Juli 2006

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P., India
Phone: +91 1892 223363 / 229225, Fax: +91 1892 225874, e-mail: dsala@tchrd.org, http://www.tchrd.org

Leitfaden für Tibet-Touristen
Briefing Paper for Travellers to Tibet

Übersetzung aus dem Englischen, Aktualisierung Juli 2006

Inhalt

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I.   Einleitung

II.  Soll ich Tibet besuchen?

III. Historischer Hintergrund

IV.  Einreiseformalitäten

Reise nach Tibet von China aus
Reise nach Tibet von Nepal aus
Kritische Tage, die bei einem Tibet-Aufenthalt zu beachten sind
Reisen in Tibet

V.   Hintergrundinformationen zur Lage in Tibet

Diskriminierung
Bevölkerungstransfer
Beschäftigung und Lebensunterhalt
Fremdenführer
Bildung
Religion

     Exkurs: Der Fall Gedhun Choekyi Nyima

Gefängnisse
Gesundheitsversorgung
Umwelt
Militarisierung und Kontrolle

VI.  Allgemeine Empfehlungen

Sicherheit
Fotografieren
Unterkunft
Gespräche mit Tibetern
Sprache
Kleidung
Heilige Stätten
Lhasa
Potala
Potala-Platz
Norbulingka
Barkhor
Jokhang
Die Klöster Sera, Drepung und Ganden

VII. Nach der Reise

VIII.Leseempfehlungen: Bücher und Websites

IX.  Anhänge:

Tibetische Tour-Guides außerhalb der TAR
Tibeter in der Tourismus-Industrie der TAR werden immer schärfer kontrolliert
Auf der Suche nach Tibet: Eine Reise durch ein Land im Wandel

I.

Einleitung

Vor einigen Jahren schrieb uns ein Tourist, die Behauptung, daß Bilder des jungen Panchen Lama in Tibet verboten seien, stimme ja gar nicht, denn er habe sie überall im Land gesehen. Die Bilder, die der Tourist gesehen hatte, waren jedoch Fotos von Gyaltsen Norbu, dem Knaben, den die chinesische Regierung als 11. Panchen Lama eingesetzt hat, den jedoch kaum ein Tibeter als solchen akzeptiert. Bilder von Gyaltsen Norbu zur Schau zu stellen, ist in Tibet nicht nur erlaubt, mancherorts ist es sogar Pflicht. Die Aussage dieses Touristen bewog das TCHRD, eine Anleitung für Tibet-Reisende herauszubringen, die sich einerseits an Touristen wendet, die möglicherweise nur über geringe oder gar keine Kenntnisse bezüglich der politischen Situation des Landes verfügen, andererseits aber auch erfahrenen Reisenden nützliche Anregungen bieten möchte.

Die Touristen spielen eine wichtige Rolle für Tibet: Indem sie Berichte aus erster Hand liefern und die Notwendigkeit weiterer internationaler Unterstützung für die tibetische Sache bezeugen, sind sie in den letzten Jahren zu einer wertvollen Informationsquelle zur Lage in Tibet geworden. Auf diese Weise kann Druck auf China ausgeübt werden, die Menschenrechtslage in Tibet zu verbessern. Das TCHRD hofft, daß die Reisenden nach der Lektüre dieser Anleitung die Zustände in Tibet bewußter wahrnehmen und nach ihrer Rückkehr uns und anderen die Eindrücke und Erfahrungen, die sie während ihrer Reise gemacht haben, schildern werden.

Das Wichtigste, was ein Reisender nach Tibet in seinem Gepäck mitnehmen sollte, ist Verständnis für die dort herrschende Lage. Wer in diese Region reist, sollte einigermaßen über die politische Situation Tibets Bescheid wissen. Das politische Klima ist indessen unberechenbar. Regelungen für Reisende werden häufig ohne Vorankündigung und abrupt geändert. Wenn Sie wachen Auges unterwegs sind, werden Sie die alltägliche Realität, mit der die Tibeter überall im Land konfrontiert werden, wahrnehmen. Dieser Ratgeber wird Ihnen auch Empfehlungen und Informationen geben, die Ihnen einen Blick hinter die von den chinesischen Behörden präsentierte Fassade erlauben. Das ist keine unbedeutende Aufgabe, wenn man bedenkt, daß sich die chinesische Regierung vorgenommen hat: „Wir sollten die Leute aus dem Ausland unsere Tibet-Propaganda verbreiten lassen, denn sie können das sehr viel wirkungsvoller tun als wir selbst“.

Informieren Sie sich vor der Abreise gründlich über die Lage in Tibet, ebenso wie über die Reisebedingungen. Es gibt verschiedene gute Veröffentlichungen und Websites, denen Sie wertvolle und interessante Informationen entnehmen können. Nehmen Sie aber diese Broschüre oder andere heikle Lektüre keinesfalls mit nach Tibet, denn Sie könnten nicht nur selbst in Schwierigkeiten geraten, sondern auch Tibetern, mit denen Sie in Kontakt kommen, große Probleme bereiten!

Mit dem Begriff „Tibet“ ist in dieser kurzen Darstellung das gesamte traditionell tibetische Territorium gemeint, also die drei ehemaligen Regionen U-Tsang, Kham und Amdo. Nachdem es Tibet im Jahr 1951 annektiert hatte, teilte China das Land in sieben Verwaltungsbezirke auf, deren größter die „Autonome Region Tibet“ (TAR) ist. Wenn China heutzutage von Tibet spricht, so meint es damit ausschließlich die „Autonome Region Tibet“ (TAR), die weniger als die Hälfte des tibetischen Hochlandes ausmacht. Die übrigen Gebiete wurden den benachbarten chinesischen Provinzen einverleibt, um so eine effektivere Kontrolle über die Bevölkerung zu gewährleisten. Der größte Teil von Amdo ist in die chinesische Provinz Qinghai eingegliedert, andere Teile befinden sich in den Provinzen Gansu und Sichuan. Die ehemaligen Fürstentümer im östlichen Kham gehören zu den Provinzen Sichuan und Yunnan, andere zu Qinghai und der TAR. Die übrigen Gebiete U-Tsang, das westliche Kham und Westtibet bilden die „Autonome Region Tibet“, die in 72 Kreise  untergliedert ist – nur dieses Gebiet wird von China als „Tibet“ bezeichnet. Wenn sich die chinesischen Behörden daher auf „Tibet“ beziehen, meinen sie immer nur die TAR. In der vorliegenden Dokumentation wird der Begriff „Tibet“ indessen für das gesamte Land verwendet, so wie es beim tibetischen Volk schon immer üblich war.

II.

Soll ich Tibet besuchen?

Zur Zeit wird von der Regierung sehr viel getan, um den Tourismus in Tibet zu fördern. Dabei soll der Eindruck erweckt werden, Tibet hätte vom kommunistischen Regime profitiert. Alle Reisenden haben  jedoch die Möglichkeit, sich selbst davon zu überzeugen, wie es den Tibetern unter chinesischer Besatzung in ihrer Heimat ergeht. Vielleicht können auch Sie ein wenig dazu beitragen, daß der internationalen Gemeinschaft die Realität der Lage in Tibet vor Augen geführt wird.

Viele Tibet-Reisende haben berichtet, daß sie häufig durch die  strengen chinesischen Bestimmungen in ihrem Tatendrang eingeschränkt wurden, einige haben sogar von Gefühlen der Angst und Einschüchterung gesprochen. Deshalb ist vielen Leuten bei Reisen nach Tibet nicht ganz wohl. Manchen erscheint es als unethisch, in Tibet Geld auszugeben, weil sie wissen, daß die chinesische Regierung vom Tourismus profitiert. Transportkosten und Behördengebühren sind zwar unumgehbar – aber durch behutsames Abwägen aller anderen Ausgaben kann man durchaus vermeiden, daß dabei noch mehr Geld in die Taschen der Offiziellen fließt.

Auf Grund der strikten Informationskontrolle ist vielen Tibetern das Ausmaß der Unterstützung für ihre Sache durch die internationale Gemeinschaft und die Exilgemeinde in Indien gar nicht bewußt. Wenn ein umsichtiger Tourist die diesbezügliche Information mit der gebührenden Vorsicht weitergibt, kann er damit viel für die geistig-seelische Verfassung der Einheimischen tun.

Seit Jahrzehnten haben die Chinesen den Tibetern ständig eingeredet, ihre Kultur, Religion und Sprache seien vollkommen wertlos. Jetzt erleben die Tibeter, wie Ausländer aus weit entfernten Ländern anreisen, um ihre heiligen Stätten zu besuchen – gar noch zu beachtlichen Kosten –, und wie sie Interesse an ihrer Kultur und Sprache zeigen. Das könnte den Tibetern ein Ansporn sein, wieder an den Sinn und Wert ihrer eigenen Kultur zu glauben.

Tibeter haben von Natur aus ein freundliches Wesen und sind fröhlich veranlagt. In einigen Fällen, die auch veröffentlicht wurden, führte das bei Ausländern zu der Annahme, die Menschen in Tibet hätten sich mit ihrer Lage abgefunden und vom Freiheitskampf und ihrer Verehrung für den Dalai Lama Abstand genommen. Eine gute Gelegenheit zur Beurteilung der Lage bietet sich, wenn man mittwochs in Lhasa beobachtet, wie viele Tibeter Gebete sprechen und den Ritus der Weihrauchverbrennung vollziehen. Dem Almanach oder Kalender der Tibeter zufolge ist der Mittwoch nämlich ein besonders geeigneter Tag, um Gebete für ein langes Leben des Dalai Lama darzubringen. Trotz zunehmender Wachsamkeit der Behörden kommen zahlreiche Tibeter – besonders seit ihnen 1997 verboten wurde, den Geburtstag des Dalai Lama (6. Juli nach westlichem Kalender) zu feiern – zu diesen Mittwochsgebeten zusammen.

III.

Historischer Hintergrund

Tibet besitzt geschichtliche Aufzeichnungen, seit der erste tibetische König Nyatri Tsenpo im Jahr 127 v. Chr. den Thron bestieg. Den Höhepunkt seiner Macht erreichte das tibetische Reich zwischen dem 7. und 9. Jahrhundert, als es sich bis nach China und in andere zentralasiatische Länder erstreckte. Im Jahr 763, unter der Herrschaft des großen Königs Trisong Detsen, eroberte das tibetische Heer sogar die chinesische Hauptstadt Ch’angan. Im Jahre 821 oder 822 wurde ein Friedensvertrag zwischen dem tibetischen Herrscher Tri Ralpachen und dem chinesischen Kaiser Muzong geschlossen. In dieser Zeit verbreitete sich der Buddhismus in Tibet und wurde schließlich Staatsreligion.

Zwischen den zwei asiatischen Giganten Indien und China gelegen, erstreckt sich Tibet über 2,5 Millionen Quadratkilometer. Beide Länder haben im Lauf der Zeit einen beträchtlichen Einfluß auf die Entwicklung Tibets ausgeübt. China trachtete schon immer danach, sich das „Westliche Schatzhaus“ (chin. Xizang) Tibet einzuverleiben. Das Verhältnis zwischen Indien und Tibet war hingegen eher vom Buddhismus und dessen spirituellen und intellektuellen Werten geprägt.

Als die Mongolen 1207 in Tibet einfielen, schickten führende Adlige und Äbte Tibets eine Gesandtschaft an Chingis Khan mit dem Angebot der Unterwerfung und verhinderten damit den Einfall der Mongolen. Doch 1253 übertrug Kublai Khan die Regierungsgewalt seinem tibetischen Präzeptor in spirituellen Dingen, Drogon Choegyal Phagspa. 1270 begründete Kublai Khan die Yuan-Dynastie. Die heutige Behauptung der Chinesen, Tibet sei „schon immer ein Teil Chinas gewesen“, geht auf diese Periode zurück, als beide Länder von den Mongolen beherrscht wurden. Die mongolische Herrschaft über Tibet trug, verglichen mit den anderen von ihnen eroberten Gebieten, infolge der als cho-yon bekannten Beziehung von „Priester und Schutzherr“ einzigartigen Charakter. Tibet war in gewisser Weise in die Administration des mongolischen Reichs integriert, aber nicht in die Chinas.

1642 übernahm der V. Dalai Lama die geistliche und weltliche Macht in Tibet. Er war der Begründer des „Gaden Phodrang“ genannten tibetischen Regierungssystems. 1653 begab sich der Dalai Lama zu einem Staatsbesuch in die kaiserliche Hauptstadt Chinas, die kurz zuvor von den Manchus eingenommen worden war. Der Manchu-Kaiser Shunzi verließ Peking und reiste dem Dalai Lama vier Tage entgegen, um ihn mit großen Ehren zu empfangen. Er ließ ihm eine Behandlung angedeihen, wie sie sonst nur einem unabhängigen Herrscher vorbehalten war.

1720 erklärte sich das Manchu-Reich bereit, Truppen zu entsenden, um den jungen VII. Dalai Lama aus Osttibet zu seiner Inthronisierung nach Lhasa zu geleiten. Mit der Ernennung von Ambanen im Jahr 1728, einer Art politischer Gesandter, gelang es den Manchus in der Tat, einen gewissen Grad an politischem Einfluß in Tibet auszuüben. Sie leisteten Hilfe bei der Abwehr der nepalesischen Invasion im Jahr 1792, aber unternahmen nichts, um die britische Invasion von 1903-1904 zurückzuschlagen. Als die Manchus 1910 versuchten, den XIII. Dalai Lama abzusetzen, brach dieser alle Verbindungen mit ihnen ab, und als sie 1911 der von Sun Yatsen geführten Guomindang (Nationale Volkspartei) weichen mußten, proklamierte der XIII. Dalai Lama in der nunmehr chaotischen Lage am 14. Februar 1913 die Unabhängigkeit Tibets.

Nach dem 1911 erfolgten Zusammenbruch der Qing-Dynastie war China innerlich zerrissen und militärisch geschwächt. Zu den wichtigsten Zielen der Guomindang gehörten die Einigung des Landes und die Konsolidierung ihres Einflusses in allen seinen Teilen. Eine Reihe von Gesandten wurde nach Lhasa geschickt, um die Beziehungen zu Tibet wieder aufzunehmen. Im Januar 1949 floh Chiang Kaishek mit seiner Regierung nach Taiwan, und am 1. Oktober 1949 wurde die Volksrepublik China ausgerufen. Der Vorsitzende Mao verkündete auf dem Tiananmen-Platz: „China ist wieder erstanden“. Die Kommunisten machten sich unverzüglich daran, die von der Guomindang übernommenen territorialen Gebietsansprüche geltend zu machen. Diese Machtverlagerung kennzeichnet das Ende Tibets als unabhängiger Staat, zumal sich die Kommunisten bei ihrem Streben nach Kontrolle über Tibet als noch resoluter als die Guomindang erwiesen.

Sofort nach ihrer Machtergreifung machten die Kommunisten deutlich, daß die letzte verbliebene Aufgabe für die siegreiche Volksbefreiungsarmee (PLA) die „Befreiung“ Tibets sei. Die  höheren Ränge der Kommunistischen Partei hatten bereits Strategien für die Eingliederung der von ihnen als „nationale chinesische Minderheiten“ bezeichneten Völker in das Gefüge der Volksrepublik China ausgearbeitet. Dabei waren sich die kommunistischen Führer sehr wohl bewußt, daß ihr Einfluß in Tibet noch nicht besonders groß war.

Tibet war seit 1913 in jeder Hinsicht ein unabhängiger Staat mit eigener polizeilicher und militärischer Gewalt, sowohl was die inneren als auch die äußeren Angelegenheiten betraf, einer eigenen Regierung, einer eigenen Währung, Sprache und Religion. Die massive Bedrohung von außen hätte zu keinem ungünstigeren Zeitpunkt kommen können, denn das Oberhaupt der Tibeter, der Dalai Lama, war zu diesem Zeitpunkt erst ein Knabe von 14 Jahren, dessen Machtposition noch nicht gefestigt war.

Ende Mai 1950 kam es zu den ersten Gefechten zwischen tibetischen Truppen und der PLA. Am 29. Juli strahlte Radio Peking eine Rede von General Liu Bocheng aus: Als vordringlichste Aufgabe des Militärischen Verwaltungskomitees Südwest nannte er die Befreiung Tibets. Weiter sagte er, die PLA müsse zum Angriff übergehen. Bei einer Truppenstärke der PLA von 40.000 einsatzbereiten Soldaten, die nur auf den Befehl warteten, in Lhasa einzumarschieren, gab es wenig, was die Tibeter zur Abwehr des Einfalls der Kommunisten hätten tun können. Deshalb wurden Gesandte nach Peking geschickt, die über die tibetische Kapitulation verhandeln sollten. Am 23. Mai 1951 wurde in Peking das umstrittene 17-Punkte-Abkommen unterzeichnet, mit dem das Wenige, was von der tibetischen Unabhängigkeit noch übrig war, preisgegeben wurde. Im Sommer 1956 kam es in Osttibet zu heftigen Widerstandsaktionen gegen die von den Chinesen aufoktroyierten Reformen und ihr aggressives Verhalten; Anfang 1959 hatte sich der Widerstand bis nach Lhasa ausgebreitet. Für die PLA bestand höchste Alarmstufe. Der endgültige Funke, der den berühmten Aufstand in Lhasa im Jahr 1959 entfachte, war die Einladung zu einer Darbietung in einem chinesischen Militärlager, die der chinesische Gesandte in Tibet, Tan Guansan, an den Dalai Lama ausgesprochen hatte. Als sich die Kunde davon verbreitete, fürchtete die Bevölkerung von Lhasa, die Vorführung sei vielleicht nur ein Vorwand der Chinesen, um den Dalai Lama zu entführen. Tausende von Menschen strömten zusammen, sie verlangten, den Dalai Lama zu sehen und forderten, daß der Besuch in dem Lager der Chinesen abgesagt würde. Es brach eine Revolte aus, die rasch zu einem nationalen Aufstand wurde. Zehntausende von Tibetern kamen ums Leben. Seine Heiligkeit der Dalai Lama trat am 17. März 1959 die Flucht an. Am 23. März hißten die Chinesen die rote Flagge mit den fünf Sternen über dem Potala-Palast. Nachdem er in Indien Asyl erhalten hatte, wies der Dalai Lama bei seiner ersten Pressekonferenz am 20. Juni 1959 das 17-Punkte Abkommen zurück.

Die Ereignisse im Anschluß an die Invasion kann man in drei Zeitabschnitte gliedern, die dazu geführt haben, daß von Volkermord gesprochen werden muß. Die Vergeltung für den Aufstand von Lhasa im Jahr 1959 kostete Zehntausende von Tibetern das Leben. Sie wurden hingerichtet, starben im Gefängnis oder verhungerten in Gefangenenlagern. Einem vertraulichen chinesischen Regierungsdokument zufolge wurden zwischen März 1959 und Oktober 1960 87.000 Tibeter getötet. Im selben Zeitraum fielen Unzählige dem „Großen Sprungs nach vorn“ zum Opfer – dem ehrgeizigen Ziel Maos, die landwirtschaftliche Produktion durch Stahlindustrie zu ersetzen und das Kommunen-System einzuführen. Die zweite Periode einer verheerenden Heimsuchung für die Tibeter war die Kulturrevolution (1966-76), die in Tibet sogar bis 1979 andauerte. Die Grundlage für Maos aberwitzige Bemühungen bildete eine Kampagne zur Auslöschung der „vier Alten“: alte Kultur, alte Gedanken, alte Bräuche und alte Traditionen. Die dritte „dunkle“ Periode war 1987-1990, als auf eine Reihe von größeren Demonstrationen in Lhasa hin Tibet dreizehn Monate lang unter Kriegsrecht gestellt wurde. In dieser Zeit wurden ungefähr 100 Tibeter von der chinesischen Polizei erschossen, weil sie die Unabhängigkeit für Tibet gefordert hatten, und Tausende kamen hinter Gitter.

