Xinjiang: Düsteres Echo der Vorgehensweise Pekings in Tibet 2008
Nur Stunden nach den blutigen Zusammenstößen am Wochenende in Urumqi und noch ehe die Behörden die erschreckende Zahl der Todesopfer bekanntgaben, erklärte Peking unmißverständlich, wer die wahren Schuldigen an den Unruhen in der Hauptstadt der im Nordwesten gelegenen Region Xinjiang seien.
Xinhua, die offizielle chinesische Nachrichtenagentur, machte für das, was sie als „vorsätzliche und organisierte Gewalttätigkeit“ bezeichnete, im Exil lebende führende Vertreter der Uighuren, der vorwiegend moslemischen Volksgruppe in der Region, verantwortlich.
Xinhua pickte sich Rebiya Kadeer, eine uighurische Geschäftsfrau, als die hinter allem steckende Person heraus. Wegen angeblicher separatistischer Aktivitäten kam sie 1999 ins Gefängnis, sechs Jahre später wurde sie in die USA ins Exil verbannt.
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Rebiya Kadeer am 6. Juli in Washington
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Die Brandmarkung der gewalttätigen Ausschreitungen als vom Ausland aus angezettelte mit dem Ziel der Abtrennung der Region von China und der Bildung eines unabhängigen Staates erinnert in düsterer Weise daran, wie Peking sich angesichts der Unruhen in Tibet vor einem Jahr verhielt.
„Wenn sie dem Tibet-Muster folgen, werden die chinesischen Medien vorerst nur Zahlen von den angeblich von den Demonstranten Getöteten veröffentlichen“, meinte Robert Barnett, ein Lehrbeauftragter für Tibet an der Columbia University in New York. „Wir sehen hier wieder dieselbe Methode für den Umgang mit den Nachrichten am Werk, d.h. das ist der Versuch, ausländischen Presseberichten zuvorzukommen, indem eiligst Nachrichten herausgegeben werden, die den Regierungskritikern den Wind aus den Segeln nehmen sollen, insbesondere Bilder von Gewalttaten der Protestierenden und vermeintliche Anhaltspunkte für ausländische Kontakte“.
Zum Beweis seiner technischen Schlagkraft blockierte Peking am Montag den Internetzugang in Urumqi und reduzierte drastisch die Mobilfunk-Kommunikation, um den Informationsfluß aus der Region in die große weite Welt einzuschränken.
Xinjiang hat wie Tibet eine Bevölkerung, die sich ethnisch von der chinesischen Han-Mehrheit Chinas unterscheidet. In beiden Regionen klagen die Einheimischen über die strenge Kontrolle ihrer Religionsausübung und die wachsende han-chinesische Dominanz in der Wirtschaft.
Die Anschuldigung aus Peking, die Gewalt sei von Leuten im Ausland verursacht worden sei, die nach der Unabhängigkeit streben, dient dem Kurzzeiteffekt, jegliche Diskussion in China über die möglicherweise den Ausschreitungen zugrundeliegenden Mißstände in der Region zu verhindern.
„Es geht alleine um die Aufrechterhaltung der Macht, und alles wird entsprechend formuliert“, sagte Nicholas Bequelin von Human Rights Watch in Hongkong. „Es darf keine abweichende Stimme geben, denn alles wird als Teil einer Verschwörung gesehen“.
Die Menschen, die am Sonntag in Urumqi auf die Straße gingen, demonstrierten gegen den Tod von zwei Uighuren bei Zusammenstößen mit Han-Chinesen in einer Fabrik in der Provinz Guangdong bei Hongkong Ende Juni.
Die Uighuren hegen schon seit langem Groll gegen die herrschende kommunistische Partei, die Familien daran hindert in den Moscheen gemeinsam ihre Religion zu praktizieren, ihre Kultur erstickt und sicherstellt, daß die Gewinne aus dem wirtschaftlichen Aufschwung zuerst in die Taschen der Han-Chinesen fließen.
