte zwei Schulen in Lhasa, eine Grund- und eine Mittelschule. Beide waren sehr effiziente und gut geführte Einrichtungen, die hauptsächlich von Tibetern besucht wurden. In beiden gab es umfangreichen Unterricht auf Tibetisch und auf Chinesisch. Die Delegation bekam keine Landschulen zum Vergleich zu sehen, aber diese zwei Schulen waren deutlich unter den führenden Schulen in Tibet. Die Grundschule, die Schol-Schule, hat schon lange Verbindung zu Österreich. Die Delegation war besonders besorgt um das Schicksal des früheren Rektors Dragpa Wangdu. Man sagte, er befände sich seit Juni 1997 wegen separatistischer Aktivitäten in Haft.

35. Tibetische Kultur:

Die Darbietung der tibetischen Kultur in Schulen ist auch ziemlich wichtig. Die Kader des Erziehungswesens verstanden die diesbezüglichen Fragen sehr einseitig, und antworteten über Unterricht in traditionellem Handwerk und Kunst, wofür es einige Beispiele gab. Tibetische Geschichte wird mit einer sehr starken Ausrichtung auf die Bande zu China gelehrt, ebenso wie bei dem Besuch der Delegation im Potala Palast und den tibetischen Archiven in der Darstellung der Dinge sehr stark die chinesische Verbindung zu Tibet betont wurde. Sowohl die Kader der Abteilung für Religionsangelegenheiten also auch diejenigen für Erziehung legten großen Wert auf die Feststellung, daß Religion und Erziehung getrennt werden müßten. Sie sagten, die Kultur sei vor der Religion in Tibet dagewesen, und die Religion sei nur ein ergänzender Aufsatz auf die Kultur. Religion könne nur in den Klöstern und nicht in den Schulen gelehrt werden. Wenn die Leute etwas über Religion erfahren wollten, dann könnten sie das gerne tun, aber dazu müßten sie in die Klöster gehen, außerdem sei es erlaubt, daß sie religiöse Lehrer in ihre Häuser einladen.

36. Gesundheitswesen:

Hier sagten die Regierungsvertreter, daß große Anstrengungen auf diesem Gebiet unternommen würden. Der zweite Vorsitzende der TAR griff dieses Thema besonders bei seinem Gespräch mit der Delegation heraus. Er sagte, die Regierung täte eine Menge, um die traditionelle tibetische Medizin zu fördern. Es gäbe eine Schule für traditionelle tibetische Medizin in Lhasa, und die meisten Präfekturen hätten tibetische Krankenhäuser und die meisten Kreise tibetische Krankenstationen. Die Gesundheitsbehörde erklärte, es sei ihr Ziel, daß alle Leute in Städten, Kreisstädten und Dörfern Zugang zur Gesundheitsfürsorge hätten. Medizinische Versorgung sei frei für alle außer den Regierungsangestellten, aber die Leute würden auch ermahnt, einem kooperativen Gesundheitsschema beizutreten, weil die staatlichen Mittel begrenzt seien. Die Delegation hörte jedoch, daß die grundlegende medizinische Versorgung auf dem Lande weit hinter der in den Städten zurückliegt. Ein Dörfler, mit dem die Delegation sprach, mußte für seine Arzneien zahlen, und es scheint, daß freie Versorgung ziemlich begrenzt ist. Die Gesundheitsbehörde räumte ein, daß die Leute die traditionelle tibetische Medizin vorziehen, weil sie billiger ist, besonders bei chronischen Leiden. Die durchschnittliche Lebenserwartung für Tibeter sei nun über 60, ein beträchtlicher Fortschritt gegenüber der Vergangenheit, aber immer noch weniger als im übrigen China.

37. Wirtschaftliche und soziale Bedingungen:

Einer der Hauptpunkte, die von den Regierungsvertretern hervorgehoben wurden, ist der schnelle Aufschwung Tibets in den letzten Jahren und die weitreichenden Pläne der Regierung für die weitere Entwicklung und die Anhebung des Lebensstandards für Tibeter. Die Statistiken sind beeindruckend, und die Entwicklung ist offensichtlich. Die großen Städte Lhasa und Shigatse verändern sich sehr rasch, und überall sieht man Anzeichen von Neubau und neuen Projekten. Viel der Altstadt von Lhasa ist praktisch nicht mehr wiederzuerkennen im Vergleich zu einigen Jahren zuvor, und die neue Stadt ist größtenteils ganz ähnlich, wie die modernisierten chinesischen Städte sonstwo in China. Eine Menge neuer Wohnanlagen wurden gebaut, obwohl es auch gewisse Kritik gab, daß der Wohnungsstandard besonders für Tibeter sehr niedrig sei. Am Horizont von Lhasa sieht man nun viel mehr Fabriken als früher. Sogar auf dem Land, wo die Delegation hinkam, gab es eine Menge an Neubauten, besonders für Wohnungen. Hier erfolgt er hauptsächlich im tibetischen Stil, während der chinesische Baustil im großen und ganzen auf die Städte und darum herum beschränkt ist.

38. Infrastruktur:

Die Kader wiesen auch auf die beträchtliche Investition in die Infrastruktur hin. Die Kommunikation in der Luft und besonders auf dem Land verbessert sich zusehends, obwohl die Straßen, sogar die zwischen Lhasa und Shigatse, noch ziemlich primitiv sind. Der zweite Vorsitzende erwähnte, daß es nun 23.000 km Straßennetz in der Region gäbe und daß die meisten Siedlungen per Straße erreicht werden könnten. Auch die Telekommunikation entwickle sich sehr rasch mit neuen optischen Faserkabeln zu dem übrigen China, und alle Präfekturen Tibets außer einer seien an das mobile Telefonnetz angeschlossen. In der Praxis war es allerdings etwas anders. All das wird einen sichtbaren Effekt auf das Leben der Tibeter haben, indem sie von einer weitgehenden Selbstversorger-Gesellschaft zu einer modernen, diversifizierten Gesellschaft übergehen.

