25. November 2003
News Update von Kate Saunders

Sorge um die Gewissensgefangenen unter besonders hartem Strafvollzug in Drapchi

Ehemalige politische Gefangene aus Tibet äußerten tiefe Besorgnis um ihre einstigen Mitgefangenen, die wegen ihrer Beteiligung an den Protesten während des Besuches der UN-Delegation im Oktober 1997 und der EU-Troika im Mai 1998 in den besonders strengen "Straftrakt" von Drapchi kamen. Die Haftbedingungen in dieser als "tsonkhul" (Haftbereich) neun bekannten Einheit sind die härtesten in der ganzen Anstalt, und die meisten der dortigen Gefangenen werden als Strafe dafür, daß sie wegen ihrer politischen "Verbrechen" oder ihrer Teilnahme an friedlichen Protesten keine angemessene Reue zeigten, den extrem strengen Bedingungen unterworfen.

Tagna Jigme Zangpo, der betagte Lehrer, der insgesamt 32 Jahre im Gefängnis verbrachte, ehe er im März 2002 aus gesundheitlichen Gründen entlassen wurde, war die letzten 8 Monate seiner Haftzeit als Strafe für sein friedliches Aufbegehren in Drapchi im August 2001 in diesen Straftrakt verbannt worden. Der jetzt in der Schweiz lebende Jigme Zangpo erläutert: "Wir nannten sie die finsteren Zellen. So viele Häftlinge sind in diesen winzigen dunklen Zellen jener Einheit eingeschlossen. Ich mache mir große Sorgen um sie".

In dem Zellenblock, der anscheinend 2000 in Betrieb genommen wurde, befinden sich auch einige politische Gefangene, die bei den Protesten in Drapchi am 1. und 4. Mai 1998 Unabhängigkeits-Parolen gerufen hatten. Karma Sonam, ein Strafgefangener aus Kardze (chin. Ganzi) in Sichuan (dem Vernehmen nach einer der zwei Häftlinge, welche den großen Gefangenenprotest am 1. Mai 1998 auslösten), wurde wahrscheinlich ebenfalls in die Einheit Neun verlegt, nachdem sie eröffnet worden war, und selbst jetzt noch darf er einem Bericht zufolge immer noch keine Verwandtenbesuche bekommen.

Zu dem Protest vom 1. Mai 1998 kam es, als sowohl politische als auch normale Strafgefangene zusammengerufen wurden, um zum internationalen Tag der Jugend einem Flaggen-Appell beizuwohnen. Karma Sonam und andere Häftlinge begannen, Parolen zur Unterstützung des Dalai Lama und der tibetischen Unabhängigkeit zu rufen. Die politischen Gefangenen in den in der Nähe befindlichen Zellen fielen sofort ein. Die Gefängnisaufseher stürzten sich auf sie, um sie zu verprügeln und die beteiligten Häftlinge wurden zur Strafe in Einzelzellen isoliert. Fünf Nonnen und drei Mönche starben infolge der ihnen während oder nach den Protesten angetanen Mißhandlungen. Eine Delegation von EU-Botschaftern aus Peking besuchte das Gefängnis am 4. Mai, bemerkte jedoch nichts von den Protesten, die an diesem Tag dort stattfanden.

Bei dem bilateralen EU-China Menschenrechtsdialog am 27. und 28 November 2003 werden EU-Delegierte Peking eine Liste von etwa 65 chinesischen, tibetischen und uigurischen politischen Häftlingen unterbreiten. Leider konnte nicht in Erfahrung gebracht werden, ob auf der Liste auch tibetische Gefangene stehen, deren Strafen auf die Proteste vom Mai 1998 hin verlängert wurden.

Mönche wurden in die Einheit Neun verlegt, weil sie für ihre "Verbrechen" keine Reue zeigten

Zwei Mönche, Ngawang Nyima und Ngawang Sungrab, wurden im Frühjahr 2001 in den Haftbereich Neun verlegt, weil sie während politischer Gewissenserforschungs-Sitzungen keine zufriedenstellenden Antworten gegeben hatten. Ngawang Sungrab, ein Drepung-Mönch in den Dreißigern aus dem Kreis Lhundrub im Bezirk Lhasa, wurde, wie von International Campaign for Tibet mitgeteilt, inzwischen aus Drapchi entlassen, doch es besteht Anlaß zu ernster Sorge um seine Gesundheit und sein Wohlbefinden. Ehemalige Gefangene, die jetzt im Exil sind, berichten, Ngawang Sungrabs Zustand sei instabil geworden, nachdem er auf den Gefängnisprotest vom 4. Mai 1998 hin von einem Wachmann durch einen Bauchschuß verwundet worden war. Er hatte zu einer Gruppe von Gefangenen gehört, die nach der Demonstration zu den Gefängnistoren stürzten. Ngawang Nyima, ein Mönch aus Pema, dem Verwaltungszentrum vom Distrikt Pashoe in der Präfektur Chamdo (chin. Changdu), TAR, soll dem Vernehmen nach immer noch in einer Zelle dieses Straftraktes sitzen.

Der Haftbereich Neun enthält insgesamt 24 Zellen, von denen zwei für Einzelhaft bestimmt sind, 21 sind Zweimann-Zellen und eine ist eine Vorratskammer. Ein häufiger Grund für die Inhaftierung im Zellenblock Neun ist, daß die Häftlinge bei der "Erforschung" ihrer politischen Einstellung keine zufriedenstellenden Antworten gegeben haben. Jede Zelle ist mit einem winzigen ummauerten Hof versehen, aber die Häftlinge mit den strengsten Vollzugsbedingungen dürfen dort nicht hinaustreten oder sich außerhalb ihrer Zellen bewegen. Ehemalige Insassen berichten, die Zellen seien sehr schlecht belüftet, weshalb sie im Sommer erdrückend heiß und im Winter eiskalt seien. Auch dürften Besucher, sofern sie überhaupt zu dem Haftbereich Neun zugelassen werden, nur ganz kurz bleiben. Einige Gefangene in der Einheit müssen anstrengenden Drill über sich ergehen lassen und werden oft von den Aufsehern grausam geschlagen.

