26. April 2010
High Peaks Pure Earth, http://www.highpeakspureearth.com

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Erdbeben in Tibet: Führender tibetischer Intellektueller „Shogdung“ in Xining festgenommen

High Peaks Pure Earth übersetzte zwei Blog-Einträge einer Website aus Xining, www.sangdhor.com. Der erste berichtet über die Festnahme des prominenten tibetischen Schriftstellers und Intellektuellen Shogdung (Das ist sein Autorenname: „Morgenmuschelhorn“) am 23. April 2010. Bei dem zweiten handelt sich um einen Offenen Brief an die Opfer des Erdbebens in Kham [Yushu gehört zur traditionellen tibetischen Provinz Kham].

Shogdung heißt mit richtigem Namen Tagyal (tib. bkra rgyal). Er gehörte zum Herausgeberstab des Verlagshauses für nationale Minderheiten in Xining. Er schrieb mehrere Bücher, darunter vor kurzem „Öffnung von Himmel und Erde“ (tib: gnam sa go ‘byed), das von den Ereignissen in Tibet 2008 handelt. 1999 waren in den Qinghai Tibetan News (mtsho sngon bod yig gsar ’gyur) zwei Artikel von Shogdung erschienen, die eine heftige Debatte unter den tibetischen Intellektuellen in Amdo ausgelöst hatte. Shogdung argumentierte, daß die Tibeter ihren Kolonialstatus nur durch eine komplette Modernisierung überwinden könnten. Er trat dafür ein, daß die Tibeter den Weg der Modernisierung einschlagen und sich von Formen des traditionellen Buddhismus trennen sollten, um so zu lernen, wie die gegenwärtige Situation bewältigen könnten. Shogdung wurde auf seine sehr kritische Stellungnahme gegenüber den traditionellen kulturellen Praktiken hin von vielen Tibetern als Überbleibsel der Kulturrevolution betrachtet und der Umstand, daß sein Artikel in einem offiziellen Medium erschien, als gleichbedeutend mit der Ansicht der kommunistischen Partei eingeschätzt.

Der Schriftsteller Shogdung

Aus dem Blog geht hervor, daß Shogdungs Festnahme mit dem Erdbeben in Kham am 14. April zu tun hat. Am 17. April, drei Tage nach dem Erdbeben, schrieb eine Gruppe von bekannten tibetischen Intellektuellen aus Xining, der Provinzhauptstadt von Qinghai, einen offen Beileidsbrief an die Opfer der Katastrophe. Shogdung war einer der Unterzeichner des Offenen Briefes, der in seinem Blog veröffentlicht wurde.

Der Offene Brief ist eine Beileidsbotschaft und übt gleichzeitig Kritik an dem Umgang der chinesischen Regierung mit dem Erdbeben und den Bergungsarbeiten. Andere Unterzeichner des Briefes sind die bekannte tibetische Autorin und Sängerin Jamyang Kyi sowie weitere Mitglieder der Gruppe, die sich „Neue Denkschule“ nennt. Hierbei handelt es sich um eine Gruppe von fortschrittlichen Schriftstellern, die der Vergangenheit und den negativen Aspekten des tibetischen Buddhismus kritisch gegenüber stehen und die Notwendigkeit eines Umdenkens in der tibetischen Gesellschaft betonen.

Hier ist die Übersetzung des ersten Blogs:

Ein kurzer Bericht über die Verhaftung unseres Freundes Shogdung:

Vor wenigen Tagen kamen bei dem schweren Erdbeben in Yushu Tausende von Menschen um und weitere Zehntausende leiden nun große Not. Menschen verschiedener Länder und Sprachen haben sich zusammengetan, um die Tragödie zu betrauern und den Betroffenen sowohl direkt als auch indirekt Hilfe zukommen zu lassen. Ausgerechnet jetzt, wo wir alle um unsere Brüder und Schwestern trauern, wurde zu unserem Entsetzen unser Freund Shogdung von dem nationalen Sicherheitsbüro verhaftet.

Um 17 Uhr am 23. April erschienen fünf oder sechs Polizeioffiziere der Polizeistation von Xining in dem Nationalitäten-Verlagshaus in Xining und zwangen Shogdung, mit ihnen in seine Wohnung zu fahren, wo sie seine Bibliothek und das ganze Haus durchsuchten. Sie machten einige Aufnahmen und führten ihn dann ab. Am Abend um 22.00 Uhr kamen wieder Polizisten in seine Wohnung und beschlagnahmen seine zwei Computer. Und um 3.00 Uhr nachts erschienen sie, wie Shogdungs Frau Lhatso berichtet, wieder in dem Haus, um den Haftbefehl zu übergeben. Sie baten um etwas Bettzeug für den Inhaftierten. Mit diesem Haftbefehl gingen zwei seiner Töchter und andere früh morgens zur dortigen Polizeistation, aber sie konnten Shogdung nicht treffen und wissen nicht, wo er sich befindet.