39. Subventionierung:

Die Zentralregierung subventioniert die tibetische Wirtschaft großzügig. Von dem Regional-Budget von etwa 3,9 Mrd. Yuan kommen 3,4 Mrd. von der Zentralregierung. Die Zentralregierung und andere Provinzen verfolgen zahlreiche Entwicklungsprojekte in Tibet. Sie hätten auch eine große Reihe von Präferenzpolitiken verabschiedet, um Business und Investment nach Tibet zu locken (niedrigere Steuersätze und Anleihen zu Vorzugszinsen). Die Delegation fragte verschiedentlich, ob auch darauf geachtet werde, daß es kommerzielle Präferenzpolitiken speziell für Tibeter gäbe, anstatt nur große Zahlen von Einwanderern aus den Nachbarprovinzen anzuziehen (hauptsächlich Han, aber auch andere Minoritäten wie Uighuren und Moslems). Die Antwort war negativ, und viele Kader sagten kategorisch, daß die Entwicklung in Tibet einen großen Zustrom von Fachleuten von außerhalb Tibets erfordere. Die Entwicklungspolitik gelte daher gleichermaßen für jeden, der in Tibet arbeitet. Es gibt keinen Zweifel, daß diese offensichtlich egalitäre Politik dahin tendiert, die Tibeter zu benachteiligen, da die meisten von ihnen nicht die Ausbildung oder das Fachkönnen haben, um sich voll in einer modernen und entwickelten Wirtschaft zu engagieren. Wirtschaftskader wiesen auf die Entwicklung auf dem Kunsthandwerksektor in Tibet hin, der eine Vorzugsbehandlung genieße, und wo das Personal fast ganz tibetisch sei. Das große Hereinfließen von Geld von außen trägt teilweise zu der Immigration bei. Es ist nicht klar, inwieweit die Zentralregierung die von ihre gewährte Unterstützung auch überwacht und rechnungsmäßig prüft. Die Delegation hörte Klagen über Korruption und Mißwirtschaft. Natürlich konnte sie keine Beweise dafür bekommen, aber in Anbetracht der Lage sonstwo in China wäre es überraschend, wenn es das hier nicht gäbe.

40. Landwirtschaft:

In der Landwirtschaft gibt es auch Präferenz-Politiken. Bauern und Nomaden in Tibet sind von allen Steuern befreit. Das kommt den Tibetern unmittelbarer zugute, da es verhältnismäßig weniger Han Chinesen in der Landwirtschaft gibt. Aber einigen anderen Berichten zufolge gibt es auch Auflagen für Bauern, wie etwa die Verwendung von Kunstdünger, der für ihre besonderen Umstände nicht geeignet ist.

41. PLA als Unternehmer:

Ein von außenstehenden Kommentatoren aufgeworfener Punkt ist die Beteiligung der PLA bei dem Bergbau und anderen Unternehmen zum Abbau und der Ausnutzung der Naturschätze Tibets. Es wurde kritisiert, daß große Mengen der natürlichen Ressourcen Tibets aus der Region exportiert werden, ohne daß die lokale Bevölkerung einen Profit daraus zieht. Die TAR Regierung erklärte der Delegation kategorisch, daß die PLA nicht an kommerziellen Unternehmen in Tibet beteiligt sei, außer einer kleinen Zahl von Ackerbauprojekten. Diesbezügliche Gerüchte, von denen sie auch gehört hätte, seien darauf zurückzuführen, daß die PLA bei der Infrastruktur (Straßen- und Fabrikbau) eingesetzt wird, was weitverbreitet ist und als ein wichtiger Beitrag zur Wirtschaftsentwicklung in Tibet gilt.

42. Wasserkraftwerk:

Die Delegation sah ein größeres hydroelektrisches Projekt an der Straße zwischen Gyantse und Lhasa, das von einer Einheit der PAP (People’s Armed Police) gebaut wird.

43. Familienplanung:

Die Delegation traf Kader der regionalen Familienplanungs-Kommission. Als Antwort auf ihre Fragen erklärte man kategorisch, daß es keine Zwangspolitik gäbe. Seit 1992 würden die folgenden Hauptrichtlinien gelten:

  • Han Chinesen unterliegen den üblichen nationalen Familienplanungsregeln.
  • In Regierungsstellen beschäftigte Tibeter können zwei Kinder haben, wobei ein Abstand von 3 Jahren gewahrt werden muß.
  • In ländlichen und Nomaden Gegenden legt der Staat den Leuten nahe, nicht mehr als drei Kinder zu haben, aber es gäbe keine absolute Beschränkung der Anzahl.

Die Familienplanungs-Kommission leugnete, daß es irgendeine Politik der Zwangsabtreibung in Tibet gäbe oder daß eine Gesamtquote für Geburten in Tibet festgesetzt sei. Sie sagte, in der Familienplanung sei keine Zwangspolitik im Gange, denn diese sei nun völlig freiwillig geworden. Sie schloß jedoch die Möglichkeit nicht aus, daß in ein oder zwei individuellen Fällen Gewalt angewendet wurde, aber sie wüßte nichts davon. Auch den Einsatz von Geldstrafen und Belohnungen würde sie als unrichtig ansehen. Es hätte zwar einige Fälle gegeben, wo Geldstrafen auferlegt wurden. Als Beispiel nannte sie Dörfer in der Präfektur Shigatse, wo den Leuten, die über vier Kinder hatten, 500 Yuan abverlangt wurden und diejenigen mit nur einem Kind einen Barbetrag erhielten. Aber beide Handlungsweisen seien falsch und müßten korrigiert werden.

