Chinas verschärft seine Tibet-Politik: Entlassung von ethnischen Tibetern aus dem Staatsdienst
Washington - Wie Radio Free Asia berichtet, geht China immer härter gegen Tibeter vor, die dem Dalai Lama loyal bleiben oder sich für die Unabhängigkeit einsetzen, und entläßt tibetische Kader, wohl aus der Befürchtung heraus, daß sie sich in der gegenwärtigen Protestwelle und Stimmung zivilen Ungehorsams gegen die KPCh wenden könnten.
„In unserer Partei gibt es immer noch gewisse abweichlerische Elemente, die nicht fest genug zu ihren Idealen, Überzeugungen und politischen Standpunkten stehen“, heißt es in einem internen Memorandum der Disziplinar- und Inspektions-Kommission der KPCh, das dem tibetischen Dienst von RFA in die Hände gelangte.
Darin werden parteiinterne Abweichler beschuldigt, „an den Brüsten der KPCh zu saugen und dabei den Dalai Lama Mutter zu nennen“, womit gesagt werden soll, daß einige Tibeter die Partei benutzen, aber insgeheim den Dalai Lama verehren.
Das Memorandum, das eine härtere Tonart anschlägt, seitdem vor einem Jahr ein Führungswechsel in der TAR stattfand, berichtet ausführlich von dem kritisch eingestellten Parteimitglied Phuntsok Gyaltsen und von Lhadon, dem Jüngeren, einem Lehrer.
Dem Dokument No. 2, 2007 der Disziplinar- und Inspektions-Kommission zufolge wurde der 33jährige Phuntsok Gyaltsen, der stellv. Gemeindevorsteher von Phurbu und Sonderbeauftragte der Polizei des Kreises Palgon (chin. Bange), Präfektur Nagchu, aus der Partei ausgeschlossen und festgenommen, weil er angeblich in der Öffentlichkeit „reaktionäre Parolen“ gerufen hat.
Lhadon „der Jüngere“, ein 31jähriger Mittelschullehrer aus dem Kreis Khangmar, Präfektur Shigatse, wurde aus dem Dienst entlassen und festgenommen, nachdem er vor seiner Klasse gesagt hatte, der von Peking auserwählte 11. Panchen Lama sei nicht der richtige.
Tibeter in der Partei Zielscheibe der Kritik
„Wenn wir Parteikritiker wie Phuntsok Gyaltsen und Lhadon den Jüngeren nicht entfernen, könnte unsere Lage gefährlich werden. Da lauert eine Gefahr, welche die Stabilität und Harmonie in unserer Gesellschaft bedroht“, fährt das Memorandum fort. Es ruft die Parteimitglieder auf, „einen klaren politischen Kopf“ zu bewahren und ihre Wachsamkeit gegenüber etwaigen „Freiheitsgefühlen“ unter den tibetischen Kadern zu schärfen.
Das mit dem 4. September datierte Dokument folgt auf ein Jahr eskalierender Proteste in den tibetischen Gebieten Chinas nach der Ernennung des neuen regionalen Parteisekretärs Zhang Qingli 2006.
„Mir scheint, daß im Vergleich zum letzten Jahr unter Zhang Qingli auf andere Weise mit diesen Problemen umgegangen wird“, sagte Robbie Barnett, Professor für Tibetische Studien an der Columbia University in New York.
Er fügte hinzu, diese neue Version des harten Durchgreifens sei „sehr aggressiv und entspräche so ganz der Tradition der Partei, wo man einen kleinen Vorfall benützt und ihn aufbauscht… und ihn dann als Grund heranzieht, um die Parteidisziplin unter den Mitgliedern durchzusetzen… All das läßt darauf schließen, daß Zhang Qingli den tibetischen Parteimitgliedern hinsichtlich ihrer Loyalität nicht über den Weg traut.
Das Dokument zeigt, daß Tibeter in der Partei unter starkem Verdacht stehen. Ich glaube, sie wird immer nervöser, weil sie sich nie sicher sein kann, was wirklich im Herzen dieser Leute vorgeht“, fügte Barnett hinzu.
„Seit 1994 nahm das Einkommen tibetischer Regierungsbeamter und Parteimitglieder ungeheuer zu, sie bereicherten sich und ihren Familien geht es gut, aber die Partei weiß trotzdem nie genau, was diese Leute wirklich denken und wo ihre Loyalität liegt. Das bereitet der chinesischen Führung Kopfzerbrechen, ich würde es fast als pathologisch bezeichnen.“
Aus dem RFA zugegangenen Memorandum geht hervor, daß Phuntsok Gyaltsen aus dem Kreis Riwoche in der Präfektur Chamdo stammt, einen College-Abschluß hat und 2002 der KP beitrat. Am 19. April 2007 rief er „Unabhängigkeit für Tibet“ und „Lange lebe der Dalai Lama!“. Sofort wurde er aus der Partei ausgestoßen, aus dem öffentlichen Dienst entlassen und festgenommen.
