28. Juni 2007
Konferenz für ein unabhängiges Tibet
in New Delhi vom 23./24. Juni 2007

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Grußwort von Claudia Roth

Quelle: Phayul

Tibet ist eine Kolonie Chinas, nicht nur ein besetztes Land

Die von der indischen Organisation Friends of Tibet in Delhi veranstaltete zweitägige Konferenz für ein unabhängiges Tibet ging mit dem Aufruf zu Ende, die Unabhängigkeit Tibets stärker ins Zentrum der allgemeinen Aufmerksamkeit zu rücken.

New Delhi – Die allererste Konferenz über Unabhängigkeit für Tibet, die von Friends of Tibet, einer indischen Tibet-Unterstützungsgruppe, veranstaltet worden war, endete nach langen Debatten und Diskussionen mit der Absichtserklärung, sich stärker auf Unabhängigkeit als Ziel des tibetischen Kampfes zu konzentrieren und darauf, wie dies verwirklicht werden kann.

Die Konferenz fand am 23. und 24. Juni 2007 in den Räumen der Gandhi Peace Foundation in New Delhi statt. Die über dreihundert zumeist indischen Teilnehmer kamen aus den verschiedensten Berufen, auch eine beachtliche Anzahl von Mitarbeitern des Geheimdienstes war vertreten, die die gesamte Konferenz wie gesittete Schulkinder verfolgten.

Am frühen Morgen des Abschlußtages lauschten über zweihundert Inder und Tibeter einem Vortrag des bekannten Autors und Aktivisten für die Unabhängigkeit Tibets Jamyang Norbu, der darüber sprach, daß die kommenden zwei Jahre von ausschlaggebender Bedeutung für Tibet sein werden. Die Olympischen Spiele könnten den Tibetern die einmalige Gelegenheit bieten, ins Licht der Öffentlichkeit zu treten und "mit einer einzigen gewaltigen Stimme" zu protestieren. Er führte an, wenn es nicht zu Massenprotesten käme, werde Tibet immer mehr von der Weltkarte verschwinden und es bliebe nicht mehr viel übrig, für das sich zu protestieren lohne.

Da die Bemühungen des geistlichen Führers Tibets, des Dalai Lama, mit Peking Kontakte aufzubauen, zu keinem Erfolg geführt hätten, wie Jamyang Norbu erklärte, forderte er, bei der Kampagne für Tibets Unabhängigkeit von China neue Strategien zu entwickeln.

"Man denke nur einmal, was man mit einem simplen Hungerstreik vor der Zentrale von Yahoo in den USA alles erreichen könnte", sagte der leidenschaftliche Aktivist. Firmen, die in China Geschäfte tätigen, sollten angeprangert werden, damit sie gezwungen sind, ihre Aktivitäten dort einzustellen. Der tibetische Schriftsteller und bekannte Aktivist sprach in aller Deutlichkeit und ohne ein Blatt vor den Mund zu nehmen. Für viele junge Tibeter, die keinen Sitzplatz mehr gefunden hatten und auf dem Boden saßen, war dies das erste Mal, daß sie Jamyang Norbu mit solchem Elan reden hörten.

Niru Vora, ein prominenter „Gandhianer“ [Anhänger der Gandhi-Bewegung, A.d.Ü.] und ehemaliger Dozent am Institut für China- und Japanstudien der Universität Delhi, erklärte: „Tibet ist ein Land unter Kolonialherrschaft, nicht nur ein besetztes Territorium“. Die Ausbeutung eines besetzten Territoriums setzt zwangsläufig die Anwesenheit von Militär voraus, aber die Lage in Tibet ist noch sehr viel komplexer und schlimmer, weil die chinesische Armee nicht einfach ein Land, das 1959 eine vollständig eigenständige Nation war, einnahm, sondern weil es kulturell und wirtschaftlich kolonisiert wurde."

Die Veranstalter waren überrascht, weil dreimal so viele Teilnehmer zu der Konferenz erschienen, als sie erwartet hatten. Da es eine ganze Reihe von Sitzungen gab und die Fragen kein Ende nahmen, wurden die Teepausen gestrichen und die Sitzungen um Stunden verlängert.