1988 legte der Dalai Lama den Fünf-Punkte-Friedensplan vor, in dem er weitreichende Zugeständnisse machte, um eine Lösung des Tibetproblems herbeizuführen. Der Kampf geht jedoch weiter...

IV.

Einreiseformalitäten

Stand Sommer 2006

Die Einreisebedingungen für die TAR werden ständig geändert, aber im allgemeinen ist eine Sondergenehmigung erforderlich. Da jedoch weniger als die Hälfte des tibetischen Siedlungsraumes unter die Verwaltung der TAR fällt, genügt für die Einreise nach Osttibet und andere Teile des traditionellen Tibets ein allgemeines Visum für China.

Zur Einreise in die TAR ist zusätzlich zum chinesischen Visum eine separate Genehmigung, das vom TibetTourismusBureau ausgestellte Tibet Travel Permit erforderlich, das man über eine Reiseagentur besorgen kann.Hierzu ist es Pflicht, in einer Gruppe zu reisen oder sich einer Gruppe anzuschließen. Das Permit wird jedoch auch an Einzelpersonen ausgestellt. Kürzlich ließen Offizielle der TAR ausländischen Reportern gegenüber allerdings verlauten, daß diese Sondergenehmigung gegen Ende des Jahres aufgehoben werden könnte.

Die Einreise in die TAR, wie auch die Bewegungen der Touristen innerhalb dieser Region werden streng kontrolliert, sie unterliegen, besonders entlang der Einreiserouten, genauen Bestimmungen, die plötzlich und ohne Vorankündigung geändert werden können. In besonders brisanten Zeiten, wie z.B. um politische Jahrestage und bei Besuchen von hochrangigen Funktionären, kann es vorkommen, daß keine Genehmigung zur Einreise erteilt oder keine Visa verlängert werden. Lokale politische Aktivitäten können auch die Ursache dafür sein, daß der Zugang zu gewissen Gebieten abrupt verwehrt wird. Deshalb sollte man sich sowohl vor wie auch während der Reise, insbesondere als Individualreisender, besonders hinsichtlich eventueller Änderungen der Regelungen für die Gebiete, die man zu bereisen gedenkt, auf dem laufenden halten.

Möglich sind folgende Einschränkungen:

  •        Verweigerung oder Annullierung von Genehmigungen und Visa
  •        Verstärkte Überwachung
  •        Erhöhte Präsenz bewaffneter Polizei
  •        Ausgangssperre
  •        Nächtliche Hotelkontrollen durch das Public Security Bureau (PSB)
  •        Größere Anzahl von Checkpoints entlang der Reiserouten
  •        Verbot der Ausführung der „Kora“ (Umrundungsweg um heilige Stätten) oder des Abbrennens von Räucherwerk
  •        Willkürliche Kontrollen der Ausweispapiere von Tibetern

Reise nach Tibet von China aus

Man kann auf verschiedenen Wegen nach Tibet gelangen. Wenn man bereits in China ist, kann man entweder auf dem Landweg oder mit dem Flugzeug nach Tibet reisen. Die Touristen, die den Landweg wählen, nehmen meistens die Route über Chengdu, Kunming, Xining (über Golmud) oder von Westen her über Kashgar. Die folgenden Angaben sind nur fragmentarisch und unterliegen außerdem häufigen Veränderungen.

Überland

Die meist befahrene Überland-Route ist der 1.969 km lange Qinghai-Tibet-Highway von Xining über Golmud nach Lhasa. Busverbindungen: Ab Golmud fährt täglich 15:00 Uhr ein Bus mit Touristenzulassung, wozu das Permit des TibetTourismBureau erforderlich ist. Seit Eröffnung der Bahnlinie Golmud-Lhasa gibt es auch die Möglichkeit der Fahrt mit dem Zug.

Chengdu ist mit Lhasa durch den vor kurzem wiederhergestellten Sichuan-Tibet-Highway verbunden. Die direkte, 2.166 km lange Südroute verläuft über Lithang und Markham, und die 2.427 km lange Nordroute über Derge und Chamdo. Beide Strecken vereinigen sich in der Nähe von Pomda und setzen sich dann westlich in Richtung Lhasa fort. Von Chamdo aus gibt es auch eine weniger befahrene, über Nagchu verlaufende 1.028 km lange Überlandroute nach Lhasa.

Der Sichuan-Tibet-Highway kann von Chengdu aus mit einem öffentlichen Bus erreicht werden. Er ist für Touristen nur bis zur Grenze der TAR erlaubt, nach Westen offiziell also nur bis Batang oder Derge offen. Danach gibt es nur noch selten oder gar keine öffentlichen Transportmittel, und Lastwagenfahrer müssen mit hohen Geldstrafen rechnen, wenn sie dabei erwischt werden, daß sie Ausländer mitnehmen. Radfahrer und Tramper können die Haupt-Kontrollpunkte vermeiden, indem sie nachts reisen, aber wenn sie gefaßt werden, blühen ihnen Geldstrafen, und sie müssen damit rechnen, von dem Dorf oder Hotel, wo sie sich gerade befinden, zur Umkehr gezwungen zu werden.

Kunming ist durch den spektakulären, 2.400 km langen Yunnan-Tibet-Highway, der über Dali führt, mit Lhasa verbunden. Auch dieser Highway ist für Touristen nur bis zur Grenze der TAR erlaubt. Man kann versuchen, illegal weiterzureisen. In der Tibetisch Autonomen Präfektur Dechen (jetzt „Shangrila“) ist Gyalthang die letzte am Highway gelegene offene Stadt. Die Route von Dechen nach Lhasa mündet unweit von Markham in den Sichuan-Tibet-Highway ein.

Die 2.884 km lange Fahrt von Kashgar nach Lhasa über den Xinjiang-Tibet-Highway, der am Berg Kailash vorbeiführt, ist sehr beschwerlich und offiziell ebenfalls für Touristen gesperrt, dennoch gelingt es wagemutigen Personen mit stillschweigender Duldung von offizieller Seite, sogar per Fahrrad, diese Route zu benutzen.

Mit dem Flugzeug

Von Xining nach Lhasa gibt es viermal pro Woche Direktflüge, die natürlich viel teurer sind als die Bahn-oder Busreise von Golmud nach Lhasa. Einzelreisende müssen ihr Ticket bei einem Reisebüro kaufen, wofür sie eine spezielle Genehmigung benötigen, oder sie müssen sich einer Reisegruppe anschließen.

Von Chengdu nach Lhasa gibt es täglich zwei Flüge, die über ein Reisebüro gebucht werden müssen. Das Büro der China Southwest Airlines verkauft keine Tickets an Einzelreisende. Alternativ wird versucht, aus verschiedenen Einzelreisenden ad hoc eine Reisegruppe zu bilden. Flüge von Peking aus: einmal täglich. Es gibt noch andere Flüge von Guangzhou und Chongqing aus nach Lhasa. Von Lanzhou/Gansu aus kann man nur über Chengdu fliegen.

Von Kunming aus (über Zongdian = TAP Dechen) gibt es tägliche Flüge mit ChinaEastern; auch hier werden Einzelreisende gezwungen, ihr Ticket im Reisebüro zu kaufen und sich einer Gruppe anzuschließen.

Im übrigen wird das Flugnetz ständig ausgebaut. Es gibt nun tägliche Direktflüge von Peking nach Lhasa, ebenso wurde eine neue Fluglinie von Shanghai über X’ian nach Lhasa eingerichtet. Zusätzlich zu den bisherigen zwei Flugplätzen Lhasa und Chamdo wurde kürzlich ein dritter in Nyingtri im Südosten der Autonomen Region Tibet eröffnet mit zwei Flügen pro Woche zwischen Nyingtri und Chengdu. In Dartsedo (Kangding) in der Tibetisch Autonomen Präfektur Kardze soll ein weiterer Flugplatz gebaut werden.

Im ganzen wird Lhasa bereits bis zu 25 mal täglich angeflogen, es bestehen sogar Pläne, eine direkte Fluglinie von Hongkong aus einzurichten.

Reise nach Tibet von Nepal aus

Überland

Wenn man im Besitz eines gültigen chinesischen Visums und des Tibet Travel Permit ist, kann man über den Arnico-Highway von Kathmandu aus nach Lhasa reisen. Bei einigen Reisebüros in Kathmandu ist es möglich, eine organisierte Überlandtour zu buchen. Ganz allgemein gesagt ist diese Route nicht besonders zuverlässig, da sie unerwartet gesperrt werden kann.

Eine Busverbindung von Kathmandu nach Lhasa wurde ab Mai 2005 eingerichtet, es gab jedoch Schwierigkeiten infolge von Verzögerungen bei der Visa-Ausstellung durch die chinesischen Behörden.

Über Purang: Seit Mitte der 90er Jahre ist es auch möglich, in einer Reisegruppe über Sher (nepal. Kojinath) in der Nähe von Purang, ca. 120 km südlich des Bergs Kailash, nach Tibet einzureisen. Sher kann man in einer fünftägigen Wanderung von Simikot in Westnepal erreichen. Im April 2003 war die tibetisch-nepalesische Grenze auf Grund der SARS-Epidemie geschlossen.

Mit dem Flugzeug

Von Kathmandu nach Lhasa kann man dreimal wöchentlich fliegen. Die AirChina ist die einzige auf dieser Route zugelassene Gesellschaft. Auch hier können Touristen ihr Ticket nur über ein Reisebüro erwerben.

Kritische Tage, die bei einem Tibet-Aufenthalt zu beachten sind

  • Losar: Tibetisches Neujahr, normalerweise im Februar
  • 5. März: An diesem Tag fanden 1988 und 1989 in Lhasa große Protestkundgebungen für die Unabhängigkeit statt.
  • 10. März: Jahrestag des tibetischen Volksaufstands in Lhasa 1959, der von der Exilgemeinschaft alljährlich begangen wird.
  • 23. Mai: An diesem Tag unterzeichnete Tibet 1951 das kontroverse 17-Punkte-Abkommen.
  • Saga Dawa: Vierter Monat des tibetischen Kalenders, üblicherweise im Mai/Juni, in dem die Erleuchtung und der Eintritt Buddhas ins Nirvana gefeiert werden. Viele Pilger kommen nach Lhasa.
  • 6. Juli: Geburtstag des Dalai Lama, der 1935 an diesem Tag geboren wurde.
  • August: Shoton (Joghurt-Fest), öfters fanden Demonstrationen für die Unabhängigkeit während dieses Festes statt, denn es zieht immer große Menschenmengen an.
  • 27. September: 1987 fand an diesem Tag die erste Demonstration für die Befreiung Tibets statt.
  • 1. Oktober: Gründung der VR China, in der Vergangenheit kam es öfters zu Protesten in Lhasa.
  • 10. Dezember: 1989 wurde der Dalai Lama mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet.

Bei Besuchen hochrangiger Regierungsvertreter oder internationaler Delegationen müssen Touristen ebenfalls mit Einschränkungen in ihrer Bewegungsfreiheit rechnen.

Reisen in Tibet

Außerhalb der TAR

Die Chinesen haben den größten Teil der traditionellen tibetischen Regionen Amdo und Kham ihren Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan eingegliedert. Die meisten dieser Gebiete sind heute für den Tourismus zugänglich. Wenn man sich abseits der sinisierten größeren Städte aufs Land begibt, kann man Tibeter treffen, die noch mehr oder weniger in hergebrachter Weise leben. In den meisten Dörfern gibt es zumindest noch ein paar traditionelle und für die jeweilige Gegend typische tibetische Häuser. Religiöse Aktivitäten unterliegen allerdings mehr oder weniger strengen Restriktionen, und örtliche Feste werden des öfteren verboten oder in ihrem Umfang eingeschränkt.

Genehmigungen

Die Gebiete außerhalb der TAR sind zumeist auch für Einzelreisende mit chinesischem Visum leicht zugänglich. Politisch heikle Areale, etwa Bergbau- oder Entwicklungsprojekte, Gefängnisse, Militärstützpunkte und Orte, an denen es in letzter Zeit politische Unruhen gab, sind sowohl inner- wie auch außerhalb der TAR für Ausländer entweder vorübergehend oder dauerhaft gesperrt.

Transport

In den für Touristen zugänglichen Gebieten kann man mit öffentlichen Bussen reisen, ein Fahrzeug mieten oder sich gegen ein kleines Entgelt von einem Lastwagenfahrer mitnehmen lassen.

Unterkunft

Die Vorschriften für Übernachtungen werden von Ort zu Ort unterschiedlich umgesetzt. In einer Ortschaft gibt es möglicherweise ein bestimmtes Hotel, in dem ausländische Touristen absteigen müssen, während sie andernorts auch bei tibetischen Familien unterkommen können. Man sollte sich jedoch darüber im klaren sein, daß man, wenn man bei tibetischen Familien wohnt, als Ausländer behördlich überwacht wird.

Innerhalb der TAR

Sowohl die Einreise wie auch das Reisen in dem von den Chinesen als „Tibet“ bezeichneten Territorium werden äußerst restriktiv gehandhabt und sind kostspielig. Gesetze und Vorschriften werden häufig ohne Vorwarnung geändert oder willkürlich angewandt.

Genehmigungen

Für eine begrenzte Zone um Lhasa benötigt man keine zusätzlichen Genehmigungen. Außerhalb dieses Umkreises sieht es jedoch anders aus. Abgesehen von der direkten Strecke über den „Friendship Highway“ zur nepalesischen Grenze muß man sich für alle anderen Routen einer offiziellen Reisegruppe anschließen, was auch Fahrer, Reiseführer und einen gemieteten Jeep mit einschließt. Hierfür sind bis zu vier Genehmigungen erforderlich. Selbst dann erhält man noch nicht überall Zugang

V.

Hintergrundinformationen zur Lage in Tibet

In Anbetracht der mangelnden Transparenz und der Geheimhaltungstaktik der chinesischen Regierung ist die Beobachtung und Einschätzung der Menschenrechtssituation in Tibet alles andere als einfach. Die Menschenrechtspolitik und das Vorgehen Chinas in Tibet sind widersprüchlich und widerlegen sich selbst.

Viele der von Peking für Tibet beschlossenen politischen Richtlinien werden auf unterer Ebene nach Ermessen und Gutdünken der Behörden vor Ort umgesetzt. Das bedeutet, daß es oftmals zwischen den einzelnen Regionen in Art und Umfang der Geltendmachung dieser Direktiven erhebliche Differenzen gibt. Man kann von keiner Gegend Tibets auf eine andere schließen, und Reisende werden sich im ganzen Land mit einer erheblichen Anzahl unterschiedlicher Bedingungen und der verschiedenartigsten Umsetzung politischer Vorgaben konfrontiert sehen.

Diskriminierung

China rechtfertigt seine Invasion in Tibet damit, es habe sich dabei um eine „Befreiung“ der „rückständigen und barbarischen“ Tibeter durch ein „zivilisiertes“ Volk gehandelt. Damit schufen die Chinesen eine Grundlage für rassistische Vorurteile und ihre eigene Dominanz, die sich im Lauf der Jahre immer weiter konsolidierte. Das Ergebnis ist eine permanente ethnische Diskriminierung der Tibeter. An vielen Aspekten des täglichen Lebens, etwa an dem Umgang mit Schulkindern oder auch an der Mißhandlung von Häftlingen, wird offenbar, in welchem Ausmaß die Chinesen die Tibeter als Untermenschen betrachten.

Die Rassendiskriminierung erstreckt sich auf jeden Bereich der Gesellschaft und geht von den höchsten offiziellen Stellen und deren Entscheidungen bis hin zu den alltäglichsten Angelegenheiten und dem Verhalten sogar der ärmsten Einwanderer und ihren Interaktionen mit den Tibetern. Die Konsequenzen für die Tibeter sind, sowohl allgemein als auch individuell gesehen, schwerwiegend. Nicht nur das Leben und die Zukunft einzelner Menschen, sondern auch das tibetische Volk als ganzes sind davon betroffen.

Ein Beispiel für diese alles durchziehende Diskriminierung ist die Verwendung von Chinesisch als Verkehrs- und offizielle Sprache in Tibet. Chinesisch ist in allen öffentlichen Ämtern und behördlichen Einrichtungen sowie bei offiziellen Anlässen an der Tagesordnung. Für eine Anstellung im öffentlichen Dienst ist die Beherrschung der chinesischen Sprache Voraussetzung, was natürlich einen erheblichen Nachteil für die Tibeter bedeutet. Alle Schilder und offiziellen Dokumente weisen chinesische Schriftzeichen auf. Zweisprachige Schilder, in tibetischer und chinesischer Schrift, sind in der TAR zwar inzwischen Pflicht, jedoch sind die tibetischen Schriftzeichen wesentlich kleiner und schlechter lesbar als die chinesischen. Außerdem ist ihr Tibetisch eine direkte Übersetzung aus dem Chinesischen und daher grammatikalisch und stilistisch nicht einwandfrei. Darin mag man die Absicht erkennen, bewußt zum Verschwinden der tibetischen Sprache beizutragen oder eine absichtliche Verballhornung der tibetischen Sprache sehen.

Als Tourist bietet sich Ihnen die Gelegenheit, zu beobachten, wie sich sowohl chinesische Immigranten als auch chinesische Touristen den Tibetern gegenüber verhalten. Auf welcher Ebene finden soziale Kontakte zwischen beiden Volksgruppen statt? In welcher Sprache reden die Chinesen die Tibeter an?

Bevölkerungstransfer

Eine der langfristigen politischen Strategien Pekings ist die Umsiedlung von Han-Chinesen in Minderheitenregionen mit dem Zweck, durch die demographische Verschiebung eine effektivere Kontrolle über systemkritische Bevölkerungsgruppen zu gewährleisten. Diese Politik hat ihre Wirkung vor allem in städtischen Gebieten gezeitigt, d.h. in der Marginalisierung der Tibeter, die keine Möglichkeit haben, auf gleicher Ebene am gesellschaftlichen Leben teilzuhaben. Da den chinesischen Einwanderern ein Gefühl ihrer eigenen Überlegenheit angeboren ist, sind die Tibeter allein auf Grund ihrer ethnischen Abstammung in ihrer eigenen Heimat zu Bürgern zweiter Klasse geworden.

Der Umsiedlungspolitik steht in direktem Zusammenhang mit der Kontrolle Chinas über die „Entwicklung“ in Tibet. Die Bedürfnisse der Tibeter werden dabei kaum berücksichtigt, es geht allein um Gewinne und Vorteile für Chinesen. Obwohl die Arbeitslosenrate unter den Tibetern hoch ist, werden durch lukrative finanzielle Anreize Arbeiter aus dem chinesischen Kernland nach Tibet gelockt. Sie werden bei der Wohnungsvergabe und bei sozialen Diensten, wie etwa der Bildungsvermittlung und der medizinischen Versorgung, bevorzugt behandelt, denn diese Leistungen werden in erster Linie zum Wohl der chinesischen Siedler erbracht.

Mit dem massiven Zustrom von Chinesen geht natürlich auch der Import von chinesischer Kultur und Lebensart Hand in Hand. Die enorme Anzahl der Zuwanderer und die diskriminierende Weise, mit der sie die Tibeter behandeln, erweisen sich als äußerst nachteilig für den Erhalt der tibetischen Kultur und ihrer Werte sowie für den Schutz von Umwelt und Wildtieren, und nicht zuletzt auch für die grundlegenden Menschenrechte der Tibeter.

