13. Oktober 2008

Phayul

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Tibetische Version des Briefes

Brief eines Studenten aus Tibet an die Menschen in aller Welt

Der folgende Brief wurde von einem Studenten aus der Region Amdo unter dem Pseudonym Rolang oder Zor verfaßt; abschließend drückt der Autor seine Hoffnung aus, daß er ins Englische übersetzt werde und bei internationalen Organisationen, den Vereinten Nationen und Tibet-Freunden auf der ganzen Welt Verbreitung finde.

1. Wir Tibeter sind ein friedliebendes Volk und trotz der massiven Unterdrückung durch die chinesische Regierung werden wir es auch bleiben, und es wird niemals anders sein.

Wie die ganze Welt weiß, kam es am 14. März 2008 in Lhasa, dem Herzen des Schneelandes, zu einem friedlichen Aufstand der Tibeter, den die chinesische Regierung, wobei sie sich über die Tatsachen hinwegsetzte, der Welt als Ausbruch von „Gewalttätigkeit, mutwilliger Zerstörung, Plünderei und Brandstiftung in chinesischem Eigentum“ präsentierte. Um die gegen sie erhobenen Vorwürfe so weit wie möglich zu entkräften, behauptete die chinesische Regierung, die Unruhen seien von der Organisation der „Dalai Clique“ inszeniert worden, deren Absicht es sei, das Mutterland zu spalten. Als tibetischer Student, der sich den erhabenen Zielen von Freiheit, Gerechtigkeit, Gleichheit und Wahrheit für sein Volk verschrieben hat, der nicht mehr mit ansehen kann, wie das tibetische Volk bis zum Äußersten von der chinesischen Regierung drangsaliert wird, und der ihre Gewohnheit, die Wahrheit durch die Lüge zu ersetzen, ausdrücklich bloßstellen will, möchte ich hiermit, ausgehend von meinen eigenen Wahrnehmungen und Erlebnissen, der Welt eine Erklärung darüber geben, wie sich die Ereignisse in Wahrheit abgespielt haben.

2. Im Anschluß an die Volkserhebung in Lhasa am 14. März 2008 breiteten sich ähnliche Ereignisse in Windeseile wie ein Waldbrand über das ganze tibetische Plateau aus. Es war der Aufschrei eines seit über 50 Jahren geknechteten und unterdrückten Volkes, der Wunsch nach Freiheit und Demokratie, und dennoch präsentierte die chinesische Regierung ihn als einen bösartigen Akt des „Separatismus“ und „Terrorismus“, und nutzte die Gelegenheit, das tibetische Volk mit furchtbaren Repressalien zu überziehen und ein wahres Massaker an unserem Volk zu begehen. Das chinesische staatliche Fernsehen zeigte „Separatisten“, die auf unschuldige Chinesen einschlugen und sie ausplünderten und Geschäfte, Fahrzeuge und öffentliche Gebäude in Brand setzten. Es zeigte aber nicht, wie chinesische Sicherheitskräfte die Tibeter übel zurichteten, wahllos in die Menschenmenge schossen, und unschuldige Bürger verhafteten, gleichgültig, ob diese an den Demonstrationen beteiligt gewesen waren oder nicht, um sie dann mit ihren Waffen zu terrorisieren.

Für viele Tibeter, die sich zu der Zeit in Lhasa aufhielten, ist es kein Geheimnis, daß diese Exzesse der „Gewalttätigkeit, der mutwilligen Zerstörung, der Plünderei und Brandstiftung“ von Mitgliedern der Volksbefreiungsarmee inszeniert worden sind, und es gibt Leute, die das mit eigenen Augen gesehen haben. Man könnte glauben, daß ich so etwas aus blinder Loyalität zu meinem Volk schreibe, doch ist dies tatsächlich so passiert. Kaum war es in Lhasa am 14. März zu Problemen gekommen, befahlen die Behörden zehn Soldaten sich als Mönche zu verkleiden und die Bevölkerung zur „Gewalttätigkeit, mutwilligem Zerstörung, zur Plünderei und Brandstiftung“ aufzuhetzen (Einwohner aus Lhasa sagen sogar, es seien 30 Soldaten gewesen, die als Mönche verkleidet waren, und Bilder von ihnen kann man noch immer im Internet sehen. Es habe sich dabei hauptsächlich um chinesische Angehörige der Streitkräfte gehandelt, einige Hui Moslems seien auch darunter gewesen. Man mag eine solche Behauptung als unsinnig ansehen, doch diejenigen, die zu den Taten aufhetzten, waren unbestreitbar Chinesen).