44. Lokale Wahlen:

Das Regionalbüro für Staatsbürger-Belange erklärte, es sei dabei, die nationalen Richtlinien zur Direktwahl von Dorfvorstehern und Dorfkomitees einzuführen. 30% der Dörfer in Tibet hätten jetzt Direktwahlen für diese Ämter abgehalten und damit die demokratische Entscheidungstreffung und Verwaltung der Region verbessert. Diese Rate liege beträchtlich unter dem sonstigen chinesischen Durchschnitt für Wahlen auf lokaler Ebene.

45. Sicherheitslage und Politik:

Tibetische Kader, mit denen die Delegation sprach, beschrieben alle die Sicherheitslage als stabil und meinten, sie hätte sich in den letzten zwei Jahren gebessert. Aber sie brachten auch deutlich zum Ausdruck, daß sie sich vor separatistischen Tendenzen schützen müßten, was ein Hauptelement in ihrer Arbeit sei. Häufig spielten sie auf die von der Exilbewegung außerhalb Tibets unternommenen subversiven Aktivitäten an. Lhasa und Shigatse waren sichtbar ruhig und keine bedeutende Polizeipräsenz war wahrnehmbar. Auf einigen der Brücken waren bewaffnete Militärposten, aber das ist nicht ungewöhnlich für China. Die Delegation erfuhr inoffiziell, daß vor ihrer Ankunft die Straßen von Lhasa von Bettlern und anderen unerwünschten Elementen gereinigt worden seien. Das könnte auch aus anderen Gründen erfolgt sein, etwa wegen der bevorstehenden Tagung des Regionalen Volkskongresses, die gerade als die Delegation abreiste, begann. Trotzdem besteht kein Zweifel, daß die politische Kontrolle fest und hart ist. Der Staat unterdrückt schnell und effektiv jede Form von offen ausgedrücktem Dissens. Der im Drapchi Gefängnis interviewte Gefangene war zu 13 Jahren verurteilt worden, weil er Parolen gerufen und eine Fahne erhoben hatte: Ein viel höheres Strafmaß als den meisten der Hauptfiguren der Tiananmen Demonstration von 1989 wurde ihm verhängt.

46. Bombenattentate.

Die Kader gaben zu, daß es Bombenattentate gegeben hätte, und diese wurden unweigerlich Machenschaften von außen, und nicht so sehr innerer Unzufriedenheit zugeschrieben. Es gibt nur wenig Information außerhalb Tibets, aber das bißchen, das man bekommt, läßt schließen, daß der Dissens anhält und gelegentlich zu gewaltsamen Ausbrüchen führt.

47. Gefängnis und Haftsystem:

Der Kader der Justizbehörde sagte, es gäbe drei Gefängnisse in Tibet: Das Regionalgefängnis Drapchi, das Lhasa-Stadt-Gefängnis und ein drittes als Pomi bekanntes in der Präfektur Linzhi. Drapchi sei das größte. Ingesamt säßen etwa 1.800 Straftäter in den verschiedenen Gefängnissen ein.

48. laojiao:,

Die Umerziehung durch Arbeit sagte er, sei für weniger schwere Vergehen da und bedeute ein viel freieres System. Die Türen seien nicht verschlossen, und die Insassen könnten ohne Überwachung arbeiten. Oft würden Personen auf Verlangen von örtlichen Bewohnern, der Lokalpolizei oder sogar von Familienangehörigen in diese Arbeits-Umerziehungs-Anstalten eingewiesen. Die Urteile reichten von 6 Monaten bis 3 Jahren. Wenn die Individuen sich gut benehmen, könnten sie früher entlassen werden. Die “Studenten” in diesen Anstalten würden nicht als Kriminelle gerechnet. In Lhasa gäbe es eine Umerziehungsanstalt mit etwa 100 Insassen. Auch in der Präfektur Ngari sei eine, und in der Präfektur Chamdo würde eine weitere gebaut. Das System der Arbeitsreformlager (laogai) sei nicht mehr in Kraft. Die früher dorthin verurteilten Personen kämen nun ins Gefängnis.

49. PSB:

Das Public Security Bureau unterhalte auch lokale Haftzentren für Personen, die noch nicht vor Gericht gestellt wurden. Jede Präfektur und einige Kreisverwaltungen hätten ein solches. Im letzten Jahr war die Durchschnittszahl der darin festgehaltenen Individuen 1.300. Es gäbe detaillierte nationale Regelungen für den Umgang mit ihnen.

50. Gefängnispersonal:

Der Delegation wurde erklärt, es gäbe eine spezielle Verhaltensregelung für Gefängnispersonal. Wenn ein Gefängniswärter gegen das Gefängnisgesetz verstoße, indem er einen Gefangenen kränke oder schlage, dann würde er gemäß dem Gesetz ins Verhör genommen. In Drapchi versicherte der Gouverneur der Delegation, er sei zufrieden, wie die Gefängnisregelung eingehalten würde. Er könne der Delegation versichern, daß es keine Todesfälle wegen Mißbrauch im Gefängnis gegeben hätte. Es hätte zwar einige Fälle gegeben, wo Gefängniswärter falsch handelten. Außerdem werde die Führung des Gefängnisses streng überwacht. Die lokale Prokuratur hätte einen Beschwerdekasten eingerichtet, wo Gefangene ihre Klagen anbringen könnten, und der Justizausschuß des Regionalen Volkskongresses hätte eine Anzahl von gründlichen Untersuchungen über die ordnungsgemäße Beachtung der Gefängnisregeln durchgeführt.

