China setzt nach Protesten in Lithang tibetische Beamte ab
Im Zusammenhang mit den angeblich separatistischen Protesten in der südwesttibetischen Region Lithang, bei denen die Rückkehr des Dalai Lama gefordert wurde, tauschen die Behörden nun ethnisch tibetische Beamte gegen chinesische aus.
Aus dem betroffenen Gebiet wurde RFA berichtet, daß mehrere tausend Angehörige der Bewaffneten Volkspolizei (PAP) in die Gegend verlegt worden seien. Der amtlichen Zeitung Ganzi Daily News zufolge haben die Behörden eine Reihe von Maßnahmen ergriffen, um die instabile Lage in den Griff zu bekommen. Zu den neuen Mitteln im „Kampf gegen die separatistische Flutwelle" gehören eine dynamischere Beschaffung von Geheimdienstinformationen, die präventive Schlichtung von Streitigkeiten und die Verschärfung der Kritik am Dalai Lama.
Das Blatt schrieb ferner: „Gleichzeitig wird unter Wahrung der Religionsfreiheit der örtlichen nomadischen Bevölkerung eine Reihe von flexiblen Maßnahmen ergriffen..., damit die Kampagne zur Kritik am Dalai Lama den gewünschten Effekt erzielt".
„Sowohl der Vorsitzende der Regionalverwaltung von Lithang als auch der Polizeichef des Kreises waren Tibeter", verlautete von unserem Kontaktmann. „Während der letzten Tage wurde die gesamte tibetische Führung in Lithang durch chinesische Funktionäre ersetzt".
Die betroffenen tibetischen Beamten wurden woanders hin versetzt, wobei unklar ist, ob sie mit gleichwertigen Aufgaben betraut oder degradiert wurden, fügte dieser hinzu.
Dortigen Einwohnern zufolge sind gegenwärtig einige tausend PAP-Milizen in der Region stationiert so viele, daß bereits die Unterkünfte knapp zu werden beginnen. Deshalb wurden die Sicherheitskräfte in einen großen Getreidespeicher einquartiert, welcher extra für sie geräumt werden mußte.
"Zuerst schickten sie zweitausend PAP-Milizen nach Lithang, aber später haben sie die Zahl erhöht... Wir haben auch von anderen Leuten gehört, daß jeden Tag 50 bis 300 weitere Kräfte dazu kommen", verlautete aus unserer Quelle. „Es herrscht eine große Spannung in unserer Gegend, sehr viele Restriktionen wurden uns auferlegt“.
Ein Mitarbeiter des Public Security Bureau (PSB) von Lithang bestätigte, daß der Polizeichef ausgewechselt wurde, nähere Auskünfte verweigerte er jedoch. Anrufe beim Büro der Kreisregierung von Lithang wurden automatisch weitergeleitet an eine Bandansage, die für den Tourismus in der Region warb.
Jemand anderes sagte, der Vorsitzende der Kreisregierung, ein Tibeter mit dem chinesischen Namen Luo Yong Hong, sei seines Postens enthoben und durch einen ethnischen Chinesen ersetzt worden. Ebenfalls sei der Parteichef des Kreises Lithang, ein Tibeter, der unter dem chinesischen Namen Liu Xiao Kang bekannt ist, abgesetzt und durch einen ethnischen Chinesen namens Cai De Gui ersetzt worden. Keiner der genannten Männer konnte zwecks Klärung kontaktiert werden.
Ferner wurde uns berichtet, daß die Behörden jegliche Diskussion über den Fall Rongye Adrak untersagt hätten. "Wer immer über seinen Fall spricht oder etwas zu seiner Unterstützung unternimmt, muß mit Haftstrafen von 3 bis 10 Jahren rechnen, je nach dem Umfang seiner Tat“.
Die tibetischen Nomaden, die in der Stadt Lithang vor Regierungsgebäuden für seine Freilassung protestiert hatten, haben sich Mitte August zurückgezogen, nachdem dortige angesehene Tibeter ihnen klargemacht hatten, daß sie sich schleunigst aus dem Staub machen müßten, weil sonst mehrere tausend PAP-Milizen gegen sie eingesetzt würden.
Ruf nach der Rückkehr des Dalai Lama
Die Protestierenden setzten sich für die Freilassung eines Nomaden ein, der die Rückkehr des im Exil lebenden Oberhaupts der Tibeter, des Dalai Lama, gefordert hatte. Sie hatten drei Forderungen an die Behörden der Provinz Sichuan gestellt: die Freilassung des inhaftierten Nomaden Rongye Adrak, Religionsfreiheit einschließlich des Rechts, Belehrungen des Dalai Lama zu hören, und die Haftentlassung des hochgeachteten tibetischen Mönchs Tenzin Delek Rinpoche und anderer Gewissensgefangener.
Sie zogen sich erst zurück, nachdem tibetische Respektspersonen sie mit zusammengelegten Händen flehentlich darum gebeten hatten, und sie taten es nur unter der Bedingung, daß diese sich für ihre Anliegen einsetzten. Sie gelobten, ihre Proteste wiederaufzunehmen, falls ihre Forderungen nicht erfüllt würden.
Auslöser der Proteste war die Verhaftung des Nomaden Rongye Adrak aus Yonru am 1. August, nachdem dieser die Menge der versammelten Tibeter durch seine Worte mitgerissen hatte, so daß sie lautstark ihre Loyalität zum Dalai Lama kundtaten.