Da die chinesischen Einwanderer vor allem die Städte bevölkern, können sich Reisende ein besseres Bild von Tibet verschaffen, wenn sie sowohl ländliche als auch urbane Gegenden besuchen. Sogar in den städtischen Ansiedlungen lohnt es sich für einen Reisenden, sich ein wenig von den touristischen Hauptattraktionen zu entfernen, um einen Eindruck vom täglichen Leben in den Kleinstädten und Dörfern zu bekommen.

Beobachten Sie, ob es für Chinesen und Tibeter eigene Stadtviertel gibt oder ob beide gemeinsam an einem Ort leben. Falls Sie getrennte Viertel vorfinden, verfügen diese über gleichwertige Einrichtungen und Lebensbedingungen? Wie verhält sich eine ethnische Gruppe zu der jeweils anderen? Aus welchen Gründen sind die Zuwanderer nach Tibet gekommen, und wie lange leben sie schon dort? Werden ihnen auf Grund ihres Aufenthalts in Tibet besondere Vorteile zuteil? Wie lange wollen sie bleiben? Wie ist im allgemeinen ihre Haltung gegenüber Tibet und seinem Volk?

Beschäftigung und Lebensunterhalt

Die Arbeitslosigkeit unter den Tibetern nimmt ständig zu, und Diskriminierung am Arbeitsplatz ist weit verbreitet. Zu all den Vergünstigungen, mit welchen die chinesischen Einwanderer nach Tibet gelockt werden, kommt für die Tibeter noch erschwerend hinzu, daß bei den Arbeitsbedingungen und der Entlohnung ein immenses Ungleichgewicht zwischen beiden ethnischen Gruppen besteht. Die riskanteren Jobs werden Tibetern zugeteilt, aber sie werden dabei schlechter bezahlt. Wenn Chinesen dieselben Arbeiten verrichten, erhalten sie mindestens den doppelten Lohn. Außerdem gibt es zahlreiche Berichte über unbezahlte und harte Arbeit, die von den tibetischen Gemeinschaften zwangsweise geleistet werden muß.

Die Enteignung von Land, die vorgeschriebene Einzäunung der Weiden und die Quoten für die Reduzierung des Viehbestands machen Nomaden und Bauern im ländlichen Tibet die Erwirtschaftung ihres Lebensunterhalts immer schwerer. Das Einkommensniveau der meisten Tibeter liegt weit unter der globalen Armutsgrenze. Ihr kümmerlicher Verdienst wirkt sich sehr negativ auf ihren Zugang zu Bildung und Beschäftigung, auf ihre medizinische Versorgung, Ernährungsweise, Bekleidung und Wohnung aus.

Die Bevorzugung von chinesischen Arbeitskräften gehört zu den gängigen Diskriminierungspraktiken im Beschäftigungsbereich, noch schwerer wiegt jedoch die Tatsache, daß eine gute Beherrschung der chinesischen Sprache ein ausschlaggebender Faktor für eine Anstellung ist. Somit sind Tibeter automatisch im Nachteil, und nur durch Bestechung und Verbindungen (chin. guangxi) hätten sie überhaupt noch eine Chance, eine Arbeitsstelle zu bekommen. So etwas übersteigt jedoch die Mittel der meisten Tibeter.

Die Propaganda Pekings betrifft besonders die vielgepriesene „Entwicklung“ Tibets. Aber in Wirklichkeit profitieren die Tibeter weder vom Ausbau der Infrastruktur noch von den neuen Arbeitsmöglichkeiten bei den riesigen Bau- und Bergbauprojekten in ihrem Lande. Trotz der hohen Arbeitslosigkeit unter den Tibetern werden die für diese Projekte benötigten Arbeiter aus China herbeigeholt, was die Lage der tibetischen Bevölkerung noch schlimmer macht.

Der Ausbau der Infrastruktur soll den chinesischen Siedlern, nicht etwa den Tibetern, das Leben angenehmer machen. So kommen Tibeter nicht nur bei der Vergabe von Wohnungen an zweiter Stelle, sondern sie werden sogar aus ihren eigenen Behausungen vertrieben, damit an deren Stelle Wohnblöcke chinesischer Bauart für die Zuwanderer errichtet werden können. Entschädigungen für konfiszierten Grund und Boden gibt es entweder gar keine oder nur in sehr geringem Maße, und es bestehen nur wenige Optionen, falls überhaupt, die verlorenen Vermögenswerte ersetzt zu bekommen.

Außerdem liegt die Betonung bei den Entwicklungsprojekten nicht auf Nachhaltigkeit, sondern einzig und allein auf der Ausbeutung der Naturschätze Tibets. Kein Land kann behaupten, es würde effektive Entwicklung betreiben, wenn das Volk dabei keinen Anteil an der Wertschaffung nehmen darf und keinen Nutzen aus ihr zieht. Wegen der Zerstörung ihrer bisherigen Lebensform betätigen sich viele Tibeter inzwischen als Kleinstunternehmer, um irgendwie ihre Familien ernähren zu können. Aber selbst in diesem Bereich sind diskriminierende Praktiken weit verbreitet: Lizenzen und die besten Geschäftslagen werden an chinesische Bewerber vergeben, und wieder hängt das Gelingen von Bestechung und Beziehungen ab.

Das aufgeblähte Steuersystem, das die Tibeter benachteiligt, wirkt sich auf ihre Lebensumstände sehr negativ aus. Nicht nur gibt es eine ganze Reihe von Steuern, die allein den Tibetern auferlegt werden, die Lokalbehörden erfinden nach Lust und Laune zusätzlich neue dazu. Die Steuersätze sind im allgemeinen dermaßen hoch, daß viele Tibeter kaum mehr ihren Lebensunterhalt bestreiten können.

Sprechen Sie, wo immer möglich, mit Tibetern. Fragen Sie, welche Arbeit sie verrichten und ob dort, wo sie arbeiten, auch Chinesen beschäftigt sind? Bekommen sie dieselben Löhne wie diese? Welche Steuern müssen sie bezahlen, und müssen Chinesen diese auch entrichten? Wohin fließt dieses Geld, und wofür wird es verwendet? Welche Aufstiegs- und beruflichen Schulungsmöglichkeiten haben sie? Werden sie bei der Arbeitssuche oder an ihrem Arbeitsplatz diskriminiert? Wie viele arbeitslose Tibeter gibt es in ihrer Gemeinschaft? Welche Chancen haben sie am Arbeitsmarkt? Was tun sie tagein tagaus, und wie überleben sie ohne Arbeit?

Schauen Sie sich den Tourismussektor an. Wer arbeitet in den Restaurants und Läden, und in wessen Besitz befinden sich diese? Wer ist an den bedeutenden touristischen Stätten beschäftigt? Sind die Guides Chinesen oder Tibeter? Wer verkauft traditionelle tibetische Gegenstände und Souvenirs? Wo befinden sich, verglichen mit der Lage der chinesischen Geschäfte, die den Tibetern gehörenden Läden?

China behauptet, die Lebensbedingungen in Tibet hätten sich während der vergangenen Jahre gewaltig verbessert. Sie werden Ihre eigenen Schlüsse über die Lage der Tibeter ziehen können, wenn Sie auf die Art und den Zustand der Häuser, in denen diese leben, ihre Kleidung, ihr allgemeines Erscheinungsbild und ihren Gesundheitszustand acht haben. Fragen Sie sie nach ihrem Lebensstandard; ob sie das Gefühl haben, daß ihre Lage sich in letzter Zeit verbessert habe? Fragen Sie, mit welchen Schwierigkeiten sie sich beim Erwerb ihres Lebensunterhalts konfrontiert sehen, ob sie in Notlagen, z.B. bei Ernteausfällen durch Dürre oder in besonders strengen Wintern, Hilfe von der chinesischen Regierung erhalten. Fragen Sie sie, ob das Haus, in dem sie wohnen, ihnen gehört; ob sie infolge von Entwicklungs- oder Wohnungsbauprojekten ihre Häuser oder ihr Land verloren haben; ob sie eine Entschädigung dafür erhalten haben; ob ihnen Ersatz in gleicher Güte und im gleichen Wert geboten wurde? Fragen Sie, ob bei irgendwelchen Entwicklungsprojekten in der Nähe Tibeter beschäftigt werden; ob sie Zugang zu den neuen Einrichtungen in ihrer Gegend haben und ob sie sich diese leisten können; ob sie das Gefühl haben, daß sie aus den Projekten und der damit einhergehenden Infrastruktur einen Gewinn ziehen?

Fremdenführer

Tibetische Fremdenführer unterliegen der ständigen mißtrauischen Beobachtung durch die chinesischen Behörden. Es ist ihnen verboten, mit Ausländern über politische oder die Tibet-Frage betreffende Angelegenheiten zu sprechen. Man erwartet von ihnen die Wiedergabe der offiziellen chinesischen Linie und Propaganda, und bei der geringsten Abweichung droht ihnen der Verlust ihres Arbeitsplatzes. Deshalb ist es das beste, in Hörweite des Guides oder Fahrers Diskussionen über Politik oder potentiell gefährliche Themen selbst dann zu vermeiden, wenn diese am Gespräch nicht teilhaben, denn beide müssen am Ende der Tour über alles Rechenschaft ablegen. Je weniger sie mitbekommen, desto sicherer ist es für sie.

Dennoch werden Sie hin und wieder tibetische Guides finden, die derartige Themen mit Ihnen besprechen möchten, entweder indem sie selbst ein solches Gespräch beginnen oder indem sie auf die Fragen der Reisenden antworten. Seien Sie immer sehr vorsichtig, sonst geraten die Touristenführer in eine äußerst gefährliche Situation – deshalb achten Sie immer auf den Ort, an dem Sie sich gerade befinden, und darauf, ob andere Leute in der Nähe sind. Das Netz des chinesischen Sicherheitsdienstes ist sehr engmaschig: Es umfaßt Videokameras, Polizisten in Zivil und Geheimagenten an allen wichtigen touristischen und potentiell problemträchtigen Stätten. Auch unter den Tourguides gibt es Informanten, die Ihnen bewußt heikle Fragen stellen werden, um Informationen zu sammeln.

Die chinesischen Behörden versuchen nun alle tibetischen Guides und sogar die Fahrer durch Chinesen zu ersetzen. Am 16. April 2004 berichtete Xinhuanet, ein erstes Kontingent von 100 Tourguides aus 23 chinesischen Provinzen, autonomen Regionen und Stadtbezirken sei in Lhasa angekommen, um „dem lokalen Tourismus“ auf die Beine zu helfen. Diese chinesischen Touristenführer stellen eine weitere Bedrohung für den Lebensunterhalt der tibetischen Guides dar. Letztere stehen schon seit mehreren Jahren unter politischem Druck. In den vergangen Monaten verloren mehr als 150 Tibeter ihren Job als Fremdenführer, weil die Behörden Verdacht wegen ihres Hintergrunds und ihrer mutmaßlichen politischen Neigungen hegten. Tibeter, von denen man weiß, daß sie Indien, wo der Dalai Lama lebt, besucht haben, werden grundsätzlich „separatistischer Aktivitäten“ verdächtigt und unterliegen besonders schwerer Diskriminierung. Letztes Jahr wurde von tibetischen Guides verlangt, ein offiziell beglaubigtes Schreiben vorzulegen als Beweis, daß sie nie in Indien gewesen seien. Infolge dieser Anordnung wurden im Januar dieses Jahres160 Guides entlassen und durch chinesische Touristenführer ersetzt, die mit der Absicht, in der Tourismusbranche zu arbeiten, aus Sichuan und anderen Provinzen nach Lhasa gekommen waren.

Die offizielle Rechtfertigung für die Einstellung von immer mehr chinesischen Touristenführern ist, daß diese „eine Fremdsprache beherrschten und in Tibet Mangel an Fremdenführer mit Fremdsprachenkenntnissen herrsche“.

Wenn Sie eine Tibetreise planen, erkundigen Sie sich, welchen Fahrer und Guide Sie bekommen werden, und bestehen sie darauf, daß beide Tibeter sein müssen. Dadurch werden die Behörden bewogen, weiterhin tibetische Guides zu beschäftigen, und auch die tibetischen Fahrer verlieren nicht ihre Jobs. Bringen Sie Ihre Forderung freundlich, aber unnachgiebig vor. Wenn Sie touristische Stätten besuchen, die eigene Fremdenführer beschäftigen, verlangen Sie ebenfalls, von Tibetern geführt zu werden. Falls es keine gibt, erregen Sie Aufmerksamkeit, indem Sie fragen, warum denn Leute von außerhalb Touristen über tibetische Sehenswürdigkeiten informieren müßten. Fragen Sie, wenn möglich, bei einer vorgesetzten Stelle nach – die Forderungen von Touristen könnten Änderungen bewirken.

Bildung

Angesichts der Zurückdrängung der tibetischen Kultur und Sprache durch die chinesische Massenzuwanderung ist Bildung ein entscheidender Faktor für den Erhalt des kulturellen tibetischen Erbes.

Die Chinesen behaupten, insbesondere durch die Einrichtung von mehr Schulen sei das Bildungswesen in Tibet erheblich verbessert worden. Aber die meisten dieser Schulen befinden sich in städtischen Siedlungen und wurden für die schulische Erziehung der Kinder von Chinesen und von tibetischen Regierungsbediensteten erbaut. Ein großer Teil der tibetischen Bevölkerung hat wegen der zu großen Entfernungen oder infolge der Diskriminierung und der abschreckend hohen Schulgebühren immer noch keinen ausreichenden Zugang zu den Bildungseinrichtungen. Das sind immer noch die Hauptgründe dafür, daß viele tibetische Kinder nicht in die Schule gehen.

Der zweite gravierende Bildungsnachteil für Tibeter ist die Verwendung der chinesischen Sprache im Unterricht. Tibetische Kinder, welche diese Sprache nicht verstehen, werden als dumm hingestellt, wo sie doch nur unwissend sind. Für jegliche höhere Bildung und für die meisten Arbeitsplätze ist eine gute Beherrschung des Chinesischen die Voraussetzung. Tibeter sind daher den chinesischen Muttersprachlern gegenüber von vorneherein im Nachteil. Auf Grund dieser Situation und eines auf die chinesische Kultur ausgerichteten Lehrplans bleibt vielen Kindern eine ordentliche Schulbildung und ebenso eine fundierte Kenntnis der tibetischen Kultur versagt.

Als Ergebnis der chinesischen Bildungspolitik gibt es viele Tibeter, die ihrer eigenen Sprache nicht mehr mächtig sind; manche von ihnen meinen, diese biete für ihre Zukunft ohnehin keinen Nutzen, andere können zwar Tibetisch sprechen, hatten aber nie Gelegenheit, es auch lesen und schreiben zu lernen. Sogar in den Klöstern, den traditionellen Hochburgen tibetischer Bildung, findet man hier und da Analphabeten.

Selbst wenn Sie nicht Tibetisch sprechen, können Sie bei aufmerksamem Hinhören herausfinden, in welcher Sprache eine Unterhaltung geführt wird. Welche Sprache wird bei Geschäften zwischen Tibetern und Chinesen bzw. bei Geschäften unter Tibetern benutzt? Welche Sprache wird in der Gesellschaft verwendet, beim Abfassen von Dokumenten oder in den persönlichen Briefen der Tibeter? Was sprechen sie bei sich zuhause? In den Restaurants? Wie viele Tibeter sprechen Englisch?

Achten Sie darauf, wo sich die Schulen befinden, besonders darauf, wieweit sie von tibetischen Dörfern entfernt sind. Falls Sie Schulen besuchen, fragen Sie, welche Fächer gelehrt werden und in welcher Sprache. Wie ist es um das zahlenmäßige Verhältnis zwischen tibetischen und chinesischen Lehrern und Schülern bestellt? Wieviel Schulgebühren und zusätzliche Aufwendungen müssen entrichtet werden? Wie sehen im Vergleich dazu die Unkosten für die Chinesen aus? Sind die Tibeter zufrieden mit dem Lehrplan und dem Niveau des Unterrichts? Werden sie bei Prüfungen benachteiligt? Wie werden ihre Kinder von den chinesischen Lehrern behandelt? Haben sie Probleme mit chinesischen Mitschülern? Dürfen sie die tibetischen Feiertage einhalten und ihre Religion ausüben? Falls es in der betreffenden Schule keine tibetischen Kinder gibt, fragen Sie, weshalb.

Vergleichen Sie die Ausstattung und den Zustand schulischer Einrichtungen auf dem Lande mit denen in den Städten, und vergleichen Sie Schulen, die in erster Linie von chinesischen Kindern besucht werden, mit denjenigen für Tibeter. Fragen Sie tibetische Familien, ob sie Kinder haben, die in Indien zur Schule gehen. Wenn ja, fragen Sie nach den Gründen, warum sie ihre Kinder dorthin geschickt haben. Haben sie deshalb Probleme mit den chinesischen Behörden?

Sprechen Sie mit erwachsenen Tibetern und fragen Sie sie, ob sie lesen und schreiben können? Falls ja, welche Sprache bzw. welche Sprachen? Fragen Sie sie nach ihrer eigenen Schulbildung und welche Veränderung es seit ihrer Kindheit gegeben hat.

Religion

Wie jedermann weiß, ist der Buddhismus die Hauptreligion Tibets. Heutzutage ist die aggressive atheistische Politik Pekings seine größte Bedrohung. Weil die Chinesen den Buddhismus in direktem Zusammenhang mit dem tibetischen Nationalismus sehen, unterwerfen sie Mönche und Nonnen strengen Einschränkungen und verletzen ihre Menschenrechte auf das gröbste. Auf diese Weise soll politischem Dissens und Buddhismus in Tibet gleichzeitig der Boden entzogen werden.

In vielen der dem Augenschein nach aktiven und regen Klöstern in Tibet kann ein Tourist zwar eine stattliche Anzahl an Mönchen und Nonnen vorfinden, doch die meisten von ihnen sind nichts als Hausmeister oder Kassierer.

Jahrzehntelang wurden die Klöster in Tibet rücksichtslos zerstört. Auch heutzutage werden den bestehenden religiösen Einrichtungen Restriktionen auferlegt, die es ihnen schwer machen, ihrer Funktion und Aufgabe gerecht zu werden. Die Zahl der in einem Kloster zugelassenen Mönche und Nonnen ist genau festgelegt. Es gibt außerdem eine Altersbeschränkung – Mönche und Nonnen müssen zwischen 18 und 55 Jahren alt sein –, deren Resultat es ist, daß es bald keine älteren, hochgelehrten Lamas für die Ausbildung der jungen Novizen mehr geben wird. Die „Demokratischen Managementkomitees“ kontrollieren den Umfang und Inhalt des Studienplans und entscheiden, welche religiösen Riten abgehalten werden dürfen. Staatliche Arbeitsteams führen im Rahmen der Kampagne des „harten Durchgreifens“ regelmäßig Kurse in „patriotischer Erziehung“ durch, deren Ziel es ist, die Mönche mit kommunistischem Gedankengut und der Parteiideologie zu indoktrinieren und gleichzeitig politischen Dissens auszumerzen. Von den Mönchen und Nonnen wird gefordert, daß sie sich vom Dalai Lama lossagen und den tibetischen Patriotismus verurteilen. Jedes Anzeichen von Dissens oder Aufbegehren führt zum Ausschluß aus dem Kloster oder gar zur Verhaftung.