51. Politische Gefangene und politische Erziehung:

Die Delegation erkundigte sich besonders nach der Anzahl von politischen Gefangenen in Tibet. Ein Kader der Regionalen Justizbehörde erklärte, es gäbe insgesamt etwa 1.800 Gefangene in Tibet, von denen 200 wegen dem, was nun als Verbrechen gegen die Staatssicherheit bezeichnet wird (eine Gesetzesänderung von 1997 ließ den Ausdruck “konterrevolutionär” fallen, obwohl die meisten der Insassen vor diesem Zeitpunkt verurteilt wurden), einsitzen. Die Zahl dieser Gefangenen würde zurückgehen, was Hand in Hand gehe mit der offensichtlichen Verbesserung in der Sicherheitslage und den Anzeichen, daß Verurteilungen wegen dieser Anklagen allmählich weniger würden (besonders seit dem Höhepunkt der Demonstrationen 1987/88). Im Drapchi Gefängnis selbst befänden sich nach Aussage des Gouverneurs über 90 solcher Gefangener. Eine mögliche Diskrepanz liegt hier vor, insofern der Vertreter der Justizbehörde sagte, daß alle religiösen Gefangenen, wobei Mönche und Nonnen den Hauptanteil der wegen politischer Vergehen Inhaftierten bilden, in Drapchi einsäßen. Sie würden nämlich eine spezielle Gemeinschaft darstellen. Es sei erlaubt, persönliche religiöse Andacht im Gefängnis zu verrichten, vorausgesetzt, sie verletze nicht die Gefängnisregeln.

52. Gesetzeserziehung:

Der Vertreter der Justizbehörde sagte weiterhin, eine Menge Arbeit sei in letzten Jahren in Gesetzespropaganda geleistet worden, und einer der Hauptgründe für die Demonstrationen und Unruhen von 1987/88 sei die mangelnde Propaganda-Aktivität von damals gewesen. Die Leute hätten das Staatsgesetz nicht richtig begriffen. Damit wollte er ausdrücken, daß sie es jetzt verstünden, und dieses Problem nun im Griff sei. Es scheint ein großes Netz von ineinandergreifenden Garantien für richtiges Verhalten durch ein staatlich festgelegtes System zu geben. Inoffiziell hörte die Delegation, daß Arbeitsteams ähnlich denjenigen in den Klöstern tätigen nun in alle Einrichtungen in Tibet gesandt würden, und man von den Leuten erwarte, daß sie an der patriotischen Erziehung teilnehmen. Als diese Frage den Kadern der TAR Regierung gestellt wurde, bekam sie zur Antwort, daß es keine solche Arbeitsgruppen gäbe, aber auf jeder Ebene bis zur Dorfverwaltung seien die Leiter von Ämtern und Abteilungen von ihren Vorgesetzten beauftragt worden, dafür zu sorgen, daß die richtige patriotische Erziehung in ihrem jeweiligen Amt stattfindet. Ähnliche Vorschriften existierten in den religiösen Einrichtungen. Aus der Regulation des DMC, welche die Delegation in einem Kloster sah, ging auch klar hervor, daß das DMC sicherstellen muß, daß die Mitglieder eine richtige patriotische Gesinnung haben. Es scheint also, daß in der gesamten Gesellschaft in der TAR riesige Anstrengungen für einen politischen Erziehungsprozeß im alten Stil unternommen werden, um die patriotischen Gefühle der Bevölkerung zu wecken, was im wesentlichen heißt, daß sie sich vom Separatismus distanzieren soll. Patriotische Erziehungskampagnen gibt es auch sonstwo in China, aber in der TAR haben sie ein ganz besonderes Gewicht.

53. Einzelfälle von Häftlingen:

Die Delegation erkundigte sich nach einer Zahl von individuellen Fällen und ersuchte darum, bei ihrem Besuch in Drapchi die von ihr genannten Gefangenen zu sehen zu bekommen. Diese Bitte wurde nicht gewährt, und der Gouverneur vom Drapchi Gefängnis weigerte sich, Fragen, welche Einzelpersonen betreffen, zu beantworten. Bei einem außerplanmäßigen Gespräch später im Programm lieferte jedoch ein Kader der Justizbehörde Information über die betreffenden Fälle. Er entschuldigte sich, daß es manchmal schwierig sei, Einzelpersonen zu identifizieren, besonders jene, die unter ihrem Klosternamen bekannt sind. Aber alle Gefangenen würden gemäß den geltenden gesetzlichen Vorschriften behandelt, und der Staat treffe die gebührende Vorsorge für ihre Gesundheit und Ernährung.

Ngawang Sangdrol: Sie ist eine 1973 geborene Nonne aus Lhasa. Ihr weltlicher Name ist Renzin Choedren. Sie wurde von dem Mittleren Gericht Lhasa am 16. Oktober 1992 wegen konterrevolutionärere Aufhetzung  zu 3 Jahren Haft verurteilt. Am 4. Dezember 1992 wurde sie nach Drapchi gebracht. Sie hätte im Gefängnis wieder die Vorschriften gebrochen, weswegen ihr Urteil verlängert worden sei. Keine Angaben wurden über die Länge des zusätzlichen Urteils gemacht.