Xinjiang ist eine strategisch und wirtschaftlich wichtige Region für China, sie ist reich an Bodenschätzen und verfügt über fruchtbares und ausgedehntes Ackerland. Außerdem führt eine stets wachsende Zahl von Erdgas- und Erdöl-Pipelines aus Zentralasien durch die Region.
Alleine im vergangenen Jahr erlebte Xinjiang den staatlichen Medienberichten zufolge einen Zustrom von 1,2 Mio. Arbeitern aus anderen Teilen Chinas, die hauptsächlich in der boomenden Erdöl- und Ressourcen-Industrie der Region beschäftigt sind. Von der Bevölkerungszahl Xinjiangs von 20 Mio. sind 8,3 Mio. Uighuren.
Die Neugestaltung alter Städte und der Zustrom reicher Han-Chinesen hat die lokale Wirtschaftsstruktur radikal verändert, sie warf viele Uighuren aus ihren traditionellen Jobs und zwang sie auf der Suche nach Arbeit, nach Urumqi und anderen Provinzen auszuwandern.
Gleichzeitig verzeichnete die Wirtschaft in Xinjiang nun schon das sechste Jahr einen jährlichen Zuwachs von mehr als 11%, was sogar noch über dem nationalen Durchschnitt liegt. Der von dieser kurzen Wachstumsperiode generierte Reichtum häufte sich in den Taschen der neuen Immigranten und vermehrte somit die Kluft zwischen Reich und Arm, zwischen Han und Uighuren, wie die Einheimischen klagen.
Adi, ein Uighure, der in der Tourismus-Branche in Kashgar, der letzten Bastion Chinas in Xinjiang vor der Grenze nach Pakistan, beschäftigt ist, sagte, drei seiner Geschwister seien in den vergangenen fünf Jahren auf Suche nach Beschäftigung nach Ostchina weggezogen.
„Die Familie lebte von dem Kleinhandel meines Vaters, aber er mußte sein Geschäft schließen, weil es jetzt lauter viel größere und neue Läden gibt“, sagte Adi, der seinen vollen Namen nicht nennen möchte, am Montag.
Hinter der Szene werden die chinesischen Behörden sich Gedanken machen, wie die Straßendemonstrationen in Urumqi zu blutigen und mörderischen Zusammenstößen ausarten konnten.
China hat eine große Anzahl von unterschiedlichen Sicherheitskräften in Urumqi und in Xinjiang stationiert, wozu Einheiten der Volksbefreiungsarmee, der paramilitärischen Truppen der Bewaffneten Volkspolizei sowie die gewöhnliche Polizei und Spezialeinheiten zur Aufruhrbekämpfung gehören. Ungeachtet seines brutalen Images hatte China allerdings sogar versucht, seine Sicherheitskräfte zu professionalisieren und den Einsatz von Gewalt bei der Bekämpfung von Unruhen einzudämmen…
In einer Erklärung vom Montag verurteilte die Präsidentin des Weltkongresses der Uighuren, Frau Kadeer, das gewaltsame Vorgehen der Sicherheitskräfte gegen die Protestierenden und wies die Behauptung Chinas, die Unruhen seien vom Ausland aus angezettelt worden, als lächerlich zurück.
„Die chinesischen Regierung sollte zugeben, daß die friedlichen Proteste durch die rechtswidrigen Angriffe des chinesischen Mobs und die Ermordung von uighurischen Arbeitern in einer Spielzeugfabrik in Guangdong vor über zwei Wochen ausgelöst wurden“, erklärte der Weltkongreß der Uighuren.
„Die Behörden sollten ebenso einräumen, daß der eigentliche Grund, warum die Leute auf die Straße gingen und protestierten, der war, daß erstere keine Anstalten gemacht haben, den chinesischen Mob für den brutalen Mord an den Uighuren zur Rechenschaft zu ziehen.“
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