Als der Moderator Vijay Kranti sagte: „Jetzt kommt unser Held an die Reihe“, warteten alle im Saal gespannt auf die Rede des tibetischen Dichters und Aktivisten Tenzin Tsundue. Unverkennbar mit seinem roten Stirnband und schwarzen Hemd schlug er die Zuhörer durch seinen Enthusiasmus in Bann. Er sagte: „Obwohl wir einen anderen politischen Standpunkt vertreten als Seine Heiligkeit der Dalai Lama, ist unser Bekenntnis zur Gewaltlosigkeit dasselbe. Doch Gewaltlosigkeit kann ohne die Unterstützung der Massen nicht zum Erfolg führen.“

Auf Fragen aus dem Publikum antwortend sagte er: „Wir appellieren an alle Beteiligten, ihre Investitionen in China und Tibet zu überdenken. Eure Geschäfte zerstören unser Land“. Dann führte er Südafrika als Beispiel für den Erfolg einer Massenbewegung an: „Erst als die Konzerninteressen von Coca Cola, IBM und zahlloser anderer Großfirmen geschädigt wurden, übten sie Druck auf die weiße Regierung aus, damit sie nachgebe. Wir wollen nun überlegen, das umzusetzen. Wenn unser gewaltloser Weg fehlschlägt, müssen wir andere Mittel finden. Die internationale Gemeinschaft steht in der Verantwortung, den Kampf der Tibeter zu unterstützen und ihn zum Erfolg zu führen“.

Die anderen renommierten Redner des Tages, Vijay Kranti, ein bekannter Journalist und langjähriger Befürworter eines unabhängigen Tibets, Claude Arpi, ein französischer Intellektueller und Tibet-Kommentator, und Ragav Mittal von der Bajaj Foundation, sprachen sich ebenfalls für Rangzen aus. Arpi legte historische und völkerrechtliche Dokumente vor, die Tibets Eigenstaatlichkeit belegten und das Siebzehn-Punkte-Abkommen und den Straßburger Vorschlag in den korrekten Zusammenhang stellten. 

Von den dreizehn Rednern der Konferenz stellten acht die Erfolgsaussichten des Mittleren Wegs und dessen Ziel der Autonomie in Frage und meinten: „Warum hält die tibetische Regierung-im-Exil immer noch an dieser Politik fest, obwohl China doch den Vorschlag wiederholt zurückgewiesen hat?“

Phuntsok Wangchuk, ein ehemaliger politischer Gefangener und Geschäftsführer von Gu Chu Sum, berichtete auf Tibetisch vom Leben im Gefängnis und den Grausamkeiten seitens der chinesischen Aufseher. Er vermittelte allgemein einen Eindruck vom Freiheitskampf im heutigen Tibet. Als er gefragt wurde, was die Tibeter in Tibet denn wollten, antwortete er mit Überzeugung, daß die Tibeter in Tibet für die Unabhängigkeit arbeiteten und für nichts anderes. Wenn die Hunderten von Gefangenen der chinesischen Regierung Loyalität schwörten“, so fügte er hinzu, „würden sie innerhalb von fünf Minuten entlassen“. „Aber sie geben die Unabhängigkeit nicht auf und so leiden sie weiterhin über viele Jahre in den Gefängnissen, manche über 20 Jahre lang.“ Seine Rede erhielt brausenden Beifall.

Am zweiten Konferenztag gab es lebhafte Diskussionen, von denen einige die großen Differenzen in der politischen und ideologischen Sichtweise der Teilnehmer widerspiegelten.

An den indischen Unterstützern unterschiedlichster politischer Couleur wie dem rechtsgerichteten nationalistischen Hindu-Flügel, der Linken, der liberalen Linken und den Marxisten, abgesehen von einer ansehnlichen Zahl von „Gandhianern“ und Sympathisanten der Janata Partei, sah man, wie groß die Vielfalt der Tibet-Unterstützer und ihr Hintergrund sind. Es war nur natürlich, daß sie mit ihren diversen Überzeugungen immer wieder aufeinanderprallten.

Alle jedoch traten entschieden für die Unabhängigkeit Tibets ein und schlossen sich der Ansicht von Radha Bhatt an, die erklärte: „Solange Tibet nicht frei ist, kann Indien niemals frei sei. Indien wird für immer unter dem Druck Chinas leben müssen“ (Hindi: Jab tak Tibbat azaad nahin hai, India kabhi azaad nahin ho sakta, India hamesha Chin ki dabao main rehne padega)“ . Radha Bhatt ist eine „Gandianerin“, eine Umweltaktivisten, die bekannt wurde, als sie sich während der berühmten Chipko-Bewegung von 1980 in Nordindien an Bäume kettete, um sie vor dem Gefälltwerden zu retten.

Bei der Konferenz waren viele prominente Journalisten, Anwälte, Verteidigungsexperten und Intellektuelle des Landes zugegen, wie etwa Parth Shah vom Centre of Civil Society, Colin Gonzales, Gründer des Human Rights Law Network, Harsh Dhobal, Herausgeber von Combat Law, Madhur Santanam Sondhi, Generalmajor i.R. Vinod Saighal, Dr. Trika von der Core Group for Tibet, Sonam Wangdue vom US Tibet Committee und andere. Viele junge Tibeter und Inder folgten zwei Tage lang mit großer Aufmerksamkeit der Konferenz.