Für die chinesische Regierung war es ein ausgezeichnetes Ablenkungsmanöver und es verschaffte ihr die Gelegenheit, der Außenwelt die Ereignisse so zu präsentieren, wie es ihr zum Vorteil gereichte. Ein Kamerad aus meiner Heimatregion, ein Mönch, der zu jener Zeit in Lhasa war, sagte: „Vor den Krawallen am 14. März demonstrierten und marschierten die Menschen friedlich, sie plünderten nicht und zerstörten kein Eigentum. Und die Soldaten, die natürlich bewaffnet waren, sahen aus einer gewissen Entfernung zu, aber griffen die Leute nicht an. Aber gegen 9 Uhr kam eine Gruppe von etwa zehn oder mehr Mönchen und einigen Laien von wer weiß woher und begann damit, vor dem Jokhang Gegenstände zu zerstören. Dann versammelten sich andere Leute um sie und es kam zu den bekannten Vorfällen. Das Außergewöhnliche daran ist, daß zu jener Zeit keine bewaffneten Sicherheitskräfte zu sehen waren, und diejenigen, die nach einiger Zeit kamen, nur Videokameras in Händen hielten, mit denen sie alles filmten. Von 9 bis 12 Uhr ließ uns die Regierung tun, was immer wir wollten. Dann jedoch wurden wir von Soldaten umringt und zwei junge Leute aus Lhasa, etwa 20 Jahre alt, wurden erschossen. Ich befand mich vor dem Ramoche Tempel und sah, wie eine alte Frau von den Soldaten zu Tode geprügelt wurde. Sie erschossen auch ein älteres Ehepaar, einen Mann und eine Frau, die dort Fleisch verkauften. So viel zu der Behauptung, daß keine Tibeter geschlagen und verhaftet worden seien.“

Die tibetische Öffentlichkeit ahnte natürlich nichts von dieser geheimen Strategie der Regierung und ließ sich leicht täuschen. Als Reaktion darauf, daß so viele gewöhnliche Menschen zusammengeschlagen und getötet worden waren, erhoben sich die Mönche der Klöster Drepung, Sera und Ganden, eines nach dem anderen, zu einem gemeinsamen großen Protest. Etwa 500 oder 600 Mönche wurden verhaftet und bestialisch geschlagen. (Mönche des Klosters Drepung wie Tsultrim Tendzin und Gepel [aus der Heimatregion des Briefschreibers] und 500 oder 600 Mönche der Klöster Sera und Ganden wurden festgenommen, und wir haben gehört, daß sich die meisten immer noch im Gewahrsam des Volksgerichts von Xining [Provinz Qinghai] befinden.)

3. Die Menschen in Kham und in Tso-ngön (Provinz Qinghai), denen die verabscheuungswürdigen Täuschungsmanöver und grausamen Strategien der chinesischen Regierung bekannt waren, veranstalteten “Friedensmärsche”, um ihrer tiefempfundenen Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie Ausdruck zu verleihen, aber sogar dann noch wurden sie von der chinesischen Regierung als “Separatisten” und “Terroristen” hingestellt. Viele meiner tibetischen Brüder und Schwestern wurden bestialisch geschlagen und befinden sich noch heute in Haft (In der Region Kardze in Kham wurden die Nonnen von den chinesischen Soldaten so grausam geschlagen, daß etliche ihr kostbares Leben, verloren). Viele Tibeter, Kinder, Alte, junge Leute, Frauen, an denen die Soldaten im Gefängnis ihre Mordlust und ihren Sadismus ausließen, gaben ihr Leben dahin für die Freiheit unseres Volkes und um der zukünftigen Generationen willen. Ein Tibeter berichtet über seine Zeit im Gefängnis: “Die Methoden, mit denen die chinesische Regierung unser Volk unterdrückt, sind unsagbar grausam. Doch was den Tibetern in den finsteren Gefängniszellen angetan wird, ist noch viel schlimmer. Als ich im Gefängnis war, sah ich, wie Soldaten die Tibeter schlugen und ermordeten; manche benutzten sie als Übungsobjekte für ihren Kampfsport; einige erstachen sie; andere pißten auf sie; wieder andere traten ihnen ins Gesicht und brachten sie dann um, viele wurden einfach erschossen.”

