Juli 2003
Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD)
Top Floor, Narthang Building, Gangchen Kyishong, Dharamsala 176215, H.P.
phone +91/1892/23363, fax: +91/1892/25874, e-mail: dsala@tchrd.org, website: www.tchrd.org

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Jahresbericht über Menschenrechtsverletzungen in Tibet 2002

Inhalt

I. Zusammenfassung

Perspektiven
Empfehlungen zum Jahresbericht 2002 des TCHRD

II. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

1. Das Recht auf Grundbesitz und Wohnung

  1. Einführung
  2. Bodenrechte und nachhaltige Landnutzung
  3. Gegenwärtige Landnutzungsrechte in Tibet
  4. Entwicklungsbedingte Umsiedlung
  5. Einseitig ausgerichtete Umsetzung der Umweltschutzpolitik
  6. Das Recht auf Wohnung und die nachhaltige Entwicklung menschlicher Ansiedlungen
  7. Die Wohnungspolitik und die geltenden Wohnrechte in Tibet
  8. Das Hukou System
  9. Die möglichen Auswirkungen der Reform des Wohnungswesens
  10. Stadtumbau führt zu Zwangsräumungen
  11. Verlust des kulturellen Erbes
  12. Schlußfolgerung

2. Das Recht auf Lebensunterhalt

  1. Einführung
  2. Die Lebenshaltung auf dem Lande
  3. Keine Nahrungsmittelsicherheit
  4. Die Politik der Seßhaftmachung und Einzäunung der Weideflächen
  5. Ungenügendes Einkommen
  6. Belastung durch Steuern
  7. Der Lebensunterhalt in der Stadt
  8. Keine Chance ohne guanxi
  9. Das Geschäft mit dem Tourismus
  10. Der Zustrom chinesischer Migranten
  11. Rassisch bedingte Diskriminierung
  12. Schlußfolgerung

3. Das Recht auf Bildung

  1. Politisierung des Bildungswesens
  2. Assimilierung durch Erziehung
  3. Tibetisch - eine sterbende Sprache
  4. Bildung für Minderheiten": in Tibet ein unerfülltes Versprechen
  5. Schlußbemerkungen

4. Das Recht auf Gesundheit

  1. Politische Gefangene sind gesundheitlich besonders gefährdet
  2. Mißachtung der Mindeststandards für die Behandlung von Gefangenen
  3. Psychologische Implikationen
  4. Verstoß gegen die medizinische Standesethik
  5. Das Recht der Gefangenen auf angemessene Ernährung
  6. Frauen und ihr Wohl
  7. HIV/AIDS: Die Epidemie greift um sich
  8. Verweigerung des Rechtes auf Information
  9. Ausschluß von der Gesundheitsfürsorge aus rassistischen Gründen
  10. Die Ungerechtigkeiten des Systems
  11. Schlußfolgerungen

5. Das Recht auf Entwicklung

  1. Das Westliche Entwicklungsprogramm (WDP)
  2. Chancenungleichheit und Armut
  3. Schlußfolgerung

II. Bürgerliche und Politische Rechte

1. Die Achtung der bürgerlichen Freiheiten

  1. Das Recht auf die Freiheit der Meinungsäußerung
  2. Das Recht auf Information
  3. Störsender
  4. Die Politisierung des Internets
  5. Willkürliche Verhaftung und Festnahme
  6. Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren
  7. Neue Festnahmen Februar 2003
  8. Das Freisein von Folter
  9. Propaganda versus Realität
  10. Tod durch Folter in der Gefangenschaft
  11. Das Recht auf Freizügigkeit
  12. Willkür, Mißhandlung und Festnahme durch die chinesischen Grenzschutzeinheiten
  13. Schluß

2. Das Recht auf religiöse Überzeugung und Ausübung

  1. Institutionalisierung der Religionskontrolle
  2. Die Anti-Dalai-Lama Kampagne
  3. Einschränkungen der religiösen Praxis und religiöser Feste
  4. China fürchtet den Einfluß populärer religiöser Führungspersönlichkeiten
  5. Schlußfolgerungen
    Anhang: Fußnoten
Teil I

I. Zusammenfassung

Angesichts des Mangels an Durchsichtigkeit und der geheimnisumwitterten Arbeitsweise der chinesischen Behörden war es auch im Jahre 2002 eine schwierige Aufgabe für das Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), die Menschenrechtsverletzungen in Tibet zu verfolgen und die Lage zu beurteilen. Hinzu kommt noch Pekings geradezu zynisches Verhalten, um der internationalen Kritik an seinem Umgang mit den Menschenrechten in Tibet zu entgehen. In Ermangelung eines freien und ungehinderten Zugangs zu Tibet untersuchte das TCHRD die akademischen Veröffentlichungen und die Weißbücher der Regierung, um etwas über die chinesische Politik in Tibet zu erfahren oder es nutzte die von unabhängigen Touristen gelieferten Informationen. Die größte Quelle stellen jedoch nach wie vor die Zeugnisse der Flüchtlinge aus Tibet, einschließlich ehemaliger politischer Gefangener, dar.

Das Jahr 2002 war von wichtigen Veränderungen im politischen Gefüge der VR China (PRC) geprägt. Der 16. Parteikongreß der Chinesischen Kommunistischen Partei (CCP) wählte im November Hu Jintao zum Parteisekretär und erkor ihn damit zum neuen Steuermann Chinas - einen Mann, der den Tibetern als jener Hardliner in Erinnerung ist, der 1989 für die Ausrufung des Kriegsrechts in Tibet und für die Einführung einer repressiven politischen Linie verantwortlich war, die einem relativ liberalen Jahrzehnt in der Region ein Ende setzte.

2002 war auch ein von Widersprüchen gekennzeichnetes Jahr, die immer schärfer hervortraten. Chinas Menschenrechtspolitik und seine Praxis in Tibet waren nicht nur in sich widersprüchlich, sondern auch ohne jegliche Konsistenz. Peking pflegte eine Art von "Menschenrechtsdiplomatie", um unter dem Deckmantel von Zugeständnissen neue Attacken auf Dissidenten zu starten - in der Annahme, daß die Weltpolitiker nach einer Geste guten Willens weniger heftig reagieren würden.

Die 58. Sitzung der UN Menschenrechtskommission (UNCHR) war für die Völker Tibets, Ostturkestans (Xinjiang) und der Inneren Mongolei, ebenso wie für zahlreiche Bürger Chinas, sehr enttäuschend. Mit ihrer Ablehnung einer "Resolution zu China" unterließen es die Mitgliedstaaten der UNO wieder einmal, China wegen seines erbärmlichen Menschenrechtsgebarens zu rügen oder zu verurteilen.

Das Prinzip der Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte, welches von den UN-Delegierten nach der Wiener Erklärung von 1993 nachdrücklich bekräftigt wurde, fand sich in den Reden der chinesischen Diplomaten bei der UNO dieses Jahr unverfroren negiert. China meint, das Recht auf eine besondere Form des Relativismus zu haben. Tatsächlich erhebt es damit aber den Anspruch darauf, von dem eigentlichen Prinzip der Universalität der Menschenrechte ausgenommen zu werden.

In diesem Jahr bemühte sich China auf jede nur erdenkliche Weise, die Stimme der Dissidenten sowohl im eigenen Land als auch außerhalb zum Schweigen zu bringen. Innerhalb des Landes wurden Dissidenten besonders heftig schikaniert und viele wurden verhaftet. Strenge Sicherheitsvorkehrungen herrschten während des 16. Parteikongresses um die Große Halle des Volkes in Peking. Hotels und Gästehäuser wurden streng angewiesen, keine Uiguren und Tibeter aufzunehmen.

Auf der internationalen Bühne machte sich China seine Stellung als Mitglied des UN-Sicherheitsrates zunutze, um die Akkreditierung von drei tibetischen Menschenrechtsgruppen für die Teilnahme an Weltkonferenzen zu blockieren, etwa dem "World Summit on Sustainable Development" (WSSD) (Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung). An anderen Orten benutzten chinesische NGOs staatsbürgerliche Foren, um ihre Regierungspolitik vehement zu verteidigen - etwa das "Asian Civil Society Forum" (ACSF), das im Dezember 2002 in Bangkok abgehalten wurde.

"Ungeachtet der Intensivierung wirtschaftlicher Reformen widersetzte sich Chinas autoritäre Regierung allen Aufrufen nach politischer Liberalisierung und machte kaum Fortschritte bei der Verbesserung der bürgerlichen und politischen Rechte" – so der China-Ausschuß des US Kongresses (Congressional Executive Committee on China) in seinem Jahresbericht, August 2002.

In diesem Jahr unterzieht das TCHRD in seinem Jahresbericht Chinas Beachtung zweier internationaler Menschenrechtsverträge, nämlich des "Internationalen Vertrags über Bürgerliche und Politische Rechte" (International Covenant on Civil and Political Rights = ICCPR) und des "Internationalen Vertrags über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte" (International Covenant on Economic, Social and Cultural Rights = ICESCR), einer kritischen Prüfung. China ratifizierte den ICESCR am 27. März 2001, aber die Ratifizierung des ICCPR, den es am 5. Oktober 1998 unterzeichnete, steht immer noch aus.

Das Jahr 2002 begann mit einem positiven Zeichen, nämlich der Freilassung des prominenten politischen Gefangenen Ngawang Choephel im Januar. Dem folgte die Freilassung anderer bekannter Gewissensgefangener, wie Takna Jigme Sangpo und Ngawang Sangdrol, zwei von den politischen Häftlingen in Tibet, welche die längsten Haftstrafen hatten. Das TCHRD erhielt Informationen darüber, daß insgesamt 90 politische Gefangene aus der Haft entlassen wurden, die meisten nach Verbüßung ihrer Strafe, sieben auch vorzeitig. Indessen hörte das Zentrum von mindestens 40 neuen Festnahmen, so daß Ende 2002 auf der Liste des TCHRD 208 Namen standen, die wegen Ausübung ihrer Grund-Menschenrechte hinter Gittern sitzen.

Im September des Jahres war eine tibetische Delegation der Exil-Regierung in China - fast neun Jahre nach dem letzten Kontakt 1993. Dieser Besuch weckte neue Hoffnungen in der internationalen Gemeinschaft im allgemeinen und bei den Tibetern im besonderen. Obwohl die Delegation betonte, der Besuch sei hauptsächlich dazu erfolgt, um das Eis zu brechen und einen neuen und aufrichtigen Versuch zur Wiederherstellung der Beziehungen zu machen, spielte die Regierung in China die Sache auf einen Privatbesuch herunter. Selbst während des Aufenthaltes der Delegation in Tibet fuhren die Behörden in ihren Schmähreden gegen den Dalai Lama fort und nannten ihn einen "Spalter". Dem geistigen und weltlichen Oberhaupt aller Tibeter ein solches Etikett anzuhängen, erregt den Unmut seines Volkes.

Nach Jahren des sehr eingeschränkten Zugangs von Beobachtern aus dem Ausland zu der Region lud China im August und Oktober zwei Gruppen ausländischer Korrespondenten ein, die natürlich ständig eskortiert wurden. Geoffery York, einer der Journalisten, schrieb nach seinem Besuch in Tibets berüchtigtstem Gefängnis Drapchi, am 17. September 2002 in Globe and Mail:

"In fast jedem Zellentrakt präsentierte sich uns ein anderes inszeniertes Bild. So starrten etwa einhundert Insassen stur auf einen riesigen Fernsehschirm, auf dem ein Christmas Cartoon zu sehen war, ohne daß sie gewagt hätten, einen Muskel zu verziehen oder einen verstohlenen Blick auf die Besucher zu werfen... Nur etwa 100 Häftlinge waren sichtbar. Sie saßen ganz steif da und blickten schweigend auf einen amerikanischen Zeichentrickfilm in einem staatlichen chinesischen Fernsehkanal. Die Gefängnisleitung, die wegen eventueller Proteste nervös war, hatte sie offensichtlich davor gewarnt, einen Ton von sich zu geben oder sich zu bewegen."

Die geringere Häufigkeit von politischen Protesten in letzter Zeit ist jedoch kein Anzeichen dafür, daß die Tibeter unter der chinesischen Herrschaft etwa glücklicher geworden wären oder keine Sehnsucht nach Selbstbestimmung mehr hätten. Sie ist eher ein Resultat der verschärften Überwachung und der brutalen Unterdrückung durch die staatlichen Instanzen. Hinzu kommt die Angst der Dissidenten vor der schrecklichen körperlichen Mißhandlung, den Schlägen, der Folter und den langen Jahren hinter Gittern, wenn sie gefaßt werden. Mit der Neuauflage der Hartdurchgreif-Kampagne in Tibet gehen die Behörden jetzt auch gegen "illegale religiöse Aktivitäten" und jene vor, die "Tibeter illegal über die Grenze führen".

Die strategische Hardliner-Politik der PRC, die von ein paar wenigen Funktionären im Interesse des Staates konzipiert wird, geht an den echten Bedürfnissen der Tibeter vorbei: Nach der Charta der Vereinten Nationen sind sie ein Volk und haben daher das Recht auf Selbstbestimmung. Bereits in den UN-Resolutionen von 1961 und 1965 wurde die PRC aufgefordert, dem tibetischen Volk das "Recht auf Selbstbestimmung" zu gewähren.

Die Unterdrückung politischer, religiöser oder spiritueller Aktivitäten von Personen oder Personengruppen, die als eine Bedrohung für die Autorität des Staates oder die nationale Stabilität angesehen werden, hielt das ganze Jahr unvermindert an. Indem die Aktivitäten religiöser Würdenträger mit dem Terrorismus in Verbindung gebracht und Gerichtsprozesse hinter verschlossenen Türen abgehalten wurden, nahm die Verhängung extrem langer Haftstrafen auch in diesem Jahr weiter zu. Die Verurteilung von Tulku Tenzin Delek und seinem Gefolgsmann Lobsang Dhondup zum Tode im Dezember 2002 und die Hinrichtung Lobsang Dhondups am 26. Januar 2003 nach einem geheimen Folgeprozeß provozierte internationale Schlagzeilen und traf das nach Selbstbestimmung strebende tibetische Volk als ein grausamer Schock.

Dem TCHRD gingen auch Berichte zu über zahlreiche Festnahmen von Tibetern, die aus dem Exil in die TAR zurückkehren wollten, sowie von Mönchen, die religiöse Zeremonien in Karze (Osttibet) durchführten und über Menschen, die sich friedlich für die Unabhängigkeit einsetzten. Ehemalige politische Gefangene und viele andere, die im Laufe des Jahres aus Tibet flohen, berichten über willkürliche Festnahmen, Folter und Schläge. Ein Tibeter starb während der Haft. Die chinesischen Behörden zwangen den Klöstern Verwaltungsräte (Management Committees) und Besuche von Arbeitsteams auf, sie bestanden auf der Einhaltung der offiziellen Obergrenze für die Klostergemeinschaft, sie setzten das Mindestalter für Novizen auf 18 Jahre fest und führten politischen Unterricht für die Geistlichen durch.

Auch die Zensur des Internets war 2002 ein hochbrisantes Thema. Man hörte, daß der Staat über 100.000 Cyberspace-Polizisten damit beschäftigt, eine strenge Kontrolle über das Internet auszuüben. In Tibet haben gewöhnliche Leute keinen freien Zugang zu Informationen. Schlüsselworte wie Demokratie, Menschenrechte, Dalai Lama, Tibet und Taiwan, welche der PR China als verdächtig gelten, rufen Blockaden des Internets hervor. Nachrichten aus dem Ausland wurden streng kontrolliert und wie bisher gab es fortlaufend Störungen von ausländischen Radio- und Fernsehsendern in Tibet.

Was nun die wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte betrifft, so bleibt die Politik der Chinesen auf dem tibetischen Hochland weit hinter dem zurück, was nach internationalen Standards als eine gute Verwaltung gilt. Tibet bildet zusammen mit elf weiteren westlichen Provinzen eine der ärmsten und unterentwickeltsten Regionen Chinas. Es herrscht ein riesiges Einkommensgefälle zwischen Stadt- und Landbevölkerung. Die gravierenden Probleme, welche die Tibeter mit ihrem Lebensunterhalt haben, sind letzten Endes darauf zurückzuführen, daß die PRC weder das Recht des tibetischen Volkes auf Selbstbestimmung anerkennt, noch ihm das Recht zu freier wirtschaftlicher, gesellschaftlicher und kultureller Entwicklung zugesteht, die das Kernstück des ICESCR bildet.

Im Rahmen des "Entwicklungsprogramms für den Westen" (Western Development Programme = WDP), das 1999 gestartet wurde, pumpt China Milliarden von Dollar nach Tibet und andere entlegene westliche Provinzen. Peking meint nämlich, solange die Wirtschaft des Landes floriere, würde alles andere schon von selbst ins reine kommen. Trotz des massiven Propagandarummels um das WDP sehen die Tibeter dessen Hauptziel in der Ausbeutung ihrer Naturschätze und in der Ansiedlung von Chinesen in ihrem Land. Zusätzlich zu der wirtschaftlichen Zielsetzung scheint das WDP auch die kulturelle Assimilierung zum Ziel zu haben. Die Gewinne daraus werden natürlich Regierungsbeamten, den lokalen Eliten und Unternehmern aus den wohlhabenden Küstenregionen Chinas mit Beziehungen zugute kommen. Die wichtigsten Projekte, nämlich die Eisenbahnlinie Golmud-Lhasa, die Erdgas-Pipelines, Wasserumleitungsprojekte und elektrische Überlandleitungen, bezwecken alle, die westlichen Ressourcen nach Osten zu lenken. Ein chinesischer Gelehrter hat das "Entwicklungsprogramm für den Westen" unverhohlen als eine Politik "der Ausbeutung des Westens und der Entwicklung des Ostens" bezeichnet.

Die PRC spricht in ihrem Weißbuch vom 22. Juni 2001 über tibetische Kultur von dem "großen Gewicht, das der Wahrung des dem tibetischen Volkes zustehenden Rechtes auf das Studium, die Verwendung und Entwicklung seiner Sprache in Wort und Schrift, beigemessen wird". Es hebt auch lobend die Erziehungspolitik in Tibet hervor und zitiert eindrucksvolle Statistiken über die Entwicklung des Bildungswesens in Tibet. Unter den 2.000 bis 2.500 tibetischen Flüchtlingen im Jahr ist der Prozentsatz derer, die des Lesens und Schreibens mächtig sind, jedoch nicht besonders hoch. Ein Großteil der jungen Leute flieht um der Freiheit willen und auf der Suche nach einer umfassenderen Erziehung außerhalb Tibets. In den ländlichen Gegenden Tibets wird die Bildung besonders vernachlässigt.

Bildungspolitik in Tibet bedeutet nichts anderes als Indoktrinierung mit kommunistischer Ideologie. Die Schüler werden gezwungen, den Dalai Lama zu verunglimpfen, die chinesische Version ihrer Geschichte zu lernen, und die Unterrichtssprache an den meisten Schulen ist jetzt Chinesisch, so daß die tibetische Sprache in den Hintergrund gedrängt wird. Als Folge hiervon sind viele Tibeter nicht mehr in der Lage, ihre eigene Sprache zu schreiben. Im Juli 2002 schlossen die chinesischen Behörden eine tibetische Privatschule in Lhasa: Die Schule "Tsangsul" legte nämlich große Betonung auf die Erhaltung der tibetischen Kultur.

In Tibet haben Tibeter nur einen sehr eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu den medizinischen Einrichtungen. Die Gesundheitsfürsorge für Tibeter bleibt weit hinter dem in China üblichen Durchschnitt zurück und entspricht nicht dem internationalen Standard für eine angemessene medizinische Versorgung. Die ständig ansteigenden Kosten für Krankenhausbehandlungen und der Mangel an ausgebildetem medizinischem Personal auf dem Lande tragen zu der sich zunehmend verschlechternden Gesundheitslage der Tibeter bei. Medizinische Versorgung ist kein allgemeines Recht mehr, sondern das Privileg derjenigen, die dafür zahlen können und die die richtigen Verbindungen haben.

Die Verhältnisse in den Gefängnissen in Tibet sind alarmierend und bleiben weit hinter dem internationalen Standard zurück. Sie sind überfüllt, die Belüftung ist schlecht, die sanitären Einrichtungen sind erbärmlich und die Ernährung ist miserabel. Das TCHRD verzeichnete den Tod von 79 Gefangenen seit 1986, die den unhygienischen und unmenschlichen Bedingungen in den Gefängnissen und der extensiven Folterung zum Opfer fielen.

Teil Ia

Perspektiven

Die Welt konzentriert sich gegenwärtig hauptsächlich auf den Kampf gegen den Terrorismus. China hat sich der von den USA angeführten Anti-Terrorismus-Koalition angeschlossen, womit eine Kritik an Pekings Umgang mit den Menschenrechten durch westliche Regierungen, besonders den USA und die Europäische Union, unterbleibt oder zumindest sehr gebremst wird.

Das grundlegende Problem hinsichtlich der Menschenrechtsverletzungen und der Einschränkung der Freiheitsrechte für Tibeter ist der mangelnde Wille der chinesischen Regierung, entsprechende Gesetze durchzusetzen, oder ihr Mißbrauch der Gesetze. Es wird deutlich sichtbar, daß dort die Grundsätze der Rechtsstaatlichkeit, die von ihrer universellen Anerkennung und Beachtung abhängen, nicht respektiert werden. "Leider werden diese Gesetze all zu oft nicht respektiert, oder die Gesetze eines Landes werden untergraben, um der Verletzung fundamentaler Menschenrechte oder dem Verstoß gegen bürgerliche Freiheiten einen Anstrich von Legitimität zu geben", sagte der UN-Generalsekretär der Vereinten Nationen Kofi Annan anläßlich des Tags der Menschenrechte am 10. Dezember 2002.

Im Bewußtsein seiner zunehmenden globalen Bedeutung ist es gegenwärtig Chinas oberstes Ziel, sich der Welt als ein sauberes Land zu präsentieren. Sein wachsendes internationales Profil fand 2001 seinen Ausdruck in seiner Aufnahme in die Welthandelsorganisation und der erfolgreichen Bewerbung um die Abhaltung der Olympischen Spiele von 2008. Doch das kommunistische Regime bleibt der Welt wegen seiner Verletzung der Menschenrechte ein Greuel; außerdem sieht es sich der gewaltigen Opposition verschiedener Menschenrechtsgruppen, westlicher Länder und Sponsoren gegenüber, die dagegen sind, daß China Hilfe geleistet wird. Die internationale Kritik an seiner Tibet-Politik ist China ein ständiger Dorn im Auge, was sein globales Image betrifft.

Das TCHRD sieht einen Wandel in China jedoch als unvermeidlich an, und damit besteht Hoffnung auf eine friedliche Lösung des Tibet-Problems. In Anbetracht der zu Tibet verabschiedeten Resolutionen, insbesondere des "Tibet Policy Act" des US Kongresses, der von Präsident George Bush am 31. September 2002 unterzeichnet und damit in das "United States Public Law 107-228" aufgenommen wurde, ruft das TCHRD die internationale Gemeinschaft dazu auf, den Druck auf die PRC solange aufrecht zu erhalten, bis es greifbare Anzeichen für eine Verbesserung im Umgang mit den Menschenrechten gibt. Peking muß sich an die internationalen Richtlinien für Menschenrechte halten, sowohl was seine eigenen Bürger als auch das Volk der Tibeter betrifft.

Um Xu Wenli, einen prominenten chinesischen Dissidenten, der Ende Dezember 2002 freikam, zu zitieren: "Innerhalb der chinesischen Gesellschaft zeichnen sich verstärkt Anzeichen für das Erwachen eines Bewußtseins für Demokratie, Freiheit und Menschenrechte ab".

Teil 1b

Empfehlungen zum Jahresbericht 2002 des TCHRD

Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

  • Das TCHRD bedauert, daß China dem UN Komitee für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte seinen ersten Bericht, der am 30. Juni 2002 fällig gewesen wäre, immer noch nicht unterbreitet hat.

  • Das TCHRD appelliert an China, seinen Verpflichtungen nachzukommen und geeignete Schritte zur Gewährleistung des Rechtes auf Arbeit und einen angemessenen Lebensstandard in Gang zu setzen.

  • Obwohl die chinesische Regierung den ICESCR ratifiziert hat, respektiert sie weder das Recht des tibetischen Volkes auf die Erhaltung seiner Kultur und Identität noch sein Recht auf Selbstbestimmung. Das TCHRD appelliert an China, den Tibetern zu erlauben, den Lehrplan und die Unterrichtssprache an tibetischen Schulen und Klöstern selbst zu bestimmen. Das TCHRD ruft China auf, mit seiner Umsiedlungspolitik, die den Lebensstandard der Tibeter so nachteilig beeinflußt, Schluß zu machen.

  • Das TCHRD bittet alle internationalen Entwicklungsgesellschaften, die mit China zusammenarbeiten, daß sie nachdrücklich auf der Beteiligung der Tibeter an den in Tibet begonnenen Entwicklungsprojekten, insbesondere dem "Western Development Programme", und zwar auf allen Ebenen, bestehen.

  • Das TCHRD fordert China auf, eine Gesundheitspolitik zu betreiben, die den Normen der medizinischen Versorgung, wie sie in den von der PRC ratifizierten internationalen Konventionen aufgeführt sind, entspricht. China muß sowohl seinen Bürgern als auch den Tibetern das Recht auf freie oder erschwingliche medizinische Dienstleistungen ermöglichen.

  • Das TCHRD bedauert, daß China es bislang versäumte, dem UN Komitee für die Rechte des Kindes seinen zweiten periodischen Bericht, der im März 1999 fällig gewesen wäre, zu unterbreiten.

Bürgerliche und Politische Rechte

  • Das TCHRD dringt darauf, daß die chinesische Regierung endlich die UN Übereinkunft über Bürgerliche und Politische Rechte ratifiziert.

  • Das TCHRD fordert, daß die chinesische Regierung die Reichweite und den Umfang des Begriffes "Gefährdung der Sicherheit des Staates" in ihrem Strafverfahrensrecht klärt. Die Zweideutigkeit dieses Begriffes wird nämlich ausgenützt, um eine ganze Bandbreite legitimer Rechte zu unterdrücken, darunter das Recht auf freie Meinungsäußerung und Freiheit der Rede.

  • Das TCHRD ruft die chinesische Regierung auf, alle Gewissensgefangenen freizulassen, die in den Gefängnissen, Arbeitslagern und Haftanstalten Tibets eingesperrt sind.

  • Das TCHRD fordert China auf, an alle Sonderberichterstatter der UN Menschenrechtskommission eine Dauereinladung auszusprechen, so wie es am 3. Dezember 2002 bereits 40 Länder getan haben.

  • Das TCHRD ersucht die chinesische Regierung, Tibetern, die innerhalb oder außerhalb Tibets Reisen unternehmen wollen, Freizügigkeit zu gewähren. Es muß ihnen gestattet sein, jederzeit ungehindert und ohne Furcht vor Schikanen oder Verhaftung in ihr Heimatland zurückzukehren.

  • Das TCHRD appelliert an die chinesische Regierung, die laufende Anti-Dalai-Lama Kampagne einzustellen und mit der "patriotischen Erziehung" von Mönchen und Nonnen aufzuhören. China darf nicht länger die Anzahl von Mönchen und Nonnen in den Klöstern des Hochlandes einschränken, noch die Mönchsgemeinden dazu zwingen, sich gemäß der kommunistischen Ideologie zu verhalten. Wir fordern die chinesischen Behörden ebenfalls auf, ihre atheistische Kampagne in Tibet einzustellen.

  • Das TCHRD wiederholt seinen Appell an die internationale Gemeinschaft und die Regierungen der Welt, den Fall von Gedhun Choekyi Nyima, des 11. Panchen Lamas von Tibet, der seit Mai 1995 verschwunden ist, zur Sprache zu bringen. Die chinesischen Politiker wiederholen immerzu nur, der Knabe sei in Sicherheit und es ginge ihm gut, aber bislang haben sie keinen Beweis dafür erbracht. Wir fordern die Befreiung von Gedhun Choekyi Nyima.

  • Das TCHRD appelliert an das UNHCR (UN Hochkommissariat für Menschenrechte), sich mit der Regierung des Königs von Nepal ins Benehmen zu setzen, um die Freilassung von 13 Tibetern zu erwirken, die wegen fehlender legaler Reisedokumente und Aufenthaltsgenehmigungen in Gefängnissen in Nepal einsitzen.

Teil II

II. Wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte

Mit der Ratifizierung des Internationalen Vertrages über wirtschaftliche, soziale und kulturelle Rechte (ICESCR) am 27. März 2001 hat China versprochen, daß es nationale Gesetze verabschieden wird, in welchen die Artikel dieses Vertrages umgesetzt werden. Deshalb ist China jetzt verpflichtet, die notwendigen gesetzlichen Instrumente zur Gewährleistung von Rechten wie desjenigen auf Arbeit, auf soziale Sicherheit aller Bürger und auf einen angemessenen Lebensstandard zu schaffen.

Der Vertrag wird zuweilen von Experten kritisiert, weil er keine spezifischen Schutzklauseln enthält und Entwicklungsländern wie China die Möglichkeit gibt, durch seine Unterzeichnung den Anschein zu erwecken, als sei ihnen an der Wahrung der Menschenrechte gelegen. Sie wollen als Staaten angesehen werden, die sich zu den Menschenrechten bekennen, obwohl sie gleichzeitig Argumente vorbringen, welche die bürgerlichen und politischen Rechte als überholt erscheinen lassen. In den letzten Jahren forderte die internationale Gemeinschaft jedoch, daß die wirtschaftlichen und sozialen Rechte ernster genommen und nicht getrennt von den bürgerlichen und politischen Rechten behandelt werden.

Die Verheißung solcher Rechte liegt darin, daß sie den Völkern kollektiv zukommen. Wir werden nun aufzeigen, in welcher Weise Staaten wie China mit den wirtschaftlichen und sozialen Rechten umgehen und welche Probleme sich dabei ergeben. Ein wesentlicher Gesichtspunkt ist, daß die Verwirklichung der in dem ICESCR niedergelegten Rechte nach und nach erfolgen kann. Das ratifizierende Land ist nur verpflichtet, sich in die Richtung der allgemeinen Ziele dieser Rechte zu bewegen. Erwähnenswert ist weiterhin die Klausel, daß wirtschaftliche und soziale Rechte "unter der Garantie der Nicht-Diskriminierung wahrgenommen werden müssen", außer dort, wo fremde Staatsbürger(1) betroffen sind . Dies ist eine wichtige Voraussetzung, die es zu bedenken gilt, wenn wir die Privilegien der chinesischen urbanen Neusiedler und Eliten bei der wirtschaftlichen Entfaltung Tibets untersuchen werden.

Die Vagheit und der mehr oder weniger nach einer Empfehlung klingende Ton des ICESCR sind das Resultat eines internationalen Kompromisses, um Entwicklungsländer, wie etwa die PRC dazu zu ermutigen, sich der Sache der Menschenrechte anzunehmen, wobei den Problemen, denen sich die Entwicklungsländer gegenübersehen, Rechnung getragen wird.

Bietet die Ratifizierung unter diesen Umständen wirklich einen realen Schutz? China beteuert, "seine Ratifizierung sei ein echter Beweis für seine positive Haltung hinsichtlich der internationalen Kooperation in Sachen Menschenrechte und für seine feste Entschlossenheit und Zuversichtlichkeit, die Menschenrechte zu fördern und zu schützen"(2).

Ausgehend von diesem Anspruch Pekings möchte das TCHRD einige Bemerkungen machen. Die geforderten Richtlinien sind vage und von der internationalen Gemeinschaft werden sie nur zögernd umgesetzt, weshalb sie nicht so viel wert sind. Das mag vielleicht nur auf kurze Sicht zutreffen, doch wenigstens tritt die internationale Gemeinschaft in ihrer verbalen Äußerung jetzt entschiedenerer für diese Rechte ein.

Auf noch eine andere Art und Weise kann man die Ansprüche Chinas ein wenig unter die Lupe nehmen. Durch die Ratifizierung hat China einen Standard für sein eigenes Verhalten gesetzt, den auszutesten ein gutes Recht der Tibeter ist. Lange Zeit bestanden die Entwicklungsländer, darunter auch China, darauf, daß soziale und wirtschaftliche Rechte für die Menschenrechte genauso wichtig seien wie die bürgerlichen und politischen. Sie benutzten dieses Argument, um auf eine entwicklungsorientierte Politik und ein faires internationales Wirtschaftssystem als eine notwendige Bedingung für die Effektivität der Menschenrechte im allgemeinen zu drängen.

In letzter Zeit heben auch einige der Haupt-Industrieländer die Notwendigkeit hervor, Entwicklung mit den Menschenrechten zu verbinden. Ausgehend von der Problematik des "Rechtes auf Entwicklung" wird betont, daß "sich Entwicklung nicht nur auf wirtschaftliches Wachstum bezieht, sondern auch eine humane Dimension aufweist; außerdem betrifft sie nicht nur die Regierungen, sondern die ganze Bevölkerung, weshalb ihre Realisierung nicht zum alleinigen Vorteil der herrschenden Eliten gereichen sollte"(3).

II.1.1

1. Das Recht auf Grundbesitz und Unterbringung in Tibet

Einführung

Recht auf Land, Wohnung und nachhaltige Lebensräume sind wirtschaftliche Belange, die nicht nur für die persönlichen Rechte der Bürger, sondern für die Zukunft eines ganzen Landes zentrale Bedeutung haben. Zwischen der Forderung nach Gewährung gleichen Zugangs zu Grund und Boden bzw. einer angemessenen Unterbringung und der Sicherstellung, daß die Siedlungen, in denen eine solche Wohnung liegt oder die Nutzung des Bodens nachhaltig sind, muß ein Gleichgewicht gefunden werden. Dieser Bericht untersucht daher Wohnungsbeschaffung und Landnutzungsfragen in einem völkerrechtlichen Rahmen, der das Recht eines Volkes auf nachhaltige Entwicklung einschließt.

1996 bekannte sich die chinesische Regierung in einer öffentlichen Erklärung zu der vollen und allmählichen Realisierung des Rechtes auf angemessene Unterkunft(4). Durch die Ratifizierung des ICESCR im Jahre 2001 hat sich China gesetzlich zur Anerkennung dieses Rechtes verpflichtet. Im Laufe des letzten Jahrzehnts hat die PRC regelmäßige Eingaben an den UN Ausschuß für Nachhaltige Entwicklung gemacht, in denen sie ihr Bekenntnis zu nachhaltiger Entwicklung, einschließlich des Rechtes auf Grund und Boden beteuert. Trotz dieser nach außen hin errichteten Kulisse kommt es in Tibet fortwährend zu ernsten Verletzungen der internationalen Rechtsgrundsätze.

Indem es die Wohn- und Bodenrechte in Tibet vor dem Hintergrund sowohl der Menschenrechte als auch den Geboten einer nachhaltigen Entwicklung untersucht, hofft das TCHRD, einen Beitrag zu der derzeitigen Diskussion über eine Verbindung der beiden Themen zu leisten. Viele menschenrechtsbezogene NGOs, die an dem Vorbereitungstreffen für den "Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung" (WSSD = World Summit for Sustainable Development) und an der eigentlichen Konferenz teilnahmen, waren entsetzt darüber, daß das Thema Menschenrechte auf dieser Plattform ausgeklammert wurde. Tatsache ist, daß kein Land sich rühmen sollte, nachhaltige Entwicklung zu praktizieren, wenn es seinem Volk die fundamentalen politischen, bürgerlichen, religiösen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechte vorenthält. Nachhaltigkeit ist bedeutungslos, wenn die Menschen vom aktiven Handeln oder dem Genuß der Vorteile, die sie bringt, ausgeschlossen sind(5).

II.1.2

Bodenrechte und nachhaltige Landnutzung

Es gibt kein ausgesprochenes internationales Gesetz, daß die Menschen ein allgemeines Recht auf Besitz oder Nutzung von Grund und Boden haben. Das Recht auf Grund und Boden wird jedoch von vielen im ICESCR und anderen Verträgen enthaltenen Rechten indirekt impliziert. Darüber hinaus besteht Einmütigkeit, daß ein gerechter Zugang zu Grund und Boden von zentraler Bedeutung für eine nachhaltige Entwicklung ist.

Die globale Organisation "Habitat International Coalition"(6) hat darauf hingewiesen, daß der Zugang zu Grund und Boden eine Voraussetzung für die Wahrung der Rechte auf Wohnung, Nahrung und Kultur ist, die im ICESCR(7) verankert sind . In den ersten zwei Artikeln des ICESCR ist auch die Rede von der Entwicklung der Wirtschaftspolitik und der gerechten Nutzung der Landressourcen.

Die Prinzipien für nachhaltige Entwicklung, die über das letzte Jahrzehnt formuliert wurden, fordern zunehmend gerechtere Systeme der Landnutzung. Die 1992 auf dem "Rio Earth Summit" verabschiedete Agenda 21 legt den einzelnen Staaten nahe, angemessene Formen der Bodennutzung zu schaffen, die allen Nutzern des Grund und Bodens, besonders Ureinwohnern, Frauen und örtlichen Gemeinden(8) eine Garantie für ihr diesbezügliches Anrecht geben . Es heißt dort weiter, daß Menschen vor ungerechter Vertreibung von ihrem angestammten Grund und Boden gesetzlich geschützt sein müssen(9).

1996 zog die zweite UN Conference on Human Settlements (Konferenz für Menschliche Ansiedelungen = Habitat II) eine Verbindungslinie zwischen Bodenrechten, Wohnrechten und nachhaltiger Entwicklung, indem sie feststellte, daß der "Zugang zu Grund und Boden und die gesetzliche Sicherung des Nutzungsrechtes sowohl in der Stadt als auf dem Lande Voraussetzungen für die Versorgung aller Bürger mit einem angemessenen Obdach und die Schaffung von nachhaltigen menschlichen Siedlungen sind"(10). Die "Habitat Agenda", die aus der Konferenz "Habitat II" erwuchs, verpflichtet die einzelnen Staaten, "die gesetzlich verbrieften traditionellen Rechte der einheimischen Bevölkerung auf Land und andere Ressourcen zu schützen und das Landmanagement zu konsolidieren"(11).

"Habitat International Coalition" schlug vor, daß das Recht auf Grund und Boden folgendermaßen formuliert werden kann: "Grund und Boden ist eine Ressource, die für das Überleben, den Lebensunterhalt und eine angemessene Unterkunft notwendig ist. Zu diesem Zweck muß der Staat einen vernünftigen Zugang zu Grund und Boden bereitstellen. Insbesondere muß er eine gerechte Verteilung mit dem Akzent auf der Verfügbarkeit der notwendigen Hilfsmittel für arme Haushalte und andere marginalisierte und verletzliche Bevölkerungsgruppen gewährleisten. Die Regierungen müssen, wo nötig, Landreformen durchführen, um eine faire Verteilung zum Wohle der Öffentlichkeit zu garantieren"(12).

Hier möchten wir hinzufügen: Die Regierungen sollten Landreformen in sinnvoller Absprache mit den örtlichen Gemeinden und unter deren Beteiligung und Zustimmung planen und durchführen. Sie sollten auch auf die Erfahrung, das Wissen und die Fähigkeiten der einheimischen Bevölkerung, die sie sich im Laufe der Zeit durch ihre Verbundenheit mit dem heimatlichen Boden erworben hat, zurückgreifen und ihre Rechte respektieren.

II.1.3

Gegenwärtige Landnutzungsrechte in Tibet

Der Art. 10 der Verfassung der PRC definiert Landbesitz in China wie folgt:

"Der Boden in den Städten ist Staatseigentum. Der Boden auf dem Lande und in den Vororten der Städte ist Kollektiveigentum, mit Ausnahme der Teile, die entsprechend den gesetzlichen Bestimmungen dem Staat gehören. Grundstücke und Parzellen zur privaten Nutzung auf Acker- und Bergland sind ebenfalls Kollektiveigentum. Der Staat kann in Übereinstimmung mit den gesetzlichen Bestimmungen Grund und Boden beanspruchen, wenn das öffentliche Interesse es erfordert. Weder eine Organisation noch ein Individuum darf Grund und Boden in Besitz nehmen, kaufen oder verkaufen, verpachten oder auf andere Weise gesetzwidrig anderen überlassen. Das Recht auf die Landnutzung kann gemäß dem Gesetz transferiert werden."

Die Allgemeinen Grundlagen des Bürgerlichen Gesetzbuches der Volksrepublik China (1986) erläutern die Art und Weise, in der staatseigenes Land genutzt werden kann (Art. 80):

"Staatseigener Grund und Boden kann in Übereinstimmung mit dem Gesetz von Produktionseinheiten genutzt werden, wobei das ganze Volk der Besitzer ist. Er kann auch als Kollektiveigentum für die Nutzung durch Produktionseinheiten offiziell zugewiesen werden. Der Staat schützt den Nießbrauch(13) des Landes, und der Nießbraucher hat die Pflicht, das Land zu bewirtschaften, zu schützen und richtig zu nutzen. Das Recht von Bürgern und Kollektiven, die Bewirtschaftung von Land in kollektivem Besitz oder von staatseigenem Land in kollektiver Nutzung zu vergeben, ist gesetzlich verankert. Die Rechte und Verpflichtungen der zwei Vertragsparteien werden in einem Vertrag niedergelegt, der gemäß dem Gesetz unterzeichnet wird. Grund und Boden darf auf keine andere Weise verkauft, verpachtet, verpfändet oder illegal überschrieben werden."

Das Gesamtsystem des Landeigentums und des Nutzungsrechts wird ausführlich in dem "Law of Land Administration" (LAL) (Gesetz über Land-Verwaltung) der PRC von 1998 dargelegt.

Der Sinn des LAL soll angeblich sein, den gesamten Umfang an Ackerland abzusichern, d.h. "das bestellte Land vor industrieller Entwicklung zu schützen" (Art. 4). Zu diesem Zweck müssen die Regierungen auf allen Ebenen allgemeine Pläne ausarbeiten - "in Übereinstimmung mit dem nationalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprogramm", der Umweltpolitik und den Landkonsolidierungs- und Bauprojekten (Art. 17).

Das LAL erklärt, daß der Staatsrat im Namen der Nation der Eigentümer des gesamten Bodens in städtischen Gebieten sowie des von staatlichen Institutionen eingenommenen Grund und Bodens ist, während der Grund und Boden in ländlichen Gegenden Eigentum der Dorfkollektive ist (Art. 2 und 8). Das LAL liefert indes keine Definition von "Dorfkollektiv". Kritiker wiesen bereits darauf hin, daß sich die Kader in den "administrativen Dörfern" (dörfliche Verwaltungseinheiten, welche die alten Produktionsteams des Kommunensystems ersetzten) infolge der Zweideutigkeit des Begriffes "Dorfkollektiv" nun ungehindert alle Rechte nach dem LAL aneignen können(14).

Die Unterscheidung zwischen staatseigenem Land (dessen Rechte durch Kreisverwaltungen und höhere Instanzen wahrgenommen werden) und kollektiveigenem Land (dessen Rechte zu zwei Dritteln von dem Dorfkollektiv ausgeübt werden) ist wichtig, weil hier verschiede Landzuweisungsrechte und Entschädigungsberechnungen zur Geltung kommen. In den ländlichen Gebieten Tibets befindet sich der Grund und Boden hauptsächlich im Besitz der Dorfkollektive.

Der Art. 10 besagt, daß die "Dorfkomitees" das kollektiveigene Land verwalten. Nach dem "Staatsgrundgesetz über Dorfkomitees" von 1987 werden die Dorfkomitees von den volljährigen Bewohnern des jeweiligen Dorfes gewählt.

Die Nutzungsverträge der Bauern für ihr Land lauten auf 30 Jahre, es sei denn, es werden von der Dorfversammlung Änderungen mit Zweidrittel-Mehrheit beschlossen (Art. 14). Das Gesetz fordert, daß es "keiner Produktionseinheit oder Einzelperson gestattet ist, den Boden brach liegen oder verkommen zu lassen" (Art. 37). Das LAL verbietet auch die Veräußerung oder den Kauf von Parzellen des Grund und Bodens durch die Landnutzer, denn jeder Transfer muß von dem Kollektiv vorgenommen werden (Art. 2, 14 und 73).

Das den Dorfkollektiven gehörende Land kann vom Staat (vertreten durch die Distrikts-, Präfektur- oder Provinzregierungen) zu baulichen Zwecken (Art. 43-46) oder ganz allgemein "gemäß dem Gesetz über öffentliche Zwecke" (Art. 2) eingefordert werden. Nun scheint es aber gar kein chinesisches Gesetz über "öffentliche Zwecke" zu geben, weshalb der Art. 2 dem Staat effektiv eine weitgehende und zweideutige Befugnis gibt, Grund und Boden zu beschlagnahmen. Ähnlich ermächtigt der Art. 58 den Staat, das ihm eigene Land (im Unterschied zu dem im Besitz der Kollektive) zurückzufordern, wenn er es für "öffentliche Zwecke" oder für städtische Umbauaktionen (was weiter unten ausgeführt wird) benötigt. Auch die Dorfkollektive können den Bauern das Land wieder wegnehmen, wenn sie es für öffentliche Einrichtungen benötigen oder wenn es nicht richtig genutzt wird (Art. 65).

Die Höhe der Entschädigung für den Verlust von Grund und Boden variiert dem LAL zufolge je nach dem Zweck, zu dem er eingesetzt wird. Wo kollektiveigenes Land vom Staat für bauliche Zwecke eingefordert wird, liefert das LAL eine Entschädigungsformel, die "Umsiedlungskosten" und den Wert des Grund und Bodens, basierend auf dem durchschnittlichen Ertrag über die letzten drei Jahre, berücksichtigt (Art. 47). Wo Land für Wasserschutzprojekte und hydroelektrische Anlagen eingefordert wird, können Ausgleichszahlungen und die Umsiedlungsentschädigung vom Staatsrat separat festgelegt werden (Art. 51). Wo der Staat seine weitere Vollmacht gemäß Art. 2 ausüben will, kommt das zweideutige "Gesetz über öffentliche Zwecke" für die Entschädigung zur Anwendung. Wo der Staat sein eigenes Land zurückfordert (also nicht das im Besitz von Kollektiven beansprucht), braucht die Entschädigung nur "angemessen" zu sein (Art. 58).

Wenn der Staat Grund und Boden von den Kollektiven einfordert, dann erhalten die Dorfkomitees die Entschädigung, die dann verpflichtet sind, das Geld an die Bauern weiterzugeben, denen ihr Land weggenommen wurde (Art. 49).

Das LAL wurde von der chinesischen Regierung gerühmt, es enthalte die "strengsten Landnutzungsregeln der Welt"(15) und sei ein Eckstein für die Politik der nachhaltigen Entwicklung(16). Wenn man sich jedoch anschaut, wie sich das LAL im Falle Tibets tatsächlich auswirkt, sieht man, daß es nur der chinesischen Regierung dazu verhilft, ihre Kontrolle über die Landnutzung zu konsolidieren, während den tibetischen Bauern fast keine Rechte zugestanden werden(17).

Die mangelnde Verfügungsgewalt der tibetischen Bauern ist darauf zurückzuführen, daß der Grund und Boden ihnen ja gar nicht gehört, sondern sie ihn nur von den Dorfkollektiven gepachtet haben. Dies bedeutet, daß den Bauern ihr Grund und Boden entweder von dem Dorfkollektiv oder vom Staat (Kreisverwaltungen und höhere Instanzen) jederzeit weggenommen werden kann. Die Bauern haben kein Recht, Teile ihres Ackerlandes an andere zu überschreiben, sich gegen die Konfiszierung zu wehren oder die ihnen gewährte Entschädigung anzufechten(18).

Nun ist ein Dorfkollektiv aber wirklich kein perfektes Modell für eine Demokratie. Die Art und Weise, in der diese Komitees gewählt werden, hat oft nichts mehr mit Demokratie zu tun, ebensowenig die Tatsache, daß die Dorfkomitees besonders in politisch so heiklen Gebieten wie Tibet weitgehend von den höheren Regierungsinstanzen oder den lokalen Parteikadern kontrolliert werden .

Obwohl es den Anschein hat, daß die Zuteilung und die Zweckbestimmung des Landes auf Dorfebene beschlossen wird, erfordern die staatlichen Entwicklungspläne (Art. 17), daß die Strategie der Landnutzung und Landbewirtschaftung auf Kreisebene festgesetzt wird. Die Personen, die am meisten von der Landwirtschaft verstehen, nämlich die tibetischen Bauern selbst, haben indessen kaum Einfluß auf das Zuteilungssystem oder darauf, wie ihr Land genutzt wird.

Die aufgrund des LAL angebotene Entschädigungshöhe (ob nun nach der im Art. 47 genannten Formel oder aufgrund der zweideutigen Forderung nach "angemessener" Entschädigung) wurde als unzureichend kritisiert, um die Bauern tatsächlich für den Verlust ihres Lebensunterhalts zu entschädigen(19). Sogar der Weltbank ist klar, daß ein System, bei dem Entschädigungen über die Kollektive laufen, ehe sie die Bauern erreichen, auf lokaler Ebene der Korruption und Unterschlagung Tür und Tor öffnet(20). "Wie ein Rechtssachverständiger es ausdrückt, nehmen die Behörden den Bauern das Land, das ihnen vertraglich zusteht, unter dem Vorwand der Entwicklung weg - einfach nur weil sie die Macht dazu haben und weil es ihnen gefällt"(21).

Wie das LAL dabei versagt, den Landbesitz der tibetischen Bauern zu schützen, und wie unangemessen sein Entschädigungssystem ist, wird von der folgenden Fallstudie illustriert. Hier wurde einem Bauer sein Land nicht zu Bauzwecken weggenommen, sondern nur weil die Regierung es zu ihrem eigenen Profit bebauen wollte. 2002 wurden die Bauern aus der Gemeinde Dechen, Kreis Taktse (26 km östlich von Lhasa), gezwungen, dem Staat 100 mu Land zurückzugeben. Ein vor kurzem aus Tibet angekommener Flüchtling berichtet:

"Es heißt, die Regierung zahle 3.000 Yuan für ein mu (tib. Flächenmaß = 67 m²) Ackerland. Das galt aber nur für ein Jahr, und in den folgenden Jahren wurde nichts mehr gezahlt. 3.000 Yuan entschädigt die Bauern nicht für die Ernteeinbuße über Jahre hinweg... Man hat gar keine freie Wahl, sein Land zu verkaufen oder nicht. Sie behaupten einfach, es gehöre dem Staat, der es an die Tibeter verpachtet habe, die Tibeter könnten überhaupt keinen Grundbesitz haben. Die Regierung wird nun auf diesem Acker Gemüse züchten und natürlich den Gewinn einstecken. Die Bauern vor Ort sind sehr aufgebracht über die Enteignung ihres Ackerlandes für eine solch schäbige Summe, aber sie dürfen ihren Mund in der Öffentlichkeit nicht aufmachen"(22).

Es ist nicht ganz eindeutig, aufgrund welcher Abschnitte des LAL der Staat in diesem Falle das Land von den tibetischen Bauern eingefordert hat. In Anbetracht der weiten Interpretationsmöglichkeiten sowohl von Art. 2 als auch Art. 58, die den Staat berechtigen, Land zu "öffentlichen Zwecken" einzufordern oder zurückzunehmen, kann er Enteignungen einfach mit der Begründung, sie erfolgten im Interesse des nationalen wirtschaftlichen und sozialen Entwicklungsprogramms, vornehmen (Art. 17). Zum Verständnis der Landnutzung in Tibet ist folglich die Kenntnis des chinesischen Entwicklungsprogramms für das tibetische Hochland Voraussetzung.

II.1.4

Entwicklungsbedingte Umsiedlung

1997 veröffentlichte der Fachausschuß der Vereinten Nationen für Zwangsausweisung die Human Rights Guidelines on Development-Based Displacement ("Menschenrechts-Richtlinien über entwicklungsbedingte Umsiedlung")(23). Diesen Richtlinien zufolge haben die Menschen folgende Rechte: über ein Projekt informiert zu werden; wegen eventueller Umsiedlungspläne zu Rate gezogen zu werden; sich gegen die Zwangsräumung vor einem unabhängigen Gericht zu wehren; vor Gewaltanwendung und Einschüchterung bei der Zwangsräumung geschützt zu sein; eine angemessene Entschädigung zu erhalten, wenn ihnen ihr Boden oder ihr Besitz weggenommen wird und/oder an einen passenden Ort nach ihrer Wahl umgesiedelt zu werden(24).

Chinas Bevölkerungstransferprogramm konzentrierte sich bisher hauptsächlich darauf, Immigranten zur Ansiedlung in die städtischen Siedlungsgebiete Tibets zu bewegen. Das Ergebnis war das schnelle Wachstum der tibetischen Städte. Für die am Rande der Siedlungsgebiete wohnenden Bauern und Hirten bedeutet das städtische Wachstum unweigerlich einen Verlust an Grund und Boden, wobei die meisten nur eine ungenügende Entschädigung erhalten. Nirgends ist diese Expansion auffälliger als um Lhasa herum. Die Stadt Lhasa, die 1949 nicht mehr als 3 km² Fläche umfaßte und eine Bevölkerung von 30.000 bei nur 600 Gebäuden hatte, ist bis zum Jahr 2001 auf eine Größe von 53 km² und eine Bevölkerung von schätzungsweise 400.000 angewachsen. Pläne für eine weitere Vergrößerung liegen bereit. Gemäß dem Fünfjahresplan 2001-2005 der CCP (Chinese Communist Party) soll die Fläche der Stadt bis Ende 2005 siebzig km² betragen, und das für 2015 gesetzte Ziel sind sogar 272 km², was bedeutet, daß die Stadt die Hälfte des Bezirks Lhasa einnehmen wird(25).

2001 wurde eine neue Initiative zur Erweiterung der Stadt Lhasa durch die Schaffung einer "Special Economic Zone" (SEZ) im Kreis Toelung Dechen angekündigt. Diese Sonderwirtschaftzone wird auch den Endbahnhof Lhasa der Qinghai-Tibet-Eisenbahn beherbergen. Berichte aus Tibet lassen darauf schließen, daß chinesische Investoren bereits mit der Bodenspekulation begonnen haben. Ob den dort ansässigen tibetischen Bauern eine Entschädigung oder eine Möglichkeit zur Umsiedlung geboten wurde, ist jedoch nicht bekannt. Ein ehemaliger tibetischer Beamter, der jetzt im Exil lebt, äußerte die Befürchtung, daß gegen alle, die es wagen sollten, die daraus folgenden Zwangsräumungen zu kritisieren, hart vorgegangen werden wird: "Man wird sie als Spalter hinstellen, als Leute, die dem Land nur schaden wollen(26).

Eindeutig ist: Wo die Zentralregierung ihre Pläne verfolgt, haben Privatleute keine Rechte mehr. Sowohl die chinesische Verfassung, als auch das Bürgerliche Gesetzbuch und das LAL sehen vor, daß die Ziele des Staates vor den Rechten des Individuums Vorrang haben. Wenn der Staatsrat befiehlt, in den autonomen Regionen Land für die "wirtschaftliche Entwicklung" zu konfiszieren, kann es passieren, daß Privatpersonen gar keine oder nur eine geringe Entschädigung bekommen. Und wer sich negativ gegen die Entwicklung ausspricht, wird als "Spalter" gebrandmarkt.

Eines der Grundprinzipien der UN Richtlinien für die entwicklungsbedingte Umsiedlung ist die Einwilligung der Betroffenen nach ausreichender Information. Man hörte indessen von Fällen, wo tibetische Familien bei den Umsiedelungsplänen völlig übergangen wurden und am Ende überhaupt kein Ackerland mehr hatten. Anfang 2000 beriefen die Lokalbehörden 60 Familien einer Gemeinde im Kreis Gonjo, Präfektur Chamdo, TAR, zu einem Meeting. Sie erklärten ihnen, daß sie aus dieser Gegend in eine andere umziehen müßten, und falls sie sich sträubten, würden sie mit einer Strafe von 70.000 Yuan belegt werden. Ein Tibeter aus dieser Gemeinde, der Anfang 2002 aus Tibet floh, erzählt:

"Die für die Umsiedlung ausersehene Gegend liegt im Distrikt Kongpo Gyama, Präfektur Nyingtri, TAR. Dort haben die Behörden seit fast zwei Jahren lauter neue Häuser gebaut. Im Dezember 2001 gaben sie uns Bescheid, daß diese bezugsfähig seien. Alle 60 Familien wurden auf etwa 100 Militärlastwagen verladen. Die Reise dauerte fünf Tage. Für die Fahrt selbst brauchen wir nichts zu bezahlen, jedoch für unsere Verpflegung.

Dort, wo wir hingebracht wurden, ist das Ackerland viel schlechter als unser angestammtes, weshalb es viel schwieriger zu bestellen ist. Die im chinesischen Stil gebauten Häuser schienen uns für die Bedürfnisse tibetischer Bauern- und Nomadenfamilien ungeeignet. Letztere wurden in zwei Areale von je 30 Familien gruppiert. Jedes Haus hat 3 Zimmer, aber keine weiteren Einrichtungen.

Ein großes Problem ergab sich für die Umgesiedelten dadurch, daß die Häuser viel zu wenig waren und 9 Familien leer ausgingen. Bei einem Meeting in unserem bisherigen Dorf im vorhergehenden Jahr mußte sich jede Familie eintragen lassen, um ein Anrecht auf ein neues Haus zu bekommen. Unglücklicherweise waren einige Familien, darunter auch unsere, gerade nicht anwesend, weshalb ihnen keine Häuser zugeteilt wurden"(27).