Internationale Teilnehmer aus den USA, Frankreich, Großbritannien und Polen sowie indische Vertreter aus über 20 Bundesstaaten nahmen an der Konferenz teil. Tibetische Teilnehmer waren auf eigene Kosten aus Dharamsala, Kollegal, Bangalore, Dimapur und Dehradun angereist. Dharma Bums und JJI Exile Brothers traten mit Rangzen-Liedern auf. Neben vielen ermutigenden Briefen von verschiedenen internationalen Tibet-Unterstützer-Gruppen schickte auch Claudia Roth, Vorsitzende der Grünen Partei und Abgeordnete des Deutschen Bundestags der Konferenz eine Grußbotschaft.

Niru Vora, der bei der Organisation der Konferenz eng mit Friends of Tibet zusammengearbeitet hatte, leitete die Abschlußsitzung und trug die Konferenzentschließung vor.

Konferenz für ein unabhängiges Tibet, New Delhi, 23/24. Juni 2007

Die Erklärung von New Delhi

Entschliessung der Konferenz

Der Konferenzbeschluß fordert, Tibet als Kolonie anzuerkennen, was die UNO und andere Gremien der internationalen Gemeinschaft verpflichtet, die letzten Überreste von Kolonialismus zu beseitigen und die Unabhängigkeit Tibets zu verlangen. Er führt die von der Vollversammlung der Vereinten Nationen am 7. Februar 1995 verabschiedete Resolution No. 49/89 mit dem Titel „Verwirklichung der Erklärung über die Gewährung der Unabhängigkeit an koloniale Länder und Völker“ an, die verlangt, daß „die Beseitigung des Kolonialismus zu einer der Prioritäten der Organisation für das Jahrzehnt ab 1990 gemacht wird, eingedenk der Notwendigkeit, daß zur Abschaffung der letzten Überbleibsel des Kolonialismus bis zum Jahr 2000 schnellstens Maßnahmen ergriffen werden müssen, wie schon in ihrer Resolution Nr. 43/47 vom 22. November 1988 gefordert wurde“.

Die genannte Resolution, die sogar von China ratifiziert wurde, besagt, daß es „die moralische Verantwortung der UN und der Mitgliedstaaten dieser Organisation ist, eine Sondersitzung der Vollversammlung einzuberufen und China zu drängen, daß es, ausgehend von dieser Resolution, dem gesamten Tibet, d.h. allen drei Provinzen und seinem Volk, die volle Unabhängigkeit zurückgeben muß“ (zitiert aus der Konferenz-Entschließung).

Die Delegierten einigten sich auf eine aus vier Punkten bestehende Strategie, die für ihr Bemühen um Unabhängigkeit für Tibet und ihren Handlungsplan in den kommenden Jahren richtungweisend sein wird:

„In der Erkenntnis, daß vollständige Unabhängigkeit (Hindi: Poorna Swaraj) unter der Führung Seiner Heiligkeit des Dalai Lama und mit der Hilfe Indiens und anderer freiheitsliebender Mitglieder der Weltgemeinschaft die einzige Hoffnung für Tibet ist, beschließt die Konferenz:

  • die Regierung Indiens aufzufordern, die tibetische Regierung-im-Exil als die einzige rechtmäßige Regierung Tibets und des tibetischen Volkes anzuerkennen und Seine Heiligkeit den Dalai Lama als dessen einziges politisches und geistliches Oberhaupt;

  • die Vereinten Nationen aufzufordern, ihre aus der UN-Erklärung von 1993 erwachsende Verpflichtung zu erfüllen, nach der es bis zum Jahr 2000 kein Land unter Kolonialherrschaft mehr auf der Welt geben darf;

  • jeden Mitgliedsstaat der internationalen Gemeinschaft aufzufordern, Tibet als eines der letzten Überbleibsel der Kolonialherrschaft anzuerkennen, das dringend der Entkolonialisierung bedarf;

  • die Tibet-Unterstützungsgruppen in aller Welt aufzufordern, vollständige Unabhängigkeit wieder zum Schwerpunkt ihrer Kampagnen zu machen und alljährlich den 22. November als den „Anti-Kolonialismus-Tag“ zu begehen und Unterschriftsaktionen durchzuführen, um die Vereinten Nationen daran zu erinnern, ihre Resolutionen zum Kolonialismus endlich umzusetzen.“

Friends of Tibet ist eine weltweite Bewegung mit dem Ziel, die Tibet-Frage durch unmittelbare Aktionen am Leben zu erhalten, welche den fortgesetzten Kampf des tibetischen Volks um Unabhängigkeit unterstützt.