3. November 2011
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“Tibet brennt” von Tsering Woeser

Gedanken zur Selbstverbrennung

High Peaks Pure Earth übersetzte einen Blog-Beitrag von Woeser, den sie am 18. Oktober für den tibetischen Dienst von Radio Free Asia verfaßt hatte und der am 26. Oktober 2011 auf ihrem Blog erschien.

In diesem Essay stellt Woeser Betrachtungen über die jüngste Reihe der Selbstverbrennungen von Tibetern an. Inzwischen gab es eine weitere tragische Nachricht: Am 3. November verbrannte sich die 35jährige Nonne Palden Choetso aus dem Kloster Ganden Choeling in der TAP Kardze, Osttibet.

Woesers Blog:

„Als ich heute Abend Online ging, sah ich, daß sich noch ein Mönch verbrannt hatte: der 38jährige Dawa Tsering aus der Region Kham (heute Präfektur Kardze der Provinz Sichuan). Um die Mittagszeit, als im Kloster gerade Ritualtänze aufgeführt wurden, legte er Feuer an sich und rief von Flammen umzingelt: „Laßt Seine Heiligkeit den Dalai Lama nach Tibet zurückkehren! Tibet hat keine Menschenrechte!“. Seine Mitmönche löschten das Feuer und brachten ihn ins Krankenhaus, aber später wieder zurück ins Kloster. Es heißt, seine Verletzungen seien sehr ernst. Heute steht das Kloster von Kardze unter der strengen Kontrolle der Militärpolizei. Dawa Tsering ist der elfte Tibeter, der sich seit 2009 selbst verbrannte.

Der Mönch Tapey, der sich 2009 verbrannte

Am 27. Februar 2009 starb der 24jährige Mönch Tapey vom Kloster Kirti in Ngaba, Amdo, als Folge seiner Brandverletzungen. Es war vielleicht das erste Mal, daß jemand innerhalb Tibets zur Selbstverbrennung schritt, um seinen Willen kundzutun. In einem früheren Essay unter dem Titel „Tapey, ein Märtyrer, der seinen Leib opferte“, schrieb ich: „Er hielt die Schneelöwenflagge und ein Bild Seiner Heiligkeit in die Höhe, zündete seine benzingetränkte Robe an und rannte als brennende Fackel auf die Straße hinaus, um gegen die Finsternis zu protestieren, die Tibet eingehüllt hat“.

Zwei Jahre später, am 16. März 2011, starb der 20jährige Mönch Phuntsog aus dem Kloster Kirti in Ngaba, Amdo, als Folge der Selbstverbrennung. Ausgehend von Berichten, die mir ortsansässige Tibeter zukommen ließen, dokumentierte ich die Szene in einem Essay: „An einem sonnigen Nachmittag, verließ er das Kloster, das unter der scharfen Überwachung der Militärpolizei stand, und wanderte bis zum Ende der sonnendurchfluteten Straße. Dort ging er plötzlich in Flammen auf. Aus dem um ihn lodernden Feuer heraus schrie er: „Laßt Seine Heiligkeit zurückkehren!“, „Tibet muß frei sein!“, „Lang lebe der Dalai Lama!“. Die Leute blieben stehen und blicken schockgelähmt auf ihn. Bald füllte sich die gesamte Straße mit schwer bewaffneten Sicherheitskräften, Sondereinsatztruppen und Polizisten in Uniform und in Zivil. Sie traktierten Phuntsog wie wild mit ihren Knüppeln. Taten sie es, um das Feuer zu löschen, oder um ihn zu schlagen?

Im Verlauf der nächsten Monate ereigneten sich bis gestern [17. Oktober] acht Fälle von Selbstverbrennung, einer um den anderen. Es waren dies: Der 29jährige Mönch Tsewang Norbu aus dem Kloster Nyitso im Bezirk Tawu, Kham; der 18jährige Lobsang Kelsang; der 18jährige Lobsang Kunchok; der 17jährige Kelsang Wangchuk – alles Mönche des Klosters Kirti; dann der 19jährige Choephel; der 18jährige Khaying und der 19jährige Norbu Dramdul, die früher ebenfalls Mönche im Kloster Kirti waren, aber wegen der repressive Atmosphäre dort hatten sie ihre Robe abgelegt. Was die Leute besonders bekümmert und betrübt macht, ist die gestrige Selbstverbrennung der 20jährigen Tenzin Wangmo; sie war eine Nonne des Klosters Mamae im Bezirk Ngaba.