Das ist es, was man immer wieder von jenen zu hören bekommt, die sich in Haft befanden und mittlerweile wieder freigelassen wurden: die eindrucksvolle Schilderung von grausamer Unterdrückung und bestialischer Mißhandlung.

Am 16. März 2008 organisierten die tibetischen Bewohner, sowohl Mönche als auch Laien, an verschiedenen Orten der Provinz Qinghai, etwa in Rebkong und Chentsa, “Friedensmärsche” und andere Aktivitäten, mit denen sie sich aber durchweg im Rahmen des Gesetzes bewegten. Die chinesische Regierung setzte diesen jedoch sogleich ein Ende. Heißt es aber nicht in der chinesischen Verfassung, daß die Gewalt in der Volksrepublik China (VRC) beim Volke liege und das Volk die Gewalt auszuüben habe?

Es besteht kein Zweifel, daß es sich bei dem jüngsten Volksaufstand um friedliche Protestaktionen handelte, durch die das tibetische Volk seiner Sehnsucht nach Freiheit, Demokratie und Achtung der Menschenrechte sowohl mit Worten als auch mit Taten Ausdruck verlieh und gegen eine korrupte Regierung protestierte, die diese Werte mit Füßen tritt und der Gerechtigkeit den Rücken gekehrt hat.

Aus Empörung über eine Regierung, die aus Weiß Schwarz macht und die Wahrheit in Lügen verkehrt, erhoben sich die Bewohner von Ngaba am 16. März 2008. Obgleich diese Menschen ihre Parolen “friedlich und im Namen des Dalai Lama” riefen, behauptete die Regierung, daß dies nichts anderes als ein Ausbruch von „Gewalttätigkeit, mutwilliger Zerstörung, Plünderei und Brandstiftung”, ein “Aufstand gegen die Partei” und “gegen das Gesetz der Volksrepublik China (VRC)” sei und schickte die Bewaffnete Volkspolizei gegen die Demonstranten los. Mehr als 20 Menschen verloren dabei ihr Leben. Unter den Opfern befanden sich die Schülerin Lhundrup Kyi, die auf ihrem Weg zur Schule erschossen wurde, Tashi, der sich selbst das Leben nahm und so fort, alles in allem 20 junge Männer und Frauen. Viele Einwohner von Ngaba wurden von der Bewaffneten Volkspolizei unmenschlich geschlagen; wieder andere wurden bei der Schießerei verletzt und verstarben später, weil die Krankenhäuser sich weigerten, ihre Wunden zu behandeln. Die chinesische Regierung erklärte der Welt, sie “gehe mit der Situation in Tibet behutsam um”, doch dieser “behutsame Umgang” bedeutete für uns Schläge, Mord und Haft. Die chinesische Regierung ging sogar soweit, diejenigen die den größten Respekt für die menschlichen Werte der Freiheit, der Demokratie, des Friedens und der Gleichheit haben, zu täuschen und das Festhalten an der Wahrheit als verwerflich hinzustellen und diejenigen, die es dennoch taten, anzugreifen.

Menschen so lange zu schlagen, bis sie tot sind, ist etwas, wovon man im 21. Jahrhundert nicht einmal mehr hören sollte. Es erinnert an die Ära der “Demokratischen Reformen” [dem kommunistischen Terror Ende der 50er Jahre]; doch sind die Tibeter in Tibet heutzutage nicht nur exakt den gleichen Unterdrückungs- und Ausbeutungsmechanismen und Mißhandlungen ausgesetzt wie während der „Demokratischen Reformen“, sie haben auch genau dieselbe Art von Schlägen und entsetzlichen Folterungen zu erleiden, wie man sie aus der Zeit der Kulturrevolution kennt. So also ist es um die “brüderliche Liebe zu den tibetischen Massen” und die “große Sorge“ um sie bestellt, von denen die Partei so gerne spricht.