Zusammen mit drei anderen Personen, die RFA als Lotop, Lupoe und Kunchen genannt wurden, befindet sich Rongye Adrak weiterhin in Haft.
Kunchen, ein Lehrer aus der Gemeinde Shagu, wurde am 22. August festgenommen, nachdem die Polizei seine Wohnung durchsucht hatte. Seinen Angehörigen wurde der Grund für die Verhaftung nicht genannt, sie glauben jedoch, der Umstand, daß er während der Proteste eine Videokamera mit sich führte, könnte zu seiner Festnahme geführt haben.
Inzwischen trafen Vertreter der tibetischen Nomadengemeinschaft mit Funktionären der Provinz sowie mit Führungskräften aus der Präfektur Kardze und dem Kreis Lithang zusammen.
Strengere Überwachung
Bei dem Treffen wurden sie in Kenntnis gesetzt, Rongye Adrak habe ein „äußerst schwerwiegendes Verbrechen" begangen, wobei insbesondere sein Ausruf „Lang lebe der Dalai Lama" vor einer mehrere tausend Menschen zählenden Menge als ein ernstes Delikt gewertet wurde.
Üblicherweise veranstalten die Tibeter bei günstigem Wetter zwischen dem 1. und 15. August Pferderennen und andere Festlichkeiten. Adraks Protestaktion fand während eines traditionellen Picknicks im Rahmen dieses Festes statt und fiel genau mit dem Jahrestag der Gründung der Volksbefreiungsarmee (PLA) zusammen. Örtliche chinesische Sicherheitsbeamte bestätigten den Vorfall und sagten, die Lage sei jetzt unter Kontrolle, sie machten jedoch keine weiteren Angaben.
Ganzi Daily News fordert, daß "die Maßnahmen zur Aufrechterhaltung der Stabilität massiv verstärkt werden und zwar bei jedem Konflikt oder Disput. Wir müssen unsere Aufklärungsarbeit fortsetzen und im voraus handeln, um es erst gar nicht zu Kontroversen kommen zu lassen, sondern auftretende Probleme im Keim ersticken, indem wir sie an der Basis ersticken.
Wir müssen unsere Berichterstattung und unser Aufklärungssystem perfektionieren und die Initiative bei der Aufrechterhaltung der Sicherheit übernehmen. Dabei ist potentiellen Disputen über die Verteilung von Ressourcen wie Wasser, Strom, Bergbauprodukten, Tourismus und Land besondere Aufmerksamkeit zu schenken. Effektivere Maßnahmen zum Schutz der Interessen der breiten Masse sind zu ergreifen.
Wir müssen unsere ideologische und organisatorische Arbeit auf unterster Ebene verstärken und dabei auf die Qualität unserer ideologischen und politischen Erziehungsarbeit achten. Ferner müssen wir auf der unteren Ebene der Parteiorganisation Konsultationen aufnehmen, welche der Lösung von Widersprüchen dienlich sein werden. Für diese Tätigkeiten sollten ausschließlich Kader bestimmt werden, die keine ideologischen Probleme bezüglich des Dalai Lama und seiner Separatistenfraktion haben und die fest in der Parteilinie verankert sind.
Wir müssen den Bauern und Nomaden umfassendere ideologische Erziehung bezüglich rechtlicher Fragen zuteil werden lassen und die Anwendung der Gesetze in dem Landkreis stärken. Das Parteikomitee und die Kreisregierung haben aus den Beamten des Kreises 24 Arbeitsgruppen gebildet, die in die entlegenen Gegenden und Dörfer entsandt werden, um dort von Familie zu Familie zu gehen und Propaganda- und Erziehungsarbeit über Recht und Gesetz zu leisten. In diese Aufgabe sind Beamte auf jeder Ebene einzubeziehen... Gleichzeitig müssen die Sicherheitsbehörden unerbittlich gegen jeden vorgehen, den sie im Besitz von Sprengstoff, Schußwaffen oder Gift antreffen.
Das offizielle Beschwerde- und Petitionswesen muß verbessert werden und alle Probleme, die von Bürgern vorgetragen werden, sind gemäß den Gesetzen zu bearbeiten. Das Sicherheitsresonanzsystem unter den führenden Beamten eines Landkreises muß perfektioniert werden, damit, wenn immer es zu Zwistigkeiten kommt, künftig einer von ihnen auf Kreisebene verantwortlich ist".
Routinemäßige Verurteilungen
China verurteilt Tibeter routinemäßig zu jahrelangen Haftstrafen wegen „Spaltung des Mutterlands", des Besitzes von Portraits, Schriften oder Aufnahmen mit Belehrungen des Dalai Lama. Die chinesische Führung hat erklärt, der 1959 nach dem gescheiterten tibetischen Volksaufstand gegen die chinesische Herrschaft geflohene Dalai Lama werden keine Rolle in der Zukunft Tibets spielen.
Vor einem Jahr verwüsteten tibetische Nomaden infolge einer Auseinandersetzung über die Festlegung des Siegers im jährlichen Pferderennen eine Polizeistation in Lithang. Das Pferderennen von Lithang ist ein Großereignis in dieser Region, zu dem in den letzten Jahren bis zu 50.000 Teilnehmer und Zuschauer aus ganz China geströmt sind.
Tibet wurde 1951 von der chinesischen Volksbefreiungsarmee besetzt. Der Dalai Lama wirft Peking „kulturellen Genozid" an der Region und ihrem buddhistischem Erbe vor.
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