21. Juni 2013
Radio Free Asia, www.rfa.org, Phayul, www.phayul.com

Chamdo im Zentrum von Pekings neuer Umerziehungskampagne „Zum Wohle der Massen“

Eine Menschenrechtsgruppe hat herausgefunden, daß eine Kampagne, die zu Chinas Markenzeichen gehört und angeblich den „Massen Vorteile bringen“ soll, in Wahrheit nichts anderes als eine aufdringliche Überwachung der Leute ist, wobei die umfassende politische Umerziehung und die Gründung von Sicherheitseinheiten in den tibetischen Dörfern die Hauptziele sind.

Diese neue chinesische Kampagne zur Eruierung und Manipulierung der politischen Ansichten der Bewohner des ländlichen Tibets wird in der Präfektur Chamdo der Autonomen Region Tibet (TAR) besonders intensiv durchgeführt. Dort werden die Leute gezwungen, die chinesische Nationalflagge aufzuziehen, Bilder der chinesischen Staatsführer zur Schau zu stellen, während der Besuch von Tempeln ihnen untersagt worden ist.

Rote Flagge auf dem Dach eines Tempels
Ein Tibeter begrüßt die rote Flagge

Wie Human Rights Watch mit Sitz in den USA feststellte, sind von den über 20.000 Kadern, die für diese Kampagne „Zum Wohle der Massen die Grundlagen festigen“ in der Autonomen Region Tibet eingesetzt werden, alleine 7.000 den Klöstern und Dörfern in der Gegend von Chamdo, wo es häufig zu Protesten gegen Pekings Herrschaft kommt, zum Zwecke der Nachrichtenbeschaffung und politischen Umerziehung zugewiesen worden.

„Wenn man dieser Tage in Chamdo auf dem Lande herumreist, wird man die traditionellen tibetischen Gebetsfahnen nicht mehr auf den Häusern wehen sehen. Statt dessen sieht man überall die rote chinesische Nationalflagge mit den fünf Sternen“, berichtete Woeser aus Peking.

„Alle 500 Klöster in Chamdo wurden gezwungen, diese Flagge zu hissen, ja sogar die Mönche müssen sie auf ihren individuellen Wohnhäuschen aufpflanzen“.

Vor etwa zwei Jahren startete die Parteiführung diese Kampagne unter der Parole, den Lebensstandard in den ländlichen Gegenden der TAR verbessern zu wollen.

Abgesehen von der Informationsgewinnung führen Parteikader und andere chinesische Offizielle allerorten die „politische Umerziehung“ durch und bilden Sicherheitszellen von Parteigängern, wie es in dem kürzlich von Human Rights Watch (HRW) herausgegebenen Report heißt (1).

„Kader in gewissen Abständen an die Basis zu schicken, ist eine in China übliche Praxis, besonders in betont linksgerichteten Administrationen und Perioden“, kommentierte der Tibet-Experte Robbie Barnett von der Columbia University.

„Aber wenn man die enormen Kosten dieser jetzigen Operation, den Prozentsatz an lokal dabei tätigen Kadern  und die Dauer des Projekts betrachtet, hat es in China in diesem Maßstab so etwas noch nicht gegeben“.

Tibetische Familien in den bäuerlichen und nomadischen Ansiedlungen in Chamdo müssen nun auch die Fotos der Staatsführer ausstellen, außerdem eine zeremonielle weiße Schärpe als ein Symbol des Respekts darum herum drapieren“, sagte Woeser. „Wenn sie sich weigern, das zu tun, wird es ihnen als ein politischer Fehler angerechnet“.

Versuche der chinesischen Behörden früher in diesem Jahr, die Bewohner in Chamdo zur Anbringung der chinesischen Flagge zu zwingen, stießen auf heftigen Widerstand.

Ein paar Tibeter, die am 10. Februar zu Beginn des Neujahrfestes im Bezirk Dzogang der Präfektur Chamdo protestiert hatten, faßte die chinesische Polizei und schlug sie entsetzlich. Zwei trugen Knochenbrüche davon und mindestens sechs kamen in Gewahrsam. Zu diesem Protest in der Gemeinde Meyul kam es, weil die Behörden gefordert hatten, daß die dort ansässigen Tibeter die chinesische Nationalflagge auf ihren Hausdächern anbringen sollten.

„Doch die Tibeter weigerten sich, die Flaggen auf ihren Dächern wehen zu lassen“, verlautete damals aus einer Quelle, „statt dessen rissen sie sie herunter und trampelten darauf herum“.

Als eine Maßnahme gegen die Welle der Selbstverbrennungsproteste, bei der sich bislang 120 Tibeter angezündet haben, verlangen die Behörden in Chamdo nun das Vorweisen von Erlaubnisscheinen für den Einkauf von Kerosin, fügte Woeser hinzu.

Indoktrinations-Sitzung
Hissen der chinesischen Flagge

„Einer Gemeinde, in der sich ein Bewohner selbst verbrennt, werden die staatlichen Beihilfen zum Lebensunterhalt gestrichen. Und wenn ein Mitglied einer monastischen Gemeinschaft so etwas tut, dann wird das ganze Kloster geschlossen“.

Außerdem ist es Angestellten im öffentlichen Dienst, Studenten und Pensionären in Chamdo verboten, Tempel zu besuchen oder an religiösen Aktivitäten teilzunehmen.

„Sie demontierten sogar eine Statue eines Heiligen (aus dem 14. Jahrhundert), Thangthong Gyalpo, die in einem Schulhof stand, und warfen sie dann in einen Fluß, weil sie für die Architektur der Schule unwesentlich sei“, schrieb Woeser.

In einem Dorf im Chamdo mußte eine „Arbeitsbrigade“ das „Schlüsselpersonal“ registrieren, um es fortan genau im Auge zu behalten, heißt es in dem Bericht von HRW vom 18. Juni. Der Begriff „Schlüsselpersonal“ bezieht sich auf Leute, die politische Unruhe stiften könnten. HRW zufolge ist eine Kampagne wie die jetzige zur Überwachung der tibetischen Gebiete in ihrem Umfang, ihrer Größe und ihren Kosten ohne Präzedenz.

Dorfbewohner teilten HRW mit, daß sie von Mitgliedern der Umerziehungsgruppe über ihre politischen Einstellungen und ihre sozialen Kontakte befragt worden wären, ebenfalls darüber, was sie über die neuesten Protestaktionen dächten, ob sie Freunde oder Verwandte hätten, die darin involviert seien, was sie vom Dalai Lama hielten und wer ihnen von ihm erzählt hätte. Die Mitglieder der Umerziehungsgruppen erhielten ihre Informationen, indem sie sich in den Häusern der Tibeter einnisteten oder sich mit den Dorfbewohnern anzufreunden versuchten.

Ein Dorfbewohner gab zu Protokoll, daß ein Kaderteam im Bezirk Taktse (Chin. Dazi) der Hauptstadt Lhasa alle Einwohner des Ortes, einschließlich der Kinder befragt und sie dann in drei Kategorien eingeteilt hätte: Diejenigen, die den Wohlstand anstrebten und das gegenwärtige Regime unterstützten, diejenigen, die heimlich beteten und den Dalai Lama unterstützten, aber nicht offen protestierten, und diejenigen, welche „die Umerziehung nicht akzeptieren und nicht an das Mutterland und die Partei glauben“.

(1) HRW: China: ‘Benefit the Masses’ Campaign Surveilling Tibetans