In dem Artikel “Welche Rechte haben wir wirklich?” heißt es: “Ein Mann in den 40ern, der zu dem Shikalo Hauswesen in Charo Xiang in Ngaba gehörte, wurde unter falschen Beschuldigungen derart brutal zusammengeschlagen, daß er starb. Zwei Mönche des Klosters Kirti, Tösam und Jinpa, setzten im Gefängnis ihrem Leben lieber selbst ein Ende, als noch länger der Brutalität der Sicherheitskräfte ausgesetzt zu sein. Wir hörten, sie hätten Abschiedsbriefe hinterlassen, doch weit davon entfernt, daß diese Dokumente ihren Familien und Freunden übergeben worden wären, bekamen sie noch nicht einmal ihre Leichen zu sehen.

4. In ähnlicher Weise gab es große friedliche Protestmärsche, bei denen die Leute nach Freiheit für Tibet riefen, in der Präfektur Golok, in Taktsang Lhamo und Thangkor in Ngaba, in Achi, Jam-mé, Chungchu, Zungchu, Dzamtang, Kardze, Labrang, Amchok, Tsoe und so fort. Doch die chinesische Regierung stellte alle als Akte von “Gewalttätigkeit, mutwilliger Zerstörung, Plünderei und Brandstiftung” hin, und beantwortete sie mit Angriffen auf das tibetische Volk und falschen Beschuldigungen. An einem einzigen Tag wurden 19 Mönche aus Taktsang Lhamo, unter ihnen der 16jährige Soepa, verhaftet, die Klosterschule wurde geschlossen und sämtliche religiösen Aktivitäten eingestellt. Drei Mönche des Klosters Jam-mé in Dzoegé, über 60 Mönche und Laien aus Thangkor und alle Mönche und Dorfbewohner des Dorfes Achi wurden verhaftet. Im Bezirk Chungchu wurden etwa 20 Studenten und 30 Mönche und Laien verhaftet, während in Ngaba 20 Personen getötet und ein großer Teil der Bevölkerung festgenommen wurde. Diese Zahlen wurden von Augenzeugen genannt, doch es hat vermutlich viel mehr Vorfälle gegeben, über die nichts bekannt geworden ist.

An Orten wie Labrang, Amchok und Tsoe schoß die Polizei mit Tränengas in die friedlich demonstrierende Menschenmenge und bedrohte sie mit ihren Waffen.

Als die Repressionen und die Übergriffe gegenüber dem tibetischen Volk jeden Tag schlimmer wurden, organisierten die Studenten des Northwest Nationalities Institute, die nicht mehr zuschauen konnten, wie die chinesische Regierung die Wahrheit in Lügen ummünzte und unschuldige Tibeter verhaftete, schlug und tötete, eine friedliche Demonstration unter dem Motto “Solidarität mit dem tibetischen Volk, für Demokratie und die Achtung vor dem Leben!” – Zum Zeichen der Trauer um ihre Landsleute, die niedergemetzelt, schlicht erschlagen oder erschossen wurden, und um der Sache unseres Volkes willen. Sie traten für eineinhalb Tage in einen Hungerstreik. Zur selben Zeit veranstalteten auch die Studenten der Central Nationalities University einen 4stündigen Hungerstreik, bei dem sie um die Tibeter trauerten, die um der Sache der Freiheit und Demokratie willen getötet wurden. Ähnliche Hungerstreiks organisierten auch die Studenten des Ausbildungsinstitutes für Lehrer in der Provinz Qinghai, der Southwest Nationalities University und des Ausbildungsinstituts für Lehrer in Barkham.

Diese Proteste der Studenten, die im Einklang mit dem geltenden Recht standen, richteten sich gegen eine Regierung, die die Rechte und Interessen ihrer nationalen Minderheiten mit Füßen tritt. Doch wieder setzte der Staat sie Ausbrüchen von „Gewalttätigkeit, mutwilliger Zerstörung, Plünderei und Brandstiftung“ gleich. Die Staatsmacht fiel über die Studenten her und viele wurden verhaftet. Es wurden Studenten des Ausbildungsinstitutes für Lehrer in der Provinz Qinghai und 14 Studenten aller Klassen des Barkham Institutes festgenommen. Unter ihnen befanden sich Konchok und Losang aus Ngaba; Rinchen Dorje und Drolma Chap aus Dzoege, Boechung aus Chung, und so fort. Einige dieser Studenten werden, wie beispielsweise Sadruk, einer der Studenten aus dem letzten Studienjahr, durch die Schläge, die ihnen versetzt wurden, für immer verkrüppelt bleiben. Es heißt, daß die verhafteten Studenten zu lebenslanger Haft verurteilt wurden.

