Hilferuf eines tibetischen Schriftstellers, der wegen eines nicht veröffentlichten Buches inhaftiert wurde
The Times, Donnerstag, 3. August 2006
Der junge tibetische Lehrer und Schriftsteller Dolma Gyab, der wegen eines Buches, das niemals herausgekommen ist, in einem geheimgehaltenen Verfahren zu zehn Jahren Haft verurteilt wurde, appellierte um Hilfe an die Vereinten Nationen.
In einem Brief, der aus dem in der Nähe von Lhasa gelegenen Chushul-Gefängnis geschmuggelt wurde und der Times vorliegt, erklärte Dolma Gyab, er wolle auf die Situation in Tibet aufmerksam machen und suche Unterstützung bei seinem Kampf gegen seine ungerechte Verurteilung zu einer langjährigen Gefängnishaft.
Die Nachricht von seiner Inhaftierung fällt mit einer neuen Welle der Unterdrückung des Internets durch die chinesischen Behörden zusammen, der auch die Schließung eines der bei Intellektuellen und Jugendlichen beliebtesten Online-Foren zuzuschreiben ist.
Der 29 Jahre alte Lehrer schrieb: “Ich habe ein Buch verfaßt, das noch gar nicht veröffentlicht wurde. Ich schrieb darin über Demokratie, Freiheit und die Lage in Tibet. Dies mag wohl der Hauptgrund für meine Verurteilung gewesen sein, doch dem chinesischem Gesetz zufolge würde dies ein solches Urteil noch lange nicht rechtfertigen”.
Seit Dolma Gyab im März 2005 in Lhasa, wo er in einer städtischen Mittelschule Geschichte unterrichtete, festgenommen wurde, war sein Fall geheimgehalten worden. Er schrieb ein 57 Kapitel umfassendes Buch mit dem Titel “Der Himalaya in Bewegung” und arbeitete an einem weiteren über tibetische Geographie, das vermutlich heikle Themen wie den Standort chinesischer Militärcamps in Tibet berührte. Die bisher noch nicht veröffentlichten Manuskripte sollen in seiner Wohnung entdeckt worden sein.
In seinem Brief an die Menschenrechtskommission der UNO steht, daß diese Niederschriften der Hauptgrund für seine Verurteilung waren. Der Mittlere Volksgerichtshof von Lhasa verurteilte Dolma Gyab am 16. September 2005 unter der Anklage der Gefährdung der Staatssicherheit zu 10 Jahren Gefängnis.
Weiter schrieb er: “Sie können mich umbringen, aber sie können meine Liebe zur Natur, Wissenschaft und Erdkunde nicht töten. Ich möchte meinen Mut bewahren… Ich möchte Ihre Aufmerksamkeit auf meinen Fall lenken und bitte Sie, mir zu helfen.”
Tibet-Experten zufolge ist dies eines der härtesten Urteile seit mehreren Jahren. Einer von ihnen äußerte sich erstaunt, daß es so lange dauerte, bis der Fall an die Öffentlichkeit drang. Als der UN Sonderberichterstatter für Folter, Manfred Nowak, im November China besuchte, konnte er zwar das Gefängnis Chushul besuchen, doch der Fall des jungen Schriftstellers war zu dieser Zeit noch nicht bekannt geworden. Dolma Gyab schreibt, daß er vor dem Besucher verborgen wurde. “Ich hatte keine Gelegenheit über die wahre Situation hier und den ungerechten Prozeß gegen mich zu sprechen”.
Dolma Gyab wurde 1976 im Dorf Arik im Distrikt Chilen der TAP Tsojang, einer ethnisch-tibetischen Gegend in Qinghai, geboren, wo der größte Teil der Einwohner nomadisierende Bauern sind. Er studierte Geschichte und Geographie an der Universität von Qinghai und setzte seine Studien dann an der Universität Peking fort. 2003 ging er nach Indien und lernte in Dharamsala Englisch. 2004 kehrte er nach Tibet zurück, um als Lehrer zu arbeiten.
Vergangene Woche schlossen die Behörden die Weblogs der tibetischen Schriftstellerin Woeser, deren Werke in China verboten sind. Sie meinte der Times gegenüber: “Früher oder später mußte es so kommen. Ich werde kein anderes Weblog anfangen, meine schriftstellerische Tätigkeit jedoch für mich selbst fortsetzen”.
Über 100 Autoren und Dissidenten veröffentlichten gestern einen Brief, in dem sie die Schließung der Website Century China bedauerten, einem der letzen Foren in dem Land, wo man relativ uneingeschränkt seine Ansichten ausdrücken konnte.
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