3. September 2021
Radio Free Asia, www.rfa.org

Ethnische Gruppen befürchten nach der Rede des chinesischen Präsidenten über Minderheiten weitere Repressionen

Xi Jinpings Aufruf an ethnische Minderheiten, die Interessen der Nation in den Vordergrund zu stellen, kommt einem „aggressiven Ansatz zur ethnischen Assimilierung“ gleich, so ein Analyst.

Der Aufruf des chinesischen Präsidenten Xi Jinping an die ethnischen Minderheiten, die Interessen der Nation an die erste Stelle zu setzen, bestätigt die Befürchtung, daß die Regierung ihre repressive Politik gegen sie noch verstärken wird.

In seiner Rede auf der zweitägigen „Zentralen Konferenz für ethnische Angelegenheiten“ Ende letzten Monats in Peking forderte Xi die ethnischen Gruppen auf, die Interessen Chinas über alles andere zu stellen und ein Gefühl der Gemeinschaft mit der chinesischen Nation zu entwickeln.

In China gibt es 56 ethnische Gruppen, wobei das Han-Volk die Mehrheit bildet und über 91 Prozent der 1,4 Milliarden Einwohner des Landes ausmacht.

Xi sagte den versammelten Offiziellen, sie müßten die versteckten Gefahren in ethnischen Angelegenheiten erkennen und Risiken vermeiden.

Uigurische Einwohner fahren an einem Propagandaplakat vorbei, das den chinesischen Präsidenten Xi Jinping mit Kindern ethnischer Minderheiten und der Phrase „Aufrichtiger Dank für die leidenschaftliche Fürsorge des Zentralkomitees der Partei mit Genosse Xi Jinping in ihrem Mittelpunkt“ in Peyziwat, Präfektur Kashgar, Xinjiang, zeigt.

„Wir sollten auf dem Boden der Ideologie bleiben. Wir sollten uns aktiv und konstant mit ideologischen Fragen befassen, die ethnischen Faktoren mit einbezogen, und die giftigen Gedanken des ethnischen Separatismus und religiösen Extremismus ausrotten“, so wurde Xi von der Nachrichtenagentur Xinhua zitiert.

„Die internationale Zusammenarbeit bei der Terrorismusbekämpfung sollte ebenfalls intensiviert werden, und zwar gemeinsam mit den Hauptländern, Regionen, internationalen Organisationen und chinesischen Volksgruppen in Übersee“, fügte Xi, der Generalsekretär des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas ist, hinzu.

Die Konferenz fand in einer Zeit statt, in der die Kritik der westlichen Länder an der zunehmend repressiven Politik Pekings in der nordwestchinesischen Region Xinjiang, in Hongkong, Tibet und der Inneren Mongolei und ihre Mißbilligung  zunehmen. Peking weist diese Kritik vehement zurück.

In Xinjiang leben 12 Millionen Uiguren, bis zu sieben Millionen Tibeter wohnen in der Autonomen Region Tibet und den autonomen tibetischen Gebieten, und es gibt fast sechs Millionen Mongolen, die hauptsächlich in der Autonomen Region Innere Mongolei an Chinas nördlicher Grenze zur Mongolei und zu Rußland leben.

Frühere RFA-Berichte haben dokumentiert, daß die chinesische Regierung den Unterricht in indigener Kultur und Sprache an Schulen in Xinjiang, Tibet und der Inneren Mongolei einschränkt oder ganz abschafft, was zu Auseinandersetzungen mit den örtlichen Gemeinschaften und zu Protesten gegen diese Maßnahmen führte.

In einigen Fällen hat die staatliche Zensur auch ethnischsprachige Websites und soziale Medienplattformen geschlossen und Kommentare zu ihrer Politik in der Messaging-App WeChat zensiert.

Die chinesischen Behörden haben den Gebrauch der uigurischen Sprache in den Schulen der Autonomen Region der Uiguren Xinjiang (XUAR) zugunsten von Mandarin-Chinesisch verboten, was eine Abschaffung der 2010 eingeführten zweisprachigen Bildungspolitik für Schulen in allen Minderheitengebieten in China bedeutet.

Ebenso haben die Behörden in Tibet Grund- und Sekundarschulen sowie Kindergärten gezwungen, den Unterricht und Kurse in Chinesisch abzuhalten, wodurch die Kompetenz der Schüler in der tibetischen Sprache immer mehr schwindet.

Die chinesische Regierung hat auch eine Politik umgesetzt, die den Unterricht in mongolischer Sprache an Schulen in der Inneren Mongolei ab September 2020 verbietet, ein Schritt, der die Forderungen mongolischer Aktivisten nach Unabhängigkeit von China ausgelöst hat.

Erzwungene Assimilierung

US- und EU-Abgeordnete haben zum Boykott der Olympischen Winterspiele 2022 in Peking aufgerufen, falls China seine Unterdrückung der Uiguren in Xinjiang nicht einstellt. Peking hingegen behauptet, strenge Maßnahmen seien notwendig, um dem religiösen Extremismus und dem Terrorismus entgegenzuwirken.

China hält seit 2017 bis zu 1,8 Millionen Uiguren und andere muslimische Minderheiten in einem Netzwerk von Internierungslagern fest. Peking erklärte, bei den Lagern handle es sich nur um Berufsausbildungszentren, und hat weit verbreitete und dokumentierte Vorwürfe, daß es die in Xinjiang lebenden Muslime schweren Rechtsverletzungen aussetzt, zurückgewiesen.