5. Menschen dieser Welt, seht ihr denn nicht, daß ein Volk sein Leben für Freiheit, Demokratie und Gleichheit hingibt, und daß die Antwort eines autoritären Regimes, dem es ausgeliefert ist, nur aus dem Lauf der Gewehre kommt?

Menschen dieser Welt, ist Euch bewußt, daß ganz gewöhnliche Menschen aus diesem Volk angekettet in dunklen Gefängniszellen vor sich hindämmern und um nichts weiter als Harmonie, Frieden und Wahrheit auf der Welt willen Repressalien und Mißhandlungen erleiden?

Wenn es den Eltern, denen ihre Kinder genommen wurden, wie kalter Wind um die Ohren pfeift; wenn die heißen Tränen verwitweter Frauen, denen ein Kugelhagel ihre Männer entrissen hat, wie herabfallende Felsen zu donnern beginnen, wenn der Sturm des nur mühsam unterdrückten Hasses auf die Mörder von Familienvätern zu heulen beginnt, dann mögen das Schluchzen und die leiderfüllten Klagen der Bewohner des Hochplateaus inmitten des wirbelnden Rauches zugleich eine Vorahnung der Morgendämmerung bringen, die auf die Finsternis der Nacht folgt, und ihre Augen für neue Hoffnung öffnen. Stöhnend vor bitterem Schmerz, mögen die auf dem Hochplateau Wohnenden inmitten des wirbelnden Rauches ihre Zähne in der Zuversicht zusammenbeißen, daß irgendwann diesem teuflischen Regime die Maske heruntergerissen werden wird.

6. Während die chinesische Regierung behauptet, unsere Menschenrechte und unsere Interessen zu wahren und zu achten, zertrampelt dieser Staat in Wirklichkeit das Leben der Menschen, ihre Stellung in der Gesellschaft und alle ihre besten Absichten und Bestrebungen. Von dem Augenblick an, in dem die Niederschlagung des jüngsten Aufstandes vollendet sein wird, werden die Tibeter zurückkehren müssen zu einem Leben in Sklaverei, von nun an jeder persönlichen Freiheit vollständig beraubt. Die chinesische Regierung verfolgt eine Politik der Einschüchterung all derjenigen, die der tibetischen Sache verbunden sind, und sie betreibt ihre Kampagne einer “Erziehung zur Knechtschaft”, die auf der unsinnigen Behauptung einer “sino-tibetischen Einheit” beruht oder der, “daß Tibet eine unabtrennbare brüderliche Nationalität Chinas“ sei. Sie erhoffen sich, daß sie die Tibeter zu blindem Gehorsam erziehen können, um sie dann komplett unter ihrer Kontrolle zu haben und nach ihrem Willen tanzen lassen zu können.

Sie werden ihnen verbieten, Bilder des Dalai Lama zu besitzen oder den Ausdruck „Größeres Tibet“ zu gebrauchen. Jegliche Verwendung dieses Begriffs oder das Zum-Ausdruck-Bringen einer solchen Sichtweise kann nur privat geschehen, weil dies nicht der Ideologie der Volksrepublik China (VRC) entspricht. Und diese Auffassung wird als Irreführung hingestellt werden, weil so etwas in der Geschichte Chinas oder Tibets niemals existiert habe. So hofft die chinesische Regierung, das Identitätsbewußtsein der Tibeter und das Streben des tibetischen Volkes nach Unabhängigkeit zu schwächen, damit sie die Politik der Sinisierung vorantreiben kann. Sie werden die tibetischen Beamten immer wieder zwingen, Seine Heiligkeit sowohl mündlich als auch schriftlich als „ethnischen Separatisten“ zu denunzieren. Sie werden dasselbe in allen Schulen und Colleges auf allen Ebenen tun und die Schüler und Studenten zwingen, das Dogma, daß Tibet ein unteilbarer Teil Chinas sei, endlos abzuschreiben. Insbesondere werden sie das tibetische Volk in seiner Gesamtheit dazu zwingen, dasselbe zu tun, obwohl es für es unbeschreiblich schwierig ist, sich gegen den Herrn des Friedens, der Liebe und der Wahrheit zu stellen. Von einer anderen Perspektive her gesehen: Bedeutet die Diffamierung des Dalai Lama, dieses höchsten Repräsentanten von Frieden und Menschenrechten, durch die chinesische Regierung nicht, daß sie die von allen geachteten menschlichen Werte gänzlich verwirft? Trampelt sie damit nicht auf dem Leben und den Rechten der Menschen herum?

