20. Dezember 2006
Human Rights Watch

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Nichtautorisierte Übersetzung aus dem Englischen

China sollte seine Kampagne zur Umstrukturierung der Dörfer einstellen

Nach den Informationen von Human Rights Watch hat das neueste Programm der chinesischen Regierung, die Tibeter in den Dörfern zum Neubau ihrer Häuser zu zwingen, zu wachsender Verarmung geführt, anstatt, wie bezweckt, die wirtschaftliche Entwicklung anzukurbeln. Mit dieser Kampagne, die auf Tibetisch Namdrang Rangdrik („Programm des Selbermachens“) genannt wird, wurde im vergangenen Jahr begonnen. Sie fordert von den Dorfbewohnern, insbesondere von denjenigen, die in der Nähe der Hauptstraßen wohnen, innerhalb der nächsten zwei bis drei Jahre neue Häuser zu bauen, die genau den offiziellen Vorgaben entsprechen müssen. Überall in der Autonomen Region Tibet, vor allem aber im Dreieck Lhasa-Shigatse-Nyingtri und in der Umgebung von Kleinstädten sieht man neue Siedlungen, die aus lauter Reihen von identischen Steinhäusern mit roten Flaggen auf dem Dach bestehen. Selbst dann, wenn ihnen daraus große finanzielle Probleme entstehen, können die betroffenen Dorfbewohner die Entscheidung nicht anfechten oder ihre Beteiligung an dem Programm verweigern. “Die chinesische Regierung weist fortwährend darauf hin, welch gewaltigen wirtschaftlichen Fortschritt sie Tibet bringen würde, doch ihre derzeitige Politik kostet viele Tibeter ihr Heim und ihren Lebensunterhalt”, sagte Sophie Richardson, die stellvertretende Asiendirektorin von Human Rights Watch. “Die Tibeter sollten bei den Entscheidungen über Entwicklungsprojekte auch eine Rolle spielen und solche, die ihre Armut nur noch verschlimmern, ablehnen dürfen.”

Seit 2000 hat die chinesische Regierung eine Reihe von Initiativen vom grünen Tisch aus gestartet, um die Armut in Tibet zu verringern: Diese Initiativen sahen vor, die ärmsten Familien in neu gebaute gleichförmige Häuser entlang den Hauptstraßen umzusiedeln und sie damit zur Selbständigkeit oder der Suche nach einer Arbeitsstelle zu ermutigen. Es war geplant, daß die neuen Häuser teilweise von der Regierung und teilweise von den entsprechenden Familien selbst finanziert werden.

Wie von diesen Maßnahmen betroffene Tibeter kürzlich HRW berichteten, haben örtliche Kader jedoch regelmäßig die von der Regierung bereitgestellten Mittel unterschlagen, während von den normalen Dorfbewohnern erwartet wurde, daß sie zum Bau der Häuser unbezahlte Arbeit leisteten. Die Nutznießer seien keineswegs die armen Familien, sondern die etwas besser gestellten, deren Umzug in die neuen Häuser im Detail gefilmt und anschließend im Fernsehen gezeigt werde, offenbar um den Bürgern Chinas die Großzügigkeit der Regierung und den neuen regionalen Wohlstand vor Augen zu führen. In mehreren Fällen wurde der Grund und Boden, der durch den Umzug dieser Familien frei wurde, später für Infrastrukturprojekte genutzt, oder es wurde dort nach Bodenschätzen gegraben.

“In den vergangenen Jahren haben wir eine allmähliche aber stetige Bemühung der Regierung beobachtet, die tibetischen Landbewohner im Namen der wirtschaftlichen Entwicklung ihrem traditionellen Lebensunterhalt zu entfremden”, meinte Richardson weiter. “Es wurde nur immer schwieriger, bei diesen ganzen Programmen einen wirtschaftlichen Gewinn für die Tibeter oder die Möglichkeit zu gleichberechtigter Mitsprache festzustellen.”

Im “Namdrang-Rangdrik” Programm, das 2005 als Teil des 11. Fünfjahresplans in Gang gesetzt wurde, wird weniger Wert auf den Abbau der Armut gelegt, als auf Urbanisation und die Errichtung modern anmutender Häuser. Tibeter berichteten, lokale Regierungsvertreter hätten ihnen gesagt, saubere, moderne Häuser seien notwendig, um auf der wachsenden Anzahl von Besuchern und Touristen deutlich zu machen, wie sehr doch die Modernisierung der Region fortschreite.

Tatsächlich verfügen aber nur die wenigsten der neuen Häuser über moderne Einrichtungen wie fließendes Wasser oder elektrischen Strom. Zudem sind sie meistens kleiner als die alten und ohne Höfe, was zur Folge hat, daß die Bewohner kein Vieh mehr halten können. Die Tibeter sagen, daß sie auf diese Weise eine wesentliche Quelle ihres Lebensunterhalts verlieren.

Auch die Vorgaben für die Finanzierung der Baumaßnahmen treiben die betroffenen Familien in die Armut. Die Baukosten für ein Haus, das dem Standard der Regierung entspricht, betragen ca. 5-6.000 US-Dollar. Die Regierung stellt jedoch nur ein Darlehen von 1.200 Dollar zur Verfügung. Da sie nicht über das notwendige Kapital verfügen, müssen fast alle Familien beträchtliche Kredite aufnehmen. Nun sind aber die ärmsten Haushalte gar nicht kreditwürdig, und dennoch erlauben die Richtlinien der Programme keine Ausnahmen. Sogar die wohlhabenderen Familien waren gezwungen, sich zu verschulden und diejenigen, die ihre Kredite nicht zurückzahlen können, müssen die Häuser, die sie eigenhändig gebaut haben, wieder verlassen.

Keine der befragten Personen hatte das Recht, die Teilnahme an dem Programm in Frage zu stellen oder abzulehnen. Es wurde sogar berichtet, daß die lokalen Behörden in manchen Fällen die Häuser derjenigen, die sich weigerten, mitzumachen, oder die es nicht konnten, weil ihnen die nötigen Kredite nicht gewährt wurden, mit Bulldozern niederreißen ließen.

Seit der Annexion Tibets durch China im Jahr 1951 werden den Tibetern ihre grundlegenden Menschenrechte systematisch verweigert. Dazu gehören die Partizipation an öffentlichen Angelegenheiten, die Rede-, Versammlungs- und Religionsfreiheit, sowie die später hinzugekommenen Rechte, welche ethnischen Minderheiten nach chinesischem wie internationalem Recht garantiert werden.

Human Rights Watch hat die chinesische Regierung zur Einstellung des Programms aufgefordert. “Menschen dazu zu zwingen, Kredite aufzunehmen, damit sie neue Häuser bauen können, die sie gar nicht haben wollen, die ihren Lebensunterhalt zerstören und die bar jeglicher moderner Ausstattung sind, entspricht wohl kaum Chinas erklärtem Ziel der Förderung wirtschaftlicher Entwicklung oder seinem angeblichen Engagement für die Autonomie ethnischer Minderheiten”, schloß Richardson.