Zu den weiteren schwerwiegenden Maßnahmen Chinas gegen die Uiguren gehören der Abriß von Moscheen, die Inhaftierung von uigurischen Intellektuellen, Künstlern und führenden Vertretern der Wirtschaft, die Ersetzung von Uigurisch durch Chinesisch als Hauptsprache an den Schulen, der Einsatz eines umfassenden und durchgreifenden Überwachungssystems zur Kontrolle der Bewegungen der Uiguren, Zwangsarbeit in Fabriken und landwirtschaftlichen Betrieben sowie die Geburtenkontrolle und Sterilisation uigurischer Frauen.

Die USA und andere Länder und gesetzgebende Körperschaften haben diese Maßnahmen als Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit eingestuft.

Xis Rede brachte Chinas Absicht zum Ausdruck, eine „Zhonghua Minzu“ (chinesische Nation) zu schaffen, was von den Minderheiten als eine erzwungene Assimilierung empfunden wird, sagte die uigurische Politikanalystin Asiye Uyghur, wobei sie einen chinesischen Begriff für die Vorstellung einer chinesischen Nationalität, die über die ethnische Zugehörigkeit hinausgeht, verwendete.

„Chinas derzeitiges Ziel ist es, unter dem Vorwand des „Sozialismus mit chinesischen Merkmalen“ mit gewaltsamen Mitteln einen chinesischen Nationalstaat zu schaffen“, betonte sie gegenüber RFA.

„Wenn es keine Kraft gibt, die China aufhält, dann kann es sein Ziel erreichen, andere ethnische Gruppen, wie etwa die Uiguren, gewaltsam zu assimilieren“, fügte sie hinzu.

Der südmongolische Gelehrte Yang Haiying, Professor an der japanischen Shizuoka-Universität, sagte, daß Xis „sogenannte Modernisierung die kulturelle Zerstörung in Xinjiang - die völkermörderische Politik in Xinjiang - vertuschen soll“.

„Um die Assimilationspolitik zu vertuschen, betont Peking einseitig die Einheit und nicht die Gleichheit“, sagte er.

„Die Behörden haben das Banner der Multiethnizität überall heruntergesenkt und sich sogar über die Bestimmungen ihrer eigenen Verfassung hinweggesetzt“, fügte Yang hinzu und bezog sich dabei auf die Festsetzung der Charta von 1982, daß alle ethnischen Minderheiten in China gleich sind und daß der Staat für den Schutz ihrer Rechte und Interessen verantwortlich ist.

Xis Rede zeige, daß China das Konzept der chinesischen Volksgemeinschaft nutzen wolle, um die einzelnen Nationalitäten zu ersetzen und den Prozeß der Assimilierung zu beschleunigen, sagte der mongolische Wissenschaftler Khubis.

Als Beispiel nannte er den Campus der Mongolian Middle School von Zhenglan Banner in Xilin Gol League, wo eingravierte Gedichte auf Mongolisch, in denen die mongolische Sprache und Kultur gepriesen werden, mit dem Slogan „Aufbau eines starken Gemeinschaftsgefühls der chinesischen Nation“ auf Chinesisch und Mongolisch überschrieben wurden.

Politik unter Tyrannei umgesetzt

Jianglin Li, ein unabhängiger Schriftsteller und Forscher, Experte für tibetische Geschichte und die tibetische Diaspora, kommentierte, daß Xi in seiner Rede eine Botschaft wiederholte, die er schon auf der letzten Konferenz dieser Art vor sieben Jahren geäußert hatte, und in der er betonte, daß alle ethnischen Gruppen Chinas zu einer Gemeinschaft der chinesischen Nation zusammenwachsen sollten.

In seiner jüngsten Rede habe Xi der Umsetzung der Politik der Kommunistischen Partei Nachdruck verliehen, obwohl diese Politik nicht mit der Realität der ethnischen Völker übereinstimme. Die Zwangsumsiedlung von Nomaden in die Städte sei beispielsweise gegen ihren Willen erfolgt und habe zu Protesten geführt, so Li.

„Diese Politik wird durch Anwendung von Zwang umgesetzt, und das Ergebnis einer solchen Tyrannei ist, daß wir die ethnischen Probleme in China fortbestehen sehen“, fügte er hinzu.

Li sagte, daß Xi in seiner Rede zwar über die Erhaltung der ethnischen Sprachen gesprochen habe - seine Handlungen aber im Widerspruch zu seinen Worten stünden -, um der Außenwelt ein „perfektes Bild zu präsentieren und die Flut der Kritik, der China ausgesetzt ist, zu bekämpfen“.

„Abgesehen von ein paar Änderungen in der Verwendung von Begriffen hat Xis Rede die gleiche Bedeutung und will Dutzende von ethnischen Gruppen des Landes zu einer einzigen nationalen Identität verschmelzen“, sagte er. „Der aggressive Ansatz zur ethnischen Assimilierung bleibt bestehen.“

Xis Rede und seine Politik bestätigen China auf seinem Weg zu „Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit“, sagte Gordon Chang, Kolumnist, Autor und Anwalt.

„Die Realität ist, daß Xi Jinping jegliches ethnische Bewußtsein über die eigene Volkszugehörigkeit  beseitigen will“, fuhr er fort. „Er will ein reines Han-Bewußtsein, und das bedeutet ethnische Säuberung in ihrer reinsten Form.“

Sollte die von ihm erörterte Politik umgesetzt werden, würde dies die Auslöschung des uigurischen Volksbewußtseins und des uigurischen Volkes bedeuten, fügte Chang hinzu.

Chang meinte, daß die internationale Gemeinschaft auf die Mißhandlung der Uiguren durch China reagieren sollte, indem sie ihren sich aus der Völkermordkonvention von 1948 zur Verhinderung und Bestrafung von Völkermord ergebenden Verpflichtungen nachkommt.