24. Oktober 2008
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The National, von Paul Mooney, Auslandskorrespondent

China hat in allen Provinzen die Tibeter weiterhin fest im Griff

Beijing: Im September zeichnete ein 42jähriger Mönch ein Video auf, in dem er mit ruhiger Stimme die quälenden Geschichten von den Mißhandlungen buddhistischer Mönche erzählte, die in die Hände der chinesischen Polizei oder der Soldaten geraten waren. Er stellte den Film bei YouTube ein, gab Associated Press und Voice of America Interviews und mußte anschließend untertauchen*.

Der Film erinnert uns daran, daß die Tibeter auch heute, sieben Monate nach Ausbruch der Unruhen in Lhasa, immer noch unter schwersten Repressionen leben müssen. Keine Rede davon, daß sich die Situation in Tibet nach dem Ende der Olympischen Spiele entspannt hätte, wie man vielerorts hoffte, im Gegenteil, Kenner der tibetischen Situation meinten kürzlich, die Umstände verschlechterten sich sogar noch.

Die Bedingungen sind einfach unvorstellbar. Überall entlang den Straßen, die durch die traditionellen tibetischen Gebiete führen, gibt es zahllose Polizeisperren, an denen die Fahrzeuge angehalten und ihre tibetischen Insassen von Kopf bis Fuß gemustert und durchsucht werden. Allein die Straße von Xining nach Lhasa, normalerweise eine Fahrt von etwa drei Tagen, wird von nicht weniger als 18 Checkpoints unterbrochen. Die Straßen in Orten wie Lhasa, der Hauptstadt Tibets, sind voller bewaffneter Polizei und Militär: Einige von ihnen sind nun in Zivil und verbergen ihre Waffen in Stofftaschen, seitdem die ausländischen Touristen nach Tibet zurückzukehren begannen.

Woeser, eine tibetische Schriftstellerin und Kommentatorin der Situation in Tibet, die Lhasa im August dieses Jahres besuchte, berichtet von bewaffneten Militäreinheiten, die überall die Straßen patrouillieren und die Kreuzungen 24 Stunden am Tag bewachen. Sie berichtet von mit Gewehren und Keulen bewaffneten Polizisten, die an jeder Busstation in der Stadt zu sehen sind und in jeden ankommenden Bus springen, um die tibetischen Fahrgäste zu durchsuchen.

Um im Hinblick auf die Olympischen Spiele jegliches unerwünschte Ereignis zu verhindern, verboten die Behörden die Abhaltung der traditionellen religiösen Feste in Tibet, ja sogar des alljährlich im Sommer stattfindenden Pferderennens.

Im Ausland lebende Tibeter bekamen kein Visum, um ihrer Heimat einen Besuch abzustatten, und die paar, die einen chinesischen Paß besitzen und deshalb einreisen durften, erzählen, daß ihr Gepäck an Flughäfen durchsucht, Leibesvisiten vorgenommen und ihnen in den Hotels Zimmer verweigert wurden.

Laut einer im Juli veröffentlichten Verordnung wurden alle tibetischen Regierungsangestellten und KP-Mitglieder, deren Kinder in Indien auf Schulen der tibetischen Exil-Regierung gehen, angewiesen, sie aus diesen Schulen zurückzuholen. Die Eltern stehen vor einer schwierigen Entscheidung. Diejenigen, die der Aufforderung nicht Folge leisten, verlieren ihren Job und werden aus der Partei ausgeschlossen, doch wenn sie ihre Kinder aus Indien zurückkehren lassen, werden diese in den Augen der Regierung immer verdächtige Elemente sein, die in Gefahr stehen, beim geringsten Anlaß bestraft zu werden. Den Eltern wurde eine zweimonatige Frist gesetzt.

Die schlimmsten Bedingungen herrschen in den tibetischen Klöstern. Jamyang Norbu**, ein renommierter in den USA lebender tibetischer Schriftsteller, sagte, die Chinesen betrachteten die Klöster "als die Brutstätte allen Übels". In den Klöstern wurde Sicherheitspersonal stationiert, damit die Mönche keinen Augenblick unbeaufsichtigt bleiben. In den letzten Monaten wurden überall in der Nähe oder innerhalb dieser Klöster Polizeistationen etabliert. Zahlreiche Mönche sahen sich gezwungen, ihre Klöster zu verlassen, viele von ihnen wurden brutal geschlagen und viele andere inhaftiert. Etliche sind aus lauter Furcht einfach weggerannt. Im Ergebnis sind nun einige Klöster wie ausgestorben.