II.1.5

Einseitig ausgerichtete Umsetzung der Umweltschutzpolitik

1998 trat der Yangtse über die Ufer und löste in Tibet und China eine nationale Katastrophe aus. Umweltexperten meldeten, die Überflutung sei auf die Abholzung und die darauffolgende Desertifikation in Tibet zurückzuführen(28). Der ausgedehnte Kahlschlag auf dem tibetischen Hochplateau fällt jedem Reisenden sofort in die Augen. Mehrere westliche Touristen, die 2002 die TAP Karze in Sichuan bereisten, bemerkten einen etwa 600 km langen Landstrich, der völlig entwaldet war(29). Außerdem sahen sie täglich an die zwanzig mit Holzstämmen beladene Laster vorbeifahren.

Pekings Antwort auf den Rat der Umweltschützer waren zwei Initiativen, um die Auswirkungen der Desertifikation rückgängig zu machen und das Überschwemmungsrisiko zu reduzieren - ein Abholzungsverbot und ein Programm zur Zwangsanpflanzung, dem zufolge tibetische Bauern auf ihrem Ackerland Bäume pflanzen und Gras säen müssen. Obwohl nur wenige Leute auf die Idee kämen, daß derartige Umweltinitiativen für die Regenerierung des Landes von Nutzen und im Interesse einer nachhaltigen Bewirtschaftung des Hochlandes sind, werden sie so umgesetzt, daß die Tibeter sich bestraft fühlen und ihr Land nicht mehr wie bisher nutzen können, während der massive Ressourcenabbau durch private und staatliche Unternehmen unbehelligt weitergeht.

Berichte von Touristen und neu angekommenen Flüchtlingen lassen schließen, daß das Abholzungsverbot recht selektiv gehandhabt wird. Die folgende Fallstudie zeigt, daß reiche chinesische Geschäftsleute und Unternehmer überhaupt kein Problem haben, weiterhin Holz zu fällen, indem sie einfach großzügige Bestechungsgelder an die Forstverwaltung zahlen. Ein Tibeter, der bereits Ende 2000 ins Exil floh, erzählte von der Korruption in der Holzindustrie:

"Wenn jemand in der Lage ist, den richtigen Mann in der Forstverwaltung mit 5.000 bis 50.000 RMB (600 bis 6.000 US$) zu schmieren, kann er mit einer Lizenz rechnen, die ihn zum Einschlag und zum Abtransport von 30 bis 100 LKW-Ladungen berechtigt. Wenn man einmal dieses Berechtigungs-Zertifikat hat, dann steht einem nichts mehr im Wege, das Holz irgendwohin zu transportieren und mit einem riesigen Gewinn zu verkaufen. Das meiste von diesem Holz geht nach China. Einiges von solch illegal beschafftem Bauholz wird auch in Lhasa verkauft.

Die in dem Gebiet ansässigen Tibeter, besonders diejenigen, die ihren Lebensunterhalt bisher aus dem Walde bezogen und die sich selbst um die Wiederaufforstung kümmerten, um den notwendigen Holzbestand sicherzustellen, verlieren jetzt ihre Arbeitsmöglichkeiten. Sogar für das Holz zu ihrem eigenen Gebrauch, etwa für den Bau von Häusern oder zur Herstellung von Möbeln, brauchen sie eine Genehmigung. Den Antrag müssen sie bei dem lokalen Büro der Forstverwaltung stellen und alle vom Staat verlangten Gebühren zahlen. Außerdem müssen sie dieselbe Anzahl von Bäumen, die gefällt wurden, neu pflanzen"(30).

So werden die Tibeter, die bisher ihre Waldgebiete auf eine nachhaltige Weise nutzten und stets für deren Erhaltung sorgten, effektiv für den Entwaldungsfrevel bestraft, der den chinesischen Unternehmer anzulasten ist.

Bei der Wiederaufforstung, von der in der obigen Fallstudie die Rede ist, handelt es sich um eine weitere "Umweltinitiative", die nach dem Hochwasser in China von 1998 eingeführt wurde. Tibetische Bauern in den von der Erosion betroffenen Gebieten wurden von der Regierung aufgefordert, einen Teil ihres Ackerlandes mit Bäumen und Gras zu bepflanzen, um der Desertifikation vorzubeugen. Tibetische Bauern in der TAP Karze, Sichuan, erzählten unlängst einem Touristen, die Bäume, die sie pflanzen müssen, seien keine einheimischen(31). Umweltexperten äußerten die Befürchtung, daß eine unsinnige Neubepflanzung wie diese die Artenvielfalt in der Gegend reduzieren und einen nicht vorherzusehenden Umweltschaden verursachen könnte(32).

Die Regierung gewährt zwar den Bauern eine gewisse Entschädigung für ihren Verlust an Ackerland infolge dieser Zwangsbepflanzung, aber wie viele Familien berichten, ist sie unzureichend(33) . Wenn sie nicht mehr genügend Felder zur Bestellung haben, verlieren die Familien ihre Lebensgrundlage. Wie Lobsang erzählt, wurden viele Bauern in der Gemeinde Zakong, Distrikt Derge, TAP Karze, Sichuan, durch die Zwangsanpflanzungen in die Armut getrieben:

"Wenn die lokalen Behörden erst einmal irgend ein Stück Land identifiziert haben, dann werden die Bauern gezwungen, dies zu bepflanzen. Sie erhalten eine gewisse Entschädigung, die jedoch zu gering ist, um ihren Ernteverlust zu ersetzen. Ende 2000 konnten Lobsangs Angehörige ihren Lebensunterhalt nicht mehr bestreiten und sie sahen sich gezwungen nach Lhasa zu ziehen. Da sie auch hier keine Arbeit fanden, blieb ihnen nichts übrig als auf der Straße betteln zu gehen"(34).

Es besteht kein Zweifel, daß Umweltschutz in Tibet geboten ist. Wichtig wäre jedoch, daß Maßnahmen wie das Abholzungsverbot oder die Zwangspflanzungen einheitlich durchgeführt würden, ohne daß die kleinen Landnutzer wie die tibetischen Bauern eine unverhältnismäßig hohe Last zu tragen haben. Forschungen zeigten, daß Bodenerosion in China in direkter Beziehung zur Armut auf dem Lande steht(35). Es ist daher wenig sinnvoll, wenn die Umweltschutzprogramme den Landnutzern zusätzliche finanzielle Probleme bringen. Die Tibeter haben ein Recht auf eine alternative Zuteilung von Grund und Boden, wenn sie ihr Land wegen Erosion oder Umweltweltprogrammen eingebüßt haben, sowie auf eine angemessene Entschädigung für den Verlust ihrer Lebensgrundlage.

II.1.6

Das Recht auf Wohnung und die nachhaltige Entwicklung menschlicher Ansiedlungen

Das Recht auf eine angemessene Unterkunft wurde erstmals 1948 in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte niedergelegt. In den vergangenen zehn Jahren schenkten ihm die Vereinten Nationen mehr und mehr Aufmerksamkeit, besonders durch die Ernennung eines Sonderberichterstatters für angemessene Unterbringung (als Komponente eines angemessenen Lebensstandards).

Was das Recht auf angemessene Unterbringung betrifft, so hat die PRC viele internationale Verträge unterzeichnet und ratifiziert, nämlich den Internationalen Vertrag über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte (ICESCR), die Konvention über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung der Frauen (CEDAW), die Konvention über die Rechte des Kindes (CRC) und die Internationale Konvention über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (ICERD). Schließlich wäre hier auch die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte (UDHR) zu nennen.

Die umfassendste Bestimmung in bezug auf das Recht auf angemessene Unterkunft steht im Art. 11(1) des ICESCR, wo es heißt: "Die Vertragsstaaten erkennen das Recht eines jeden auf einen angemessenen Lebensstandard für sich und seine Familie an, einschließlich ausreichender Ernährung, Bekleidung und Unterbringung, sowie auf eine stetige Verbesserung der Lebensbedingungen. Die Vertragsstaaten unternehmen geeignete Schritte, um die Verwirklichung dieses Rechts zu gewährleisten, und erkennen zu diesem Zweck die entscheidende Bedeutung einer internationalen, auf freier Zustimmung beruhenden Zusammenarbeit an".

Und der Art. 2(1) des ICESCR verpflichtet jeden Vertragsstaat, "einzeln und durch internationale Hilfe und Zusammenarbeit, insbesondere wirtschaftlicher und technischer Art, unter Ausschöpfung aller seiner Möglichkeiten Maßnahmen zu treffen, um nach und nach mit allen geeigneten Mitteln, vor allem durch gesetzgeberische Maßnahmen, die volle Verwirklichung der in diesem Pakt anerkannten Rechte zu erreichen".

In seinem allgemeinen Kommentar No. 4, der den Titel "Recht auf angemessene Unterbringung" trägt, betont das Komitee für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte, daß das vorliegende Recht auch den Begriff der Würde des Menschen und das Prinzip der Nichtdiskriminierung beinhaltet.

Und zusätzlich zu diesen zwei Begriffen "... ist die volle Wahrnehmung der Rechte auf freie Meinungsäußerung, auf Vereinigungsfreiheit (wie etwa für Pächter und andere gemeinschaftsorientierte Gruppen), auf freie Wahl des Wohnsitzes und auf Teilhabe am öffentlichen Entscheidungsprozeß unerläßlich, wenn das Recht auf angemessene Unterbringung von allen Gruppen der Gesellschaft verwirklicht werden soll; einen wichtigen Aspekt bei der Definition des Rechtes auf angemessene Unterbringung bildet auch das Recht, keinen willkürlichen Eingriffen in das Privatleben, die Familie, das Heim oder den Schriftverkehr ausgesetzt zu sein"(36).

Andere internationale Gesetze verpflichten ebenfalls die Regierungen, dafür zu sorgen, daß besonderen Bevölkerungsschichten das Recht auf angemessene Unterbringung ohne Diskriminierung gewährt wird. Die CEDAW trägt den einzelnen Staaten auf, angemessene Maßnahmen zu ergreifen, um die Diskriminierung von Frauen auszumerzen, wozu auch die Beschaffung von Wohnraum gehört (Art. 1,14). Die CRC verpflichtet die Einzelstaaten sicherzustellen, daß Kinder einen angemessenen Lebensstandard, einschließlich der Unterbringung haben (Art. 27). Und in seinem Art. 5 sieht der ICERD das Recht auf individuellen und gemeinschaftlichen Besitz, sowie auf Wohnraum vor.

II.1.7

Die Wohnungspolitik und die geltenden Wohnrechte in Tibet

Die PRC kennt keine Gesetze, welche das Recht auf angemessene Wohnung, etwa durch den Schutz vor Zwangsräumungen garantieren würden. Im allgemeinen behält sich die PRC das Recht vor, Grundeigentümer und Pächter zur Räumung zu zwingen und den Besitz zu beschlagnahmen, wo sie dies im öffentlichen Interesse für richtig erachtet. Obwohl es einige Gesetze gibt, die das Recht einer Person auf Privatbesitz schützen, sind derartige Rechte ziemlich illusorisch, denn die Bürger haben praktisch keine Möglichkeit, deren Wahrung einzuklagen.

Die Verfassung der PRC besagt, daß Grund und Boden in der Stadt dem Staat gehören (im Unterschied zu Grund und Boden auf dem Lande, deren Eigentümer die Dorfkollektive sind). Die Verfassung sieht auch das Recht vor, Grundbesitz zu haben und zu unterhalten (Art. 13), das Recht, nicht vom Staat enteignet zu werden, es sei denn im "öffentlichen Interesse" (Art. 10), das Recht, keinen ungesetzlichen Eingriffen in das eigene Heim ausgesetzt zu sein (Art. 39), sowie das Recht, im Falle von Rechtsverletzungen entschädigt zu werden (Art. 41).

Die "Allgemeinen Prinzipien der Bürgerlichen Gesetze der PRC" (1986) legen überdies fest, daß der persönliche Grundbesitz eines Bürgers einschließlich seiner Behausung vom Gesetz geschützt wird, und keine staatliche Einrichtung oder Einzelperson diesen sich aneignen, darauf übergreifen, ihn zerstören oder beschlagnahmen dürfen (Art. 75).

Das "Verwaltungsgesetz für städtischen Grundbesitz der PRC" (1994) (Urban Property Law) führt die "Rechte" der Besitzer aus. Der Staat kann das Nutzungsrecht an städtischem Grund und Boden verpachten, was die Errichtung von Gebäuden und das Eigentum an ihnen oder das Eigentum an bereits auf diesem Grund und Boden vorhandenen Gebäuden einschließt (Art. 7). Die betreffenden Pachtverträge bedürfen der Schriftform (Art. 14), wobei Fristen und Gebühren vom Staatsrat festgesetzt werden (Art. 7,13 und 15). Die Rechte des Pächters, einschließlich des Rechtes, auf dem Grundstück zu bauen oder es sonst zu nutzen, sind für die Vertragszeit geschützt, außer in den Fällen, wo der Staat den Grund und Boden "im öffentlichen Interesse" zurückfordert (Art. 19). In diesem Fall hat der Grundstücksnutzer das Recht auf Entschädigung "entsprechend der Zeit, in welcher der Grund und Boden effektiv genutzt wurde und den tatsächlichen Umständen der Landentwicklung" (Art. 19). Die Höhe der Entschädigung wird in dem "Urban Property Law" nicht genannt. Statt dessen behält sich der Staatsrat das Recht vor, den Standardwert des Bodens und des Grundbesitzes von Zeit zu Zeit zu bestimmen (Art. 32).

Es ist klar, daß der Staat dessen ungeachtet eine solche Machtfülle hat, daß er sogar die Eigentümer zur Räumung ihres Eigentums zwingen kann. Am wichtigsten ist: Das "Land Administration Law" (LAL) berechtigt den Staat, das Nutzungsrecht von Grund und Boden zu entziehen, wo er den Boden "um des öffentlichen Interesses willen" braucht oder zum Zwecke des "Umbaus alter Stadtteile und zur Umsetzung städtischer Bebauungspläne" (Art. 58). Nach dieser Vorkehrung des LAL braucht die Entschädigung der Landnutzer nur "angemessen" zu sein. Damit wird es sehr ungewiß, ob unter diesen Umständen private Grundeigentümer wirklich eine Entschädigung erhalten, die dem Wert ihres Grundbesitzes entspricht.

Einige chinesische Provinzen haben auch administrative Verfügungen über den Abbruch und die Entfernung von Häusern in Stadtgebieten erlassen, aber es ist unklar, ob dies auch in der TAR und den anderen Provinzen mit tibetischer Bevölkerung der Fall ist. Im großen und ganzen scheint es, daß dort, wo in urbanen Regionen Privathäuser Stadtentwicklungsplänen oder aus anderen "Gründen im öffentlichen Interesse" weichen müssen, ihre Besitzer kaum einen Schutz haben. Wie dem auch sei, es gibt überhaupt nur wenige tibetische Grundeigentümer in den Städten, weshalb die Pächter betreffenden Rechte für diesen Report relevanter sind.

II.1.8

Das Hukou System

Das hukou genannte Registrierungssystem durch die Behörden ermöglicht es der PRC, die Freizügigkeit ihrer Bürger einzuschränken, sowie die Wahl ihres Wohnortes und ihrer Wohnweise zu bestimmen. Im Allgemeinen sollen durch den hukou die Leute auf dem Lande, die gerne in die Stadt ziehen würden, daran gehindert werden. In den von Tibetern bewohnten Gebieten dient das hukou-System hauptsächlich dazu, die Landbevölkerung davon abzuhalten, eine Arbeitsmöglichkeit in der Stadt zu suchen. Gleichzeitig hat die PRC die strenge Anwendung des hukou-Systems für chinesische Migranten, die in die TAR oder in tibetische Provinzen (die jetzt chinesische sind) umziehen, gelockert. Als Ergebnis hiervon sehen sich Tibeter strenger staatlicher Kontrolle und der Einschränkung der Freizügigkeit unterworfen, während die chinesischen Neusiedler wieder einmal im Vorteil sind.

Im vergangenen Jahrzehnt sind viele Tibeter, die ihren Lebensunterhalt als Bauern oder Nomaden nicht mehr bestreiten konnten, in die städtischen Gebiete abgewandert, wo sie hofften Arbeit zu finden. Aber vom Staat werden sie nur angestellt, wenn sie zumindest einen temporären städtischen hukou haben. Temporäre hukous, also zeitlich begrenzte Registrierungsscheine, werden gewöhnlich nur ausgestellt, wenn eine Person einen Arbeitsplatz in der Gegend gefunden hat, für die sie sich zuvor um eine Umzugserlaubnis beworben hatte. Eine Anstellung bei der Regierung oder in staatseigenen Unternehmen ist für Tibeter vom Lande, deren landwirtschaftliche Fähigkeiten für eine Arbeit in der Stadt nutzlos sind, die des Chinesischen nicht mächtig sind, die keine einflußreichen Beziehungen in den chinesisch dominierten Städten besitzen und die in vielen Fällen nur Grundschuldbildung haben, schlicht unmöglich(37). Auch Arbeit im privaten Sektor zu finden, ist sehr problematisch geworden, besonders ein eigenes Geschäft zu eröffnen, was eine ganze Reihe von Geschäftslizenzen, Startkapital und Sicherheiten für Bankkredite erfordert(38).

Tibeter, die keinen städtischen hukou haben, werden leicht von den Behörden belästigt und schließlich ausgewiesen. Personen ohne einen städtischen hukou können jeder Zeit aufgrund der Verordnung "Untersuchungshaft und Rückführung" (Custody and Repatriation) Opfer willkürlicher Administrativhaft werden. Diese Klausel gestattet den städtischen Behörden, Personen, die nicht die richtige Haushaltsregistrierung besitzen, festzuhalten und sie von der Stadt zu ihrem Herkunftsort zurückzuschicken(39). Sie gibt der Polizei in der Tat freie Hand, jede Person zu schikanieren, in der sie eine Störung von Gesetz und Ordnung wittern.

Auf den Straßen von größeren Städten werden Tibeter immer wieder von der Polizei zur Ad-hoc-Überprüfung ihrer Registrierungsausweise angehalten(40). In Lhasa durchkämmen die chinesischen Behörden die Wohnungen von Tibetern regelmäßig nach "nichtautorisierten Bewohnern". Das Motiv bei den Durchsuchungen und Ausweisungen ist meistens die Absicht, politischen Dissens auszumerzen. Am 21. März 1989, während in Lhasa das Kriegsrecht herrschte, wurde allen Tibetern ohne Wohnrecht - schätzungsweise bis zu 40.000 Personen - befohlen, die Hauptstadt zu verlassen und an ihre Herkunftsorte zurückzukehren(41). Dem TCHRD wird immer wieder von polizeilichen Überprüfungen der hukous in tibetischen Privatwohnungen berichtet, wobei das Ganze oft zu Festnahmen wegen des Besitzes von "separatistischem" Material, wie Photos, Videos oder Schriften des Dalai Lama führt(42).

Diese mit der Absicht der Einschüchterung vorgenommenen Durchsuchungen stellen, was auch immer ihr Motiv sein mag, eine deutliche Verletzung des Menschenrechtes auf ein Privatleben dar, das ein integraler Bestandteil des Rechtes auf den Schutz der Familie und des eigenen Heims vor Übergriffen ist. Vom Art. 10 der chinesischen Verfassung wird das Recht auf ein Privatleben ebenfalls garantiert.

Während das Registrierungssystem die Tibeter einer strengen Kontrolle durch den Staat unterwirft, hat die Zentralregierung es für chinesische Neusiedler, die auf Arbeitssuche nach Tibet kommen, gelockert. Um im Rahmen der Entwicklungspläne Pekings neue Siedler nach Tibet zu locken, erhalten chinesische Zuwanderer entweder einen permanenten oder temporären hukou, dank dessen sie sofort eine Wohnung und Arbeit bekommen. Die "die Entwicklung der westlichen Region betreffende Durchführungsverordnung für politische Maßnahmen", welche im Dezember 2001 erlassen wurde, ist, was die hukou Registrierung chinesischer Migranten in Tibet anbelangt, sehr flexibel.

Personen, die mit einer Entwicklungsaufgabe von nationaler Bedeutung oder einem Schlüssel-Entwicklungsprojekt betraut werden, brauchen ihre Wohnort-Registrierung nicht zu übertragen, und sie können die Zugehörigkeit zu ihrer ursprünglichen Einheit beibehalten: "Die westliche Region muß die Reform von Personal, Arbeit und Anheuerungssystemen vorantreiben und Bürgern aus anderen Landesteilen erlauben, Geld zu investieren, Geschäfte zu machen und an der Entwicklung teilzuhaben, ohne daß sie ihre Wohnort-Registrierung ändern brauchen"(43).

Obwohl hier die Rede von der Anwerbung von Fachkräften ist, ist es ein Ziel der Innenpolitik, normale chinesische Arbeiter zum Umzug in die "verarmten" westlichen Regionen, wozu auch Tibet zählt, zu bewegen(44). So erhalten chinesische Arbeiter, die bei den Infrastrukturprojekten in den westlichen Regionen Arbeit suchen, zumindest einen temporären Registrierungsausweis - oder gar einen permanenten. Hier besteht ein deutlicher Kontrast zu den Schwierigkeiten ländlicher Migranten, die in den östlichen Regionen Chinas in die Stadt ziehen wollen.

Bürger aus ländlichen Regionen in ganz China können deshalb sofort einen Stadt hukou bekommen, wenn sie in tibetische Stadtgebiete ziehen wollen, während die tibetische Landbevölkerung von demselben Angebot ausgeschlossen bleibt. Dies ist ein klarer Verstoß gegen die in der chinesischen Verfassung verbürgte "Garantie" der Rassengleichheit; ebenso ist es ein Verstoß gegen das Gebot der Nichtdiskriminierung, das ein Element des Rechtes auf angemessene Behausung darstellt, das in dem ICESCR enthalten ist; und somit wird auch die "Internationale Übereinkunft über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung" (ICERD) verletzt.

II.1.9

Die möglichen Auswirkungen der Reform des Wohnungswesens

Von Mitte bis Ende der 90er Jahre erfolgte ein radikaler Wandel in der Wohnungspolitik Chinas. Von da an wurde Wohnraum von der Regierung nicht mehr als ein zentrales soziales Gut wahrgenommen, das allen Bürgern zusteht, sondern eher als eine Ware. Während das chinesische Wohnungswesen schon vor diesen Reformen einiges zu wünschen übrig ließ und durchaus nicht allen Bürgern eine angemessene Unterbringung bot, wird befürchtet, daß durch eine Privatisierung des Wohnungsmarktes diese Unzulänglichkeiten nicht beseitigt, sondern vielmehr die dem System bereits inhärenten Ungleichheiten vertieft werden, besonders was benachteiligte Volksgruppen wie die Tibeter anbetrifft. Am meisten werden die Mieter diese Diskrepanz zu spüren bekommen, die weiterhin auf das öffentliche Wohnungswesen angewiesen sind oder die sich gezwungen sehen, in dem neu entstehenden privaten Wohnungssystem ein Mietverhältnis einzugehen(45).

2001 warnte der Sonderberichterstatter für angemessene Unterbringung, daß eine Privatisierung des Wohnungs- und Immobilienmarktes zu einer verstärkten Marginalisierung von benachteiligten Gruppen führen könnte, "wie es die wachsende Anzahl von Leuten deutlich macht, die mit der Bodenspekulation, dem privaten Wohnungsmarkt, der Einführung von Nutzungsgebühren für Versorgungseinrichtungen wie Wasser und Kanalisation, Elektrizität und damit ihre Probleme haben, daß die Höchstgrenzen für den Erwerb von Grundstücken und die Mietkontrollgesetze außer Kraft gesetzt oder ergänzt wurden"(46).

Eben das scheint nun in ganz China und Tibet der Fall zu sein. Beim öffentlichen Wohnungssystem waren die Mieten üblicherweise niedrig, gewöhnlich lagen sie unter 1 % des Durchschnittseinkommens(47). Bedingt durch die Reformen im Wohnungswesen steigen die Mieten nun allmählich an, so daß sie 2000(48) schon 10-15 % des durchschnittlichen Einkommens erreichten . Für viele Tibeter bedeutet eine solche Miethöhe, daß sie sich keine Wohnung in Staatsbesitz mehr leisten können.

Seit dem 31. Dezember 1998 teilt die Wohnungsbehörde der PRC neuen Einwohnern keine bezuschußten Wohnungen mehr zu. Von Bürgern, die eine Wohnung mit öffentlicher Trägerschaft haben möchten, werden ständig steigende Mieten verlangt, die für sie völlig außerhalb des Erreichbaren liegen. Die Mieten auf dem freien Wohnungsmarkt in Lhasa liegen schätzungsweise bei 50 % des Durchschnittseinkommens der in der Altstadt wohnenden Tibeter - sie sind buchstäblich 100 Mal so hoch wie ihre bisherige Miete(49).

Es zeichnet sich bereits ab, daß die Förderung eines privaten Wohnungsmarktes in Tibet die Chancenungleichheit zwischen chinesischen Neusiedlern und Tibetern vertiefen wird. Immer häufiger erwerben nun chinesische Geschäftsleute und andere Neusiedler auf dem ganzen Tibet-Qinghai-Hochland Grund und Boden und Immobilien in den Städten. Die tibetischen Einwohner werden dadurch zunehmend Probleme bekommen, da sie auf dem Immobilienmarkt einfach nicht konkurrenzfähig sind. Erschwerend kommt hinzu, daß die gegenwärtige Form der Eintragung von Landbesitz vage ist und keine Sicherheit bietet.

In Lhasa, Shigatse und anderen Stadtgebieten in ganz Tibet richteten die Behörden auf Distriktebene Grundbücher ein, in denen Grundbesitzer und Pächter eingetragen werden; nach dem LAL muß nämlich jede Übertragung von Landnutzungsrechten registriert werden(50). In dem ländlichen Tibet hat sich das Registrierungssystem jedoch noch nicht eingebürgert, und die Leute tätigen ihre Transaktionen meistens auf informelle Weise. Wohnungsmarktexperten bemerkten, daß diese Ungenauigkeit des Registrierungssystems es den Bürokraten möglich macht, es zu ihrem eigenen Vorteil auszunutzen(51). In einem Klima rassisch bedingter Diskriminierung ist es sehr wahrscheinlich, daß sich ein solches System zum Nachteil der Tibeter auswirken wird, denn es mangelt ihnen an den notwendigen Beziehungen, finanziellen Mitteln und Bildung - alles Dinge, welche die chinesischen Siedler haben.

Ein Interview des TCHRD liefert ein Beispiel hierzu: Ein Tibeter aus dem Distrikt Sog, Präfektur Nagchu, wurde buchstäblich aus seinem Haus und Geschäft hinausgeworfen, weil plötzlich die Registrierungspflicht für die Übereignung von Landnutzungsrechten zwingend wurde(52). Er erzählt:

"Ich bewohnte mit meiner Familie ein Häuschen, in dem ich auch einen kleinen Laden betrieb. 1997 erwarb ich das Häuschen für 30.500 Yuan. Bei der Übereignung bescheinigte mir der bisherige tibetische Eigentümer privat, daß ich nun der Eigentümer der Immobilie sei. In unserer Gegend waren solche privaten Bescheinigungen die lange geübte Praxis gewesen, obwohl die Regierung in Lhasa und größeren Städten verlangte, daß Immobiliengeschäfte behördlich registriert werden.

1998-99 begannen die Chinesen damit, alte tibetische Läden um den Marktplatz von Sog zu demolieren, denn sie wollten sie durch neue Geschäfte im chinesischen Stil ersetzen. Die Behörden teilten mir mit, der Boden, auf dem mein Laden steht, gehöre der Regierung der PRC und nicht mir, weshalb sie mit ihm verfahren könnten, wie es ihnen beliebt. Sie behaupteten auch, von einer Registrierung fehle jede Spur, weshalb ich kein Recht auf eine Entschädigung habe und die Entscheidung der Regierung nicht anfechte könne. 1999 wurden wir daher zur Räumung gezwungen, ohne daß wir entschädigt worden wären".

So ist auch die Privatisierung des Wohnungs- und Immobilienmarktes in die Reihe politischer Maßnahmen einzureihen, die sich unterschiedlich auf die Tibeter und die in Tibet ansässigen Chinesen auswirkt.

II.1.10

Stadtumbau führt zu Zwangsräumungen

Ebenso wie das Landzuteilungssystem ist die Planung und Entwicklung der Stadtgebiete Tibets eine sehr einseitige Sache. Die chinesischen Behörden benutzen das Modewort "Entwicklung" als einen Vorwand, um die "alten" Stadtteile, wo die Mehrheit der Tibeter wohnt, zu vernachlässigen oder, was noch schlimmer ist, ganz abzureißen. Viele dieser Gebäude wurden von den Behörden jahrzehntelang vernachlässigt, weshalb man sie jetzt leicht als "baufällig" oder "ungesund" bezeichnen kann. Aus ihren Ruinen schießen dann die einförmigen chinesischen Betonplattenbauten hervor, die aus Wohneinheiten bestehen, die dann zum doppelten Preis der alten Einheiten verkauft oder vermietet werden und deshalb für die durchschnittliche tibetische Familie unerschwinglich sind.

Lhasa und Xining sind die größten Städte auf dem tibetischen Hochland. Obwohl Xining, die Hauptstadt von Qinghai (Amdo), eine Einwohnerzahl von annähernd einer Million hat, gibt es dort kaum Wohnungen für Tibeter, deren Bevölkerungsanteil gering ist(53). Deshalb ist Lhasa die Stadt mit dem größten Anteil städtischer Wohnungen für Tibeter.

Wenn man bedenkt, welche zentrale Bedeutung Lhasa für das religiöse und politische Leben des alten Tibet hatte, überrascht es nicht, daß gerade diese Stadt durch die chinesische Besatzung Tibets ungeheuer verändert wurde. 1949 hatte die Stadt Lhasa eine Ausdehnung von unter 3 km² und eine Bevölkerung von 30.000, bei nur 600 Häusern(54). 1980 stellte die Zentralregierung einen Entwicklungsplan für Lhasa auf, dessen Ziel bis zum Jahr 2000 eine Einwohnerzahl von 200.000 bei einer bebauten Fläche von 42 km² vorsah(55).

2002 übertrifft die Ausdehnung der Stadt indessen weit Pekings Zielsetzung von 1980: Sie beträgt 53 km² bei einer Einwohnerzahl von schätzungsweise 400.000(56). Der Bevölkerungswachstumsquotient im letzten Jahrzehnt liegt mindestens fünf Mal so hoch wie der offiziell genannte landesweite Durchschnitt von 1,07 %(57). In der Zeit von 1994 bis heute erfolgte die Neugestaltung Lhasas in noch viel schnellerem Tempo. 1998 verkündete China stolz, daß "seit den achtziger Jahren in Lhasa über 300.000 m² alter Wohnsubstanz erneuert wurde und 5.226 Haushalte in neue Wohnungen umgezogen sind"(58).

Praktisch bedeutete dies jedoch die Zerstörung der älteren tibetischen Häuser in der Altstadt von Lhasa (Shol und Barkhor), welche die meisten Tibeter der Stadt beherbergt. Lhasa wird als eigentlich aus zwei Städten bestehend beschrieben: ein gedrängter tibetischer Stadtkern - alles, was von dem Lhasa von vor 1959 übrig ist – und eine viel größere moderne chinesische Stadt, die so angewachsen ist, daß sie die stetig schrumpfende tibetische Altstadt nun völlig umschließt(59).

Die Bewohner der alten Häuser ziehen nicht automatisch in die neuen Gebäude um. Am 24. und 25. April 2002 wurden in einem tibetischen Quartier in der Nähe des Barkhor, etwa drei Gehminuten vom Jokhang Platz entfernt, zwei Häuserblocks demoliert. Sie wiesen viele traditionelle tibetische, sowie einige neuere, jedoch vor einigen Jahrzehnten im tibetischen Stil gebaute Häuser auf. Man schätzt, daß mindestens 75 Familien, also bis zu 400 Personen, von denen die meisten, wenn nicht gar alle, Tibeter sind, weichen mußten. Manche lebten schon generationenlang in dem Gebäude. Die meisten wohnten zur Miete dort, doch einige waren wirklich auch die Besitzer der Immobilien.

Wie Beobachter feststellten, waren die Gebäude tatsächlich in einem gewissen Ausmaß renovierungsbedürftig, doch waren sie robust gebaut, die Wohnungen waren verglichen mit anderen tibetischen Wohnhäusern in Lhasa von akzeptabler Größe und hätten noch viele Jahrzehnte überdauert, wenn sie gebührend unterhalten oder renoviert worden wären. Wichtig für viele Bewohner war, daß ihre Häuser im tibetischen Stil gebaut waren und Räume hatten, die auf einen Gemeinschaftshof hinausgingen.

In den neuen Gebäuden, die ihre alten Häuser ersetzen sollen, wurden ihnen alternative Unterkünfte angeboten, aber gleichzeitig wurde ihnen erklärt, daß die Miete oder der Kaufpreis viel höher und die Wohnungen viel kleiner als in ihren bisherigen Häusern seien. Beispielsweise wurde einer Familie mit einer eigenen Wohnung eine Entschädigung von 50.000 Yuan geboten, doch der Erwerb einer der neuen Wohnungen würde sie mindestens 160.000 Yuan kosten.

Den Bewohnern wurden von dem Wohnungs-Verwaltungs-Komitee nur fünf Tage zur Räumung gegeben. Appelle an das Komitee wurden ignoriert. Man konnte beobachten, wie tibetische Familien in diesen fünf Tagen ihr Hab und Gut hastig aus ihren Wohnungen holten, es auf Lastwagen, Jeeps und Fahrrad-Rikshas luden und damit wegfuhren.

Ein Augenzeuge des Geschehens, der mit einer zur Räumung gezwungenen tibetischen Frau sprach, erzählt, sie habe in den ältern Häusern der Wohnungsbehörde, wo die Mieten allgemein billiger sind, nach einer Wohnung gesucht, aber es hätte keine leeren Wohnungen gegeben. Schließlich fand sie in einem der neuen Gebäude, wo die Miete 300 Yuan pro Monate beträgt, Unterschlupf, aber diese Frau verdient nur 600 Yuan im Monat, wovon sie zwei Kinder ernähren muß(69).

Diese Räumungsbefehle stellen eine deutliche Verletzung des im ICESCR verbürgten Rechtes auf eine angemessene Unterkunft dar, besonders des Verbots von Zwangsräumungen. Zusätzlich hat die Zerstörung der älteren, typisch tibetischen Häuser und ihre Ersetzung durch neue Häuser chinesischen Stils, einhergehend mit einer Verteuerung der Wohnungen einen diskriminierenden Effekt auf die Tibeter und steht ebenso im Widerspruch zum ICERD. Das TCHRD meldete dem Sonderberichterstatter für angemessene Unterkunft, daß nur wenige Tibeter in der Lage sein werden, sich Wohnungen in den neuen Wohnungseinheiten zu leisten. Durch den Abriß der traditionellen Häuser in Lhasa werden die Tibeter in der Tat aus dem Stadtkern verdrängt. Es besteht kein Zweifel, daß reichere chinesische Zuwanderer an ihre Stelle treten werden.

Als Schlußfolgerung drängt sich auf, daß die Regierung diese Gebäude absichtlich so herunterkommen ließ, damit sie einen Vorwand zu ihrem Abbruch und zur Zwangsräumung hat, um den so gewonnenen Wohnraum einer lukrativeren Verwendung zuführen zu können. Einschlägige Studien zeigen, daß die Instandsetzung älterer Gebäude tastsächlich weniger als der komplette Neubau von Häusern kostet(61). Daß die chinesische Regierung die Möglichkeit einer Instandsetzung nicht einmal in Betracht zieht, beweist, daß ihr Ziel weniger die Verbesserung der Wohnverhältnisse als die Verdrängung der Tibeter aus dem eigentlichen Immobiliensektor Haupteigentümer ist.

II.1.11

Verlust des kulturellen Erbes

Diese Zwangsräumungen und die nachfolgende Demolierung der Gebäude stellen nicht nur eine Verletzung des Rechtes auf Besitzschutz dar, sondern sie verstoßen auch gegen das Recht, in kulturell angemessenen Häusern zu wohnen - dem siebten Grundsatz des Rechtes auf angemessene Unterkunft. Der Verlust des kulturellen Erbes ist auch ein Verstoß gegen die "Agenda 21", die vorsieht, daß Städte mit der örtlichen Anwohnern zusammenarbeiten sollen, um die "älteren Gebäude, die historischen Bezirke und andere Kulturgüter zu erhalten"(62).

Bisher respektierte China nur selten den Grundsatz der Erhaltung traditioneller Bausubstanz in Tibet. Der Kulturrevolution fielen Tausende von bedeutenden religiösen und säkularen Gebäuden zum Opfer, und auch heute noch erleidet Tibet einen kontinuierlichen Verlust seines einzigartigen baulichen Erbes, was nirgends mehr zutage tritt als in der Innenstadt von Lhasa.

Obwohl in den touristisch orientierten 80er Jahren Lhasa zu einer der "historischen Städte Chinas" erklärt wurde, sieht der Entwicklungsplan die Zerstörung der "alten Stadt" vor, wobei nur der Jokhang und der Ramoche Tempel, sowie eine Handvoll historischer Häuser verschont bleiben sollen. Die Bauordnung "Historische Stadt", die festlegte, daß alle neuen Bauvorhaben im Bereich der Altstadt "nationale Charakteristika" aufweisen müssen, bedeutet jetzt kaum mehr, als daß "neuen Fassaden ein Anstrich im tibetischen Stil verpaßt wird"(63). Ein hoher Prozentsatz der historischen Gebäude Lhasas wurde zwischen 1980 und 1993 abgerissen(64). Und seit 1993 wurden jedes Jahr schätzungsweise 35 historische Gebäude zerstört(65). Um 1998 standen von den 600 Häusern, die man 1949 in Lhasa vorfand, nur noch 200(66).

Trotz der größtmöglichen Anstrengungen internationaler Organisationen zur Rettung traditioneller tibetischer Baudenkmäler und Wohnhäuser gehen die Abbruchaktionen unvermindert weiter. 1994 setzte die UNESCO den Potala Palast auf die Liste des Weltkulturerbes, und 2001 erhielten auch der Jokhang Tempel und der Norbulingka Schutzwürdigkeit als Weltkulturerbe(67). Die PRC rühmt sich des vielen Geldes, daß sie zur Restaurierung dieser Stätten ausgibt(68). Sinnigerweise erwähnt sie jedoch nicht, daß das Weltkulturerbe-Komitee der chinesischen Regierung nahegelegt hat, die Ernennung des historischen Dorfes Shol und des Chakpori Hügels zum Kulturerbe zu erwägen (69), und sie außerdem ersuchte, bei baulichen Veränderungen in unmittelbarer Nähe der Welterbestätten, die vom "Entwicklungsdruck in der Stadt" geboten werden, Maß zu halten(70). Bislang hat die Regierung in Peking noch niemals Wohngebäude oder Wohnviertel in Tibet für die Liste des Weltkulturerbes vorgeschlagen.

Entwicklungspläne, welche die Zerstörung der traditionellen Häuser der Einheimischen oder ethnischer Minderheiten und statt dessen den Bau neuer Gebäude im modernen Stil vorsehen, welche die Traditionen und Bedürfnisse dieser Minderheiten mißachten, verstoßen gegen die siebte Komponente des Rechts auf angemessene Unterbringung, wie sie von dem Komitee für Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte formuliert wurde. Die traditionelle tibetische Bauweise der Wohnhäuser tat auch kulturellen Werten Genüge, indem etwa die einzelnen Familien in den zentralen Innenhöfen miteinander kommunizieren konnten. Außerdem war sie so konzipiert, daß dem Landschaftsbild kein Abbruch geschah. Die heutigen neuen Gebäude in den tibetischen Städten und die Siedlungen, die überall auf dem Hochland entstehen, zeigen hingegen keinerlei Achtung für die traditionelle Kultur, das Klima oder die Lebensweise der Tibeter.

II.1.12

Schlussfolgerung

Seit 1949 wird den Tibetern das Eigentum an ihrem eigenen Grund und Boden, sowie die tatsächliche Kontrolle darüber vorenthalten. Ob es sich nun um Chinas Neufassung der Karte Tibets, die Massenkonfiszierung von Grund und Boden oder die Einführung einer neuen Landpolitik und das Diktat von Richtlinien für das Ressourcenmanagement handelt, die Tibeter haben dazu, wie ihr eigenes Land genutzt wird, kaum etwas zu sagen. Kulturell angemessene und ökologisch nachhaltige Systeme der Landnutzung und des Häuserbaus werden bis auf den heutigen Tag unvermindert durch Pekings Politik zerstört. Das Wissen und die kulturellen Werte, die auf diese Weise ausgelöscht werden, bedeuten nicht nur für das tibetische Volk, sondern schließlich für die ganze Welt einen riesigen Verlust.

Zurückzuführen ist der ganze Mißstand der ungleichen Behandlung und Diskriminierung beim Land- und Wohnungswesen auf den ständigen Zustrom chinesischer Einwanderer nach Tibet. Was die Unterbringung betrifft, so ist das dominierende Problem für die Tibeter die ungleiche Behandlung und massive Diskriminierung bei der Vergabe, dem Bau und der Beschaffenheit der Wohnungen. Tibeter haben einfach nicht denselben Zugang zu Dienstleistungen wie Chinesen. Bei der Planung von Neubauten, damit diese im Gegensatz zu Pekings "Entwicklungsplänen" ihren kulturellen Bedürfnissen entsprechen würden, werden sie auch kaum zu Rate gezogen. Eine solche Diskriminierung und die unterlassene Bürgerbeteiligung widersprechen nicht nur der Forderung der "Habitat Agenda" nach "menschlichen Siedlungen, die angemessen sind", sondern auch dem Recht auf angemessene Unterbringung des ICESCR und den allgemeinen Verfügungen über Gleichberechtigung und Nicht-Diskriminierung der UDHR (Allgemeine Erklärung der Menschenrechte).

Teil II

II.2.1.

2. Das Recht auf Lebensunterhalt

Einführung

Obwohl nicht ausdrücklich im ICESCR erwähnt, ist das Recht auf Lebensunterhalt auch in den Grundsätzen dieses Völkerrechtsvertrages fest verankert. Es liegt den Artikeln zu Grunde und umfaßt solche Rechte, wie das der Völker, nicht ihrer Existenzmittel beraubt zu werden (Art. 1.2), das Recht auf Arbeit (Art. 6.1), das Recht auf gerechte Entlohnung und gleichen Lohn für gleiche Arbeit (Art. 7) und vor allem das Recht auf einen angemessenen Lebensstandard, wozu auch eine ausreichende Ernährung gehört (Art 11).

Sogar in der chinesischen Gesetzgebung gibt es Bestimmungen zur Gewährleistung des Rechtes auf Lebensunterhalt. Art. 13 der chinesischen Verfassung sieht vor: "Der Staat schützt das Recht der Bürger auf Eigentum an ihrem legal erworbenen Einkommen, ihren Ersparnissen, Häusern und anderem rechtmäßigen Vermögen".

Diese Bestimmungen stehen zwar auf dem Papier, doch ihre Durchsetzung in der Form geeigneter Schutzmechanismen läßt sehr zu wünschen übrig. Aus den Zeugnissen neu eingetroffener tibetischer Flüchtlinge wird ersichtlich, daß gerade diejenigen, deren Aufgabe die Wahrung dieser Rechte wäre, es sind, die sie hauptsächlich verletzen.

All den komplexen Problemen der Tibeter bei der Bestreitung ihres Lebensunterhaltes liegt die Tatsache zugrunde, daß die PRC das Recht der Tibeter auf Selbstbestimmung und die freie Gestaltung (s. Art. 1) ihrer wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung eben nicht anerkennt(71).

In dem "Bericht 2002 über menschliche Entwicklung in China" des UNDP (Entwicklungsprogramms der Vereinten Nationen) wird Tibet auf dem die PRC betreffenden Index für menschliche Entwicklung ziemlich weit unten eingestuft. Der Einkommens-Index in Tibet (0,5034) liegt sogar noch unter dem der Inneren Mongolei (0.5414), einer anderen armen Region der PRC(72). Tibet ist heutzutage eine der ärmsten und unterentwickeltsten der von Peking regierten Regionen. Zwischen dem Einkommen der Land- und der Stadtbevölkerung herrscht ein ungeheures Gefälle. Eine derartige Diskrepanz bei dem Einkommen läßt auf eine hochgradige, ethnisch definierte Ungleichheit zwischen Tibetern einerseits, die meistens auf dem Lande wohnen, und Han Chinesen und Hui Moslem Chinesen andererseits schließen, die zumeist die Städte bevölkern.

II.2.2

Die Lebenshaltung auf dem Lande

Besonders bei den Entwicklungsländern wird der Subsistenzbegriff (Lebensunterhalt, materielle Lebensgrundlage) mit landwirtschaftlichen Haushalten in Zusammenhang gebracht, die das meiste von dem, was sie produzieren, selbst konsumieren und relativ wenig Austausch mit der übrigen Wirtschaft haben. Genau dies trifft für das ländliche Tibet zu, denn der größte Teil der tibetischen Bevölkerung wohnt in ländlichen Gegenden.

Offiziellen chinesischen Statistiken zufolge leben rund 80 % der Tibeter auf dem Lande. Außerdem enthüllen die Statistiken über das durchschnittliche ländliche Einkommen der letzten Jahre, daß 80 - 90 % der Tibeter mit rund 1.000 Yuan pro Jahr auskommen müssen, d.h. sie leben unterhalb der Armutsgrenze, die bei 2.600 Yuan liegt. Trotz der Beteuerungen der PRC – und ihrer Erfolge bei der Linderung von Armut und Hunger in anderen Regionen Chinas – gibt es viele Anzeichen, daß in den tibetischen Gebieten Armut und Probleme des materiellen Lebensunterhalts alles dominieren und den Menschen das tägliche Leben zur Qual machen.

Abgesehen von den paar Städten ist Tibet fast ausschließlich ein Agrarland, wobei Ackerbau und Viehzucht die zwei wichtigsten Erwerbszweige sind. Getreide und Tierprodukte dominieren die landwirtschaftliche Produktion, doch schwanken die Erträge beträchtlich, was nicht nur den klimatischen Bedingungen zuzuschreiben ist, sondern auch dem unangebrachten und häufigen Kurswechsel in der Wirtschaftspolitik und den Investitionen im Laufe der Zeit(73). Nur indem sie neben dem Ackerbau auch Viehzucht und Handel treiben, können die Menschen ihren Lebensunterhalt bestreiten.

Die chinesische Propagandamaschine machte in letzter Zeit von Pekings neuen Plänen zur Diversifikation der Landwirtschaft in Tibet viel Aufhebens. Chinesischen Berichten zufolge wurde die mit Getreide bestellte Fläche um 4,7 % reduziert, während die mit Sparsaatgut um 3,2 % und die mit Futterpflanzen um 2,3 % vermehrt wurde(74). Maßnahmen wie diese, die ohne Absprache mit den Bauern erfolgen, gefährden ihre Einkünfte.

Am 12. November 2002 hieß es in einem Xinhuanet-Artikel, die TAR habe 16 Versuchsstationen für die Aufzucht von Ziegen, Yaks und Schafen eingerichtet. Die Region habe auch Kooperativen für den Einkauf von Gemüse, Milch, Butter und anderen von den Nomaden gelieferten tierischen Nebenprodukten gegründet. Tatsache ist, daß Tibet schon oft als ein landwirtschaftliches Testgebiet benutzt wurde, und daß sich Experimente mit neuen Formen des Ackerbaus und der Viehzucht, die für das tibetische Ökosystem und die Umwelt ungeeignet sind, verheerend auswirkten. Erforderlich wäre hingegen eine weniger von der Zentralregierung bestimmte Politik und mehr Beteiligung der Tibeter bei der Suche nach passenden Lösungen ihrer Probleme auf lokaler Ebene.

II.2.3

Keine Nahrungsmittelsicherheit

Der Art. 11(1) des ICESCR lautet: "Die Vertragsstaaten .... erkennen das Recht eines jeden auf... ausreichende Ernährung und (2) das Recht, vor Hunger geschützt zu sein, an, sie werden ... die erforderlichen Maßnahmen.... durchführen".

China erklärt immer wieder, ein Hauptziel seiner Entwicklungspolitik sei es, Tibet in der Nahrungsmittelproduktion autark zu machen(75). Tibets lange Geschichte seiner Selbstversorgung mit Nahrungsmitteln endete 1950 mit der chinesischen Invasion. Heutzutage ist die Armut auf dem tibetischen Hochland infolge der chinesischen Politik, den Bauern und Nomaden etwaige Überschüsse und gar noch das, was sie für ihren Eigenbedarf brauchen, wegzunehmen, weitverbreitet. Die den Bauern auferlegte Steuerlast - gewöhnlich in Form von Naturalien (ein festgesetzter Prozentsatz der Ernten und Tierprodukte) - ist übermäßig hoch, so daß die einzelnen Familien oft nicht mehr genug zum Essen haben.

Außerdem hörte das TCHRD von Fällen, wo die Behörden vorschrieben, was die Bauern auf ihren Feldern anzubauen haben. Ein Bauer aus dem Distrikt Labrang, TAP Gannan, Provinz Gansu, berichtete beispielsweise, daß die Behörden sie zwingen, Bäume zu pflanzen: "Wir müssen auf dem Feld, wo wir für gewöhnlich Gerste und Weizen anbauen, nun plötzlich Bäume pflanzen. Einige Familien müssen auch Gras anpflanzen, während andere Bäume setzen müssen. Geld geben sie uns überhaupt keines, sie kommen nur, um unsere Arbeit zu inspizieren"(76).

Viele der von uns Interviewten, erzählten uns, daß sie nach Zahlung der Steuern und der anderen willkürlich eingeforderten Abgaben fast nichts mehr für ihren eigenen Bedarf übrig behielten. Das erwirtschaftete Einkommen der Bauern ist zu niedrig, als daß sie Nahrungsmittel und andere Gebrauchsgegenstände auf dem offenen Markt kaufen könnten. Sie müssen oft Geld leihen, um auch nur das Lebensnotwendigste bezahlen zu können.

Die Bauern in den Dörfern sind auf ein System der Selbstversorgung angewiesen, um überleben zu können. Der Ertrag ihrer Felder ist sehr kärglich, und sie hängen, was die Bewässerung betrifft, nur vom natürlichen Niederschlag ab. Zahlreiche mit gerade im Exil angekommenen bäuerlichen Flüchtlingen geführte Interviews bestätigen, daß von der Regierung kaum Anreize in Form einer Anlage von Bewässerungssystemen oder der Zurverfügungstellung von Düngemitteln zu erwarten sind. Im Gegenteil, tibetische Bauern und Nomaden sehen sich überdies gezwungen, einen gewissen Teil ihres Ernteertrags, ihres Viehs und ihrer Tierprodukte an den Staat zu verkaufen, und zwar zu einem Bruchteil ihres eigentlichen Marktwertes. So erzählte uns etwa Tsetan Dolma (32) aus der TAP Karze:

"Nach der Ernte von Gerste und Erbsen müssen wir 1.000 gyama Gerste und 500 gyama Erbsen an die Behörden abführen. Die Menge richtet sich nach der Größe des jeweiligen Haushaltes, wobei wir eine Familie von 13 Personen sind. Für diese 1.000 gyama gibt uns die Regierung nicht einmal die Hälfte des Marktpreises, d.h. wir erhalten pro 100 gyama Gerste nur 30 Yuan und für die abgelieferten 500 gyama Erbsen überhaupt nichts. Auf dem Markt würden 100 gyama Gerste 80 Yuan einbringen"(77).

II.2.4

Die Politik der Sesshaftmachung und Einzäunung der Weideflächen

Was die Weidewirtschaft betrifft, so bezweckt die Politik der PRC einen Übergang von dem System der gemeinschaftlichen Weidegründe auf individuelle ranchartige Viehzucht-Unternehmen, wo die einzelnen Nomaden auf einen gewissen Landstreifen beschränkt bleiben. Vielfältige Gründe wurden für diese Veränderung in der Landnutzung angeführt. Historisch gesehen hat China schon immer Weideland als Ödland und Viehhirten als primitive Leute betrachtet. Die jeweiligen Zentralgewalten versuchten beständig im Rahmen ihrer Bemühungen, die Hirtenvölker zu "zivilisieren" und die Nomaden seßhaft zu machen. Die PRC behauptet nun, durch eine solche Maßnahme würde das Land vor Überweidung geschützt und könne effizienter genutzt werden.

In den achtziger Jahren merkte China, daß die erzwungene Kommunalisierung der Weidegründe eine Katastrophe war. Die Bodenverschlechterung, Desertifikation und Versalzung des Weidelandes rührt von den 60er und 70er Jahren her, als riesige Herden auf ihm weideten, welche die Belastbarkeit eines frostigen Hochlandes, das von plötzlichen Blizzards heimgesucht und leicht Opfer einer nicht aufzuhaltenden Erosion wird, bei weitem überstiegen(78).

1985 wurde das Weideland-Gesetz der PRC rechtskräftig, womit ein neuer Versuch, die Nomaden durch Zuteilung von Land seßhaft zu machen, gestartet wurde. Der Zweck des Weideland-Gesetzes ist unter anderem, "in den nationalen autonomen Gebieten den Wohlstand der kommunalen Wirtschaft zu vermehren" (Art 1). Grundsätzlich gehört alles Weideland dem Staat, und die Kreisverwaltungen haben nur die Vollmacht, über die innerhalb ihrer Grenzen liegenden Weidegründe "zum Zwecke der Viehhaltung Verträge mit Einzelpersonen abzuschließen" (Art. 4). Streitigkeiten zwischen Einzelpersonen oder Landkreisen über die Abgrenzung der einzelnen Weideflächen sind von der Volksregierung zu beheben (Art. 6).

Die Zuteilung und Einzäunung der Weideflächen wird einfach aufgrund der geographischen Lage der Dörfer vorgenommen, ohne die Nomaden hinsichtlich einer gerechten Verteilung zu Rate zu ziehen. Hoch gelegenen Bergdörfern wird das sie umgebende Weideland zugeteilt, während Dörfer in niedrigerer Höhenlage das Land weiter unten bekommen. Der für eine effektive nomadische Viehhaltung erforderliche jahreszeitliche Wechsel wird somit unmöglich gemacht. Die Bewohner der tiefer gelegenen Gebiete haben in den warmen Monaten keinen Zugang zu den höheren Weidegründen, während diejenigen in höheren Lagen ihre Herden im Winter nicht mehr auf die weiter unten liegenden Weiden treiben können.

Die Politik der Umzäunung der Weidegründe und Seßhaftmachung der Nomaden wird in den Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan, die seit der Besetzung zu China gehören und wo ein großer Anteil der tibetischen Bevölkerung lebt, mit besonderem Nachdruck verfolgt. In der Tat wohnen mehr Tibeter außerhalb der TAR als innerhalb ihrer Grenzen. Nach der Auflösung der Kommunen wurden in diesen in die chinesischen Provinzen integrierten Gebieten die Herden an einzelne Familien verteilt. Doch erhielten sie nur das Nutzungsrecht für ein genau festgelegtes Stück Weideland, auf dem sie sich niederzulassen und eine permanente Behausung zu bauen hatten und das sie außerdem einzäunen sollten, wozu sie sich gewöhnlich in Schulden stürzen mußten(79). Einige Nomadenfamilien sahen sich wegen des begrenzten Weidelandes sogar genötigt, ihre Herden zu verkaufen(80) .

Von den Nomaden wurde erwartet, daß sie selbst für die Kosten der Umzäunung ihres Weidelandes aufkommen. Um die Einhaltung der Politik der Seßhaftmachung sicherzustellen, belegt die Regierung Nomaden, die dieser Anordnung keine Folge leisten, mit Geldstrafen. Khundrup, ein 28-jähriger Nomade aus der TAP Karze, Sichuan, erzählt, was er erlebt hat:

"Die Regierung ordnete an, daß die Weideplätze durch Zäune voneinander abgegrenzt werden sollten. Zu diesem Zweck mußten wir vom Staat Material für Zäune kaufen und diese selbst errichten. Der Betrag, den jede Familie für die Zäune entrichten mußte, wurde aufgrund der Anzahl der Tiere in ihrem Besitz berechnet. Eine Rolle Zaundraht kostet 1.500 Yuan. Meine Familie besaß 100 Stück Vieh, weshalb wir 6 Rollen Zaundraht für insgesamt 9.000 Yuan kaufen mußten. Da wir einen so hohen Betrag nicht zur Verfügung hatten, mußten wir von außerhalb Geld leihen. Falls wir den Zaun innerhalb der festgelegten Frist nicht fertig hätten, würden wir mit 300 Yuan pro Tag bestraft. Um dies zu verhindern, mußten wir den ganzen Tag schuften, manchmal bis unsere Hände bluteten, um die Zäune so schnell wie möglich hochzuziehen"(81).

Diese willkürliche Politik der Seßhaftmachung führte bereits zu einer Reihe von Zwistigkeiten zwischen den verschiedenen Haushalten. Infolge der Umzäunung und Umverteilung des Weidelandes sehen sich die Nomaden jetzt ganz neuen Problemen gegenüber, denn ein Stück Land ist zu trocken und ein anderes zu naß, auf dem einen wächst das Gras reichlich, auf dem anderen nur spärlich. Wie ein Nomade aus dem Distrikt Dzoge, TAP Ngaba, erzählt, laufen unter diesen Umständen "die Tiere von Hunger und Durst getrieben zum Zaun des Nachbarn und legen sich dort hin. Falls der Nachbar ein guter Mensch ist, läßt er die Tiere Wasser trinken und Gras fressen - im Austausch für etwas, das sein Stück Land nicht hergibt. Aber oft kommt es zu einem so heftigen Streit, daß die Sache vor Gericht landet"(82) .

2000 forderte ein Disput um Weideland zwischen Nomaden zweier Distrikte in der TAP Karze sogar mehrere Todesopfer(83). Nachdem den Beamten der Distriktverwaltung keine Schlichtung gelang, wurde Tulku Tenzin Delek aus Lithang zur Vermittlung geholt, damit nicht noch mehr Tote zu beklagen wären. Er wurde von den Behörden jedoch der ungehörigen Einmischung bezichtigt, und sie wollten ihn festnehmen(84).

