30. November 2005
International Campaign for Tibet
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Kampagne der "Patriotischen Erziehung" führt zu neuer Unterdrückungswelle der Religion in Lhasa

Übersetzung aus dem Englischen

Mehrere Mönche, die sich der Kampagne für "Patriotische Erziehung" widersetzten, wurden vergangene Woche bei einem massiven Polizeieinsatz im Drepung-Kloster in Lhasa festgenommen und aus dem Kloster ausgeschlossen. Auch in den beiden anderen Großklöstern Lhasas – Ganden, wo der von den Chinesen eingesetzte Panchen Lama Gyaltsen Norbu im Oktober zu Besuch weilte, und Sera, wo auf die "Patriotische Erziehung" hin in den vergangenen Monaten einige Mönche verhaftet wurden – war die Lage sehr gespannt.

Der Vorfall in Drepung fand während des Besuchs des UN-Sonderberichterstatters für Folter, Manfred Nowak, in Lhasa statt, der offenbar nichts von den Protesten und Razzien bemerkte. Der US-Präsident Bush hatte erst vorletzte Woche Peking besucht und die chinesische Regierung dazu aufgefordert, ihren Staatsbürgern die "Religionsausübung ohne staatliche Kontrolle" zu gewähren.

Berichten aus Tibet zufolge weigerten sich die Mönche in Drepung in der vergangenen Woche, den Dalai Lama als Separatisten zu verunglimpfen, wie es während der schon mehrere Wochen andauernden Kampagne für "Patriotische Erziehung" von ihnen gefordert wurde. Aus mehreren Quellen verlautet, der Widerspruch eines höheren Lamas sei der Auslöser für das Aufbegehren der Mönche gewesen. In der vierten Novemberwoche wurden Angehörige des Amts für Öffentliche Sicherheit (PSB) und der bewaffneten Volkspolizei (PAP) zur Wiederherstellung der Ordnung ins Kloster geschickt. Den Mönchen wurde mindestens drei Tage lang das Verlassen des Geländes untersagt. Mehrere von ihnen wurden festgenommen, ihr gegenwärtiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Mindestens fünf Mönche wurden des Klosters verwiesen und an ihre Heimatorte zurückgeschickt. Genauere Einzelheiten über den Vorfall konnten auf Grund der strengen Sicherheitsmaßnahmen, des allgemeinen Klimas der Furcht und der angespannten Lage in Drepung nicht in Erfahrung gebracht werden.

Bereits seit geraumer Zeit sind die "Arbeitsteams für Patriotische Erziehung" in Drepung, einem der bedeutendsten Klöster der Gelugpa-Tradition des tibetischen Buddhismus, aktiv. Noch ehe es in der vergangenen Woche zu den Protesten kam, wurde die Befürchtung laut, daß die Kampagne, deren Zweck die Untergrabung der Autorität des Dalai Lama sowie die Festigung der Kontrolle der Kommunistischen Partei über die Religionsausübung und die klösterlichen Einrichtungen in Tibet ist, schlimme Auswirkungen haben könnte. Ein im Exil lebender Tibeter, der vor vierzehn Tagen mit einem Mönch aus Drepung sprach, sagte: "Er befürchtete, daß es Probleme geben könnte, wenn das Arbeitsteam auf der Verunglimpfung des Dalai Lama bestehen sollte. Das ist nämlich für Tibeter das größte Problem."

Mit der "Patriotischen Erziehung" wurde in der TAR erstmals 1996 begonnen. Damals sollte sie die Botschaft vermitteln, daß die Loyalität dem Staat gegenüber eine Voraussetzung dafür ist, daß jemand ein guter Mönch oder eine gute Nonne wird. Westlichen Regierungen gegenüber hatte die chinesische Regierung behauptet, als großangelegte Kampagne sei die "Patriotische Erziehung" im Jahr 2000 abgeschlossen worden.

Auf die Verhaftung eines hochgestellten religiösen Lehrers und einiger ihrer Mitbrüder hin versammelten sich die Mönche im Hof des Klosters zu einem stummen Protest – heutzutage ein sehr seltenes Ereignis, worauf das TCHRD in Dharamsala und Radio Free Asia extra hinwiesen. Ein offizieller Sprecher der Klosterleitung bestätigte RFA gegenüber dessen Schließung für zwei Tage, was er mit "Brandschutzübungen" begründete. Unbestätigten Berichten zufolge soll ein älterer Mönch während der Polizeirazzia ums Leben gekommen sein.

Bereits vor diesen Ereignissen starb, wie vom TCHRD berichtet, im Oktober der 28 Jahre alte Mönch Ngawang Jangchub – einen Tag, nachdem er sich den Kadern des Arbeitsteams für patriotische Erziehung widersetzt hatte. Offenbar hatte er sich geweigert, den Dalai Lama als "Separatisten" zu beschimpfen und der Kommunistischen Partei seine Loyalität zu geloben. Andere Mönche fanden ihn am nächsten Tag tot in seinem Zimmer auf. Die Todesursache ist nicht bekannt, man vermutet, es könne sich um Selbstmord handeln.

Die Vorfälle in Drepung könnten zu Lasten des neuen Parteisekretärs der TAR gehen. Am 27. November teilte die chinesische Presse die Ernennung des 54-jährigen Zhang Qingli zum neuen Parteisekretär der Autonomen Region Tibet mit. Zhang Qingli war früher Vizegouverneur der überwiegend moslemischen Region Xinjiang im Nordwesten Chinas, wo Kultur und Religion der einheimischen uighurischen Bevölkerung extrem unterdrückt werden.