Der Tourismus ist es, der den Buddhismus überhaupt noch am Leben erhält. Die chinesische Regierung ist sich des finanziellen Werts der tibetischen Klöster sehr wohl bewußt, und daß einige Klöster wieder aufgebaut werden dürfen, ist nicht etwa dem Wohlwollen Pekings zuzuschreiben.

Auch die Laienbevölkerung wird durch neue Verordnungen und Restriktionen immer mehr in ihrer Religionsausübung behindert. In erster Linie sind davon diejenigen Tibeter betroffen, welche die Regierung offiziell vertreten oder die eine Stelle in einem Amt haben. Ihnen ist die Teilnahme an traditionellen religiösen Festen und Zeremonien grundsätzlich untersagt. Bilder des Dalai Lama sind in ganz Tibet verboten, wobei diese Bestimmung außerhalb der TAR nicht so streng gehandhabt wird. Dort kann man gelegentlich sogar in einigen Klöstern seine Bildnisse sehen.

Vor allem in den Klöstern wird man oftmals von Tibetern um Bilder Seiner Heiligkeit gebeten. Obwohl sie verboten sind, werden sie von den Tibetern hoch geschätzt. Wenn man bei der Übergabe von Bildern erwischt wird, muß man mit einer Geldstrafe und der Ausweisung rechnen. Die Tibeter, mit denen man in Kontakt stand, werden festgenommen, verhört und vielleicht sogar ins Gefängnis geworfen.

Bestimmte religiöse Feste wie Saga Dawa und der Geburtstag Seiner Heiligkeit unterliegen je nach Region mehr oder weniger schweren Einschränkungen. Schauen Sie sich beim Besuch von Klöstern sorgfältig um, und achten Sie nicht nur auf die allgemeine Atmosphäre, die Mönche und die Nonnen, sondern versuchen Sie herauszufinden, inwieweit diese wirklich ihrer geistlichen Aufgabe nachkommen. Merkt man etwas von ihren Studien, oder werden sie in den Tempeln hauptsächlich als Wachmänner und Kassierer eingesetzt? Wie ist die Altersstruktur, und wie ist die Anzahl der Mönche und Nonnen? Meinen Sie, daß es hier einen Unterschied zu der Zeit vor der Ankunft der Chinesen gibt? Wie werden die neuen Novizen ausgewählt, wie oft und wie viele? Haben die Mönche und Nonnen das Gefühl, daß sie eine gute religiöse Ausbildung erhalten? Sind sie mit dem Niveau ihrer Ausbildung zufrieden? Wie oft müssen sie sich der „patriotischen Erziehung“ unterziehen, und was beinhaltet diese?

Wie oft werden in dem Kloster eines Ortes öffentliche religiöse Zeremonien abgehalten? Wie viele tibetische Laien nehmen daran teil? Welcher Art ist die behördliche Überwachung? Gibt es Restriktionen bei den religiösen Zeremonien in ihrer Gemeinschaft? Dürfen sie in ihrem Zimmer einen Altar haben? Wurden irgendwelche religiösen Feste verboten, oder unterliegen sie Behinderungen? Wenn ja, welchen? Wie stehen die Tibeter einer möglichen Einmischung der Regierung in ihre Religionsausübung gegenüber?

Exkurs

Exkurs: Der Fall Gedhun Choekyi Nyima

Am 14. Mai 1995 erkannte Seine Heiligkeit der Dalai Lama den damals sechs Jahre alten Gedhun Choekyi Nyima als Reinkarnation des X. Panchen Lama an. Drei Tage danach verschwanden der Junge und seine Eltern. Nach einigen Monaten setzte die Regierung der VR China ihren eigenen Panchen Lama ein.

Ein Jahr später verkündete die chinesische Regierung, sie würde den X. Panchen Lama „auf Bitten seiner Eltern“ in Gewahrsam halten, denn er sei „in Gefahr, von Separatisten entführt zu werden“. Er wäre „nicht mehr sicher“ gewesen. Somit gab die chinesische Regierung zu, das Kind in ihrer Gewalt zu haben, und das, obwohl sie dem Dalai Lama die Autorität abgesprochen hatte, den neuen Panchen Lama zu ernennen, und obwohl sie sich weigert, Gedhun Choekyi Nyima als die wahre Reinkarnation anzuerkennen. Man kann kaum nachvollziehen, warum die chinesischen Behörden so weit gehen, um die „Sicherheit“ eines ihrer Auffassung nach ganz gewöhnlichen Knaben zu gewährleisten.

Im Mai 1997 startete die VR China in den Klöstern der tibetischen Siedlungsgebiete ihre Kampagne „Patriotische Erziehung“. In deren Rahmen wirbt sie auch für die Akzeptierung des von den Chinesen gewählten Panchen Lama und die Ablehnung von Gedhun Choekyi Nyima als solchem. Berichten tibetischer Flüchtlinge und unabhängiger Reisender zufolge wurden Bilder des von den Chinesen eingesetzten Panchen Lama in allen wichtigen Klöstern und Touristenhotels an deutlich sichtbarer Stelle angebracht. Im Gegensatz dazu sind Fotos des Dalai Lama und von Gedhun Choekyi Nyima überall in Tibet verboten. Der am 25. April 1989 geborene Gedhun Choekyi Nyima gilt als der jüngste politische Gefangene der Welt.

Viele hochrangige Delegationen und Regierungsvertreter aus dem Ausland, darunter auch die ehemalige UN-Hochkommissarin für Menschenrechte, haben ihre Besorgnis über die fortgesetzte Festhaltung des Panchen Lama zum Ausdruck gebracht. Dennoch verweigert die VR China jeglichen Zugang zu dem Knaben und seinen Eltern. Im Oktober 2000 brachten britische Regierungsvertreter den Fall Gedhun Choekyi Nyima bei einer Konferenz im Rahmen des Menschenrechtsdialogs mit China zur Sprache.

Die den Briten gezeigten Fotos beantworteten nicht die grundlegenden Fragen nach dem Aufenthaltsort und dem Wohlergehen des Panchen Lama. Wir halten diese Bilder für ein gänzlich unzulängliches Mittel, die Bedenken der internationalen Gemeinschaft zu zerstreuen, und sind der Ansicht, daß jede Form der Beschwichtigung nichts weiter als eine leere Geste ist.

Im August 2001 bekam eine Delegation polnischer Parlamentarier, die Lhasa besuchte, auf ihre wiederholten Nachfragen hin zu hören, Gedhun Choekyi Nyima sei bei guter Gesundheit und lebe bei seiner Familie. Bilder des Jungen wurden der Delegation innerhalb von sechs Wochen versprochen, aber sie trafen nie ein.

Am 29. November 1995 wurde der sechs Jahre alte Gyaltsen Norbu von den chinesischen Behörden als „wahrer“ Panchen Lama bestimmt. Am 8. Dezember 1995 wurde er inthronisiert, was zu massiven Protesten in ganz Tibet führte.

Seitdem sind die Bilder von Gedhun Choekyi Nyima geächtet, ebenso wie diejenigen des Dalai Lama. In vielen Klöstern sieht man Fotos von Gyaltsen Norbu, die auf behördliche Anordnung hin dort angebracht wurden. Als einen unverfänglichen Ausweg hängen Tibeter oftmals einfach Bilder des verstorbenen X. Panchen Lama Choekyi Gyaltsen auf.

Gefängnisse

Schon immer machten Mönche und Nonnen die Mehrheit der politischen Häftlinge in den chinesischen Gefängnissen in Tibet aus. Alle tibetischen politischen Gefangenen müssen extrem harte Haftbedingungen und Mißhandlungen erdulden. Sie werden schon in der Untersuchungshaft bei den Verhören routinemäßig gefoltert, um Geständnisse von ihnen zu erpressen. Verurteilte Häftlinge werden auf die verschiedenste Weise gefoltert, wenn sie den Forderungen des Wachpersonals nicht nachkommen oder sich nicht politisch indoktrinieren lassen. Nach vereinzelten Fällen von Aufbegehren innerhalb der Gefängnismauern wurden die Häftlinge besonders brutal mißhandelt.

Ein ganzes Netz von Haftanstalten durchzieht die Außenbezirke von Lhasa. Das berüchtigte Drapchi-Gefängnis liegt am Stadtrand, nordöstlich vom Potala, gleich daneben befindet sich das New Lhasa Prison, und gegenüber auf der anderen Seite des Tals sind noch vier weitere. Fünf Kilometer westlich von Lhasa gibt es das Gutsa-Haftzentrum. Dort finden die meisten Folterungen an Gefangenen statt. Im Osten der Stadt liegt das Trisam-Gefängnis. Drapchi und die Gefängnisse in seiner Nähe kann man von dem Hügelzug westlich des Klosters Sera aus sehen. Am Fuß dieses Hügelzugs ist die Zementfabrik Lhasa, die ständig erweitert wird. Ihren finanziellen Erfolg verdankt sie in erster Linie der von den Gefangenen geleisteten Zwangsarbeit.

Die Bedingungen in allen Haftanstalten sind sehr hart, wobei die Unterernährung der Gefangenen ein gravierendes Problem darstellt. Entweder müssen sie Zwangsarbeit leisten, oder, falls sie in Bereichen mit körperlich leichterer Arbeit eingesetzt werden, sehen sie sich mit unerfüllbaren Quoten konfrontiert. Viele Häftlinge werden auch stundenlang militärartigem Drill unterworfen, ohne Rücksicht auf ihre körperliche Verfassung oder ihr Alter. Mangelnde Erfüllung der geforderten Arbeitsquoten und fehlerhaftes Verhalten bei den Exerzierübungen ziehen harte Strafen nach sich. Jedes Anzeichen von Dissens oder Eintreten für die Freiheit Tibets werden streng bestraft. Von 1987 bis 2002 hat das TCHRD 82 Fälle dokumentiert, bei denen Tibeter infolge von Mißhandlungen und Folter in der Haft zu Tode gekommen sind.

An für sie strategisch günstigen Zeitpunkten läßt die Regierung hin und wieder einige politische Gefangene frei. Dies geschieht ausschließlich aus politischen Gründen bzw. zu Propagandazwecken. Fakt ist jedoch, daß die betreffenden Personen, die jahrelang Folterungen und Mißhandlungen erlitten haben, niemals hätten inhaftiert werden dürfen.

Bei der massiven Unterdrückung und der ständigen Verletzung der Menschenrechte, vor allem in der TAR, gewinnt man den Eindruck, das ganze Land sei nichts als ein einziges riesiges Gefängnis und werde als ein solches verwaltet. Die Tibeter sind Opfer von umfassenden Einschränkungen ihrer Bewegungsfreiheit, ihres Rechts auf Rede- und Versammlungsfreiheit, von Mißhandlung, Diskriminierung und Entzug der Mittel zum Lebensunterhalt – die Ursache für die allgemeine Armut.

Gefängnisse und Politik sind keine Themen, die Sie auf Ihrer Reise durch das Land mit Tibetern diskutieren sollten, ganz egal, in welcher Region Sie sich befinden. Versuchen Sie nicht, das Gespräch darauf zu bringen, denn dadurch würden Sie Ihre Gesprächspartner in große Gefahr bringen. Seien Sie sehr vorsichtig, wenn ein Tibeter versucht, mit Ihnen über diese Thematik zu sprechen und überlegen Sie genau, ob der Ort, an dem Sie sich gerade befinden, ein solches Gespräch zuläßt, und ob Sie sich überhaupt zu diesen Dingen äußern sollten.

Gesundheitsversorgung

Auch bei der medizinischen Versorgung werden die Tibeter diskriminiert, gleichgültig, ob sie in der Stadt oder auf dem Land leben. Die Benachteiligung mag sich in ihrer Art und Weise unterscheiden – aber unter den miserablen Zuständen haben alle gleichermaßen zu leiden.

Was die Haftanstalten betrifft, so wird Tibetern dort in der Regel jegliche medizinische Versorgung mit der Begründung verweigert, sie wollten sich nur vor der Arbeit drücken. Selbst wenn sie gelegentlich gesundheitlich betreut werden, erhalten sie meistens verfallene oder die falschen Medikamente. Stationäre Behandlung gibt es nur in sehr schweren Fällen und auch dann auch nur so kurz wie möglich.

Tibetische Stadtbewohner haben zwar Zugang zu medizinischen Einrichtungen, aber sie müssen teuer dafür bezahlen. Selbst wenn sie in kritischem Zustand sind, müssen Tibeter eine erhebliche Anzahlung leisten, bevor eine Behandlung überhaupt in Erwägung gezogen wird. In manchen Krankenhäusern werden bis zu 5.000 Yuan Kaution verlangt, was für Tibeter mehrere Jahreseinkommen bedeuten kann. Auch für diejenigen, welche das notwendige Geld zusammenkratzen können, sind die Kosten hoch, die Pflege ist, im Vergleich zu der den chinesischen Patienten gebotenen, mangelhaft bis unterdurchschnittlich und die Unterbringung auf den Stationen schlecht. Im Gegensatz dazu haben die chinesischen Patienten keine Anzahlung zu leisten, müssen weniger für Behandlung und Medikamente zahlen und kommen auf gut ausgestattete Stationen mit besseren medizinischen Einrichtungen.

Es ist auch schon vorgekommen, daß Tibetern, die während oder nach politischen Unruhen Verletzungen durch die Polizei erlitten hatten, mit der Begründung, sie hätten sich dem chinesischen Mutterland gegenüber nicht loyal verhalten, die Behandlung gänzlich verweigert wurde.

Tibeter vom Land stehen noch größeren Schwierigkeiten gegenüber, wenn sie medizinische Hilfe in Anspruch nehmen wollen. Trotz des von Peking vielgepriesenen „Fortschritts“ in Tibet, wozu angeblich auch der Bau von Krankenhäusern gehört, wurden die meisten Hospitäler zur Versorgung der chinesischen Zuwanderer errichtet und befinden sich demzufolge fast ausschließlich in den von Chinesen bewohnten urbanen Zentren. Umgekehrt bedeutet das, daß es für die außerhalb des städtischen Umkreises lebenden Tibeter kaum medizinische Einrichtungen gibt; die oft weite Fahrt zu den vorhandenen kann für sie infolge der schlechten Wege sehr beschwerlich und mit erheblichen Transportkosten verbunden sein. Das alles kommt noch zu den überhöhten Behandlungskosten und der oft unzulänglichen Betreuung der Tibeter im Krankenhaus hinzu.

Ein Bereich der nach Tibet importierten modernen chinesischen Zivilisation, welcher dank der Duldung und Hilfestellung durch die chinesischen Behörden boomt, ist die eigentlich illegale Prostitution. Im Jahr 2000 wurde geschätzt, daß es in Lhasa über 1.000 Bordelle mit mindestens 7.000 tibetischen Mädchen gibt. Anfangs waren die meisten Prostituierten Chinesinnen, und auch heute noch gibt es viele von ihnen. Aber die Zahl der tibetischen Mädchen in diesem Gewerbe steigt auf Grund des niedrigen Bildungsniveaus und der extremen Armut der Tibeter immer weiter an.

Der Mangel an Hygiene und sexuellen Schutzmaßnahmen stellt eine erhebliche Gefahr für die Gesundheit der Mädchen und somit für alle Tibeter dar. China ist bereits von HIV/AIDS betroffen. Die importierten Prostituierten sind ein hochgradiger Risikofaktor für die Ausbreitung der Krankheit auch in Tibet. Hinzu kommt der komplette Mangel an Aufklärung und Vorbeugungsmaßnahmen bzw. angemessener Behandlung. Der Grund, warum bisher keine AIDS-Fälle in Tibet gemeldet wurden, ist wohl der, daß es im ganzen Land keine einzige Testmöglichkeit gibt.

In der Tat mangelt es in Tibet an Programmen zur Aufklärung im Bereich öffentliche Gesundheit, ob es sich nun um Kinderpflege, Ernährung, Hygiene, sanitäre Einrichtungen oder die Vermeidung von ansteckenden Krankheiten handelt.

Zwangssterilisation ist ein großes Problem für tibetische Frauen. Vielerorts werden Frauen, welche die erlaubte Höchstzahl von Kindern geboren haben, einer Operation unterzogen, oder es werden andere kontrazeptive Techniken angewandt, durch die eine beträchtliche Anzahl von ihnen schwere gesundheitliche Schäden davonträgt; sie werden arbeitsunfähig, siechen dahin oder sterben gar. Viele Frauen haben entsetzliche Angst davor, sich auch wegen anderer gesundheitlicher Probleme in die Hände von Medizinern zu begeben, weil sie fürchten müssen, daß sie gegen ihren Willen Opfer von Zwangssterilisation oder, falls sie schwanger sind, einer Zwangsabtreibung werden könnten.

Wenn Sie durch Tibet reisen, sollten Sie einen Blick auf die Lage von Krankenstationen und Krankenhäusern werfen. Achten Sie auch auf die Zusammensetzung der Bevölkerung in der Nähe der größeren und neueren Einrichtungen. Sprechen Sie an den verschiedenen Orten mit den Menschen, und fragen Sie nach, wie weit sie es zur nächsten medizinischen Einrichtung haben, und was sie die Reise dorthin kostet. Gibt es Unterschiede zu den Chinesen zur Verfügungen stehenden medizinischen Diensten, und wie viel müssen diese dafür bezahlen? Was halten die Tibeter vom Standard ihrer gesundheitlichen Versorgung? Welche Art von ärztlicher Betreuung steht ihnen zur Verfügung – chinesische, tibetische, westliche? Sind Tibeter in ländlichen oder städtischen Gebieten über HIV/AIDS und andere sexuell übertragbare Krankheiten aufgeklärt worden? Was wissen sie über die Möglichkeiten, sich zu schützen? Gibt es irgendeine Form von öffentlicher Gesundheitsaufklärung? Wie sieht es mit den allgemeinen Kenntnissen über Hygiene und deren Umsetzung im täglichen Leben aus?

Umwelt

In den Augen der chinesischen Führung ist die Natur nur dazu da, menschliche Bedürfnisse zu befriedigen. Diese Haltung hat zu einer kritischen Situation für die Umwelt in Tibet geführt. Einige der Ursachen sind lokalisierbar, z.B. die vom intensiven Abbau von Bodenschätzen herrührende Verschmutzung oder die Anlegung von schnell wachsenden urbanen Siedlungen für die Zuwanderer in ökologisch sensiblen Gebieten mit einem rauhen Klima, die bei übermäßiger Nutzung schnell „kippen“ könnten. Durch die rapide Urbanisation werden aus anderen Gegenden Tibets Wasser, Wasserkraft, geo-thermische Energie und andere Ressourcen abgezogen, wodurch in bestimmten Enklaven und Korridoren künstliche Inseln materiellen Wohlstands geschaffen werden, während das ausgedehnte landwirtschaftlich orientierte Hinterland, in dem die meisten Tibeter leben, vernachlässigt wird und unter Kapitalmangel und fehlender Investition in nachhaltige Entwicklung leidet.

Andere Umweltkrisen sind nicht lokal begrenzt, sondern sie erstrecken sich über das ganze Hochland, das so groß wie Westeuropa ist. Die stetige und unerbittliche Degradation des Weidelands ist zu einer Bedrohung für die Herden wie auch für die Erhaltung der Artenvielfalt geworden und damit zu einer Gefahr für die Überlebensfähigkeit der nomadischen Hirtenkultur Tibets, die auf der Nutzung des ausgedehnten Graslands basiert.