Die PRC erklärt, die Seßhaftmachung der Nomaden und der Zwang zur Einzäunung der Weidegründe sei notwendig, um das Land vor Überweidung zu schützen und seine Ertragsfähigkeit zu steigern(85). Dieser Politik liegt die Annahme zugrunde, daß das traditionelle rotierende Weidesystem dem Land abträglich und, gemessen an der Quantität von Tierprodukten pro Quadratkilometer, keine effiziente Nutzungsweise sei(86). Internationale Experten, darunter auch die der Weltbank, belegen durch ihre Erkenntnisse jedoch immer mehr, daß hergebrachte Besitzsysteme, wie sie etwa bei den tibetischen Nomaden üblich waren, tatsächlich die nachhaltigsten und effizientesten für die Nutzung eines solchen Gebietes sind(87). Außerdem argumentiert die chinesische Regierung, die Seßhaftmachung habe der Bevölkerung nur Gutes gebracht, da arme Familien nun auch in den Genuß von Gesundheitsfürsorge und Bildung kämen, und die ganz Armen staatliche Unterstützung erhielten.

All diese Maßnahmen zur Seßhaftmachung taten indessen der Weidequalität großen Abbruch, weil bei dem unvorhersehbaren Klima des tibetischen Hochlands, wo die ständige Ortsveränderung ein Muß ist, die Herden ihre Beweglichkeit verloren haben und die Viehhaltung nicht mehr flexibel genug ist. Das Verbleiben an einem Ort führt zur Erosion der Weiden und mindert die Erträge, weshalb viele Familien jetzt völlig verarmt sind und Hunger leiden.

II.2.5

Ungenügendes Einkommen

Der Parteisekretär der TAR, Guo Jinlong, erklärte bei dem Vierten Arbeitsforum zu Tibet 2001, das Netto-Prokopf-Einkommen der Bauern und Viehhirten habe nun 1.410 Yuan erreicht - ein Zuwachs von 5,9 % im Vergleich zum Vorjahr(88).

Das Netto-Einkommen pro Haushalt lag im ländlichen Tibet im Jahr 1999 mit 1.331 Yuan niedriger als in allen anderen chinesischen Provinzen(89), obwohl ein Anstieg von etwa 22 Yuan gegenüber dem Vorjahr zu verzeichnen war. Die effektive Kaufkraft der ländlichen Einkommen in Tibet veränderte sich zwischen 1990 und 2000 überhaupt nicht(90). 1998 war sie sogar am niedrigsten in ganz China. Diese Stagnation bei den ländlichen Einkünften spricht Bände für die wirtschaftliche Situation der meisten Tibeter.

Tibeter auf dem Lande bestreiten ihren Lebensunterhalt nur von ihrem Grund und Boden. Für die meisten Bauern und Halbnomaden reicht der Ertrag ihres Bodens jedoch kaum noch für den Unterhalt ihrer Familien aus. Sehr oft müssen sie nach anderen Erwerbsquellen Ausschau halten. So wurde in manchen Gegenden das Sammeln des Raupenkeulenpilzes yartsa gumbhu (cordyceps sinensis) zu einer alternativen Einkommensquelle. Anderswo verlegten sich die Leute auf das Pflücken von droma (kleine süße Knollen) oder sie verdingten sich zu kleineren Bauarbeiten.

Doch auch das Suchen von yartsa gumbhu hat seine Haken. Ein aus bäuerlichem Milieu stammender 39-jähriger Tibeter aus dem Kreis Tengchen, Präfektur Chamdo, TAR, erzählt, wie undankbar dieses Geschäft sein kann: "In unserer Gegend pflegen wir yartsa gumbhu zwei Monate lang von April bis Juni zu pflücken. Dieses Jahr betrug die Ausbeute nur drei sang, was sehr wenig ist. 10 sang sind ein gyama. Überdies müssen wir 100 Yuan pro Person an die Kreisbehörden abführen. Dabei ist das Sammeln von yartsa gumbhu die Haupteinkommensquelle in unserer Gegend"(91).

Arbeitslosigkeit im eigentlichen Sinne gibt es auf dem Lande kaum, weil der größte Teil der Bevölkerung in der arbeitsintensiven Landwirtschaft gebraucht wird. Aber in der Zeit nach der Ernte haben die Leute nichts mehr zu tun. Das Einkommen auf dem Lande resultiert aus dem mageren Gewinn aus dem Ackerbau und es gibt kaum Möglichkeiten für eine anderweitige Erwerbstätigkeit. Es scheint sogar, daß sie verboten wurde, was die Armut zum Dauerzustand macht. Alternativen, wie etwa die Arbeit in Entwicklungsprojekten gibt es im Winter nicht, d.h. genau dann, wenn Arbeitsplätze am meisten gebraucht würden. Unterbeschäftigung ist daher allgemein, obwohl gerade der Winter eine geeignete Zeit wäre, um mit nicht dem Verderb unterworfenen ländlichen Erzeugnissen Gewinn zu machen, wie etwa der Wollverarbeitung. Aber es fehlt der notwendige Markt hierzu.

Außerdem hörte man von Zwangsarbeitsprogrammen, durch die Bauern und Nomaden gezwungen werden, etwa beim Straßenbau zu arbeiten, und bei Nichterscheinen bestraft werden. Ein aus Chentsa, TAP Malho, Qinghai, stammender Mitarbeiter der Forstbehörde erläuterte dem TCHRD: "Theoretisch darf im Jahr nur einen halben Monat lang offiziell Holz gefällt werden, und zwar fünf LKW-Ladungen pro Tag. Das übrige Jahr ist der Wald für das Holzgeschäft gesperrt. In der Praxis erhielt ich jedoch das ganze Jahr hindurch den Auftrag chinesischer Regierungsbeamter, den Wald zu 'säubern'. Das bedeutete, daß ich mir 20-30 Tibeter holen und zusammen mit ihnen Bäume fällen mußte, die dann auf Holzlastwagen nach China transportiert wurden. Keiner dieser Männer wurde für seine Arbeit bezahlt. Sie gilt nämlich als eine Art von 'Steuer' welche die Dörfer der Regierung schuldig sind. Doch durfte kein ortsansässiger Tibeter Holz zu seiner eigenen Verwendung fällen"(92).

II.2.6

Belastung durch Steuern

Chinas statistisches Jahrbuch 2001 läßt darauf schließen, daß die Einnahmen, welche die Regierung aus Tibet bekommt, unzureichend sind, und daß die Regierung diese Region in der Tat bezuschußt, um der Wirtschaft Auftrieb zugeben. Ein Großteil der erhobenen Steuern tritt wegen ihres willkürlichen Charakters offiziell gar nicht in Erscheinung Darüber hinaus geben die offiziellen Statistiken keine detaillierten Zahlen oder Aufschlüsselungen für die in den Verwaltungsbezirken oder auf kommunaler Ebene eingetriebenen Steuern.

Es scheint, daß die Erhebung von Steuern in vielen Provinzen von der Entscheidung und der Willkür der örtlichen Verwaltungsbeamten abhängt, wobei nicht klar ist, wie die verschiedenen Steuerarten und die Steuersätze festgesetzt werden und welcher Prozentsatz an übergeordnete Behörden abgeführt werden muß. Es gibt keine Pflicht zur Offenlegung, noch Bestimmungen, die einen Einspruch gegen die oft rigorosen und ungerechten Steuern ermöglichen.

In Anbetracht der geringen oder überhaupt nicht vorhandenen Korrelation zwischen dem für die Subventionen ausgegebenen Geld und der hohen Steuerbelastung der ländlichen Bevölkerung, muß man sich fragen, ob nicht die Steuerpolitik auch nur ein weiteres Mittel der Pekinger Bürokratie, ist, um sich die Tibeter unterwürfig zu machen. Diese Frage drängt sich besonders auf, weil die Einkünfte aus den Steuern überhaupt keinen wesentlichen Beitrag zur Wirtschaft leisten. Eine nähere Untersuchung des Lebens der in Armut lebenden Tibeter würde die Wirksamkeit der Besteuerung als Unterdrückungsinstrument deutlich beweisen.

Die Steuerpolitik betrifft fast jeden Aspekt des Rechtes auf Lebensunterhalt, angefangen bei den Abgaben auf Ernteerträge, Vieh, Wasser, Gras und Heilpflanzen bis zu Personen- und Bildungsabgaben. Obwohl das Recht auf Bestreitung des Lebensunterhalts gesetzlich verbrieft ist, werden die Mittel dazu drastisch beschnitten.

China selbst hat mit weitverbreiteter Unruhe auf dem Lande zu kämpfen, denn die Bauern klagen über die überhöhten und willkürlichen Steuern, die ihnen von den Funktionären vor Ort auferlegt werden(93). Willkürliche finanzielle Mehrbelastungen, die zu den lokalen Steuern noch hinzukommen, sind auch in Tibet üblich, aber in den Minderheitengebieten gibt es kaum Wege, um die ortsansässigen Funktionäre daran zu hindern, die Ärmsten in der Bevölkerung auszubeuten. Ein Nomade aus dem Distrikt Darlag, TAP Golog, Qinghai, berichtet von den exorbitanten Steuern:

"Meine Familie muß jährlich 3.600 Yuan in Form von Vieh- und Weidesteuer zahlen. Dann müssen wir noch alljährlich zwei Yaks an die Behörden abliefern, die uns nur 500 Yuan für einen Yak zahlen, während ein privater Viehhändler 1.200 bis 1.300 Yuan pro Yak bietet. Außerdem ist da noch die Buttersteuer. Jede Person muß zwei gyama Butter abführen, und außerdem noch ein gyama Käse. Schließlich erheben die Behörden noch 25 Yuan pro Person, was eine Art Altersversorgung sein soll, aber meine Eltern, die beide in den Sechzigern sind, bekommen überhaupt keine Rente"(94).

II.2.7

Der Lebensunterhalt in der Stadt

Ungefähr 15-20 % der tibetischen Bevölkerung in der TAR und den von Tibetern besiedelten Gebieten außerhalb der TAR wohnt in der Stadt. Die an die in den Städten lebenden Tibeter hinsichtlich der Bestreitung ihres Lebensunterhaltes gestellten Anforderungen sind ganz anders als die der Landbevölkerung. Gewöhnlich müssen sie bei der Arbeitssuche mit den chinesischen Immigranten konkurrieren, die meistens über die "richtigen Beziehungen" verfügen, um an die besseren Arbeitsplätze heranzukommen. Im Vergleich zu den chinesischen Migranten sind die Tibeter von vorneherein durch mangelnde Sprachkenntnisse in Chinesisch - der Sprache der Kolonialherren - benachteiligt, und diese sind ausschlaggebend, besonders um in den staatlich betriebenen Einrichtungen eine Anstellung zu bekommen.

Chinesische Einwanderer, die jetzt die Groß- und Kleinstädte Tibets überfluten, monopolisieren die Wirtschaft in einer Weise, daß sich die Tibeter auf wirtschaftlichem Gebiet als ganzes immer mehr an den Rand gedrängt sehen. Dazu kommt das rigorose Registrierungssystem (chin. hukou), an das sich ein jeder halten muß, wenn er Arbeit finden will. Jeder Bürger muß diese Identitätspapiere besitzen, die über seinen Wohnort und seinen Arbeitsplatz Auskunft geben, womit Arbeitgeber und Manager ein mächtiges Werkzeug zur Kontrolle des Arbeitsmarktes in Händen halten. Sie können damit die Löhne niedrig halten und es zur Kontrolle eines jeden Aspekts des Lebens ihrer Arbeitnehmer einsetzen. In den von Tibetern besiedelten Regionen setzt die PRC das hukou-System insbesondere zu dem Zweck ein, um die tibetische Landbevölkerung daran zu hindern, in die Städte abzuwandern und dort nach Arbeit zu suchen. Gleichzeitig hat sie das Registrierungssystem für Chinesen aber gelockert(95).

Die Arbeitsmöglichkeiten für Tibeter in ihrem eigenen Land begannen Mitte der 90er Jahre immer schlechter zu werden, als sich der Markt dem Wettbewerb öffnete und den chinesischen Siedlern systematisch immer mehr Privilegien zugestanden wurden. Die bevorzugte Behandlung, die den chinesischen Immigranten in allen Arbeitsbereichen zuteil wird, macht die Diskriminierung, der die Tibeter heutzutage ausgesetzt sind, noch gravierender. Dieser Prozeß wurde durch das Dritte Arbeitsforum zu Tibet vom Juli 1994 noch beschleunigt, bei dem 62 Projekte für die TAR verabschiedet wurden; viele davon sind größere Konstruktionsprojekte, für welche die Bauunternehmer Arbeiter aus China oder bereits in Tibet lebende Chinesen anheuerten(96).

Die Entwicklungsprojekte, um die so viel Medienrummel gemacht wird und die angeblich dem wirtschaftlichen Fortschritt in der Region dienen, konzentrieren sich auf die Stadtgebiete. Eines der von Pekings erklärten Zielen bei dem Programm zur Entwicklung des Westens, das 1999 in die Wege geleitet wurde, ist es, die Stabilität und nationale Einheit in den weniger entwickelten westlichen Regionen zu konsolidieren. Peking befürchtet nämlich, "die Einheit des Mutterlandes" könne zu bröckeln beginnen, sollte sich die wirtschaftliche Kluft zwischen der boomenden Ostküste und dem unterentwickelten, oftmals widerspenstigen Westen vergrößern. In den vergangenen drei Jahren pumpte die Zentralregierung gewaltige Summen in die westlichen Regionen, so daß in Städten wie Lhasa ein künstlicher Boom entstand. Den größeren Städten werden von der Zentralregierung Zuschüsse gewährt, vor allem um eine Arbeitsmöglichkeit für unbeschäftigte Han-Chinesen aus anderen Provinzen anzubieten und um gleichzeitig die "aufmüpfige" Bevölkerung des tibetischen Hochlands unter Kontrolle zu halten.

Bei dem Vierten Arbeitsforum zu Tibet im Juni 2001 betonte Präsident Jiang Zemin, daß die Entwicklung, die Stabilität und die Sicherheit Tibets eng mit der Durchsetzung der Strategie zur Entwicklung der westlichen Regionen des Landes, der Festigung der nationalen Einheit und sozialen Stabilität, der nationalen Vereinigung und Sicherheit, ebenso wie mit Chinas Ansehen in der Welt verbunden sind(97). Aber wenig von dieser großzügigen Entwicklungshilfe sickert durch bis zu den 80 Prozent der Tibeter, die in Dörfern und auf Bauernhöfen leben. Wie ein Entwicklungshelfer es ausdrückte: "Nichts wird hergestellt... die Dinge werden nur wieder verkauft, es werden keine neuen Werte geschaffen"(98).

II.2.8

Keine Chance ohne guanxi

Maßgeblich dafür, ob ein Bewerber in Tibet einen Arbeitsplatz bekommt oder nicht, sind oft eher guanxi (Beziehungen) oder Schmiergelder, als seine Fähigkeiten und seine Eignung, die kaum geprüft werden. Chinesische Zuwanderer in Tibet haben natürlich viel leichter Zugang zu höheren Funktionären, was sie in eine bessere Ausgangsposition versetzt, wenn es darum geht, eine Anstellung oder eine Geschäftslizenz zu bekommen und den dazu notwendigen Papierkram zu erledigen. Die Folge davon ist, daß Tibeter ihre Zuflucht zu illegalen Mitteln nehmen, um zu einem Arbeitsplatz zu gelangen, was ebenfalls als guanxi bezeichnet wird. "Gute Beziehungen" stehen in erster Linie den ethnischen Han Chinesen (die meistens in höheren Positionen sind) zur Verfügung, weshalb es für Tibeter viel schwieriger als für sie ist, eine Genehmigung und die notwendigen Kredite zum Start eines Geschäftes zu bekommen(99).

Ein Tibeter aus Qinghai berichtet, daß "man ohne gute Beziehungen zu höheren chinesischen Verwaltungskadern keine Chance hat, einen Job zu finden". Er fährt fort, "sogar eine höhere Qualifikation nützt nichts, wenn es darum geht, eine Stelle zu finden, es sei denn, man hat ebenso gute Kontakte zu den Chinesen. Nur durch persönliche Beziehungen und durch die Hintertür kann man hoffen, eine gute Stelle zu erhalten"(100).

Abgesehen von guanxi muß jemand, der ein privates Geschäft eröffnen will, auch zur Bestechung greifen. Ein Tibeter aus Lithang, der Erfahrung bei der Gründung eines eigenen Unternehmens hat, berichtet: "Ich kaufte ein Grundstück im Wert von 20.000 Yuan und gab 6.000 Yuan als Bestechung. Wenn man keine Schmiergelder zahlt, ist es sehr schwierig, ein Grundstück zu bekommen, und selbst wenn man es irgendwie schafft, machen sie es sehr teuer und legen einem ständig Hindernisse in den Weg"(101).

Völkerrechtler Antonio Cassese erkennt die Notwendigkeit der Entwicklung zur Verbesserung der allgemeinen Lebensbedingungen zwar an, weist aber auf die Probleme hin, die von Entwicklungsländern wie China geschaffen werden. In solchen Ländern ist es nicht ungewöhnlich, daß politische Führer eher im Interesse einer ethnischen Gruppe oder der Elite, der sie selbst angehören, statt im Interesse der ganzen Bevölkerung handeln(102).

Genau das ist auch in Tibet der Fall, wo die Entwicklung von den umfassenden nationalistischen Vorstellungen der Han Chinesen bestimmt wird. Die Politik der chinesischen Regierung ist auf zentralisierte von oben nach unten organisierte Entwicklungsmodelle fixiert, sowie auf das Problem, eine ständig wachsende chinesische Bevölkerung unterzubringen, anstatt angemessene und schonende Modelle für die jeweilige Region zu schaffen.

Unter dem roten Banner der Entwicklung schaufelt China in dem ehrgeizigen Bestreben, seinem strategisch wichtigen Hinterland wirtschaftlichen Aufschwung zu bringen, heutzutage Milliarden Dollar nach Tibet und in andere entlegene Gegenden im Westen. Aber das Geld kommt größtenteils Regierungskadern, lokalen Eliten und Unternehmern aus den reichen Küstenregionen mit den richtigen Beziehungen zugute. Die größten Infrastrukturprojekte - der Bau von Eisenbahnen, Erdgas-Pipelines, Bewässerungssystemen und Überlandleitungen - verfolgen samt und sonders den Zweck, Ressourcen aus dem Westen in die privilegierte Küstenregion in Chinas Osten zu leiten.

II.2.9

Das Geschäft mit dem Tourismus

Die Pekinger Regierung betrachtet den Tourismus als eine "tragende Säule" der tibetischen Industrie, und er ist als eine der Haupteinnahmequellen geplant. Wie die chinesische Nachrichtenagentur Xinhua zu berichten weiß, fließen dank der Touristen - die Besucherzahl stieg von 3.525 im Jahr 1980 auf über 840.000 in den ersten 10 Monaten 2002 - jetzt 900 Millionen Yuan Einnahmen in die Region, was 6 % des Bruttoinlandprodukts Tibets bedeutet(103).

Regionale Funktionäre schätzen, daß die Zahl der Touristen, die Tibet 2001 besuchten, 700.000 betrug, wovon die meisten Chinesen waren(104). Die zur UNO gehörende World Tourism Organisation mit Büro in Spanien stellte neulich einen Orientierungsplan für die Tourismusentwicklung in Sichuan, Yunnan, Gansu und Qinghai fertig, und gegenwärtig arbeitet sie an einem für die TAR.

Aber wo bleiben die Tibeter, wenn es darum geht, den wirtschaftlichen Nutzen aus dieser vielgerühmten Sparte zu ernten? In gewissen Gegenden müssen die einheimischen Tibeter sogar von ihrem angestammten Land weichen, um der Tourismus-Infrastruktur Platz zu machen. Ein Nomade aus dem Kreis Dzoge, TAP Ngaba, Sichuan, erzählt von einem Tourismusprojekt an einer der berühmten Biegungen des Machu Flusses, das einen Disput um das gemeinschaftlich genutzte Weideland, genauer gesagt, um die herkömmliche Winterweide dieser Gemeinde, entfachte:

"Ein Streit entstand wegen des Standorts. Das sechste Dorf sagte, dieses Areal gehöre ihm, auch das Kloster beanspruchte es für sich, während die Kreisverwaltung von Dzoge behauptete, es gehöre dem Kreis. Das Land war für das Kloster nutzlos, aber das sechste Dorf benötigte es als Weidegebiet für sein Vieh und wollte außerdem einige Speicherräume für die einzelnen Haushalte dort bauen. Doch die Kreisbehörden beabsichtigten, einen Tourismuspark daraus zu machen, um Geld zu verdienen. Der Fall wurde an die Präfektur Ngaba weitergeleitet. Die Präfektur und der Kreis beschlossen nun gemeinsam, daß die Distriktsverwaltung dort ein Touristenprojekt starten dürfe.

Anfänglich hatte der Distrikt dem sechsten Dorf versprochen, die Hälfte der Einkünfte dem Dorf zukommen zu lassen. Als die Präfektur jedoch die endgültige Entscheidung getroffen hatte, erhielt das Dorf keine Entschädigung. Statt dessen wurde angeordnet, den Bau der Lagerräume auf dem betreffenden Areal einzustellen. Nun hat der Distrikt dort ein großes Gebäude errichtet, in dem Verwaltungspersonal wohnt, außerdem haben sie viele Zelte aufgestellt, wo die Touristen schlafen. Es gibt auch ein Zelt für Spiele und auf dem Fluß schwimmen Boote. Chinesische Regierungsbeamte haben im Sommer lange Ferien und reisen mit Vorliebe hierher. Letztes Jahr kamen täglich 50 bis 60 Touristenbusse an, viele davon aus Chengdu und Peking"(105).

"Der Tourismus wird in Zukunft der bestimmende Faktor der tibetischen Wirtschaft sein, weshalb es wesentlich ist, das Tourismus-Personal der autonomen Region richtig auszubilden", erklärte Li Yuezhong von der China National Tourism Administration (CNTA)(106). Der Trend geht jedoch dahin, die Tibeter gänzlich von der Beschäftigung auszuschließen, sogar als Fremdenführer. Es heißt, daß in Schulen mit einem speziellen Trainingsprogramm für tour guides, wo Kurse in tibetischer Kultur und Sprache angeboten werden, sich hauptsächlich Chinesen eingeschrieben haben.

Es wird von Fällen berichtet, wo die Behörden der TAR Druck auf Arbeitgeber ausgeübt haben, Personal zu entlassen, das in Indien aufgewachsen oder ausgebildet war, besonders in Berufen, die wie in der Tourismus-Industrie mit vielen Leuten in Berührung kommen. Die Reisebüros in Lhasa werden ständig gezwungen, tibetische tour guides zu entlassen, die in Nepal oder Indien zur Schule gegangen sind. Diese müssen sich dann beim staatlichen Tourismusbüro der TAR bewerben. Ehe sie aber von dem TTB (Tibet Tourism Bureau) angestellt werden, müssen die Bewerber eine Prüfung in Touristik und Politik ablegen. Wie berichtet, fallen die meisten der im Ausland ausgebildeten tibetischen tour guides bei diesen Prüfungen durch. Touristenhotels und Restaurants werden überdies dazu angehalten, tibetische Angestellte, die ihre Ausbildung im Ausland erhalten haben, zu entlassen(107).

II.2.10

Der Zustrom chinesischer Migranten

Seit Beginn der 90er Jahre ist Tibet Opfer einer Masseneinwanderung chinesischer Bürger geworden. Diese ist auf staatlich geförderte Infrastrukturprojekte, den massiven Bergbau, den gold rush in Qinghai und Nordtibet und die Lockerung der Bestimmungen für private Unternehmen zurückzuführen. Zuwanderer aus Zentralchina wurden mit billigen Krediten zur Geschäftseröffnung nach Tibet gelockt(108). Der Prozeß beschleunigte sich ab 1992 noch mehr, als Lhasa zu einer Sonder-Wirtschaftszone erklärt wurde, was zu einer riesigen Zuwanderung von Chinesen, sowohl Fach- als auch Hilfskräften, in die TAR führte(109).

In den ländlichen Gegenden der TAR und - außerhalb der TAR - einigen Präfekturen von Sichuan und Qinghai bilden Tibeter die Mehrheit der Einwohner, während sie in den städtischen Siedlungsgebieten dieser Regionen allmählich zu einer Minderheit in ihrer eigenen Heimat werden. Ebenso werden sie in vielen der "Autonomen Gebiete für nationale Minoritäten" zu einer Minderheit, besonders in solchen, die sich in Nachbarschaft städtischer Ballungsgebiete wie Xining und Lanzhou befinden.

Bei einer Pressekonferenz am 7. August 2002 in Lhasa räumte Jin Shixun, der stellvertretende Generaldirektor der Entwicklungs- und Planungskommission Tibets ein, daß im Stadtgebiet von Lhasa etwa 50 % der Einwohner zugewanderte Chinesen sind (110). Außerdem informierte er 12 ausländische Korrespondenten, die zu einem offiziellen Besuch in Tibet weilten, daß "mehr und mehr Leute aus anderen Provinzen Chinas nach Tibet kommen, um hier zu investieren oder Geschäfte zu eröffnen". Jin fügte hinzu, Tibet benötige die Facharbeiter und Investitionen aus anderen Regionen, damit die Zuwachsrate des Bruttoinlandprodukts konstant bleibe; außerdem würden die Zuwanderer einen derartigen Wohlstand und Stabilität in die Region bringen, wie man sie vorher noch nie gesehen hätte(111).

Die offiziellen chinesischen Statistiken unterscheiden nicht genau zwischen ethnischen Tibetern und chinesischen Migranten, die sich in Tibet niedergelassen haben. Leider liefert der offizielle Zensus auch keine Zahlen unterhalb der Präfekturebene. Es ist daher außerordentlich schwierig, die Anzahl von Tibetern gegenüber den Chinesen festzustellen, denn die ethnische Verteilung würde nur ersichtlich, wenn Einwohnerzahlen auf Kreisebene zur Verfügung stünden.

Der Art. 8 der UN Erklärung über das Recht auf Entwicklung besagt, daß "die einzelnen Staaten alle notwendigen Maßnahmen zur Verwirklichung des Rechtes auf Entwicklung ergreifen und sicherstellen müssen, daß alle Bürger unter gleichen Bedingungen Zugang zu den Grundbedarfsmitteln, zu Bildung, Gesundheitsfürsorge, Nahrung, Wohnung, Beschäftigung und einer fairen Verteilung der Einkünfte haben".

Im Zuge der chinesischen Politik des organisierten Bevölkerungstransfers von China nach Tibet werden jetzt sogar die Niedriglohnjobs von Han Zuwanderern besetzt, womit der einheimischen tibetischen Bevölkerung praktisch kein Spielraum mehr übrigbleibt. Die Chinesen haben sich sogar in die traditionellen Gewerbezweige der Tibeter, wie Thangka-Malerei, Holzschnitzerei und das Schneiderhandwerk hineingedrängt.

Wie jemand, der vor kurzem Lhasa besuchte, sagt: "Man braucht nur für 10 Yuan mit einem Taxi vom Potala aus in eine x-beliebige Richtung zu fahren, um zu erkennen, wer die eigentlichen Nutznießer dieses Fortschrittes sind. Ein kurzer Blick in eines der mehrstöckigen Gebäude, Regierungsbüros oder der glitzernden Ladenzeilen sagt einem, daß weitaus die Mehrheit der Häuser, Arbeitsplätze und Geschäfte den Chinesen gehört"(112).

Taxifahrer und Ladenbesitzer in tibetischen Städten sind jetzt überwiegend Migranten aus der ethnischen Han Majorität, die den Löwenanteil an dem Wirtschaftsaufschwung der Städte hat. Und diese Neuankömmlinge machen sich obendrein noch über die Tibeter lustig. Um einen chinesischen Geschäftsmann, der einen Obststand in der Stadt Shigatse betreibt, zu zitieren: "Sie (die Tibeter) spielen nur herum, vom Geschäft verstehen sie überhaupt nichts"(113).

Das Megaprojekt der Qinghai-Tibet Eisenbahnlinie, das 2001 begonnen wurde, wird die wirtschaftliche Integration Tibets noch beschleunigen und die Anzahl chinesischer Siedler in Tibet weiter in die Höhe treiben. Den Planern und Militärs in Peking war schon immer klar, daß Tibet ohne eine Eisenbahnverbindung mit dem chinesischen "Mutterland" nicht voll assimiliert werden könne(114).

"Ein Taxifahrer in Lhasa, ein Han-Chinese aus einer armen Provinz Zentralchinas, erzählte mir, wie leicht die Regierung es für Wanderarbeiter gemacht habe, nach Tibet zu kommen. Mit ein paar Dollars könne man sich eine temporäre Aufenthaltserlaubnis erkaufen. Hier könne man dann richtig Geld machen, meint er und fügt hinzu, daß viele andere Leute aus seinem Dorf nach Tibet gekommen seien"(115).

II.2.11

Rassisch bedingte Diskriminierung

Die CERD zählt verschiedene Gründe für Diskriminierung auf, nämlich: "Jede Unterscheidung, Ausschließung oder Bevorzugung auf Grund von Rasse, Hautfarbe, Geschlecht oder Religion, politischer Überzeugung, völkischer Abstammung oder sozialer Herkunft, die bewirkt, daß die Gleichheit der Chancen oder Behandlung am Arbeitsplatz beeinträchtigt oder gar aufgehoben werden"(116). Der Art. 5c derselben Konvention besagt, daß "jedermann ohne Unterscheidung das Recht auf Arbeit, auf freie Wahl der Beschäftigung, auf gerechte und günstige Arbeitsbedingungen, auf Schutz vor Arbeitslosigkeit, auf gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit und auf eine vorteilhafte Entlohnung genießen sollte".

Die im Exil gesammelten Aussagen geflohener Tibeter bestätigen in ihrer Masse und Geschlossenheit die extrem diskriminierenden Praktiken in Tibet, sogar Personen gegenüber, die in einem Arbeitsverhältnis stehen. Auf diese Weise werden die Tibeter in ihrem eigenen Land immer weiter wirtschaftlich an den Rand gedrängt. "Die Diskriminierung auf dem Arbeitssektor greift, wie berichtet wird, immer mehr um sich – egal um welche Arbeit es sich handelt, es werden vorzugsweise Han-Chinesen angeheuert, die auch für die gleiche Arbeit besser bezahlt werden, während die einheimischen Tibeter in einigen Bereichen willkürlich entlassen werden"(117).

Pema Dolkar, eine 28jährige Taxifahrerin aus Lhasa erzählt, daß rassistische Vorurteile sich mit den chinesischen Siedlern in ganz Tibet ausgebreitet haben, weshalb Tibeter ihrer Arbeits- und Verdienstmöglichkeiten beraubt werden(118). Sie erzählt, wie Chinesen stets einander helfen, etwa um ein Geschäft zu starten. So würden "Chinesen niemals ein Taxi mit einem tibetischen Chauffeur besteigen, sondern immer ein Taxi vorziehen, das von einem Landsmann gelenkt wird".

Angesichts des hohen Prozentsatzes von Chinesen in den Städten und des größeren ihnen zur Verfügung stehenden Einkommens sind auch die im Privatsektor angestellten Tibeter extremer Diskriminierung ausgesetzt. Pema Dolkar bestätigte die "alarmierende Zahl von Läden, Restaurants, Fabriken und Geschäften, die jetzt im Besitz chinesischer Bürger sind und von ihnen geführt werden".

II.2.12

Schlussfolgerung

Als der 16. Parteikongreß im November in Peking zu Ende ging, pochten die Führer der Nation auf den wirtschaftlichen Fortschritt und ihre angebliche Fähigkeit, Arbeitslosigkeit, Korruption und andere Übel, die der Heranreifung einer wohlhabenden Nation kapitalistischer Prägung im Wege stehen, zu besiegen. Ihre diesbezüglichen Leistungen in der TAR und in den anderen von Tibetern bewohnten Gebieten lassen jedoch gewaltig zu wünschen übrig.

Tibet ist ein schreiendes Beispiel für ein Land, wo Mißmanagement mitsamt der autoritären kolonialen Regierungsform zu noch nie dagewesener wirtschaftlicher Verelendung und einem unzureichenden Lebensstandard geführt hat – ganz zu schweigen von der fortwährenden Mißachtung der bürgerlichen und politischen Rechte. China hat hinsichtlich beider Protokolle gewaltig versagt. Die Tibeter haben daher ihre Zweifel am Nutzen der sogenannten wirtschaftlichen und sozialen Rechte und es ist ihnen bange, welche Folgen die auf Dauer mangelhafte Verwaltungsstruktur mit ihrer rassebedingten wirtschaftlichen Diskriminierung für ihre tibetische Lebensart und Kultur haben wird.

Teil II.3

3. Das Recht auf Bildung

"Wenn die Regierungen es gewissen Bevölkerungsgruppen unmöglich machen wollen, an dem politischen, gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben ihrer Länder auf gleicher Ebene teilzunehmen, greifen sie zu einer der effektivsten Methoden, nämlich ihnen den gleichberechtigten Zugang zur Bildung zu verwehren"(119).

Seit der Besetzung Tibets im Jahre 1950 hat die chinesische Regierung das Bildungssystem systematisch zur Diskriminierung der Tibeter genutzt. Statt die menschliche und soziale Entwicklung der tibetischen Kinder zu fördern, war die Erziehung das Mittel, um den Kindern Loyalität für die kommunistische Regierung in Peking einzuimpfen. Ein derartiger Machtmißbrauch stellt einen groben Verstoß gegen das Völkerrecht dar.

Die UN Konvention über die Rechte des Kindes (Convention on the Rights of the Child = CRC), die 1992 von China ratifiziert wurde, erlegt den Vertragsstaaten eine Reihe von Pflichten auf(120). So sieht der Art. 29 der CRC vor: "Die Vertragsstaaten stimmen darin überein, daß die Bildung des Kindes darauf gerichtet sein muß..., dem Kind Achtung vor seinen Eltern, seiner kulturellen Identität, seiner Sprache und seinen kulturellen Werten, den nationalen Werten des Landes, in dem es lebt, und gegebenenfalls des Landes, aus dem es stammt, sowie vor anderen Kulturen als der eigenen zu vermitteln"(121).

China ist als Vertragsstaat der CRC verpflichtet, alle vier Jahre den Vereinten Nationen einen Rechenschaftsbericht vorzulegen. Sein zweiter periodischer Bericht, der im März 1999 fällig gewesen wäre, steht immer noch aus.

Das Weißbuch über Minoritäten der PRC (People's Republic of China) von 1999(122) besagt, daß die Erziehung der Minderheiten Chinas "von höchster Bedeutung für die Verbesserung des Bildungsniveaus bei den Minoritäten und die Förderung der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung in den Gebieten ethnischer Minderheiten ist"(123). Wie dieser Bericht zeigt, beweisen unabhängige Studien und direkte Zeugnisse aus ganz Tibet indessen, daß es in der TAR sowie in den Provinzen Qinghai, Gansu, Sichuan und Yunnan (die jetzt das meiste der traditionellen östlichen tibetischen Provinzen Kham und Amdo umfassen) kaum einen nennenswerten Fortschritt im Bildungswesen gibt.

Gemäß dem Report über menschliche Entwicklung in China, der 2002 von dem UNDP (United Nations Development Program) herausgegeben wurde, steht der Bildungsindex für Tibet(124) im Vergleich zu den anderen 31 Provinzen Chinas an allerunterster Stelle. Ebenso sind die allgemeinen Quoten für die Einschreibung in Erziehungsanstalten und für die des Lesens und Schreibens kundigen Erwachsenen in Tibet die niedrigsten aller Provinzen Chinas.

So meinte David Strawbridge, Berater in Erziehungsfragen von Save the Children Fund (SCF), einer Organisation mit viel Erfahrung in Tibet, im Juni 2002: "Was Bildung und die Bildungseinrichtungen anbelangt, hinkt die Autonome Region Tibet noch weit hinter den anderen Provinzen in China hinterher, weshalb alle Parteien ihre Zusammenarbeit auf diesem Gebiet weiter verstärken sollten"(125).

Die Chinesen veröffentlicht oft aufgeblähte und widersprüchliche Statistiken über die Anzahl von Schulen auf dem Hochland und die staatlichen Zuschüsse, die sie erhalten, aber wie es den Schülern tatsächlich ergeht, verschweigen sie. Statistiken über die Anzahl von Schulgebäuden und Personal an den Lehranstalten sagen noch gar nichts aus über die Qualität des Unterrichts, über die Kosten für die Schüler oder die Befähigung derjenigen, die für den Unterricht verantwortlich sind. Wenn man sich die Qualität des Unterrichts, die Qualifikation der Lehrer, das Budget und die entscheidende Frage, wer alles bezahlen muß, genauer ansieht, entsteht ein ganz anderes Bild.

Das Bildungsniveau ist bei den Tibetern aus mehreren Gründen weiterhin niedrig, was mehrere Ursachen hat. Viele entlegene Gegenden verfügen über keine Schulen, während die Eltern allgemein abgeneigt sind, ihre Kinder auf Internatsschulen zu schicken - vor allem, weil sie nicht in der Lage sind, die von der chinesischen Regierung geforderten hohen Gebühren zu bezahlen.

Eine ansehnliche Zahl von Kindern macht sich jedes Jahr über den Himalaya zu den tibetischen Exilgemeinden in Indien auf den Weg, um so in den Genuß einer echten tibetischen Erziehung zu gelangen(126). So machen alljährlich Kinder unter 18 Jahren über die Hälfte der in Indien Zuflucht suchenden Flüchtlinge aus. 2002(127) erreichten 715 Kinder unter 18 Jahren - die meisten in der Altersgruppe von 7 bis 13 - das Tibetische Auffanglager in Dharamsala, Nordindien. Diese Minderjährigen, welche die gefahrenträchtige und manchmal sogar tödliche Reise über den Himalaya auf sich nehmen, fliehen in erster Linie, um die Exilschulen zu besuchen und dort eine breitgefächerte Bildung zu erhalten. Zumeist schicken ihre Eltern sie nach Indien, indem sie ihre Kinder Fremden anvertrauen und einem Wegführer eine gewisse Summe zahlen. Der einzige Grund für tibetische Eltern, ihre Kinder alleine auf den Weg zu schicken - was oft die Trennung auf immer von ihnen bedeutet -, ist der Mangel an einer brauchbaren Schuldbildung im heutigen Tibet.

Die in Indien eintreffenden Kinder erhalten in dem landesweiten Netz der verschiedensten Schulen, die vom Dalai Lama und der tibetischen Regierung im Exil gegründet wurden, eine kostenfreie Bildung von hoher Qualität. "Jeder, der schon einmal in Dharamsala gewesen ist, wird erkennen, daß die Erziehung der Flüchtlingskinder eine einzige Erfolgsgeschichte ist"(128).

Obwohl diese Jugendlichen eine gute Bildung genossen haben und fachlich kompetent sind, werden sie, falls sie beschließen, in ihr Heimatland zurückzukehren, kaum die Vorurteile des chinesischen Etablissements aus dem Wege räumen können.

II.3.1

Politisierung des Bildungswesens

Die Erziehung ist in Tibet darauf gerichtet, den Kindern die Liebe zum Kommunismus und zum "Mutterland" einzuimpfen, und sie fordert, den Dalai Lama und seine "Clique" im Exil zu denunzieren. Der Lehrplan für die Schulen basiert auf der marxistischen Geschichtsanalyse, der zufolge die Kulturen auf verschiedenen Entwicklungsstufen stehen(129). Die Han-Chinesen halten sich für den Gipfel der menschlichen Entwicklung und von Natur aus den Tibetern überlegen, die sie als rückständige und ignorante Barbaren, die keine richtige Kultur oder Geschichte haben, verachten. Der Staat propagiert den Mythos des chinesischen Volkes, das von dem Gelben Kaiser abstammt, während die Tibeter in ihrer Mythologie ihre Herkunft auf einen Affen zurückführen – eine Sache, die eher mit dem Darwinismus übereinstimmen würde! Die Tibeter haben dies jedoch zu vergessen und sich die "chinesische" Identität anzueignen. Doktrinen der Überlegenheit einer Rasse über die andere werden ausdrücklich vom Art. 4 der Konvention über die Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung (CERD) verboten(130). Dieser erklärt: "Die Vertragsstaaten verurteilen jede Propaganda und alle Organisationen, die auf Ideen oder Theorien hinsichtlich der Überlegenheit einer Rasse oder einer Personengruppe bestimmter Hautfarbe oder Volkszugehörigkeit beruhen oder die irgendeine Form von Rassenhaß und Rassendiskriminierung zu rechtfertigen oder zu fördern suchen; sie verpflichten sich, unmittelbare und positive Maßnahmen zu treffen, um jedes Aufreizen zur Rassendiskriminierung und alle rassisch diskriminierenden Handlungen auszumerzen...".

Den tibetischen Schülern wird die chinesische Version von Geschichte und Weltsicht beigebracht, während ihnen das Wissen über ihre eigene, davon unabhängige Geschichte vorenthalten wird. Die Wiederholung von patriotischen Formeln über das große Mutterland und die großen Führer ist ein tägliches Ritual an den Schulen, an denen die Erziehung im atheistischen Geist erfolgt. Tenzin, ein 18jähriger Student aus der Gemeinde Chenduo, Kreis Jyekundo, TAP Jyekundo, Provinz Qinghai, der am 1. April 2002 in Nepal eintraf, erzählte: "Den Schülern wird dringend davon abgeraten, irgendwelche religiösen Zeremonien oder Tempel zu besuchen. Sie dürfen auch keine Dalai Lama Bilder aufstellen"(131).

Jede Form politischer Diskussion in den Klassenzimmern oder die Bekundung einer abweichenden Meinung in politischen Dingen wird mit der Androhung schwerer Folgen, etwa einer Meldung an die bewaffnete Staatspolizei oder das Büro für Öffentliche Sicherheit (PSB), im Keim erstickt. Tenzin berichtet dem TCHRD von einem Vorfall in seiner Klasse 1999, als er zur höheren Mittelschule ging. Eine den Dalai Lama verunglimpfende Sendung auf einem chinesischen Fernsehkanal löste bei den Schülern eine heftige Reaktion aus. Tenzin erzählt:

"Als der Rektor von dem Vorfall erfuhr, rügte er die ganze Klasse für ihr Verhalten. In sehr strengem Ton erinnerte er uns daran, was er zu Beginn des Semesters der ganzen Schule bei einem Meeting gesagt hatte. Er ermahnte uns wieder, daß wir dem von der chinesischen kommunistischen Regierung gewiesenen Pfad, nämlich der marxistischen und leninistischen Ideologie, folgen sollten und nichts Gegenteiliges im Sinn haben dürften. Wir müßten nicht auf die irreführenden Lehren des Dalai Lama über die tibetische Unabhängigkeit hören, denn diese würde es niemals geben. Sollte sich ein derartiger Vorfall wiederholen, so warnte er uns, würde er nicht zögern, die ganze Klasse aus der Schule zu werfen und uns dem Büro für Öffentliche Sicherheit zu übergeben"(132).

Pekings Kampagne zur "patriotischen Erziehung", die 1996 in Tibet gestartet wurde, versucht die Loyalität dem Dalai Lama gegenüber durch die Propagierung des Atheismus zu untergraben(133). Die Kampagne bedeutet, daß tibetische Mönche und Nonnen umerzogen und mit der chinesischen kommunistischen Ideologie und der chinesischen Version der tibetischen Geschichte indoktriniert werden, und daß sie den Dalai Lama und Gedhun Choekyi Nyima, den vom Dalai Lama erwählten 11. Panchen Lama, verunglimpfen müssen(134). Die Kampagne, die ursprünglich nur den monastischen Institutionen galt, wurde nun auch auf die Laienbevölkerung ausgedehnt. Obwohl sie in den Schulen in Tibet noch nicht offiziell eingeführt wurde, macht sich ihr Einfluß überall bemerkbar.

Wie es heißt, fordern die chinesischen Behörden die Professoren, insbesondere die der Sprachenabteilung der Tibet Universität in Lhasa, die als potentieller Unruheherd gilt, auf, an Veranstaltungen zur politischen Bildung teilzunehmen und die Studiengänge und -materialien zu säubern, um "separatistische" (politische und religiöse) Ideen und Aktivitäten von dem Campus fernzuhalten. Viele alte oder religiöse Texte sind deshalb aus den Curriculae verbannt worden, aus Furcht, ihr Studium könnte den tibetischen Nationalismus fördern.

Um das Bildungswesen in der Region zu fördern, sieht Pekings Fünfjahresplan (2001 - 2005) vor, daß mehr Chinesen für Lehrerstellen in der TAR rekrutiert werden sollen. Die Arbeitsplatzsicherheit für tibetische Lehrer ist damit bedroht. Das bedeutet, daß die tibetischen Lehrer, die jetzt eine Stelle haben, an den Rand gedrängt und ihre Stelle verlieren werden, um für chinesische Migranten, die ausdrücklich im Hinblick auf Tibet eingestellt wurden, Platz zu machen.

Pekings tendiert dazu, mehr und mehr chinesische Lehrer in die TAR zu versetzen, um den Unterricht in Kommunismus zu verbessern und tibetische Kinder noch mehr zu indoktrinieren. Die Schüler hängen von ihren Lehrern ab, was ihre geistige und psychische Entwicklung betrifft; mit immer mehr chinesischen Lehrern in den Klassenzimmern kann der Einfluß der Mentalität und Kultur des "Reichs der Mitte" auf die Gemüter der jungen Tibeter in Zukunft nur zunehmen.

II.3.2

Assimilierung durch Erziehung

People's Daily, die offizielle Zeitung der Kommunistischen Partei, berichtete am 8. November 2002: "...seit die erste tibetische Klasse 1985 in einer 'Inland-Schule'(d.h. in China befindlichen Schule) eingerichtet wurde, haben über 20.000 tibetische Schüler derartige Klassen durchlaufen, die von über 20 Provinzen und Städten im Laufe der letzten 17 Jahre angeboten wurden. Etwa 10.000 Studenten haben überdies die Universität abgeschlossen"(135).

Die Zentralregierung hat besondere Gelder bereitgestellt, um tibetische Mittelschulen unmittelbar in China einzurichten. Die Schüler werden nach ärztlicher Untersuchung und auf der Basis ihrer schulischen Leistungen ausgewählt. Diese Inland-Mittelschulen sind so weit von Tibet entfernt, daß die Schüler drei Jahre fortlaufend dort bleiben müssen(136). Einige tibetische Jugendliche, die im Grundschulalter ausgewählt wurden, verbrachten noch viel mehr Jahre an einem Stück in China. Der Gelehrte Teng Xin (tib. Tenzin) heißt diese Politik willkommen und erklärt, die Schüler müßten von ihrer Familie abgesondert werden, um gut lernen zu können und nicht dem Einfluß ihrer fatalistischen Umgebung zu unterliegen.

Das TCHRD fragt sich, warum diese Elite-Schulen denn in China geschaffen werden und nicht dort, wo sie am meisten gebraucht werden, nämlich in Tibet. Pekings Hintergedanke bei der Sache ist, daß die Jugendlichen nach dem Abschluß ihrer Ausbildung zuverlässige Funktionäre und Bürokraten in dem sozialistischen System werden sollen. Die PRC rechnet damit, daß sie die Bevölkerung Tibets leichter unter Kontrolle halten kann, wenn sie einige ethnische Tibeter, die, was die Entwicklung, den Sozialismus und die Anti-Dalai-Lama-Phrasendrescherei betrifft, die korrekte Ansicht haben, auf gehobene Verwaltungsposten setzt.

Diese Minderheiten-Bildungspolitik, der zufolge die intelligentesten der tibetischen Schüler auf spezielle Schulen in China gebracht und dort in kommunistischer Ideologie und entsprechender politischer Weltsicht indoktriniert werden, gehört zu einer Reihe systematischer Bemühungen, um die Tibeter dem chinesischen mainstream anzugleichen und die Eigenständigkeit der tibetischen Sprache, der Gebräuche, Kultur und Geschichte zu verwischen.

II.3.3

Tibetisch - eine sterbende Sprache

Die tibetische Sprachpolitik ist eines der wichtigsten Themen des Erziehungssektors in Tibet, besonders seit der kurzen Periode der Liberalisierung Anfang der 80er Jahre. Für die Tibeter ist ihre Sprache die Grundlage ihrer althergebrachten Kultur, während die chinesischen Besatzer ein Vehikel nationalistischer Gefühle in ihr sehen.

Einige Funktionäre halten die tibetische Sprache für den besten Angriffspunkt, sowohl was den gegenwärtigen Feldzug gegen die Unabhängigkeitsbewegung als auch die Kampagne zur Ausrottung traditioneller Glaubensformen in Tibet betrifft. Im Oktober 1995 brachten kommunistische Parteikader in der Autonomen Region Tibet ein Rundschreiben in Umlauf, in dem stand, daß der Separatismus teilweise auf das Konto von Schulen gehe, in denen zu viel Religion gelehrt und zu viel Tibetisch gesprochen würde(137).

Tatsächlich sah das chinesische Bildungsgesetz von 1995 vor, daß Angehörige der verschiedenen Nationalitäten in ihrer eigenen Sprache unterrichtet werden. Der Art. 12 des Bildungsgesetzes(138) besagt, daß "Schulen und andere hauptsächlich für die Minderheiten geschaffene Bildungseinrichtungen die Sprache, welche in der Volksgruppe oder in der Gegend in Wort und Schrift allgemein gebräuchlich ist, als Unterrichtssprache verwenden dürfen". Während der Unterricht auf Tibetisch an einigen Dorfschulen zugelassen ist, verwenden die Schulen mit der besseren Ausstattung und den besseren Lehrern Chinesisch als die bevorzugte Unterrichtssprache.

Zwei ausländische Touristen, die im April-Juni 2002 eine ausgedehnte Tibet-Reise unternahmen, erläuterten: "Es gibt chinesische Schulen (wie in Dartsedo), wo alle Fächer auf Chinesisch gelehrt und keine Themen berührt werden, die etwas mit Tibet zu tun haben, nicht einmal die tibetische Sprache, obwohl in einigen Fällen die Mehrzahl der Schüler Tibeter sind. Dann gibt es die Schulen mit der Unterrichtssprache Chinesisch, an denen Tibetisch als ein Fach unter anderen gelehrt wird, und alle anderen Fächer wie Chinesisch, Mathematik, Naturwissenschaft und chinesische Geschichte nur auf Chinesisch unterrichtet werden. Tibetische Geschichte, Philosophie und schöne Künste gibt es an diesen Schulen überhaupt nicht. Diesen Schultyp findet man in Tibet am häufigsten"(139).

Ende Juli 2002 zwangen die chinesischen Behörden die Tsangsul Schule zur Schließung. Diese tibetisch geführte Schule wurde 1988 dank der vereinten Bemühungen dreier Tibeter zur Förderung und Erhaltung der tibetischen Sprache gegründet. Der Hauptgrund für die Schließung der Schule war ihre Popularität dank ihrer Betonung der tibetischen Kultur. Viele Eltern hatten nämlich ihre Kinder von der staatlichen Yuethong Schule No 1 genommen, um sie in der Tsangsul Schule unterzubringen. Außer dem Umstand, daß der Unterrichts-Schwerpunkt auf Tibetisch lag, orientierte sich die Schule an einem Lehrplan, der dem anderer Mittelschulen ähnlich war(140). Zur Zeit ihrer Schließung zählte die Schule 500 Schüler, von denen 60 Waisen waren, die eine völlig kostenfreie Erziehung genossen, während die anderen, die gewöhnlich nicht in der Lage waren, die üblicherweise an den anderen Schulen geforderten überhöhten Gebühren zu zahlen, eine Nominalgebühr von 20 Yuan pro Semester entrichteten.

Die tibetische Schriftsprache erleidet drastische Einbrüche. Geschäfts- und Verwaltungsdokumente, besonders die von höheren Instanzen verfaßten, sind gewöhnlich auf Chinesisch. Fast die gesamte Computer Software in Tibet ist für chinesische Schriftzeichen formatiert. Sogar gebildete Tibeter verlieren allmählich die Fähigkeit, ihre eigene Sprache zu schreiben.

Peking behauptet, daß Tibetisch in Medien und Veröffentlichungen weithin zur Anwendung komme(141). Tatsächlich ist jedoch das Gegenteil der Fall, da die meisten Zeitungen, Bücher und Zeitschriften in Tibet heutzutage auf Chinesisch und nicht auf Tibetisch verfaßt werfen. John Billington, ein unabhängiger Beobachter, zählte 408 zum Verkauf angebotene Zeitschriften auf Chinesisch, aber sah nur eine einzige auf Tibetisch(142).

Tenzin Rabgyal, ein Flüchtling, der am 25. Mai 2002 in Kathmandu eintraf, berichtet: "2002 haben die chinesischen Behörden die 'Kulturelle Entwicklungs-Gesellschaft' (ein Forum für kulturellen Austausch, dadurch daß sie literarischen Talenten die Möglichkeit bot, an die Öffentlichkeit zu treten) im Kreis Rebkong, TAP Malho, Qinghai, praktisch dicht gemacht. Sie sind immer gegen alles, was irgendwie die tibetische Kultur fördern könnte. Unter dem Vorwand, daß die Gesellschaft politische Untertöne habe, ordnete die Regierung ohne vorherige Mahnung ihre Auflösung an. Die Ziele der Gesellschaft waren aber frei von allen politischen Motiven"(143).

Sogar bei der entscheidungstragenden politischen Elite der Erziehungsfachleute, Intellektuellen und Beamten herrschen unterschiedliche Ansichten. Eine Gruppe betont die Wichtigkeit der Sprache und fordert, daß das Bildungswesen in all seinen Verzweigungen auf Tibetisch aufgebaut sein sollte, während die andere Gruppe die Wirtschaft betont und verlangt, daß die Sprache zugunsten der Wirtschaft zurückgestellt wird. Im politischen Klima von nach 1987 zeigte sich die zweite Gruppe als siegreich, weil die Regierung nun wirtschaftlichen Erwägungen gegenüber der tibetischen Kultur den Vorzug gab(144). In Tibet wird Chinesisch im Geschäftsleben und in der Verwaltung zunehmend zur Verkehrssprache - eine Entwicklung, die viele Kritiker als besorgniserregend für das Überleben der tibetischen Kultur ansehen(145).

Kunchok Gyatso (chin. Goinqog Gyaco), ein Sprachwissenschaftler an der "Tibet Regional Academy of Social Sciences" (Akademie für Gesellschaftswissenschaften der Region Tibet) meint, daß "angesichts der Globalisierung und allgemeinen kulturellen Einflüsse die tibetische Sprache einer großen Herausforderung gegenübersteht"(146). In Tibet wird im Geschäftsleben und in der Verwaltung Chinesisch zunehmend zur Verkehrssprache - eine Entwicklung, die viele Kritiker als besorgniserregend für das Überleben der tibetischen Kultur ansehen. Tibetisch ist zwar immer noch die Hauptsprache in den Dörfern und ländlichen Gebieten Tibets, doch ehrgeizige junge in der Stadt lebende Tibeter, die von der chinesischen Pop-Kultur geprägt sind und in einem von China dominierten System nach besser bezahlten Arbeitsplätzen streben, sehen immer weniger Veranlassung, ihre Muttersprache zu sprechen(147).

Schüler, die chinesische Schulen besuchen, können besser Chinesisch als Schüler tibetischer Schulen. Da für jede Anstellung bei den Behörden eine gute Beherrschung des Chinesischen Vorbedingung ist, haben die Abgänger chinesischer Schulen die besseren Chancen(148). Die aus dem Kreis Dingri (chin. Tingri) stammende 17-jährige Tsering Yangto bestätigte dies: "Die Schüler sind in den Chinesisch-Klassen viel aufmerksamer, denn sie wissen nur allzu gut, daß man mit Tibetisch nicht viel Aussichten auf eine gute Karriere hat"(149).

Die meisten wohlhabenden Tibeter tendieren inzwischen dazu, ihre Kinder auf chinesisch-sprachige Schulen nach China zu schicken. Auf die Frage, warum er seine Kinder ins chinesische Mutterland geschickt habe, antwortete Tsering, ein erfolgreicher Geschäftsmann: "Ich möchte, daß sie nach ihrem Studium einmal eine gute Stelle in Tibet bekommen"(150). Sprachgelehrte warnen, daß jüngere Tibeter bereits Probleme haben, mit ihren älteren Verwandten zu reden, womit sie zu einer Art von "Fremden" in ihrem eigenen Gemeinwesen werden.

In Anbetracht der gegenwärtigen politischen Situation Tibets ist es absehbar, daß Tibetisch zur sterbenden Sprache wird, wenn Peking sich nicht an die hehren Vorkehrungen in der Verfassung hinsichtlich der Bildung für die Minderheiten hält. Die Effizienz des so hochgejubelten Gesetzes über die tibetische Sprache, das in der 15. Sitzungsperiode des Siebten Regionalen Volkskongresses der TAR am 23. Mai 2002 verabschiedet wurde, bleibt noch abzuwarten. Doch wird durch Präzedenzfälle belegt, daß positive Entwicklungen bei den Gesetzen eine reine Farce sind, um die Öffentlichkeit hinters Licht zu führen - folgenlose Gesten der chinesischen Verfassung und ihrer Bestimmungen die Minoritäten betreffend.

II.3.4

"Bildung für Minderheiten": in Tibet ein unerfülltes Versprechen

Dank der Klassifizierung Tibets als eine der sogenannten nationale Minderheiten Chinas sollten tibetische Kinder, wie es das internationale Gesetz vorsieht, in den Genuß umfassender Rechte auf Bildung kommen. Der Art. 30 der Konvention für die Rechte des Kindes (CRC) fordert:

"In Staaten, in denen es ethnische, religiöse oder sprachliche Minderheiten oder Ureinwohner gibt, darf einem Kind, das einer solchen Minderheit angehört oder Ureinwohner ist, nicht das Recht vorenthalten werden, in Gemeinschaft mit anderen Angehörigen seiner Gruppe seine eigene Kultur zu pflegen, sich zu seiner eigenen Religion zu bekennen und sie auszuüben oder seine eigene Sprache zu verwenden"(151).