Was ist nun die Bedeutung der Selbstverbrennung? Ist es dasselbe wie Selbstmord? So viele tibetische Mönche sind bereits Opfer von Selbstverbrennungen geworden. Ist es wirklich so, wie der sogenannte „Lebende Buddha“ Gyalton, der Vize-Präsident der Buddhistischen Vereinigung von Sichuan, der seine Seele verkauft hat, behauptet: „Selbstmord ist ein sehr schwerer Verstoß gegen die buddhistische Lehre, jeder Akt von sich selbst zugefügtem Schaden ist gänzlich gegen die menschliche Natur. Diese ständigen Fälle von Selbstverbrennung unter den Tibetern rufen bei Leuten aller Gesellschaftsschichten Verständnislosigkeit hervor, sie empfinden nichts als Abscheu und Ekel“.

Bis auf den heutigen Tag behält die ganze Welt im Bewußtsein, wie sich 1963 ein vietnamesischer Mönch im Zentrum der Stadt Saigon verbrannte (1). Seine Landsleute verehren ihn als einen großen Märtyrer und errichteten ihm eine Bronzestatue auf einem öffentlichen Platz, um an die tragische Szene der Selbstverbrennung zu erinnern. Der 67jährige Thich Quang Duc hinterließ eine letzte Botschaft: „Ehe ich meine Augen schließe und in die Vision des Buddha eintauche, ersuche ich ehrerbietig den Herrn Präsidenten…, Mitgefühl mit den Menschen dieser Nation zu zeigen und das Prinzip der religiösen Gleichheit zu respektieren… Ich rufe die Ehrwürdigen, die Geistlichen, die Mitglieder der Sangha und die Laien-Buddhisten dazu auf, solidarisch zusammenzustehen und Opfer zu bringen, um den Buddhismus zu schützen“. Das sind genau die Aspirationen und Gefühle der zehn tibetischen Mönche, Nonnen und Laien, die sich in Brand setzten.

Selbstverbrennung von Thich Quang Duc

Nachdem Thich Quang Duc Opfer der Selbstverbrennung geworden war, verbrannten sich innerhalb von wenigen Monaten sechs weitere Mönche und Nonnen auf den Straßen Vietnams. Ein angesehener vietnamesischer Mönch kommentierte das Verhalten dieser Märtyrer mit treffenden Worten:

„Die Medien nennen es Selbstmord, aber im wesentlichen ist das gar kein Selbstmord… In den letzten Aussagen, welche die Mönche vor ihrem Tod machten, beteuerten sie alle, daß das Ziel der Selbstverbrennung einzig und alleine ist, die Menschen wachzurütteln, an die Unterdrücker zu appellieren, sie möchten Sympathie zeigen, und die Welt auf das verfolgte Volk in Vietnam aufmerksam zu machen. Durch die Selbstverbrennung bezeugen sie, daß das, was sie zu sagen haben, außerordentlich wichtig ist…. Dieser vietnamesische Mönch setzte seine ganze Willenskraft und Entschlossenheit ein, um zu zeigen, daß er bereit ist, den fürchterlichsten Schmerz zu ertragen, um sein Volk zu schützen… Der Akt der Selbstverbrennung, um seine Aspirationen und Bestrebungen kundzutun, sollte nicht als etwas Destruktives betrachtet werden, im Gegenteil, es ist etwas Konstruktives, ein Akt des Leidens und sogar des Sterbens für das Volk. Das ist alles andere als Selbstmord“.

Tatsächlich sind es die Diktatur und die schlimme Gewaltherrschaft, welche der menschlichen Natur zuwider sind. Sie sind es, welche die Körper buddhistischer Mönche und Laien in Flammen aufgehen lassen. Ganz richtig erklärte die Tibetologin Katia Buffetrille, die kürzlich Tibet bereiste: „Die Mönche im Kloster Kirti befinden sich bereits in einem Zustand tiefer Hoffnungslosigkeit. Das ist so, weil sich die Lage dort kontinuierlich verschlimmert. Die Behörden kennen keine andere Antwort als Repression…. und diese repressiven Strategien verschärfen die angespannten Beziehungen nur noch mehr. Ich hörte, daß in der Gegend ein Flugblatt im Umlauf ist, auf dem steht: Wenn sich die Lage nicht bessert, wird es noch viel mehr Mönche geben, die bereit sind, ihr Leben zu opfern“.

Peking, 18. Oktober 2011

(1) Lesenswert. Geschichte der Selbstverbrennung als Protest gegen politische Unterdrückung, siehe Wikipedia