20. November 2015
Radio Free Asia, www.rfa.org

US Abgeordneten wird bei ihrem Besuch in Lhasa “Frieden und Ruhe” vorgegaukelt

Ein Besuch von US Abgeordneten in der regionalen Hauptstadt Lhasa letzte Woche war total arrangiert. Alle Anzeichen der für Lhasa so typisch massiven Sicherheitspräsenz wurden vor der Ankunft der Delegation aus dem Zentrum der Stadt unsichtbar gemacht, wie eine Quelle aus Tibet mitteilte.

Die Vorsitzende der Demokraten Nancy Pelosi führte am 10. November eine Delegation von sechs Abgeordneten zu einem dreitägigen Besuch in die normalerweise streng kontrollierte und angespannte Stadt, berichtete ein dort lebender Bewohner dem tibetischen Dienst von RFA.

Nancy Pelosi und ihre Delegation vor dem Jokhang-Tempel in Lhasa, Photoquelle: DIIR

„Am Vorabend des Besuches ordneten chinesische Behördenvertreter in Lhasa an, daß 10 Angehörige jeder Sektion eines jeden Stadtviertels und sechs Angehörige jeder Nachbarschaft an inszenierten religiösen Aktivitäten teilzunehmen haben“.

„Sie wurden von allen zuständigen Abteilungen der Stadtverwaltung von Lhasa herbeizitiert und gezwungen die religiösen Stätten zu umrunden, während die Klöster in der Stadt drei Tage lang religiöse Handlungen zu organisieren hatten.“ Dabei wurden viele dieser Leute, die eine religiöse Show abzuziehen hatten, sogar für ihre Teilnahme bezahlt. „Deshalb war es für Nancy Pelosi und die anderen kaum möglich, den tatsächlichen Zustand der religiösen Freiheit in Tibet einzuschätzen“.

Der Quelle zufolge wurden alle Metalldetektorrahmen, mit denen sonst die Menschen vor Betreten des Jokhang-Tempels gescannt werden, sowie die Polizeizelte, die sonst im zentralen Barkhor Areal stehen, vor Pelosis Ankunft entfernt.

„Die US Delegation sah keinen einzigen dieser schikanösen Detektoren, weshalb die Besucher wohl einen falschen Eindruck von Ruhe und Frieden in der Gegend bekommen haben. In Wahrheit ist die Situation eine ganz andere“.

Der Delegation wurde ein Potemkinsches Lhasa gezeigt, wo sich alle religiöser Freiheit und wirtschaftlichen Fortschritts erfreuen. „Vermutlich sahen sie nichts von den finsteren Aspekten des tibetischen Lebens in Lhasa und verstanden daher nicht die Probleme in der gesamten Region. „Alles, was sie zu sehen bekamen, war Theater und Teil eines betrügerischen Plans, um ein falsches Bild zu zeichnen, daher ist es wichtig, daß alle die Wahrheit erfahren“.

Die Tibetische Regierung-im-Exil zitierte einen „vertraulichen Brief“ von einem Bewohner Lhasa, der sagte, die Stadt sei Ende Oktober/Anfang November gesperrt gewesen, und der die Maßnahmen der chinesischen Regierung beschrieb, um die Tibeter im Hinblick auf den Besuch der Delegation zum Schweigen zu bringen.

„Lhasa stand unter extremer Repression, und die Leute wurden ständig politisch indoktriniert, sowohl gewaltsam als auch mit sanfteren Methoden“, heißt es in dem Brief. „Die Redefreiheit wurde auch ernstlich beschnitten, so sehr, daß die Leute sich kaum noch zu bewegen wagten.“

Der Brief bestätigte die Aussagen der Quelle von RFA, daß die Eingangstore zum Barkhor, die sonst ständig von Sicherheitspersonal bewacht sind, „ganz plötzlich entfernt und durch neue Türen und weniger Wachleute ersetzt wurden.“

„Anfänglich fragten wir uns, was der Grund für diese Maßnahmen sein könnte, aber als wir dann vom Besuch der US Delegation hörten, begriffen wir ihre Absicht“.

Der Brief begrüßte den Erkundungsbesuch nach Lhasa und bekundete den Wunsch der Tibeter, mit der Delegation zusammenzutreffen, aber räumte ein, daß es für Pelosi und die anderen Abgeordneten kaum möglich sein würde, Kenntnis von den Aspirationen der Tibeter zu gewinnen, weil ihr Besuch komplett von den Behörden organisiert wurde.

Pelosi und die anderen Mitglieder der Delegation – die demokratischen Abgeordneten Jim McGovern von Massachusetts, Betty McCollum und Tim Walz von Minnesota, Joyce Beatty von Ohio und Alan Lowenthal und Ted Lieu von Kalifornien ­ dankten Präsident Xi Jinping für die Einladung zu diesem Staatsbesuch, der auch Aufenthalte in Peking und Hongkong vorsah. McGovern, Mitvorsitzender der Tom Lantos Menschenrechtskommission, sagte, es sei klar, daß die chinesische Regierung „eine Menge in Tibet investiert habe“, mahnte aber, daß diese Investitionen „nicht auf Kosten einer ganzen Kultur geschehen dürften“. „Man kann die Kultur und das Erbe eines Volkes, also seine eigentliche Identität, nicht auf ein Museum oder einen Markt für Kunsthandwerk beschränken“, sagte er.

Und Pelosi meinte: „Es ist schön, wenn die chinesische Regierung eine Menge Geld zur Vergoldung des Tempeldaches ausgibt, aber wir möchten wissen, was die Kinder denken, und wie es mit deren Bildung und dem Fortbestand der Kultur dort aussieht“, und fügte hinzu, daß eine riesige Umsiedlungswelle von hauptsächlich Han Chinesen in die Region „diese Kultur verwässert“.

Die Abgeordneten gaben unumwunden zu, daß ihre Delegation von offiziellen Betreuern geführt wurde und es problematisch für sie war, mit tibetischen Einwohnern der Stadt in Kontakt zu kommen. „Ich denke, es ist richtig zu sagen, daß die chinesische Regierung unseren Besuch so weit wie möglich kontrollieren wollte. So sahen wir eben das, was sie wollten, daß wir sehen“, bemerkte McGovern.

Nach Aussage von Pelosi führten 30 chinesische Offizielle ihre Delegation und „das ist noch eine moderate Schätzung, denn da gab es Leute mit Walkie-Talkies, die, obwohl sie nicht nach Sicherheitsbeamten aussahen, uns dennoch die ganze Zeit begleiteten und sicherstellten, daß wir nicht von der vorgeschriebenen Route abwichen… Gut, sie wollten, daß wir Häuser sehen, und die sahen wir. Aber sahen wir auch Familien? Ich bin nicht sicher“.

Im Juni 2013 berichteten Quellen aus Tibet, daß ein Besuch des damaligen US-Botschafters in China Gary Locke in ähnlicher Weise inszeniert wurde, mit Polizisten, die als Tibeter vom Lande verkleidet waren und Gebetsmühlen und Gebetsketten in den Händen trugen. Wie das State Department damals mitteilte, unterstrich Locke während seiner Reise, wie wichtig es sei, das kulturelle Erbe des tibetischen Volkes zu erhalten, einschließlich seiner einzigartigen linguistischen, religiösen und kulturellen Traditionen.