China ist daher verpflichtet, dafür zu sorgen, daß die Tibeter in den Genuß des erhöhten Schutzes kommen, der gewissen internationalen Verträgen zufolge "ethnischen, religiösen oder linguistischen Minderheiten" zusteht - auch die CRC schreibt das Recht eines jeden "Minderheiten-Kindes" auf den Genuß seiner eigenen Kultur, das Bekenntnis und die Ausübung seiner eigenen Religion sowie die Verwendung seiner eigenen Sprache fest(152). Der Umstand daß die Angehörigen der 55 von der PRC anerkannten "nationalen Minderheiten" überwiegend in armen ländlichen Gegenden wohnen, bedeutet, verbunden mit dem oft vernachlässigten Bildungssektor auf dem Lande, daß Kinder ethnischer Minderheiten kaum eine ordentliche Schulbildung erhalten(153).

Der auf die Han-Ethnie zentrierte Lehrplan, nach dem zumeist auf Mandarin, dem Standard-Chinesischen (chin. putonghua), unterrichtet wird und der in ganz China ungeachtet der ethnischen Konfiguration der Region obligatorisch ist, schafft im allgemeinen kein geeignetes Umfeld, in dem tibetischen Kindern ein Gefühl für die Werte ihrer Kultur, Sprache und Geschichte vermittelt werden könnte(154). Und die Regierung verdächtigt die Tibeter, separatistische Gefühle zu schüren(155).

Weil sie weniger Zuschüsse von der Zentralregierung bekommen, sind die Minderheiten-Colleges dazu übergegangen, immer mehr Han-Chinesen zuzulassen: Mindestens die Hälfte aller Eingeschriebenen sind heutzutage in den meisten Minderheiten-Colleges Han-Studenten(156). Um ihre Ausgaben zu bestreiten, sind die Minderheiten-Colleges dazu übergegangen, ethnisch chinesische Studenten in erstaunlicher Zahl aufzunehmen, und sich auf Fächer wie Englisch und Informatik zu konzentrieren, die bei den Studenten hoch im Kurs stehen.

Peking behauptet, im Sinne seiner Präferenzpolitik für lokale ethnische Volksgruppen und um die Bildung in Tibet zu fördern, gelte an allen Schulen ein flexibler Einschreibungsmodus, indem der geforderte Notendurchschnitt für ethnische Gruppen etwas niedriger ist und auch Testergebnisse mit berücksichtigt werden(157). Es stimmt zwar, daß für die Zulassung zu der Tibet Universität in Lhasa keine besonders guten Noten erforderlich sind, doch müssen Tibeter eine Aufnahmeprüfung in Chinesisch bestehen, um aufgenommen zu werden(158). Auf diese Weise gehen ihnen viele Plätze verloren. Tibetischen Studenten werden ihre Plätze von chinesischen Studenten weggenommen, die in ihrer Heimat sitzengeblieben sind. Solche Versager gehen dann nach Tibet, wo sie die in ihrer Muttersprache durchgeführte Aufnahmeprüfung leicht bestehen - natürlich auch der Korruption wegen, die auch hier gang und gäbe ist.

Ein Tibeter, der kürzlich im Exil eintraf, schilderte dem TCHRD anschaulich, wie Chinesen sich die Plätze, die offensichtlich für Tibeter reserviert sind, aneignen:

"Im Jahr 2001 wurde etwa 300 tibetischen Jugendlichen in der TAR die Möglichkeit zu höheren Studien versagt. Es handelte sich um spezialisierte Studiengänge wie Medizin, Sekretariat, Bankwesen, Buchhaltung und Polizeiwesen. In einem exklusiv von der Erziehungsbehörde der TAR herausgegebenen Bulletin über Prüfungsergebnisse vom 30. Juli wurden 225 Punkte als Minimum genannt. Vier Tage später wurde plötzlich über TV verkündet, daß für die Zulassung eine höhere Punktzahl erforderlich sei. Dies bereitete den Studenten und ihren Familien großen Verdruß, denn sie hatten sich schon auf ihre Universitätsausbildung gefreut.

Ungefähr 300 Personen, vor allem die Studenten und ihre Eltern, versammelten sich vor der Erziehungsbehörde des Bezirks Lhasa, um ihr Anliegen vorzubringen. Nachdem sie kaum eine Reaktion von dem Chef dieser Behörde erhalten hatten, begaben sie sich zu dem Amtssitz Regierung der TAR, wo sie gegen diese abrupte und unbegründete Änderung Einspruch erhoben. Anhand des ursprünglich veröffentlichten Bulletins legten sie ihren Fall dar. Ein untergeordneter Beamte erklärte ihnen, es sei nur ein unglücklicher Schreibfehler gewesen. Die entschlossenen Studenten und ihre Eltern bekamen etliche Drohungen zu hören. Einer der unglücklichen Studenten stellte später fest: "Die chinesischen Beamten lassen sich bestechen, damit sie die für Tibeter als Angehörige einer ethnischen Minderheit reservierten Plätze an chinesische Studenten vergeben".

Eine ganze Reihe von Chinesen stehlen die wenigen Möglichkeiten, die tibetischen Studenten offenstehen, diesen noch weg. Eine solche Vermutung wird durch die Tatsache erhärtet, daß von den 1.019 Studenten, die 2001 für die reservierten Studienplätze in frage kamen, nur 405 Tibeter, jedoch 515 Chinesen waren(159).

Um die Anzahl der Studenten niedriger zu halten, kommen auch Altersbeschränkungen zur Anwendung. Auch hier haben die Tibeter das Nachsehen, denn sie kommen später als Kinder in Zentralchina in die Schule(160).

Ein weiterer Faktor, der die Grundschulbildung tibetischer Kinder beeinträchtigt, ist die ethnische Zusammensetzung ihrer Klassen. Diese reflektiert oft die Demographie der Bevölkerung in der Schulgegend. In staatlichen Schulen sind oft die guten Beziehungen ausschlaggebend (chin. guanxi), d.h. Schüler, deren Eltern in Regierungsbüros arbeiten oder Verwaltungspositionen in dem Schulwesen inne haben, werden begünstigt(161). Für die 18-jährige Dolma war etwa der Übergang von der Mittelschule des Distrikts Machu an die Präfektur-Mittelschule von Gannan einfach. Sie sagte: "Man braucht private Beziehungen zu dem Schuldirektor, die ich glücklicherweise habe, weshalb ich meine Schule wechseln konnte(162).

Auch für die Lehrer sind Beziehungen wichtig, was ihren Arbeitsplatz betrifft. Choeyang, einer Dorfgrundschullehrerin im Distrikt Jyekundo (chin. Yushu), Provinz Qinghai, zufolge sind die beruflichen Möglichkeiten in dieser Gegend sehr eingeschränkt. Sogar mit einem Lehrerzertifikat sei es sehr schwierig, eine Anstellung zu finden. Für Studenten aus Familien, die Wohlstand oder gute Beziehungen haben, sei es nicht so schwierig, eine Stelle zu bekommen, meinte sie. Diese schlechten Berufsaussichten veranlaßten Choeyang schließlich dazu, Tibet zu verlassen(163).

II.3.5

Schlussbemerkungen

Die Regierung in Peking lebt in ständiger Furcht vor politischer Unruhe in Tibet. Um dieser vorzubeugen, räumte sie dem Bildungswesen, als einem Vehikel, mit dem der Jugend Loyalität dem Staat gegenüber anerzogen werden soll, einen hohen Stellenwert ein. Das Hauptziel des Bildungswesens in Tibet ist die Sinisierung der tibetischen Bevölkerung und ihre Indoktrinierung mit politischen Lehrsätzen. China läßt keine Gelegenheit vorbeigehen, die Massen mit Phrasen über die Liebe zum großen Mutterland zu überschwemmen. Der Bildungssektor ist keine Ausnahme.

Die offizielle Sprache ist Chinesisch, was eine Diskriminierung der Tibeter in jedem Bereich ihres Lebens bedeutet. Obwohl die tibetische Sprache hie und da sporadisch gefördert wird, wird sie nur als ein Instrument für die Verbreitung der Politik und Ideologie des Staates gesehen. Trotz der großartigen Bestimmungen in der chinesischen Nationalgesetzgebung und den von der Regionalregierung beschlossenen Anordnungen wird Tibetisch zwangsläufig allmählich eine sterbende Sprache, denn in allen Formen der Massenkommunikation in Tibet wird es als Mittel der Verständigung abgeschafft. Die tibetische Sprache wird angesichts des viel bejubelten wirtschaftlichen Wohlstands der 15 % Tibeter, die nicht unterhalb der Armutsgrenze leben, nebensächlich. Peking ist es gelungen, einen künstlichen Bedarf für Chinesisch zu schaffen, indem es denjenigen Tibetern, die unbedingt in ihrer Muttersprache studieren wollen, das Gespenst der Arbeitslosigkeit vor Augen führt. Außerdem müssen diejenigen, die auf der Erhaltung ihrer Kultur und Sprache bestehen, damit rechnen, daß sie des Separatismus und der Volksverhetzung verdächtigt werden.

Die Minoritäten-Erziehungseinrichtungen für Tibeter sind so "minor" (= klein, unbedeutend, gering) wie es ihr Name sagt. Die sogenannte "Bildung für Minoritäten" gibt es nur auf dem Papier, da die für Tibeter reservierten Plätze für eine höhere Schulbildung von Han-Chinesen "gestohlen" werden, die sich als Tibeter ausgeben, indem sie ihren Namen und ihre Wohnsitz-Registrierung fälschen(164). Die Behörden nehmen diese chinesischen Studenten willig auf, indem sie ihnen eine falsche Wohnungs-Registrierung und Identität bescheinigen(165).

Die sogenannten "Inland-Schulen" (d.h. in China befindliche Schulen) für tibetische Kinder dienen nur der noch wirksameren Kontrolle der Tibeter, da diese Jugendlichen nach dem Abschluß ihrer Schulbildung auf gehobenen Posten in ihrer Kommune im Sinne Chinas agieren werden. Die Gehirne dieser Schüler werden gründlich gereinigt und mit kommunistischer Ideologie vollgestopft, so daß sie dann als perfekte Führungskader zur Durchsetzung der Regierungspolitik wirken werden. In diesen Inland-Schulen werden die Handlanger Chinas für die Verwaltung Tibets herangebildet.

China versprach, die Tibeter gebührend zu fördern und zu bilden, aber die gegenwärtige Realität zeigt, daß dies nichts als leere Versprechungen. China beruft sich oft auf das Schlagwort Entwicklung, wenn es gewisser politischer Maßnahmen wegen angegriffen wird. Es sei denn in Tibet findet eine Entwicklung statt, von der die Menschen etwas haben, wird es keine nachhaltige Entwicklung dort geben. Bildung ist nachhaltige Entwicklung. Und solange keine echten Verbesserungen im tibetischen Bildungswesen erreicht werden, bleiben dem ganzen Volk die grundlegenden wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte verweigert.

Teil II.4

4. Das Recht auf Gesundheit

Gesundheit ist vielleicht das wichtigste Gut im Leben des Menschen: Untrennbar ist sie mit anderen Rechten und mit dem Glück des Menschen und seinem Wohlbefinden verbunden. Doch gibt es viele Menschen auf dieser Erde, wozu auch die Tibeter zu rechnen sind, denen dieses Grundrecht immer noch vorenthalten wird. Das Recht auf Gesundheit beinhaltet eine Reihe von sekundären Rechten, die ebenso bedeutsam sind, wie das Recht auf freie oder erschwingliche Gesundheitsfürsorge und medizinische Versorgung, das Recht auf Verfügbarkeit medizinischer Dienstleistungen in zumutbarer Entfernung, sowie das Recht auf Information über allgemeine gesundheitliche Fragen.

Das Recht auf Gesundheit wurde in vielen internationalen Vertragswerken, wie der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR), den Konventionen und Erklärungen zu Flüchtlingen, Rassendiskriminierung, Wanderarbeiter, Gefangenen, Frauen und Behinderten behandelt.

Der "Genuß des erreichbaren Höchstmaßes an Gesundheit" wird von der internationalen Gemeinschaft als Grundrecht anerkannt, seit sie sich 1946 zur Verfassung der World Health Organization (WHO) bekannte(166). Die UDHR sieht vor, daß "jeder Mensch Anspruch auf eine Lebenshaltung hat, die seine und seiner Familie Gesundheit und Wohlbefinden, einschließlich ... ärztlicher Betreuung und der notwendigen Leistungen der sozialen Fürsorge gewährleistet"(167).

Rechtsinstrumente wie das "Internationale Übereinkommen zur Beseitigung von Rassendiskriminierung" (ICERD), das auch von China ratifiziert wurde, verbieten, daß bei der Wahrnehmung des Rechts auf öffentliche Gesundheit und medizinische Betreuung Rassendiskriminierung geübt wird(168), sie "erkennen das Recht des Kindes auf das erreichbare Höchstmaß an Gesundheit an, sowie auf Inanspruchnahme von Einrichtungen zur Behandlung von Krankheiten und zur Wiederherstellung der Gesundheit"(169), und sie ächten die Diskriminierung von Frauen im Bereich der Gesundheitsfürsorge (170), "damit auf der Grundlage der Gleichberechtigung von Mann und Frau der Zugang zu den gesundheitlichen Diensten gewährleistet wird" . Der Artikel 14(2b) der "Konvention über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen" (CEDAW) garantiert das Recht der Frauen auf dem Lande auf "Zugang zu angemessenen Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge".

Zusätzlich zu diesen internationalen Verpflichtungen bekennt sich die PRC in ihren nationalen Gesetzen dazu, ihren Bürgern gesundheitliche Versorgung zu gewährleisten. In seiner Verfassung verpflichtet sich China, "das Gesundheitswesen zu entwickeln, die moderne Medizin und die traditionelle chinesische Medizin zu fördern, die Verbände der ländlichen Kollektivwirtschaft, die staatlichen Betriebe und Institutionen und die Nachbarschaftskomitees zu unterstützen, sowie hygienische Einrichtungen für das Volk zu schaffen"(171).

Während der Staat in den Städten Chinas bedeutsame Fortschritte im Gesundheitswesen gemacht hat, bleiben die gesundheitlichen Verhältnisse der Tibeter weit hinter dem nationalen Durchschnitt und vor allem hinter den internationalen Normen für eine angemessene Gesundheitsversorgung zurück. Der Mangel an gesundheitlicher Basisversorgung, die hohen Kosten, das Fehlen von gut ausgebildetem medizinischem Personal in den Dörfern - all das sind die Gründe, warum die Tibeter nicht den "höchsten erreichbaren Standard" der Gesundheitsversorgung erreichen können.

Auf dem Hochland lebende Tibeter haben nur einen sehr eingeschränkten oder gar keinen Zugang zu Einrichtungen der Gesundheitsfürsorge. Die wenigen, die es auf dem Lande gibt, sind eher für die Behandlung von Krankheiten zuständig, als für Präventivmedizin, und außerdem sind sie extrem teuer. Moderne medizinische Dienste konzentrieren sich im allgemeinen auf Gegenden, wo chinesische Zuwanderer in großer Zahl wohnen. Die Städte sind zwar wesentlich besser versorgt, aber auch hier sehen sich die Tibeter im Gegensatz zu den Chinesen vielen Problemen gegenüber, wenn sie die verfügbaren medizinischen Dienste in Anspruch nehmen wollen.

Vielfach hört das TCHRD Klagen über Diskriminierung, überhöhte Gebühren, das Fehlen von tibetischsprachigem Personal - was zusammen genommen eine große Barriere für die Tibeter bedeutet, die von diesen Einrichtungen profitieren wollen. So wird immer wieder berichtet, daß nicht nur große Summen erforderlich sind, um überhaupt Einlaß in die medizinischen Einrichtungen zu finden oder von einem Arzt untersucht zu werden, sondern obendrein noch gute Beziehungen (chin. guanxi), über welche die Tibeter nur selten verfügen.

In entlegenen Gegenden ist die Notlage der Tibeter noch schlimmer. Die großen Entfernungen stellen hier das Haupthindernis dar, aber zudem leiden sie unter der Diskriminierung. Die gleisnerischen allgemeinen Verlautbarungen der chinesischen Regierung über den Fortschritt auf dem medizinischen Sektor werden von den Zeugnissen von Tibetern widerlegt, die für alle medizinischen Dienste sofort in bar bezahlen müssen, wozu oft noch willkürlich erhobene Gebühren kommen. Gesundheitsfürsorge bedeutet für sie kein Recht, sondern ein Gefallen, der denjenigen erwiesen wird, die zahlen können und die richtigen Beziehungen haben.

Der Mangel an öffentlicher Gesundheitserziehung bei den Tibetern gibt ebenfalls Anlaß zur Sorge. Bei Schätzungen von bis zu einer Mio. HIV positiven Fällen in ganz China in diesem Jahr nimmt China jetzt endlich diese Epidemie ernst und nennt die Lage "sehr gefährlich". "Das ist das erste Mal, daß die PRC einer Krankheit solche Aufmerksamkeit zukommen läßt"(172).

Besorgnis herrscht auch hinsichtlich der Fortpflanzungsrechte tibetischer Frauen, die einer strengen Geburtenkontrollpolitik unterworfen sind. Obwohl dieselbe Politik auch für Chinesinnen gilt, sind die Methoden, die bei den Tibeterinnen angewandt werden, höchst diskriminierender Art. Zwangssterilisierungen und andere Methoden der Geburtenkontrolle werden unter dem chinesischen Regime in großem Maßstab auf dem ganzen Hochland praktiziert, obwohl die PRC zu den Unterzeichnerstaaten der Konvention über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung der Frauen gehört(173). Die hohen Geldstrafen, die von Familien gefordert werden, welche die offiziell festgelegte Kinderzahl überschreiten, führen oft zu Abtreibungen in fortgeschrittenem Schwangerschaftsstadium und anderen gesundheitlichen Risiken für tibetische Frauen.

Höchst besorgniserregend sind auch die gesundheitlichen Bedingungen der politischen Gefangenen. Jedes Jahr hört man von Häftlingen, die in den Gefängnissen und Arbeitslagern Tibets vorzeitig sterben, wobei die Ursachen oft die mangelnde medizinische Betreuung, die schlechten hygienischen Verhältnisse, die unzulängliche Nahrung, das schlechte Trinkwasser und die unmenschlichen Zustände in den Gefängnissen sind.

II.4.1

Politische Gefangene sind gesundheitlich besonders gefährdet

Ende 2002 betrug die Zahl der in den verschiedenen Haftanstalten einsitzenden Tibeter schätzungsweise 208. Im Jahr 2001 wurde vom Tod von 10 politischen Gefangenen berichtet. Lobsang Dhargyal, ein tibetischer Gewissensgefangener, starb am 19. November 2002 in einer Fabrik in der Gemeinde Siling, TAP Golog, Qinghai, die hydroelektrische Ausrüstungen für Wasserkraftwerke herstellt und die zugleich als ein Arbeitsreformlager fungiert. Es ist so gut wie sicher, daß Lobsang Dhargyals Tod auf Folterung und Mißhandlung in dem Zwangsarbeitslager zurückzuführen ist. Es heißt, er sei an einer Gehirnblutung gestorben(174).

Das TCHRD verzeichnete seit 1986 den Tod von 79 politischen Gefangenen(175). Einige sind den Mißhandlungen in den Gefängnissen erlegen, andere sind infolge der unhygienischen und unmenschlichen Haftbedingungen in Tibet gestorben. Es stimmt zwar, daß in letzter Zeit ein Rückgang der Gefangenenzahlen zu beobachten ist. Einer der Gründe hierfür ist, daß die Behörden immer öfter Gefangene, die sich in einem kritischen gesundheitlichen Zustand befinden, vorzeitig freilassen. Der Sinn dieser Taktik, die Häftlinge aus medizinischen Gründen freizulassen, ist, der Verantwortung für ihren etwaigen Tod und der Kritik wegen der Verweigerung angemessener medizinischer Versorgung zu entgehen. Bei Gefangenen, deren Zustand keine Hoffnung mehr auf Genesung bietet, greifen die Chinesen routinemäßig zu dieser Entlassungsstrategie.

Die Verhältnisse sind in fast allen Gefängnissen, in denen tibetische politische Häftlinge festgehalten werden, weiterhin untragbar und entsprechen nicht den internationalen Normen. Amnesty International zufolge "halten die Berichte von Folterung und Mißhandlung von Gefangenen in den Haftanstalten der Autonomen Region Tibet an. Viele Häftlinge zogen sich infolge der ungenügenden Ernährung und der schlechten hygienischen Verhältnisse chronische Leiden zu"(176).

Die Gefängnisse in Tibet sind außerordentlich ungesunde Orte. Wenn man ehemalige Gefangene fragt, was für sie in der Haft die schlimmsten Probleme gewesen seien, so nennen sie gewöhnlich die Überbelegung der Zellen, den Mangel an medizinischer Versorgung und die minderwertige Nahrung. Die Sauberkeit der Sanitäreinrichtungen gehört zu den Schlüsselfaktoren für eine menschliche und anständige Behandlung. Sie beeinflussen die Gesundheit und Gemütslage der Gefangenen und bestimmen weitgehend die Lebensqualität im Gefängnis. Aber die Haftanstalten in Tibet haben keine Toiletten, sie sind nur mit den primitivsten Einrichtungen ausgestattet.

Dhak Lobsang aus dem Dorf Jheney, Distrikt Lithang, Präfektur Karze, der nach Verbüßung einer fünfjährigen Strafe im Ngaba Gefängnis in Sichuan ins Exil entkam, kann dies bestätigen. Zusammen mit zwei anderen Tibetern wurde er wegen "konterrevolutionärer Tätigkeiten, Aufhetzung und Propaganda" vom Mittleren Volksgericht von Karze in einem geheimen Verfahren verurteilt. Als er von den Qualen erzählte, die ihm die Gefängniswärter zufügten, beschrieb er auch die Zustände in der Zelle des PSB Haftzentrums Karze, wo er zuerst eingesperrt war: "Sie pferchten mich mit über 11 weiteren Personen zusammen in einen winzigen Raum. Dieser war so überfüllt, daß wir uns kaum darin bewegen konnten. Jeder hatte nur einen Fußbreit Platz zum Schlafen, so daß wir auf der Seite liegen mußten. Es gab zwei unbedeckte Eimer als Toilette in dem Raum. Der schreckliche Gestank dieser Eimer zusammen mit dem Gedränge war unerträglich, und man hatte das Gefühl zu ersticken. Aber wir hatten keine andere Wahl. Das Essen, das sie uns gaben, war kaum genießbar, es war so schlecht und so dürftig, daß viele meiner Mitgefangenen erkrankten"(177).

II.4.2

Missachtung der Mindeststandards für die Behandlung von Gefangenen

Die "Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen" der Vereinten Nationen schreiben genau vor, wie mit Häftlingen umzugehen ist:

10. Die Unterbringung von Gefangenen und besonders die Schlafräume müssen den Erfordernissen der Gesundheit Genüge tun, wobei auf die klimatischen Bedingungen zu achten ist, vor allem auf das Luftvolumen in dem Raum, ein Minimum an Bodenfläche, sowie auf die Beleuchtung, Heizung und Durchlüftung.

11. Die sanitären Einrichtungen müssen angemessen sein, damit jeder Häftling in sauberer und anständiger Weise seine Notdurft verrichten kann, wenn es ihn dazu drängt.

12. Angemessene Bade- und Dusch-Vorrichtungen müssen vorhanden sein, damit jeder Häftling bei einer dem Klima angemessenen Temperatur so oft wie es gemäß der Jahreszeit und geographischen Lage der allgemeinen Hygiene entspricht , ein Bad oder eine Dusche nehmen kann.

13. Die Gefangenen müssen ihren Körper rein halten, und zu diesem Zweck müssen ihnen Wasser und die für Gesundheit und Sauberkeit notwendigen Toilettenartikel geliefert werden.

19. Jeder Gefangene muß dem lokalen oder nationalen Standard gemäß ein eigenes Bett mit eigenem und ausreichendem Bettzeug bekommen, das bei der Ausgabe sauber ist, in Ordnung gehalten und in regelmäßigen Abständen gewechselt wird, um die Sauberkeit zu gewährleisten(178).

Politische Gefangene sollten so untergebracht werden, wie es von den UN Mindeststandards für die Behandlung von Strafgefangenen gefordert wird. Die Gefängnisbedingungen in Tibet sind oft hart; hinzu kommen ungenügende Ernährung und medizinische Betreuung. Wie aus den Berichten hervorgeht, werden die Gefangenen vielfach bestraft, indem man sie extremen Temperaturen aussetzt.

Takna Jigme Sangpo, der politische Gefangene mit der längsten Haftstrafe in Tibet, wurde am 31. März 2002 aus medizinischen Gründen vorzeitig entlassen(179). "Eines Tags - so erzählt Takna - wurde ich aus meiner Zelle geschleift und so schrecklich geschlagen, daß mein Körper ganz taub wurde; und danach kam ich in Einzelhaft. Sechs Wochen später wurde ich einer neuen Qual in Form der 'kalten Zelle' unterworfen. Die Zelle war mit nassen Laken ausgestattet, welche die Temperatur niedrig hielten. Obwohl es gerade Winter war, wenn die Temperatur in Lhasa um minus 3,5º C beträgt und bis auf minus 10º C fallen kann, war es mir verboten, ein weiteres Kleidungsstück anzuziehen"(180).

Politischen Häftlingen wird häufig die medizinische Betreuung so lange versagt, bis ihr Zustand kritisch geworden ist, und selbst dann ist sie unzulänglich(181). Das wird von ehemaligen Gefangenen wie Soepa aus dem Dorf Mancho, Distrikt Dzogang, Präfektur Chamdo, TAR, betätigt. Soepa war fünf Jahre im Drapchi Gefängnis eingesperrt. Bei seinem Interview mit dem TCHRD erzählte er von Fällen, wo seine Mitgefangenen infolge unterlassener medizinischer Versorgung entsetzlich litten. Häftlinge, die erkranken, werden nicht sofort betreut. Sie werden so lange liegen gelassen, bis Mitgefangene protestieren und fordern, daß man sich um sie kümmere. Soepa erzählt von einem Mitgefangenen namens Bhugo aus dem Kreis Medrogongkar, TAR:

"Bhugo erkrankte im Gefängnis, aber lange Zeit wurde seine Erkrankung ignoriert. Fast vier Monate war er schon bettlägerig. Sein Zustand verschlimmerte sich so sehr, daß er nicht mehr auf den Füßen stehen konnte und in die Hosen machte. Erst als seine Kameraden zu protestieren begannen, ließ das Gefängnispersonal ihn endlich ins Militärhospital bringen, wo er 19 Tage lang lag".

Gonpo Gyaltsen aus dem Kreis Drayab, Präfektur Chamdo, TAR, ist ein ähnlicher Fall, den Soepa erwähnte: "Gonpo litt an Tuberkulose, aber wurde fast drei Monate lang ohne ärztliche Behandlung gelassen. Er schrie die ganze Nacht hindurch und flehte um medizinische Betreuung, aber ohne Erfolg. Schließlich brachte ihn Gyamtso, ein Gefängnisaufseher, ins Hospital". Soepa erzählte auch, daß viele seiner Mitgefangenen an Appendizitis litten, die seiner Ansicht nach von dem miserablen Essen in der Anstalt herrührt. Während seiner Zeit im Gefängnis seien etwa sechs Häftlinge an Appendizitis erkrankt(182).

Gefangene in Tibet ziehen sich leicht Tuberkulose oder gar die arzneimittel-resistente Form dieser Infektion zu(183). Wie dokumentiert wurde, können in den gewöhnlich überfüllten und unhygienischen chinesischen Gefängnissen Epidemien wie Tuberkulose ein großes Problem werden(184).

Tibetische Gefangene - besonders solche, die zu Unrecht hinter Gittern sitzen – sehen sich oft in medizinischer Hinsicht gewaltig diskriminiert. So werden sie zu harter physischer Arbeit herangezogen, selbst wenn sie gesundheitlich nicht dazu in der Lage sind. Thupten Namdrol, ein politischer Ex-Gefangener aus dem Kreis Gyatsa, Präfektur Lhokha, TAR, starb 2002. Thupten Namdrol hatte über 27 Jahre im Gefängnis gesessen, ehe er 1995 entlassen wurde. Obwohl er in der Haft erkrankte, mußte er Zwangsarbeit leisten. In den letzten Jahren sind viele politische Gefangene kurz nach ihrer Entlassung den Leiden erlegen, die sie sich in der Gefangenschaft zugezogen hatten(185). Eine Gefängnisstrafe kann so zu einem Todesurteil werden. Selbst der Gefängnisdirektor von Drapchi räumte, als er am 31. Mai 2002 eine offizielle Angabe zu den Todesfällen durch Unfall in tibetischen Gefängnissen machte, den Tod von 15 Gefangenen infolge von Krankheit in den vergangenen 5 Jahren ein(186).

Im August 2002 wurde von der Fertigstellung eines neuen Straftraktes im Drapchi Gefängnis für Häftlinge unter verschärften Vollzugsbedingungen und für neue männliche Häftlinge berichtet(187). Auch Bilder davon wurden veröffentlicht. Die Bedingungen in diesem als tsonkhul (Haftbereich) No. 9 bekannten Trakt sind die härtesten in der ganzen Anstalt. TIN berichtet, daß dieser Haftbereich No. 9, der etwa um Mitte 2002 in Betrieb genommen wurde, insgesamt 24 Zellen umfaßt. Zwei sind für Isolationshaft eingerichtet, während es sich bei 21 um Zellen für zwei Häftlinge handelt. Diese Zwei-Mann-Zellen messen rund drei mal drei Meter. Die Zellen sind durchweg ungenügend belüftet(188).

Wie berichtet, soll das erste Gefängnishospital in Tibet bald seiner Funktion übergeben werden. Es befindet sich gleich außerhalb der Mauern von Drapchi und soll wohl der Verbesserung der medizinischen Versorgung in den drei Hauptgefängnissen Tibets dienen: der Tibetischen Regionalen Haftanstalt (Drapchi), dem Lhasa Gefängnis und dem Bomi Gefängnis(189). Ein Hospital für die Behandlung von Gefangenen in Tibet war dringend notwendig und hätte schon längst gebaut werden sollen. Während die Einrichtung einer solchen Anlage lobenswert ist, bleibt abzuwarten, ob sie sich für die tibetischen Gefangenen wirklich als nützlich erweist.

ICT und andere Tibet Unterstützungsgruppen führten in diesem Jahr mit Aufrufen zur Verbesserung der Haftbedingungen für politische Gefangene einige Briefkampagnen großen Stils durch(190). Falls die chinesische Regierung wirklich ihre Behauptungen in die Tat umsetzt, sehen wir vielleicht bald eine Verbesserung der gesundheitlichen Lage der Gefangenen – aber vorerst können wir nur abwarten, beobachten und hoffen.

II.4.3

Psychologische Implikationen

Gefängnisse in Tibet bedeuten für die politischen Gefangenen mehr als den Verlust ihrer physischen Freiheit. Die lang andauernde Einzelhaft in grauenhaften Zellen - besonders nach brutalen Schlägen und Folter - führt oft zur psychologischen Traumatisierung der Häftlinge. Die Folgen der Isolationshaft über lange Zeit können sehr destruktiv sein. Foltermethoden wie Schlaf- oder Nahrungsentzug und die Auswirkungen von extremer Kälte oder Hitze mögen vielleicht weniger äußerlich sichtbare Spuren hinterlassen, können aber für den menschlichen Körper und die Persönlichkeit ebenso destruktiv sein wie Elektroschocks oder Prügel. Sie fügen dem Opfer nicht nur physischen Schmerz, sondern auch psychische Pein zu.

Ehemalige politische Gefangene, die in Einzelhaft waren, erzählen, daß sie während dieser Art der Inhaftierung oft in Hand- und Fußschellen gelegt wurden und erheblich weniger als sonst zu essen bekamen. Die Isolationszellen im Drapchi Gefängnis sind so winzig, daß sich ein Häftling gerade darin niederlegen kann. Außerdem sind sie völlig dunkel, ohne Fenster und elektrisches Licht(191).

Die UN Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen führen weiter aus:

31) Körperliche Züchtigung, Bestrafung durch Einschließen in eine dunkle Zelle und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Strafen sind als Maßregelung für disziplinäre Vergehen vollständig verboten.

32(1)Bestrafung durch Einschließen in eine Isolationszelle oder Verringerung der Nahrungsmenge darf nicht angewendet werden, es sei denn der Gefängnisarzt hat den Häftling untersucht und schriftlich bescheinigt, daß er physisch dazu in der Lage ist.

In direkter Verletzung der von den Vereinten Nationen aufgestellten Regeln werden die tibetischen Häftlinge jedoch routinemäßig und unter harten Bedingungen in dunkle überfüllte Zellen gesteckt, wo die sanitären Einrichtungen fast gänzlich fehlen und sie ungenügend ernährt werden(192). Die Berichte ehemaliger Gefangener beweisen, daß von einer Einhaltung dieser völkerrechtlichen Regeln in Tibet keine Rede sein kann.

II.4.4

Verstoss gegen die medizinische Standesethik

Im internationalen Ehrenkodex für Mediziner heißt es, daß es die Pflicht eines Arztes ist, zum Wohle der Patienten, doch niemals zu ihrem Schaden, zu wirken. Doch leider kommt die unzulängliche oder gänzliche Verweigerung medizinischer Behandlung einer Beteiligung der Ärzte an der systematischen Folter gleich, was zu den gesundheitlichen Problemen der Gefangenen in Tibet nicht unbeträchtlich beiträgt.

Die Wiener Erklärung fordert in ihrem Paragraph 58, daß folgende Prinzipien der medizinischen Standesethik besondere Beachtung erhalten, daß sie weltweit respektiert und wirksam umgesetzt werden:

Grundsatz 1

"Das medizinische Personal, besonders Ärzte, die mit der medizinischen Betreuung von Gefangenen und Häftlingen betraut sind, haben die Pflicht, für den Schutz von deren physischen und mentalen Gesundheit zu sorgen und sie im Krankheitsfall mit derselben Sorgfalt und denselben Methoden zu behandeln, wie sie es bei anderen Personen tun, die nicht ihrer Freiheit beraubt wurden".

Grundsatz 3

"Wenn das medizinische Personal, besonders die Ärzte, mit Gefangenen oder Häftlingen in irgendeiner professionellen Beziehung stehen, deren Zweck über die Beurteilung, den Schutz und die Verbesserung von deren physischen und mentalen Gesundheit hinausgeht, verstoßen sie gegen die medizinische Ethik".

In den Zeugenberichten ist immer wieder die Rede von der Gleichgültigkeit des medizinischen Personals den Gefangenen gegenüber, was im Widerspruch zu den genannten Prinzipien steht. Und was noch schlimmer ist, in einigen Fällen wird die Verweigerung medizinischer Versorgung sogar zur Bestrafung eingesetzt. Lhakpa Tsering, ein ehemaliger politischer Gefangener, berichtet dem TCHRD, er habe einmal gehört, wie eine Gefängnis-Krankenwärterin eine andere belehrte: "Wenn die Häftlinge aus dem Trakt No. 5 (für politische Gefangene) sind, kannst du ihnen eine x-beliebige Arznei geben, es ist völlig egal, worüber sie klagen"(193).

II.4.5

Das Recht der Gefangenen auf angemessene Ernährung

In seinem "Millennium Report" erklärte der UN Generalsekretär Kofi Annan, daß in der heutigen Welt dem Kampf gegen den Hunger und der Geltendmachung eines neuen Menschenrechts - des Rechtes auf Nahrung - oberste Priorität gebühre(194).

Und der Sonderberichterstatter über das Recht auf Nahrung fügt hinzu(195): "Das Recht auf Nahrung ist das Recht, regelmäßigen, ständigen und ungehinderten Zugang - entweder direkt oder durch käuflichen Erwerb - zu qualitativ angemessener und ausreichender Nahrung zu haben, die den kulturellen Traditionen des Volkes (welchem der Konsument angehört) entspricht und die ein physisch und mental, individuell und kollektiv erfülltes und würdiges Leben frei von Sorge ermöglicht"(196).

Die Vertragsstaaten des ICESCR sind gesetzlich verpflichtet, die notwendigen Schritte zu ergreifen, damit das Recht auf Nahrung respektiert, geschützt, ermöglicht und erfüllt wird. Trotzdem versäumt es China, sogar nachdem es diesen internationalen Vertrag am 27. März 2001 ratifiziert hat, dem Recht auf Nahrung nachzukommen, wenn es sich um politische Gefangene handelt.

Gefangene in Tibet leiden ständigen Hunger und sind permanent unterernährt. Die geringe Menge und die schlechte Qualität der Gefangenenkost ist etwas, worüber die Interviewten wiederholt klagten. Nahrung ist ein grundlegendes menschliches Bedürfnis und sollte allen geliefert werden. Sie sollte nicht auf diskriminierender Basis verteilt oder jemandem zur Strafe vorenthalten werden. Die ehemaligen politischen Gefangenen erzählen jedoch immer wieder, daß Nahrungsentzug als ein Mittel zur Bestrafung eingesetzt wird, etwa anfänglich während der Vernehmungsphase oder später, wenn sie in Isolationshaft gehalten werden(197).

Die Regel 20 der UN-Mindestgrundsätze für die Behandlung von Gefangenen sieht vor:

"Jeder Gefangene hat zu den üblichen Tageszeiten von der Gefängnisverwaltung mit vollwertiger, bekömmlicher, gut zubereiteter und ordentlich servierter Kost, die ihm Gesundheit und Kraft gibt, versorgt zu werden".

In scharfem Kontrast zu dieser Bestimmung liefern die Berichte der Gefangenen ein ganz anderes und besorgniserregendes Bild. Um Lhakpa Tsering, der drei Jahre im Drapchi-Gefängnis einsaß, zu zitieren: "Das Essen wird sehr unhygienisch zubereitet. Um das Spülen der riesigen Kochtöpfe zu umgehen, stellt das Küchenpersonal die Gefäße einfach zum Trocknen in die Sonne. Sowohl die Küche als auch die Köche sind sehr schmutzig. Morgens bekamen wir eine Handvoll tsampa (geröstetes Gerstenmehl) mit gesalzenem schwarzem Tee. Die tingmos (Dampfwecken), die sie uns gaben, waren manchmal zwei oder drei Tage alt, und das Gemüse war eher eine Brühe, denn es war keine Spur von Gemüse darin"(198).

II.4.6

Frauen und ihr Wohl

Die Konvention über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung gegen Frauen (CEDAW) mahnt die Vertragsstaaten, "alle geeigneten Maßnahmen zur Beseitigung der Diskriminierung der Frau im Bereich des Gesundheitswesens zu treffen und erforderlichenfalls für unentgeltliche Betreuung der Frau während der Schwangerschaft sowie während und nach der Entbindung und für eine ausreichende Ernährung während der Schwangerschaft und Stillzeit zu sorgen"(199).

Die "Beijing Platform for Action" (BPFA)(200) definiert, daß Frauen "das Recht auf den Genuß des höchsten erreichbaren Standards physischer und mentaler Gesundheit" haben(201). Die BPFA berücksichtigt auch, daß Frauen hinsichtlich der Gesundheitspflege das Recht auf einen Privatbereich haben, darauf, über HIV/AIDS aufgeklärt zu werden, usw.

Die Peking-Konferenz erklärt fernerhin: "Gute Gesundheit ist wesentlich, um ein produktives und erfülltes Leben zu führen, und das Recht aller Frauen auf die Kontrolle aller Aspekte ihrer Gesundheit, insbesondere ihrer eigenen Fruchtbarkeit, liegt ihrer Handlungsbefugnis zugrunde"(202).

"Die Menschenrechte der Frauen schließen ihr Recht ein, in allem, was ihre Sexualität angeht, wozu auch ihre geschlechtliche und reproduktive Gesundheit gehört, selbst die Kontrolle, die Entscheidung und Verantwortung frei von Zwang, Diskriminierung und Gewalt zu haben"(203).

Das Thema der Reproduktions-Rechte tibetischer Frauen unter den "Beijing Regulations" gibt indessen Anlaß zu Besorgnis. Obwohl alle Frauen in der PRC einer strengen Geburtenkontrolle unterliegen, sind doch die Maßnahmen, die den Tibeterinnen aufgezwungen werden, von äußerst diskriminierender Art. Zwangsabtreibungen und Sterilisierungen und andere drastische medizinische Eingriffe in ungeheurem Ausmaß sind kennzeichnend für das Regime der PRC - einem Staat, der zu den Unterzeichnern der Konvention über die Beseitigung aller Formen von Diskriminierung der Frauen gehört(204).

Harte Geldstrafen, die denjenigen Familien auferlegt werden, welche die offiziell erlaubte Anzahl an Kindern überschreiten, führen oft dazu, daß hochschwangere Frauen abtreiben oder die Gesundheit tibetischer Frauen ernstlich bedroht ist. Strafen für "illegale Geburten" sind gang und gäbe, wie die Aussage eines 38-jährigen Nomaden aus dem Kreis Drango, TAP Kandze, Sichuan, zeigt: "Daß jemand vier oder fünf Kinder hätte, gibt es in unserem Dorf nicht. Bei mehr als drei Kindern wird der Familie eine Strafe von 1.400 Yuan (169 US $) aufgebrummt. Für jedes zusätzliche Kind gibt es eine weitere Strafe, die so lange gezahlt werden muß, bis das Kind das 18. Lebensjahr erreicht hat. Wenn jemand die Strafe nicht zahlen kann, dann nehmen die Familienplaner dem betreffenden Haushalt Rinder und anderen Besitz weg".

Ein anderer Tibeter aus dem Distrikt Trika, TAP Tsolho, Qinghai, berichtet, daß drei Frauen in seiner Gegend eine Geldstrafe von 2.000 Yuan (242 US$) zahlen mußten, weil sie die offizielle Anzahl der pro Familie erlaubten Kinder überschritten hatten. Er erzählte: "Alle drei Frauen mußten die Strafe zahlen und wurden zur Operation ins Krankenhaus gebracht. Dort kann man dem Eingriff nicht mehr entgehen"(205).

In ihrem Rechenschaftsbericht von 1998 an die CEDAW erwähnt die PRC die gesundheitliche Versorgung tibetischer Frauen überhaupt nicht. China spricht jedoch von einer allgemeinen Ausweitung der gesundheitlichen Fürsorge für Frauen, womit eine "Verbesserung der Gesundheit von Frauen und Kindern" eingetreten sei"(206). Doch aus dem, was uns erzählt wurde, kann man schließen, daß tibetische Frauen aus den von der chinesischen Regierung bejubelten Verbesserungen überhaupt nicht profitierten.

Aus unseren Quellen geht hervor, daß besonders in ländlichen Gegenden tibetische Frauen zu einer grundlegenden gesundheitlichen Versorgung buchstäblich keinen Zugang haben; selbst wenn eine solche zur Verfügung stünde, könnten sie wegen der hohen Kosten keinen Gebrauch davon machen. Lhakpa aus dem Kreis Tingri, Präfektur Shigatse, TAR, berichtete dem TCHRD, in ihrem Landkreis gebe es keine Krankenstationen oder Spitäler: "Ein medizinisches Team aus zwei oder drei Chinesen kommt nur in den wärmeren fünf oder sechs Monaten in unsere Gegend. Sie verabreichen allen Frauen, welche die offizielle Anzahl an Kindern erreicht haben, eine Spritze in die Schulter, um sie unfruchtbar zu machen"(207). Über die Langzeitwirkung dieser Injektionen weiß man bisher nichts.

In vielen Fällen hält die Furcht, sie könnten Opfer von Zwangssterilisierung oder Abtreibung werden, die Frauen davon ab, medizinische Dienste in Anspruch zu nehmen. Trotz der angeblichen Zugeständnisse an "Minderheitengruppen" sehen sich tibetische Frauen von Chinas Geburtenkontrollpolitik diskriminiert, weil sie gegen ihren Willen Sterilisierungs- und Abtreibungsprozeduren unterworfen werfen.

Die an tibetischen Frauen vorgenommenen Operationen zur Abtreibung oder Empfängnisverhütung sind oft gefährlich. Sie werden in behelfsmäßigen Einrichtungen durchgeführt ohne medizinische Nachbetreuung oder Verabreichung von Medikamenten. Wegen der allgemein herrschenden Nachlässigkeit gibt es nach solchen Eingriffen, die dem Zweck der endgültigen Sterilisierung oder der Einpflanzung von Langzeit-Kontrazeptiva dienen, viele Todesfälle(208). Erzwungene Sterilisierung, Empfängnisverhütung und Abtreibung, sogar in fortgeschrittenem Stadium, sind allgemeine Praxis in Tibet. Derartige Eingriffe, welche die Geburt eines Kindes unterbinden, fügen den Frauen körperlichen und seelischen Schmerz zu und können sogar zum Tode führen; sie wirken sich daher äußerst negativ auf das mentale Gleichgewicht der Patientinnen aus.

Auch die gesundheitliche Lage weiblicher tibetischer Häftlinge gibt Anlaß zu großer Sorge. Außer daß sie Mißhandlung und Folter ausgesetzt sind, sehen sich weibliche Gefangene in entwürdigender Weise behandelt, indem ihnen ihre grundlegenden Bedürfnisse verweigert werden, sie etwa keine Binden für ihre Menstruation und keine Möglichkeit bekommen, sich zu waschen. Die Gefängnisbedingungen für tibetische Frauen entsprechen in keiner Weise den internationalen Richtlinien für menschenwürdige Inhaftierung. Die Gefangenen müssen Zwangsarbeit leisten und militärartigen Drill über sich ergehen lassen und werden auf vielerlei grausame Weise physisch und psychisch gefoltert.

Der Fall von Ngawang Sangdrol, einer 24-jährigen Nonne, die am 17. Oktober 2002 angeblich wegen guter Führung neun Jahre früher freigelassen wurde, ist ein Beweis für die schwere Folterung und den Mangel an medizinischer Versorgung in den Haftanstalten. Passang Lhamo, eine ehemalige Gefangene aus Drapchi, die jetzt im Exil lebt, erzählt: "Sangdrol wurde wegen ihrer Teilnahme an dem Gefangenenprotest vom Mai 1998 unmäßig geschlagen und brutal gefoltert. Sie war mehrere Stunden lang bewußtlos. Seitdem bekommt sie häufige Anfälle mit heftigen Kopfschmerzen, außerdem ist sie herzkrank und hat Magen- und Darmbeschwerden"(209). Das TCHRD meint daher, daß Sangdrol eher aus medizinischen Gründen als wegen ihrer vermeintlichen "guten Führung" freigelassen wurde.

Die unzureichende medizinische Versorgung in den Haftanstalten, wie auch die vermutete Absprache des medizinischen Personals mit der Gefängnisleitung sind die Hauptprobleme, die von den einschlägigen internationalen Ethik-Kommissionen angegangen werden sollten. Dies erweist sich als besonders dringend angesichts des 2002 erschienenen Reports "Dangerous minds"(210), der von dem Einsatz der Psychiatrie durch den chinesischen Staat handelt, womit politische Dissidenten kaltgestellt, ihrer Freiheit beraubt und zwangstherapiert werden . Viele weibliche politische Gefangene, in erster Linie Nonnen, sind wegen unterbliebener medizinischer Versorgung gestorben - besonders nach den grausamen Folterungen(211).

Die Diskriminierung tibetischer Frauen auf dem Gebiet der Gesundheitsfürsorge erfolgt sowohl wegen ihres Geschlechts als auch wegen ihrer Zugehörigkeit zu einer Minderheit. Dies stellt nicht nur eine Verletzung internationaler Menschenrechtsnormen und humanitärer Gesetze dar, sondern trägt auch dazu bei, daß die Frauen in Tibet sich als machtlos und ohne Menschenwürde erleben.

II.4.7

HIV/AIDS: Die Epidemie greift um sich

HIV/AIDS, das in China erstmals 1985 auftrat, ist heutzutage eine weltumspannende Epidemie von globaler Bedeutung geworden. Während international ungeheure Summen für Kampagnen zur AIDS-Aufklärung ausgegeben werden, scheint das bei der chinesischen Regierung nicht der Fall zu sein. Es hat sich gezeigt, daß man sich in Tibet dieser Krankheit kaum bewußt ist und ein ernster Mangel an Aufklärung über sie herrscht.

Viele neu im Exil eintreffende Tibeter wissen gar nichts von der Existenz derartiger sexuell übertragbarer Krankheiten, während diejenigen, die davon gehört haben, über die unzulänglichen medizinischen Einrichtungen klagen, sowie darüber, wie gleichgültig und nachlässig die Gesundheitsbehörden in Tibet hinsichtlich dieses Problems sind. Es gibt jetzt viele Anzeichen, daß sich die Zentralregierung in Peking allmählich der Gefahr bewußt wird, doch die Aufklärung über AIDS und die Möglichkeiten der Prävention haben in dem riesigen Land gerade erst begonnen(212). Die chinesische Regierung ist trotz ihrer internationalen Verpflichtungen, allmählich den Kampf gegen den HIV/AIDS Virus aufzunehmen, auf dem Gebiet der Bekämpfung von HIV/AIDS und ähnlichen Krankheiten noch weit zurück. "China ist ein Land, wo AIDS so gut wie sicher zur Katastrophe wird, wo die Regierung nicht darüber reden will, und wo die Ärzte, welche die Krankheit bekämpfen, eingesperrt anstatt unterstützt werden"(213).

China schätzt, daß schon 850.000 Personen mit dem HIV Virus infiziert sind - ein gewaltiger Anstieg im Vergleich zum Vorjahr(214). Der offiziellen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua zufolge hatte das Gesundheitsministerium Ende letzten Jahres 30.736 HIV-positive Fälle registriert, von denen 1.594 AIDS hatten und von denen 684 an der Krankheit starben(215). Gesundheits-Experten bei den Vereinten Nationen sind der Ansicht, daß China mit 1.5 Mio. HIV positiven Fällen ein viel schlimmeres Problem hat, als die Regierung es wahrhaben möchte(216).

Angestellte im Gesundheitswesen räumen schon seit Jahren ein, daß die offiziell genannten Zahlen viel zu niedrig sind. Inoffizielle Schätzungen über die Anzahl der Personen, die in China den HIV-Virus in sich tragen, sind im Steigen begriffen - 1999 waren es 400.000, 2000 bereits 500.000, 2001 dann 600.000 und 2002 schließlich 850.000(217). Die Vereinten Nationen warnen, in China könnte es um 2010 an die 10 Mio. AIDS-Kranke geben, wenn nicht sofort entschieden eingegriffen wird(218).

Angesichts derartig alarmierender Schätzungen stellt HIV auch für die Tibeter, sowohl innerhalb als auch außerhalb der Autonomen Region Tibet, eine reale Bedrohung dar. AIDS ist bereits in fast allen Tibet umgebenden Ländern und Regionen erschreckend weit verbreitet, so in den chinesischen Provinzen Sichuan und Yunnan im Osten, Xinjiang im Norden und Nepal im Süden. Das Wirtschaftssystem, das die Chinesen Tibet aufgenötigt haben, basiert auf dem LKW-Fernverkehr, wobei die chinesische Politik den Handelsverkehr mit Nepal stark fördert. Angesichts dieser Fakten und der riesigen Militärpräsenz auf dem Hochland ist das Risiko für einen Ausbruch von AIDS in Tibet groß.

Obwohl die Infektionsrate in China noch nicht so hoch wie in Afrika ist, sind Gesundheitsexperten der Ansicht, daß in China alle Vorbedingungen für eine massive AIDS-Epidemie vorhanden sind: eine große mobile Bevölkerung, weitverbreitete Prostitution und eine wachsende sexuelle Promiskuität unter den Jugendlichen(219). Der größte Risikofaktor auf dem tibetischen Hochland ist jedoch das ausufernde kommerzielle Sexgewerbe in allen tibetischen Städten, das hauptsächlich die in Tibet beschäftigten Chinesen bedient. Die Anzahl der Prostituierten ist mit der Ankunft unzähliger Arbeitsbrigaden von wenig gebildeten und armen chinesischen Arbeitern zum Bau der Gormo-Lhasa Eisenbahn in letzter Zeit noch angeschwollen. In Lhasa betreiben Hunderte von Bordellen ihr Gewerbe ganz offen. Die 20-jährige Yulden aus Lhasa erzählte, daß das Prostitutionsgewerbe in der Hauptstadt überall ausgeübt wird: "Die meisten Sex-Arbeiterinnen in Tibet sind ethnische Han-Frauen, hauptsächlich aus Sichuan. Doch eine ansehnliche Zahl ethnischer Tibeterinnen, besonders Mädchen aus den Nomadengegenden, arbeiten auch als Prostituierte. Der Hauptgrund für diese Zunahme bei den tibetischen Prostituierten ist die erbärmliche finanzielle Lage der Tibeter(220).

Yunnan und Sichuan verzeichnen hohe Raten bestätigter HIV/AIDS Fälle, wobei Yunnan für ganz China den Rekord hält(221).

Die Haupt-Risikofaktoren für Tibeter sind:

  • Die Tatsache, daß viele in armen ländlichen Gegenden wohnen, wo die wirtschaftliche Lage die Leute manchmal zwingt, ihr Blut illegal zu verkaufen oder sich der Prostitution hinzugeben, um etwas Extrageld zu verdienen.

  • Eine hohe Armutsrate, die einen demoralisierenden Effekt hat und wiederum zu intravenösem Drogengebrauch führen kann.

  • Ein hohes Risiko der HIV-Ansteckung durch Bluttransfusionen und andere medizinische Prozeduren, bei denen die notwendigen Vorsichtsmaßnahmen außer Acht gelassen werden.

  • Der Mangel an aufklärenden Programmen zur Prävention von HIV/AIDS(222).

II.4.8

Verweigerung des Rechtes auf Information

In der Folge der rasanten Ausbreitung des HIV-Virus in der ländlichen Provinz Henan in Zentralchina ging Peking 2001 endlich mit seinem Kampf gegen AIDS an die Öffentlichkeit(223). Im November 2001 hielt China seine erste nationale AIDS-Konferenz in Peking ab, bei der Experten warnten, bei einer 30%igen Zuwachsrate könnte die Anzahl von HIV-positiven Leuten bis zum Jahr 2010 sogar 10 Millionen übersteigen(224). Ein UN-Bericht beanstandet indessen, Peking habe nicht genug getan, um die Öffentlichkeit über AIDS und die Art und Weise seiner Verbreitung zu unterrichten - viele Chinesen meinen nämlich immer noch, man könne sich diese Krankheit durch Moskitos oder durch Händeschütteln zuziehen(225). Die überwiegende Mehrzahl der Chinesen weiß nicht, wie AIDS übertragen wird, wovon die Krankheit verursacht wird, noch wie man sich vor ihr schützen kann(226). Diese Tatsachen kamen bei der ersten repräsentativen Umfrage über AIDS in China zutage, einem Land, in dem ein Fünftel der Erdbevölkerung lebt - beinahe 1,3 Mrd. Menschen, von denen schätzungsweise 850.000 HIV, den AIDS Virus, bereits in sich tragen(227).

Weitere Befunde:

  • Zwei Drittel der Chinesen wissen nicht, daß Kondome vor AIDS schützen oder daß durch mangelnde Sauberkeit bei Transfusionen eine Infektionsgefahr besteht.

  • Über 80% wußten nicht, daß man AIDS vermeiden kann, wenn man Injektionsnadeln nur einmal verwendet, oder daß eine infizierte Mutter den Virus auf ihr neugeborenes Baby übertragen kann.

Das Wissen über AIDS und die Maßnahmen zur Prävention sind ebenso bei den Tibetern in Tibet ausgesprochen mangelhaft. Die Interviews mit Neuankömmlingen aus Tibet enthüllen ein beachtliches Defizit an Aufklärung über diese Epidemie, die in Tibet immer mehr um sich greift. So erzählte jemand: "In unserem Dorf waren alle Plakate über AIDS-Vorbeugung auf Chinesisch geschrieben"(228). Dies zeigt, wie gleichgültig die chinesischen Behörden den gesundheitlichen Belangen der Tibeter gegenüber sind und wie sehr sie diese diskriminieren.

II.4.9

Ausschluss von der Gesundheitsfürsorge aus rassistischen Gründen

Der Artikel 5(e,iv) des "Internationalen Übereinkommens zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung" (CERD) garantiert das Recht eines jeden ohne Unterscheidung von Rasse, Farbe, nationaler oder ethnischer Herkunft "auf öffentliche Gesundheitsfürsorge, ärztliche Betreuung, soziale Sicherheit und soziale Dienstleistungen".

Der "Internationale Pakt über Wirtschaftliche, Soziale und Kulturelle Rechte" (ICESCR) (1966) spezifiziert ebenfalls, daß von den Vertragsparteien Schritte zu unternehmen sind "zur Schaffung der Voraussetzungen, die für jedermann im Krankheitsfall den Genuß medizinischer Einrichtungen und ärztlicher Betreuung sicherstellen"(229).

Obwohl in der Verfassung der PRC das Recht auf Gesundheit gar keine Erwähnung findet, hat China über die Jahre die Gesundheitsfürsorge in den Mittelpunkt seiner propagandistischen Weißbücher gestellt und Jahr für Jahr behauptet, im "tibetischen Sektor" wesentliche Fortschritte erzielt zu haben.