Lhadon „der Jüngere“ stammt aus dem Kreis Khangmar und besuchte ebenfalls das College. Am 3. April 2007 erklärte er seiner 44 Schüler zählenden Klasse: „Der 11. Panchen Lama, der von der Zentralregierung eingesetzt wurde, ist der falsche. Der richtige 11. Panchen Lama wurde in Indien wiedergeboren. Der Panchen Lama der Regierung ging nach Indien, um den echten Panchen Lama zu treffen“ [sic]. Am 14. Juni wurde er seines Amtes enthoben und anschließend verhaftet.
Ähnliche Kampagnen in Sichuan
Ähnliche Kampagnen finden auch in der Region Lithang, in der südwestchinesischen Provinz Sichuan, statt. In Lithang ist der Bevölkerungsanteil an Tibetern vor allem Nomaden sehr hoch, bei einem Pferderennen-Fest Mitte August kam es dort zu einem Massenprotest, nachdem die Forderung, der Dalai Lama möge nach Tibet zurückkehren, laut geworden war.
Aus einer Quelle aus Lithang verlautet: „Am 7. September wurde in Lithang von einem Kompanieführer der bewaffneten Volkspolizei (PAP), der mit einem Kontingent von 200 Milizionären anrückte, offiziell eine patriotische Umerziehungskampagne gestartet“. Die Offiziellen erklärten den Tibetern, sie müßten sich zwischen der VR China und dem Dalai Lama entscheiden.
„Kensur Drakkar Rinpoche vom Kloster Lithang, der mehrere Jahre Gefängnisleben hinter sich hat, weigerte sich, den Anordnungen zu folgen“, heißt es aus der Quelle. „Er antwortete, daß er den Titel Rinpoche (ein Ehrentitel für religiöse Lehrmeister in Tibet) trage und als gläubiger Buddhist seinem ‚Wurzellehrer’ die Treue bewahren müsse. Der Dalai Lama sei sein Wurzellehrer. Deshalb könne er keine Kritik am Dalai Lama üben, der nicht nur unser religiöser, sondern auch unser politischer Führer ist“.
Abweichende Meinungen bei politischen Versammlungen
Die Umerziehungskampagne richtet sich auch gegen Führungspersonen und Lehrer oberhalb der Unterdistriktsebene, wie RFA weiterhin aus der Quelle erfuhr.
„Als diese Kampagne durchgeführt wurde, erklärten sich viele Lehrer für den Dalai Lama und nicht für China. Viele verließen einfach den Versammlungsraum. Die Offiziellen drohten ihnen mit Gehaltskürzungen und Degradierung. Die Lehrer antworteten mit Arbeitsniederlegung.
Adruk Adrak, ein Neffe von Ronggyal Adrak, dessen Festnahme wegen seiner Forderung nach einer Rückkehr des Dalai Lama Mitte August zu Protesten in Lithang führte, verließ demonstrativ eine politische Versammlung und rief dabei „Lange lebe der Dalai Lama“ und „Mögen die Wünsche von Ronggyal Adrak in Erfüllung gehen“.
Barnett meint, diese Kampagne weise darauf hin, daß China nun noch viel härter auf öffentlichen Protest und Dissens reagieren werde. „Es scheint, daß der Staat und ebenso die Bevölkerung sowohl in der TAR als auch in Sichuan und vielleicht sogar landesweit, nun zu einem Modus augenblicklichen Handelns übergegangen sind, wo ein einziger Zwischenfall, und mag er auch so klein wie diese beiden sein, massive Kampagnen oder politische Verschiebungen und Reaktionen größeren Stils zur Folge haben kann.
Wir müssen daher damit rechnen, daß alle diese Ereignisse nichts als Vorboten potentieller größerer Polizeirazzien und verstärkter ideologischer Indoktrinierung sind.“
Wie Barnett sagt, begann man 2000 damit, ethnische Chinesen an der Universität Lhasa in tibetischer Sprache zu auszubilden, damit sie später in den Gemeinden auf dem Land als Beamte in untergeordneter Stellung eingesetzt werden können. 200 bis 300 dieser Leute sind bereits an Ort und Stelle. „Damit gewinnt der chinesische Staat in den ländlichen Gegenden Tibets ein völlig neues Gesicht“.
In Lithang werden tibetische Beamte immer mehr durch chinesische ersetzt: „Die Veränderungen, die in Lithang stattfanden, sind eine extrem rasche Version dieser Entwicklung, wo, wie man sagen könnte, nach der Methode ‚Knüppel aus dem Sack’ vorgegangen wurde und nichts vorgeplant war. Aber alles spricht dafür, daß dies nur Teil eines allgemeinen Trends ist, der eine sehr große politische Veränderung im Umgang mit der Landbevölkerung darstellt“, sagte Barnett.
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