Ausweisungen aus Sera als Folge der "Patriotischen Erziehung" und Spannungen in Ganden während des Besuchs des "Panchen Zuma"

Wie RFA am 18. November berichtete, unterbrach die Polizei im Juli gewaltsam eine Gebetszeremonie im Kloster Sera. Der Lama, der sie geleitet hatte, wurde des Klosters verwiesen und für ein Jahr polizeilicher Überwachung untergestellt. Jangchub Gyaltsen, der als Zuchtmeister (geko) für die Einhaltung der Klosterregeln verantwortlich war, verlas gerade eine Gebetsbitte, um deren Abfassung ein Tibeter einen anderen Mönch aus Sera namens Tsering Dondrub gebeten hatte. Die Kader horchten auf, als Jangchub Gyaltsen dabei auch den Dalai Lama erwähnte. Tsering Dondrup, der wohl im Klosterladen gearbeitet hatte, "verschwand" nach dem Vorfall und befindet sich vermutlich immer noch in Gewahrsam. Berichte aus Tibet lassen vermuten, daß er ins PSB-Haftzentrum Gutsa in Lhasa gebracht wurde.

Dieser Vorfall ereignete sich dem TCHRD zufolge gegen Ende der dreimonatigen Abhaltung der "Patriotischen Erziehung" in Sera, in deren Verlauf acht Mönche verhaftet und weitere 18 aus dem Kloster ausgeschlossen wurden.

Während des Besuchs des von China eingesetzten Panchen Lama Gyaltsen Norbu in dem zum Bezirk Lhasa gehörenden Kloster Ganden am 27. Oktober soll eine starke Spannung geherrscht haben. Die Tibeter, die in ihrer überwiegenden Mehrheit dem vom Dalai Lama anerkannten XI. Panchen, dem heute 16-jährigen Lama Gendun Choekyi Nyima, der seit einem Jahrzehnt an einem unbekannten Ort in Gewahrsam gehalten wird, die Treue halten, sprechen von Gyaltsen Norbu als dem "Panchen Zuma", was "falscher Panchen" bedeutet. Trotz der an sie verteilten kleinen Geldgeschenke zeigten tibetischen Informanten zufolge die Mönche deutliche Anzeichen von Abscheu und Groll. Die Sicherheitsmaßnahmen in dem Kloster, das zu den ältesten und größten in ganz Tibet gehört, wurden erheblich verstärkt.

Verstimmung über neue Welle der "Patriotischen Erziehung" nimmt immer mehr zu

Die chinesischen Behörden haben 2002 eine neue Serie politischer Handbücher für die Durchführung der "Patriotischen Erziehung" herausgegeben, die seither an mehrere Klöster der "TAR" wie Sera, Drepung und Ganden verteilt wurden. Der Text der Broschüren zeigt, wie entschlossen die Regierung ist, die monastischen Gemeinschaften dieser drei bedeutenden Zentren, die eine religiöse Autorität in der "TAR" sind , fest unter ihrer Kontrolle zu halten.

Die Serie mit dem Titel "Propagandalektüre zur Patriotischen Erziehung in den Klöstern der Nation?" besteht aus folgenden Broschüren: "Handbuch zur tibetischen Geschichte", "Handbuch zur religionspolitischen Erziehung", "Handbuch zur zeitgenössischen politischen Erziehung" und "Handbuch zur Ethik für die Massen".

Die Religionspolitik in der VR China wird von der Ideologie der Kommunistischen Partei bestimmt, deren politischer Imperativ die Machterhaltung ist. Die gegenwärtige Politik gebietet es, die Religion und ihre Praxis zuzulassen, aber sie muß dabei fest unter der Kontrolle der Partei bleiben. Das hat im Lauf der letzten zehn Jahre zur Heranbildung von administrativen und juristischen Mechanismen geführt, die es den Behörden ermöglichen, gegen jegliche religiöse Aktivität vorzugehen, in der sie eine Bedrohung der sozialen Stabilität oder der nationalen Einheit sehen, dabei aber so zu tun, als handelten sie im Sinne der "Rechtsstaatlichkeit".

In einem 2002 herausgegebenen offiziellen Unterrichtshandbuch, das für die "Patriotische Erziehung" in den Klöstern benutzt wird, heißt es: "Die Durchführung der patriotischen Erziehung bei den Mönchen und Nonnen in den Klöstern ist ein wichtiger Aspekt für die Stärkung des Managements religiöser Angelegenheiten durch die Regierung... Die Dalai-Clique hat niemals aufgehört, mit Unterstützung internationaler, antagonistischer Kräfte in unsere Region einzudringen und spalterische Aktivitäten zu betreiben... Die Mönche und Nonnen sollten religiöse Fachleute sein, die ihr Land und die Religion lieben, sich der Disziplin unterordnen und an die Gesetze halten" (Auszug aus einem [ICT vorliegenden] Übungshandbuch für "Patriotische Erziehung" mit dem Titel: "Ein Lesebuch für die Förderung von Wissenschaft und Technologie und die Abschaffung des Aberglaubens", hrsg. 2002 von der Propagandaabteilung des kommunistischen Parteikomitees der TAR.)

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