Die nicht auf Nachhaltigkeit angelegte Nutzung der natürlichen Ressourcen Tibets bietet ebenfalls Grund zur Sorge: Wasser, Wälder, ganze Landstriche, landwirtschaftliche Flächen und Bodenschätze werden ausgebeutet, denn die Bevölkerungsdichte geht bereits über das hinaus, was dem Land zuträglich ist. Ein solcher Bevölkerungszuwachs wird einzig und allein durch eine auf Dauer nicht aufrechtzuerhaltende Förderung von außen, unter anderem durch direkte Zuschüsse von Peking in Milliardenhöhe und die Subventionierung der Transportkosten für Güter aller Art ermöglicht.

Weiterhin verlieren die Tibeter ihr Land und damit ihren Lebensunterhalt durch das Anstauen von Flüssen für hydroelektrische Projekte, von denen sie kaum profitieren. Zuerst wird ihnen Land für die Infrastrukturprojekte weggenommen, und dann erleben sie, wie ihre Ernten und die Weidegründe durch unerwartete Überschwemmungen infolge mangelhafter Planung ruiniert werden – und das alles ohne jegliche Entschädigung.

Die in großem Umfang betriebene Ausbeutung von Bodenschätzen zerstört ebenfalls Weideflächen und Ackerland. Da die meisten Bergbau-Unterneh-men ausschließlich chinesische Neusiedler beschäftigen, hat die Bevölkerung von dem Abbau der natürlichen Ressourcen Tibets keinen Gewinn, sondern nur Nachteile. Sogar an einigen heiligen Stätten wird nach Bodenschätzen gegraben, und in manchen Gegenden wurden „Löcher in der Landschaft hinterlassen, die so groß wie vier- oder fünfstöckige Häuser sind“.

Die Gebirgswiesen, die endlosen Weideflächen und die ausgedehnten Prärien des tibetischen Hochlands bilden eines der wichtigsten Ökosysteme der Erde. Für die Absorbierung der Treibhausgase, die für die Klimaerwärmung verantwortlich sind, ist dieses genauso wichtig, wie andernorts die Wälder. Die weiten Graslandschaften bildeten in der Vergangenheit den Lebensraum für große Herden wilder Antilopen und Gazellen, unter die sich auch die Herden von domestizierten Yaks, Schafen und Ziegen der tibetischen Nomaden mischten. Jetzt ist dieses Weideland wegen der verfehlten Politik der Besatzer stark gefährdet: Sie bringen kein Verständnis für diese weite, aber hoch empfindliche Grassteppe auf, die schnell zur Wüste wird, wenn man sie über die Maßen beansprucht.

Die Erosion und Degradation des Graslands ist ein geradezu klassisches Beispiel für das Versagen der chinesischen Agrarpolitik. Alles begann in den schrecklichen Jahrzehnten, als die Tibeter völlig wehrlos in Kommunen gezwungen wurden und alle Macht in den Händen der Kader mit ihren „wissenschaftlichen“ Kenntnissen lag. In den 60er und 70er Jahren fühlte sich China dazu veranlaßt, den tibetischen Landwirtschaftsflächen einen größeren Ertrag abzuringen – vor allem mehr Fleisch –, als das Grasland hergab. Das schleichende Übel der Degradation nahm seinen Anfang, als die Zahl der Herden auf Anordnung der Behörden verdoppelt oder sogar vervierfacht wurde. Die unaufhaltsame Erosion, die bereits einen Großteil des ausgedehnten Plateaus erfaßt hat, wächst sich allmählich zu einer regelrechten Katastrophe aus.

Um 1980 gab China das System der Erfassung der Nomaden zu Zwangskommunen auf, wies jeder Familie etwas Land und Vieh zu und übertrug ihr auch die Verantwortung dafür. Gleichzeitig führten die Chinesen jedoch eine neue Politik ein, nämlich die Seßhaftmachung der Nomaden. Sie verlangen von ihnen, sich auf dem Land, das der Staat ihnen in Pacht gegeben hat, in festen Behausungen niederzulassen und den ihnen zugewiesenen Grund und Boden einzuzäunen. Das trieb viele in die Verschuldung. Durch diese Einzäunungspolitik wurden die Herden auf kleinen Arealen konzentriert, die schnell überweidet waren, während die Nomaden in ihrer gewohnten Flexibilität und Mobilität eingeschränkt sind.

Die riesigen tibetischen Wälder wurden systematisch gerodet. Die Holzstämme wurden in die Flüsse geworfen, um in die flußabwärts gelegenen chinesischen Provinzen getrieben zu werden. Dabei wurden allerdings viele an den Stromschnellen zerschmettert. Die uralten Baumbestände Tibets wurden auch in Lastwagenkolonnen nach China abtransportiert, und zwar von staatseigenen Untenehmen, die chinesische Siedler anheuerten. So wurde Tibets natürliches Erbe zu niedrigen und staatlich kontrollierten Preisen an wiederum andere Staatsbetriebe verschleudert, die es zu Eisenbahnschwellen, Stützbalken für Bergwerke und Bauholz verarbeiteten.

In den wärmeren Regionen Tibets mit feuchtem Klima, wo einst dichte Wälder aus Himalayafichten, Eichen und Rhododendren wuchsen, geht der Abholzungsfrevel weiter. Als China 1998 eine Einstellung der Abholzung verfügte, waren die meisten Wälder bereits kahl geschlagen und ihr Holzreichtum in die chinesischen Provinzen gekarrt worden. Anfänglich hielt man diese Verordnung für eine gute Nachricht und sah darin eine Chance zur Wiederaufforstung der kahlen Hänge, die bereits in die Täler der Flüsse abzurutschen begannen, die nicht nur Südchina, sondern auch Indien, Burma, Thailand, Laos, Kambodscha und Vietnam mit Wasser versorgen.

Es ist nun fünf Jahre her, seit Peking die Provinz- und Lokalbehörden angewiesen hat, die Abholzung zu stoppen – ihr Einkommen hing ebenso wie das der chinesischen Siedlungen vom Holzgeschäft ab. Damals sahen die Chinesen sich gezwungen, eine Wahl zwischen Holz aus Tibet und Wasser aus Tibet zu treffen, denn sie waren sich klar geworden, daß sie sich nicht länger an beidem frei bedienen können, als ob die Ressourcen der tibetischen Natur unbegrenzt zur Verfügung stünden. Die Flutkatastrophe des Yangtse von 1998 zwang sie zu dieser Entscheidung. China entschied sich für Wasser als das kostbarere Gut und verfügte die Wiederaufforstung der Wassereinzugsgebiete, damit künftig Überschwemmungen und Dürren großen Ausmaßes vermieden würden.

In Wirklichkeit ist jedoch die Abholzung in Tibet niemals eingestellt worden. Es kostet nun lediglich mehr, die örtlichen Behördenvertreter zu bestechen, um die notwendigen Genehmigungen zu bekommen, womit wiederum der Holzpreis stieg. Und das führte dazu, daß Holz zu einem Luxusgut wurde, was seinerseits die Schattenwirtschaft förderte. Berichte des US-Landwirtschaftsministeriums, welches die Situation genau verfolgt, bestätigen die Aussagen tibetischer Flüchtlinge, daß die Abholzung nicht aufgehört hat.

Die Planungen der chinesischen Regierung sehen massive Investitionen in großangelegte Infrastrukturprojekte vor, um Erdgas aus Tibet zu leiten, Kupfer und Chromeisenerz abzubauen und die tibetischen Salzseen auszubeuten. Die aus ihnen gewonnenen Rohmaterialien dienen als Grundlage für die Herstellung von Kunststoffen, chemischen Düngemitteln und Magnesium. Besonders groß ist die Nachfrage nach Chromeisenerz.

Einige Teile des tibetischen Plateaus sind schon hochgradig industrialisiert. Dabei wird kaum auf eine Kontrolle der Umweltverschmutzung geachtet. Von den Ölfeldern im ausgedörrten Tsaidam-Becken im äußersten Norden Tibets werden jährlich zwei Millionen Tonnen Rohöl zu den nahegelegenen petrochemischen Raffinerien gepumpt. Unter der Protektion einflußreicher chinesischer  Manager nimmt der Asbest-, Eisen- und Zinkabbau ständig zu, und es werden immer mehr Aluminiumhütten errichtet. Die Tibeter haben keine Möglichkeit, die Installation von Einrichtungen zur Kontrolle der Umweltverschmutzung durchzusetzen, denn die Fabriken gehören denselben Leuten, die offiziell für den Umweltschutz zuständig sind.

Wie machtlos die tibetischen Gemeinschaften sind, wird am Beispiel der Tongren-Aluminiumhütte deutlich, die in dem nördlich von Rebkong (chin: Tongren) gelegenen stillen tibetischen Ackerbautal Rongwo-Chu angelegt wurde. Mangels geeigneter Einrichtungen zur Kontrolle der Umweltverschmutzung stößt die Anlage giftigen fluoridhaltigen Rauch aus, weshalb Schafe, die auf dem Gelände grasen, auf dem sich der Rauch niederschlug, wegen Zahnausfall verhungern müssen. Keiner der vielen Appelle der Bevölkerung fand Gehör, denn die Schmelze gehört Parteikadern aus der nahegelegenen Stadt, die gleichzeitig die für den Immissionsschutz zuständigen Offiziellen sind.

Die großen im Rahmen der „Western Development Strategy“ in Tibet eingeleiteten Infrastrukturprojekte zeitigen bereits dramatische Folgen für die Umwelt. Die kontroverse Eisenbahnlinie Golmud-Lhasa zerteilt das fragile Ökosystem und die Migrationswege der Wildtiere. Was das Wasserumleitungsprojekt von Süd nach Nord betrifft, so beabsichtigt das chinesische Wasserministerium, jedes Jahr große Mengen von Wasser aus dem Drichu (chin. Yangtse) nach Nordchina abzuleiten, um dem dort herrschenden chronischen Wassermangel ein Ende zu bereiten. Die westliche Route des aus drei Großabschnitten bestehenden Projekts sieht acht mögliche Wasserumleitungswege durch das südliche Amdo vor, für die mittels atomarer Explosionen Tunnel in die Berge gesprengt werden sollen.

Viele Gebiete in Tibet sind für Touristen gesperrt, weil die Chinesen nicht wollen, daß Ausländer politisch brisante Einrichtungen oder Betriebe, welche die Umwelt schwer schädigen, zu Gesicht bekommen. Der in der Nähe von Lhasa gelegene Distrikt Lhoka ist dafür ein Beispiel: Dort ließen einige Großunternehmen für den Abbau von Bodenschätzen kürzlich sogar Klöster schließen. Touristen, die den Orakelsee Lhamo Lhatso besuchen möchten, benötigen unzählige Genehmigungen, außerdem ist ein Guide obligatorisch.

All diese Eingriffe in die Umwelt Tibets haben weitreichende und lang anhaltende Konsequenzen, die nicht nur Tibet, sondern die ganze Welt betreffen. Abgesehen von den nachteiligen Folgen für den Lebensunterhalt und die Lebensweise der Tibeter gilt als erwiesen, daß die Umweltsituation in Tibet ausschlaggebend für die troposphärischen Jetstreams ist und somit letzten Endes das globale Klima beeinflußt.

Sprechen Sie mit Ortsansässigen und finden Sie heraus, welche Projekte in ihrer Gegend durchgeführt werden und welche Auswirkungen diese für sie haben. Können Sie Anzeichen von Abholzung erkennen, wie Kahlschlag oder Holztransporter (beachten Sie, daß die meisten LKW heutzutage mit Planen bedeckt werden, um das transportierte Gut zu verbergen)? Wenn Ihnen der Zutritt zu einem bestimmten Gebiet verwehrt wird, kennen Sie den Grund, und wissen Sie, was sich dort befinden könnte? Welchen Grad von Umweltverschmutzung in Form von Land- und Wasserkontaminierung können Sie feststellen? Welche Anzeichen für Bodenerosion und Erdrutsche nicht natürlicher Verursachung gibt es? Wie viel Wild konnten Sie entdecken und wie viele Spezies? Inwieweit sind sich die Tibeter des Schadens bewußt, der ihrer Umwelt zugefügt wird? Wie gehen die Tibeter selber mit ihrer Umwelt um?

Militarisierung und Kontrolle

Militär- und Polizeistationen gibt es überall in Tibet: jede Stadt hat einen größeren oder kleineren Militärstützpunkt, und jeder, der durch Tibet reist, gleichgültig ob Ausländer oder Tibeter, muß ständig irgendwelche Checkpoints überwinden. Falls ihnen das Reisen überhaupt gestattet ist, dürfen Tibeter sich in ihrem eigenen Land ohnehin nicht frei bewegen. Für jede Fahrt außerhalb des unmittelbaren Bereichs ihrer Einwohnerregistrierung benötigen sie eine offizielle Genehmigung. Bei Übertretung dieser Regel werden empfindliche Strafen verhängt und häufig die betreffenden Familien drangsaliert. Es handelt sich nicht nur darum, eine Genehmigung zu beantragen und sich ein Papier ausstellen zu lassen – die Bewegung von Personen innerhalb Tibets wird genau überwacht und häufig ganz verboten. Die chinesischen Immigranten sind diesen Kontrollen und Restriktionen jedoch nicht im selben Ausmaß unterworfen.

Die offensichtliche Präsenz von Armee und Miliz soll politischen Abweichlern zur Abschreckung dienen, und wenn irgendwo Unruhen aufflackern, werden schnellstens Sicherheitskräfte an den betreffenden Ort verlegt. Zu bestimmten Zeiten, wenn die politische Spannung zunehmen könnte, wird abgesehen von weiteren Überwachungs- und Kontrollmaßnahmen, die Präsenz von Militär und Sicherheitskräften in den Straßen aufgestockt; manchmal werden auch Ausgangssperren verhängt. Nur die Tibeter und in geringerem Umfang auch ausländische Touristen sind diesen Kontrollmaßnahmen unterworfen. Die Chinesen bleiben von diesen unablässigen Genehmigungs- und Identitätsüberprüfungen wie auch den Schikanen verschont.

Auch wenn es Touristen im allgemeinen nicht möglich ist, sich während ihrer Reise durch Tibet genaue Angaben zu verschaffen, versuchen Sie dennoch zu notieren, wo sich Militärbasen, Gefängnisse und Überwachungsanlagen befinden und wie groß deren Umfang ist. Was Polizeipräsenz, Patrouillen und Checkpoints betrifft, so achten Sie darauf, wie viele uniformierte Sicherheitskräfte auf den Straßen sowie in der Nähe von Sehenswürdigkeiten und religiösen Stätten ihre Runden drehen. Falls Sie Militärfahrzeuge sehen, beobachten Sie, wie lang der Konvoi ist, wo sie ihn gesehen haben, in welche Richtung er gefahren ist und was er transportiert? Vielleicht ergibt sich auch eine Möglichkeit, mit Tibetern über das Thema Reisen und die Prozeduren und Einschränkungen, denen sie unterworfen sind, zu reden.

VI.

Allgemeine Empfehlungen

Sicherheit

Die Chinesen haben ganz Tibet mit einem ausgedehnten Sicherheitsnetzwerk überzogen, am offensichtlichsten ist es in der TAR. Der markantesten Aspekte dieses Systems sind die allseits bekannten Überwachungskameras an Stätten wie dem Potala, dem Jokhang oder der Barkhor Kora (Umrundungsweg) in Lhasa, sowie die ständige Präsenz von Polizei und Militär. Hierbei handelt es sich jedoch lediglich um die oberflächlichen Merkmale des Systems, sozusagen die Spitze des Eisbergs. Bestenfalls wird ein unaufmerksamer Besucher gar nichts von der Überwachung, unter der er steht, mitbekommen; im schlimmsten Fall können Touristen die Tibeter in große Gefahr bringen, wenn sie sich zu zwar wohlgemeinten, aber unbedachten Handlungen hinreißen lassen. Es gibt nicht nur eine Menge von Polizisten in Zivil, sondern auch viele verdeckte Ermittler, und alle sind sie Teil eines gigantischen Spionage-Netzwerks. Seien Sie stets vorsichtig, vor allem, wenn Sie bedeutende Sehenswürdigkeiten wie die Klöster Sera oder Drepung besuchen – dort können Sie jederzeit von irgend jemand angesprochen werden, der sofort über Politik zu reden beginnt oder um Fotos des Dalai Lama bittet.

Sie sollten sich auch bewußt sein, daß alle von Tibet aus geführten internationalen Ferngespräche nach Peking umgeleitet und dort abgehört oder auf Band aufgenommen werden. Den Begriff der freien Meinungsäußerung gibt es in Tibet nicht. E-Mails werden ebenfalls nach bestimmten Schlüsselbegriffen gefiltert, und viele Websites sind gesperrt, Sie können sie einfach nicht aufrufen, und jeder diesbezügliche Versuch macht die Sicherheitsorgane auf das betreffende Internetcafé und auf Sie selbst aufmerksam. Die chinesischen Behörden benützen Abhörgeräte zur Überwachung der Internet-Verbindungen und E-Mails, mittels derer sie Inhalte mit unerwünschten Wortkombinationen blockieren. Kürzlich hat sogar Yahoo eine Vereinbarung mit Peking unterzeichnet, der zufolge die Firma künftig Internetanwender aus China zensieren wird. Genauso wird auch mit E-Mails politischen Inhalts aus Tibet verfahren. Bitte denken Sie an die Betreiber der Internetcafés, die damit ihren Lebensunterhalt verdienen. Bedenken Sie auch, daß die Inhaber, falls es sich dabei um Tibeter handelt, weit schwerere Konsequenzen als Chinesen zu tragen haben, wenn sie die Zensur brechen. Alle internationalen Tibet-Websites sind blockiert, ja man kann nicht einmal nach dem Begriff „Tibet“ suchen. Die Websites des amerikanischen CNN, des britischen BBC, von Reporter-ohne-Grenzen (RSF), des australischen ABC – sie und noch viele andere sind gesperrt.

Früher konnte man die diversen Abteilungen der chinesischen Sicherheitskräfte an den unterschiedlichen Farben ihrer Uniformen erkennen. Im Mai 2001 wurden jedoch alle Uniformen auf ein standardisiertes Blau umgestellt. Die aus ehemals arbeitslosen Jugendlichen und sozialen Outsidern bestehende Barkhor-Patrouille, welche von den Chinesen dafür bezahlt wird, den Barkhor abzuschreiten, sauber zu halten und für Ruhe und Ordnung zu sorgen, die Bewaffnete Volkspolizei (PAP), die häufig eingesetzt wird, um Unruhen mittels spezieller Gewalttechniken zu unterdrücken, und das Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB), das die strafrechtliche Verfolgung in der „TAR“ einleitet – sie alle kann man nur noch anhand der chinesischen Schriftzeichen auf den Abzeichen an ihrem Arm unterscheiden. Alle diese Sicherheitsorgane operieren in Lhasa, und zusätzlich werden noch PSB-Beamte in Zivilkleidung eingesetzt.

Fotografieren

Anhand von Fotos kann man in Tibet eine Vielzahl von Themen dokumentieren; in diesem Land, in dem eine Unterhaltung gefährlich oder wegen der Sprachbarrieren schwierig sein kann, bedarf es nicht immer verbaler Erklärungen. Ungewöhnliche Vorkommnisse oder Störfälle jedweder Art bieten immer eine ausgezeichnete, wenn auch riskante Gelegenheit zum Fotografieren, doch sind die alltäglichen Anblicke und Situationen nicht weniger wichtig. Fotografieren Sie überall in Tibet die Bedingungen, unter denen die Tibeter leben und arbeiten, ebenso wie die Veränderungen, welche die Chinesen ins Land gebracht haben.