Derartige Beteuerungen werden von Fällen widerlegt, wie dem eines Tibeters (anonym bleibend) aus dem Kreis Tingkye, Präfektur Shigatse, TAR. Dieser ehemalige Mönch des Tashi Lhunpo Klosters erzählt von den Veränderungen, die er sah, als er in seinen Heimatort zurückkehrte: "Der Landkreis hat wirtschaftliche Fortschritte gemacht, aber die öffentlichen Einrichtungen wie Schulen und Krankenhäuser sind schlechter geworden. Was die letzteren anbelangt, so wurden von der Regierung früher Ärzte hingeschickt, aber dieser Tage geben sie den Leuten keine Medikamente aus, selbst wenn diese sie dringend benötigen. In den Krankenhäusern gibt es zwar Ärzte, aber die Ausstattung mit Medikamenten ist sehr dürftig. Manchmal müssen die Leute große Strecken zurücklegen, um an Medikamente zu gelangen, die sie obendrein eine Menge kosten"(230).

Wie Augenzeugen berichten, herrscht auf Dorf- und Gemeindeebene ein ernster Mangel an Krankenstationen und Krankenhäusern. Neuankömmlinge aus Tibet klagen, daß die medizinischen Einrichtungen hauptsächlich auf Kreisstädte und größere Städte beschränkt sind, was für schätzungsweise über 80% der Tibeter, die auf dem Lande wohnen, beachtliche Anreisewege bedeuten kann. Ein Tibeter aus dem Distrikt Darlag, Präfektur Golog, Qinghai, berichtet aus seiner Gegend: "Wir haben eine kleine Klinik mit gerade einem Arzt. Wenn man Kopfweh hat, gibt er einem Arznei, auch bei Fieber hat er ein Mittel parat, und ebenso hat er etwas gegen Magenschmerzen, aber wenn jemand ernstlich krank ist, weiß er nicht, wie er den Patienten behandeln soll"(231).

Rinzin Palmo aus dem Distrikt Nangchen, TAP Jyekundo, Qinghai, berichtet von ihrer älteren Schwester, die grauen Star hat: "Meine Schwester konnte nicht in dem Gemeindespital behandelt werden, weshalb wir zum Distriktskrankenhaus fahren mußten. Dort sagten sie uns, eine Operation würde Tausende von Yuan kosten, was wir uns niemals leisten konnten. So leidet meine Schwester eben immer noch an dem grauen Star"(232).

Rassendiskriminierung wird von der CERD definiert als "jede auf der Rasse, der Hautfarbe, der Abstammung, dem nationalen Ursprung oder dem Volkstum beruhende Unterscheidung, Ausschließung, Beschränkung oder Bevorzugung, die zum Ziel oder zur Folge hat, daß dadurch ein gleichberechtigtes Anerkennen, Genießen oder Ausüben von Menschenrechten und Grundfreiheiten im politischen, wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen oder jedem sonstigen Bereich des öffentlichen Lebens vereitelt oder beeinträchtigt wird"(233).

Über die Jahre erhob die internationale Gemeinschaft immer wieder Einspruch gegen die von den chinesischen Behörden verübten groben Verletzungen der bürgerlichen und politischen Rechte in Tibet. Besonders zu nennen ist hier der medizinische Bereich, wo die Verletzungen der gesundheitlichen Rechte der Tibeter in großem Maßstab weitergehen. Um in ein Krankenhaus aufgenommen oder auch nur von einem Arzt untersucht zu werden, ist es - wie viele vom TCHRD interviewte Tibeter berichten - nicht nur notwendig, alle Kosten im voraus bar zu bezahlen, sondern auch noch die notwendigen Beziehungen zu dem chinesischen Personal zu haben, ohne welche man kaum einen Fuß in das Gebäude setzen kann. Das medizinische Personal fühle sich nicht verpflichtet, allen Kranken in gleicher Weise zu Diensten zu stehen, es habe vielmehr die Vollmacht, diejenigen bevorzugt zu behandeln, welche über die richtigen Beziehungen verfügen.

Zwei ausländische Touristen, die nach ihrer Reise durch Amdo vom TCHRD interviewt wurden, versuchten sich in den von ihnen besuchten Gegenden ein Bild von der Situation zu machen und berichten: "Im Distrikt Darlag, Präfektur Golog, gab es um den Marktbereich herum kleine Ambulanzen, die gerade aus einem Raum bestanden. Sie stellen die hauptsächlichen Einrichtungen für die Gesundheitsfürsorge dar und geben sowohl tibetische als auch allopathische Arznei aus. In den weitläufigen Nomadengebieten, für welche die Stadt das Verwaltungszentrum ist, gibt es hingegen gar keine Krankenstationen. Die Behandlungsmethoden sind noch sehr primitiv. So waren Flaschen für intravenöse Infusion einfach an einem Nagel in der Wand aufgehängt. Die meisten der Kliniken waren nur dürftig mit Medikamenten und Instrumenten ausgestattet. Doch für die Gegend Darlag könnte das schon einen Fortschritt bedeuten"(234).

Zwei weitere Touristen, Yaki Platt und Sinead Ni Ghairbhit, die in den Monaten April bis Juni 2002 eine ausgedehnte Reise durch Tibet (hauptsächlich durch Kham und Amdo) unternahmen, erzählten: "In Lithang in der TAP Karze trafen wir einen Mann, der vor einem Monat sein Bein gebrochen hatte. Er mußte das Bett hüten, weil er die 400 RMB, die notwendig gewesen wären, um in einem Hospital Aufnahme zu finden, nicht aufbringen konnte. Die Gesundheitsfürsorge in Tibet ist also nicht unentgeltlich, und ebenso wie der Zustand der Straßen ist sie nur in den vornehmlich von Chinesen besiedelten Gebieten besser geworden"(235).

II.4.10

Die Ungerechtigkeiten des Systems

China war einst berühmt für die Beflissenheit, mit dem es durch sein System der "Barfußärzte" allen Bewohnern eine grundlegende gesundheitliche Versorgung zu bieten suchte. Seit Jahrzehnten hat China nun, zumindest auf nationaler Ebene, alle Verantwortung für das Gesundheitswesen abgeschüttelt und hat statt dessen denjenigen, die am wenigstens in der Lage sind zu zahlen, die ganze Verantwortung für ihr eigenes Gesundheitswesen aufgebürdet. Das Ergebnis ist nicht nur die schlechte gesundheitliche Versorgung der Landbevölkerung, sondern auch eine Konzentration der medizinischen Einrichtungen in den Städten und städtischen Zentren, wo für eine Behandlung die Vorauszahlung der ganzen Summe und entsprechende Beziehungen Voraussetzung sind. Für Leute mit ausreichendem Einkommen, wie die chinesischen Zuwanderer, die ein hohes Gehalt beziehen und gute Beziehungen haben, stellt dies kein Problem dar. Für Nomaden und Bauern, die wenig Bargeld und kaum Beziehungen haben, ist dieses System jedoch äußerst ungünstig(236).

Die Feldstudien der Weltbank demonstrieren im Detail, wie China nach 50 Jahren der Besetzung Tibets immer noch nicht in der Lage ist, den grundlegenden Erfordernissen der Gesundheitsfürsorge Rechnung zu tragen. So stellte die Weltbank fest: "Das Gesundheitswesen in China ist äußerst dezentralisiert. Anteilmäßig bestreitet die Zentralregierung nur 2% des gesamten Aufkommens für Gesundheit, alles übrige muß von den Instanzen auf untergeordneter Ebene aufgebracht werden"(237).

Chinas Aufkommen für die Gesundheitsfürsorge in Tibet stellt nur einen Bruchteil der gesamten verausgabten Gelder dar. Noch schlimmer wird die Sache, wenn von den Mitteln, die für das Gesundheitswesen in Tibet bereitgestellt werden, etwas für den Aufbau der Infrastruktur abgezapft wird – was in Gebieten mit erheblicher chinesischer Bevölkerung recht üblich geworden ist. Die Geschichte der Spende von einer der reichen östlichen Provinzen Chinas für ein verarmtes tibetisches Dorf ist typisch hierfür. Statt das Geld für die Verbesserung der Gesundheit oder Bildung einzusetzen, wurde die gesamte Summe für die Errichtung eines monumentalen Torbogens am Eingang zum Dorf benützt(238).

Die Feldforschungen der Weltbank in zwei Distrikten der Provinz Gansu, die an Tibet grenzt, zeigen sehr genau, wie ungleich gegenwärtig die medizinische Versorgung in China ist. Gemäß ihrem Bericht zu China vom Mai 2002 (National Development and Subnational Finance) gibt es für die Leute auf dem Land keine medizinischen Versicherungsprogramme mehr, und sie müssen alle Kosten des teuren Gesundheitssystem selbst zahlen.

"Über 90% der ländlichen Bevölkerung oder 700 Mio. Menschen in China verfügen über keinerlei Deckung durch ein System der Risikobündelung (Krankenversicherung) im medizinischen Bereich. Im Berichtszeitraum ist der staatliche Anteil am Gesamtaufkommen für Gesundheit gefallen, während der persönliche, aus eigener Tasche zu bestreitende Anteil rasch gestiegen ist. Die Regierung finanziert nur einen Bruchteil der gesamten Ausgaben im Gesundheitswesen, was verglichen mit anderen Ländern sehr wenig ist" (Welt Bank Report 2002).

Die Kosten für die medizinische Versorgung auf dem Land sind in den Achtzigern und Neunzigern doppelt so schnell gestiegen wie die Einkommen, womit das fundamentale Menschenrecht auf einen gleichberechtigten Zugang zur Gesundheitsfürsorge ausgehöhlt wird(239).

Der Weltbankbericht zu China stellt auch fest, daß die staatlichen Hilfeleistungen vornehmlich auf die Städte konzentriert sind, und daß vom Zentrum nur 82 US Cent pro Person und Jahr in die medizinische Versorgung auf Gemeindeebene fließt. 60% des staatlichen Gesamtaufkommens für das Gesundheitswesen fließen in den urbanen Sektor, in dem nur 30% der Bevölkerung wohnen, während die ländlichen Gebiete nur 40% bekommen.

Das Resultat ist: "Viele kommunale Gesundheitszentren sind sehr heruntergekommen und schlecht ausgerüstet, worin sich Jahre der Vernachlässigung bei der Instandhaltung, Wartung und Aufstockung der Einrichtung bemerkbar machen. Theoretisch sollten die Kommunalverwaltungen, in deren Bereich diese Ambulanzen fallen, sie auch finanzieren. Wenn die Zuteilung von staatlichen Mitteln aber nicht einmal genügt, um die Lohnkosten zu decken, müssen die Betreiber der Ambulanzen zwischen Instandhaltung bzw. Reparaturen und der Bezahlung des Personals wählen. Und oftmals ziehen sie es vor, die unmittelbaren Erwartungen ihrer (zumeist chinesischen) Angestellten zu erfüllen"(240).

Verglichen mit den globalen Statistiken der letzten Jahre nehmen sich Chinas Errungenschaften auf dem gesundheitlichen Sektor recht bescheiden aus. In China sind 9% der Bevölkerung unterernährt, 17% der Kinder sind für ihr Alter zu klein, die Säuglings-Sterblichkeitsrate liegt bei 55 auf 100.000 Lebendgeburten, Mädchen haben bei der Geburt zu 79,4% die Chance, ein Alter von 65 Jahren zu erreichen, und Jungen zu 70,9%(241). All diese Indikatoren für eine elementare Gesundheit bieten im Falle Tibets ein noch viel düsteres Bild.

China befindet sich im Human Development Index der UNO zusammen mit Südafrika, der Türkei und Sri Lanka in der Mitte, während Tibet ganz weit unten, in der Gesellschaft der unglücklichsten von Krieg und Katastrophen heimgesuchten Plätze dieser Welt, zu finden ist(242). Die Hälfte aller Kinder in Tibet leidet, bedingt durch mangelhafte Ernährung, an Wachstumsstörungen(243).

Die Chinesen behaupten, die Mütter- und Säuglings-Sterblichkeitsrate auf dem Hochland sei 2002 auf ein "historisches Minimum" gefallen, wobei sie diesen Umstand den seit 1959 in Tibet eingeführten "demokratischen Reformen" zuschreiben. Zhang Wengkhang, der Minister für Gesundheit, stellte im Mai 2002 fest, daß die Müttersterblichkeitsrate in Tibet 2001 von 715,8 pro 100.000 auf 324,7 pro 100.000 gefallen sei(244). Im selben Bericht heißt es, die Säuglings-Sterblichkeit(245) sei 2001 von 91,8 pro 1.000 auf 31,3 pro 1.000 gefallen(246). Inwieweit diese Statistiken glaubhaft sind, ist nicht herauszufinden; es wurden bisher fast keine chinesischen Aufstellungen über Säuglings- und Kindersterblichkeit veröffentlicht(247).

Tibets Umwelt stellt schon von Natur aus eine Herausforderung an den menschlichen Körper dar. Wegen der großen Höhenlage und der starken UV-Einstrahlung, werden Tibeter doppelt so häufig wie Chinesen in ihrer Heimat vom grauen Star befallen. Obwohl ein staatlich gefördertes medizinisches Programm unter dem Namen "Sight First China Action"(248) im letzten Jahr annähernd 1.280 vom grauen Star Befallenen in der TAR zur Wiedererlangung ihrer Sehkraft verhalf, verfügen die meisten Landkreise und Gemeinden in Tibet über keine Augenkliniken(249).

Dieses Jahr entschied die unabhängige medizinische Hilfsorganisation Médicins Sans Frontières (MSF oder Ärzte ohne Grenzen), sich nach 14jähriger Zusammenarbeit mit den Tibetern bei humanitären und medizinischen Hilfsprojekten aus Tibet zurückzuziehen(250). Dieser Beschluß wird sich ganz gewiß negativ auf jene Tibeter auswirken, deren Versorgung von diesen Projekten abhing. Seit 1993 hat MSF zur Bekämpfung der Kashin Beck Krankheit oder "Big Bone Disease" in der TAR gewirkt, die weltweit eine der höchsten Inzidenzraten dieser Krankheit aufweist. Es handelt sich hierbei um ein extrem schmerzhaftes Leiden, bei dem die Knochen verkrüppeln; chinesische Wissenschaftler widmen sich ihrer Erforschung, haben aber noch keine wirksame Therapie gefunden.

Im großen und ganzen sind die Kosten für die Gesundheitsfürsorge überall in der Autonomen Region Tibet rapide gestiegen. 1990 betrugen die Pro-Kopf-Ausgaben eines Stadthaushalts für Arzneien und medizinische Dienste kaum 10 Yuan, 1995 schnellte dieser Betrag auf 109 Yuan und im Jahr 2000 sogar auf 265 Yuan hoch(251).

Wenn man hinsichtlich der Anzahl der medizinischen Einrichtungen, Krankenhausbetten und des Personals pro Region die Statistiken für das Jahr 1999 mit denen für 2000 vergleicht, stellt man einen Abwärtstrend fest. Im ganzen ging die Zahl der "Gesundheits-Einrichtungen" von einem Höchststand von 1.324 im Jahre 1997 auf 1.237 im Jahre 2000 zurück(252).

II.4.11

Schlussfolgerungen

Was das Gesundheitswesen betrifft, so klingen die Fünfjahrespläne der PRC sehr verheißungsvoll: Sie sehen beachtliche Zuwendungen vor, während Pekings Weißbücher eindrucksvolle Statistiken präsentieren. All diese Ansprüche und Versprechungen werden jedoch von unabhängigen Berichten und den Aussagen der aus Tibet kommenden Flüchtlinge widerlegt.

Wenn das Streben nach einer Verbesserung des Lebensstandards irgendein Ziel hat, dann ist es die gute Gesundheit aller(253). Aber als eine Minderheit unter einer fremden Besatzungsmacht in ihrem eigenen Land sehen sich die Tibeter auch bei der Verfügbarkeit und Verteilung der medizinischen Dienstleistungen diskriminierenden Praktiken ausgesetzt – welche eine zukünftige Geschichtsschreibung sehr wohl als Genozid bezeichnen könnte.

Wie es in der UN Konvention über die Vermeidung und Bestrafung des Verbrechens des Völkermords heißt, stellt jeder Akt der "mit der Absicht, eine nationale, ethnische, rassische oder religiöse Gruppe teilweise oder als ganzes zu vernichten, begangen wird", Völkermord dar(254). Dazu gehört auch, wenn Maßnahmen ergriffen werden, um die Geburten in einer bestimmten Volksgruppe zu reduzieren. Die Geburtenkontrollpraktiken der Chinesen haben einhergehend mit der gegenwärtig verfolgten Politik des Bevölkerungstransfers die Tibeter schon zu einer Minderheit auf dem Territorium Tibets von vor 1950 gemacht. Ob die offizielle Staatspolitik den "Zweck" verfolgt, die Tibeter als eine Volksgruppe zu vernichten, bleibt dahingestellt. Aber sicher ist, daß Chinas Geburtenkontroll- und Einwanderungspolitik von den Tibetern weitgehend als eine Langzeitstrategie zur Reduzierung ihres Bevölkerungsanteils in der Region angesehen wird(255).

Darüber hinaus klagen Personen, die vor kurzem im Exil in Indien eintrafen, einstimmig über die unzulängliche gesundheitliche Versorgung, die eskalierenden Kosten und die schlechte Qualität der Behandlung, wozu oft noch die großen Entfernungen zu den Einrichtungen und die Rassendiskriminierung, denen die Tibeter ausgesetzt sind, kommen.

Kofi Annan, der UN Generalsekretär, betonte in seiner Botschaft vom Dezember 2002 an die "Fifth Asian and Pacific Population Conference" wie notwendig es sei, größere Anstrengungen zur Förderung der Rechte der Frauen zu unternehmen und mehr in Bildung und Gesundheit zu investieren, wozu auch die reproduktive Gesundheit und die Familienplanung gehören(256). Doch in China betragen die für die gesundheitliche Wohlfahrt von Frauen und Kindern bereitgestellten Mittel nur einen Bruchteil der insgesamt ausgegebenen Gelder. Die Probleme beim Aufbau der notwendigen Gesundheitsversorgung von Frauen und Kindern und dem Schutz der Anfälligen ist hauptsächlich dem Mangel an Finanzmitteln zuzuschreiben(257).

Die Fähigkeit der Bürger, ihre Menschenrechte wahrzunehmen, hängt direkt davon ab, ob sie sich der Rechte, auf die sie Anspruch haben, bewußt sind(258). Daher ist die Gesundheitserziehung über richtige Ernährung, über die Art und Weise der Verbreitung von Krankheiten und ihre Prävention von größter Wichtigkeit. Interviews mit Neuankömmlingen aus Tibet enthüllen jedoch ein ernstes Defizit an Aufklärung über HIV/AIDS auf dem Hochland. Es herrscht ein so profundes Maß an Unwissenheit, daß abgesehen von der für China vorausgesagten Epidemie auch in Tibet eine HIV/AIDS Krise vorprogrammiert ist.

Die primäre Sorge des TCHRD gilt der Gesundheit und dem Wohl der Gefangenen in dem Labyrinth von Strafanstalten und Arbeits-Reform-Lagern in Tibet. Die Tatsache, daß die politischen Gefangenen weiterhin der Folter ausgesetzt sind und ihnen die medizinische Betreuung willkürlich verweigert wird, bedeutet, daß die chinesischen Haftanstalten diejenigen Orte sind, wo die Menschenrechte der Tibeter am meisten verletzt werden.

Teil II.5

5. Das Recht auf Entwicklung

Auch im Jahr 2002 nahm China den Mund voll und behauptete, ein hohes Maß an moderner Entwicklung nach Tibet gebracht zu haben. Das ganze Jahr über gaben die höchsten Stellen in Peking und die Politoffiziere der TAR immer wieder Erklärungen von sich, wie: "Tibet verzeichnet das achte Jahr in Folge ein zweistelliges wirtschaftliches Wachstum" oder "die Bewohner Tibets erfreuen sich jetzt eines Lebensstandards, der den Durchschnitt im übrigen China sogar noch übertrifft"(259).

Um diesen Anspruch noch zu bekräftigen, zitierten die chinesischen Medien eine westliche Delegation, die Tibet in dem Berichtsjahr besuchte. People's Daily berichtete am 31. Oktober 2002, daß "Ausländer, die Chinas Tibet besuchen, nicht umhin können, ein anderes Verständnis eines neuen Tibets zu gewinnen... eines Landes, das in den 50 Jahren seit der friedlichen Befreiung von 1951 einen Prozeß von der Dunkelheit zum Licht, von der Rückständigkeit zum Fortschritt, von der Armut zum Wohlstand, von der Autokratie zur Demokratie und von der Abschottung zur Öffnung nach außen durchlaufen hat".

Der Gouverneur der TAR Legchog trug noch dicker auf: "Was die Stabilität und wirtschaftliche Entwicklung betrifft, so haben wir jetzt die allerbeste Zeit in der tibetischen Geschichte". Ob dies wirtschaftlich gesehen tatsächlich die beste Epoche für die Tibeter ist - sie sind seit Jahrtausenden die Hüter des Landes –, bleibt dahingestellt und sollte im Lichte des den Tibetern nach internationalen Normen zustehenden Rechts auf Entwicklung untersucht werden.

Der ICESCR stellt fest, daß allen Menschen das Recht auf die Gestaltung ihrer "wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Entwicklung" zusteht. Die UN-Erklärung über das Recht auf Entwicklung (UNDRD) fordert, daß die einzelnen Staaten eine "angemessene nationale Entwicklungspolitik konzipieren, welche auf die ständige Verbesserung des Wohles der gesamten Bevölkerung und aller Einzelpersonen gerichtet ist - auf der Grundlage ihrer aktiven, freien und sinnvollen Beteiligung an der Entwicklung und der gerechten Verteilung der sich daraus ergebenden Vorteile"(260). Die UN-Weltkonferenz für Menschenrechte von 1993 in Wien, sowie die Wiener Erklärung von 1993 bestätigten und bekräftigten weiterhin "das Recht auf Entwicklung als ein allgemeines und unveräußerliches Recht und als einen Bestandteil der grundlegenden Menschenrechte".

Die PRC erklärte in ihrem "White Paper on Tibet's March Toward Modernisation" (Weißbuch über Tibets Marsch in Richtung Modernisierung), daß "die soziale und wirtschaftliche Entwicklung den materiellen und kulturellen Aspekt des Lebens der Menschen beachtlich verbessert" habe(261). Das Weißbuch listet dann verschiedene wirtschaftliche Statistiken auf, aus denen ersichtlich wird, daß China, wenn es von Entwicklung spricht, darunter eine Steigerung der Produktivität, der Investitionen in der Wirtschaft, des Bruttoinlandprodukts und des durchschnittlichen Einkommens versteht.

Diese Interpretation von Entwicklung als einem rein wirtschaftlichen Wachstum entspricht in keiner Weise der Standard-Definition der Vereinten Nationen. Das Recht auf wirtschaftliche, soziale und kulturelle Entwicklung wird in der "Erklärung über das Recht auf Entwicklung" (UN Declaration on the Right to Development = UNDRD) folgendermaßen definiert:

"Das Recht auf Entwicklung ist ein unveräußerliches Menschenrecht, kraft dessen alle Menschen und Völker Anspruch darauf haben, an einer wirtschaftlichen, sozialen, kulturellen und politischen Entwicklung, in der alle Menschenrechte und Grundfreiheiten voll verwirklicht werden können, teilzuhaben, dazu beizutragen und daraus Nutzen zu ziehen"(262).

Das Recht auf Entwicklung wurde von den Vereinten Nationen als ein "universales und unveräußerliches Recht" definiert, "welches einen integralen Bestandteil des grundlegenden Menschenrechtskodex bildet"(263). Entwicklung wird als ein Prozeß angesehen, der untrennbar mit der "Gestaltung der bürgerlichen und politischen Rechte und der Freiheit verbunden ist, an beidem teilzuhaben, nämlich den Entscheidungsprozessen, wie auch die Früchte der Entwicklung auf allen Gebieten zu genießen"(264).

Amartya Sen(265), Träger des Wirtschaft-Nobelpreises, drückt es in seiner Schrift "Development as Freedom" folgendermaßen aus: "Bei der Beurteilung der wirtschaftlichen Entwicklung ist es nicht richtig, nur auf das Wachstum des Bruttoinlandsprodukts oder auf einige weitere Indikatoren einer allgemeinen Wirtschaftsexpansion zu blicken. Wir sollten auch darauf achten, welchen Einfluß Demokratie und politische Freiheiten auf das Leben und die Entfaltungsmöglichkeiten der Bürger haben"(266).

In Tibet gibt es schlichtweg keine Demokratie. Wie dieser Bericht ausführlich beweist, werden die persönlichen Freiheiten, angefangen mit der Verweigerung des Rechtes auf Selbstbestimmung, routinemäßig mit Füßen getreten. Indem sie den Tibetern dieses Grundrecht vorenthält, kann die chinesische Regierung ihr Programm der wirtschaftlichen Entwicklung ungehindert durchziehen. Dabei nimmt sie auf die Wünsche der Tibeter nicht die geringste Rücksicht und benutzt Tibet zu ihren eigenen ehrgeizigen Zwecken. Von den politischen Entscheidungen, die ihr Leben und ihr Land betreffen, sind die Tibeter völlig ausgeschlossen.

Die Informationen, die wir 2002 aus Tibet erhielten, zeigen deutlich, daß Peking seine wirtschaftliche Entwicklungspolitik ohne Rücksicht oder Respekt für das Wohlergehen der Tibeter durchsetzt - mit anderen Worten den Tibetern wird das Recht auf Mitbestimmung bei der Entwicklung ihres eigenen Landes versagt. In der Verfassung der PRC heißt es:

"Alle Nationalitäten der Volksrepublik China sind gleichberechtigt. Der Staat schützt die legitimen Rechte und Interessen der nationalen Minderheiten und erhält und entwickelt die Beziehungen unter allen Nationalitäten Chinas im Rahmen von Gleichberechtigung, Einheit und des gegenseitigen Beistandes. Die Diskriminierung und Unterdrückung irgendeiner Nationalität ist verboten, desgleichen jede Handlung, welche die Einheit der Nationalitäten untergräbt oder ihre Spaltung betreibt. In Übereinstimmung mit den Besonderheiten und Bedürfnissen der verschiedenen nationalen Minderheiten verhilft der Staat den von ihnen bewohnten Gebieten zur beschleunigten Entwicklung ihrer Wirtschaft und Kultur"(267).

Dieser Artikel ist für die Politik der chinesischen Regierung gegenüber den Tibetern maßgeblich. Der Staat gewährt seinen Bürgern das Recht auf Gleichheit und Nichtdiskriminierung, während er im selben Atemzug davor warnt, daß Minderheiten, welche die "Abspaltung" betreiben, verfolgt werden. Der Artikel besagt auch, daß die Zentralregierung die Entwicklung der Minderheitengebiete zu fördern hat. In diesem Sinne gestand das "Gesetz über regionale ethnische Autonomie" von 1984, was die Gestaltung der Wirtschaftspolitik betrifft, dem Volkskongreß der TAR gewisse Vollmachten zu. Doch ungeachtet der Verfassung und des Regionalen Autonomiegesetzes bestimmte die Regierung in Peking stets alleine die Wirtschaftspolitik in Tibet.

In den letzten 21 Jahre wurde dies durch die TAR-Arbeitsforen zu Tibet geleistet. Alle sieben Mitglieder des Ständigen Ausschusses des Politbüros der CCP – also die höchsten Funktionäre Chinas – sind bei diesen Tagungen zugegen, und die von ihnen beschlossenen politischen Richtlinien sind für das wirtschaftliche, soziale, kulturelle und politische Programm Tibets in den folgenden Jahre maßgebend. Das erste und das zweite Arbeitsforum, die 1980 und 1984 stattfanden, gewährten der TAR-Regierung ein gewisses Maß an Flexibilität bei der Umsetzung der Wirtschaftspolitik. Bei dem dritten Arbeitsforum zu Tibet 1994 nahm die Regierung in Peking als Reaktion auf eine Reihe von Freiheitsdemonstrationen jedoch die Kontrolle über die Angelegenheiten Tibets weitgehend wieder an sich.

Im Februar 2001 zerstörte die Regierung in Peking auch noch den letzten Anschein einer Wahrung der "Autonomie" Tibets. Sie ergänzte das "Gesetz für die regionale Autonomie der Ethnien" dahingehend, daß die Entwicklung der ethnischen autonomen Regionen (wie etwa der TAR) gemäß den einheitlichen Plänen der Zentralregierung und in Übereinstimmung mit den Geboten des Marktes zu erfolgen hat(268). Die Regierung bezeichnete diese Amendments (Zusätze zum Gesetz) als notwendig im Hinblick auf die Beschleunigung der Entwicklung der autonomen Regionen und ihrer weiteren Integration in das übrige China(269).

Diese Zusätze sind ein deutlicher Ausdruck von Pekings Entschlossenheit, die Entwicklung in Tibet nach den Erfordernissen des chinesischen Marktes auszurichten und nicht nach den Bedürfnissen und Interessen der örtlichen Bevölkerung. Insofern als es das ohnehin schon sehr stark eingeschränkte Mitspracherecht der Tibeter bei wirtschaftlichen Entscheidungen untergräbt, steht das Zusatzgesetz im Widerspruch zu der UN Erklärung über das Recht auf Entwicklung.

Die Definition in dem zu der Agenda 21 1994 von China verfaßten Weißbuch und - was noch wichtiger ist - Chinas frühere Verpflichtung bei dem UN Earth Summit von 1992 lassen keinen Zweifel daran, daß China den wirtschaftlichen Zielen die oberste Priorität vor allem anderen einräumt. Diesem Anspruch wird in dem Gegenbericht, der von der tibetischen Regierung im Exil 2002 bei der letzten Weltkonferenz über nachhaltige Entwicklung (WSSD) vorgelegt wurde, widersprochen. Darin heißt es unter anderem, die Weltbank bestätige, daß die "Zerstörung unserer Heimat hauptsächlich den schweren politischen Fehlern zuzuschreiben ist, welche die chinesische Regierung viele Jahrzehnte hindurch begangen hat, und daß diese Fehler wieder gutgemacht werden müßten".

"Unser Lebensunterhalt ist bedroht, die Armut auf dem Land wird immer schlimmer und unsere biologische Artenvielfalt schwindet dahin. Unsere Gewässer, Flüsse und Oasen, unsere Ölvorkommen, Erdgaslager, Wälder und Bodenschätze werden enteignet, um dem von der chinesischen Regierung verfolgten Programm zum Aufbau der Nation zu dienen. Unsere Tierwelt ist fast bis zur Ausrottung bejagt worden. Bald werden unsere Pandas nur noch in chinesischen und westlichen Zoos zu finden sein. Unser weit ausgedehntes Weideland, das einst das zweitgrößte auf Erden war, verödet jetzt, es trocknet aus, und die Erde wird vom Wind verweht. Unsere Wüsten wachsen hingegen mit alarmierender Geschwindigkeit"(270).

Eine Reihe von Beobachtern, darunter auch Organisationen wie Greenpeace, machen auch auf den Schaden an der Umwelt durch den Wildwuchs der wirtschaftlichen Entwicklung aufmerksam, der das empfindliche Ökosystem des tibetischen Hochlandes überfordert. Diese Bedenken zeigen, wie negativ sich die Wirtschaftspolitik der Chinesen für die Tibeter und das Hochland, das sie bewohnen, auswirkt - etwa auf die Umwelt und ihr traditionelles System der Selbstversorgungswirtschaft -, während sie selbst nichts mehr zu sagen haben.

Damit die Wirtschaftspolitik in der von Peking gewünschten Weise realisiert wird, werden seit einiger Zeit junge Tibeter in verschiedene Teile Chinas geschickt, um in den landwirtschaftlichen Entwicklungsstrategien geschult zu werden. 2002 erklärte ein Tibeter, der jetzt im Exil lebt, die Ausbildung, die sie dort erhalten, sei ihrem Volk überhaupt nicht dienlich. Tibeter, die zur Fachausbildung in verschiedene Regionen Chinas entsandt wurden, berichteten dem TCHRD später, bei den Kursen sei es hauptsächlich um politische Indoktrinierung gegangen, während sie im Hinblick auf die tatsächliche Lage in den tibetischen Gegenden, in denen sie später eingesetzt werden sollten, gar nichts profitiert hätten. Wissenschaftliche und technische Methoden zur Steigerung der industriellen Produktivität wurden ihnen zwar beigebracht, aber diese basieren letztendlich auf der chinesischen Entwicklungspolitik. Vor allem ging es um die Kampagne zur Popularisierung der "wissenschaftlichen Methoden zur Steigerung der Produktivität", welche die von der Bauern- und Nomadenbevölkerung Tibets traditionsgemäß praktizierten Methoden ablösen sollen. Eine derartige Politik ist weder mit den wirtschaftlichen Gegebenheiten noch mit dem kulturellen Leben des tibetischen Volkes vereinbar...(271).

Die Vollversammlung der Vereinten Nationen stellte fest, daß sich die Einzelstaaten im Hinblick auf die Entwicklung ihrer Gesellschaft "zu einer effektiven, transparenten und verantwortungsvollen Regierungsweise und zu demokratischen Einrichtungen verpflichten sollten, die den Bedürfnissen des Volkes entsprechen und es befähigen, bei dem Entscheidungsprozeß hinsichtlich der Prioritäten und politischen Strategien eine aktive Rolle zu spielen(272). Die Informationen, die wir von tibetischen Flüchtlingen 2002 und in den Jahren davor erhielten, zeigen, daß die PRC dieses Prinzip nicht respektiert. Tibetische Kader haben in ihren Dörfern nur die Aufgabe, die staatliche Politik bei der Bevölkerung durchzusetzen.

Ein ehemaliger tibetischer Dorfkader, der jetzt im Exil lebt, erzählte, theoretisch hätte er so etwas wie ein "Mittelsmann" zwischen der Regierung und den Dorfbewohnern sein sollen. Aber dann wurde ihm klar, daß man nur von ihm erwartete, die Erklärungen der kommunistischen Parteifunktionäre dem Volk vorzulesen. Die Bitten der Dorfbewohner um eine befahrbare Straße, Stromanschluß, Mittel zum Bau einer Schule und andere Grundeinrichtungen stießen höheren Ortes hingegen stets auf taube Ohren(273).

Wahrscheinlich aus Frustration darüber, daß tibetische Kader sich nicht gerne als Propaganda-Werkzeuge für die Pekinger Regierung einspannen lassen, kündigte China 2001 an, daß 70 chinesische Kader an der Tibet Universität in tibetischer Sprache und "Nationalitäten-Politik" ausgebildet würden. Nach Abschluß ihres Kurses werden diese Kader auf höhere Verwaltungsstellen in den Bauern- und Nomadengebieten der TAR verteilt werden(274).

Die generellen Probleme der Überbesetzung von Ämtern und des mangelnden Diensteifers gibt es auch in Tibet. So beanstandet die Weltbank eine "chronische Überbelegung mit Kadern nicht nur bei den Regierungsämtern in den Städten, sondern auch in den Büros von Hauptschulen und Krankenhäusern. Kleinere lokale Krankenstationen, Kliniken und Dorfschulen sind hingegen heruntergekommen, es mangelt ihnen an qualifiziertem Personal, und sie können nur überleben, indem sie von den armen Leuten, die auf sie angewiesen sind, Geld nehmen"(275). Hinzu kommt die weit verbreitete Korruption, ohne die überhaupt nichts läuft. Tibeter, die ein Geschäft anfangen wollen, haben es unendlich schwer mit den Behörden und den erforderlichen Papieren: "Es sei denn man schmiert sie ordentlich, kriegt man sie nicht dazu, einem eine Lizenz auszustellen"(276).

China hat in den letzten 50 Jahren gewaltige Veränderungen durchgemacht, aber stets stand die Ideologie der Entwicklung im Vordergrund: Der Mensch hat sich die Natur untertan zu machen und materielles Wachstum muß um jeden Preis erzielt werden, wobei "nachhaltige Entwicklung" als etwas interpretiert wird, das ungeachtet der Langzeitfolgen die schnellstmögliche Wachstumsrate bringt. Die Anliegen der Tibeter werden von China einfach überrollt - einem Staat, der so ungeheuer groß ist, daß er keine Zeit hat, den Bedürfnissen seiner peripheren Provinzen und Randgebiete Beachtung zu schenken"(277).

II.5.1

Das Westliche Entwicklungsprogramm (WDP)

Im Jahr 2002 hat die PRC ihr "Westliches Entwicklungsprogramm", das im Juni 1999 initiiert wurde, weiter vorangetrieben. Sie beschreibt dieses Programm als eine Strategie zur großangelegten Entwicklung "durch Sonder-Bauprojekte für Infrastruktureinrichtungen, für ökologische Umweltnutzung und Ressourcenerschließung in den westlichen Regionen"(278). Der Zweck des Programms, so heißt es offiziell, sei die Verbesserung der Wirtschaft der jeweiligen Region und damit des Lebensstandards der Bevölkerung – besonders in den ländlichen Gegenden Westchinas.

Es soll Abhilfe gegen die zunehmende Verarmung und regionale Chancenungleichheit in den westlichen Provinzen schaffen. Tatsächlich dienen aber die wichtigsten Infrastrukturprojekte des "Westlichen Entwicklungsprogramms" dazu, den Transfer von Ressourcen (Wasser, Gas, Elektrizität) von Tibet in die östlichen Regionen Chinas zu ermöglichen(279). Das WDP hat vier Prioritäten gesetzt: die Entwicklung einer riesigen interregionalen Transport- und Kommunikationsinfrastruktur, den Aufbau der Energie- und Rohstoffindustrien, spezielle Infrastrukturprojekte für den Ressourcentransfer von West nach Ost und die Entwicklung von weicher Infrastruktur(280). In Wirklichkeit erfuhr die Investition in die lebensnotwendige weiche Infrastruktur wie Erziehung, Straßen und Bewässerung, deren Förderung so notwendig wäre, jedoch nicht die notwendige Beachtung.

Der gegenwärtige zehnte Fünf-Jahres-Plan des chinesischen Staates (2001-2005) für die nationale, wirtschaftliche und soziale Entwicklung ist auf vier Haupt-Infrastruktur-Projekte in China fokusiert, die alle mit Tibet zu tun haben: die Qinghai-Tibet-Eisenbahn, die Gas-Pipeline von West nach Ost, die Elektrizitätsübertragung von West nach Ost und die Wasserumleitung von Süd nach Nord(281). All dies bedeutet einen massiven Ressourcen-Transfer vom tibetischen Hochland nach Ostchina. Ob der chinesische Staat Tibet für diesen Ressourcenverlust adäquat entschädigen kann und will, bleibt dahingestellt.

Das vierte Arbeitsforum der Kommunistischen Partei zu Tibet setzte im Juni 2001 Pekings Tibet-Politik für die nächsten Jahre fest. Es unterstrich die Bedeutung der wirtschaftlichen Entwicklung von Tibet. Dabei bezeichnete es das Westliche Entwicklungsprogramm als ein "Übersprung-Modell" ("leap-over model", ein Modell, in dem Entwicklungsstadien übersprungen werden) der Entwicklung für Tibet, bei dem die Regierung in Peking besondere Mittel einsetzen will, um die "Rückständigkeit" der Region zu überwinden(282). Dabei werden die Gewinnung ausländischer Investoren, sowie erhöhte Subventionen aus Peking als entscheidend für die wirtschaftliche und politische Stabilität Tibets angesehen.

Mehrere ausländische Investoren, wie etwa Shell, BP, Exxon-Mobil und Entwicklungsagenturen unterstützen solche Projekte, ohne der Einzigartigkeit und der biologischen Vielfalt der tibetischen Ökologie gebührend Rechnung zu tragen. Bisher haben die Entwicklungsagenturen die Auswirkung dieser Projekte auf das Leben der Tibeter, auf die Gesellschaft und die Umwelt, unbeachtet gelassen - und es werden immer mehr. In einem Land, wo die Redefreiheit eingeschränkt ist und eine Opposition gegen derartige Projekte als politischer Dissens interpretiert wird, bestehen grundsätzlich Schwierigkeiten, ein sinnvolles Gutachten über die sozialen und ökologischen Aspekte zu erstellen(283).

Im September 2002 verbot die chinesische Regierung der JBIC(284), ihr Gutachten über die Auswirkungen des ebenfalls zu Chinas WDP gehörendem Zingpupu Staudamm Projektes auf die Umwelt zu veröffentlichen(285). Diese Bank, eine Exportkredit-Agentur, hatte einen Kredit von 260 Mio. US$ gebilligt, was die Hälfte der Projektkosten bedeutet. Das Projekt betrifft eine Reihe von Staudämmen, die an dem Fluß Min in der Provinz Sichuan vorgesehen sind. Es wird erwartet, daß China "ungefähr 40.000 Menschen aus Distrikten mit einem tibetischen Bevölkerungsanteil von 14 % umsiedeln wird"(286).

Tibet-Unterstützungsgruppen sind gegen das Projekt, das offiziell landwirtschaftlichen Bewässerungssystemen und der städtischen Wasserversorgung dienen, die Hochwassergefahr eindämmen und den Tourismus fördern soll. Sie befürchten, daß es die Umsiedlung von Tausenden von Han-Chinesen in tibetisches Gebiet zur Folge haben und die tibetische Bevölkerung noch weiter marginalisieren und benachteiligen wird.

Die Tibet-Eisenbahn ist ein Paradebeispiel dafür, wie die wirtschaftliche Entwicklung Tibets viel eher den Interessen Chinas entspricht, als denen des tibetischen Volkes. Die Kosten der Eisenbahn wurden auf 20 Mrd. Yuan (2.35 Mrd. US$) veranschlagt(287). Der Bürgermeister von Lhasa erklärte, die Eisenbahn werde "eine wichtige Rolle bei der Förderung des Austausches zwischen den ethnischen Gruppen spielen, die Ressourcennutzung fördern, die wirtschaftliche Entwicklung in Westchina beschleunigen und die nationale Sicherheit festigen"(288).

"Das Projekt der Qinghai-Tibet-Eisenbahn... wird die wirtschaftliche Entwicklung in Qinghai und Tibet ankurbeln, den Lebensstandard der Bevölkerung anheben und den Aufbau einer Wohlstandsgesellschaft beschleunigen" - so Sun Yongu, der Vize-Eisenbahnminister(289). Sachverständige gaben jedoch zu bedenken, daß die Eisenbahn es China ermöglichen wird, im Fall von feindlichen Handlungen seiner Nachbarn oder Unruhen in Tibet Truppenverbände schneller an die westliche Grenze zu bewegen; außerdem wird sie den Export von Waren nach Zentral- und Südasien begünstigen(290).

Andere Kritiker äußerten Besorgnis darüber, daß das Projekt dem empfindlichen Ökosystem des tibetischen Hochlandes massiven Schaden zufügen und einen enormen Zustrom chinesischer Siedler auslösen könnte. Die Ursache für die Zerstörung von Tibets einzigartigem Ökosystem ist dabei eine zweifache: Der erste Faktor ist der Ansturm der chinesischen Zuwanderer, und der zweite Chinas Raubbau an den Naturschätzen Tibets.

Die Tibeter betrachten den chinesischen Bevölkerungstransfer schon seit langem mit Argwohn. Jetzt erfolgte die offizielle Bestätigung, daß China plant, noch viel mehr Immigranten nach Tibet zu bringen, um das Wirtschaftswachstum zu beschleunigen und die Stabilität zu festigen – ungeachtet des im Inneren und auf internationaler Ebene laut gewordenen Protestes. Bei einer Pressekonferenz, die am 7. August 2002 für ausländische Medien organisiert wurde, erklärte der Vizepräsident der Planungs- und Entwicklungskommission in Tibet: "Derzeit hat Lhasa eine Einwohnerzahl von 200.000, wovon die Hälfte Tibeter sind... Viele Chinesen sind hierher gekommen, um Geschäfte zu gründen, zu investieren oder Arbeit zu finden. In Zukunft wird die Anzahl der Zuwanderer von den Erfordernissen der wirtschaftlichen Entwicklung bestimmt werden"(291).

Die Eisenbahn könnte allerdings auch den Tibetern Nutzen bringen. Zweifellos kann eine bessere Verkehrsverbindung bei der Entfaltung des Wirtschaftspotentials einer entlegenen Region hilfreich sein, doch sie ist auch die billigste Methode, um die dort ansässige Bevölkerung ihrer landwirtschaftlichen Erzeugnisse und Bodenschätze zu berauben. Tibetische Gemeinden in der Nähe der Eisenbahntrasse haben, was das Projekt angeht, gemischte Gefühle(292). Der Distrikt Nagchu ist bereits der Aufenthaltsort von etwa 100.000 nicht registrierten Wanderarbeitern, wie jetzt offiziell bestätigt wurde. Gompo Tashi, der kommunistische Parteisekretär von Nagchu, äußerte im August 2002 Reuters gegenüber, daß "der Anstieg der Bevölkerung seinen Tribut fordern wird... die wachsende Zahl an Menschen hat eine erhöhte Nachfrage nach Nahrungsmitteln hervorgerufen - wir brauchen viele Pferde, Kühe und andere Tiere, und das bedeutet eine größere Belastung für das Weideland". Nagchu liegt am Rande einer hochalpinen ariden Zone mit nur geringer landwirtschaftlicher Ertragsfähigkeit.

Die Tibeter sehen sich Behinderungen und Herausforderungen gegenüber, die ihr Überleben als solche bedrohen. In größeren Städten wie Lhasa springt das Problem sofort in die Augen. So stellte ein Journalist in Lhasa fest: "Es gibt Zehntausende von Chinesen, die in Lhasa Gelegenheitsarbeiten verrichten. Viele Jahre lang machten die Chinesen in Tibet nur das PLA Personal und die von Peking dorthin geschickten Beamten aus, aber seit ein paar Jahren scheint sich die chinesische Politik geändert zu haben, und es gibt jetzt einen regelrechten Bevölkerungstransfer von China nach Tibet. Diese Leute haben sogar die untersten Arbeiten in der Gesellschaft an sich gerissen, was den dort lebenden Tibetern praktisch kaum mehr Chancen läßt. Wenn die Chinesen die Arbeit von Schneidern, Schuhmachern, Rickshakfahrern und Gepäckträgern tun, was bleibt dann für die Tibeter anderes übrig als betteln zu gehen?"(293).

II.5.2

Chancenungleichheit und Armut

Chinas Weißbuch von 2001 über die Modernisierung in Tibet wimmelt von Statistiken, die einen Anstieg beim BIP (Bruttoinlandprodukt) in Tibet und dem Einkommen, sowohl der Stadt- als auch der Landbevölkerung, ausweisen. Solche Daten unterscheiden jedoch nicht zwischen dem Einkommen ethnischer Tibeter und demjenigen der nicht-tibetischen Zuwanderer, die sich in Tibet niedergelassen haben. Außerdem bedeuten Einkommensstatistiken sehr wenig, wenn sie alleine dastehen und nicht mit anderen Indikatoren für Armut bzw. Wohlstand, wie Gesundheit, Bildung, Ernährung, Kleidung, Wohnung und Lebensqualität in Verbindung gebracht werden.

In dem Entwicklungsprogramm der Vereinten Nationen (UNDP) heißt es immer wieder, daß die TAR und die anderen tibetischen Gebiete auf dem Index für menschliche Entwicklung, der Indikatoren wie Bildung, Einkommen und Gesundheit berücksichtigt, weiter unten stehen als die meisten anderen Gebiete Chinas(294). Dem UNDP zufolge ist "Tibet die ärmste und am wenigsten entwickelte Region Chinas". Tibets Index für menschliche Entwicklung beträgt nur 0.39, womit es auf der Liste der 49 offiziell anerkannten unterentwickelten Länder unter den 12 letzten, irgendwo zwischen Ruanda und den Malediven, zu stehen kommt(295).

Die Erkenntnisse des UNDP und die Aussagen kürzlich angekommener Flüchtlinge widersprechen den chinesischen Behauptungen bezüglich ihrer wohlwollenden Entwicklungsstrategie und großzügigen Investitionen in Tibet. Dazu meint der chinesische Wirtschaftswissenschaftler Hu Angang: "Wenn wir uns Tibet von der Friedlichen Befreiung bis zum heutigen Tag ansehen, dann wird uns klar, daß der übliche Weg der Modernisierung und Entwicklung nach dem Modell der Ausbeutung der Naturschätze für die Industrialisierung eingeschlagen wurde, und daß die ganze Zeit über die Investitionen in erster Linie in die kapitalintensive Schwerindustrie, die auf dem Ressourcenabbau basiert, geflossen sind"(296).

Den gegenwärtigen Wirtschaftsstrategien für die Region haftet der große Makel an, daß sie die allgemeine Verarmung der Bevölkerung Tibets und deren zugrundeliegende Ursachen unberücksichtigt lassen(297).

Bei seinen ehrgeizigen Plänen zur Entwicklung Tibets läßt China die Unterstützung wesentlicher Bereiche, welche die Tibeter in das wirtschaftliche Gefüge integrieren könnten, außer acht, wie etwa die Förderung höherer und weiterführender Schulen oder die Schaffung von Arbeitsplätzen für Tibeter. Trotz der Reformen in China selbst lassen die Entwicklungsprogramme an der Basis noch auf sich warten. Würde weniger kostenintensiven und technisch weniger anspruchsvollen Infrastrukturen und Anlagen wie etwa der Einrichtung von Kleinkraftwerken, tragbaren Solarkollektoren für Nomadenhaushalte oder Windkrafträdern, Priorität gegeben, so könnte das Leben der armen Landbevölkerung um ein gutes Stück vorangebracht werden. Aber solche Basisprojekte sucht man in den Entwicklungsplänen der Chinesen für Tibet vergebens. Aus alledem kann man schließen, daß die Regierung gar kein Interesse daran hat, den Lebensstandard der armen Landbewohner zu verbessern, und daß Pekings Entwicklungspolitik die Ungleichheit und Armut in Tibet eher noch fördert.

Der Tibet-Experte Gabriel Lafitte unterstreicht, daß das gigantische Entwicklungsmodell für Tibet der Umwelt vor Ort gar nichts bringt. "Die Wirtschaftspolitik sollte den Erfordernissen der bestehenden Subsistenz-Wirtschaft, die nicht nur nachhaltig ist, sondern mit der empfindlichen Ökologie Tibets schonend umgeht, gebührend Rechnung tragen"(298). Führende chinesische Wirtschaftswissenschaftler wie Hu Angang und Geng Xiangling sind der Ansicht, daß China in Tibet Wirtschaftssysteme der Eigenversorgung aufbauen sollte(299). In ähnlicher Weise versuchte ein Vertreter der Asian Development Bank in China der Regierung klarzumachen, daß die Lebensbedingungen der Menschen sich nicht bessern werden, wenn immerzu noch größere Summen in die Infrastrukturprogramme gesteckt werden, anstatt mehr für das Bildungs- und Gesundheitswesen auszugeben(300).

Die meisten Tibeter wohnen auf dem Lande, während chinesische Zuwanderer und das Verwaltungspersonal eher in den Städten ansässig sind. "Die zwei wichtigsten Städte Tibets wirken immer mehr wie chinesische Städte. Etwa 30 % der Bevölkerung von Lhasa sind der Ethnie nach chinesisch, sogar unter Nichtberücksichtigung der massiven Militärpräsenz. Nach inoffiziellen Berechnungen der ständig ansässigen und der temporären Wanderarbeiter liegt die Quote der ethnisch chinesischen Bevölkerung in Shigatse, der zweitgrößten Stadt Tibets, bei etwa 50 %: Die Regierung ignoriert diese Zahlen und beharrt lieber auf ihrer Behauptung, daß 95 % der gesamten Provinz tibetisch sei(301). In der TAR ist die Landbevölkerung fast ganz tibetisch, was auch für die anderen tibetischen Gebiete gilt. Die Statistik für die TAR reflektiert in der Tat die ethnische Verteilung und damit den tatsächlichen Entwicklungsstand der Tibeter.

Einkommen und Verbrauch in der TAR in der Stadt und auf dem Land(302)

1990: Yuan pro Kopf
2000: Yuan pro Kopf
Einkommen auf dem Land
582
1.547
Einkommen in der Stadt
2.120
11.772
Verbrauch auf dem Land
485
1.477
Verbrauch in der Stadt
1.340
5.554

Nach der bisherigen Definition der Weltbank für die Armutsgrenze, nämlich 1 US$ pro Person und pro Tag, wären nur Personen, die über 3.000 Yuan im Jahr verdienen, nicht arm. Aus der obigen Tabelle ist ersichtlich, daß das Jahreseinkommen in den ländlichen Gebieten der TAR - selbst wenn man von chinesischen Statistiken ausgeht – im Jahre 2000 nur 1.547 Yuan, also nur die Hälfte des Standards der Weltbank, betrug. Dies zeigt, daß fast alle auf dem Land lebenden Tibeter in der TAR immer noch als sehr arm einzustufen sind.

Das staatliche Amt für Statistik führt jedes Jahr eine repräsentative Umfrage bei städtischen und ländlichen Haushalten der TAR durch. Was die Tibeter tatsächlich konsumieren, ist nämlich ein viel genauerer Indikator des Lebensstandards als die bisherige ungenaue Methode der Berechnung des BIP pro Person, bei welcher das gesamte Einkommen der Region veranschlagt und durch die offizielle Bevölkerungszahl geteilt wird.

Tatsache ist jedoch, wie ein ehemaliger Gemeinde-Parteisekretär dem TCHRD gegenüber bezeugt hat, daß die Statistiken, auf welche die chinesische Regierung sich bei ihren Aussagen über den wirtschaftlichen Fortschritt in Tibet beruft, sehr unzuverlässig sein können. Dieser Kader, der unlängst ins Exil floh, sagte, seine Aufgabe sei es gewesen, falsche Berichte über den Entwicklungsfortschritt bei der Bevölkerung, des Ortes und der Viehhaltung zu verfassen, und fügte hinzu: "Wenn wir diese Berichte schreiben und sie dann höheren Instanzen vorlegen, übertreiben diese ihrerseits wieder in den Berichten, die sie an ihre Vorgesetzten weiterleiten(303).

Das wirtschaftliche Wachstum in der TAR konzentriert sich fast ausschließlich auf den industriellen Stadt- und den Dienstleistungssektor. China investiert nicht in Programme zur Armutsbekämpfung, die vor allem die Beschäftigung der Menschen in als besonders arm bekannten Dörfern zum Ziel haben. Das Ausgaben- und Investitionsgebaren des Staates bestärkt diese einseitige Ausrichtung der Wirtschaft noch. In der ganzen TAR gibt es praktisch überhaupt keine Industrie auf dem Lande. Die Landwirtschaft Tibets beruht ausschließlich auf ein paar Grunderzeugnissen wie Gerste, Rapssamen, Weizen und Wolle. Der Umstand, daß die Tibeter hauptsächlich in Ackerbau und Viehzucht tätig sind, läßt die Wirtschaft stagnieren(304). Die Neuerungen in der staatlichen Politik, wie die Freigabe der Preise oder der Abbau der Subventionen, versetzten den tibetischen Haushalten einen schweren wirtschaftlichen Schock, wobei ihnen die fallenden Preise infolge des Beitritts Chinas zur WTO (World Trade Organisation) besonders zusetzen.

Die Tibeter vom Lande, die kaum andere Einkommensquellen als Ackerbau und Viehzucht haben, sind den Herausforderungen der heutigen Zeit, wie Bodenerosion, Reduzierung des pro Kopf zugeteilten Ackerlandes und fallende Preise für ihre Erzeugnisse, nicht gewachsen(305). Selbst bei Naturkatastrophen gehören die unmäßig hohe Besteuerung und die allgemeine Gleichgültigkeit des Staates dem Wohlergehen der tibetischen Landbevölkerung gegenüber zur Realität des täglichen Lebens. Die Regierung ignoriert nicht nur die wiederholten flehendlichen Bitten ihrer eigenen Vertreter auf dem Lande, sondern betrachtet sogar das bloße Einreichen von Petitionen als illegal. Das Dorf Gyarak ist ein typischer Fall hierfür. Seit 1999 litt das Dorf unter schweren, aufeinander folgenden Dürreperioden, die 2.797 mu (ein mu ist gleich 67 qm) Ackerland schädigten. Nicht nur ignorierte die Regierung die Not der Dorfbewohner, sondern sie bürdete dem bereits ausgedürsteten Dorf noch zusätzlich lähmende Steuern auf. Sie forderte plötzlich eine absurde Haushaltssteuer von 1.408 Yuan, wobei der größte aufgeführte Einzelposten die Wassersteuer war. Diesbezügliche Zeugnisse und Dokumente brachte der Flüchtling Sonam Dhondup, bisher Obmann in dem Dorf Gyarak, Kreis Kawasumdo (chin. Tongde xian), TAP Tsolho (chin. Hainan), Qinghai, im Juli 2002 mit ins Exil.

Sonam Dhondup klagte dem TCHRD: "Der chinesischen Regierung ist das Wohlergehen der tibetischen Bauern egal. Der Lebensstandard tibetischer Bauern hat sich nicht gebessert, im Gegenteil die Lebensbedingungen haben sich für sie verschlechtert, und die chinesische Regierung ist dafür verantwortlich... selbst bei Naturkatastrophen erläßt sie den Bauern die Steuern nicht.

Das Dorf Gyarak wurde seit 1999 immer wieder von schweren Dürreperioden heimgesucht, von denen 2.797 mu Ackerland betroffen waren. Die wiederholten gemeinsamen Petitionen der Bewohner und der Dorfoberen von Gyarak an höhere Instanzen auf Gemeinde-, Kreis- und Präfekturebene wurden von den Behörden bewußt ignoriert. Noch im Dezember 2002 stellten sich die Behörden für die ständigen Hilferufe taub und wollten in der von der Dürre geplagten Gegend nicht einmal einen Besuch machen. Noch schlimmer, sie forderten plötzlich eine Steuer von 30 Yuan pro mu Ackerland. Unfähig solch einem wirtschaftlichen Druck standzuhalten, mußten 20 Familien aus Balong Shang ihr angestammtes Land verlassen und nach anderen Erwerbsmöglichkeiten suchen. Inzwischen sehen sich immer mehr Leute gezwungen, wegzugehen. Die Regierung hat nichts unternommen, um den tibetischen Bauern in ihrer Notlage zu Hilfe zu kommen. Es wurde nichts getan, um die ausgetrockneten Felder zu bewässern. Ganz egal, welchen Problemen die tibetischen Bauern gegenüberstehen, sie können sich nirgendwohin um Hilfe wenden und nirgends eine Beschwerde einreichen. Trotz der wiederholten Appelle um Beistand kam nichts dabei heraus. Das ist die harte Realität für uns...".