Jampa Ngodrup: Er ist ein 1945 geborener Arzt aus Lhasa. Am 25. Dezember 1990 wurde er wegen Spionage zu 13 Jahren verurteilt. Er benahm sich gut im Gefängnis, weswegen sein Urteil zweimal reduziert wurde. Seine Gesundheit sei in Ordnung. Wie lange die Reduzierungen sind, wurde nicht gesagt.

Phuntsog Nyidrol: Sie ist eine Nonne mit weltlichem Namen Tsedan. Sie wurde 1969 in Kreis Linzhou geboren und ist Analphabetin. Sie wurde am 21. November 1989 wegen konterrevolutionärer Aufstachelung zu 9 Jahren Haft verurteilt. Ihre Gesundheit ist gut und sie ist in Drapchi. Auf die Frage, ob sie nach Ende der Haftfrist entlassen würde, antwortete der Kader, das würde zur rechten Zeit entschieden werden.

Takna Jigme Sangpo: Er wurde 1926 in Kreis Chuzhu, Lhasa geboren. Er hat Grundschulbildung und sei in dem Arbeitsreformsystem angestellt gewesen. Im September 1983 verteilte er konterrevolutionäre Flugblätter vor dem Jokhang Tempel. Er wurde am 24. November 1983 zu 15 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Gefängnis wurde er rückfällig und wurde zu einer weiteren Straffrist (nicht spezifiziert) verurteilt. Seine Gesundheit sei normal.

Ngawang Choephel: Ein 30jähriger Akademiker, gebürtig aus der Präfektur Ngari. Er lebte vor seiner Verhaftung in Indien und wurde aus Verdacht auf Spionage verhaftet. Er wurde am 6. September 1995 vor Gericht gestellt und am 13. November 1995 wegen Anklage auf Spionage zu 15 Jahren und weiteren 3 Jahren wegen konterrevolutionärer Propaganda verurteilt, was zusammen 18 Jahre ausmacht. Er sei nun im Gefängnis von Shigatse.

Zusätzlich fragte die Delegation, als sie in Shigatse war, nach Chadrel Rinpoche. Sie bekam zur Antwort, er sei zu 6 Jahren verurteilt worden. Der Fall wurde später von dem Vorsitzenden der TAR als ein Beispiel für die neue, nachsichtigere Politik in Tibet genannt: Er hätte doch Staatsgeheimnisse weitergegeben und dafür nur 6 Jahre bekommen.

54. Besuch im Drapchi Gefängnis:

Die Delegation besuchte am 4. Mai das Drapchi Gefängnis. Das Hauptinteresse galt der Behandlung der politischen Gefangenen. Später wurde berichtet, daß am 1. Mai in dem Gefängnis eine größere Revolte stattgefunden hat. Die Delegation wußte zur Zeit ihres Besuches nichts von derartigen Berichten. Die Regierungsvertreter hatten zwar einige Bedenken wegen des Besuches geäußert, aber ohne Erklärung warum, und die Delegation dachte eben, es sei eine Verhandlungstaktik seitens des Staates. Der Delegation fiel auf, daß sie seltsamerweise im Freien vor den inneren Gefängnistoren instruiert wurde, ehe der eigentliche Besuch stattfand. Aber es gab keine sichtbaren Anzeichen, daß ein Protest stattgefunden hätte, und selbstverständlich erwähnte die Gefängnisleitung nichts von solch einem Vorfall. Die Gefangenenaufsicht schien normal zu sein mit keinen Anzeichen erhöhter Sicherheitsvorkehrungen oder Extrawachen.

55. Drapchi

ist ein Sicherheitsgefängnis mittlerer Größe, mit etwa 800 Gefangenen. Davon sind 75% Tibeter, 20% Han Chinesen und der Rest ist aus anderen Minoritäten. Die meisten der Gefangenen seien Analphabeten und kämen aus bäuerlichem und Nomadenmilieu. Im Gefängnis würden sie unterrichtet und lernten Tibetisch und Chinesisch bis zur Mittelschulstufe. In der Woche sind 5 Arbeitstage und 2 Ruhetage. Von den 5 Arbeitstagen sind drei der Handarbeit gewidmet und 2 für Studium und politische Unterweisung reserviert.

56. Besuch in Drapchi:

Der Delegation wurde einer von 4 oder 5 Unterkunftsblöcken gezeigt. Die Verhältnisse dort waren relativ ordentlich, mit 12 Gefangenen in einem Raum, jeder mit Einzelkoje. Die Unterbringung war dürftig und elementar, aber nicht viel anders als in einer chinesischen Kaserne oder gar in einem Studentenschlafsaal. Zur Zeit unseres Besuches waren keine Gefangenen in dem Block. Die Delegation bekam zwei Klassen von etwa 30 Gefangenen zu sehen, die in dem neu aussehenden Unterrichtsblock stattfanden, sowie eine Gruppe von etwa einem Dutzend Gefangenen, die handwerkliche Fertigkeiten in einer Teppich-Werkstätte lernten. Keine weiteren Gefangenen waren zu sehen, außer ein paar in dem Küchenhaus, wo Töpfe mit Fleisch und Gemüse zum Kochen bereitstanden, obwohl kein Feuer im Herd war. Der Delegation wurde nicht erlaubt, mit den von ihr genannten Gefangenen zu reden. Statt dessen konnte sie nach erneuter Anfrage einen Gefangenen im Gang des Unterrichtsblockes interviewen. Dieser fühlte sich ganz entsetzlich verlegen und wollte anfangs überhaupt keine Fragen beantworten. Er tat es erst, als die Gefängnisleitung ihm ausdrücklich sagte, er dürfe antworten und würde nicht bestraft dafür. Er sagte, er sei ein Novize gewesen, noch kein voller Mönch. Er sei des Verbrechens der Gefährdung der Staatssicherheit angeklagt worden, weil er mit 19 Jahren Parolen im Zentrum von Lhasa gerufen und eine tibetische Fahne geschwenkt hatte. Dafür war er zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt worden. Er schien in angemessener Gesundheit zu sein. Da er sich deutlich in einer sehr unbequemen Lage befand, wollte die Delegation die Befragung nicht weiter fortsetzen.