Strafgefangene wegen politischer Vergehen bestraft

Vor seiner Freilassung letztes Jahr war der ehemalige Lehrer Tagna Jigme Zangpo zusammen mit zwei Strafgefangenen, Sonam Tsewang und Tringa, die sich während des Besuches einer UN-Delegation in Drapchi im Oktober 1997 einem politischen Protest angeschlossen hatten, im Haftbereich Neun eingesperrt. Sonam Tsewang bekam eine Strafverlängerung von 5 Jahren, weil er während des Besuchs der UN Arbeitsgruppe für Willkürliche Verhaftung (UNWGAD) "Lang lebe der Dalai Lama" gerufen hatte. Zwei weiteren Tibeter, Tringa und Wangdu, wurden ihre Haftstrafen ebenfalls um drei Jahre verlängert, weil sie mitprotestiert hatten. Die ehemalige politische Gefangene Ngawang Sangdrol, eine Nonne, die im Oktober 2002, nachdem sie 11 Jahre ihrer Haftstrafe von 21 Jahren verbüßt hatte, freigelassen wurde, war dabei, als Sonam Tsewang nach dem Weggang der UN Delegierten aus Drapchi bestraft wurde: "Sie hielten extra ein Meeting ab, um an ihm ein Exempel zu statuieren. Es war wirklich beängstigend. Sie fesselten ihm die Hände hinter dem Rücken und schleiften ihn über den Boden. Sie befahlen ihm, den Kopf zu senken, doch er versuchte andauernd zu uns aufzublicken und irgendwie noch zu lächeln".

Wangdu ist anscheinend nicht mehr in dem Strafblock eingesperrt, weil er sein "Verbrechen eingesehen" hat. Ehemalige Gefangene berichten, daß Häftlinge, wenn sie zugeben, daß ihre politischen Taten falsch waren, aus diesem besonders harten Strafvollzug herausgenommen werden.

Lodroe Gyatso, 37, ein weiterer Strafgefangener, der in Drapchi protestierte, soll auch in dem Strafblock eingesperrt sein. Er war Mitglied einer Tanztruppe und bereits wegen eines Mordes zu 15 Jahren verurteilt; nachdem er 1995 bei einem Gefängnisprotest mitgemacht hatte, wurde sein Urteil um 6 Jahre verlängert. Wie es heißt, wurde er im November 2000 in den speziellen Straftrakt verlegt.

Sorge um die Gesundheit zweier Frauen

Die Gefängnisbehörden sind gewöhnlich bestrebt, politische und kriminelle Häftlinge in Drapchi getrennt zu halten, um zu vermeiden, daß die Politischen die anderen mit ihren "spalterischen" Ideen anstecken. Diese Bedenken der Gefängnisbeamten könnten sich noch verstärkt haben, nachdem im Mai 1998 sowohl politische als auch normale Strafgefangene in Drapchi ihre Einigkeit bekundeten, und Strafgefangene inzwischen immer häufiger aus politischen Gründen protestieren. In einigen Fällen werden die Kriminellen auch mit den Gewissensgefangenen in eine Zelle gesteckt, um als Spitzel zu fungieren.

Ngawang Sangdrol berichtet, daß zur Zeit ihrer Entlassung letztes Jahr zwei weibliche politische Gefangene zusammen mit Strafgefangenen, anstatt mit anderen ihresgleichen eingesperrt waren. Anu, eine Behinderte Ende Vierzig mit einer vierjährigen Haftstrafe und die Nonne Jangchub Drolma (Laienname Palki), die 11 Jahre zu verbüßen hat, nachdem ihr Urteil auf die Proteste vom Mai 1998 hin verlängert wurde, werden beide zusammen mit gewöhnlichen Strafgefangenen in eine Zelle gesperrt. Jangchub Drolma, eine Nonne Mitte Zwanzig aus dem Kloster Galo, wurde im Februar 1995 verhaftet und soll sich jetzt in einem prekären physischen und psychischen Zustand befinden. Anu, die im März 2001 inhaftiert wurde, war schon vor ihrer Festnahme bei schlechter Gesundheit und soll jetzt an heftigen Kopfschmerzen leiden. Vor ihrer Verhaftung arbeitete sie als Schneiderin in Lhasa. Seitdem sie im Alter von 13 Jahren von einem chinesischen Militärfahrzeug angefahren wurde, kann sie sich nur mit Hilfe von Holzkrücken vorwärtsbewegen. Über die genauen Anklagepunkte gegen Anu ist nichts bekannt, doch scheint es, daß die Behörden sie geheimer Kontakte zu der tibetischen Regierung-im-Exil und des Besitzes "spalterischer" Schriften, wie Reden des Dalai Lama, verdächtigen. Sowohl Anu als auch Jangchub Drolma sind in großer Bedrängnis, nachdem die Gefängnisaufseher gewöhnliche Gefangene in ihre Zellen gesetzt haben, die sie bespitzeln sollen.

Dies ist ein weiterer aus einer Reihe von unabhängigen Berichten von Kate Saunders (ks@insidetibet.net), beauftragt von Australia Tibet Council, Free Tibet Campaign und International Campaign for Tibet. Diese Berichte erscheinen auch in World Tibet News, einer Sammlung von Nachrichten zu Tibet, archiviert unter: www.tibet.ca/wtnnews.htm.