II.5.3

Schlussfolgerung

Nach außen hin spricht China von der Beteiligung der Tibeter, von der Übertragung der politischen Entscheidungsbefugnisse an sie und von der Wichtigkeit der Autonomie, doch in der Praxis werden die Tibeter total ausgebeutet. China behauptet, es würde die Marktwirtschaft in Tibet fördern, doch in der Praxis herrscht die alte sozialistische Befehlswirtschaft, wo der Staat dirigiert, kontrolliert und verteilt, und die Bevölkerung ihren Mund halten muß.

Im Namen des viel gepriesenen Entwicklungsprogramms für den Westen beraubt China Tibet seiner Ressourcen und transportiert große Mengen an Kohle, Erdöl, Erdgas und Bodenschätzen für die Großindustrie in die Küstengebiete ab, während die Tibeter kein Wort mitreden dürfen, keine Lizenzgebühren bekommen und aus all den Projekten, die eindeutig ihr Recht auf Entwicklung verletzen, keinen Gewinn ziehen. Durch die Mammut-Entwicklungsprojekte wird die Region nur noch mehr von den Zuschüssen der Zentralregierung und den Fachkräften aus China abhängig gemacht, was einen ständigen Einwanderungsfluß von Nicht-Tibetern zur Folge hat.

Trotz der scheinbar hohen Werte des Brutto-Inland-Produkts, das bei der Beweisführung der Chinesen einen so wichtigen Platz einnimmt, bleibt die Tatsache bestehen, daß die Entwicklung an den Tibetern auf dem Lande vorbeigegangen ist und sie sogar der grundlegendsten modernen Einrichtungen entbehren. Dadurch, daß an der Basis ansetzende Entwicklungsprogramme sowohl zum jetzigen Zeitpunkt als auch für die Zukunft vollkommen fehlen, werden Armut und soziale Ungleichheit auf Dauer gestellt.

Die Tibeter – die Hüter Tibets seit Jahrtausenden – sind an einem derart kritischen Punkt ihrer Geschichte angelangt, daß ihre bloße Existenz gefährdet und die empfindliche Ökologie ihrer Region der Zerstörung preisgegeben ist.

Teil III.1

III. Bürgerliche und Politische Rechte

1. Die Achtung der bürgerlichen Freiheiten

Das Jahr 2002 war gekennzeichnet von wesentlichen Veränderungen innerhalb der politischen Führung der chinesischen Regierung. Im November fand der 16. Parteitag der Kommunistischen Partei Chinas (CPC) in Peking statt, wobei es weltweit allerlei Spekulationen über den zu erwartenden Machtwechsel gab. Das Ausmaß, in dem sich die internationalen Medien auf China konzentrierten, spricht für die wachsende Bedeutung der PRC in der Weltpolitik. Bei den Tibetern weckte indessen Hu Jintaos Ernennung zum Generalsekretär der Partei ernste Besorgnisse. Ist ihnen doch Chinas neuer Staatsführer als der Hardliner in Erinnerung, der für die Ausrufung des Kriegsrechts in Tibet verantwortlich war, sowie für andere repressive Reformen, die weit über seine Befugnisse hinausgingen. Die Amtszeit von Hu Jintao in Tibet, von Dezember 1988 bis 1990, markierte das Ende eines relativ liberalen Jahrzehnts in der Region(307).

Im Bestreben sein internationales Image aufzubessern und um den Kritikern an seiner Politik den Wind aus den Segeln zu nehmen, ließ Peking 2002 einige prominente tibetische Gefangene frei, erlaubte zwei ausländischen Medienteams Tibet zu besuchen und empfing die Emissäre der tibetischen Regierung-im-Exil.

Kritische Beobachter bezeichneten die Entlassung der Gewissensgefangenen jedoch als eine Art "Geiseldiplomatie"(308). Diese Freilassung von politischen Gefangenen, sowie der Rückgang der Inhaftierten insgesamt darf jedoch nicht einer offiziellen Anerkennung des internationalen Menschenrechtsstandards zugeschrieben werden. Das weitverzweigte Netz chinesischer Gefängnisse und Zwangsarbeitslager auf dem tibetischen Hochland, wo zahlreiche Gewissensgefangene für viele Jahre eingesperrt bleiben, hat nicht etwa zu existieren aufgehört. Und die im Jahr des vorliegenden Berichtes freigelassenen Gefangenen wurden zu Unrecht inhaftiert und gefoltert.

Überdies darf Pekings Empfang der zwei Sondergesandten der Regierung im Exil nicht nur positiv gesehen werden, denn kurz nach ihrem Besuch vom September erklärte der Gouverneur der Autonomen Region Tibet (TAR) Legchog, er sei, um ihnen einen Gefallen zu tun, mit einer Gruppe von Tibetern aus dem Ausland zusammengetroffen, habe aber gar nicht gewußt, daß es sich dabei um Gesandte des Dalai Lamas handelte(309).

Nur wenige Monate nach diesem Besuch warnte China Staaten wie Japan und die Mongolei davor, dem Dalai Lama ein Visum auszustellen und ihn in ihr Land kommen zu lassen(310), worauf geplante Besuche des buddhistischen Würdenträgers abgesagt wurden. Dies scheint doch alles andere als ein Anzeichen für die Vertiefung einer Freundschaft zu sein. Und im Oktober 2002 beschrieb der tibetische Vorsitzende der Kommission der TAR für Religionsangelegenheiten Tu Deng (sinisierte Form von Thupten), welche für die Durchsetzung der Regierungspolitik zuständig ist, den Dalai Lama als einen "Spalter und Feind Chinas, dessen Bild deshalb von öffentlichen Plätzen verbannt bleiben sollte. Er ist jetzt zu tief gesunken, als daß er alles bereuen könnte, was er in der Vergangenheit getan hat"(311).

In einem Medienbericht vom Oktober 2002 behauptete Lu Bo, der Leiter des Drapchi Gefängnisses, der Umstand, daß die Gefangenenzahl einen Abwärtstrend aufweise, komme daher, daß die Gesellschaft sich stabilisiert habe und die Wirtschaft boome(312). Wir können zu Recht die Frage stellen, ob sie deswegen so stabil ist, weil den Tibetern ihre Grundfreiheiten verweigert werden? Die derzeitige Abnahme der Anzahl politischer Gefangener ist natürlich darauf zurückzuführen, daß eine ganze Reihe von Häftlingen, die Ende der 80er Jahre zu langen Haftstrafen verurteilt worden waren, nach Verbüßung ihrer Strafe inzwischen entlassen wurden. Pekings neue Strategie, um Tibet noch fester in den Griff zu bekommen, beruht auf wirtschaftlichen Anreizen, auf dem Bevölkerungstransfer und der politischen Umerziehung, was mit einer noch größeren Kontrolle durch Militär und Polizei einhergeht. Wenn die gesamte Gesellschaft durch gefängnisartige Methoden überwacht wird, als sei sie eine einzige riesige Strafanstalt, dann besteht keine Notwendigkeit mehr für formelle Inhaftierung, wie ehemalige Gefängnisinsassen es ausdrücken. Es ist, als seien den Menschen unsichtbare Ketten angelegt, erklären sie. Das staatliche Überwachungssystem macht auch vor den Privatwohnungen und dem Privatleben der Tibeter nicht halt.

Der verbissene Kampf der chinesischen Regierung gegen das, was sie seit dem 11. September 2001 als "Terrorismus" bezeichnet, wurde seither in Gesetze gefaßt. Die um diese Paragraphen ergänzte chinesische Strafgesetzordnung, die im Dezember 2001 in Kraft trat, bedroht Personen, die "eine terroristische Organisation gründen oder leiten", mit schweren Strafen. So wurden die Gefängnisstrafen von 3 auf 10 Jahre und von 10 Jahren bis lebenslang (§ 120 des Strafgesetzes) erhöht. Dabei wurde der Begriff "terroristische Organisation" nicht definiert, womit er eine breite und vieldeutige Bandbreite juristischer Interpretationen zuläßt, darunter auch die Kriminalisierung von nicht gewalttätigem, friedlichem politischem Protest.

Im November 2002 erklärte Präsident Jiang Zemin, die herrschende Kommunistische Partei würde den "Terrorismus in allen seinen Formen bekämpfen" und bat um internationale Kooperation in dieser Sache(313). China News Weekly zitierte den Professor für öffentliche Sicherheit und Ordnung an der "China People's Public Security University" Wang Xinjian, der sagte , daß terroristische Anschläge uigurischer und tibetischer "Separatisten" eine ernste Gefahr für die Rechtssicherheit und die öffentliche Ordnung in den Grenzregionen darstellen(314). Im März 2002 soll das Ministerium für Öffentliche Sicherheit sogar ein Anti-Terrorismus-Büro unter der Leitung von He Ting, dem früheren stellvertretenden Leiter der Abteilung für strafrechtliche Ermittlung, eingerichtet haben(315). Am 2. Dezember 2002 verurteilte ein Volksgericht in Chengdu zwei Tibeter wegen eines angeblichen Sprengstoffattentats auf dem Hauptplatz der Stadt am 3. April 2002 zur summarischen Hinrichtung (im Schnellverfahren). Der Prozeß fand unter Ausschluß der Öffentlichkeit statt, und die Angeklagten hatten keinen Rechtsbeistand. Am 26. Januar 2003 wurde der eine von ihnen, der 26-jährige Lobsang Dhondup, unmittelbar nach einem geheimen Wiederaufnahmeverfahren hingerichtet.

Es war ein Sieg der chinesischen Diplomatie, als bei der 58. Sitzung der UN Menschenrechtskommission in Genf 2002 keine Resolution zur Verurteilung Chinas wegen seines Umgangs mit den Menschenrechten eingebracht wurde. Ebenso beugte sich die UNO dem Druck Chinas, als sie tibetischen Nicht-Regierungs-Organisationen – insbesondere dem TCHRD, das noch im Jahr zuvor zu der UN-Weltkonferenz gegen Rassismus (World Conference Against Racism = WCAR) zugelassen war – die Akkreditierung zu dem Weltgipfel für Nachhaltige Entwicklung (World Summit on Sustainable Development = WSSD) verweigerte.

Die chinesischen Diplomaten bei der UN-Menschenrechtskommission (United Nations Commission for Human Rights = UNCHR) leugneten 2002 in ihren Reden unverfroren die Universalität und Unteilbarkeit der Menschenrechte, auf die seit der Wiener Erklärung von 1993 von den UN-Delegierten immer wieder nachdrücklich hingewiesen wird. Dem stellvertretenden Chinesischen Außenminister Wang Guangya zufolge "ist es wegen der unterschiedlichen Geschichte, Kultur, dem unterschiedlichen sozialen System und dem Stadium der Wirtschaftsentwicklung nur natürlich, daß die einzelnen Länder bei der Realisierung der Menschenrechte verschiedene Wege, Ansätze und Vorgehensweisen wählen". Und Shen Yongxiang, der zweite Vertreter der chinesischen Delegation, behauptete, daß "die Durchsetzung der internationalen Menschenrechte hauptsächlich auf den nationalen legislativen, juristischen und administrativen Maßnahmen beruhe, sowie von den eigenen Anstrengungen des Volkes abhänge; für andere Entscheidungen zu treffen, könne nur kontraproduktiv sein; es solle daher kein Versuch unternommen werden, eines der Rechte auf Kosten der anderen zu fördern"(316). China beansprucht also das Recht, die Menschenrechte für sich relativieren zu dürfen, was in der Tat die Forderung bedeutet, von dem eigentlichen Konzept der Universalität der Menschenrechte ausgenommen zu werden.

Diese Relativierung wurde von dem amerikanischen Staatssekretär für Demokratie und Menschenrechte, Lorne Craner, während seines fünftägigen Besuchs in Peking beanstandet, als er sagte: "China räumte ein, daß es hinsichtlich der Menschenrechte einige Lücken gibt. So haben chinesische Regierungsvertreter selbst zugegeben, daß in ihrem Land die Achtung für die Menschenrechte nicht den internationalen Maßstäben entspreche und hinter ihnen zurückbleibe"(317).

Dem TCHRD sind 204 Tibeter bekannt, die derzeit aus politischen Gründen in den verschiedenen von den Chinesen in Tibet eingerichteten Haftanstalten eingesperrt sind. Sie sind fast alle in Haft, weil sie die Grundrechte auf freie Meinungsäußerung, auf Glaubensfreiheit, auf Freizügigkeit und Versammlungsfreiheit in Anspruch genommen haben. Das TCHRD vermutet, daß es noch sehr viel mehr Tibeter gibt, deren Fälle nicht geklärt sind und die in den verschiedenen Haftzentren und Gefängnissen dahinvegetieren.

Das folgende Kapitel will keine vollständige Darstellung der derzeitigen Verletzungen der bürgerlichen und politischen Rechte des tibetischen Volkes geben: Es ist vielmehr eine Fallstudie, die auf Flüchtlingsberichten von 2002 beruht, aus denen sich dann ein deutliches Bild der Verletzung grundlegender bürgerlicher und politischer Rechte ergibt. Bei zahlreichen Fällen handelt es sich um eine gleichzeitige Verletzung mehrerer Menschenrechte. Hierzu wurden individuelle Fälle zitiert, die für das betreffende Thema relevant sind. Wo sie auch andere Kapitel betreffen, wird in den Fußnoten darauf verwiesen. Die in diesem Kapitel behandelten Rechtsverletzungen betreffen die freie Meinungsäußerung, die Freizügigkeit und den Schutz vor willkürlicher Verhaftung und Festhaltung, das Recht auf ein gerechtes Gerichtsverfahren, sowie das Recht, keiner Folter ausgesetzt zu werden.

III.1.1

Das Recht auf die Freiheit der Meinungsäußerung

Während China international immer wichtiger wird und an Ansehen hinzugewinnt, werden gleichzeitig die Grundfreiheiten in Tibet immer mehr unterdrückt. So wurden 2002 im Vorfeld zu einer Tournee von Medienvertretern etliche Dissidenten festgenommen, zwei Tibeter zu summarischer Hinrichtung verurteilt und die Kontrolle des Internets verschärft, während die Hartdurchgreif-Kampagne seit ihrer Wiederaufnahme noch drastischer geworden ist. In seinem Bericht an die Vereinten Nationen über die Pflege und den Schutz des Rechtes auf Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung drückt der Sonderberichterstatter für Meinungs- und Ausdrucksfreiheit, Abid Hussain, sein Bedauern darüber aus, daß er auf seine 1999 ergangene Bitte um einen Besuch in China noch keine Antwort erhalten habe(318).

Der Art. 19 des Internationalen Paktes über Bürgerliche und Politische Rechte (International Covenant on Civil and Political Rights = ICCPR) legt deutlich fest:

"Jedermann hat das Recht auf freie Meinungsäußerung; dieses Recht schließt die Freiheit ein, ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen Informationen und Gedankengut jeder Art in Wort, Schrift oder Druck, durch Kunstwerke oder andere Mittel eigener Wahl sich zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben".

China unterzeichnete den ICCPR im Jahre 2000, hat diesen Vertrag jedoch bislang noch nicht ratifiziert. In einer Erklärung an die 58. UN Menschenrechtskommission von 2002 wiederholte China seinen Standpunkt, das Recht auf freie Meinungsäußerung sei in der Verfassung der PRC deutlich festgelegt und werde von ihr gewährleistet. Der Vertreter Chinas wies in diesem Zusammenhang darauf hin, daß die volle Wahrnehmung dieser Rechte in den Artikeln 19,20,21,22 und ähnlichen des ICCPR(319) eingeschränkt werde - nämlich dort, wo es um die nationale Sicherheit geht.

Der Art. 19 des ICCPR macht tatsächlich eine Einschränkung in bezug auf das Recht auf freie Meinungsäußerung: "Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind: a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer, b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit".

Völkerrechtler machten deutlich, daß bei der Wahrnehmung der Rechte eine Berufung auf diese Einschränkungen nur unter außergewöhnlichen Umständen erfolgen darf, also nur dort, wo sie absolut notwendig ist oder wie es in der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR) heißt, nur dann, wenn solche Einschränkungen im Interesse einer demokratischen Gesellschaft sind.

Art. 29 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR) macht folgende Vorbehalte:

"Jeder Mensch ist in Ausübung seiner Rechte und Freiheiten nur den Beschränkungen unterworfen, die das Gesetz ausschließlich zu dem Zwecke vorsieht, um die Anerkennung und Achtung der Rechte und Freiheiten der anderen zu gewährleisten und den gerechten Anforderungen der Moral, der öffentlichen Ordnung und der allgemeinen Wohlfahrt in einer demokratischen Gesellschaft zu genügen".

Die Winkelzüge, die China bei der Interpretation völkerrechtlicher Gesetze macht, um seinen nationalen Gegebenheiten Genüge zu tun, kamen in der Antwort auf die von der Arbeitsgruppe über Willkürliche Verhaftung 2002 vorgebrachten Fälle deutlich zum Ausdruck. China erklärte, daß es sehr wohl "die bürgerlichen Freiheiten gemäß dem Gesetz gewährleiste", aber alle diese Garantien den "legitimen Rechten und Interessen des Staates unterliegen". China ist der Ansicht, daß "jede Regierung Menschen, welche die Sicherheit des Staates und seine Einheit gefährden, bestraft". Doch bei allen Verhaftungsfällen in Tibet wurden Personen einzig und allein wegen der friedlichen Wahrnehmung ihres Rechtes der Religions-, Versammlungs- oder Meinungsfreiheit ins Gefängnis gebracht.

Das TCHRD betrachtet eine solche Interpretation internationaler Rechtsgrundsätze durch die chinesische Regierung als reine Heuchelei. Demokratische Staaten setzen ihre Bürger nicht für ein ganzes Leben oder für lange Jahre hinter Gitter, nur weil sie einer politischen Organisation angehören, ihre Religion friedlich ausüben oder eine von der Regierungspolitik abweichende Meinung zum Ausdruck bringen.

Es scheint, daß China die Ausübung der von den verschiedenen völkerrechtlichen Instrumenten verbürgten Rechte durch Vorbehalte einzugrenzen sucht.

2002 kritisierte das US State Department (Außenministerium) in seinem Menschenrechtsbericht China scharf, weil es keinen Fortschritt bei der Einhaltung der Menschenrechte erzielt hatte: "Bürger, die offen abweichende politische und religiöse Meinungen zum Ausdruck bringen, haben weiterhin unter einer von Repression gekennzeichneten Atmosphäre zu leiden". Der Bericht prangerte auch Rechtsverletzungen wie "außergerichtliche Hinrichtung, Folter und Mißhandlung von Gefangenen, erzwungene Geständnisse, willkürliche Festnahmen und Inhaftierung, langzeitige Haft ohne Verbindung zur Außenwelt und Verweigerung eines ordentlichen Gerichtsverfahrens an"(320).

2002 dokumentierte das TCHRD 40 neue Festnahmen von Tibetern im ganzen tibetischen Hochland. Sie alle waren bloß deshalb verhaftet worden, weil sie ihr Grundrecht auf freie Meinungsäußerung wahrgenommen hatten. Im Sommer 2000 klebte Nyima Dakpa, ein Mönch des Klosters Tawu in der Tibetischen Autonomen Präfektur (TAP) Karze, Provinz Sichuan, Plakate an die Türen der chinesischen Verwaltung, einer Bank und die Tore des Gedächtnisparks im Kreis Tawu. Darauf standen Parolen wie "Free Tibet", "Tibeter in Tibet haben keine Freiheit" und "Tibet ist kein Teil Chinas". Früher war Nyima drei Jahre lang in Indien gewesen. Im Mai 2000 wurde er von einem bezahlten tibetischen Agenten denunziert.

Nyima wurde in das Haftzentrum des Distrikts Tawu eingesperrt und mit schweren Schlägen traktiert, um ein Geständnis seiner angeblichen Verbrechen zu erzwingen. Am 5. Oktober 2000 wurde er in einem geheimen Gerichtsprozeß unter der Anklage von "Propaganda und Aufhetzung der Volksmassen" zu 10 Jahren Haft im Gefängnis Tawu verurteilt. Nach dem Urteilsspruch wurde seinen Angehörigen und Freunden das Besuchsrecht zwei Monate lang verweigert(321).

Dawa Tsering wurde 1996 verhaftet und verurteilt, doch das TCHRD erfuhr erst 2002 von seinem Fall. Der aus der Gemeinde Khag, Distrikt Markham, Sichuan, stammende Dawa war wegen der friedlichen Bekundung seiner politischen Überzeugungen zu 15 Jahren im Drapchi Gefängnis verurteilt worden.

1990 hatten Dawa und seine Freunde in Lhasa begonnen, ihre Landsleute politisch aufzuklären. Er sprach mit ihnen über die frühere Freiheit Tibets und seine Geschichte. Nachts klebte er Freiheitsplakate an die Mauern von chinesischen Regierungsämtern und entlang der heiligen Umwandlungsroute um Lhasa, dem Lingkhor, an. Zwei Jahre später kehrte er, nachdem er gewarnt worden war, daß das PSB ihn unter dem Verdacht politischer Tätigkeiten festnehmen wolle, in seine Heimat nach Osttibet zurück.

Aber auch in seiner Heimatgegend klärte Dawa junge Leute über die frühere Unabhängigkeit Tibets auf und diskutierte diesbezügliche Botschaften des Dalai Lamas mit ihnen. Der chinesische Geheimdienst beobachtete sein Tun und verlangte, daß seine Angehörigen und andere Bürger ihn anzeigen sollten. Dawa begab sich nun wieder nach Lhasa, wo er mit seinem politischen Aktivismus weitermachte. 1996 wurde er zusammen mit einem Freund festgenommen und während der Verhöre schwer geschlagen und gefoltert. Mit seiner 15-jährigen Strafe wird er bis 2011 im Drapchi Gefängnis eingesperrt bleiben(322).

Im Februar 2002 rief ein tibetischer Polizist namens Tsangpa in einer Kneipe in angetrunkenem Zustand zusammen mit ein paar seiner tibetischen Freunde "Free Tibet" Parolen. Die chinesische Polizei des Kreises Dzokhang, Shigatse, sperrte ihn fünf Monate lang ein, wonach er seines Dienstes bei der Polizei enthoben wurde(323).

Dorje, ein 30-jähriger Bauer aus dem Stadtbezirk Gormo in Amdo, rief "Free Tibet" während der patriotischen Umerziehungskampagne, in die seit Oktober 1999 auch die Laienbevölkerung einbezogen wird. Er wurde sogleich in das dortige PSB Haftzentrum abgeführt. Er erzählt: "Ich wurde so fürchterlich geschlagen, daß ich Blut erbrach. Mir wurde so elend, daß ich weder essen noch mich bewegen konnte. Andere Häftlinge riefen Aufseher herbei und machten sie auf meinen prekären Zustand aufmerksam. Ein Arzt untersuchte mich daraufhin und sagte, ich benötigte sofortige medizinische Betreuung. Nach eineinhalb Monaten Krankenhausaufenthalt verordnete er mir immer noch völlige Bettruhe. Meine Angehörigen mußten die gesamten Behandlungskosten tragen. Deshalb erklärten sie, sie würden mich zu Hause pflegen, was schließlich unter der Bedingung, daß ich mich regelmäßig in der Polizeistation meldete, akzeptiert wurde"(324).

Im Dezember 2002 erreichte ein Mönch Dharamsala in Indien, der aus Tibet geflohen war, um einer möglichen Verhaftung zu entgehen. Der 24-jährige Tashi Delek aus der Präfektur Karze, Provinz Sichuan, hatte nämlich während eines Landfestes im Mai 2002 Videos mit dem Dalai Lama vorgeführt. Im Juni wurde er zu der örtlichen Polizeistation bestellt, wo man ihm nach kurzer Vernehmung seinen Bürgerausweis (shan fein zhang) (325) abnahm, ihn jedoch wieder laufen ließ. Unverzüglich verließ Tashi daraufhin sein Kloster und floh ins Exil(326).

III.1.2

Das Recht auf Information

Das Recht, Informationen und Ideen mit allen Verständigungsmitteln ohne Rücksicht auf Staatsgrenzen zu suchen, zu empfangen und zu verbreiten, ist im Artikel 19 der UDHR verankert und kommt auch in dem Artikel 19 des ICCPR deutlich zum Ausdruck.

Die Achtung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung und auf Information ist besonders wichtig im Hinblick auf das Medium Radio. Der Rundfunk ist die Hauptnachrichtenquelle in Tibet und spielt eine zentrale Rolle bei der Verbreitung von Informationen, besonders in den entlegenen ländlichen Gegenden. Es wäre daher von größter Bedeutung, daß dieses Medium in seiner Sendetätigkeit unabhängig ist und dem Interesse des Publikums dient. Dies geschieht am besten dadurch, daß eine möglichst breitangelegte Information der Rundfunkanstalten allen zugänglich ist. Allen Bereichen der Gesellschaft sollte der Radioempfang ungehindert offenstehen. Dieses Medium sollte dem Publikum dienen und nicht der Regierung oder der machthabenden Partei.

Am 11. Januar 2001 machte Präsident Jiang Zemin den Standpunkt der PRC noch einmal deutlich, als er sagte, daß die "Informationsmedien die Lautsprecher der Partei und des Volkes seien" und die Pflicht hätten, "die Menschen im Sinne des Zentralkomitees der Partei zu erziehen und dessen Intentionen zu propagieren".

Im Februar 2002 betonte Jiang ferner, daß die wachsende Versorgung Nordwest-Chinas, insbesondere der Autonomen Region Tibet und der Uigurischen Region Xinjiang mit Radiosendungen, die wirtschaftliche Entwicklung in diesen Regionen fördern und zur Aufrechterhaltung der Stabilität beitragen würde(327). Gleichzeitig häuften sich die Berichte über die Zunahme der Störung von Radiosendern.

III.1.3

Störsender

2002 wurde der Kampf der Radiowellen zwischen der chinesischen Regierung und internationalen Sendungen in Mandarin, Tibetisch und Uighurisch auf High-Tech-Ebene ausgetragen. Trotz der ständigen Störungen schaltet immer noch ein beachtlicher Teil der tibetischen Bevölkerung die tibetischen Programme von Voice of America, Radio Free Asia und Voice of Tibet ein. Und gerade auf die Störung dieser Sendungen haben die Behörden es abgesehen.

Wie Anfang August 2002 aus Tibet verlautete, haben die lokalen und regionalen staatlichen Organe einschneidende Beschränkungen bei der Nutzung des Internets eingeführt und wenden nun verschiedene Methoden an, um tibetischsprachige Sendungen aus dem Ausland (VOA, RFA, VOT) zu blockieren. Diese harten Maßnahmen haben unter den Tibetern, die Auslandssendungen hören wollen, zu einer Atmosphäre der Angst und Einschüchterung geführt. Berichten zufolge installierten die Behörden High-Tech Apparate, um akustische Störungen zu erzeugen und die Radiowellen zu verzerren.

"Peking ist eifrigst bestrebt, die Nachrichten, die wir senden, am Durchkommen zu hindern...", kommentierte Joan Mower, Kommunikations-Koordinatorin beim "Broadcasting Board of Governors", dem amerikanischen Leitungsgremium, welches für die Sendungen von Voice of America und Radio Free Asia zuständig ist. In ihrer Rede vor der "Executive Commission on China" des Kongresses am 9. Dez. 2002 berichtete Mower, daß die chinesische Regierung nicht nur die Sendungen von VOA und RFA blockiere, sondern auch den Zugang zu deren Websites verhindere(328).

Die Aussage eines Tibeters aus der TAP Ngaba, Sichuan, beweist, daß die Radiosendungen gestört werden: "In Ngaba wurde unter dem Vorwand, einen alten mobilen Duplikatsender ersetzen zu müssen, ein neues Gerät installiert. Seit dies geschehen ist, sind die Radiosendungen verschwommen und kaum hörbar. Die neu installierte Apparatur hat die Qualität des Empfangs verdorben; die Worte klingen jetzt weit entfernt und werden von einer Menge laut kratzender Geräusche übertönt".

Radiosendungen aus dem Ausland sind für die Tibeter wie ein "Atemzug frischer Luft". Das Abhören von Sendern, welche "politische Informationen" ausstrahlen oder die "soziale Stabilität" beeinträchtigen könnten, ist verboten; dennoch versuchen die Leute, sie insgeheim zu hören, obwohl sie sich des damit verbundenen Risikos voll bewußt sind(329).

III.1.4

Die Politisierung des Internets

Das Internet als ein Schlüsselinstrument sowohl zum Empfang als auch zur Verbreitung von Informationen und Ideen hat in den letzten Jahren das Kommunikationswesen in China revolutioniert. In Tibet trifft jedoch das Internet als ein potentielles Mittel zum Ausdruck politischer Ideen auf eine Reihe von Hindernissen. Den Tibetern steht es im allgemeinen nicht zur Verfügung, denn sein Gebrauch ist zumeist auf die gebildete Stadtbevölkerung beschränkt(330). Dazu kommen noch mit hoher Wahrscheinlichkeit die dürftigen Englischkenntnisse der Tibeter - denn die meisten Seiten mit "subversivem" Material sind ja gerade auf Englisch.

Eine Studie der Harvard Law School über Internet-Filterung in China schließt aufgrund der von Mai bis November 2002 durchgeführten Untersuchungen, daß die chinesische Regierung alles unternimmt, damit Internet-User gewisse Seiten - sowohl pornographischen als auch nicht-pornographischen Inhalts - nicht einsehen können. Tausende von Seiten waren, wie die Studie herausfand, in China blockiert und nicht zugänglich(331).

Nebst dem Internet blockieren die Behörden nun auch elektronische Post, die sie für subversiv halten. E-mails, Nachrichten und Beiträge von Voice of America sowie populäre chat rooms, die als Foren für eine lebendige Diskussion über aktuelle Themen dienen, werden abgehört und herausgefiltert. Die Worte Tibet, Taiwan, Xinjiang führen automatisch zum Herausfiltern . Über 60 % der 100 Haupt "Tibet-Seiten" bei Google waren blockiert(332).

Bislang gibt es noch keine speziellen Berichte über Internet-Filterung in Tibet, doch Reisende erzählen, daß Seiten, die von Peking als subversiv erachtet werden, jetzt in Tibet unzugänglich seien. Angesichts der einschneidenden Maßnahmen gegen den Zugang zu "Dissidentenseiten" für Chinesen und der vielen Chinesen, die wegen "Internet-Delikten" festgenommen wurden, kann man Rückschlüsse auf die politische Brisanz des Themas in Tibet ziehen. Die Benutzung des Internets scheint in Tibet noch nicht dermaßen verbreitet zu sein wie in China, weshalb die Behörden es mit der Überwachung nicht schwer haben.

Der Sonderberichterstatter der UNO für Meinungsfreiheit und freie Meinungsäußerung wies darauf hin, daß die immer schärfere Reglementierung in diesen Bereichen Zeichen einer patriarchalischen Haltung sei und das Potential des Internets, das Recht auf freie Meinungsäußerung in der Praxis zu gewährleisten, zunichte mache(333).

III.1.5

Willkürliche Verhaftung und Festnahme

Der Art 9 (1) des ICCPR legt eindeutig fest:

"Jedermann hat ein Recht auf persönliche Freiheit und Sicherheit. Niemand darf willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Niemand darf seine Freiheit entzogen werden, es sei denn aus gesetzlich bestimmten Gründen und unter Beachtung des im Gesetz vorgeschriebenen Verfahrens".

Die Arbeitsgruppe der Vereinten Nationen über Willkürliche Verhaftung (Working Group on Arbitrary Detention = WGAD) betrachtet Freiheitsentzug in folgenden Fällen als willkürlich:

"Wenn er offensichtlich jeglicher gesetzlichen Grundlage entbehrt (wie etwa fortgesetzte Haft, obwohl die Strafe verbüßt wurde, oder trotz einer erfolgten Amnestie) (Kategorie I);

wenn der Freiheitsentzug infolge der Ausübung der in den Artikeln 7,13,14,18,19 und 21 der UDHR verankerten Rechte und Freiheiten, oder was die Vertragsparteien betrifft, in den Artikeln 12,18,19,21,22,25,26 und 27 des ICCPR, durch ein Gerichtsurteil verhängt wurde (Kategorie II);

wenn die vollständige oder teilweise Nichtbeachtung der einschlägigen internationalen Richtlinien, wie sie in der UDHR und den anderen von den betreffenden Staaten angenommenen Rechtsinstrumenten hinsichtlich des Rechtes auf ein ordentliches Gerichtsverfahren niedergelegt sind, derartig gravierend ist, daß die Freiheitsberaubung, welcher Art auch immer, einen willkürlichen Charakter annimmt (Kategorie III)"(334).

Eine große Anzahl von Verhaftungen in Tibet erfolgt nach der Ausübung des Rechtes auf freie Meinungsäußerung und Meinungsfreiheit sowie der die Gedanken- Gewissens- und Religionsfreiheit betreffenden Rechte. Die Arbeitsgruppe über Willkürliche Verhaftung brachte den Vertragsstaaten in ihrem Bericht an die Vereinten Nationen in Erinnerung, daß die aus den genannten Gründen erfolgenden Festnahmen "die klassischen und häufigsten Fälle von Verhaftung sind, welche die Arbeitsgruppe gemäß der Kategorie II ihrer Arbeitsprinzipien als willkürlich einstuft"(335).

In einem Land, in dem die Menschenrechte respektiert werden, ist Dissens in politischen Dingen weit davon entfernt verboten zu sein, sondern sogar erwünscht, er wird öffentlich gemacht und als eine gesunde Erscheinung betrachtet. Chinas Repression jeglicher Opposition unter dem Vorwand, daß dies notwendig sei, um die öffentliche Ordnung und Sicherheit zu schützen, führen die UDHR, den ICCPR und andere Menschenrechtskonventionen ad absurdum.

Dem TCHRD wurde bestätigt, daß Bhangri Tsamdrul Rinpoche(336) zu einer langen Haftstrafe verurteilt worden ist - einer der obskursten Fälle in den letzten Jahren. Es heißt, Tsamdrul Rinpoche, der mit Tashi Tsering (welcher wegen eines Flaggen-Zwischenfalls nach schwerer Mißhandlung durch die Polizei starb) (337) in Verbindung gestanden habe, sei der "Spionage und Gefährdung der Staatssicherheit" angeklagt worden.

Die Antwort der Sicherheitskräfte auf gewaltlosen Protest - wie etwa das Zeigen der tibetischen Flagge oder anderer harmloser Symbole kultureller Identität, friedliche Demonstrationen, der Besitz von Photographien des Dalai Lama und das Anbringen und Verbreiten politischer Flugschriften - sind routinemäßig willkürliche Festnahmen, Haft und Folter. Ebenso ist es üblich, Tibeter zum Zweck der Einschüchterung zu verhaften und mehrere Monate festzuhalten. Bei all diesen Fällen willkürlicher Verhaftungen war auch nicht die geringste Spur eines fairen Gerichtsverfahren festzustellen, und die Häftlinge waren Folter und Mißhandlungen ausgesetzt.

Pekings Regierungssprecher beteuern immer wieder, in Tibet würde niemand wegen des Besitzes eines Bildes oder einer Kassette (Audio/Video) des Dalai Lama verurteilt. Diese offizielle Ableugnung der Tatsachen könnte darauf zurückzuführen sein, daß es in keinem einzigen Gesetz der PRC einen Artikel gibt, der Gefängnishaft für eine Person, bei der ein Dalai Lama Bild gefunden wird, vorsehen würde. Die chinesische Regierung leidet jedoch unter der ständigen Paranoia, die soziale Stabilität könne durch den Einfluß des Dalai Lama erschüttert werden. Viele Artikel im chinesischen Strafgesetzbuch und anderen Gesetzestexten setzen allerdings deutlich fest, daß Personen, welche die soziale Stabilität beeinträchtigen und die Staatssicherheit gefährden, mit Gefängnis zu bestrafen sind(338).

Zahlreiche Tibeter sind hinter Gitter gesetzt oder mit Geldstrafen belegt worden, weil sie Bilder oder Ton- bzw. Videobänder des Dalai Lama besaßen. Sechs Mönche aus dem Kloster Phukhong im Kreis Sershul, TAR, wurden mehrere Monate lang festgehalten und erst auf Zahlung von Kautionen bis zu 4.000 Yuan wieder auf freien Fuß gesetzt(339).

Im Juli/August 2001 wurde Sang Ga (26) aus dem Distrikt Hortsang Sangchu, TAP Gannan, Gansu, zu vier Jahren Haft verurteilt, nachdem Bilder des Dalai Lama bei ihm entdeckt worden waren. Er kam in das PSB-Haftzentrum von Ngaba, wo er unter Folter vernommen wurde. Weil das PSB Haftzentrum Ngaba den Fall Sang Ga nach 15 Tagen Untersuchungshaft noch nicht entscheiden konnte, da kein Geständnis aus ihm herauszupressen war, überstellte es ihn dem PSB Haftzentrum des Nachbardistrikts Barkham. Nun trafen Beamte aus Barkham im PSB Haftzentrum von Ngaba ein und setzten eine Woche lang die Verhöre fort. Sang Ga ist gegenwärtig im Distriktgefängnis von Barkham inhaftiert(340).

Am 18. Oktober 2002 wurden fünf Tibeter festgenommen, weil sie in der TAP Karze, Sichuan eine Gebetszeremonie für das lange Leben des Dalai Lama organisiert hatten. Diese fünf - nämlich Jampa Sangpo (37), Namgyal (35), Kayo Dogha (55), Tsering Dorjee (49) und Jampal (40) - durften weder Besuche erhalten, noch wurden ihre Angehörigen über die Gründe ihrer Festnahme informiert(341).

Nicht nur solche "eindeutigen Verbrechen" wie der Besitz von Bildern des Dalai Lama oder die Abhaltung von Langlebensgebeten für ihn können Tibeter ins Gefängnis bringen. Bereits eine Zeichnung, die der verbotenen tibetischen Nationalflagge nur entfernt ähnelt, kann zur Verhaftung führen. Der Geschäftsmann Nyima Tsering (32) aus Shigatse wurde zu drei Jahren Haft verurteilt, weil einige Thangkas (religiöse Rollenbilder) mit solchen Motiven bei ihm gefunden wurden. Er erzählt:

"In der ersten Augustwoche 2001 kamen bei einer der berüchtigten plötzlichen Kontrollvisiten PSB-Milizionäre und konfiszierten 20 Paar Teppiche (Anm. Teppichbrücken werden paarweise verkauft) im Wert von etwa 4.000 Yuan pro Paar, sowie 12 Thangkas. Solche Inspektionen werden eigentlich durchgeführt, um nach unregistrierten Gästen zu fahnden. Es waren Thangkas von Chenrezig (Buddha des Mitgefühls, als dessen Inkarnation der Dalai Lama gilt) und sie kosteten etwa 20.000 Yuan pro Stück. Am nächsten Tag verbrannten sie alle konfiszierten Thangkas direkt vor meinen Augen. Und sie verlangten außerdem eine Strafe von 6.000 Yuan von mir, obwohl ich sagte, daß ich nicht so viel Geld hätte, um das zu zahlen. Als ich meine Unschuld beteuerte, erwiderten sie, ich hätte diese Zeichnungen absichtlich angefertigt. Sie hielten mir vor, daß es ein politisches Vergehen sei, wenn ich Schneelöwen oder Schneeberge male oder aufnähe"(342).

III.1.6

Das Recht auf ein faires Gerichtsverfahren

Die chinesische Verfassung legt fest, daß die Rechtsprechung durch die Gerichte gemäß den Gesetzen unabhängig zu erfolgen habe. In der Praxis ist die Judikative jedoch den politischen Vorgaben sowohl der Regierung als auch der Kommunistischen Partei (CCP) unterworfen. Auf lokaler und zentraler Ebene mischen sich die Regierung und besonders die CCP sehr häufig in die Urteilsfindung und die Rechtsprechung ein und diktieren den Gerichtshöfen ihre Entscheidungen. In Tibet sind die Mehrheit der Richter Tibeter, aber die meisten von ihnen haben nur eine geringe oder gar keine juristische Ausbildung und daher wenig Ahnung von der Sache. Die Verhandlungen finden hinter verschlossenen Türen statt, und die Angeklagten bekommen niemals unabhängige Rechtsanwälte zur Seite gestellt. Das chinesische Strafgesetz gewährt den Angeklagten ein Recht auf Berufung innerhalb von 10 Tagen nach dem Urteilsspruch, doch sind erfolgreiche Berufungen etwas äußerst Seltenes.

Der Fall, welcher 2002 international am meisten Aufsehen erregte, war die Verurteilung der zwei Tibeter Tulku Tenzin Delek (Angag Tashi, chin. A'an Zhaxi) (343) und Lobsang Dhondup zu summarischer Hinrichtung im Dezember 2002. Quellen aus Tibet zufolge und wie Sichuan People's Daily (am 3. Dezember) bestätigte, wurde Lobsang Dhondup zum sofortigen Tode mit lebenslangem Verlust der politischen Rechte und Tulku Tenzin Delek zum Tode mit einem zweijährigen Vollzugsaufschub verurteilt.

Am 2. Dezember fand eine Anhörung vor dem Mittleren Volksgericht von Karze in der TAP Karze, Sichuan, statt. Den zwei Angeklagten wurde die Beteiligung an einem Sprengstoffattentat am 3. April auf dem Hauptplatz (Tianfu) in Chengdu zur Last gelegt. Andere gegen sie erhobenen Anklagen lauteten auf "illegalen Waffenbesitz" und "spalterische Tätigkeiten".

Später wurde berichtet, der Tulku habe dem Gericht falsche Anschuldigungen und ein unfaires Verfahren vorgeworfen und gerufen: "Lang lebe Seine Heiligkeit der Dalai Lama!". Das sofort herbeigeholte Sicherheitspersonal knebelte den Tulku mit einem Stoffetzen. Er soll dann in einen anderen Raum des Gebäudes geschleift worden sein(344).

Diese bisher einmaligen Todesurteile gegen tibetische politische Gefangene führten weltweit zu Schlagzeilen. Im Dezember wurde der Fall an das Höhere Volksgericht von Sichuan verwiesen, und Wang Lixiong (345) zufolge waren zwei prominente chinesische Anwälte, nämlich Zhang Sizhi und Li Huigeng(346), bereit, den Rinpoche auf die Bitte seines Bruders Tsering Lolo hin, zu verteidigen. Der Richter des Provinzgerichtes von Sichuan, Wang Jinghong, teilte am 29. Dezember jedoch mit, ihre Dienste seien nicht erforderlich, denn zwei ortsansässige Anwälte aus der Präfektur Karze würden den Tulku vor Gericht vertreten(347).

Am 27. Dezember hatten Li und sein Kollege dem Richter Wang ihre Absicht, Tenzin Delek zu verteidigen, telefonisch mitgeteilt und über die Bereitstellung eines Dolmetschers für den Rinpoche gesprochen. Der Richter Wang hatte ihnen zu einem Dolmetscher aus der Gegend geraten, weil Tibeter aus Peking oder Chengdu den lokalen Dialekt vielleicht nicht verstehen würden. Zu diesem Zeitpunkt erwähnte Richter Wang die beiden Anwälte, die der Tulku angeblich mit seiner Verteidigung beauftragt hätte, noch nicht.

Wang Lixiong meint, diese plötzliche Entwicklung sei darauf zurückzuführen, daß die Provinzregierung von Sichuan Druck auf den Richter Wang ausgeübt habe, die zwei bekannten Pekinger Anwälte nicht für die Verteidigung des Rinpoche zuzulassen. Wang kommt zu dem Schluß, daß nur Rechtsanwälte von außerhalb Sichuans eine faire Verteidigung hätten gewährleisten können, weil sie nicht der Kontrolle der Provinzbehörden unterstehen. Auch hätten die zwei ortsansässigen Anwälte kaum die Fähigkeit und den Mut gehabt, energisch aufzutreten, weil sie ja in der Präfektur Karze leben und von den dortigen Behörden abhängig sind. Wang vermutete daher, daß dem Tulku bei einem Berufungsverfahren keine Gerechtigkeit widerfahren werde.

Berichten zufolge suchten am 27. Dezember Behördenvertreter Tsering Lolo in seiner Wohnung in Lithang auf und verwarnten ihn, weil er versucht hatte, Rechtsanwälte aus Peking anzuheuern.

Der Tulku soll indessen am 6. Januar 2003 aus Protest gegen die Behandlung im Gefängnis und weil ihm ein faires Gerichtsverfahren verweigert wurde, in den unbefristeten Hungerstreik getreten sein. Zuverlässigen Quellen zufolge begann er damit, nachdem zwei Vertreter der Zentralregierung ihn am 6. Januar besucht hatten. Er soll ihnen erklärt haben, daß er auf ihre Fragen nicht antworten wolle, weil sie doch kein Interesse daran hätten, die Wahrheit herauszufinden.

Am Sonntag, den 26. Januar 2003, wurde Lobsang Dhondup (28) von den chinesischen Behörden nach einem geheimen Wiederaufnahmeverfahren in der TAP Karze (chin. Ganzi) hingerichtet. Diese Exekution gibt Anlaß zu ernsten Bedenken hinsichtlich der Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechtslage in Tibet. Vom ersten Tag an fehlte jegliche Transparenz, die Opfer wurden gewaltsam festgenommen und in der Untersuchungshaft gefoltert und geschlagen. Über die Tatsache, daß ihnen ein unabhängiger Rechtsbeistand sowie ein fairer Prozeß verweigert worden waren, wurde einfach hinweggesehen, um den Weg für die hastige Exekution von Lobsang Dhondup freizumachen.

Daß Mitglieder der CCP sich eidesstattlich zum Atheismus bekennen müssen, widerspricht der Klausel über die "religiöse Freiheit" in der chinesischen Verfassung. Wie weit diese Freiheit geht, und wo sie zu Ende ist, ist sehr ambivalent. In letzter Zeit scheint sich der Fokus der religiösen Unterdrückung durch die kommunistische Partei von der TAR mehr nach Osten verlagert zu haben. Die TAP Karze in der Provinz Sichuan gilt ihr als Brutstätte politischen Widerstands, weshalb sie dort eine besonders heftige Vergeltung übt. Diese Gegend ist bekannt für ihre unentwegte Treue zum Dalai Lama, was zur Folge hat, daß noch mehr Polizeitruppen nach Karze geschickt wurden. Es ist kein Geheimnis, daß religiöse Würdenträger in dieser Gegend allgemein hohe Achtung genießen und einen großen Einfluß auf die Bevölkerung ausüben - und eben deshalb sie sind nun die Hauptzielscheibe der staatlichen Unterdrückung geworden.

Pekings Wahrnehmung religiöser Führer als eine Bedrohung seiner Macht führte zu einer Reihe von Festnahmen hochverehrter Lamas in Osttibet wie Geshe Sonam Phuntsok, Khenpo Jigme Phuntsok und Tulku Tenzin Delek.

Khenpo Jigme Phuntsok, der in Chengdu unter Hausarrest stand, kehrte im August 2002 in das buddhistische Institut Serthar zurück(348). Jüngsten Berichten zufolge soll sich sein gesundheitliches Befinden wieder verschlechtert haben. Geshe Sonam Phuntsok verbüßt derzeit eine Strafe von fünf Jahren im Haftzentrum Karze. In allen drei Fällen hatten die beschuldigten religiösen Würdenträger in den vergangenen Jahren Indien besucht und beim Dalai Lama eine Privataudienz gehabt. Die Repression erstreckt sich auch auf die Schüler, die Gehilfen und andere Personen, die irgendwie mit diesen Lehrern in Verbindung stehen.

Pema Phuntsok, der Dorfvorsteher von Mong Sa in dem Distrikt Karze, Sichuan, wurde im November 1999 zu zweieinhalb Jahren im Gefängnis Menyang verurteilt. Der 39-jährige Pema hatte etliche religiöse Veranstaltungen organisiert und mehrmals Geshe Sonam Phuntsok eingeladen, um die Gebetszeremonien zu leiten. Seine Entlassung hätte schon längst erfolgen sollen, doch das TCHRD hat bislang noch keine diesbezügliche Bestätigung erhalten.

Der Mönch Dhondup (25) floh nach Indien, um weiteren Verhören und Folterungen zu entgehen. Wie er sagte, galt er als verdächtig, weil er mit dem persönlichen Diener des Gyalwa Karmapa, Drunag(349), verwandt ist. Er wurde immer wieder vernommen, geschlagen und bedroht, um Informationen über die Flucht des Karmapa zu erpressen.

Seit der dramatischen Flucht des Karmapa nach Indien Ende Dezember 1999 wird sein Hauptsitz, das Kloster Tsurphu, scharf überwacht(350). Die chinesischen Behörden belegten Tsurphu mit schweren Restriktionen und nahmen Yongzin Nyima, den Mentor des Karmapa, sowie die Mönche Thupten und Namla 2002 für sechs Monate in Haft.

Wie das TCHRD erfuhr, wurde Thupten, als er im Januar 2002 nach Indien zu fliehen versuchte, gefaßt, Namla im März in Osttibet und der Mentor Nyima im Juni in Kongpo. Bislang gibt es keine eindeutigen Hinweise auf ihren Aufenthaltsort noch auf ihren Gesundheitszustand(351). Inzwischen hat der Karmapa von seinem Exil in Indien aus seiner ernsten Besorgnis um das Schicksal dieser drei Mönche Ausdruck verliehen. In einer Presseerklärung vom August 2002 appellierte er an die chinesischen Behörden, sie sofort freizulassen und nicht im Gefängnis zu mißhandeln (Anm.: Wie von TIN am 12. September 2003 mitgeteilt, wurde Yongzin Nyima, der Mentor des Karmapa, inzwischen freigesetzt).

III.1.7

Neue Festnahmen Februar 2003

Zuverlässigen Quellen zufolge wurden noch zwei weitere Tibeter aus dem Distrikt Karze, Provinz Sichuan, im Zusammenhang mit dem Fall von Tulku Tenzin Delek und Lobsang Dhondup festgenommen - wahrscheinlich unter dem Verdacht der Weitergabe von Informationen über den Tulku und Lobsang Dhondup.

Am 12. Februar wurde der 34-jährige Geschäftsmann Taphel um 19.00 Uhr von sechs Polizeibeamten in seiner Wohnung verhaftet. Die aus der Gemeinde Lithang Zampa stammende Frau Taphels ist die Nichte des Tulku. Die Familie zählt acht Personen, darunter auch Taphels Vater Wangdu.

Der zweite Festgenommene ist Dhedhe (Di-Di), ebenfalls ein Geschäftsmann, aus der Gemeinde Lithang Derge. In der Nacht des 14. Februar wurde er im Distrikt Nyakchuka von der Polizei verhaftet. Dhedhe ist ein Cousin von Tulku Tenzin Delek. Er war einer der zwei Verwandten, die bei der nicht-öffentlichen Gerichtsverhandlung, bei welcher der Tulku und Lobsang für schuldig befunden wurden, anwesend waren.

Unlängst wurde bekannt, daß eine dritte Person, nämlich Tsering Dhondup, zu fünf Jahren Gefängnis verurteilt wurde. Tsering Dhondup wurde etwa zwei Monate nach Tulku Tenzin Deleks Festnahme am 7. April 2002 verhaftet. Er ist Ortsvorsteher von Othok im Distrikt Nyakchuka. Einer zuverlässigen Information zufolge befindet sich Tsering Dhondup derzeit in dem Haftzentrum von Dartsedo. Dem TCHRD wurde bisher noch nichts über den Aufenthaltsort von Taphel und Dhedhe oder die gegen sie erhobenen Beschuldigungen bekannt.

III.1.8

Das Freisein von Folter

Wie im Art. 7 des ICCPR festgelegt, "darf niemand Folter oder grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden". Und doch ist Folter in Tibet gang und gäbe. Jedes Jahr berichten ehemalige politische Gefangene dem TCHRD über die Folterung und den Tod von Häftlingen entweder noch in der Gefangenschaft oder kurz nach ihrer Entlassung.

III.1.9

Propaganda versus Realität

Wie im März 2002 verlautete, wollten chinesische Behörden einen Dokumentarfilm über das berüchtigte Drapchi Gefängnis in Lhasa drehen, in dem sie beabsichtigten, ein exzellent geführtes Gefängnis, in dem wohlgenährte Gefangene nett behandelt werden, vorzustellen. Mehrere politische Insassen verweigerten jedoch an dem Tag, an dem der Film gedreht werden sollte, die Kooperation. Einige der Gewissensgefangenen sollen geschlagen worden sein, während andere als Strafe für ihre Weigerung, sich filmen zu lassen, in Isolationszellen verbracht wurden(352).

Abgesehen von einigen Besucher-Delegationen aus dem Ausland wurden 2002 innerhalb von zwei Monaten zwei Gruppen ausländischer Reporter in Tibet empfangen. Mit solchen Schritten versucht die PRC ihr Image aufzubessern und sich der Welt als offen und gastfreundlich darzustellen. Das TCHRD ist skeptisch bezüglich solcher Besuche, denn die Journalisten dürfen sich nicht frei bewegen, und die Tibeter bezahlen oft einen hohen Preis dabei. Um die Welt auf ihre koloniale Unterdrückung durch die Chinesen aufmerksam zu machen, versuchen sie häufig im Vorfeld zu solchen Besuchen ausländischer Delegationen oder während dieser zu demonstrieren.

Eine Woche, bevor eine derartige Gruppe im August 2002 in Tibet erwartet wurde, nahmen die Behörden fünf Mönche des Klosters Drepung fest, weil sie Kassetten mit Unabhängigkeitsliedern angehört hatten, und zwei weitere wegen des Versuchs eine tibetische Flagge aufzuziehen(353). Hingegen konnten Einzelpersonen, die Tibet privat als Touristen besuchten, einen besseren Einblick gewinnen und wertvolle Informationen mitbringen(354). Ihre Erfahrungen scheinen nicht mit Pekings Propaganda übereinzustimmen.

Ehemalige politische Gefangene, von denen viele nach ihrer Entlassung ins Exil geflohen sind, schildern das Leben in der Haft ganz anders, als es die Berichte der staatlich geförderten Medien in Tibet glauben zu machen suchen. Da kein Außenstehender jemals Zugang zu den Gefangenen in Tibet bekommt, ist es kaum möglich abzuschätzen, wie schwer die Bedingungen in den Gefängnissen tatsächlich sind – einzig und allein die ehemaligen politischen Gefangenen, die jetzt im Exil sind, können Auskunft geben, weshalb sie unsere Hauptquelle der Information darstellen.

Der 73-jährige Takna Jigme Sangpo, ein prominenter politischer Gefangener, der den größten Teil seiner sich zu 40 Jahren summierenden Haftstrafe hinter Gittern verbracht hat, wurde Mitte 2002 aus medizinischen Gründen freigelassen. Nach seiner Freilassung erklärte er: "Das Wichtigste ist jetzt, wo ich beginne ein Leben in Freiheit und Glück zu erleben, die tiefe Besorgnis um das Schicksal meiner ehemaligen Mitgefangenen, die weiterhin in finsteren Gefängnissen gequält werden"(355).

Trotz der verschärften Überwachung der Grenzen und der brutalen Behandlung, welche die nepalesischen Behörden tibetischen Flüchtlingen angedeihen lassen, waren es immerhin 1.378 Personen, die vom 2. Januar 2002 bis zum 10. Januar 2003 aus Tibet flohen, von denen sechs ehemalige politische Gefangene sind. Ihre ausführlichen Berichte über die Gefängnisbedingungen sind erschreckend und strafen die rosigen Behauptungen der Gefängnisbehörden Lügen.

Ein charakteristischer Fall ist der des ehemaligen politischen Gefangenen Dhak Lobsang, der im Dezember 2002 Indien erreichte. Aus dem Kloster Lithang in der Präfektur Karze, Sichuan, stammend, verbrachte er fünf Jahre im Drapchi Gefängnis in Lhasa, überlebte jedoch die intensive Folterung. Am 19. August 1993 wurde er mit vorgehaltener Pistole wegen politischer Aktivitäten festgenommen, während PSB Milizionäre seine Kammer nach politisch belastendem Material durchwühlten.

Hier ist sein Bericht: "Nachdem wir etwa 500 m mit vorgehaltener Pistole gegangen waren, kam ein Polizei-Jeep angefahren, in den ich gepackt und in das PSB-Haftzentrum Lithang, das nur etwa 1 km vom Kloster entfernt ist, gebracht wurde. Dort steckten sie mich in eine dunkle Zelle, die sich als ein Verhörraum entpuppte. Kurz darauf kamen sieben PSB Offiziere, um mich zu vernehmen. Zuerst fragte mich einer von ihnen, ob ich überhaupt wisse, warum ich hier auf der Polizeiwache sei. Ich antwortete, ich wüßte es nicht. Dann sagten sie mir, ich solle mich nicht dumm stellen, ich wüßte den Grund doch ganz genau. Sie rieten mir, die Wahrheit zu sagen, weil dann meine Strafe geringer ausfallen würde. Doch ich sagte gar nichts.

Nach der dritten Warnung erklärten sie mir, vor mir lägen nun zwei Wege, nämlich ein weißer und ein schwarzer, und es hinge von mir ab, welchen ich wählen würde. 'Es liegt ganz in deiner Hand', sagten sie. Als ich mich weigerte, etwas auszusagen, warfen sie mir vor, ich würde lügen. Ich wurde geschlagen und getreten. Sie traktierten mich mit Stöcken, elektrischen Knüppeln und anderen Folterinstrumenten. Kein einziger Teil meines Körpers blieb verschont.