Verbale Mitteilungen aus zuverlässigen Quellen können sich als wertvoll erweisen, sind aber immer mit Risiken behaftet. Nützen Sie Ihr Urteilsvermögen, und erwägen Sie die jeweilige Situation unter allen Aspekten. Wenn Sie Informationen festhalten, vergegenwärtigen Sie sich immer das „Worst Case Scenario“, den „schlimmsten anzunehmenden Fall“: Falls Sie festgenommen werden sollten, wird man Ihr Gepäck durchsuchen und Ihre Notizen beschlagnahmen. Fassen Sie Ihre Aufzeichnungen so ab, daß Fremde daraus keine eindeutigen Informationen entnehmen können, Sie selbst aber im Nachhinein in der Lage sind, die genauen Details zu rekonstruieren.

Beobachten Sie, wie viele Bordelle und Prostituierte es in Lhasa und anderen Großstädten gibt. Prostitution ist kein isoliertes Phänomen, sondern im sozialen Kontext eines Systems zu sehen, das danach trachtet, den Einfluß des Dalai Lama auszumerzen und die Moral der Tibeter zu untergraben. Allein im Stadtgebiet von Lhasa gibt es an die 2.000 Bordelle und mehr als 10.000 Prostituierte, von denen viele absichtlich in die Umgebung des den Tibetern heiligen Kora-Pfads geschickt werden.

Unterkunft

In der TAR ist es grundsätzlich verboten, bei Tibetern zu übernachten, selbst wenn man von einer Familie eingeladen wird. Es würde sie ernsthaft in die Gefahr von Repressalien seitens der Behörden bringen. Sogar dort, wo die Beherbergung von Touristen durch behördliche Genehmigung gestattet ist, wird die Familie  von den Behörden überwacht.

Angesichts der gegenwärtigen politischen Situation in Tibet sollte man sich immer dessen bewußt sein, daß Briefe, Telefongespräche, E-Mails und Faxe zensiert und überwacht werden. Als Ausländer stehen Sie die ganze Zeit unter Beobachtung.

Gespräche mit Tibetern

Wenn Sie mit Tibetern alltägliche Gespräche führen, werden Sie die meisten von ihnen offen und freundlich finden, aber es wäre für jeden Tibeter sehr gefährlich, mit Touristen Gespräche über Politik oder Menschenrechte zu führen oder ihnen Informationen zu übergeben, die sie ins Ausland mitnehmen sollen. Wenn Sie bewußt nach derartigen Informationen forschen, bringen Sie die Tibeter in große Gefahr. Es kann Ihnen jedoch passieren, daß Tibeter von sich aus eine Diskussion beginnen oder Sie um Informationen bitten. Gehen Sie in diesen Fällen mit der nötigen Umsicht vor, denn Tibeter neigen dazu, die ihnen drohende Gefahr zu ignorieren. Sie dürfen keinesfalls die Risiken unterschätzen, denen sich diese Menschen aussetzen, wenn sie Sie ansprechen, und selbst dann, wenn sie nur den Anschein erwecken, es tun zu wollen.

Seien Sie sich bei Gesprächen mit Tibetern immer bewußt, an welchem Ort Sie sich befinden – ob es Videoüberwachung gibt oder ob andere mithören können. Die berühmte Teebude gegenüber dem Snowlands Hotel in Lhasa ist beispielsweise dafür berüchtigt, daß viele Spitzel an den überfüllten Tischen sitzen. Sie betreten auch als einzelne Gäste Restaurants oder hängen in Discos und Karaokebars herum. Nachbarn sind bekannt dafür, daß sie es gerne den Behörden zutragen, wenn westliche Ausländer bei tibetischen Familien zu Besuch sind.

Im allgemeinen ist die Kenntnis über die Exilgemeinden sehr gering. Zuweilen wäre es der Mühe Wert, wenn Sie, bevor Sie Tibet besuchen, zuerst nach Indien und besonders nach Dharamsala reisen, um wenigstens eine tibetische Exilgemeinde gesehen zu haben. Dharamsala ist der Sitz des Dalai Lama und der tibetischen Regierung im Exil. Viele Flüchtlinge aus Tibet und zahlreiche bereits in Indien geborene Tibeter leben an diesem Ort. Sie könnten mit den Tibetern in Indien reden und herausfinden, warum sie aus ihrer Heimat geflohen sind, und auf diese Weise mehr über die Situation der Flüchtlinge erfahren. In Tibet jedoch müssen Sie sich immer bewußt sein, in welche Gefahr Sie einen Tibeter bringen, wenn Sie derartige Themen mit ihm erörtern. Das Schlimmste, was Ihnen selbst widerfahren kann, ist, daß Sie verhört und abgeschoben werden, den Tibetern drohen jedoch Verhaftung und Folterung.

Sprache

Tibeter werden sich freuen, wenn Sie auch nur ein paar Worte Tibetisch, beispielsweise die Begrüßungsformel „tashi delek“ sagen. Das zeigt ihnen, daß Sie ihre Sprache und Kultur hoch genug schätzen, um diese wenigen Worte zu lernen, und es unterscheidet Sie vom Durchschnittstouristen: Sie geben damit zu erkennen, daß Sie sich für Tibet und seine Menschen interessieren. So etwas kann auch die Tür zu Freundschaften öffnen. Wenn Sie mit Tibetern ins Gespräch kommen – und es gibt viele, die begierig darauf sind, sich mit dazu gewillten Ausländern in Englisch zu üben –, können Sie ohne weiteres über arglose Themen reden, die dennoch unerläßlich für das Verständnis der Lebenssituation der Menschen sind: Familienleben und Alltag, Schule, Arbeit, Steuern und Gesundheitswesen, ihre allgemeine Lebensanschauung. Man kann auch vieles aus dem schließen, was nicht ausgesprochen wird.

Wenn Sie ein paar Worte Tibetisch können, verwenden Sie diese unbedingt auch im Umgang mit chinesischen Bürgern.

Kleidung

Weit, strapazierfähig, praktisch und bequem sollte die Kleidung für Tibet sein, und natürlich der Jahreszeit angepaßt. In einem Land, in dem man – von Großstädten wie Lhasa und Shigatse abgesehen – modemäßig noch in den 80ern steckt, ist Haute Couture fehl am Platz. Obwohl man immer häufiger Touristinnen aus Peking, Shanghai oder Hongkong in engen oder ausgeschnittenen Kleidern sieht, würde man sich in derartiger Kleidung doch schnell als alberner Tourist bloßstellen. „Anständige“ Kleidung ist immer noch Standard in Tibet, und eingedenk der klimatischen Bedingungen ist das Wichtigste, daß sie funktionell und praktisch ist. Von den Diskotheken abgesehen gibt es in Tibet kaum Nachtleben, für das man sich schick machen müßte, und die meisten Tibeter freuen sich mehr über Rücksichtsnahme auf ihre Gefühle als über nackte Haut.

Tibeter schätzen es, wenn man tibetische Kleidung trägt. Ebenso wie durch den Gebrauch ihrer Sprache bezeugt man auf diese Weise Wertschätzung und Interesse für ihre Kultur. Sogar ein einfaches Hemd im tibetischen Stil fällt ihnen auf. Eine komplette Ausstattung in traditioneller tibetischer Kleidung könnte allerdings als Ausdruck pro-tibetischer Gesinnung gewertet werden und zu unliebsamer chinesischer Aufmerksamkeit führen. Die Ecke vom Potala-Platz, wo Touristen nahezu gedrängt werden, sich in tibetischer Kleidung fotografieren zu lassen kann, ist die offensichtliche Ausnahme!

Heilige Stätten

Man könnte sagen, daß es der Tourismus ist, welcher den Buddhismus in Tibet am Leben erhält. Die chinesische Regierung hat sehr wohl den finanziellen Wert dessen, was sie von den Spenden der Tibeter und Touristen an die Klöster an sich raffen kann, erkannt, ebenso den der nicht geringen Summen, welche die Touristen bei ihrem Besuch der heiligen Stätten insgesamt ausgeben.

Wenn Sie also in den Tempeln Spenden oder Darbringungen machen, die den Tibetern zugute kommen sollen, dann müssen sie das Geld direkt den Mönchen übergeben. Die unvermeidbaren Eintrittsgelder fließen sowieso direkt in chinesische Taschen, aber darüber hinaus ist der Khenpo (Abt) eines Klosters verpflichtet, alle Spenden, die an den Altären niedergelegt werden, den Behörden zu übergeben. Nur die Beträge, die den Mönchen oder dem Abt selbst überreicht werden, können diese behalten und für sich verwenden. Seien Sie also diskret.

Wenn Sie eine religiöse Stätte besuchen, gleichgültig ob es ein Tempel oder ein Naturheiligtum wie der Berg Kailash ist, sollten Sie die tibetischen Bräuche achten. Kleiden Sie sich gediegen, und nehmen Sie Ihre Kopfbedeckung ab, rauchen Sie nicht, hinterlassen Sie keinen Abfall und umrunden Sie Tempel, Statuen und sakrale Stätten im Uhrzeigersinn. Berühren Sie niemals den Kopf eines Mönchs oder einer Nonne, und verhalten Sie sich rücksichtsvoll, wenn Sie Menschen oder Zeremonien fotografieren. Fragen Sie zuvor um Erlaubnis, machen Sie keinen Lärm beim Besichtigen und drängen Sie sich niemals mit Ihrer Kamera auf.

Insbesondere in Klöstern werden Sie von vielen Tibetern nach Fotos Seiner Heiligkeit des Dalai Lama gefragt werden. Diese sind in der TAR wie auch in den meisten anderen tibetischen Regionen absolut verboten. Dennoch werden sie von den Tibetern hochgeschätzt, und es bleibt Ihnen überlassen, ob Sie solche Bilder mitnehmen wollen oder nicht. Wenn Sie damit erwischt werden, wird man Sie vermutlich des Landes verweisen und die Tibeter, mit denen Sie in Kontakt waren, intensiv verhören. Jedenfalls sind kleine Portraits in Paßfotogröße am leichtesten zu verstecken und zu übergeben. Mani Rilbu (die winzigen, von Seiner Heiligkeit gesegneten Pillen) und Tunga/Jendue (gesegnete Amulette/geknotete Kordeln) werden ebenfalls sehr geschätzt und sind nicht verboten. Wenn sie entdeckt werden, werden sie auch nicht automatisch mit Seiner Heiligkeit in Verbindung gebracht.

Lhasa

Ursprünglich bestand Lhasa aus einigen kleinen Dörfern, die sich um den Potala und den Jokhang scharten. Vor 1949 betrug die Einwohnerzahl schätzungsweise 20.000-30.000 Menschen. Heute wird allein die Anzahl der chinesischen Immigranten auf 250.000-300.000 veranschlagt. Lhasa ist zu einer trostlosen Metropole aus Glas- und Ziegelbauten gemacht worden. Nur um den Jokhang herum gibt es noch ein Wohnviertel im tibetischen Charakter – und auch das wird nach und nach abgerissen und durch Häuser, die in oberflächlicher Weise den traditionellen tibetischen Baustil imitieren, sowie durch riesige Hotels ersetzt.

Potala

Der ehemalige Winterpalast des Dalai Lama wurde schon vor langem in ein Museum umgewandelt, das den Anschein eines Mausoleums erweckt. Nur wenige Räume sind der Öffentlichkeit zugänglich, Polizei und Spitzel sind allgegenwärtig, und überall befinden sich Überwachungskameras. Jedes Jahr aufs Neue ist Tibetern der Besuch des Potala am Geburtstag des Dalai Lama verboten.

Potala-Platz

Der Potala-Platz wurde für das „30-jährige Jubiläum der Autonomen Region Tibet“ eingeebnet, wozu viele tibetische Häuser abgerissen werden mußten. Er ist sozusagen der Tiananmen-Platz von Lhasa und wurde als riesiger Parkplatz für Militärfahrzeuge und zum Zweck der Zurschaustellung militärischer Macht angelegt. Chinesische Touristen fotografieren gerne die vor dem Potala aufgezogene rote chinesische Nationalflagge. Eben dort versuchte Tashi Tsering 1999 die verbotene tibetische Fahne zu hissen. Er starb innerhalb von ein paar Monaten an den ihm von der chinesischen Polizei durch Folterung zugefügten Verletzungen. Die PSB-Station befindet sich an der Südwestecke des Platzes und ist durch die dort geparkten Polizeifahrzeuge leicht zu erkennen.

Norbulingka

Der Norbulingka ist das, was von dem herrlichen Sommerpalast der Dalai Lamas übrig geblieben ist. Von den Schäden, die die chinesischen Mörser in jener Nacht von 1959, als der Dalai Lama floh, angerichtet haben, sieht man nichts mehr. Jene Gebäude gibt es einfach nicht mehr. Auch rein gar nichts weist auf den heftigen Widerstand der Tibeter hin, die sich damals vor den Toren drängten. Es wurde gerade genug von dem Palast erhalten, um den Touristen das Geld aus der Tasche zu ziehen. Der Hauptgrund, warum der Norbulingka überhaupt noch existiert, ist das jährliche Shoton-Fest (Joghurtfest), eine Show, während der das ganze Gelände in eine Ansammlung von chinesischen Spielbuden und sonstigen Lustbarkeiten verwandelt wird.

Barkhor

Dicht an der kürzlich (für Militärfahrzeuge) verbreiterten Dekyi Shar Lam (chin. Peking Donglu) liegt das altehrwürdige, den Tibetern heilige Zentrum von Lhasa. Das Barkhor-Areal um den Jokhang ist das letzte Überbleibsel tibetischer Kultur und des alten Lhasa, und auch dieses wird bald verschwunden sein. Der Barkhor-Platz, der Anfang der 80er planiert wurde und häufig umgestaltet wird, ist ebenfalls nur deshalb angelegt worden, um eine freie Fläche zu schaffen, die den Chinesen bei der Unterdrückung der geringsten Äußerung von tibetischem Nationalbewußtsein nützlich ist. Sowohl der Platz als auch die Umrundungsstraßen, die den Jokhang umgeben, werden ständig von Videokameras und zahlreichen Uniformierten und Sicherheitskräften in Zivil überwacht. Dieser Ort war Schauplatz der berühmten Freiheitsdemonstrationen der Tibeter – von Einzelpersonen oder Grüppchen, die Freiheitsparolen riefen bis hin zu den Massenprotesten in den späten 80er Jahren. Wie viel Blut ist hier geflossen, doch das ursprüngliche Kopfsteinpflaster, das Zeuge der Ereignisse von damals war, wurde durch glitzernde Granitplatten ersetzt!

Am südwestlichen Teil der Barkhor-Kora-Route, vom Mandala-Hotel aus genau um die Ecke, befindet sich das Revier des Public Security Bureau (PSB): Ein riesiges Eingangstor, groß genug für Militärfahrzeuge, öffnet den Blick auf einen großen Parkplatz im Hof. Vom südlichen Abschnitt der Kora aus betrachtet, steht das von großen chinesischen Schriftzeichen gekrönte Gebäude wie zum Hohn der Tibeter direkt unter dem sich dahinter auftürmenden Potala.

Jokhang

Während der Kulturrevolution wurde der Jokhang geschändet: Er diente als Kaserne und Schlachthaus. Später wurde daraus ein Hotel für chinesische Kader. Die wenigen Tempel in Tibet, die nicht in der Kulturrevolution oder davor zerstört wurden, wie der Jokhang, haben zumeist nur deshalb überlebt, weil sie als Lagerhäuser für Getreide oder Unterkünfte für Kader benutzt wurden. Ebenso wie im Potala wurden die Statuen und religiösen Gegenstände im Jokhang zerstört oder nach China geschleppt und dort zu Geld gemacht.

Die Klöster Sera, Drepung und Ganden

Die am Stadtrand von Lhasa gelegenen Klöster Drepung und Sera sowie das weiter entfernte Ganden wurden alle mehr oder weniger von den Chinesen zerstört, und ihre religiösen Schätze wurden geplündert. Es sind dies die drei großen Klöster von Lhasa, die von den Chinesen als die Hauptbrutstätten von Abweichlertum und Unruhe angesehen wurden (und immer noch werden). Die schweren Zerstörungen an den Klosteranlagen sind auch heute noch deutlich zu sehen. Ganden wurde am schwersten getroffen – das Kloster wurde durch Sprengungen in eine einzige Ruine verwandelt. Da unter dem chinesischen Regime die Zahl von Mönchen und Nonnen in einem Kloster begrenzt ist, werden die meisten dieser Ruinen einfach stehen bleiben. Drepung beherbergte einst um die 9.000 Mönche, Sera 5.000 und Ganden mehr als 5.000. Jetzt gibt es in jedem der Klöster nur noch ein paar hundert. Die meisten der außerhalb von Lhasa lebenden Tibeter, und erst recht diejenigen aus entlegenen Regionen, werden es wohl in ihrem ganzen Leben niemals schaffen, die Pilgerfahrt in die Heilige Stadt zu unternehmen. Aus diesem Grund sind Fotos von Lhasa, die den Jokhang und den Potala zeigen, sehr begehrt. Dasselbe gilt für Bilder von jeder beliebigen anderen Gegend in Tibet. Tibetische Freunde, die Sie auf Ihrer Reise gewinnen, werden sich auch freuen, wenn Sie ihnen Fotos Ihrer nächsten Familienangehörigen zeigen. Tibeter sind einfach begeistert von Fotografien und besitzen eine unersättliche Neugier auf die Welt da draußen.

VII.

Nach der Reise

Das TCHRD ist auf Aussagen von Neuankömmlingen aus Tibet angewiesen. Touristen sind ebenfalls eine wertvolle Informationsquelle; gegenüber den tibetischen Flüchtlingen bieten sie den Vorteil, daß sie ihre Beobachtungen durch die Fotos, die sie unterwegs aufgenommen haben, untermauern können. Allerdings gilt zu bedenken, daß „neugierige Touristen“ in Tibet nicht willkommen sind. Die Behörden werden solche zunächst nach Herzenslust fotografieren lassen und dann bei der Ausreise sämtliche Filme konfiszieren.

Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie uns nach der Rückkehr von Ihrer Reise Ihre Beobachtungen und Informationen übermitteln könnten, die möglichst von Fotos mit Detailangaben wie Zeitpunkt, Ortsangabe usw. begleitet sein sollten. Wenn Sie Zeuge von wichtigen Begebenheiten wurden oder Berichte aus erster Hand erhalten haben, wenden Sie sich bitte umgehend an:

Tibetan Centre for Human Rights and Democracy
Top Floor, Narthang Building
Gangchen Kyishong
Dharamsala 176215, HP / India
Phone: +91 1892 223363 / 229225
Fax: +91 1892 225874
E-Mail: dsala@tchrd.org
Website: www.tchrd.org

VIII.