57. Politische Gefangene:

Man sagte der Delegation, daß die wegen Verbrechen gegen die Staatssicherheit Verurteilten nicht anders als die übrigen Gefangenen behandelt würden. Es gäbe etwa 90 solcher Personen im Gefängnis. Sie teilten denselben Unterkunftsblock mit anderen Gefangenen, und es gäbe keine besonderen Haftzellen für sie. Die Zahl dieser Gefangenen nehme auch ab, und es hätte auch keine Fälle gegeben, daß ein Gefangener nach seiner Entlassung rückfällig geworden und zurückgekommen sei. In einem Extragespräch sagte ein Vizepräsident des Höheren Volksgerichtshofes, daß wegen des Verbrechens der Gefährdung der Staatssicherheit niemand in Tibet zum Tode verurteilt worden wäre.

58. Zustand der Gefangenen:

Alle Gefangenen,welche die Delegation sah, sahen relativ gesund aus. Die Gefangenen würden in drei Kategorien je nach ihrem Verhalten geteilt. Jene in der ersten Kategorie erhielten besondere Privilegien, während sie denen der niedrigsten Kategorie gekürzt würden. Die Gefangenen könnten etwa 2.000 Yuan im Jahr durch ihre Arbeit und durch Aufzucht von Schweinen und Gemüse verdienen. Das Benehmen und die Arbeitsleistung würden monatlich überprüft und in differenzierten Tabellen an der Gefängniswand vermerkt. Es gäbe ein System des Straferlasses für gute Führung, was bei einer zweimal jährlich durchgeführten Kontrolle gewährt werde. Der volle Erlaß (von bis zu einem Drittel des Urteils) würde nicht auf einmal gegeben, weil das der Umerziehung nicht förderlich sei. Die meisten Insassen würden die Reformierung akzeptieren. Die Rückfallrate sei gering, nur 3%.

59. Gesetz und Ordnung:

Ein leitender Kader des PSB sagte, daß Tibet eine der niedrigsten Verbrechensraten in China hätte. 1997 hätte es etwa 2.075 Kriminalfälle gegeben, und der Durchschnitt liege bei 2.000 im Jahr. Dies sei teilweise dem großen Umfang an Unterrichtung in Gesetzeskunde zuzuschreiben, den die Behörden durchführten, und teilweise dem verbesserten Lebensstandard in Tibet und seiner Öffnung für die Außenwelt. Anders als in anderen Teilen Chinas schrieb das PSB eine Zunahme an geringfügigen Verbrechen nicht dem Hereinströmen einer “Wanderbevölkerung” zu. Diese Einwanderer seien vielmehr willkommen, weil sie nach offizieller Ansicht der Entwicklung und nationalen Sicherheit förderlich sind.

60. Separatisten:

Der Kader des PSB sagte, daß es immer noch Probleme wegen der Aktivitäten der “Spalter” gäbe. Zwischen 1996 und 1997 hätte es in Lhasa 7 Bombenexplosionen gegeben. Diejenige vor dem Sitz der Partei sei deutlich eine politische Tat gewesen, und Nachforschungen hätten ergeben, daß sie alle das Werk der Dalai Lama Clique gewesen seien. Der Staat würde die einzelnen Fälle noch untersuchen.

61. Urteile:

Ein Vizepräsident des Regionalen Höheren Volksgerichtshofes, der für Kriminalfälle zuständig ist, sagte der Delegation, daß es die Pflicht der Gerichte sei, das Gesetz unabhängig durchzusetzen. Er stimmte nicht mit der Ansicht der Delegation überein, daß die Urteile für Verbrechen gegen die Staatsicherheit in Tibet härter wären als sonstwo. Die Urteile würden in Abhängigkeit von der Schwere des Verbrechens gefällt.

62. Rechtsanwälte:

In Tibet gäbe es nur wenige Anwälte. Lhasa hätte fünf Anwaltbüros mit 28 darin beschäftigten Leuten. Jede Präfektur hätte ein Anwaltbüro mit insgesamt 48 Anwälten. Wer die gesetzlichen Erfordernisse erfüllt, würde auch gesetzliche Hilfe bekommen.

63. People’s Liberation Army:

Keine große Aktivität der PLA war zu bemerken. Es gab auch keinen aktiven Dienst auf den Straßen von Lhasa oder anderen großen Städten, obwohl es große PLA Kasernen am Rande von Lhasa gibt, und in geringerem Umfang auch in Shigatse. Auf den Straßen sah man wenig von der PLA, obwohl die Delegation auf der Rückkehr von Shigatse nach Lhasa einem großen, mit Kohle beladenen Lastwagen-Konvoi, der nach Lhasa fuhr und wahrscheinlich aus den Bergwerken in Nordtibet kam, begegnete.