Infolge der Tritte und Schläge büßte ich zwei meiner Vorderzähne ein. Ich glaubte, dem Tode nahe zu sein. Nachdem sie mich etwa eine Stunde so traktiert hatten, wurde ich ohnmächtig. Als ich wieder zu mir kam, merkte ich, daß sie kaltes Wasser auf mich geschüttet hatten, um mich aufzuwecken und mich dann weiter schlagen zu können. Mehrere Male noch verlor ich das Bewußtsein und jedes Mal gossen sie wieder kaltes Wasser über mich. Ich war nicht mehr in der Lage, zu sprechen oder zu stehen oder mich zu bewegen, ich konnte kaum noch die Augen offenhalten.

Um etwa fünf Uhr morgens packten mich zwei Milizionäre an den Armen und zerrten mich in einen anderen Raum, wo Passang, der Kreischef von Lithang, und Chakdrup, der PSB-Chef von Lithang, mich erwarteten. Kaum hatte ich den Raum betreten, da versetzte mir Chakdrup eine heftige Ohrfeige mit der Bemerkung: 'Dieser Kerl hier ist der Unruhestifter'. Dann sagte Passang, ich solle doch nicht 'meinen eigenen Tod herbeiführen' und ich hätte noch Gelegenheit, den weißen Pfad zu wählen, d.h. meine Taten zu gestehen. Als ich stumm blieb, warfen mich die Beamten in eine andere Zelle. Zwei Tage später schleppten sie mich wieder in die Folterkammer und fingen von neuem mit ihren von Schlägen begleiteten Fragen an. Sie drangen immer wieder in mich: 'Hast du noch andere Freunde? Welche Beziehungen pflegst du außerhalb Tibets? Wer beauftragte dich, die Slogans zu schreiben?' Im Verlauf von drei Monaten wurde ich 13 Mal auf diese Weise vernommen.

Drei Monate lang war ich im PSB-Haftzentrum von Lithang in Gewahrsam. Die Handschellen wurden mir nur fünf Minuten für einen zweimaligen Kleiderwechsel abgenommen. Sie pferchten mich zusammen mit über 11 weiteren Personen in einen winzigen Raum. Dieser war so überfüllt, daß wir uns kaum darin bewegen konnten. Jeder hatte nur einen Fußbreit Platz zum Schlafen, so daß wir auf der Seite liegen mußten. Es gab zwei unbedeckte Eimer als Toilette in dem Raum. Der schreckliche Gestank dieser Eimer zusammen mit dem Gedränge war unerträglich, und man hatte das Gefühl zu ersticken. Aber wir hatten keine andere Wahl. Das Essen, das sie uns gaben, war kaum genießbar, es war so schlecht und so dürftig, daß viele meiner Mitgefangenen dadurch erkrankten. Nur Schweine hätte man damit füttern können"(356).

Ein anderer ehemaliger politischer Gefangener, der 30-jährige Mönch Soepa (Ordinationsname Loden Thupten), aus dem Dorf Mancho, Präfektur Chamdo, TAR, berichtet auch von Folterungen, was den Behauptungen der Chinesen widerspricht. Ab 1996 saß Soepa wegen seiner politischen Aktivitäten fünf Jahre im Drapchi-Gefängnis. Er erzählt:

"Die PSB Milizionäre wandten bei mir verschiedene Foltermethoden an. Um Informationen aus mir herauszupressen, wurde ich mit einem elektrischen Schlagstock traktiert. Dann gossen sie Alkohol auf meinen Kopf und berührten mich mit diesem Elektrostab, was mir entsetzliche Pein verursachte. Nun legten sie ein Joch auf meinen Nacken, hinter dem meine Arme senkrecht nach oben ragten. Gleichzeitig ließen sie mich auf zwei spitzen Steinen knien, während sie mir einen Stock in die Kniekehlen klemmten. Als ich mich, unfähig die qualvolle Position zu ertragen, ein wenig bewegte, traten sie auf den Stock in meiner Kniekehle. Der Schmerz war unerträglich. Es war vor allem ein tibetischer Milizionär namens Wangdu, der mir diese Tortur zufügte. Auf diese Weise wurde ich einen ganzen Tag lang in dem PSB Büro vernommen und dabei gefoltert. Am Abend brachten sie mich in das Haftzentrum von Chamdo.

Dort wurde ich erneut alle zwei bis drei Tage vernommen. Bei jeder Sitzung wurde ich geschlagen und gegen die Wand geschleudert. Die Folterer schlugen mich auf den Kopf und versetzten mir Tritte gegen die Brust.

Ich wurde nach Verbüßung meiner Haftstrafe am 1. Mai 2001 entlassen. Mir wurde befohlen, Lhasa innerhalb von 20 Tagen zu verlassen, weshalb ich mich an meinen Heimatort begab, wo ich etwa 9 Monate blieb. Dann ging ich wieder zurück nach Lhasa, von wo aus ich am 30. September 2002 aufbrach und am 10. Oktober das Tibetische Flüchtlingslager (TRC) in Kathmandu erreichte"(357).

III.1.10

Tod durch Folter in der Gefangenschaft

Dieses Jahr erfuhr das TCHRD von zwei Todesfällen politischer Häftlinge, die auf Mißhandlung zurückzuführen sind. Lobsang Dhargyal starb am 19. November 2002 in einem Reform-Arbeits-Lager in der Stadt Siling (chin. Xining), Qinghai. Wegen angeblicher "Spionage" und "spalterischen Tätigkeiten" verbüßte er 16 Jahre. Das Arbeitslager, in dem er inhaftiert war, ist eine riesige Produktionsanlage für Wasserkraftwerke.

Lobsang war zuvor schon einmal zu drei Jahren verurteilt worden, doch kurz vor Ende seiner Haftzeit wurde er aus medizinischen Gründen entlassen. Die ganze Zeit in Gefangenschaft war er an Händen und Füßen gefesselt gewesen und durch die brutalen Verprügelungen hatte er zwei Vorderzähne verloren. Nach seiner Freilassung 1997 gab er sich wieder politischen Aktivitäten hin und besuchte Indien, um seinen Rinpoche zu einem Kloster in Südindien zu geleiten. Als er im Mai 2001 nach Tibet zurückkehrte, um seine gebrechliche Mutter zu besuchen, wurde er in Shigatse festgenommen(358).

III.1.11

Das Recht auf Freizügigkeit

Der Art. 13 der UDHR lautet: "Jeder Mensch hat das Recht auf Freizügigkeit und freie Wahl seines Wohnsitzes innerhalb eines Staates".

"Jeder Mensch hat das Recht, jedes Land, einschließlich seines eigenen, zu verlassen sowie in sein Land zurückzukehren".

Während der Wintermonate, besonders im November, Dezember und Januar, wenn die Himalaya-Pässe den chinesischen Sicherheitskräften zu kalt sind, nimmt gewöhnlich die Anzahl der Flüchtlinge aus Tibet beträchtlich zu. Annähernd 2.000 bis 3.000 Tibeter, einschließlich Kindern, flohen bisher jedes Jahr (Anm. Wegen verschärfter Grenzüberwachung erreichten 2002 nur 1.378 Tibeter das Tibetan Refugee Centre in Indien, darunter 715 Kinder, siehe Human Rights Update März 2003).

Die Regionalregierung der TAR stellt dreierlei Ausweise aus: den hu zhao, den shan fein zhang und den tong xin zhang. Bei dem hu zhao handelt es sich um einen chinesischen Reisepaß, der von dem Paß-Amt des PSB in Lhasa ausgestellt wird. Einen solchen zu bekommen, ist ein langwieriger und schwieriger Prozeß, wobei Schmiergelder und gute Beziehungen eine große Rolle spielen.

Der tong xin zhang ist ein Dokument, das zur Reise in Grenzsperrgebiete berechtigt. Es wird von regionalen Verwaltungsbüros ausgestellt und muß den Zweck der Reise ausweisen. Ein solches Reisedokument erhält man erst auf Vorlage des shan fein zhang, des Staatsbürgerschaftsausweises. Ob diese Papiere nun auf legale oder nicht ganz so legale Weise erworben werden, ohne die zuständigen Beamten zu schmieren und Beziehungen spielen zu lassen, gibt es sie nicht. Tibeter, die dazu nicht die Mittel oder keine Beziehungen haben, müssen die gefährliche Reise über die Berge ohne die notwendigen Reisedokumente antreten.

Auch scheint in politisch heikler Momenten oder während der Besuche ausländischer Honoratioren in Tibet die Bewegungsfreiheit der Menschen noch mehr eingeschränkt zu werden. Wie berichtet wird, gelten solche Beschränkungen jedoch nicht für die Zuwanderer aus China. So heißt es bei Amnesty International: "Die Hartdurchgreif-Kampagne wurde im April 2001 wieder mit größerer Intensität aufgenommen und von den regionalen Behörden und auf Provinzebene weiter ausgedehnt. In Tibet richtet sie sich auch gegen Leute, welche 'Personen illegal über die Grenze führen'"(359).

Am 11. März 2001 wurden 17 Tibeter verhaftet, weil sie angeblich Flüchtlinge illegal über die Grenze nach Nepal geschleust hatten. Wie ein Informant dem TCHRD berichtet, der selbst solch ein sogenannter Schleuser gewesen war: "Einige von ihnen waren nicht einmal guides. Als ich eine Gruppe von 5 Personen über die Grenze bringen wollte, wurde ich in Shigatse von Grenzschutzeinheiten festgenommen. Drei Tage lang vernahmen sie mich unter heftigen Schlägen. Obwohl ich nicht in Haft genommen wurde, erinnere ich mich, daß mindestens sechs andere Personen Strafen von 4 Monaten bis 5 Jahren entgegenblickten"(360).

Es gab zahlreiche Fälle, in denen Flüchtlinge von ihren guides (Wegführern) im Stich gelassen wurden, als die Festnahme durch Grenzschutzeinheiten drohte. In solchen Situationen laufen die Flüchtlinge am meisten Gefahr, ausgeraubt, verhaftet oder sexuell belästigt zu werden oder gar ihr Leben zu verlieren.

Tibeter gehen viele Risiken ein, wenn sie ins Exil fliehen wollen. Abgesehen von der Gefahr, durch die chinesische Grenzpolizei gefaßt zu werden, müssen die Flüchtlinge neuerdings auch die Festnahme jenseits der Grenze zu Nepal fürchten. Unlängst haben die chinesischen Behörden die Überwachungsmaßnahmen an der Grenze verschärft und gehen nun verschärft gegen die guides vor, die sich verbotenerweise als Fluchthelfer betätigen.

III.1.12

Willkür, Mißhandlung und Festnahme durch die chinesischen Grenzschutzeinheiten

Es gab in diesem Jahr zahlreiche Fälle von Festnahmen auf der tibetischen Seite der Grenze, wobei die meisten überhaupt nicht bekannt werden. Normalerweise folgt auf die Festnahme eine Haftzeit von mehreren Monaten, während der die Tibeter, die zu fliehen versuchten, vernommen und mißhandelt werden.

Der 30-jährige Tashi stammt aus dem Dorf Rishoekha, TAP Kanlho, Gansu. Dreimal wurde er bei Fluchtversuchen geschnappt, eingesperrt und seiner Habe und des Geldes, das er sich für die Flucht beschafft hatte, beraubt. Er erzählt:

"Im ganzen wurden mir 50.000 Yuan abgenommen. Das erste, was chinesische Polizisten tun, ist, daß sie einen nach Geld oder Wertsachen abtasten und das Gepäck durchsuchen. Sie wissen, daß Flüchtlinge Geld bei sich haben, und der erste, der es findet, kann Anspruch darauf erheben. Erst bei meinem vierten Versuch gelang es mir, Indien zu erreichen"(361).

Lobsang Sherab (22) wurde bei seinem ersten Fluchtversuch gefaßt. Er berichtet: "Im Mai 2001 versuchte ich in einer Gruppe von fünf Personen, den guide mitgerechnet, aus Tibet zu fliehen. Noch ehe wir Solokhumbhu erreichten, wurden wir von einer chinesischen Polizeistreife verhaftet. Es war um Mitternacht, sie banden unsere Schnürsenkel zusammen und stießen uns herum. Dann hauten sie uns mit ihren Stiefeln auf den Kopf und hänselten uns, das sei ein symbolischer Akt dafür, daß der Dalai Lama uns seinen Segen erteile. Sie taten dies alles, um sich über unseren tiefen Glauben an S.H. den Dalai Lama lustig zu machen. Durch ihr barbarisches Verhalten verletzten sie unsere religiösen Gefühle tief"(362). Lobsang wurde vier Monate in der Nyari Haftanstalt festgehalten. Erst sein dritter Fluchtversuch im September 2002 war erfolgreich, und er erreichte im November Indien.

Festnahmen von Tibetern an der Grenze sind sehr häufig. Davon betroffen sind auch viele Tibeter, die in ihre Heimat zurückkehren wollen, nachdem sie eine gewisse Zeit zu Studienzwecken, Pilgerfahrten oder Verwandtenbesuchen in Indien verbracht haben. Einer offiziellen chinesischen Aussage zufolge wurden innerhalb von 8 Monaten 2.500 Tibeter bei dem Versuch die Grenze entweder nach oder aus Tibet zu überqueren gefaßt(363). Während manche nach ein paar Monaten wieder freigelassen werden, gibt es andere Fälle, wo sie zu langen Haftstrafen verurteilt werden. Sehr oft ist die persönliche Vergangenheit des Festgenommenen ausschlaggebend. Jemand, der früher politisch aktiv war und mit brisanter Literatur gefaßt wurde oder der bereits ein oder mehrere Male in Indien war oder der sich bei den Verhören widerspenstig zeigt, wird zu härteren Strafen verurteilt.

2001 wurde ein jüngerer Vollzugsbeamter aus Drapchi namens Kalsang, der aus Tibet fliehen wollte, in Bhutan festgenommen und von bhutanesischen Grenzschutzeinheiten abgeschoben. Später wurde er zu lebenslänglich verurteilt. Der Informant, der uns dies erzählte, meint, infolge der offiziellen Position dieses Mannes sei sein Urteil von der TAR gefällt worden und nicht von dem für die Verhaftung zuständigen Distrikt Lhoka, wie es sonst üblich ist(364).

Im Mai wurden vier Exilrückkehrer festgenommen und in der Folge zu 6 Jahren Haft verurteilt. Es handelte sich um die Mönche Mathok Damchoe (27), Sonam Gyatso (34), Kunchok Dhargay (32) und Phuntsok (26), alle aus dem Kloster Rabgya im Distrikt Machen der TAP Golog. Nur weil sie auf Pilgerfahrt und zu Studienzwecken in Indien gewesen waren, wurden sie strafrechtlich verfolgt. Es scheint, daß der bloße Besuch Indiens schon als ein Indiz für eine spalterische Haltung angesehen wird(365).

In der Pilgersaison Mai/Juni 2002 gab die Regierung eine Verordnung heraus, die staatlichen Bediensteten untersagte, eine Pilgerfahrt zum heiligsten Berg Tibets, dem Mount Kailash, zu unternehmen. Dieses Verbot bedeutet eine Verletzung von dreierlei Menschenrechten: dem Recht auf Freizügigkeit, auf Glaubensfreiheit und auf freie Meinungsäußerung. In den letzten Jahren gab es bereits diverse Einschränkungen für die Pilgerreise zum Kailash. So gab es Zeiten, als eine besondere Erlaubnis erforderlich war, oder die Region wurde für Pilger sowohl aus dem Ausland als auch aus Tibet ohne offizielle Begründung plötzlich gesperrt. Die neuerliche Reisebeschränkung erfolgte jedoch in einem Jahr, das dem tibetischen Kalender zufolge besonders günstig für das Umschreiten heiliger Stätten ist(366).

III.1.13

Schluss

China regiert Tibet immer noch mit eiserner Faust. Die politische Umerziehung geht in allen religiösen Einrichtungen auf dem Hochland unvermindert weiter und hat inzwischen auch jede Schicht der tibetischen Laienbevölkerung durchdrungen. Doch Pekings Strategien zur Verhinderung internationaler Kritik, die dem aufstrebenden Geschäft und der boomenden Wirtschaft abträglich sein könnte, scheinen ihre Wirkung nicht zu verfehlen.

Trotz der offiziellen Politik, welche die Stimme der Tibeter zum Schweigen zu bringen sucht, sind Tausende von Flüchtlingen, die bisher jedes Jahr aus Tibet entkamen, beredte Zeugen für die entsetzliche Unterdrückung in ihrem Lande – einer Repression in Form massiver Militärpräsenz, von Geheimagenten, Denunzianten, des Geheimdienstes und der in Peking ersonnen Kampagnen zur Umwandlung von Herz und Gemüt der Tibeter.

Teil III.2

2. Das Recht auf eine religiöse Überzeugung und deren Ausübung

Die religiöse Freiheit war im ganzen Jahr 2002 ernsthaft eingeschränkt, denn Peking setzte seine schon lange betriebene Kampagne fort, mit der es Tibet in eine atheistische Region verwandeln will. Die Tibeter sahen sich bei der Wahrnehmung ihres Rechtes auf Religionsfreiheit weiterhin von den Restriktionen der chinesischen Regierung, von Kontrollen und Unterdrückung bedrängt, während ihre geistlichen Würdenträger und Lehrer verfolgt und eingesperrt wurden.

Kennzeichnend für dieses Jahr war die systematische Verfolgung jeglicher gegenüber dem im Exil lebenden Dalai Lama zum Ausdruck gebrachten oder auch nur stillschweigenden Loyalität: Von den Chinesen wird er als ein "Spalter" gebrandmarkt, von den Tibetern jedoch als der Inbegriff des Buddhismus verehrt. Die Anwesenheit von "Arbeitsteams"(367), welche die Mönche und Nonnen indoktrinieren, und deren Leitungsgremien, den sogenannten "Demokratischen Verwaltungsräten (DMC)"(368), ist jetzt in den meisten Klöstern in ganz Tibet zu einer ständigen Einrichtung geworden.

Bedeutende religiöse Zusammenkünfte wie das Große Gebetsfest (tib. monlam chenmo) und die Geburtstagsfeiern für den Dalai Lama sind im Jokhang Tempel von Lhasa weiterhin verboten. Die Weitergabe der buddhistischen Lehren an die jüngere Generation wird durch die restriktive Religionspolitik Chinas dermaßen erschwert, daß heutzutage ein ernstzunehmender Nachwuchsmangel an qualifizierten Lehrern herrscht.

Fast 90 % der gegenwärtigen tibetischen politischen Gefangenen sind Mönche und Nonnen. Was die politische Aktivität in Tibet angeht, so steht die Geistlichkeit weiterhin an vorderster Front. Der Verbleib und das Befinden Gedhun Choekyi Nyimas, des vom Dalai Lama anerkannten 11. Panchen Lama, sowie Chadrel Rinpoches, des Leiters der Suchkommission nach der Reinkarnation des Panchen Lama, bleiben weiterhin unbekannt.

In dem unerschütterlichen religiösen Glauben, der für die meisten Tibeter charakteristisch ist, sieht Peking das Haupthindernis für seine massiven Versuche der Sinisierung und Modernisierung des Landes und seiner Bevölkerung. China interpretiert die Praxis des Buddhismus als eine Manifestation tief verwurzelter nationalistischer Gefühle. Der unbeirrbare Glaube der Tibeter an ihr spirituelles und weltliches Oberhaupt, den Dalai Lama, wird von Peking als eine Herausforderung seiner Macht und damit eine direkte Bedrohung der Herrschaft der Chinesen über das Hochland angesehen.

Überzeugt davon, daß die Religion das der tibetischen Gesellschaft zugrunde liegende Prinzip und damit das Vehikel für den tibetischen Nationalismus ist, hat Peking systematisch versucht, den tibetischen Buddhismus durch eine staatlich kontrollierte Version der Religionsausübung zu ersetzen, die in der chinesischen Propaganda als "normale", d.h. als patriotische religiöse Praxis bezeichnet wird(369). Offizielle Aussagen beweisen, wie eingefleischt der Argwohn bei den Chinesen ist, daß der Buddhismus die Stabilität der Nation bedrohen könne.

In Tibet findet sich Peking mit einer Gesellschaft konfrontiert, die überwiegend von einer nicht-kommunistischen Denkweise geprägt ist, wobei die Klöster der Fokus dieses zentralen Antagonismus zur chinesischen Herrschaft sind(370). China setzt fälschlicherweise seine Hoffnung darauf, daß das durchaus vorhandene Potential wirtschaftlichen Wohlstandes die Stelle der religiösen Überzeugung einnehmen könnte, was ständigen Anlaß zu Konflikten zwischen den beiden Wertesystemen gibt. Die PRC erscheint zuversichtlich, Glaube und religiöser Eifer würden von alleine aussterben, wenn erst einmal ein gewisser wirtschaftlicher und sozialer Fortschritt erreicht ist.

Die politische Strategie der chinesischen Behörden in Tibet besteht weiterhin darin, den religiösen Glauben der Tibeter auszurotten, obwohl sie über fünf Jahrzehnte ohne Erfolg blieb. Ein anderer Ansatz ist der Versuch, Tibet in eine atheistische Region umzuformen, wobei dem tibetischen Volk "die spirituelle Zivilisation der Kommune" gepredigt wird. Ma Chongying, dem stellvertretenden Direktor des Amtes für Minderheiten und Religiöse Angelegenheiten in Tibet, werden die Worte zugeschrieben: "Wenn jemand nicht patriotisch ist, kann er kein lebender Buddha sein. Das ist ein unabänderliches Prinzip"(371).

Die Religionsfreiheit wird manchmal als das "Herz der Menschenrechte" bezeichnet. Die Art. 1, 2 und 18 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (UDHR), der Art. 18 des Internationalen Vertrages über Bürgerliche und Politische Rechte (ICCPR) und die Erklärung über die Beseitigung aller Formen der Intoleranz und Diskriminierung aufgrund von Religion oder Glauben garantieren das Recht auf religiöse Freiheit, auf die freie Wahl der Religion, sowie das Recht eines jeden, seine Religion frei und offen auszuüben.

Der Art. 36 der Verfassung der PRC, in dem die Religionsfreiheit als ein Grundrecht für alle Bürger festgeschrieben ist, fordert auch, daß sich alle religiösen Aktivitäten in dem vom Staat als "normal" definierten Rahmen halten(372). 1994 verabschiedete der Staatsrat die "Bestimmungen über die Handhabung religiöser Aktivitäten von Ausländern auf dem Territorium der PRC" und die "Vorschriften über die Verwaltung von Stätten der religiösen Anbetung".

In einem Xinhua-Artikel vom 9. Juni 2002 heißt es, daß es in China über 13.000 buddhistische Klöster und Tempel mit ungefähr 120.000 "Lamas" und Nonnen gebe, darunter auch 1.700 "lebende Buddhas", und in Tibet über 3.000 Klöster und Tempel. Diese Statistik ist einige Jahre lang immer dieselbe geblieben und entspricht natürlich nicht den tatsächlichen Gegebenheiten in Tibet.

In ihrem dritten Jahresbericht vom Mai 2002 brachte die US Kommission über internationale religiöse Freiheit ihre Besorgnis über die anhaltenden Verletzungen des Rechtes auf Religionsfreiheit des tibetischen Volkes zum Ausdruck. China konterte, indem es behauptete, der US Report übe grundlos Kritik an seiner Religionspolitik und mische sich in grober Weise in die inneren Angelegenheiten Chinas ein.

Um die Kritik an seiner Religionspolitik abzuwenden, hat Peking jetzt eine Einladung ohne Vorbedingungen an den UN-Sonderberichterstatter für die Freiheit der religiösen Überzeugung ausgesprochen. Dies teilte der US Staatssekretär für Demokratie und Menschenrechte Lorne Craner nach seinem Besuch in China im Dezember 2002 mit. Der Sonderberichterstatter Abdelfattah Amor war mit seinem Besuch von 1994 der erste Menschenrechtsexperte der UNO, der jemals Tibet betreten hat.

III.2.1

Institutionalisierung der Religionskontrolle

1996 lancierte Peking die Kampagne zur patriotischen Erziehung in Tibet, deren erklärtes Ziel es ist, tibetische Mönche und Nonnen in chinesischer kommunistischer Ideologie und in der chinesischen Version der tibetischen Geschichte zu "bilden". Die schriftliche Verurteilung des Dalai Lama als Separatist, die Ablehnung Gedhun Choekyi Nyimas, des vom Dalai Lama als 11. Panchen Lama auserkorenen Kandidaten, und die Akzeptanz Tibets als eines integralen Bestandteils Chinas sind die Schlüsselelemente dieser Kampagne.

Diese Politik wurde 2001 auf dem Vierten Arbeitsforum zu Tibet deutlich(373), als erklärt wurde: "Die im religiösen Bereich durchgeführte Arbeit der patriotischen Erziehung, der öffentlichen Aufklärung über das Gesetzsystem und die Wiederherstellung der normalen Ordnung in Klöstern und Tempeln, hat das soziale Fundament der separatistischen Dalai-Aktivitäten erschüttert und der Dalai-Clique, die sich die Gelegenheit der Reinkarnation des Panchen (chin. Bainqen) zunutze machen wollte, um die Religion zu verwirren und zu ruinieren, einen Strich durch die Rechnung gemacht und das große Ereignis der Reinkarnation des Panchen Lama zum Ergebnis gehabt".

Um die Kontrolle der Religion in Tibet zu zentralisieren und zu institutionalisieren, wurden Demokratische Verwaltungsräte ("Democratic Management Committees" = DMC) in religiösen Institutionen, Tempeln und anderen spirituellen Stätten eingerichtet. Hingegen war es die eigentliche Aufgabe und die erklärte Pflicht der "Arbeitsteams" der CCP, denen, die ihre religiöse Praxis "politisch korrekt" durchführen, das Bleibe- und Studienrecht zu bescheinigen, "Nonkonformisten" jedoch umzuerziehen oder auszustoßen.

Andere in den Klöstern übliche Repressionsinstrumente der Arbeitsteams und DMCs sind die Ausweisung von Personen, die sich weigern, der tibetischen Unabhängigkeit und dem Dalai Lama abzuschwören, die säkulare Kontrolle der Anstalten, die Durchsetzung der offiziellen Obergrenzen für die Anzahl von Mönchen und Nonnen in den jeweiligen Institutionen sowie des Mindestalters von 18 Jahren für die Zulassung von Novizen und die Verhaftung und Mißhandlung praktizierender Buddhisten.

In Tibet hat bei der religiösen Kontrolle ein Paradigmenwechsel stattgefunden. Besuche von Arbeitsteams zum Zweck der Indoktrination in den Klöstern werden seltener, während die DMCs allmählich die absolute Autorität über die Administration und insgesamt die Führung der religiösen Institutionen übernehmen. Diese in den Klöstern permanent eingerichteten DMCs sind nichts als ein verlängerter Arm des Staates.

In China bestimmt der Staat, was Religion ist und was sie nicht ist. Die Religionspolitik, die ja anerkanntermaßen politische Ziele verfolgt, wird auf höchster Ebene formuliert und zwar von dem Ständigen Ausschuß des Politbüros, während sie von dem United Front Work Department (UFWD(374), einem Parteiorgan, und dem Amt für Religionsangelegenheiten (Religious Affairs Bureau = RAB), einer staatlichen Institution, in die Praxis umgesetzt wird. Beide Organe, sowohl das UFWD als auch das RAB, haben Nebenstellen bis in die Kommunen, und ihre Leute sitzen auch in den DMCs.

Es war früher in Tibet Tradition, daß ein jeder auch ohne Vorkenntnisse über den Buddhismus um Aufnahme in einem Kloster nachsuchen konnte. War jemand diszipliniert, nicht übel beleumdet und zeigte ernsthaftes Interesse daran, die Lehren des Buddhismus aufzunehmen und die Gelübde zu halten, so wurde er nicht abgewiesen. Diejenigen, die in sehr jungen Jahren eintraten, hatten eine Menge Zeit, sich mit dem Buddhismus zu beschäftigen und ihn zu praktizieren. Mit dem Mindestalter von 18 Jahren, das Peking jetzt für Novizen und Novizinnen vorschreibt, fand diese Tradition ihr Ende.

Abdelfattah Amor, der UN-Sonderberichterstatter über Religion, bekam zu hören, daß Mitglieder der chinesischen Minderheiten von der Altersbeschränkung auf 18 Jahre ausgenommen seien. In seinem Bericht appellierte Amor an China, Gesetze einzuführen, welche Minderjährigen das Recht auf ihre religiöse Überzeugung garantieren(375).

Bei einer Bildungskonferenz, die vor drei Jahren stattfand, erklärte ein führender kommunistischer Parteikader namens Tenzin (chin. Dan Zeng): "Die Parteizentrale (in Peking) verlangt, daß wir in Tibet die Stabilität aufrechterhalten und den Einfluß der Religion schwächen. Dank der patriotischen Erziehung wissen die Mönche nun, was nicht erlaubt und was illegal ist. Daß Mönche Kinder unterrichten, ist nicht erlaubt. Daß Mönche Unabhängigkeits-Parolen schreien und demonstrieren, ist ungesetzlich. Jedermann ist für seine eigenen Gesetzesübertretungen verantwortlich. Unsere Aufgabe ist es, uns um die große Mehrheit der [dem Gesetz treuen] Lamas zu kümmern". Zwar behauptete Dan Zeng, die "Patriotische Erziehung" sei ein Erfolg, mußte aber einräumen, daß es schwierig sei, die Einstellung der Menschen in kurzer Zeit zu verändern"(376).

Jemand, der ernsthaft den Buddhismus praktiziert, benötigt täglich viele Stunden zum Studium und Erlernen der heiligen Texte, außerdem muß er über die grundlegenden Aspekte der Lehre nachdenken, um ihre tiefen philosophischen Einsichten in sein Leben zu integrieren. Eine Gompa (eigentlich Abgeschiedenheit), gemeinhin als Kloster übersetzt, ist ein Ort des Studiums und der Praxis für Mönche und Nonnen und liegt üblicherweise in einer Entfernung von einem rGyangs grags (etwa zwei Meilen) von allen menschlichen Siedlungen entfernt. Die Praktizierenden ihrerseits sollten sich sowohl physisch als auch mental vom weltlichen Leben fernhalten.

In der Vergangenheit war der Tagesablauf eines Mönches so: morgens Teilnahme an den Gebets- und Meditationsversammlungen, danach folgte rigoroses Studium unter der Anleitung seines religiösen Lehrers und am Abend kamen noch die intensiven Debattiersitzungen hinzu. Heutzutage werden tibetischen Mönchen und Nonnen von den in den Klöstern eingerichteten DMCs, sowie den chinesischen Arbeitsteams, die sich vielerorts eingenistet haben, die Grundrechte beschnitten und verweigert: Statt ihren traditionellen buddhistischen Studiengang verfolgen zu können, müssen sie lange Perioden kommunistischer Indoktrinierung über sich ergehen lassen.

Die DMCs fördern Bespitzelung und Argwohn und vergiften die einstmals wohltuende Atmosphäre der Klöster. Wo einst Vertrauen und Duldsamkeit herrschten, atmen die Mönche und Nonnen jetzt die Luft von Verdächtigungen und ständiger Überwachung. Sie müssen sich Sorgen machen, ob ihre religiösen Aktivitäten den von dem DMC aufgestellten Regeln entsprechen, oder wann sie wieder zur Vernehmung an die Reihe kommen. Diese Situation macht es den heutigen Mönchen und Nonnen unmöglich, das Studium der buddhistischen Philosophie, dem sie ihr Leben widmen möchten, ernsthaft zu betreiben.

Daß die "Patriotische Erziehung" unvermindert weitergeht, beweist ein Fall aus dem Kloster Jadar in Amdo, Nordosttibet, in der heutigen Provinz Qinghai. Das TCHRD erfuhr davon von jemand der anonym bleiben möchte: "Seit 1998 hat das Kloster Jadar in der Gemeinde Tsekhog in der jetzigen Provinz Qinghai einen aus fünf gewählten Mönchen bestehenden Demokratischen Verwaltungsrat. Die Mitglieder des DMC - darunter ein erster und zweiter Vorsitzender - werden auf fünf Jahre gewählt. Die Hauptaufgabe des DMC ist es, den Prozeß der Neuaufnahmen zu überwachen und spalterische Tätigkeiten im Kloster zu verhindern. Sollte irgend etwas Derartiges vorkommen, so hätten die DMC-Mitglieder die sich daraus ergebenden Konsequenzen zu tragen"(377).

An alle Mönche wurden 15 Kapitel umfassende Broschüren verteilt, in denen die Bedeutung einer patriotischen Haltung gegenüber der Nation und der Kritik am Dalai Lama gepredigt werden. Die Mönche wurden gezwungen, täglich viele Stunden lang dieses Material zu studieren, so daß für ihre Studien und die religiöse Praxis nicht mehr genügend Zeit übrig blieb.

So berichtet ein Mönch aus dem Kloster Yoetri im Distrikt Markham in Südosttibet(378): "1997 kamen erstmals die Kader eines Arbeitsteams in mein Kloster und blieben drei Monate und 20 Tage. Danach suchten sie das Kloster dreimal monatlich auf und blieben jedes Mal bis zu einer Woche. Ich hatte mir vorgenommen ein guter Dharma-Student zu sein, doch unter der chinesischen Besatzung konnte ich meine Absicht nicht erfüllen. Unsere religiösen Studien wurden fortwährend durch die Übergriffe der chinesischen Arbeitsteams beeinträchtigt, so daß wir keinen inneren Frieden mehr hatten. Schließlich beschloß ich, Tibet zu verlassen".

Zusätzlich zu der regelmäßigen politischen Indoktrinierung – was an und für sich schon einen gewaltigen Eingriff in ihre religiösen Studien bedeutet – werden Mönche und Nonnen ständig auf ihre politische Loyalität hin unter die Lupe genommen. Geistliche, die auch nur irgendwie eine abweichende Meinung deutlich werden lassen, bekommen die Repression empfindlich zu spüren und enden meistens in chinesischen Gefängnissen, wo sie alle möglichen Formen von Mißhandlung und Folter zu gewärtigen haben. Die Jahre im Gefängnis berauben sie der Möglichkeit, ihre Religion kennenzulernen und zu praktizieren. Und nach der Entlassung aus der Haft sind Mönche und Nonnen gesellschaftlich geächtete Individuen, denen die Rückkehr in ihre Klöster verboten ist. Ihr Lebensplan hat damit sein Ende gefunden.

Peking ist mit seiner Strategie, die monastischen Gemeinschaften von "spalterischen Einflüssen" zu säubern, so erfolgreich, daß einige Klöster heutzutage völlig verlassen sind. Andere wiederum sind infolge der Einschränkungen bei der Anzahl von Mönchen oder Nonnen, dem Bleiberecht und dem Studienplan sehr zusammengeschrumpft.

Wie die Belegschaft der Klöster eingeschränkt wird, geht deutlich aus dem Bericht eines ehemaligen Abtes des Klosters Shugseb im Kreis Chushul der TAR hervor. "Offiziellen chinesischen Angaben zufolge betrug die Anzahl der Nonnen im Kloster Shugseb 208, obwohl es tatsächlich 270 waren. Von den 208 Nonnen waren 130 permanent ansässig, während etwa 65 das Kloster zeitweise besuchten. Es gab außerdem etwa 20-30 nicht registrierte Nonnen, die zum Teil aus anderen Klöstern vertrieben worden waren. Sie pflegten sich, sobald ein Arbeitsteam erschien, schnell aus dem Staube zu machen"(379). Diese Arbeitsteams kamen normalerweise alle drei bis vier Monate. Während bedeutender offizieller Ereignisse ließen sich die Arbeitsteams für die ganze Zeit häuslich nieder.

III.2.2

Die Anti-Dalai-Lama Kampagne

Seit der Zeit der Kulturrevolution (1966-1976) hat sich die schriftlich niedergelegte Politik hinsichtlich der Religionsausübung immer wieder gewandelt. In letzter Zeit wurde die Kampagne gegen den Dalai Lama, der ja im Großen und Ganzen die Seele des tibetischen Buddhismus symbolisiert, wieder mehr betont und mit größerer Vehemenz durchgeführt. Eigentlich gehen die Anti-Dalai-Lama Kampagnen auf die späten 50er und die frühen 60er Jahre zurück, so daß die gegenwärtigen Restriktionen nur eine Neuauflage derselben Politik sind - nämlich besonders innerhalb der tibetischen Gemeinde die Persönlichkeit des Dalai Lama zu diskreditieren und seine Autorität zu untergraben.

Viele Tibeter werden wegen ihrer offenkundigen oder vermuteten Verbundenheit mit der "Dalai Clique" (womit die tibetische Regierung-im-Exil gemeint ist), des Besitzes von Bildern, Ton- oder Videocassetten des Dalai Lama oder des Betens in der Öffentlichkeit am 6. Juli, seinem Geburtstag, drastisch bestraft, hinter Gitter gesetzt, gefoltert oder gar zum Tode verurteilt.

Seit dem Vierten Arbeitsforums zu Tibet, das 2001 in Peking stattgefunden hat, zieht China noch mehr gegen den Dalai Lama zu Felde. Die "Dalai Clique" wird unentwegt beschuldigt, Instabilität in der Region zu schaffen. Um ihr Einhalt zu gebieten, hat China die "landesweite Entlarvung und Kritisierung der Verbrechen des Dalai Lama" initiiert und "das reaktionäre Propagandamaterial der Dalai Clique aufgespürt und konfisziert".

Thupten (chin. Tu Deng), ein tibetischer Parteikader und Chef des Ausschusses für religiöse Angelegenheiten der TAR, erklärte vor diesem Forum, es sei nichts Unbekanntes, daß viele Tibeter an den Dalai Lama glauben, "wobei es unsere Hauptaufgabe ist, den Leuten dabei zu helfen, seinen wahren Charakter zu erkennen". Thupten beschrieb den Dalai Lama als einen "Spalter und Feind Chinas, dessen Bild daher nichts auf öffentlichen Plätzen zu suchen hat".

Tulku Tenzin Delek, ein charismatischer, reinkarnierter Lama, soll Kadern von der Distriktverwaltung einmal direkt ins Gesicht gesagt haben: "Sie erlassen immerzu Verordnungen, die das Aufstellen von Bildern seiner Heiligkeit des Dalai Lama in Klöstern verbieten. Für mich spielt dies aber keine Rolle. Weder vertieft das Zeigen der verbotenen Bilder in der Öffentlichkeit meine Hingabe zu Seiner Heiligkeit, noch mindert das offizielle Verbot dieser Bilder meinen Glauben. Der Dalai Lama ist meine Seele selbst"(380). Tulku Tenzin Delek wurde inzwischen zum Tode mit zweijährigem Vollstreckungsaufschub verurteilt(381).

Ein weiterer tibetischer Mönch wurde Anfang August 2001 zu einer vierjährigen Gefängnisstrafe verurteilt, weil er Photos des Dalai Lama verteilt hatte(382). Und am 18. Oktober 2002 wurden fünf Tibeter aus der Stadt Karze in der heutigen Provinz Sichuan wegen "ernster Verbrechen" festgenommen - einen Tag, nachdem 400 PLA-Soldaten nach Karze verlegt worden waren. Die Ankunft der PLA-Truppen in Karze und die Festnahmen erfolgten, nachdem die Polizei von Karze beinahe ein Jahr lang nach den Organisatoren einer Reihe von Gebetszeremonien für ein langes Leben des Dalai Lamas gesucht hatte(383).

Bei einem weiteren Vorfall verboten die Behörden Delong Rinpoche, einem reinkarnierten chinesischen Lama, nach Indien zu reisen, wobei die Erklärung, die sie dafür abgaben, alles andere als glaubwürdig war. Es wird angenommen, daß Delong Rinpoches(384) Glauben an den Dalai Lama, sowie seine wahrscheinliche Absicht, um eine Audienz bei ihm nachzusuchen, die üblichen Ängste der Chinesen wegen "spalterischer" Einflüsse auf den Plan gerufen haben könnten .

Für die Tibeter ist der Dalai Lama die Verkörperung von Avalokitesvara, dem Buddha des Erbarmens, und der oberste religiöse Führer zahlloser Buddhisten weltweit, einschließlich der Mongolei und der russischen Republiken. Im August 2002 erklärte der Parteisekretär der TAR Guo Jinglong der Nachrichtenagentur Reuters: "In China gibt es keine politischen Differenzen wegen religiöser Überzeugungen. Die Bevölkerung hier bekennt sich zur Religion, aber das bedeutet nicht, daß sie auch an den Dalai Lama glauben muß"(385). Diese Aussage macht deutlich, wie die chinesische Regierung die Autorität der religiösen Institution des Dalai Lamas zu unterhöhlen versucht.

Unter dem Banner der "Patriotischen Erziehung" scheuen die Behörden vor nichts zu zurück, um den Dalai Lama zu verunglimpfen. Die Kampagne zur Denunzierung des Dalai Lama bedeutet für die Mönche und Nonnen ein permanentes Dilemma und einen direkten Konflikt zwischen ihrer religiösen Treue dem Dalai Lama gegenüber und der von ihnen geforderten Loyalität zur Kommunistischen Partei. Entweder sie glauben an den Dalai Lama und müssen mit ernsten Folgen rechnen oder sie ordnen sich dem Diktat der chinesischen Arbeitsteams und DMCs, also den Gremien, welche die Religion in Tibet unter Kontrolle halten, unter.

Dieser Konflikt, im dem es gilt, sich zwischen der Treue zum Dalai Lama und der eingeforderten Loyalität zur KP zu entscheiden und danach auch die Folgen dafür zu tragen, trifft die Geistlichkeit am härtesten. Berichten zufolge stellen Mönche und Nonnen die Hälfte der Flüchtlinge, die jedes Jahr ins Exil entkommen. Fast 90 % davon verlassen ihre Heimat in erster Linie, um eine Audienz beim Dalai Lama zu erhalten und im Exil ungehindert ihr Studium des tibetischen Buddhismus und ihre religiöse Praxis fortsetzen zu können.

Einige der jüngsten Zeugnisse von Flüchtlingen erhärten die Vermutung, daß die Demolierungen im Buddhistischen Institut Serthar(386) im Jahre 2001 vor allem eine Vergeltungsaktion für die Treue des Instituts zum Dalai Lama waren. Khenpo Jigme Phuntsok, der Gründer und Großabt des Serthar-Instituts, weigerte sich, den Dalai Lama zu verunglimpfen: Wie er sagte: "Selbst wenn sie eine Pistole auf meinen Kopf richten...". Und um einen ehemaligen Mönch von Serthar zu zitieren: "Wenn wir uns vom Dalai Lama losgesagt hätten, wäre Serthar nicht von den Chinesen zerstört worden".

III.2.3

Einschränkungen der religiösen Praxis und religiöser Feste

China beteuert, daß "jeden Tag genügend religiöse Aktivitäten unterschiedlicher Art in den Tempeln und Klöstern Tibets stattfinden". Öffentliche Religionsausübung, wie zum Beispiel durch Gebete, Niederwerfungen, das Drehen von Gebetsmühlen, die Umrundung heiliger Stätten und die Teilnahme an den wenigen noch begangenen Festen wird in einigen ausgewählten Gegenden erlaubt, um der Welt den Anschein, in Tibet gebe es religiöse Freiheit, vorzugaukeln. Doch die Realität, nämlich die zunehmende Einschränkung hergebrachter religiöser Praktiken, insbesondere die Weitergabe religiöser Lehren und die Achtung der Traditionen, straft alle Beteuerungen der Chinesen Lügen.

Statt die Religion gänzlich zu ächten, versucht Peking den tibetischen Buddhismus für sich nutzbar zu machen, indem es seine wesentlichen Merkmale mit Verboten belegt und ihn durch die sogenannte "normale" Religion zu ersetzen sucht. Diese hat "patriotisch" zu sein und wird vom Staat kontrolliert. "Normale" religiöse Aktivitäten schließen die "Verehrung des Dalai Lama" aus, aber dafür gibt es die "Liebe zum großen Mutterland". Chinas Forderung, daß der "Buddhismus mit dem Sozialismus konform gehen muß, und nicht umgekehrt", bedeutet, daß die chinesische kommunistische Partei bestimmt, was der Buddhismus für die Tibeter zu sein hat. Die Rolle von reinkarnierten Lamas und Gelehrten - den ehemaligen religiösen und gesellschaftlichen Führungspersönlichkeiten - wird damit eliminiert.

Der Art. 251 (früher Art. 147) des Strafgesetzes der PRC stellt explizit fest: "Ernste Fälle, in denen ein Regierungsangestellter unrechtmäßigerweise die Bürger ihres Rechtes auf religiöse Überzeugung beraubt und gegen ethnisches Brauchtum und dessen Praxis vorgeht, können mit Freiheitsentzug oder einer zweijährigen Gefängnisstrafe bestraft werden". Was die praktische Anwendung dieses Paragraphen betrifft, hörte man jedoch noch nie von einem staatlichen Bediensteten, der festgenommen worden wäre, weil er sich über diese Verfügung hinweggesetzt hat.

Kommunistische Parteikader müssen Atheisten sein, doch ein Minister in Peking, der nicht genannt werden möchte, äußerte: "Die Religionen haben Zulauf, aber nicht die KP, daher haben die Behörden allen Grund dazu, Angst zu haben"(387).

Während des heiligen Monats Saga Dawa 2002 gab es eine interne Anordnung für tibetische Kader und staatliche Angestellte, die ihnen das Umwandeln heiliger Stätten, das öffentliche Beten und das Anzünden von Butterlampen untersagte. Personen, welche die Vorschrift mißachten, wurde mit Entlassung gedroht.

Dem Glauben der Tibeter zufolge war 2002, das Jahr des "Wasser-Pferdes", ein besonders günstiges für Pilgerfahrten zum Mount Kailash, einem der heiligsten Berge Tibets. Die chinesischen Behörden untersagten jedoch staatlichen Bediensteten und Parteikadern, den Berg Kailash aufzusuchen und zu umwandeln, wobei die Strafe für Mißachtung des Verbots Verlust des Arbeitsplatzes und der Rente war. Anträge dieser Personen auf Genehmigung, die kora um den Kailash ausführen zu dürfen, wurden mit der Verwarnung, daß sie ihre Zukunft und Karriere aufs Spiel setzten, zurückgewiesen. Schon seit einigen Jahren brauchen Pilger, welche den Mount Kailash besuchen und umwandeln wollen, eine besondere Erlaubnis.

Einem Flüchtling aus dem Distrikt Sog in Zentraltibet zufolge verboten die chinesischen Behörden im März 2001 eine Kalachakra Initiation(388) im Distrikt Sog. Zwei Tage vor der Zeremonie seien Offizielle mit einem Verbotsschreiben der Zentralregierung in Peking gekommen, in dem stand, daß das Kalachakra Ritual nicht stattfinden dürfe, weil es eine Lehre des Dalai Lamas sei. Ein Mönch versuchte, den Behörden zu erklären, daß es sich bei der Kalachakra-Initiation um eine Lehre handle, die auf Buddha zurückgeht. Als Strafe dafür, daß er das Verbot der Initiation hinterfragt hatte, wurde er fünf Tage lang festgehalten und mit 200 Yuan Geldstrafe belegt(389).

Es ist nun eindeutig erwiesen, daß Chinas Unterdrückung der Religion zu einer Verminderung der Anzahl gelehrter Geshes(390) und Lamas(391) in Tibet geführt hat. Die Behörden im Distrikt Sog gingen sogar so weit, die Prüfungen für den Geshe Lharampa-Titel(392) zu verbieten , womit sie effektiv verhindern, daß Mönche ein qualifiziertes religiöses Studium betreiben. Die Zukunft der buddhistischen Gelehrsamkeit in Tibet ist ernstlich gefährdet.

Die Geshes haben bei der Weitergabe der Religion und der Erhaltung der Kultur eine wichtige Aufgabe. Die traditionelle Rolle des Geshe als Lehrer der Religion ist von größter Bedeutung, besonders jetzt, wo viele einflußreiche Lamas herausgegriffen und schikaniert werden. Andererseits genießen "politisch korrekte" Lamas "die vollen Rechte religiöser Freiheit" und haben eher eine Chance, offiziell anerkannt zu werden. Da vielen Lamas die notwendige Registrierung verweigert wird, haben sie keinen freien Zugang zu den Klöstern und können ebensowenig der Laiengemeinde Unterweisungen geben. Auch die Leute in den Dörfern sind von diesen Auflagen betroffen, denn nur registrierte Lamas sind berechtigt, in ländlichen Gegenden zu lehren, und auch dann nur unter Aufsicht der jeweiligen Behörden.

Unter der Kontrolle der Chinesen sind die Klöster nun eher kommerzielle Betriebe und lebendige Museen geworden als noch Stätten der Anbetung und des religiösen Studiums zu sein. Augenzeugen aus Tibet berichten, welch großer kommerzieller und propagandistischer Wert den religiösen Institutionen inzwischen zukommt und wie die Chinesen es verstehen, sie sich zu Nutze zu machen.

Nach einer Reise durch Tibet 2002 berichteten zwei Touristen dem TCHRD: "Die Chinesen haben einige Klöster und heilige Stätten zu Touristenrummelplätzen und Wirtschaftsbetrieben umfunktioniert, was dem Geist des Buddhismus völlig entgegengesetzt ist. So beträgt beispielsweise das Eintrittsgeld zum Potala, dem früheren Palast des Dalai Lama und dem ehemaligen Sitz der tibetischen Regierung, 70 Yuan (9 US$), und drinnen wird man noch mal zur Kasse gebeten"(393).

Auch Propagandafilme werden in den Klöstern gezeigt. So heißt es in demselben Touristenbericht: "Im Kloster Kumbum zeigen die Chinesen übrigens immer noch einen Propagandafilm voller Lügen, in dem vorgeführt wird, wie glücklich die Tibeter jetzt unter der chinesischen Herrschaft leben. Teilweise war es interessant zu beobachten, wie eine solche Propaganda wirkt, teilweise auch traurig oder gar lächerlich. Religion zum Geschäft zu machen, ist solch ein Unding und tut der Reinheit und dem Geist dieses Weges enormen Abbruch! Es ist ein Jammer, daß viele Tibeter sich nun wie die Chinesen benehmen und aus der Religion ein Geschäft machen"(394).

Gerüchte, daß China religiöse Kunstgegenstände von unbezahlbarem Wert - darunter auch eine fünf Meter hohe Bronzestatue von Maitreya(395) - vom Potala Palast nach Shanghai schaffen ließ, erregten den Unwillen der buddhistischen Gläubigen. Wurde doch der Potala Palast zum Weltkulturerbe erklärt und dem Schutz der UNESCO(396) unterstellt!

Tsering Dorjee Gashi, Verfasser der 1980 veröffentlichten Abhandlung "Neues Tibet - Memoiren eines Absolventen des Pekinger Instituts der nationalen Minderheiten" schreibt: "Kunstwerke von unschätzbarem Wert und religiöse Reliquien und Arbeiten, die ein Modell tibetischer künstlerischer Perfektion und Leistung waren, wurden aus dem Potala und anderen Klöstern entfernt. Statuen und Götterbildnisse aus Gold, Silber, Messing und anderen Edelmetallen, die mit Edelsteinen besetzt waren, wurden nach China gebracht; letztendlich fanden sie ihren Weg zu den Märkten von Hongkong, Shanghai und Tokio, wo Antiquitätensammler aus dem Westen sie zu exorbitanten Preisen kauften. Der Reingewinn in Devisen, den China aus dem Verkauf tibetischer religiöser Artefakte und Kunstgegenstände machte, beläuft sich grob geschätzt auf über 80 Mrd. US Dollar."

III.2.4

China fürchtet den Einfluß populärer religiöser Führungspersönlichkeiten

In der Folge von Chinas Phobie wegen des vermeintlichen Einflusses des Dalai Lama auf die tibetischen Buddhisten, der ihrer Meinung nach nationalistische Gefühle in ihnen hervorruft, sind in den letzten Jahren populäre religiöse Führer in Tibet Opfer von Verdächtigungen und intensiver Überwachung geworden. Mehrere der führenden Lamas Tibets sahen sich wegen ihrer Loyalität zum Dalai Lama mit unüberwindbaren Hindernissen konfrontiert und wurden, weil sie angeblich "spalterischen Aktivitäten" nachgehen, durch die chinesischen Behörden verfolgt.

Wie schon erwähnt, wurde Tulku Tenzin Delek(397), ein angesehener Lama aus dem Distrikt Lithang in der heutigen Provinz Sichuan, 2002 zum Tode mit zweijährigen Aufschub verurteilt. Der Tulku setzte sich mit aller Kraft für die Wiederbelebung und Restaurierung der tibetischen Kultur und Religion ein und engagierte sich aktiv für die soziale Wohlfahrt. Er veranlaßte den Bau von sieben Klöstern, eines Altersheimes und einer Schule für Waisenkinder im Distrikt Nagchuka (chin. Yaijiang Xian) im heutigen Sichuan. Wie es heißt, befürwortete der Tulku auch den vom Dalai Lama ausgewählten Kandidaten für die Nachfolge des Panchen Lama.

Durch die wachsende Popularität des Tulku sahen die chinesischen Behörden wegen seiner unverhohlenen Loyalität zum Dalai Lama und all seinen zahlreichen Diensten an der Gemeinschaft allmählich die "nationale Stabilität" gefährdet. Der Tulku wurde zusammen mit seinem Schüler und früheren Mitarbeiter Lobsang Dhondup der Beteiligung an einer Reihe von Sprengstoffattentaten beschuldigt. Lobsang Dhondup wurde zum sofortigen Tode verurteilt.

Ein Xinhua-Artikel vom 4. Februar 2002 zitierte Pasang (chin. Basang), den Direktor des "TAR Komitees für den Empfang in die Heimat zurückgekehrter Tibeter": "China begrüßt es, wenn die tibetischen Kompatrioten aus dem Ausland zu der Entwicklung Tibets und ihrer Heimatorte beitragen. Solche Leute werden wir wegen etwaiger früherer politischer Aktivitäten im Exil nicht zur Rede stellen".

2002 wiesen die Behörden jedoch einen Antrag der Bewohner des Kreises Dzoge in der heutigen Provinz Sichuan zurück, dem Kirti Rinpoche zu erlauben, von seinem jetzigen Aufenthaltsort im Exil (Dharamsala) aus seine Heimat zu besuchen. Der Kirti Rinpoche wurde als ein eingefleischter "Reaktionär" bezeichnet und seinem Kloster Taktsang Lhamo Kirti, das die Behörden als den Urheber des Vorschlags zu der Einladung verdächtigten, wurde mit der Schließung gedroht. Die Popularität des Kirti Rinpoche und seine riesige Anhängerschaft riefen bei den Chinesen wieder einmal Nervosität wegen "Gefährdung der nationalen Sicherheit" hervor.

Gleich nach der Zurückweisung des Antrages kam die Polizei ins Kloster Kirti und die Mönche wurden einem intensiven patriotischen Erziehungskurs unterworfen. Im Juli 2002 wurde ein geistlicher, vom Kirti Rinpoche verfaßter Text mit der Begründung, er enthalte versteckte abfällige Bemerkungen über die Regierung, verboten. Es wurde eine Verordnung erlassen, alle Exemplare des Textes, der unter den Mönchen und der Lokalbevölkerung schon ziemlich weit verbreitet war, einzusammeln. Kirti Rinpoche hatte Tibet zuletzt 1985 besucht.

Geshe Sonam Phuntsok, ein geachteter Philosoph und religiöser Lehrer aus dem Distrikt Karze, der eine fünfjährige Strafe im Gefängnis Chuangdong No. 3, Distrikt Ngaba, TAP Ngaba, Sichuan, verbüßt, ist krank. Im März 2001 erklärte das Mittlere Volksgericht von Karze ihn für schuldig - unter anderem, weil er um eine Audienz beim Dalai Lama nachgesucht und illegal religiöse Zeremonien, darunter eine Gebetszeremonie für ein langes Leben des Dalai Lama in Rongbatsang"(398), abgehalten hatte.

Berichten vom Juni 2002 zufolge wird Geshe Sonam Phuntsok, der sich ein wenig von seiner Krankheit erholt zu haben scheint, weiterhin dreimal in der Woche Verhören unterzogen. Die Sicherheitsvorkehrungen im Chuangdong Gefängnis sind besonders drastisch. Dem Geshe werden Fragen gestellt wie: "Was ist denn die Grundlage des Buddhismus, daß ihr Tibeter alle so sehr daran hängt? Was sagten Sie Ihren Schülern, als Sie früher religiöse Zeremonien ausführten? Lieben Sie das chinesische Mutterland? Was halten die Tibeter vom Dalai Lama? Was ist Ihre persönliche Meinung über die Lehren des Dalai Lama?"

Das scharfe Durchgreifen gegen das Buddhistische Institut Serthar 2001 erinnert an die Politik der Chinesen von 1949 bis 1979, als sie bestrebt waren, die Religion völlig auszurotten. Khenpo Jigme Phuntsok - ein sehr populärer geistlicher Würdenträger - durfte im November 2002 in das Buddhistische Institut Serthar(399) zurückzukehren, nachdem er ein Jahr lang in Chengdu, der Hauptstadt Sichuans, ohne Verbindung zur Außenwelt festgehalten worden war. Seit seiner Rückkehr wurden die religiösen Belehrungen in dem Institut wieder aufgenommen, jedoch unter strenger Überwachung; außerdem dürfen nur offiziell zugelassene Mönche und Nonnen die Vorträge besuchen.

Über 9.000 Praktizierende beiderlei Geschlechts studierten vor der Verwüstung und der Vertreibung der meisten seiner Bewohner im Frühjahr/Sommer 2001 an dem Serthar-Institut. Darunter fallen auch rund 1.000 chinesische Studenten aus Festland-China und aus anderen asiatischen Ländern. Die in dem Institut stationierten Kader der Distriktverwaltung von Serthar warnen immer wieder über Lautsprecher, daß die Gemeinschaft die offiziell festgesetzte Obergrenze von 1.400 nicht übersteigen dürfe und daß keine neuen Behausungen gebaut werden dürften.