Leseempfehlungen: Bücher und Websites

Literatur über Tibet auf Deutsch:

  • Ama Adhe / Joy Blakeslee: Doch mein Herz lebt in Tibet. Die bewegende Geschichte einer tapferen Frau, Freiburg i. Br., 2000
  • Dagmar Gräfin Bernstorff & Hubertus von Welck (Hrsg.): Tibet im Exil, Baden-Baden, 2002
  • Franz Binder: Dalai Lama, München, 2005
  • Franz Binder: Kailash, München, 2002
  • Maria Blumencron: Flucht über den Himalaya. Tibets Kinder auf dem Weg ins Exil, München, 2003
  • Martin Brauen: Traumwelt Tibet. Westliche Trugbilder, Bern, 2000
  • Martin Brauen (Hrsg): Die Dalai Lamas, Stuttgart, 2005
  • Philippe Broussard & Danielle Laing: Die singende Nonne von Lhasa. Ngawang Sandrol , Nonne und Widerstandskämpferin, Hamburg/Wien, 2003
  • Karl-Heinz Everding: Tibet, Köln, 2001
  • Helmut Forster-Latsch & Paul Ludwig Renz: Tibet - Land, Religion, Politik, Frankfurt a.M., 1999
  • Palden Gyatso / Tsering Shakya: Ich Palden Gyatso, Mönch aus Tibet, Bergisch-Gladbach, 1998
  • Isabel Hilton: Die Suche nach dem Panchen Lama. Auf den Spuren eines verschwundenen Kindes, München, 2002
  • Peter-Hannes Lehmann & Jay Ullal: Das stille Drama auf dem Dach der Welt, Hamburg, 2000
  • Sabine Löhr: Dalai Lama XIV., Reinbek, 2005
  • Helmut Steckel (Hrsg.): Tibet - eine Kolonie Chinas. Ein buddhistisches Land sucht die Befreiung, Hamburg 1993, vergriffen, nur noch über TID-Hamburg@arcor.de zu bestellen
  • H. Weyer & F. Alt: Tibet - Weites Land zwischen Himmel und Erde, Hamburg, 2005
  • Karenina Kollmar-Paulenz: Kleine Geschichte Tibets, München 2006. Taschenbuch der Beck`schen Reihe.
  • Steve Lehmann: Die Tibeter. Ein Kampf ums Überleben, TeNeues Verlag, Kempen 1999
  • Melissa Harris & Sidney Jones (Hrsg.): Tibet seit 1950. Schweigen, Gefängnis oder Exil., Frankfurt a. M. 2000

Weitere Literatur auf Englisch

Geschichte und Politik

  • My Land and My People – His Holiness the Dalai Lama
  • Freedom in Exile – His Holiness the Dalai Lama
  • In Exile from the Land of Snow: The Definitive Account of the Dalai Lama and Tibet since the Chinese Conquest – John F. Avedon
  • The Dragon in the Land of Snows: A History of Modern Tibet since 1947 – Tsering Shakya
  • Red Star over Tibet (neu aufgelegt unter dem Titel: Tibet: The Road ahead – Prof. Dawa Norbu
  • Tibetan Nation – Warren Smith
  • Tibet: A Political History – W. D. Shakabpa
  • Demise of the Lamaist State – Melvyn Goldstein
  • Circle of Protest – Ronald D. Schwartz

Reiseführer

  • Mapping the Tibetan World – Gavin Allwright, Atsushi Kanamaru und Yakushi Osada
  • Tibet Overland – Kym McConnell

Empfehlenswerte Websites

www.tchrd.org
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy

Die einzige von Tibetern betriebene Menschenrechts-NGO hat ihren Sitz in Dharamsala und verfolgt die Menschenrechtslage in Tibet. Die Site enthält ungekürzte und zum Download bereitgestellte Dokumente aller Veröffentlichungen des Centers, einschließlich dieser Broschüre, sowie Informationen über politische Gefangene, aktuelle Kampagnen und sonstige Neuigkeiten.

www.atc.org.au
Australian Tibet Council

Diese Site bietet nicht nur einen Überblick über die politische Lage, Neuigkeiten und Kampagnen, sondern enthält auch ausgezeichnete Reiseinformationen. Ein kleiner Teil wendet sich speziell an Australier, aber der Großteil betrifft Tibet direkt. Die Site ist immer aktuell, ausführlich und gründlich recherchiert und somit eine wertvolle Informationsquelle für Reisende.

www.kotan.org
Kotan Publishing

Eine ausgezeichnete Site mit Neuigkeiten, Wetterberichten, Landkarten und einem Verzeichnis weiterer Links, die über mögliche Reiseziele informieren. Sie befindet sich noch im Aufbau und wird vom Herausgeber des Reiseführers „Mapping the Tibetan World“ betrieben.

www.tibetinfonet.net
TibetInfoNet

Unabhängige Menschenrechtsorganisation mit Sitz in London. Diese Website bietet Neuigkeiten, Berichte und Kommentare, außerdem einen nützlichen Teil zu Reisen nach Tibet.

www.tibet.org
Tibet Online

Eine gute und umfangreiche Site, die aktuelle Nachrichten enthält, über Menschenrechts- und Umweltfragen berichtet und auch diverse Reiseinfos bietet.

www.tibet.ca
Canada Tibet Committee

Diese Site wurde eingerichtet, um Tibet mehr ins Bewußtsein der Öffentlichkeit zu rücken. Die vom Canada Tibet Committee herausgegebenen World Tibet News sind eine wertvolle Informationsquelle. Sie erscheinen täglich und enthalten irgendwo in der Welt veröffentlichten Artikel, die in direktem Bezug zur Lage in Tibet stehen. Die Website bietet auch allgemeine Informationen und berichtet über laufende Kampagnen.

www.phayul.com
Phayul

Eine unabhängige Seite mit den aktuellsten Nachrichten über Tibet und aus Tibet.

www.tibet.net
Tibetische Regierung-im-Exil

Offizielle Website der in Dharamsala ansässigen tibetischen Regierung-im-Exil. Sie informiert über die politische Situation und die tibetische Regierung-im-Exil und enthält die Online-Ausgabe des alle zwei Monate erscheinenden Tibetan News Bulletin, das über alle Tibet betreffenden Angelegenheiten berichtet.

www.tew.org
Tibet Environmental Watch

Eine Seite, die über die Umweltproblematik auf dem tibetischen Hochland aufklärt und Neuigkeiten, Berichte, Informationen über die Tierwelt, Landschaft und Entwicklungsfragen bietet. Es existieren auch Links zu Landkarten von Tibet und Lhasa.

www.khamaid.org
Eine auf Kham spezialisierte Website mit einem großen Abschnitt zu Reisen in Tibet.

www.tibet.com
The Government of Tibet in Exile

Webseiten auf Deutsch:

www.tibet-initiative.de
Tibet Initiative Deutschland e.V. (TID)

www.savetibet.de
International Campaign for Tibet - Deutschland e.V.

www.tibetfocus.com
Gesellschaft Schweizerisch-Tibetische Freundschaft (GSTF)

http://tibet.logic.at
Österreichische Gesellschaft zur Hilfe an das tibetische Volk

IX.

Anhang 1

Tibet Information Network
20. Juni 2005

Tibetische Tour-Guides außerhalb der TAR

Über die schwierigen Bedingungen, unter denen tibetische Tour-Guides in der TAR arbeiten müssen, und insbesondere über die ständigen Versuche der chinesischen Behörden, sich mittels politisch motivierter Anweisungen in ihr Tun einzumischen, wurde schon vielfach berichtet. In den außerhalb der TAR gelegenen Gebieten, wo die Tourismusindustrie ebenfalls gewaltig wächst, verhält es sich nicht anders. Der harte Wettbewerb zwischen nichttibetischen und tibetischen Fremdenführern und die offiziellen Restriktionen haben zur Folge, daß die Tibeter in diesem boomenden Sektor zunehmend an den Rand gedrängt werden.

TIN legt hier Auszüge aus Interviews mit Guides vor, die in den tibetischen Gebieten außerhalb der TAR arbeiten. Die kulturellen und historischen Sehenswürdigkeiten, ebenso wie die natürliche Schönheit dieser Regionen ziehen jedes Jahr eine große Anzahl chinesischer Touristen an. Die Förderung des Tourismus – insbesondere des innerchinesischen – als einer Schlüsselindustrie in den tibetischen Gebieten, die heute zu Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan gehören, führte dazu, daß allerorten Touristendörfer, Picknickplätze usw. entstanden sind. Das berühmte Weltnaturerbe von Jiuzhaigou (tib. Zitsa Degu) in Sichuan wird alljährlich von fast ebenso vielen Touristen wie die gesamte TAR besucht. Stätten für die Himmelsbestattung sind, allen Protesten der Tibeter zum Trotz, weiterhin eine Touristenattraktion; zwar wurde deren Besichtigung in der TAR mittlerweile verboten – wenigstens auf dem Papier. Auch die Klöster verzeichnen riesige Besucherzahlen. Viele chinesische Besucher zeigen ernsthaftes Interesse am tibetischen Buddhismus, und immer mehr von ihnen werden Schüler tibetischer Lamas. Dadurch bilden sich enge Kontakte zwischen ihnen und den Buddhisten in China.

Wie berichtet, sind die meisten der an Orten wie Xining in Qinghai (die traditionelle tibetischen Region Amdo) tätigen Übersetzer und Guides Chinesen. Obwohl die meisten Touristen tibetische Guides bevorzugen, werden nur ganz wenige Tibeter eingestellt. Es heißt, viele chinesische Guides würden sogar tibetische Namen annehmen und sich als ethnische Tibeter ausgeben. Die Mehrzahl der aus den verschiedenen Gegenden der VR China kommenden Urlauber hat ihre Reise über Agenturen gebucht, die vorwiegend chinesische Fremdenführer beschäftigen.

Der folgende Text ist ein Auszug aus einem Interview, welches TIN mit einem Mönch aus dem Kloster Labrang in Gansu führte, der als Tour Guide arbeitete. Die Behörden versuchen die Klöster von der Anstellung eigener Guides abzuhalten.

“Seit dem Jahr 2000 arbeitete ich als Übersetzer [Tour Guide] für das Kloster Labrang. Zehn von uns Mönchen hatten eine Prüfung auf Chinesisch zur Geschichte unseres Klosters und des Buddhismus in Tibet erfolgreich abgelegt. Nach dem Examen, das von der Kulturabteilung des Klosters abgehalten wurde, nahm ich meine Arbeit als Fremdenführer auf. Wir veranstalten Führungen für die zahlreichen chinesischen Touristen, die unser Kloster besuchen, und dolmetschen für sie. Zwei Mönche arbeiten als englischsprachige Guides. Das Kloster bezahlte uns einen geringfügigen Lohn für unsere Arbeit – 150 Yuan (15 €) pro Monat. Im Sommer besuchen Hunderte von Touristen unser Kloster; die Einkünfte aus dem Verkauf der Eintrittskarten werden zur Renovierung des Klosters verwendet. Wer sich als praktizierender Buddhist ausweist, kann das Kloster kostenlos besichtigen. Die Mönche unter den chinesischen Touristen müssen also keine Eintrittskarten kaufen, aber manche von ihnen tun es trotzdem, weil sie sagen, das Geld käme dem Kloster zugute.

Fremdenführer sollten eigentlich ein Zertifikat als Tour Guide haben, aber wir hatten kein solches Papier, weshalb uns die “Shen-Verwaltung” [Distriktsverwaltung] (shen/dzong, chin: xian = Distrikt) und das “Shen-Tourismusbüro” [Tourismusbüro des Distriktes] immer wieder erklärten, daß wir keine Touristen führen dürften. Dies hielt uns jedoch nicht davon ab, sie durch das Kloster zu begleiten, wobei wir ihnen eingehend seine Geschichte und die tibetische Kultur erläuterten. Chinesische Fremdenführer wissen darüber nicht viel und sie können die Dinge auch nicht ordentlich erklären. Die chinesischen Guides, die die von den Reisebüros zusammengestellten Gruppen begleiten, erzählen ihren Schützlingen beispielsweise, der tibetische Buddhismus sei von China nach Tibet gekommen, und alle tibetischen Mönche würden von ihren Eltern im Kindesalter gezwungen ins Kloster zu gehen, oder auch, daß jemand, der Tibeter ist, unausweichlich Mönch werden müsse usw. Manche der ausländischen Besucher stellen Fragen zur Geschichte des Klosters und klagen, die chinesischen Tour-Guides hätten es ihnen nicht richtig erklärt.

Einige unter den chinesischen Touristen wissen ein wenig über den Buddhismus Bescheid. Bei etlichen chinesischen Touristen stehen die tibetischen Mönche in hohem Ansehen, besonders bei denjenigen, die nicht vom chinesischen Kernland, sondern aus Hongkong oder Taiwan kommen. Aber auch einige Leute aus China selbst, vorwiegend aus Peking oder von der Ostküste, schätzen die tibetischen Mönche sehr. Die Haltung von Chinesen aus den Orten, die näher zu Labrang liegen, wie Lanzhou (Hauptstadt der Provinz Gansu), ist dagegen eher negativ, und viele von ihnen zeigen wenig Respekt für das Mönchsleben. Was Seine Heiligkeit den Dalai Lama betrifft, so bezeichnen ihn einige chinesische Touristen als einen Separatisten. Andere wiederum sagen, er sei ein guter und begabter Mensch und außerdem Träger des Friedensnobelpreises.”

Der 22 Jahre alte Pema T. aus Labrang (chin. Xiahe) hat in einem der ungefähr zwölf Touristendörfer gearbeitet, die in der Grassteppe um die Gemeinde Sakhong in Labrang herum errichtet wurden. In einigen von diesen Anlagen beschränken sich die Arbeitsmöglichkeiten für Tibeter häufig auf das Vorführen von Volkstänzen. Pema beschreibt, wie Tibeter sich in einer Situation wiederfinden, in der sie dem exotisch-erotischen Image, das bis zu einem gewissen Grad in den offiziellen Darstellungen von nicht han-chinesischen Minderheiten vorherrscht, entsprechen müssen.

“In Labrang-dzong Sakhog-shang [Distrikt Labrang, Gemeinde Sakhog] gibt es einen Touristenpark, der vom Distriktsbüro für militärische Angelegenheiten angelegt wurde. Nach Fertigstellung des Parks engagierte man ein paar tibetische Tänzer zur Unterhaltung der Besucher.

Ein Armeeoffizier, den ich kenne, verschaffte mir 2002 dort einen Job, obwohl ich nicht den Anforderungen entsprach, denn ich kann nicht genügend Chinesisch sprechen und schreiben. Insgesamt hat dieses Touristendorf zwischen 40 und 50 Angestellte, wozu noch wir 20 Tänzer kommen. Von einem tibetischen Koch abgesehen kommen alle anderen Angestellten aus Chengdu, es gibt überhaupt keine hiesigen Chinesen.

Die meisten Urlauber in unserem Park sind Armeeangehörige oder hochrangige Offiziere und Generäle aus Peking oder Lanzhou. Wenn so hochgestellte Gäste kommen, wird Armeepersonal vom dem Distrikt-Militärbüro Labrang abgestellt, um uns bei den Vorbereitungen zu helfen. Abends müssen wir ein Feuer entzünden, für sie tanzen und ihnen Chang (tibetisches Gerstenbier) servieren. Dann pflegen sie mit uns zu tanzen. Die tibetischen Tänzerinnen müssen mit den hochrangigen Gästen Tänze im modernen Stil tanzen. Einige der Gäste zwingen die Tänzerinnen dazu, Alkohol zu trinken und versuchen sie zu küssen. Die meisten Mädchen in dem Park sind zwischen 16 und 17 Jahre alt. Unseren Arbeitgebern entgeht in der Regel nicht, wie diese hochgestellten Gäste den Mädchen Alkohol zu trinken geben und sie zu küssen versuchen, aber sie reden ihnen dabei eher noch zu, als daß sie sie davon abhalten würden. Die Tänzerinnen bekommen extra Geld, wenn sie mit den hohen Offizieren tanzen. Diese legen es auch darauf an, mit den tibetischen Tänzerinnen zu schlafen. Nachdem wir für die Gäste getanzt haben, müssen wir ihnen Alkohol ausschenken. Wenn einige der Chinesen dann etwas angetrunken sind, versuchen sie die tibetischen Mädchen nach draußen zu bugsieren und sagen, daß sie mit ihnen schlafen wollen. Manche gehen vermutlich auch mit ihnen ins Bett. Sowohl männliche als auch weibliche chinesische Kader kommen zu uns in den Park und veranstalten dort ihre Picknicks, aber die chinesischen Frauen tanzen nicht mit den tibetischen jungen Männern, sondern nur mit den Chinesen in ihrer Begleitung.

Früher gab es in Sakhog-shang keine Bordelle, aber heutzutage haben wir mehrere davon. Die chinesischen Urlauber haben viel Geld und geben es gern für sexuelle Vergnügungen aus. In Sakhog-shang gab es zuletzt vier oder fünf tibetische Bordelle und genauso viele chinesische, die allerdings geschlossen wurden, nachdem es Drohungen von Jugendlichen der örtlichen Nomadengemeinschaft gab.

Anhang 2

Tibet Information Network
10. November 2003

Tibeter in der Tourismus-Industrie der TAR werden immer schärfer kontrolliert

Seit Ende der 80er Jahre dringen immer häufiger Berichte über die Verdrängung von tibetischen Touristenführern (guides), besonders von solchen, die in den Schulen der Exilgemeinschaft in Indien ausgebildet wurden, nach draußen. Die Gründung der “Guide Company” (chin. Dao yu Gong ci) im Jahr 2000 war ein Riesenschritt in Richtung Kontrolle der Touristenführer. Eine Sektion dieser Berufsorganisation, die “Gao yuan san ke zhong xing” verbietet es Reisebüros, aus mit Einzelvisa eingereisten Ausländern Touristengruppen zu bilden. Ein weiterer Zweig der Guide Company ist die “Dao yu pei xun zhong xing”. Diese Abteilung ist zuständig für die Ausstellung von befristeten Lizenzen für alle in Lhasa ohne angemessene berufliche Qualifikation tätigen Fremdenführer. Um solch eine Lizenz zu bekommen, müssen sie einen im Winter unter Regierungsaufsicht stattfindenden Kurs mit einer Prüfung abschließen.

Bis vor kurzem nahm man es mit diesen Anordnungen nicht so genau, und es hatte den Anschein, daß viele junge Leute weiterhin in der Tourismusbranche in Lhasa arbeiten konnten. Berichten zufolge wurden jedoch im Jahr 2002 drei Fremdenführer verhaftet und aus ihren Jobs gefeuert, weil die von ihnen verbreitete Version der tibetischen Geschichte nicht mit der Lesart der Regierung übereinstimmte. Im April 2003 wurde mindestens 100 tibetischen guides die Erneuerung ihrer befristeten Lizenzen verweigert. Diese Einschränkung bei der Beschäftigung von Tibetern erfolgte gleichzeitig mit einem neuen Zehn-Jahres-Programm zur Neueinstellung von 100 aus unterschiedlichen chinesischen Provinzen stammenden chinesischen Fremdenführer. Diese Maßname könnten die Behörden leicht mit dem üblicherweise im Sommer auftretenden Mangel an Touristenführern rechtfertigen.

Die folgende Konversation ist einem Interview mit drei jungen tibetischen Männern und Frauen entnommen, die in Indien ausgebildet wurden und die in der Tourismusbranche der TAR tätig waren. TIN nahm das Gespräch im Sommer 2003 auf. Diese Auszüge beschreiben die Auswirkungen der Restriktionen und gewähren einen Einblick in die tägliche Realität, der sich Fremdenführer in der TAR bei ihrer Arbeit gegenübersehen. Bei ihrer Tätigkeit müssen sie ihren Enthusiasmus für ihren Beruf und die Anforderungen der Touristen mit den ständigen Frustrationen in Einklang bringen, für die zahllose praktische Widrigkeiten und die Regierung mit ihrer ermüdenden Bürokratie sorgen.

Erstes Interview

F: Wie war die Lage, als du noch als Touristenführer tätig warst (bis 2002)?

A: Das größte Problem ist im allgemeinen, daß die aus Indien kommenden Fremdenführer keine permanente Arbeitserlaubnis bekommen. Abgesehen davon, daß sie für die befristete Lizenz zwischen 800 und 1000 Yuan (96 – 120 US$) verlangten, begannen die Behörden im Winter 1997 mit der Organisation von Winterseminaren und Prüfungen für diejenigen tibetischen Fremdenführer, die nicht auf der schwarzen Liste standen. Ab 1999 wurden zusätzliche Anforderungen an sie gestellt, z.B. mußten sie im Besitz von Rationskarten und einem mittleren chinesischen Schulabschluß sein.