64. Einwanderung nach Tibet:

Die Delegation brachte auch wiederholt das Thema der Einwanderung nach Tibet zur Sprache. Dabei handelt es sich hauptsächlich um Han Chinesen, aber auch andere Nationalitäten sind darunter wie Uighuren aus Xinjiang und andere Moslems. Die meisten Kader, mit denen die Delegation sprach, befürworteten deutlich die Tatsache der Han Einwanderung. Der leitende Kader des PSB sprach mit Anerkennung von den nach Tibet kommenden Han Chinesen, die er als einen Stabilitätsfaktor für die Region bezeichnete. Andere hoben die wirtschaftlichen Vorzüge und Fertigkeiten, welche die Einwanderer mit sich bringen, hervor. Die meisten würden auch nur eine kurze Zeit dableiben. Sie kommen, um Geschäfte zu machen oder irgendeine temporäre Arbeit zu leisten und gingen dann wieder nach Hause. Sie seien ganz deutlich von der Präferential-Wirtschaftspolitik in Tibet angezogen und von den hohen Summen, welche die Zentralregierung zur Förderung der Region aufbringt. Offiziell sei es den Einwanderern nicht erlaubt, sich permanent in Tibet niederzulassen, und sie könnten höchstens eine vorübergehende Registrierung in Tibet bekommen. Die Anzahl von permanent ansässigen Han Chinesen sei sehr gering, nur etwa 3% der Bevölkerung. Große Zahlen von Immigranten kämen auch als Bauarbeiter, obwohl die Wirtschaftsexperten behaupten, daß sie bei solchen Projekten zuerst Tibeter rekrutieren. Gesamtziffern sind schwer auszumachen. Die offizielle Statistik sagt, daß 95% der Bevölkerung Tibeter sind und der Rest Han und andere Minoritäten. In Lhasa gibt es aber deutlich einen viel größeren Anteil an Han Chinesen als diese Statistiken zeigen. Die Kader ließen wissen, daß dies daher komme, daß etwa ein Drittel der Gesamtbevölkerung von Lhasa aus temporären Bewohnern bestehe.

65. Zuwanderung von Han Chinesen:

Soweit sie es sehen konnte, stellte die Delegation fest, daß die Einwanderung im großen und ganzen auf die Kleinstädte und Städte beschränkt ist. Es gab kein Zeichen einer weitverbreiteten Niederlassung auf dem Lande, und die Delegation hält es auch für unwahrscheinlich, daß Han Chinesen in Versuchung geraten könnten, sich auf einem solch kargen Land niederzulassen. Die meisten Gebäude auf dem Lande waren in tibetischem Stil, und man sah deutlich aus den Siedlungen der Han Chinesen, daß diese nicht in tibetischem Stil leben und wohnen möchten. Es scheint ein großes Maß an Segregation der beiden Volksgruppen in den Städten und in noch größerem Maße auf dem Lande zu geben.

66. Dienstleistungen:

Ein großer Teil der Dienstleistungen in den Städten von Taxis bis zu Restaurants, Kleingeschäften und der Vergnügungsindustrie scheint weitgehend in Händen der Han zu sein. Dies stellt eine ziemliche Veränderung im Vergleich zu 10 Jahren früher dar, als solche Dienstleistungen fast nirgends, nicht einmal in Lhasa zu sehen waren. Ebenso sah man eine rasche Entwicklung dieser Art von Gewerbe in Shigatse. Prostitution war besonders eklatant in einigen Straßen von Lhasa und Shigatse, und sie scheint weitgehend von den Einwanderern betrieben zu werden.

67. Abschiessende Bemerkungen:

Die Delegation war allgemein in der Lage, die Hauptelemente ihres Programms durchzuführen, und die Behörden zeigten sich kooperativ. Die Delegation konnte mit einer großen Schar von Kadern sprechen, darunter auch dem Vorsitzenden der Regierung der TAR. Diese Regierungsvertreter beantworteten alle ihnen gestellten Fragen in recht höflicher Weise. Unvermeidlich betrafen die Fragen auch viele empfindliche Gebiete, und die betreffenden Kader gaben sich beträchtliche Mühe, sie zu beantworten. Die Delegation erhielt manchmal mehr Information als sie erwartet hatte, beispielsweise über die von ihnen angefragten individuellen Fälle. Aber die Einzelpunkte des Programms waren sehr kontrolliert und extra gestellt. Den Delegationsmitgliedern wurde nicht zu unüberwachten Begegnungen mit Mönchen und Nonnen und mit anderen Gefangenen verholfen, worum sie gebeten hatten. Auch der Kontakt zu gewöhnlichen Tibetern war minimal und die Besuche bei nichtstaatlichen Einrichtungen waren eher formale Schau-Affairen. Die Delegation wurde durch das ganze Programm von einer großen Gefolgschaft von dem chinesischen Außenministerium und von dem tibetischen Amt für auswärtige Angelegenheiten begleitet. Obwohl sie meistens den Tagesplan selbst wählen konnte, gab es dennoch genügend Raum zur Kontrolle, was und wen sie sehen durfte. Einige Punkte des Programms trugen einen deutlichen Anschein von Potemkinschen Dörfern, wie etwa der Besuch bei einem sehr wohlhabenden tibetischen Haus am Außenbezirk von Lhasa, aus dem gerade sechs Polizisten auftauchten, als die Delegation ankam.