In unserem Land haben die Menschen nicht einmal das Recht, den Namen des Dalai Lama auszusprechen. Ein jeder, der sich an ein solches Verbot hält, repräsentiert nicht die wirklichen Gedanken des tibetischen Volkes, sondern denkt nur an seine Bereicherung oder daran, seine Loyalität und Unterwerfung unter den chinesischen Staat unter Beweis zu stellen.

Von jungen Jahren an müssen wir die offizielle chinesische Geschichte auswendig lernen, in der Japan als Feind dargestellt wird. Dies scheint das eigentliche Ziel der chinesischen Regierung zu sein, weshalb sie junge Tibeter zum Studium ihrer Version der Geschichte verpflichtet: In der jungen Generation, besonders der Han, sowie der fünf oder sechs anderen Nationalitäten Ressentiments gegenüber Japan entstehen zu lassen, weil Japan China unterdrückt, ausgebeutet und Blutbäder veranstaltet hat. Doch obwohl sie sich so sehr bemühen, von unserer Kindheit an diese Ideen in uns einzupflanzen, hatten wir immer eine sehr positive Meinung über Japan und bewunderten sowohl den Mut der Japaner als auch ihre starke kulturelle Identität. Trotz der größten Bemühungen des chinesischen Staates haben wir, die junge Generation der fünf oder sechs Nationalitäten in der Volksrepublik China (VRC), den “Imperialismus” nicht mit Japan, sondern mit den Han-Chinesen assoziiert.

In der Geschichte vieler Völker dieser Erde gab es große Persönlichkeiten, die ihr Leben für die Freiheit, die Menschenrechte und die Gleichheit geopfert haben; ebenso hat es stets viele gegeben, die sich dem Kampf um Frieden und Wahrheit widersetzt haben. Wenn wir diese großen Gestalten der Geschichte nicht vergessen können, die edle und gerechte Taten vollbracht haben, wie könnten wir dann jene vergessen, die sich ihnen entgegengestellt haben und die sie von ihrem Weg abbringen wollten? Ihre großen Taten sind in die Annalen der Geschichte wie in Stein eingraviert. Auch in der tibetischen Geschichte gibt es eine ansehnliche Schar solch unvergeßlicher Größen, und natürlich auch solche, die nicht im Interesse des tibetischen Volkes gehandelt haben. [Viele regionale Fürsten und Stammesführer, religiöse Würdenträger und einige Staatsbeamte, so wie beispielsweise die gegenwärtige Inkarnation des Jamyang Zhepa, Mitglied des ständigen Komitees des NPC, stellvertretender Vorsitzender der Chinesisch-Buddhistischen Vereinigung, Rektor des Institutes für höhere Studien in chinesisch-tibetischem Buddhismus, stellvertretender Vorsitzender des ständigen Ausschusses des Provinz-Volkskongresses und Vorsitzender der provinzialen buddhistischen Vereinigung; Ngapo Ngawang Jigme, Vorsitzender der nationalen CPPCC (Chinese People’s Political Consultative Conference); Drongbu Tsering Dorje, Mitglied der CPPCC der Autonomen Region Tibet (TAR), Direktor der Forschungsabteilung der Akademie für Sozialwissenschaften der Autonomen Region Tibet (TAR), Gotseko, Vorsitzender des Disziplinarausschusses der Provinz Sichuan; und Tsepak Chap, Vize-Gouverneur der Provinz Gansu.]