Woeser schrieb, die Situation sei dermaßen ernst, daß sich in den letzten Monaten nicht weniger als acht Mönche das Leben genommen hätten – der Älteste von ihnen war schon über 70 Jahre alt.

Etwa 1000 Mönche wurden als Folge der Proteste verhaftet, und diejenigen, die wieder freigelassen wurden, erzählen grausige Geschichten von brutaler Mißhandlung und Folter, die sie in der Haft erlitten. Etwa 675 Mönche wurden im Juli wieder freigelassen. Der Verbleib von über 300 Mönchen bleibt jedoch weiter unbekannt.

Seit 1996 führt die chinesische Regierung in den Klöstern Tibets die "Patriotische Umerziehungs-Kampagne“ durch. Diese Maßnahme wurde nun auch auf die Verwaltung, Schulen und sogar Fabriken ausgeweitet. "Es gibt sie überall, und die Leute sind tief verbittert darüber", sagte Tenzin Loesel, Korrespondent der International Campaign for Tibet in Dharamsala.

"Je mehr die Menschen unterdrückt werden, desto größer wird ihr Widerstand." Die „Patriotische Erziehung“ habe hauptsächlich zwei Aspekte, meinte Woeser. "Sie wollen, daß alle Menschen anerkennen, daß Tibet schon immer ein Teil Chinas gewesen ist, aber das ist nicht das größte Problem. Es ist, daß sie von den Tibetern verlangen, Seine Heiligkeit den Dalai Lama zu diffamieren und sich von ihm loszusagen. Das ist schlicht unmöglich für sie."

Ein westlicher Tibet-Experte sagte, die derzeitigen sehr heftigen Angriffe der chinesischen Regierung auf den Dalai Lama seien eine ihrer provokativsten politischen Maßnahmen seit Jahren in Tibet, die "einen jeden zutiefst verletzen." Die Proteste im April und Mai seien ein unmittelbares Resultat der "Patriotischen Erziehung“.

Regierungsangestellten, Parteimitgliedern und Studenten ist es verboten, sich an irgendeiner Form von religiöser Aktivität zu beteiligen. Jamyang Norbu berichtete, die Behörden führten Hausdurchsuchungen durch, bei denen sie nach den allerkleinsten Anzeichen für religiösen Glauben suchten. Sie fahnden nach allem: von religiösen Symbolen bis zu Fotos Seiner Heiligkeit des Dalai Lama. „Die Kommunistische Partei erlaubt Religionsfreiheit nicht einmal im privaten Bereich", sagte er. "Sie hat Angst, daß die Situation eskalieren könnte."

"Die Religion ist völlig aus dem Leben der Menschen verbannt worden", fuhr der westliche Experte fort. Er meint, daß die staatliche Einmischung in das religiöse Leben der Tibeter noch schlimmer werden wird. "Die Regierung lügt, wenn sie behauptet, daß es in Tibet Religionsfreiheit gibt." Die staatliche Kampagne hat eine Atmosphäre der Furcht hervorgerufen, wie man sie noch nie erlebte.

Woeser berichtete, daß die offizielle Website eines Bezirks in Tibet lobend hervorhob, daß 1800 Überwachungskameras installiert wurden, was einen fröstelnd an George Orwells „1984“ erinnert. "Das, was den Menschen am meisten Angst bereitet, ist, daß sie nicht wissen, wo sich diese Kameras genau befinden", fuhr sie fort. "Deshalb fürchten sie sich, überhaupt irgend etwas zu tun oder zu sagen."

Die gewöhnlichen Leute haben sogar Angst davor, in ihren eigenen Häusern Dinge zu tun oder zu sagen: "Sie verstehen so wenig von Technik und glauben, daß man mit diesen Abhörgeräten Wände durchdringen könne."

Beobachter schätzen, daß das Leben der Tibeter noch mindestens ein weiteres Jahr von Furcht und Schrecken geprägt sein wird. Nächstes Jahr ist nämlich der 50. Jahrestag der Flucht des Dalai Lama aus Tibet, und den Tibetkennern zufolge ist es daher unwahrscheinlich, daß eine ohnehin schon nervöse chinesische Regierung den Würgegriff, in dem sie Tibet hält, in naher Zukunft lockern würde.

* Wie von TCHRD am 3. November berichtet, wurde er inzwischen von 50 paramilitärischen Kräften festgenommen, sein weiteres Schicksal ist unbekannt. Siehe: http://www.igfm-muenchen.de/tibet/TCHRD/2008/JigmeGyatso_Labrang_verhaftet.html

** siehe Website von Jamyang Norbu