68. Auftrumpfen der Kader:,

Die Kader, mit denen die Delegation sprach, präsentierten, so wie zu erwarten war, ein allgemein rosiges Bild von dem, was sie tun und was ihre Pläne für die Zukunft sind. Im Hagel der Statistiken war es nicht immer möglich, auszumachen, inwieweit die Tatsachen auf dem Boden den Behauptungen entsprechen, besonders in solchen Gebieten wie der Vermittlung von Erziehung. Die Delegierten hörten von Gerüchten, den Leuten sei verboten worden auf Tibetisch mit ihnen zu reden und nur Chinesisch zu verwenden. Das war aber nicht der Fall. In den meisten der Klöster und religiösen Einrichtungen sprachen die Mönche und Nonnen weitgehend auf Tibetisch. Die Qualität des Austausches variierte von Ort zu Ort. Bei jedem Interview wählten die Mönche und Nonnen ihre Worte sehr sorgfältig. In einigen Fällen waren die Gespräche fast wertlos, so etwa im Tashilhunpo Kloster, wo der Hauptgesprächspartner sehr wenig Kenntnis über die lokalen Bedingungen aufwies und seine Antworten von ausweichend bis verlogen waren. Gespräche mit den Kadern wurden meistens auf Chinesisch geführt, sogar in den Fällen, wo diese selbst tibetischer Volkszugehörigkeit waren. Es fiel auf, daß die Justiz- und öffentlichen Sicherheitsbeamten, die die Delegation zu sprechen bekam, vorwiegend Han Chinesen waren, was in den meisten der anderen Sektoren nicht der Fall war.

70. Offizielle Version:

Dennoch gewann die Delegation eine ganze Menge an Wissen aus diesen Interviews. Einiges davon war schon vorher veröffentlicht worden und anderes wieder nicht, aber im möglichen Rahmen bemühte man sich, die Fragen zu beantworten. Die Information aus offiziellen Quellen muß mit einiger Vorsicht behandelt werden, aber muß auch für das genommen werden, was sie ist. Ebenso sollten auch inoffizielle Informationen, die in vielen wichtigen Fällen ein ganz anderes Bild abgeben als die offizielle Version, nicht kritiklos akzeptiert werden. Einige dieser Divergenzen wurden in dem Bericht festgehalten. Daß der Bericht sich hauptsächlich auf die offizielle Version der Dinge stützt, kommt daher, daß er eben das wiedergibt, was die Delegation hörte und sah. Das heißt nicht notwendigerweise, daß sie alles in ihrer Gesamtheit so annimmt. Aber sogar die offizielle Version enthüllt viel über die Umstände in Tibet.

71. Allgemeiner Eindruck.

Der überwältigende Eindruck, den die Delegation bekam, ist, daß die Regierung der TAR eine äußerst harte Kontrolle über die hauptsächlichen Elemente der tibetischen Religion und Kultur ausübt. Sie meint zwar nicht, daß das Motiv hierfür einer Feindseligkeit gegen Religion und Kultur an und für sich entstammt. Die Delegation las Berichte, daß tibetische Religion und Kultur in den tibetischen Gemeinden außerhalb der TAR (und mehr Tibeter wohnen nun außerhalb der Grenzen der TAR als in ihr) etwas gelassener gehandhabt wird. Die meisten der Kader, mit denen die Delegation sprach, waren selbst Tibeter, und viele waren offensichtlich stolz auf ihre Herkunft. Die Haltung der staatlichen Stellen gegenüber dem tibetischen Buddhismus scheint sich auf einen kontrollierten Wiederaufbau nach der Zerstörung und den Greueln der Kulturrevolution hin zu bewegen. Das Hauptziel des Staates ist der Kampf gegen den politischen Ausdruck des tibetischen Nationalismus und die Verhinderung des Aufkommens einer Unabhängigkeitsbewegung. Nach Meinung des Staates ist diese am stärksten in den religiösen Anstalten und solchen Zentren tibetischer Kultur wie der Universität vertreten, was zu der aufdringlichen Einmischung der Behörden in diesen Bereichen führte.

72. Modernisierung:

Ein zweiter Faktor, der auffiel, ist der Widerspruch zwischen der traditionellen tibetischen Gesellschaft und den Notwendigkeiten einer modernen Wirtschaftsentwicklung. Dieser wäre aber unserer Meinung nach kein ernstes Motiv für das Eindringen der Behörden in die erwähnten Bereiche, aber er gibt zuweilen seitens der offiziellen Kader Anlaß zu sichtbarer Ungeduld wegen der traditionellen tibetischen Lebensweise, sowie zu einer alles andere als feinfühligen Haltung ihr gegenüber.

73. Gyaltsen Norbu:

Zum Abschluß des Besuches traf die Delegation den Vorsitzenden der TAR, Gyaltsen Norbu (im Mai durch Legchog abgelöst). Im Laufe des Gespräches ergriff sie die Gelegenheit, ihm (wie sie es bei anderen während des Besuches tat) wegen des Themas der politischen Gefangenen zuzusetzen, und sie schlug vor, daß angesichts der sichtlichen Verbesserung der internen Sicherheitslage, wie die Behörden sie beanspruchen, nun der richtige Augenblick gekommen sei, eine etwas nachsichtigere Politik walten zu lassen. Sie legten ihm auch nahe, daß größeres Gewicht darauf gelegt werden sollte, daß im Gegensatz zu den eingewanderten Han Chinesen mehr Tibeter von den Maßnahmen zur Förderung der tibetischen Wirtschaft profitieren. Insbesondere müßte mehr Anstrengung unternommen werden, um Tibeter in den betreffenden Wissensgebieten und technischen Fertigkeiten auszubilden.

Peking, 27. Mai 1998