F: Was bedeutet es für einen tour guide, wenn er auf der schwarzen Liste steht?

A: Auf die schwarze Liste kommen diejenigen Tibeter, denen die Regierung die weitere Betätigung als Touristenführer untersagt. Die erste schwarze Liste von 1997 enthielt die Namen von 70 in Indien ausgebildeten Fremdenführer, sie waren alle mindestens ein Jahr lang arbeitslos. Mit der Zeit gelang es den meisten von ihnen jedoch, eine andere Arbeit zu finden, z.B. in Hotels oder Restaurants oder auch wieder als guide, allerdings nur durch die Hintertür, also durch Beziehungen oder nachdem sie ihre Namen geändert hatten, um eine neue Lizenze zu bekommen.

F: Wie sehen die konkreten Auswirkungen dieser Maßnahmen aus?

A: Das größte Problem für die Fremdenführer ist die Unsicherheit; die Richtlinien ändern sich laufend und man weiß nie, was morgen kommt. Eine Zeitlang läuft alles ganz gut, aber darauf folgt regelmäßig eine Periode, in der die Verordnungen sehr streng angewendet werden. Wir befinden uns ständig in einem Zustand der Unsicherheit und Angst, denn wir haben keine Chance auf einen stabilen, festen Arbeitsplatz und wir wissen genau, daß das PSB uns überwacht, weil wir aus Indien gekommen sind.

Im Jahr 2002 wurde ein neues Regierungsgremium mit der Bezeichnung “Guide Company” eingerichtet. Früher war es den Reisebüros gestattet, aus Reisenden mit Einzelvisa selbständig Gruppen zusammenzustellen. Heutzutage dürfen sie das jedoch nicht mehr tun. Die Guide Company vergibt auch Lizenzen an Touristenführer und kümmert sich um ihre Bezahlung. Früher waren diese Lizenzen nicht notwendig; wir konnten uns selbst mit den Reisebüros in Verbindung setzen, wir arbeiteten direkt für sie und wurden von ihnen bezahlt. Jetzt müssen die Fremdenführer sich mit der Guide Company auseinandersetzen, deren Arbeit wiederum vom PSB und dem Büro für Tourismus kontrolliert wird. Falls wir ohne ausreichende Dokumente arbeiten, werden wir mit Geldstrafen bis zu 3.000 Yuan (362 US$) belegt. Außerdem haben sie die Fremdenführer in drei Kategorien – A, B und C – eingeteilt. Die meisten Angehörigen der Kategorie A wurden in China ausgebildet. Das monatliche Gehalt der guides in Kategorie A beträgt 600 Yuan (72 US$). Das ist das Grundgehalt, eine Art garantierter Mindestlohn. Die Kategorien B uns C erhalten einen Mindestlohn von 300 Yuan im Monat (36 US$). Zusätzlich erhält man eine Tagesvergütung, die von den geleisteten Arbeitstagen abhängig ist. Touren von einem ganzen Monat bekommt man überhaupt nicht, die längste Tour, die man kriegen kann, ist 15 Tage.

Zweites Interview

F: Wodurch unterscheidet sich der Entzug der befristeten Lizenzen im Jahr 2003 von der früheren schwarzen Liste für in Indien ausgebildete Touristenführer?

A: Der Unterschied liegt in der Einrichtung der Guide Company, sie ermöglicht eine effektivere Kontrolle. Früher wurden häufig auch guides ohne Lizenz geholt, wenn in den Sommermonaten auf Grund der hohen Touristenzahlen zu wenig lizenzierte verfügbar waren. In dieser Situation griffen die Reisebüros auf arbeitslose guides zurück und stellten einfach eine Bescheinigung aus, er oder sie hätten die Lizenz verloren; so konnten die guides wieder arbeiten. Heutzutage ist für derartige Manöver kein Spielraum mehr vorhanden, denn die Guide Company bewahrt die Lizenz auf, bis sie einen nach Abschluß der Tour bezahlt.

F: Wie viele guides ohne eigentliche Lizenz pflegten früher während der Touristenhochsaison zu arbeiten?

A: Ich glaube, es waren ziemlich viele. Ich traf oft guides, die keine Lizenz hatten, und viele davon waren ehemalige Klassenkameraden von mir in Indien. Bis jetzt konnten sie ihre Tätigkeit fortsetzen, weil es in gewissen Büros Leute gab, die ihnen freundlich gesonnen waren und ihnen halfen.

F: Welche weiteren Faktoren verschlimmern die gegenwärtige Lage gegenüber dem früheren System?

A: Im Sommer 2003 fielen mir Vorbereitungen für weitere Restriktionen auf, z.B. die Errichtung eines gesonderten Checkpoints in der Nähe der Zollstelle von Dram und eines anderen gleich außerhalb der Ortschaft (an der nepalesischen Grenze gelegener Transitpunkt für ausländische Touristen in die TAR). Außerdem wurde in Dram noch ein Außenposten der Guide Company mit Namen “Gao yuan san ke zhong xing” errichtet, der unter dem Shigatse Tourism Bureau arbeitet. Bis zum letzten Jahr konnten viele tibetische guides, die ohne Lizenz waren, ihre Gruppen bis kurz vor die Grenze führen und sie dort rechtzeitig verlassen, um nicht entdeckt zu werden. Heute werden sie jedoch noch vor Dram (der Grenze) von PSB-Beamten, die mit der Guide Company zusammenarbeiten, aufgehalten und auf ihre Lizenz hin kontrolliert.

F: Wie viele Fremdenführer gibt es überhaupt in der TAR?

A: In einer nichtöffentlichen Liste vom letzten Jahr führt das Tourism Bureau 1.900 guides auf. 500 bis 700 davon wurden in Indien ausgebildet und hatten keine Lizenzen, wurden aber trotzdem noch in der Liste geführt. Es gab auch viele guides, die in Lhasa Englisch gelernt haben. Viele der guides ohne Lizenzen hatten früher welche, die aber inzwischen abgelaufen sind. Einige änderten einfach die Jahreszahl auf ihrer Lizenz und ersetzten 2001 durch 2002.

Drittes Interview

F: Stellt die Regierung Verhaltensregeln auf, an die ihr euch halten müßt?

A: Die wichtigsten Pflichten für guides sind Pünktlichkeit und die genaue Unterweisung der Touristen, welche Orte sie nicht besuchen dürfen und was ihnen sonst noch untersagt ist. Bei der einmonatigen Schulung der Guide Company wurden wir in diesen Dingen sowie in Politik, Geschichte und Geographie unterrichtet. Wir wurden ausdrücklich gewarnt, über verbotene Themen zu sprechen. Wenn wir den Touristen etwas erklären, gibt es immer Dinge, die wir sagen und solche, über die wir nicht reden dürfen.

F: Woher weißt du, was du sagen darfst und was nicht?

A: Die Regierung erklärt uns bloß, daß wir Schwierigkeiten kriegen, wenn wir über verbotene Themen sprechen und wir müssen dann selbst wissen, welche diese sind. Zum Beispiel wird während der Winterschulung die chinesische Version von Geschichte gelehrt; also kann man dem entnehmen, was man den Touristen erzählen soll.

F: Wie wendet ihr das im Alltag an?

A: Wir sagen oft nicht viel, während wir die Klöster besuchen; wir reden eher, wenn wir unterwegs sind. Vor Betreten eines Klosters bitten wir die Touristen, dort keine politischen Fragen zu stellen. Wenn sie etwas wissen wollen, sollen sie später im Auto fragen. Ich kann mich an einige sehr heikle Situationen erinnern, als Touristen z.B. mitten im Kloster von Tashilhunpo peinliche Fragen über die vom Dalai Lama anerkannte Inkarnation des Panchen Lama stellten. Tashilhunpo ist der Sitz der früheren Panchen Lamas. Ausländer bringen uns nicht nur mit Gesprächen über Politik in Verlegenheit; es gibt offenbar auch Leute, die auf Sex fixiert sind und alle möglichen Fragen über hypothetische Situationen stellen, in denen Mönche zum Bruch ihres Keuschheitsgelübdes verführt werden könnten, oder sie meinen, daß es für uns normal sei, über Themen wie Homosexualität im Kloster zu sprechen. Über derartige Dinge reden wir einfach nicht. Es ist auch sehr schwer, Verständnis für praktische Probleme wie Straßensperren und ähnliche Unannehmlichkeiten sowie für sinnlose Regierungsvorschriften, die alle Beteiligten betreffen, zu finden. In gewisser Weise sitzen wir zwischen allen Stühlen, auf der einen Seite sind wir Opfer des Systems und auf der anderen Opfer der unerfüllbaren an uns gestellten Anforderungen.

Human Rights Update
Juli 2003

Auf der Suche nach Tibet: Eine Reise durch ein Land im Wandel

Milde Erheiterung befiel eine Reisende, die in einem Hotelzimmer in Yangshuo eine Fernsehsendung sah, in der Ausländer einer chinesischen Kameracrew erzählten, daß sie keinerlei Anzeichen von religiöser Unterdrückung, von nuklearem Abfall usw. auf dem tibetischen Plateau wahrgenommen hätten. Die Touristengruppe in der Sendung war mit einer offiziellen chinesischen Kameracrew gereist. Dank dieser Reisenden ist das TCHRD in der Lage, darzustellen, wie das Leben für die Tibeter aussieht, wenn keine Kameracrew in der Nähe ist. Es folgen hier die Beobachtungen und Erfahrungen, die sie während des vergangenen Jahres in Tibet machte. Im Gegensatz zu den meisten Ausländern reiste sie zusammen mit tibetischen Freunden durch Tibet und konnte dadurch einen wesentlich tieferen Einblick in die Probleme, Veränderungen und Verhältnisse in Tibet gewinnen.

Zwischen der tibetischen und der chinesischen Sprache tobt weiterhin sehr zum Nachteil der ersteren ein heftiger Verdrängungskampf. Der Touristin fiel auf, daß in einem nahegelegenen Institut zur Vorbereitung auf den Besuch der Universität Englisch durch das Medium der chinesischen Sprache unterrichtet wird, wodurch der Lernprozeß für diejenigen Tibeter, die in Chinesisch nicht perfekt sind, enorm erschwert wird. Die Transkription des Tibetischen in das englische Pinyin-Alphabet überfordert nicht wenige Studenten, von denen die meisten aus dem Gebiet der TAR stammen. Ein Freund klagte ihr, daß der Anmeldevorgang für die Tibet-Universität in Lhasa extrem unfair sei, da chinesische Studenten nicht nur im Hinblick auf die Sprache im Vorteil seien, sondern auch bei schwachen Leistungen angenommen werden, falls sie sich verpflichten, nach Abschluß ihres Studiums in Tibet zu arbeiten. Alle Examina an der Tibet-Universität, lediglich mit der Ausnahme des Studiengangs „Tibetische Sprache“, werden auf Chinesisch abgenommen, was für Tibeter zu der Doppel-Belastung führt, sowohl den Stoff selbst als auch eine zweite Sprache bewältigen zu müssen, die vielen Tibetern verwirrend und fremdländisch vorkommt. Doch könnten sie, so sagte ein Tibeter, der in Indien studiert hatte, trotz der Hürden, welche die chinesische Sprache für sie bedeute, die tibetische Sprache nicht anständig lesen und schreiben lernen, wenn sie nicht die Tibetische Universität aufsuchten. Wenn man nun bedenkt, wie sehr die tibetische Sprache selbst an dem Ort, an dem man ihre Beherrschung erlernen soll, an den Rand gedrängt wird, sieht die Zukunft für die Landesprache düster aus. Als die Touristin am Barkhor Tibetisch zu sprechen versuchte, machte sich ein chinesischer Händler über sie lustig und sagte, als Nicht-Tibeterin solle sie sich gefälligst des Englischen oder Chinesischen bedienen.

Dieses Sprach-Labyrinth beginnt für Tibeter bereits in frühestem Alter– die Reisende berichtete, daß es in einer der Regionen, die sie besuchte, nur eine tibetische Mittelschule gab, wohin jedes Semester zwei oder drei Lehrer kamen, um tibetische Sprache und Kultur zu unterrichten, doch der weitere Unterricht erfolgte ausschließlich nach dem chinesischen Standard-Lehrplan. Obwohl Chinesisch-Unterricht überall angeboten wird und häufig schon in jungen Jahren Pflicht ist, ist zumindest noch in dieser Generation die Umgangssprache der Tibeter von klein auf Tibetisch. Doch haben in dieser Gegend schon mehrere tibetische Studenten aus Gründen der Zweckmäßigkeit chinesische Namen angenommen, außerdem ist es modern geworden Chinesisch zu lernen, um bessere soziale Aufstiegsmöglichkeiten zu haben. Die extreme Armut der ländlichen Regionen Tibets spiegelt sich deutlich im Erziehungswesen wieder. Tibetische Lehrer, die eine spezielle Fortbildung für den Englischunterricht gemacht hatten, mußten am Ende feststellen, daß sie ihre Kenntnisse nicht anwenden konnten, da es in dem Gebiet, wo sie unterrichteten, keine Englischschulbücher gab. Zwei Freunde der Berichterstatterin wurden erst nach einer Auseinandersetzung mit der Schulverwaltung als Lehrer angestellt, während ihre Bekannten in Lhasa ohne Probleme ihre Lehrerstellen antreten konnten.

Nicht nur das Erziehungswesen ist in den ländlichen Gebieten der TAR von der Armut betroffen. Man kann beobachten, daß es den meisten Tibetern so schlecht geht, daß sie sich als Kleinhändler betätigen und zu ihrem Überleben gar noch ihre Religion und Kultur zu einer Ware machen müssen. Buddhistische Kultgegenstände, Tierhäute, getrocknete Pfoten, Schleifsteine, Kräuter und Schmuck gehören zum üblichen Sortiment. Der Reisenden fiel auf, daß auch viele Chinesen in dieses Geschäft eingestiegen sind, allerdings verkaufen sie die tibetischen Waren zu überhöhten Preisen in Läden, die als original tibetisch angepriesen werden, tatsächlich aber Han-Chinesen gehören. Das ist durchaus gängige Praxis, ebenso wie die Speisekarten mit besonderen Preisen für Ausländer. Nach einem solchen Erlebnis fragte die Reisende eine Freundin nach dem Grund für die inflationären Preise und erhielt zur Antwort, daß die Chinesen, die nach Tibet kommen, “sehr schlecht“ und nur am Geld interessiert seien.

Die Vorstellung von den Tibetern, wie sie einige Chinesen hatten, mit den sich die Reisende unterhielt, war eine Mischung aus Mißverständnissen und Propaganda. Einige Chinesen, die selbst nur sehr wenig Kontakt zu Tibetern hatten, waren der festen Überzeugung, diese seien „rückständig, dreckig und faul“. Es ist daher nicht weiter überraschend, daß die Reisende sogar auf Tibeter stieß, die über ihr eigenes Volk auch eine solche Meinung hegten, die darüber bestürzt waren, daß Tibet weit hinter dem restlichen China zurückbleibe, und daß die Besten ins Ausland gegangen seien. Diese Meinungen wurden mit dem Vorbehalt laut, daß die Chinesen die Tibeter zum Trinken ermuntert hätten, weshalb diese heutzutage wesentlich fauler als ihre Vorfahren seien.

Trotz der offensichtlichen Spannungen zwischen Tibetern und Chinesen, die manchmal sogar in Prügeleien ausarteten, traf die Reisende auch mehrere junge Chinesen, die Tibet kennenlernen wollten und in Lhasa arbeiteten, um ihre Reise zu finanzieren und tibetisches Kunsthandwerk zu erwerben. Mitgerissen vom Idealismus und einer aus kommerziellem Interesse geförderten Phantasievorstellung hielten viele der Chinesen, die sie traf, Tibet für einen magischen und unschuldigen Ort, dem etwas Reines, ja Unbeschreibliches innewohnt. Sogar, nachdem sie Tibet tatsächlich bereist hatten, hatten sich einige dieser Touristen noch ihre phantastische Illusion erhalten. Die Beibehaltung dieser „Shangri-La-Projektion“ verdankt sich jedoch einer genau durchdachten Tourismuspolitik.

Touristenführer, die von den offiziell vorgeschriebenen Pfaden abweichen, werden entlassen, inhaftiert und mit Berufsverbot belegt; trotzdem gibt es immer noch einige inoffiziell geführte Touren. Eine Tour, an der die Reisende teilnahm, wurde von einem Tibeter geführt, der fließend Englisch sprach, unglaublich viel über die tibetische Geschichte und Mythologie wußte, den Dalai Lama in Indien besucht und drei Monate in einem chinesischen Gefängnis gesessen hatte, weil er Touristen an einen Ort geführt hatte, der den chinesischen Behörden nicht genehm war.

Eigentlich sollte man erwarten, daß die Zunahme der chinesischen Touristen zu mehr Verständnis für die tibetische Kultur führe. Wie die Reisende berichtete, bestand beim tibetischen Shoton-Fest die überwiegende Mehrzahl der Besucher aus chinesischen Touristen. Trotzdem führt der Besuch in Tibet leider nicht zu vermehrtem Respekt vor der tibetischen Kultur – als chinesische Touristen von ihren Führern durch die Wohnquartiere der Mönche in Tashilhunpo geleitet wurden, benutzten sie zum Fotografieren der antiken Wandgemälde ihr Blitzlicht, obwohl dort Schilder angebracht waren, die dies ausdrücklich untersagten, und die Führer für die schon abblätternden Wandmalereien zu Spenden aufriefen. Diese Beobachtungen verdeutlichen, wie die Chinesen Tibet im allgemeinen wahrnehmen.

Eine Chinesin, die von der Shangri-La-Vision von Tibet verführt war, erzählte der Reisenden, ihre Eltern pflegten zu sagen, Tibet sei nur für einen Besuch gut, nicht zum dort leben. Während ihrer gesamten Reise bemerkte die Reisende eine deutliche Kluft zwischen Tibetern und Chinesen. Erstere wohnten in Häusern ohne Elektrizität und sauberes Wasser, während die chinesischen Siedlungen durchgehend durch moderne Betonbauten in gut kommunistischer Manier gekennzeichnet waren. Einige etwas wohlhabendere tibetische Mittelklasse-Familien hatten gerahmte Portraits von Mao Zedong, Deng Xiaoping und Jiang Zemin in ihren Häusern hängen. Die Erfahrungen der Reisenden lassen darauf schließen, daß die tibetische Kultur nur dann aufs Podest gestellt wird, wenn man ein Preisschild daran befestigen kann. Die Chinesen sind nicht mit der Absicht nach Tibet gekommen, dort mit den Tibetern zu leben, sie leben “über“ ihnen und um sie herum; und indem sie Tibet sinisierten, haben sie eine Schneise mitten durch sie hindurch, durch ihre Sprache, Kultur und Landschaften gezogen. Die Umwandlung Tibets von einem eigenständigen Gemeinwesen in ein „Quasi-China“ ist auf dem besten Wege.

Diese Informationen stammen von einer westlichen Touristin, die anonym bleiben will, denn sie möchte Tibet ein zweites Mal bereisen. Wir möchten hinzufügen, daß der Bericht so redigiert wurde, daß alles, was zur Verhaftung der Informantin oder ihrer tibetischen Freunde in Tibet führen könnte, ausgelassen wurde.