Sie alle sind für den gräßlichen Betrug am tibetischen Volk während der gegenwärtigen Repressionswelle verantwortlich, und dafür, daß die Tibeter geschlagen und inhaftiert werden, um ihnen Furcht einzuflößen. Sie sind genau die Personen, die die Interessen des tibetischen Volkes verteidigen könnten. Weshalb also gehören sie nicht zu den Vertretern des tibetischen Volkes, die frei im Namen ihres Volkes sprechen? Eben in solch entscheidenden Momenten können wir sehen, wie viel ihnen der Erhalt ihrer einzigartigen Kultur und das Wohl ihres Volkes wirklich bedeuten. Wir wissen ganz genau, wie tief ihr übliches Lippenbekenntnis zu “Tibet” reicht. Während Männer mit starker Persönlichkeit sich mit Aufrichtigkeit und Würde für die Sache ihres Volkes eingesetzt haben, können wir trotzdem jene nicht vergessen, die es verleumdet und seine Existenz untergraben haben. Diejenigen, die eigentlich das tibetische Volk vertreten sollten, reiben nur Salz in seine Wunden. „Wie können wir, die neue Generation, vergessen, wie Ihr, während Ihr als die Repräsentanten Tibets fungiert habt, Euer eigenes Volk auf den leisesten Wink hin ausgeliefert und die Zentralregierung herbeigerufen habt, als es seine wahren Gefühle zum Ausdruck brachte? Die Geschichte wird nicht vergessen, wie Ihr diese unerträglichen Aggressionen und falsche Beschuldigungen über Euer eigenes Volk gebracht habt“.

7. Heute ist der Internationale Tag des Kindes. Überall in der Stadt finden heute Veranstaltungen statt; und auch Trauerfeiern für die Opfer der jüngsten Erdbebenkatastrophe in der Provinz Sichuan. Die Kinder unserer Stadt zeigen bei einer Veranstaltung, die den Kindern aller Welt gewidmet ist, was sie können. Aber ich frage mich, ob die Kinder meiner Heimatregion auch diesen Tag feiern. Wenn alle Kinder unserer Region in gleicher Weise einen solchen Tag feiern könnten, der allen Kindern dieser Welt gewidmet ist, dann wäre das wunderbar. Die Tibeter haben ganz allgemein großen Respekt vor dem Leben, und dieser gilt allen Völker und Nationen auf dieser Welt ohne Unterschied. Deshalb empfinden wir auch echte Sympathie für die Verwandten der bei dem Erdbeben in Sichuan umgekommenen chinesischen Bürger. Trotz der unauslöschlichen Erinnerung an eine Geschichte von Feindschaft und Aggressionen zwischen dem tibetischen und dem chinesischen Volk dürfen wir den gewöhnlichen Leuten keine Schuld dafür zuweisen oder die Achtung vor ihrem Leben verlieren. Unsere Kinder werden an den Trauerfeiern am Internationalen Tag des Kindes natürlich teilnehmen. Aber die Regierung hat uns unserer Bewegungsfreiheit beraubt, sogar die Kinder. Wie kann man denn die Ereignisse dieser sogenannten „Gewalttätigkeit, mutwilligen Zerstörung, Plünderei und Brandstiftung“ mit dem Internationalen Tag des Kindes in Zusammenhang bringen? Weshalb dürfen die Kinder hier in der Stadt feiern, die Kinder meiner Heimatregion jedoch nicht?

Die tibetischen Kinder werden zu den Trauerfeiern für die Erdbebenopfer gehen, aber sie werden den Internationalen Tag des Kindes nicht begehen können. Kinder überall auf dieser Welt könnten ihn ebensogut als einen Tag der Trauer wahrnehmen – wegen all der Ausbeutung und der Unterdrückung unseres Volkes und der Entwertung des Internationalen Tages des Kindes, sei sie nun offen oder verborgen.

8. In diesen Tagen vor dem Beginn der Olympischen Spiele freuen sich Sportler wie auch Zuschauer auf der ganzen Welt auf dieses Großereignis. Sie erhoffen sich alle erfolgreiche Spiele. Sollte die Olympiade nicht eine „allgemeine Plattform“ sein, die allen offensteht, die sich den erhabenen menschlichen Werten von Freiheit, Demokratie, Frieden und Harmonie verpflichtet fühlen?