Am 25. Dezember 2002 gab es auf dem Gelände des zerstörten Instituts wegen Aufbauarbeiten einen Streit zwischen der örtlichen Polizei und den Mönchen und Nonnen von Serthar. Ein Polizist soll dabei durch einen Stein verletzt worden sein, woraufhin einige Schüsse abgegeben worden seien. Ob es dabei zu Verletzungen kam, ist immer noch unklar.

Das TCHRD ist tief besorgt über die fortgesetzte Freiheitsberaubung des 13-jährigen Gedhun Choekyi Nyima(400), der elften Wiedergeburt des Panchen Lama von Tibet. Seit Mai 1995 werden Gedhun Choekyi Nyima und seine Eltern an unbekanntem Ort festgehalten, und über ihr Wohlbefinden herrscht Ungewißheit. Keinem Vertreter einer ausländischen Regierung, noch den zuständigen Organisationen, noch irgendwelchen unabhängigen Beobachtern wurde bisher erlaubt, den jungen Gefangenen und seine Familie aufzusuchen.

Im März 2002 traf eine Regierungsdelegation der TAR mit Vertretern des Europa-Parlaments zusammen und erklärte, Gedhun Choekyi Nyima wünsche nicht gestört zu werden. Die TAR Delegation weigerte sich, Fragen hinsichtlich der Photos zu beantworten, die im August 2001 einer polnischen Delegation versprochen worden waren, die zu Besuch in Lhasa war. Am 10. Oktober 2002 verabschiedete das Repräsentantenhaus der USA die "House Resolution No. 410", in der die Freilassung des jungen, 1995 von den Chinesen verschleppten Panchen Lama gefordert wird(401).

Inzwischen wird der von den Chinesen erkorene Panchen Lama ausgebildet, um die äußerst wichtige Position als Panchen Lama im Kloster Tashi Lhunpo in Shigatse, TAR, anzutreten. China benutzt seinen Panchen Lama als Medienstar, um zu demonstrieren, daß die Religionsfreiheit in Tibet gewährleistet ist und eingehalten wird. Bei einer religiösen Zeremonie im März 2002 in Peking mahnte der chinesische Panchen Lama alle Buddhisten, "die Interessen des Mutterlandes, der Region und des Volkes zu wahren und die Gesetze zu beachten"(402).

Die Reinkarnation steht im Mittelpunkt der buddhistischen Lehre vom Leben nach dem Tode. Es ist paradox, daß eine atheistische Regierung wie die Chinas in so wichtige buddhistische Traditionen wie die Auffindung einer Reinkarnation eingreift. Noch merkwürdiger ist es dann auch, wie sehr sich die chinesischen Behörden um die "Sicherheit" von jemandem wie Gedhun Choekyi Nyima bemühen, den sie "nur für einen gewöhnlichen Jungen" halten.

Chadrel Rinpoche, der 63jährige frühere Abt des Klosters Tashi Lhunpo und Leiter der Suchkommission zur Identifizierung eines Nachfolgers des 10. Panchen Lama, wurde selbst nachdem seine Entlassung aus dem Gefängnis für 2001 angekündigt wurde, nicht mehr in der Öffentlichkeit gesehen. Trotz der offiziellen Bestätigung seiner Entlassung nach Vollendung seiner 6-jährigen Haftstrafe(403) herrscht immer noch Unklarheit über seinen Verbleib. Man nimmt an, daß er unter Hausarrest steht.

Mit Pekings Einverständnis hatte Chadrel Rinpoche in privatem Briefwechsel mit dem Dalai Lama gestanden, um den 11. Panchen Lama ausfindig zu machen. Im Mai 1996 - ein Jahr, nachdem der Dalai Lama seine Wahl verkündet hatte - wurde Chadrel Rinpoche all seiner Ämter enthoben, weil er "gegen die Grundprinzipien des Staates verstoßen hatte und die politische Funktion eines Patrioten nicht mehr erfüllte". Am 24. Mai desselben Jahres verkündete Radio Lhasa, daß durch "diesen Akt alle üblen Elemente aus der CPPCC (Chinese People's Political Consultative Conference) ausgemerzt worden seien und sie nun ganz sauber sei".

Präsident Jiang Zemin erklärte in seiner Ansprache an die Arbeitskonferenz über Religion von 1990: "Einige ältere und angesehene Persönlichkeiten des religiösen Sektors verfügen über einen gewissen Einfluß auf die Massen der Gläubigen, weshalb es sehr wichtig ist, daß wir bei der Arbeit mit ihnen alles richtig machen"(404). Als der politischen Führung in Peking klar wurde, daß es keinen Wert hat, die geistlichen Würdenträger Tibets dafür begeistern zu wollen, für die Sicherung der "nationalen Stabilität" und "staatlichen Sicherheit" zu wirken, begann sie statt dessen, sie zu verfolgen.

III.2.5

Schlussfolgerungen

Die Logik, mit der sich der Staat in China legitimiert, läßt leider die übliche religiöse Praxis und den Glauben als Bedrohung des Staates erscheinen, da sie eine höhere Wahrheit verkünden. Wenn die Chinesen sich kein neueres Repertoire zur Legitimation ihrer Ansprüche zulegen - eines, das nicht auf dem offiziell anerkannten Wissen um letzte ethische Wahrheiten beruht - müssen wir damit rechnen, daß der allgemeine Volksglaube und die Ausübung der Religion weiterhin als eine potentielle und manchmal auch aktiv gegen den Bestand des Staates gerichtete Gefahr für Stabilität und Ordnung empfunden werden(405).

Heutzutage dienen die Klöster nur als Vorzeigeobjekte und als Beweis für den Anspruch der PRC, sie gewähre in Tibet Religionsfreiheit. Aber eine tiefere Analyse zeigt, daß die spirituelle Praxis durch die staatlichen Regelungen zu kurz kommt. Die religiöse Repression in Tibet wird "gewissenhaft als eine Politik zur Erzielung politischer Zwecke gehandhabt". Über 50 Jahre lang sieht nun Peking in der Treue der Tibeter zu ihrer Religion und ihren geistlichen Lehrern das Haupthindernis für sein Ziel: der Integrierung Tibets in China.

Die größten Anstrengungen der Chinesen, Herz und Gemüt der Tibeter zu gewinnen, trafen jahrzehntelang auf nichts als hartnäckigen Widerstand und Trotz. In der offiziellen Phraseologie gilt die Religion weiterhin als ein Hindernis zum Aufbau einer "progressiven" Nation, weshalb die Regierung in Peking auch immer wieder ermahnt wird, dies nicht zu vergessen. Chinas Strategien zur Ausrottung des tibetischen Buddhismus reichten von der faktischen Auslöschung der religiösen Einrichtungen Tibets zwischen 1949 und 1979 bis zu der jetzt betriebenen Kampagne zur "patriotischen Erziehung" und dem Kreuzzug zur Verunglimpfung des Dalai Lama. Die Religion bleibt der Feind Nummer eins.

Fußnoten

Fussnoten

1) Ian Brownlic, Principles of the Public International Law, Oxford University Press, 1998

2) Information Office of the State Council, Beijing, Progress in China's Human Rights Cause 2000

3) Antonio Cassese, International Law, Oxford University Press, 2001

4) Erklärung bei dem Vorbereitungstreffen zu der UN Konferenz über menschliche Ansiedelung (Habitat II)von 1996 in Istanbu, zitiert in International Commission of Jurists (ICT), Tibet: Huamn Rights and the Rule of Law, Dec. 1997, p. 221

5) Eine umfassende Analyse der Art und Weise, in der in Tibet gegen die Prinzipien der nachhaltigen Entwicklung verstoßen wurde, findet sich in dem Shadow Report to the WSSD des Department of Information and International Relations (DIIR) der tibetischen Exilregierung, Dharamsala, 2002.

6) Habitat International Coalition (HIC) ist "eine unabhängige, internationale, nicht nach Gewinn strebende Bewegung von etwa 400 Organisationen und Einzelpersonen, die im Bereich des menschlichen Siedlungswesen arbeiten", siehe deren Website www.hic-mena.org/main.htm

7) Habitat Interantional Coalition – Housing and Land Rights Network "The HIC Report of a Fact Finding on the Resettlement Proces in Delhi", 2002, www.hic-mena.org

8) Bericht der UN Konferenz für Umwelt und Entwicklung, Rio de Janeiro, 3-14 Juni 1992 (Agenda 21), Abs. 7.30f.

9) Agenda 21, Abs. 7.9b.

10) Bericht der zweiten UN Konferenz über Menschliche Ansiedelungen, Istanbul, 3. – 14. Juni 1996 (Habitat Agenda), Abs. 75.

11) Habitat Agenda, Abs. 40 m.

12) Housing International Coalition – Housing and Land Rights Network (HIC-HLRN), The HIC Report of a Fact Finding on the Resettlement Process in Delhi, 2002, www.hic-mena.org.

13) Die Definition von "usufruct" (Nießbrauch) ist Black's Law Dictionary zufolge: "Das Recht das Eigentum eines anderen für eine gewisse Zeit zu nutzen ohne es zu schädigen oder zu mindern, obwohl das Eigentum natürlich im Laufe der Zeit eine Wertminderung erleiden mag".

14) Wang Jingxin, "China's Rural Reform - the "Rights" Direction", p. 14.

15) Xinhua 1 Jan 1999, zitiert in Sally Sargeson, "Building the family future: Attitudes toward the consumption and control of housing in rural China", Studie vorgelegt bei der Konferenz "Managing Housing and Social Change", City University of Hong Kong, April 2001.

16) United Nations Summary of Sustainable Development Issues in China, "Land Management"

17) Donald C. Clarke, "Incentives and the Bottom-Up Approach to Land Use Regulation in China", Working Paper , 31 Jan. 2000, www.daculty.washington.edu/dclarke

18) Siehe TCHRD, Annual Report 2001: The Human Rights Situation in Tibet, India 2002, www.tchrd.org/pubs/2001; Human Rights in China, "Rural grassroots organisations", China Rights Forum, Summer/Fall 2000, http://iso.hrichina.org.

19) Clarke, "Incentives and the Bottom-Up Approach to land Use Regulation in China".

20) World Bank, Land Policy and Administration: Lessons learned and new challenges, Preliminary Draft, 2002, "Box 2.2 China: The importance of tenure security and the scope for long-term lease rights", p. 20.

21) Donald C. Clarke, "Incentives and the Bottom-Up Approach to Land Use Regulation in China", p. 2.

22) Gesendet von Voice of Tibet am 28. Juni 2002, vom TCHRD vom Tibetischen ins Englische übersetzt.

23) United Nations Comprehensive Human Rights Guidelines on Development-Based Displacement, UN Doc. E/CN.4/Sub.2/1997/7.

24) UN Doc.E/CN.4/Sub.2/1997/7, Annex.

25) Tibet Heritage Fund, "The Old City of Lhasa: Report from a Conservation Projekct (1998-99).

26) TCHRD Interview 01/5/435, 25. Oct. 2001.

27) TCHRD, Human Rights Update, February 2002.

28) DIIR, TGIE, Tibet under Communist China: 50 years, India, 2001, pp. 53-54; DIIR, Tibet 2000: Environment and Development Issues, p. 52.

29) Testimony of travellers to TCHRD, 5 May 2002.

39) TIN, "Personal view: Tibetan perspectives on Lhasa today", 27. Dec 2000, www.tibetinfo.net/news-updates.

31) Ibid.

32) Siehe die in World Bank, China: Air, Land and Water, zitierten Hinweise.

33) "China puts infrastructure first in western push", The Times of India, 2 Aug 2001

34) TCHRD Interview 5/428, 18 Sept 2001

35) L.Zhou, R. Sun, L. Gao, Y. Zhang, G. Veek, Studies on the Relationship between Development Patterns and Ecological Changes in Impoverished Mountain Areas of China.

36) § 9, The Committee on Economic, Social and Cultural Rights, General Comment No. 4 "The Richt to Adquate Housing", 1999

37) Siehe TCHRD, "Racial Discrimination in Tibet", pp. 10-22.

38) Ibid. pp. 17-22.

39) Human Rights in China, "Not Welcome at the Party: Behind the Clean-up of China's Cities", Report on Administrative Detention under Custody an Repatriation, 1999, www.hrichina.org.

40) Testimony of traveller to TCHRD, July 2001.

41) Habitat International Coalition, "Eine Analyse der Lage hinsichtlich des Rechtes auf angemessene Unterkunft in Tibet".

42) TCHRD, Human Rights Update, Juni 2001, "Sechs Jahre Gefängnis wegen eines Dalai Lama Videos".

43) State Council of the PRC, "Implementation Opinions Concerning Policies and Measures Pertaining to the Development of the Western Region".

44) 2000 verkündete die Pekinger Regierung zum Beispiel eine Politik der aktiven Entwicklung besonders kleiner und mittelgroßer Städte, was landwirtschaftlichen Migranten erlaubt, sogar nach dem Erwerb eines städtischen hukous ihre Äcker in ihrer Heimatgegend beizubehalten. Human Rights in China, "Implementation of the ICERD in den PRC", S. 2-3.

45) Versuche zur Reform des Wohnungswesen wurden in den entwickelten Gegenden Südchinas wie Shenzhen und Guangzhou unternommen. Eine in diesen boomenden Städten 10 Jahre nach Beginn der Reformen unternommene Untersuchung zeigte eine wachsende Kluft zwischen Reich und Arm. Kwok-yu Lau, "Housing Inequality and Segregation: An Exploratory Study on Housing Privatisation in Shenzhen City of the PRC", Public and Social Administration Working Paper 1997/7, City University of Hong Kong, Oct 1997.

46) UNDocE/C.12/2001/10 Abs. 57 bis 61, zitiert von Mr Miloon Kothari, dem Special Rapporteur on Adequate Housing, bei der Welt Konferenz gegen Rassismus 2001.

47) Hou Li, "The Nature, Extent and Eradication of Homelessness in China", p. 6.

48) Zax, "Housing reform in Urban China", p. 7.

49) Tibet Heritage Fund, "The old City of Lhasa: Report from a Conservation Project (98-99).

50) LAL, Art. 11-12.

51) Zax, "Housing Reform in Urban China", p. 33.

52) TCHRD Housing Interview 2/006, June 2002.

53) Siehe die von TIN angeführte Statistiken, www.tibetinfo.net/tibet-file/stats.htm.

54) Tibet Heritage Fund, www.asiansart.com/lhasa_resoration.

55) Leckie, Destruction by Design, S. 87.

56) Offiziell wird die Bevölkerung Lhasas auf 230.000 veranschlagt: TIN, "Dramatische Veränderung Lhasas geplant, neue Eisenbahnstation angekündigt", 13. Juni 2001. Viele Experten nehmen jedoch eine weit höhere Einwohnerzahl an, 1998 schätzten Knud Larsen und Amund Sinding-Larsen sie auf 382.000: The Lhasa Atlas, Serindia Publications, 2001, zitiert in "Lost Lhasa " Asiaweek, 16 Nov 2001. 1999 nannte der Tibet Heritage Fund in seinem "1999 Annual Report" eine Zahl von 400.000.

57) China Daily, 28 March 2001.

58) Informationsbüro des Staatsrates der PRC, New Progress in Human Rights in the Tibet Autonomous Region, p. 11.

59) Ronald D. Schwartz, Circle of Protest: Political Ritual in the Tibetan Uprising, Hurst and Co., London, 1994, p. 30.

60) Tibet Information Network, "Weiterer Abriß historischer Gebäude in Lhasa", TIN News Update 29 April 2002, ICT, "Chinese Authorities Demolish Traditional Tibetan Houses in Lhasa", 29 April 2002, AFP Beijing "Chinese authorities raze homes in historic centre of Lhasa", 3 May 2002.

61) Zax, "Housing reform in Urban China", p. 23.

62) Agenda 21, Paragraph 7.20b. Die 1992 auf dem Rio Earth Summit formulierte Agenda 21 legt den einzelnen Staaten nahe, angemessene Formen des Grundbesitzes zu schaffen, der für alle Nutzer des Grund und Bodens, besonders für Einheimische, Frauen und örtliche Gemeinden eine Garantie für ihren Besitz gibt. Es heißt dort weiter, daß Menschen vor ungerechter Vertreibung von ihrem Grund und Boden gesetzlich geschützt sein müssen.

63) Tibet Heritage Fund, "The old City of Lhasa: report from a Conservation Project (98-99)".

64) Leckie, Destruction by Design, pp. 101-108.

65) Tibet Heritage Fund, "The old City of Lhasa: Report from a Conservation Project (98-99).

66) Ibid.

67) Der Potala Palast wurde bei der 18. Sitzung der Welterbe-Kommission 1994 in die Liste des Weltkulturerbes aufgenommen. Und der Jokhang Tempel und der Norbulingka wurden 2001 während der 25. Sitzung hinzugefügt.

68) "China invests heavily in protecting Tibet's relics", Xinhuanet, 23 July 2002.

69) Empfehlungen bei der 18. Sitzung des Welterbe-Komitees, 1994 (Der Chakpori Hügel ist der alte Standort des Tibetan Medical and Astrological Institute, das während der Kulturrevolution zerstört wurde).

70) Empfehlungen bei der 25. Sitzung des Welterbe-Komitees, 2001.

71) Art. 1 des ICESR.

72) United Nations Development Programme, China Human Development Report 2002.

73) Nyima Tashi, Liu Yanhua und Tej Partap, Making Tibet food secure: Assessment of Scenarios, International Centre for Integrated Mountain Development (ICIMOD) Kathmandu, Nepal, July 2002.

74) "Farming diversifies in Tibet", Xinhuanet, 121 Nov 2002.

75) Information Office of the State Council, Beijing, New Progress in Human Rights in the Tibet Autonomous Region, 1998, www.xinhuanet.com.

76) TCHRD Interview, 26. Juli 2002.

77) TCHRD Interview, 12. April 2002.

78) World Bank, China: Air, Land and Water, Washington, DC, 2001, p.24.

79) "Spatial inequality on the Tibetan Plateau", Forschungsmanuskript von Gabriel Lafitte zur Vorlage bei der Konferenz über Räumliche Ungleichheit in Asien, United Nations University, Tokio, März 203, S. 22.

80) TCHRD, Interview, 4 Nov. 2002.

81) "Chinesische Landpolitik ist dem Leben der Nomaden abträglich", Human Rights Update, Juni 2002.

82) TCHRD Interview, 18. März 2002.

83) "Führender tibetischer Wohltäter der Gesellschaft festgenommen", Human Rights Update, April 2002.

84) Mehr zu Tulku Tenzin Delek im Kapitel über Bürgerliche Freiheiten und Religionsfreiheit in diesem Bericht.

85) D.M.Williams, "Grassland Enclosures: Catalyst of Land Degradation in Inner Mongolia", Human Organisation, 55, 1996, pp. 307-313, zitiert in: Camille Richard, Rangeland Policies in the Eastern Tibetan Plateau: Impacts of China's Grassland law on pastoralism and the landscape.

86) Camille Richard, "Rangeland politicies in the Eastern Tibetan plateau: Impacts of China's grassland law on pastoralism and the landscape".

87) World Bank, Land Policy and Administration: Lessons Learned and New Challenges, Preliminary Draft, 2002.

88) Guo Jinlong: "Greatly improving Tibetan People's living standards", China Today, March 2002.

89) UNDP, China Development Report 2002.

90) Andrew Fischer, Poverty by Design: The Economics of Discrimination in Tibet, Canada Tibet Committee, Montreal, 2002.

91) TCHRD Interview, 14 Nov. 2002.

92) TCHRD Interview, 14 Nov. 2002.

93) "Amnesty Int'l Charges Abuse of Power in China", Leta Hong Fincher, Beijing, 6 Aug 2002, www.voanews.com.

94) TCHRD Interview 366/2002, 17. März 2002.

95) Siehe Kapitel über Land- und Wohnungsrechte.

96) Xinhua, 26 July 1994.

97) "CPC's attention to Tibet vital to development", Xinhuanet, 10 Nov 2002.

98) Geoffery York, "Influx of money fails to help Tibet's poor, China's investment in western regions benefiting insiders rather than economies", Globe and Mail, 15 Oct 2002.

99) US Department of State: The United States and China, "Economic Development and protection of cultural heritage".

100) TCHRD Interview 4/394, 25. Mai 2002.

101) Mining Tibet: Mineral Exploitation in Tibetan areas of PRC, TIN, London, Nov. 2002.

102) Antonio Cassese, International Law, Oxford University Press, 2001.

103) "Tibet's Tourism Industry Aims High", Xinhuanet, Official Chinese News Agency, 5 Dec 2002.

104) South China Morning Post, 15 Aug. 2002.

105) TCHRD Interview 364/2002, 22. Feb 2002.

106) "China striving to boost tourism training for Tibet" People's Daily Online, 23 Nov 2002.

107) US Department of State-iip: The United States and China, "Economic Development and Protection of Cultural Heritage".

108) International Commission of Jurists, Tibet: Human Rights and the Rule of Law, Dec. 1997.

109) Tibet: Human Rights and the Rule of law, pp. 107.

110) "Tibetans to become minority in Lhasa", China Agencies/Lhasa, The Pioneer, 9 Aug 2002.

111) South China Morning Post, 8 Aug 2002.

112) "What China's Tibetan Glasnost means", Vijay Kranti, The Organiser, New Delhi, 15 Sept 2002.

113) Geoffery York, Influx of money fails to help Tibet's poor, China's investment in western regions benefiting insiders rather than economics", The Toronto Globe and Mail, 15 Oct 2002.

114) "Facing Chinese facts: South Asia continues to appease the People's Republic, to it own detriment" Matthew Akester, Himal, September 2002.

115) "Tibetans struggle with Chinese changes", Adam Brookes, Peking Korrespondent des BBC, 6. Dez. 2002.

116) International Convention on Elimination of Racial Discrimination.

117) US Department of State-ipp: The United States and China, "Economic Development and Protection of Cultural Heritage".

118) TCHRD Interview 5/536, 22 Oct 2001.

119) Manfred Nowak, The Right to Education in Economic, Social and Cultural Rights, Asbjorn Eide, Caterina Krause, Allan Rosas (eds.), Martinus Nyhoff Publishers 1995, p. 202.

120) China unterzeichnete die CRC am 29. August 1990 und ratifizierte diese Konvention am 2. März 1992.

121) Art. 29 1 c der CRC.

122) Der Begriff "Minorität" ist sehr umstritten. China stuft die Tibeter als eine der 55 ethnischen Minderheiten der PRC ein, obwohl die Tibeter sich selbst als ein eigenständiges Volk mit einem eigenen Territorium sehen, das seit 1949 von China besetzt ist und in das Schema der ethnischen Minderheiten gepreßt wurde. Im folgenden wird der Begriff im Lichte des derzeitigen politischen Status Tibets verwendet.

123) Informationsbüro des Staatsrates der PRC, National Minorities Policy and its Practice in China, Beijing, Sept. 1999.

124) Der Index für den Bildungsfortschritt in Tibet ist 0.4181, und der Quotient der des Lesens und Schreibens kundigen Erwachsenen beträgt 0.3382 und die Einschreibungsrate für den Schulbesuch ist 0.5779. Der Index für den Bildungsfortschritt wird errechnet, indem man den Index der des Lesens und Schreibens kundigen Erwachsenen und den Index für die allgemeine Einschreibung verbindet, wobei dem ersteren zwei Drittel und dem letzteren ein Drittel zugemessen werden.

125) "International Group calls for Cooperation with Tibet", Xinhuanet, 26. Juni 2002.

126) International Work Group for Indigenous Affairs (IWGIA), The Indigenous World 2001-2002, p. 237.

127) aut dem Tibetan Reception Centre, Dharamsala, entkamen vom 2. Januar 2002 bis zum 10. Januar 2003 insgesamt 1.379 Flüchtlinge aus Tibet nach Indien.

128) Claude Arpi, "The Phantoms of Chittagong", The Rediff Special, 9 Jan 2003.

129) Human Rights in China, "Education for Ethnic Minorities", China Rights Forum, Summer 2001.

130) China unterzeichnete die CERD 1966 und ratifizierte sie 1981.

131) "Schule aufgefordert, den Dalai Lama zu schmähen", Human Rights Update, Mai 2002.

132) Ibid.

133) Siehe auch Kapitel über Religionsfreiheit: Institutionalisierung der Kontrolle der Religion.

134) Weitere Einzelheiten im Kapitel über Freiheit der Religion.

135) "China's top universities to enrol Tibetan post graduates", People's Daily, 8/11/02.

136) "Inland schools help educate Tibetan youths", Xinhuanet, 21 October 2002.

137) "International Committee of Lawyers for Tibet" (ICLT), A Generation in Peril, 2001. ICLT wurde inzwischen in "Tibet Justice Centre" (TJC) umbenannt, deutsch: http://www.igfm-muenchen.de/tibet/tjc/Kinderreport.html.

138) China Rights Forum, The Journal of Human Rights in China, "Education for Ethnic Minorities", summer 2001.

139) "Reisebericht über Erlebnisse in Tibet" Human Rights Update, July 2002, http://www.igfm-muenchen.de/tibet/hru/2002/hru-2002-07.html.

140) Einzelheiten siehe: "Chinesische Behörden schließen tibetische Privatschule", Human Rights Update, Aug. 2002, und "Neues zur Schließung der Tsangsul Schule", Human Rights Update, October 2002.

141) Informationsbüro des Staatsrates der PRC, The Development of Tibetan Culture, 2000.

142) John Billington, Tibet, Zed Books; London, 1995.

143) "Kulturelle Entwicklungsgesellschaft geschlossen", Human Rights Update, Juni 2002.

144) Catriona Bass, Education in Tibet: Policy and Practice since 1950", TIN 1998, p. 5.

145) Geoffrey York, "Tibet's native tongue takes a lashing", Wednesday. The Globe and Mail, September 25, 2002.

146) "Law guards Tibetan Language", Xinhuanet, 24 May 2002.

147) Geoffrey York, "Tibet's native tongue takes a lashing", Wednesday. The Globe and Mail, September 25, 2002.

148) Ibid.

149) "Reisebericht über Erlebnisse in Tibet" Human Rights Update, Juli 2002.

150) "Chinesisches Monopol in Schulen und im Geschäftsleben", Human Rights Update, TCHRD, Juli 2002.

151) www.tchrd.org/hrupdate/2002/200207.html.

152) Art. 30 der Konvention über die Rechte des Kindes (CRC).

153) International Committee of Lawyers, A Generation in Peril, 2001, www.igfm-muenchen.de/tibet/tjc/Kinderreport.pdf.

154) China Rights Forum, The Journal of Human Rights in China, "Education for Ethnic minority", summer 2001.

155) Ibid.

156) The Chronicle of higher education, "China struggles with how best to educate its minority students", 26 July 2002.

157) Ibid.

158) Informationsbüro des Staatsrates der PRC: "Neuer Fortschritt in Menschenrechten in der TAR", Feb. 1998.

159) Human Rights Update, TCHRD, Feb. 2002.

160) Catriona Bass, Education in Tibet: Policy and Practice since 1950, p. 180.

161) LT, A Generation in Peril, 2001.

162) TCHRD Interview 370, 13 May 2002.

163) Human Rights Update, TCHRD, Dec. 2001.

164) Das "Public Security Bureau" ist berechtigt, Wohnungs-Registrierungszertifikate auszugeben.

165) TCHRD Interview 383/2002.

166) Preamble, Constitution of the WHO, Virginia A. Leary, The right to health in international Human Rights Law, Health and Human Rights, Vol, 1 No. 1,25.

167) Universal Declaration of Human Rights, Art. 25.

168) Art. 5,e,iv CERD.

169) Convention on the Rights of the Child, Art. 24.

170) Art. 12(1) Konvention über die Beseitigung aller Formen der Diskriminierung von Frauen.

171) Art. 21, Verfassung der PRC.

172) Elisabeth Rosenthal, "China raises estimates of HIV/AIDS cases to one million", The New York Times, 6 Sept. 2002.

173) China unterschrieb die CEDAW am 17. Juli 1980 und ratifizierte sie im selben Jahr am 4. November.

174) "Tibetischer Gewissensgefangener stirbt in einer Haftanstalt", Human Rights Update, Nov 2002.

175) Ibid.

176) Amnesty International Report 2002, S. 75.

177) "Ein Folteropfer entkommt nach fünf Jahren Gefängnis ins Exil", Human Rights Update, Dez. 2002.

178) "Mindestgrundsätze für die Behandlung der Gefangenen", verabschiedet vom Ersten Kongreß der Vereinten Nationen für Verbrechensverhütung und die Behandlung Straffälliger, Genf 1955, und gebilligt vom Wirtschafts- und Sozialrat mit seinen Resolutionen 663 C (XXIV) vom 31. Juli 1957 und 2076 (LXII) vom 13. Mai 1977.

179) "Endlich Freiheit für Tibets Längstzeitgefangenen", Human Rights Update, April 2002.

180) Ibid.

181) "Delivery and Deficiency: Health and Health care in Tibet", TIN Publication, Nov. 2002, p. 65.

182) TCHRD Interview, 24. Dez. 2002.

183) "Delivery and Deficiency: Health and Health care in Tibet", TIN Publications Nov. 2002, p. 65.

184) HIV/AIDS: China's titanic Peril. 2001 Update of the AIDS situation and needs Assessment Report, www.youandaids.org/AsiaPacific/China/index.asp.

185) "Nachruf auf einen ehemaligen politischen Gefangenen", Human Rights Update, Mai 2002.

186) "No accidental death in Tibet's prisons" Xinhuanet, 30 May 2002.

187) "Neuer Straftrakt im Drapchi Gefängnis", TIN News Update, 16 Aug 2002.

188) Ibid.

189) "First prison hospital built in Tibet", Xinhuanet, 27 May 2002.

190) "China defends treatment of Tibetan prisoners: response to ICT letter-writing campaign", ICT, 31 May 2002.

191) "Hinter Gittern: Gefängnisbedingungen in Tibet", TCHRD-Broschüre 2002, S. 74, www.igfm-muenchen.de/tibet/Reports/Hinter%20Gittern.html.

192) Ibid.

193) TCHRD Interview, 26. Nov 2002.

194) Press briefing by Special Rapporteur on Right to food.

195) Bei der 56. Sitzung beschloß die UN Menschenrechtskommission mit ihrer Resolution 200/10, auf drei Jahre einen Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung zu ernennen. Am 4. Sept. 2000 berief der Vorsitzender der Kommission Jean Ziegler zu diesem Amt.

196) "Die Bedeutung des Rechtes auf Nahrung geht über die Nahrungssicherheit hinaus", aus einer Rede Jean Zieglers bei dem Welt-Nahrungs-Gipfel: Fünf Jahre später, 13. Juni 2002.

197) Hinter Gittern: Gefängnisbedingungen in Tibet, TCHRD 2000, www.igfm-muenchen.de/tibet/Reports/Hinter%20Gittern.html.

198) TCHRD Interview 20. Nov. 2002.

199) CEDAW, Art. 12.

200) Im September 1995 wurde in Peking eine Frauenkonferenz abgehalten, die unter dem Motto "Handeln für Gleichheit, Entwicklung und Frieden" stand. Diese "Plattform für Handeln" bekannte sich zu dem in der Wiener Deklaration und dem Aktionsprogramm dargelegten und von der Weltkonferenz zu Menschenrechten angenommen Grundsatz, daß die Menschenrechte von Frauen und Mädchen ein unveräußerlicher, integraler und unteilbarer Bestandteil der allgemeinen Menschenrechte sind.

201) Rebecca Wallace, International Human Rights, Text and Materials, 1997, Beijing Declaration-Platform for Action, Strategic Objective C/89.

202) Ibid, Beijing Declaration-Platform for action, Strategic Objective C/92.

203) Ibid. Beijing Declaration-Platform for action, Strategic Objective C/96.

204) China unterzeichnete die CEDAW am 17. Juli 1980 und ratifizierte sie am 4. November 1980.

205) TCHRD Interview, 28. August 2002.

206) Chinas Bericht an die CEDAW, 1998.

207) TCHRD Interview, 4. November 2002.

208) "Women's rights violation in Tibet", TCHRD Nov 2000.

209) "China läßt Ngawang Sangdrol frei" Human Right Update, TCHRD, Oct. 2002.

210) "Dangerous Minds: Political psychiatry in China today and its origins in the Mao Era", Human Rights Watch and Geneva Initiative on Psychiatry, August 2002, www.hrw.org/reports/2002/China02.

211) Steven D. Marshall, Rukhag 3: The Nuns of Drapchi Prison, TIN, Sept 2000.

212) Adam Brookes, "China's rural Aids victims", BBC News, Beijing, 26 Nov. 2002.

213) Claude Arpi, "The looming crises in Tibet and China", The Rediff Special, 23 Dec 2002. Chinas prominentester Anwalt für AIDS Patienten, Dr. Wan Yanhai, wurde am 20. Sept. 2002 nach beinahe einem Monat Festhaltung durch den chinesischen Staatssicherheitsapparat unerwartet freigelassen. Die Entlassung erfolgte nach internationaler Empörung über seine Verhaftung, wobei sehr viele Proteststimmen laut wurden, darunter seitens des US State Department, der UNO und seitens Act Up, einer Protestgruppe, die sich mit AIDS-relevanten Themen befaßt, www.nytimes.com.

214) "China admits AIDS rising sharply" at www.cnn.com/2002/WORLD/asiapcf/east/04/11/china.aids.

215) Ibid.

216) Ibid.

217) "Official tally too low" at www.cnn.com/2002/WORLD/asiapcf/east/04/11china.aids.

218) "China admits AIDS rising sharply", at www.cnn.com/2002/WORLD/asiapcf/east/04/11/china.aids.

219) Ibid.

220) TCHRD Interview, 4. Nov. 2002.

221) Spencer Seidman, "HIV/AIDS in China and its implications for Tibetans and other minorities", 2001 at http://itsa.ucaf.edu/'seidman/HIVC2.html.

222) Ibid.

223) Ende 1994 gab es in einem kleinen Bezirk Zentralchinas namens Henan, Shanghai County, einen begrenzten Ausbruch von HIV bei Personen, die ihr Blut gegen Bezahlung gespendet hatten. Arme Bauern verkauften ihr Blut um 5$ pro Flasche. Bei einigen lokalen staatlichen Blutbanken wurde oft gleichzeitig mehreren Leuten Blut abgenommen und in einem Behälter zusammengemischt, von wo das Plasma entfernt wurde. Das übrige Blut wurde den Spendern zurückgegeben und dabei mit dem Blut anderer gemischt, das häufig vom HIV Virus verseucht war. www.avert.org/aidschina.htm und www.nytimes.06CND-CHIn.html.

224) "Deputy urges more action against AIDS", www.china.orgcn/english/2002/Mar/29444.htm.

225) "China AIDS, A titanic Peril", CNN.com, 28 June 2002.

226) Steve Sternberg, "China in the dark about deadly truth of AIDS", USA today, 7 Sept. 2002.

227) Ibid.

228) TCHRD Interview, 31 Aug 2001.

229) Art. 12/2d.

230) TCHRD Interview, 24 Dec 2002.

231) TCHRD Interview, 17 Mar 2002.

232) TCHRD Interview, 24 Dec 2002.

233) Art. 1 der Konvention zur Beseitigung aller Formen von Rassendiskriminierung.

234) TCHRD Interview, 18 Oct 2002.

235) "Reisebericht über Erlebnisse in Tibet" Human Right Update, July 2002.

236) "Health Care", Speaking for Tibet at the World Summit on Sustainable Development: A Shadow Report available from dev@giv.tibetnet and www.tibet.net.

237) "China National Development and Sub-National Finance" report at http://www.worldbank.org.cn/English/Content/fiscal .pdf.

238) Geoffrey York, "Influx of money fails to help Tibet's poor", 15 Oct 2002.

239) "Health Care". Speaking for Tibet at the World Summit on Sustainable Development: As Shadow Report available from dev@gov.tibet.net, www.tibet.net.

240) Ibid.

241) UNDP Human Development Report 2002.

242) UNDP Human Development Report 2001.

243) "Alarming facts about the Health and Nutrition of Children in Tibet", New England Journal of Medicine, 1 Feb 2001.

244) Rede vom 29. Mai 2002 vor dem 3. Nationalen Arbeitsforum für Gesundheitshilfe für Tibet.

245) Der Tod von Säuglingen unter 1 Jahr.

246) Graphik über vergleichende Säuglingssterblichkeitsraten weltweit, siehe: www.bartleby.com/151/a28html.

247) Jasper Becker, The Chinese, John Murray 2000. Der Forscher Giovanni Merli, der diese Daten in der Stadt Zibo, Provinz Shangdong, auf ihre Zuverlässigkeit untersuchte, schrieb: "Bei der qualitativen Auswertung der chinesischen demographischen Daten sind sich sowohl westliche als auch chinesische Gelehrte darin einig, daß das chinesische System der Erfassung der Geburten und Kindersterblichkeit unter einem Mangel objektiver Berichterstattung leidet, und daß das ganze System der Volkszählungen, Erhebungen und Registrierungen defekt ist, weil die zuständigen Kader Geburten und Säuglingstode nicht melden, wie es sich gebührt", China Quarterly No. 155, Sept. 1998.

248) Das Gesundheitsministerium der PRC, die chinesische Föderation für Behinderte und der Internationale Lions Club starteten 1997 das "Sight First China Action" Projekt.

249) "Sight First China Action" sees results in Tibet: http://english.peopledaily.com.cn200202/05_89960.shtml.

250) "Ärzte ohne Grenzen verlassen Tibet", TIN, 17 Dez. 2002.

251) TAR Year Book 2001, Table 8-7.

252) TAR Year Book 2001, Table 17-4.

253) Human Rights in Asia, Annual Human Rights Report 2000.

254) Konvention über die Vermeidung und Bestrafung des Verbrechens von Völkermord, Art. 2(d).

255) Siehe: Tibet Justice Center, "Women's Commission for Refugee Women and Children" (WCRWC) und TCHRD, "Violence and discrimination against Tibetan women", Dec 1998, p. 10; K. Saunders cited in TCHRD, South East Asia Human Rights: NGO Seminar on Tibet, 1998 Dharamsala, p. 31 und Tibetan Women's Association (TWA), NGO Alternative Report on Tibetan Women, 2000, Dharamsala, p. 14.

256) UN Press Release: Millennium goals cannot be achieved if population, reproductive health issues are not squarely addressed", Secretary-General tells Asian Population Conference, 16 Dec 2002.

257) China's Agenda 21: www.acca21.org.cn/indexe12.html.

258) D.C.Jayasuriya, HIV Law, Ethics and Human Rights.

259) Berlingske Tidende, Copenhagen, die den chinesischen Premier Zhu Rongshi bei einer Pressekonferenz in Dänemark während seines dortigen Besuches vom September 2002 zitiert.

260) Art. 2(2) der UNDRD.

261) Informationsbüro des Staatsrates der PRC, White Paper on Tibet's March Toward Modernisation, Beijing, Nov 2001; alle Weißbücher wurden dem Xinhuanet entnommen und enthalten keine Verweise auf Absätze oder Seiten.

262) Art. 1 "United Nations Declaration on the Right to Development" (1986).

263) Teil 1, Abs. 10, Vienna Declaration on Social Development.

264) Bericht des unabhängigen Experten über das Recht auf Entwicklung an die 55. Sitzung der UN Vollversammlung am 17. August 2000.

265) Ibid.

266) Amartya Sen, Development as Freedom, Oxford University Press, 1999, pp. 150-151.

267) Art. 4 der Verfassung der Volksrepublik China.

268) TIN "Revision des Gesetzes über regionale Autonomie zur schnelleren Entwicklung des Westens", 13. März 2001, www.tibetinfo.org.

269) Xinhua, 28 Feb 2001, also see: Information Office of the State Council, Progress in China's Human Rights Cause 2000, Beijing, April 2001.

270) "Speaking for Tibet: A Shadow Report submitted to the World Conference on Sustainable Development (WSSD) August 2002", abrufbar unter dev@gov.tibetnet und www.tibet.net.

271) TIN, "Ausbildung von chinesischen und tibetischen Kadern zur besseren Kontrolle auf dem Lande", 11. Jan. 2001.

272) Report of the Ad Hoc Committee of the Whole of the 24th special session of the General Assembly, UN Doc. A/S-24/8/Rev.1.

273) TCHRD Interview KTM 5/481, 4 July 2002.

274) "Ausbildung von chinesischen und tibetischen Kadern zur besseren Kontrolle auf dem Lande", TIN, 11 Jan 2001, siehe auch Kapitel über das Recht auf Selbst-Entwicklung.

275) China: National development and sub-national finance: A review of provincial expenditures, May 2002.

276) TCHRD Interview 5/488, 31 July 2002.

277) Speaking for Tibet: A Shadow Report submitted to the World Conference on Sustainable Development (WSSD), August 2002.

278) Information Council of the State Council, White Paper on the Development-oriented Poverty Reduction Program for Rural China, 15 Oct 2001.

279) TIN, "Mammut-Transfer von Ressourcen", 6 April 2001, www.tibetinfo.net/news-updates.

280) Poverty by Design: The Economics of Discrimination in Tibet, Canada-Tibet Committee, August 2002, p. 8.

281) TIN, "Mammut-Transfer von Ressourcen", 6 April 2001.

282) TIN News Update, "Anfangsbericht über das Vierte Arbeitsforum zu Tibet", 27. Juli 2001.

283) Siehe Kapitel über die Beachtung der bürgerlichen Rechte und Freiheiten.

284) Japan Bank for International Cooperation.

285) Ibid.

286) Alma David alma.sft@juno.com, 25 Sept 2002.

287) bid.

288) Lobsang Gyaltsen zitiert in China Daily, 9 März 2001.

289) AFP, 20 Dec 2002.

290) Francesco Sisci, Asia Times "China eyes Silk Road all the way to the US", 18 June 2001.

291) AFP "Die Hälfte der Bevölkerung von Lhasa sind chinesische Immigranten", Lhasa, 7 Aug 2002.

292) Reuters, August 2002.

293) Pioneer, Claude Arpi, 29 August 2002.

294) UNDP, China Human Development Report, 1997 und 1999.

295) Carole Samdup, Human Rights Spring 2002, Canada Tibet Committee.

296) Spatial Inequality on the Tibetan Plateau, Gabriel Lafitte, pp 6,7.

297) Poverty by Design: The Economics of Discrimination in Tibet, Canada Tibet Committee, August 2002.

298) Spatial Inequality on the Tibetan Plateau, Gabriel Lafitte, pp. 6,7.

299) Speaking for Tibet: A Shadow report submitted to the world Conference on Sustainable Development (WSSD) August 2002, www.tibet.net.

300) Bruce Murray, Vertreter der Asiatischen Entwicklungsbank in China, zitiert in The Times of India, "China puts infrastructure first in Western push", 2 Aug 2001.

301) Michael A. Lev, Tribune Foreign Correspondent, Sept. 29 2002.

302) Statistisches Jahrbuch Tibet 2001, China Statistic Press, Beijing 2001, S. 129, 143.

303) TCHRD Interview 1/54.

304) Poverty by Design: The Economics of Discrimination in Tibet, Canada Tibet Committee, August 2002, p. 6.

305) Ibid, p. 7.

306) Speaking for Tibet: A Shadow Report submitted to the World Conference on Sustainable Development (WSSD) August 2002.

307) "Beijings's leader in waiting", The Guardian, 14 November 2002.

308) Philip Pan, "China steps up prisoner diplomacy", The Washington Post, Beijing, 19 October 2002.

309) Julie Chao, "China reaches out to critics", COX News Service, 19 October 2002.

310) "China protestiert gegen ein geplantes Treffen des Dalai Lama mit japanischen Politikern", AFP, Beijing, 11 November 2002.

311) John Gittings, "Protest zu Hause und internationale Besorgnis halten an, doch Peking kontrolliert streng die Religionsfreiheit der Tibeter", The Age, Melbourne, 26. Oktober 2002.

312) Julie Chao, "China reaches out to critics", COX New Service, 19 Oct 2002.

313) "Jiang rejects Western-style politics", The Washington Times, Friday 8 November 2002.

314) Mark O'Neill, "Xinjiang Separatists called top terror threat", South China Morning Post, Beijing, 4 Nov 2002.

315) s.o.

316) Aussagen bei der 58. UN Menschenrechtskommission, März-April 2002.

317) "China acknowledges gaps in respect for human rights, US officials says", AFP Beijing, 20 Dec 2002.

318) UN Commission on Human Rights 58th Session, Item 11 of the provisional agenda "Civil and Political Rights, including the question of freedom of expression", 30 Jan 2002.

319) Aussage von Sheng Yongxian, dem zweiten Vertreter der chinesischen Delegation, über bürgerliche und politische Rechte bei der 58. Sitzung am 11. April 2002.

320) Sharon Behn, "Brutal repression mars human rights picture across much of Asia", AFP, Washington, 3 March 2002.

321) "Rückkehrer aus dem Exil wegen Klebens von Plakaten zu 10 Jahren verurteilt", Human Rights Update, TCHRD, April 2002, S. 2.

322) "Mann politischen Aktivismus wegen zu 15 Jahren verurteilt", Human Rights Update, May 2002, S. 1.

323) "Polizist wegen eines Parolen-Zwischenfalls festgenommen", Human Rights Update, April 2002.

324) "Politischer Zwischenfall bei der "patriotischen Umerziehung", Human Rights Update Nov. 2002.

325) Mehr zu diesem Dokument folgt in dem Kapitel über Freizügigkeit.

326) "Mönch entgeht der Festnahme wegen Vorführung eines Dalai Lama Videos", Human Rights Update, December 2002, p. 6.

327) "Xinhuanet "Call to increase radio, TV coverage in Tibet", Beijing, 1 Feb 2002.

328) Washington File "Chinese Government still jams VOA, RFA Broadcasts", 11 Dec 2002.

329) Washington File, "Chinese Government still jams VOA, RFA broadcasts", 11 December 2002.

330) "You've got dissent", Rand Cooperation, 2002.

331) Jonathan Zittrain and Benjamin Edelman, "Empirical Analysis of Internet Filtering in China", Berkman Centre for Internet and Society, Harvard Law School.

332) s.o.

333) UN Doc E/CN, 4/2002/75, Menschenrechtskommission 58. Sitzungsperiode, Punkt 11 der vorläufigen Tagesordnung. "Bürgerliche und Politische Rechte, einschließlich der Frage nach der freien Meinungsäußerung, 30 Jan 2002, S. 23.

334) UN Doc E/CN4/2002/77/Add.1 para 2 page 5.

335) UN Doc E/CN.4/2002/77 para 39.

336) Weitere Einzelheiten, siehe "Tibetische Privatschule geschlossen, Lehrer verhaftet", Human Rights Update, Jan 2000, und "Ehemaliger Mündel der Gyatso Waisenschule erreicht Indien" Human Rights Update, Juli 2000.

337) "Tashi Tsering stirbt nach Folterung", Human Rights Update, Oct 1999.

338) Art 102-113 des Kriminalkodex der PRC.

339) Interview 340/2001 des TCHRD Archivs.

340) "Fotos des Dalai Lamas verteilt: vier Jahre Gefängnis", Human Rights Update, Sept 2002.

341) http://www.savetibet.org/News.

342) "Wohlhabender Geschäftsmann flieht aus Tibet", Human Rights Update, August 2002, S. 2.

343) Tulku Tenzin Delek ist ein bekannter Lehrer der Religion und Philanthrop aus Lithang, Näheres siehe das Kapitel über das Recht auf Glauben und Religionsausübung.

344) Tulku Tenzin Delek, ein hoch angesehener Lehrmeister aus dem Distrikt Lithang in der TAP Karze, wurde in der Nacht des 7. April 2002 zusammen mit Lobsang Dhondup und drei weiteren Gehilfen in Gewahrsam genommen; acht Monate lang, bis zum Tage der Gerichtsverhandlung wurde er ohne Verbindung zu Außenwelt gehalten.

345) Chinesischer Historiker und Intellektueller.

346) Zhang und Li hatten den chinesischen Dissidenten Wei Jingsheng 1995 verteidigt, Zhang auch noch einen anderen chinesischen Dissidenten Wang Juntao.

347) Chinesisch-sprachige Website Duowei (diverse Perspektiven) am 31. Dez. 2002.

348) Siehe Kapitel über das Recht auf Glauben und Religionsausübung.

349) "Angeblicher Fluchthelfer des Karmapa schikaniert", Human Rights Update, September 2002, S. 5.

350) "Flucht des Karmapa: Sorge um die Sicherheit seiner Eltern und Verwandten"; Human Rights Update, Februar 2000, S. 1.

351) "Der Mentor des Karmapa und zwei seiner Assistenten verhaftet", Human Rights Update August 2002, S. 2.

352) "Drapchi Insassen vereiteln Aufnahme eines chinesischen Propagandafilmes", Human Rights Update März 2002, S. 6.

353) Jeremy Page, "Police detain 5 Tibet monks for songs, flag raising", Reuters, 12 Aug 2002.

354) Republican (USA) Frank Wolf, Senator Bob Brown (Australia), Vijay Kranti (India).

355) AFP, "Released Tibetan prisoner ups pressure on Beijing", 30 July 2002.

356) "Ein Folteropfer entkommt nach fünf Jahren Gefängnis in Exil", Human Rights Update, Dezember 2002, S. 5.

357) "Drei ehemalige politische Gefangene aus Tibet berichten", Human Rights Update, Okt. 2002, S. 2.

358) Einzelheiten siehe: "Kloster Rabgya: Ein Tibeter stirbt im Gefängnis, andere zu langen Haftstrafen verurteilt", Human Rights Update, Nov 2002, und TIN News: "Neue Information über ein laogai in Amdo" vom 18. April 2003.

359) Amnesty International, "Strike hard" Anti-Crime Campaign Intensifies", 24 July 2002.

360) TCHRD Interview 381/2002.

361) "Flucht nach Indien beim vierten Versuch gelungen", Human Rights Update, Mai 2002, S. 4.

362) "Erlebnisse eines Flüchtlings an der Grenze", Human Rights Update, Nov 2002.

363) TIN News Update: "Weniger Flüchtlinge wegen verschärfter Grenzkontrolle durch China und Nepal", 2. Jan. 2002.

364) TCHRD Interview 343/2001.

365) "Rückkehrer aus dem Exil zahlen hohen Preis", Human Rights Update, Mar 2002.

366) TIN News Update, "Pilgerreisen zum Kailash eingeschränkt, besonders für Regierungsbeamte", 6 Aug 2002.

367) Chin. gongzuo dui, tib. las dun rukhag – temporäre Einheiten chinesisch-kommunistischer Parteikader, die speziell ausgebildet werden, um Untersuchungen und politischen Unterricht durchzuführen.

368) "Democratic Management Committees" sind Verwaltungsorgane, die seit 1962 in den Klöstern Tibets eingerichtet wurden, um an Stelle der traditionellen Autorität der religiösen Hierarchie zu treten. Die Rolle der DMCs wird in dem Kapitel "Institutionalisierung der Kontrolle über die Religion" weiter ausgeführt.

369) "China's Tibet" The World's Largest Remaining Colony", Bericht einer Erkundungsmission und Analyse des Kolonialismus und der chinesischen Herrschaft in Tibet, "Unrepresented Nations and People's Organisation" (UNPO) in Zusammenarbeit mit der Tibet Support Group Nederland und International Campaign for Tibet, S. 66.

370) John Gittings, "Cultural Clash in the land on the roof of the world", The Guardian, 8 Feb 2002. Gittings ist einer der wenigen westlichen Journalisten, die in den letzten Jahren Lhasa besuchen durften.

371) "All Living Buddhas have to be patriotic", New York Times, 9 November 1998.

372) Es gibt außerdem noch Artikel, welche die Religionsfreiheit schützen und religiöse Diskriminierung von Gläubigen oder Ungläubigen verbieten, in anderen Gesetzeskodizes der PRC, wie etwa dem Strafgesetz, dem Bürgerlichen Gesetz, dem Gesetz über die Regionalautonomie der nationalen Minderheiten, dem Militärdienstgesetz, dem Gesetz über die allgemeine Schulpflicht, dem Wahlgesetz zum Nationalen Volkskongreß und den regionalen Volkskongressen, sowie dem Gesetz über die Organisation der Dorf-Komitees.

373) Das Vierte Arbeitsforum zu Tibet wurde vom 25. bis 27. Juni 2001 in Peking von dem Zentralkomitee der Partei und dem Staatsrat abgehalten, um Chinas Strategien zur Beherrschung Tibets zu formulieren.

374) Ein Pekinger Ministerium mit Partei- und bürokratischen Funktionen.

375) Abdelfattah Amor, UN Sonderberichterstatter für Religion, "Bericht über Chinabesuch", Genf 1995.

376) John Gittings, "Cultural Clash in land on the roof of the world", The Guardian, 8 February 2002

377) "Religiöse Restriktionen im Kloster Gaden Tashi Choeling", Human Rights Update, Juni 2002.

378) "Arbeitsteam im Kloster Yoetri", Human Rights Update, August 2002.

379) "Arbeitsteam im Kloster Shugseb", Human Rights Update, Mar 2002.

380) "Angesehener tibetischer Lama und Wohltäter der Gesellschaft festgenommen", Human Rights Update, April 2002.

381) Zu neueren Informationen bezüglich dieses Urteils, siehe Kapitel über bürgerliche und politische Rechte.

382) "Fotos des Dalai Lamas verteilt: vier Jahre Gefängnis", Human Rights Update, Sept. 2002.

383) "Fünf Tibeter wegen Gebetszeremonien für den Dalai Lama festgenommen", International Campaign for Tibet, 6 Nov 2002.

384) "China vereitelt den Indienbesuch eines buddhistischen Lamas", Human Rights Update, Nov 2002.

385) "Police detain five Tibetan monks for songs, flag-raising", Jeremy Page, Reuters, 12 Aug 2002.

386) 1980 gegründet, war dies das führende konfessions-ungebundene Zentrum buddhistischer Gelehrsamkeit und Ausübung auf dem tibetischen Hochland. Im Frühjahr/Sommer 2001 riß chinesisches Sicherheitspersonal über 4.000 Behausungen von Nonnen in Serthar nieder.

387) "China cracks down on growing faiths", Boston Globe, 2 Mar 2002.

388) Hohe tantrische Initiation des tibetischen Buddhismus.

389) TCHRD Interview 2002.

390) Ein Mönch oder Lama, der den höchsten Studiengang in Metaphysik und anderen monastischen Fächern der Gelugpa Schule durchlaufen hat, ähnlich einem Doktor der Theologie.

391) Ein tibetischer Begriff für einen angesehenen religiösen Lehrer, gleichbedeutend mit dem Sanskrit Terminus Guru.

392) Traditionell wird der Titel eines Geshe Lharampa (einem Doktor der Philosophie äquivalent) auf eine Prüfung hin verliehen, nachdem der Kandidat 18 Jahre lang ein rigoroses Studium der buddhistischen Philosophie durchlaufen und sich der Praxis gewidmet hat.

393) "Ein Reisebericht aus Tibet", Human Rights Update, Juli 2002.

394) Ibid.

395) Der Buddha der Zukunft.

396) "China raubt wieder den Potala aus, Tibeter appellieren an die Welt, China daran zu hindern, Tibet seinen religiösen Reichtum wegzunehmen", Department of Information and International Relations, Press Release, 21 April 2001.

397) Tulku ist ein tibetischer Ehrentitel für einen reinkarnierten Lama.

398) "Geshe Phuntsoks fortgesetzte Inhaftierung gibt Anlaß zur Sorge", Human Rights Update, Juni 2002.

399) Dieses konfessionsübergreifende Institut wurde von den Behörden wegen "Unterstützung der Dalai Clique", "Beherbergung anti-chinesischer Elmente", sowie in "Ermanglung eines offiziellen Status" verfolgt. Der Khenpo (= Abt) wurde an einem unbekanntem Orte in Gewahrsam gehalten und trotz seiner gebrechlichen Gesundheit wurde ihm lange Zeit keine ärztliche Behandlung zuteil.

400) Am 14. Mai 1995 erkannte der Dalai Lama Gedhun Choekyi Nyima als die Reinkarnation des 10. Panchen Lama an. Drei Tage später verschwand der Knabe sowie seine Familie. Die chinesische Regierung ernannte ihren eigenen Panchen Lama, einen Knaben namens Gyaltsen Norbu, und erklärte die Verkündigung des Dalai Lama für nichtig und illegal. Traditionell wählt nur der Dalai Lama den nächsten Panchen Lama aus.

401) Im US Congress, der sich schon immer nachdrücklich zu Tibet äußerte, ist die H.Res. 410 die jüngste einer Reihe von verabschiedeten Maßnahmen, darunter der Tibetan Policy Act 2002 (Titel VI of HR:.1646), ein Gesetz, das am 30. September rechtskräftig wurde. Auch im Senat wurde eine Panchen Lama Resolution verabschiedet, die Senate Resolution 252.

402) "11th Panchen Lama Holds Buddhist Gathering in Beijing", CPI News, at http://english.cri.com.cn/english/2002/march/54354.htm.

403) Nach zweijähriger Inhaftierung ohne Verbindung zur Außenwelt wurde Chadrel Rinpoche am 21. April 1997 wegen "Verschwörung zur Spaltung des Landes" und Weitergabe von "Staatsgeheimnissen" zu sechs Jahren Gefängnis und weiteren drei Jahren Verlust der politischen Rechte verurteilt.

404) Siehe offizielle Zusammenfassung der Rede von Präsident Jiang Zemin vor der Arbeitskonferenz über Religion von 1990, Xinhua, 8 Dez. 1990.

405) "State Legitimation in China: The Challenge of Popular Religion", Vivienne Shue, Cornell University. Paper prepared for the 2001 annual meeting of the American Political Science Association, San Francisco.

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