Drei Tage nach dem Erdbeben wollte er nach Yushu fahren, aber die Erlaubnis dazu wurde ihm verweigert. So blieb er in Xining. Bis zum Tag seiner Festnahme trug er von Xining aus, so gut er konnte, zu der Hilfe für die Opfer bei, er organisierte den Transport und die Versorgung der Verletzten. In solch einem tragischen Augenblick ist seine Verhaftung eine zusätzliche Belastung für seine Familie und Freunde. Wir sollten jedoch in erster Linie an unsere Brüder und Schwestern denken, die in dem Erdbeben umkamen, und um sie trauern. Seit seiner Festnahme riefen Freunde und andere uns ständig an und fragten nach seinem Zustand und zeigten sich überrascht und befremdet über das, was geschehen war.

Wenn wir es uns genau überlegen, sollten wir eigentlich gar nicht überrascht sein. Wurden nicht erst vor einem Monat Kirti Kyab aus dem Bezirk Zoege und andere Lehrer verhaftet und sind noch nicht frei? Wurden nicht danach auch Therang (Tashi Rabten) und Shokjang (Druklo) von der Nord-West-Nationalitäten-Universität festgenommen? Wer weiß, was uns noch alles bevorsteht? Wir machen uns große Sorge, wie sich das alles in Zukunft entwickeln wird.

Hier das zweite Blog:

An die Bewohner der von dem Erdbeben heimgesuchten Gegend sowie an all diejenigen, die in Sorge um die Katastrophenopfer sind:

Früh morgens am 14. April 2010 um 7.49 Uhr Ortszeit erschütterte ein Erdbeben der Stärke 7,1 den Bezirk Kham-Yushu. Den Medien zufolge wurden 10.000 Menschen verletzt, aber wenn man genauer hinschaut, könnte die tatsächliche Zahl der Opfer weit höher liegen. Das Erdbeben war auch in den Bezirken Pelyul, Derge und Dzachuka der benachbarten Präfektur Kardze zu spüren.

In der Tat werden wir friedliebenden Menschen, die wir uns in einer untergeordneten Position befinden [Tibeter], nicht nur von einer großen Staatsmacht mit einem gewaltigen Militärapparat brutal unterdrückt, nun hat uns auch noch eine Naturkatastrophe getroffen. Nur indem wir uns dazu zwingen durchzuhalten, können wir überleben. Wir sollten der Lehren unserer Vorfahren gedenken, daß Helden selbst im bitteren Schmerz keine Tränen vergießen und aufstehen müssen. Wir sollten uns an die Lehren unserer Vorfahren erinnern, daß alles vergänglich ist, wir sollten die Tränen abwischen, die über unsere Wangen liefen. Wir müssen uns die Regel ins Gedächtnis rufen, daß die Mitglieder einer Familie weiterleben müssen, auch wenn die Toten nicht mehr zurückkehren.

Gleichgültig wie tief der Sturz ist, wir sind von einem Fleisch und Blut, wir sind zusammengewachsen und können nicht auseinandergerissen werden. Noch kann uns unser Nationalcharakter genommen werden. Deshalb drücken wir Schriftsteller, die wir in Xining, Qinghai, wohnen, unser Beileid und Mitgefühl mit den Brüdern und Schwestern in Yushu aus, die von der Katastrophe ereilt wurden. Wir gedenken der Toten mit Anteilnahme und sammeln Gelder und bemühen uns, die betroffene Gegend so bald wie möglich selbst zu besuchen.

Da man den Nachrichten aus dem Sprachrohr der Partei keinen Glauben schenken kann, wagen wir es, nicht auf die Partei und ihre Organisationen zu vertrauen. Diese ordneten aus politischen Gründen an, daß vorerst keine Leute von auswärts mehr in das Katastrophengebiet reisen dürfen. Daher senden wir in tiefer Sorge um Euch und eingedenk Eures Leids aus dem fernen Xining Euch diesen Brief, denn sonst können wir nichts tun. Aber er kommt von Herzen und ist aufrichtig gemeint!

Abschließend wollen wir noch folgendes betonen: Wir hoffen, alle Gelehrten und Kader werden mit den von dem Unglück betroffenen Menschen mitfühlen, und Nahrungsmittel, Kleidung und Medikamente hinbringen lassen. Schickt eure Spenden jedoch nicht an die Konten gewisser Organisationen oder Gruppen, als würdet ihr Steuern entrichten. Der beste Weg wäre, jemandem, dem man voll vertraut, seine Spenden zu übergeben und diese Person hinzuschicken. Denn wer könnte garantieren, daß es keine Korruption gibt oder die Unsitte, das was für andere gedacht ist, sich selbst anzueignen?

Euren Schmerz mittragend, von den Bürgern von Xining in all ihrer Ohnmacht:

Jamyang Kyi (bekannte Sängerin, Autorin)
Tagyal (bekannter tibetischer Gelehrter, Initiator der Neuen Gedankenschule)
Lhamo Kyab (bekannter zweisprachiger Gelehrter, einer der Vordenker der Neuen Gedankenschule)
Tabo (Universitätsprofessor, einer der führenden Köpfe der Neuen Gedankenschule)
Sangdhor (bekannter junger tibetischer Gelehrter und Mitglied der Neuen Gedankenschule)
Sangay Dhondup (bekannter junger tibetischer Gelehrter)
Menlha Kyab (bekannter Künstler)
Mayche (bekannter junger Gelehrter)