Aber für die Tibeter, die unter chinesischer Vorherrschaft leben, ist die Olympiade ein toter Name. Für die Bewohner des Hochlandes ist sie nichts als ein fernes Versprechen. Auch in diesen Tagen werden wir weiter geknebelt, mißhandelt und winden uns in Schmerzen, aber wir werden euer wunderbares Spektakel nicht sehen können. Es tut uns wirklich leid! Wir werden die gloriosen Früchte eurer Mühe und eures Schweißes nicht sehen. Was wir jedoch sehen werden, sind grausame Mißhandlungen und schreckliche Strafen. Unser Land ist umstellt von chinesischen Soldaten, die ihre Gewehre und Kanonen auf uns gerichtet haben. Für uns werden die Olympischen Spiele nichts als Verhaftung und Tod bringen (Seit es zu dem Volksaufstand im März gekommen ist, sind große Einheiten der Volksbefreiungsarmee in den tibetischen Gebieten stationiert worden, um “Kriminelle zu bestrafen und das Volk zu schützen”, wie sie es ausdrücken; doch in Wahrheit bedeutet dies nichts anderes als gewöhnliche, unschuldige Menschen zusammenzuschlagen und zu verhaften).

In Golok, Rebkong und Chentsa in der Provinz Qinghai, in Labrang, Tsoe, Amchok und Luchu in der Provinz Gansu, in Ngaba, Chungchu, Dzoege und Taktsang Lhamo in der Provinz Sichuan wimmelt es nur so von Soldaten. Die Bewegungen der gewöhnlichen Menschen werden strengstens kontrolliert, und besonders Mönche dürfen nicht umherwandern und von einem Ort zum anderen fahren, wenn sie keine Erlaubnis der örtlichen Behörden haben. Aufgrund dieser Umstände und weil die Preise für die täglichen Gebrauchsgüter so stark gestiegen sind, ist das Leben für die normalen Leute sehr schwer geworden.

Es ist ein tibetischer Brauch, im Sommer bei Vollmond auf den Berggipfeln zu beten und mit Pferderennen und anderen Veranstaltungen fünf oder sechs Tage lang zu feiern. In diesem Jahr wurden die meisten dieser Festlichkeiten in der Provinz Qinghai abgesagt. Statt dessen wurden an vielen Orten neue Polizeistationen errichtet und die Anzahl der Soldaten erhöht. Außerdem sind vielerorts Kameras installiert worden, um die Tibeter besser überwachen zu können. Vielleicht ist der Welt nicht bekannt, daß das Militäraufgebot auf dem tibetischen Plateau derzeit das größte seit dem Ende des zweiten Weltkrieges ist – in treuer Befolgung von Maos Diktum “Die Macht kommt aus dem Lauf der Gewehre”. Das stellt das eigentliche chinesische System dar und zeigt das wahre Gesicht des “Sozialismus unter chinesischem Vorzeichen“. Es bedeutet die Realisierung des Endzieles des chinesischen Staates, nämlich die sechs „autonomen Regionen“ mit seiner feudalen Kontrolle zu überziehen.

Die Art und Weise, wie die chinesische Regierung die tibetische Kultur bereits schon jetzt unterdrückt, schreit zu Himmel. Sie schränkt die Verwendung der tibetischen Schriftsprache von allen Seiten ein; die meisten, die eine leitende Position in Tibet bekleiden, müssen sie nicht erlernen, und diejenigen, die sie erlernen, können sie in diesen Tagen nicht mehr anwenden. Der Mehrheit der Tibeter könnte vergeben werden, daß sie sich dem fügt, denn obwohl die Regierung fortwährend betont, die Minderheiten hätten das Recht, ihre eigene Sprache zu sprechen, wurden uns diese Rechte in Wirklichkeit genommen.

Aber was auch immer geschieht, der unbezwingbare Mut des tibetischen Volkes kann nicht zerstört werden. Auch wenn sie uns in tiefste Dunkelheit stürzen, werden wir irgendwie und irgendwo einen Spalt finden, durch den ein wenig Licht hereindringt.

Blickt vorwärts, Menschen dieser Welt! Wir können die Meister der Freiheit, der Demokratie und der Gleichheit werden. In dieser Finsternis von Unterdrückung und Ausbeutung, wer außer uns könnte die Fackel der Hoffnung entzünden? Wir sind diejenigen, die die Morgenröte, welche einer langen dunkeln Nacht folgt, freudig begrüßen werden!

Ich danke allen!

Rolang (Zor)

Amdo, Tibet, 26. Juli 2008